Der Welterkunder - Frank Vorpahl - E-Book

Der Welterkunder E-Book

Frank Vorpahl

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Beschreibung

Auf Georg Forsters Spuren um die Welt. Georg Forster ist eine der faszinierendsten Figuren der deutschen Geistesgeschichte. Er war Weltumsegler, Revolutionär, Freidenker, Naturkundler und Philosoph. Sein Leben ist so dramatisch wie reich, schon als junger Mann war er als Mitreisender bei James Cooks zweiter Weltumseglung dabei, als Revolutionär rief er die Mainzer Republik mit aus und organisierte – per Haftbefehl gesucht und von der vernichtenden Reichsacht bedroht – vom revolutionären Paris aus den Schutz der belagerten Stadt. Kein Wunder, dass er vor diesem Erfahrungshintergrund die Welt in vielem anders sah als seine Zeitgenossen. Seinen frühen Tod fand er in Paris, er starb ausgezehrt an einer Krankheit, um ihn herum tobte gerade der Terror der Guillotinen. Frank Vorpahl war schon seit seiner frühen Kindheit von Georg Forster fasziniert – seit 20 Jahren intensiv. Seitdem besuchte er Archive in aller Welt und reiste systematisch an Orte, an denen Forster sich aufhielt. Er traf Reiseforscher wie Thor Heyerdahl, Geschichts- und Politkenner wie Klaus Harpprecht, Biologen, Ökologen, Sprachwissenschaftler, aber auch Fischer auf der Osterinsel, Bio-Drogen-Dealer auf Tonga und die angeblich letzten Kannibalen auf Tanna. Mit einer von seinem Vorbild inspirierten Neugier suchte Vorpahl dort nach Spuren Forsters – und fand im Laufe der Jahre Erstaunliches: unbekanntes Archivmaterial, Reste der Cook'schen Expedition, Stellen, an denen Forster stand und mit deren Hilfe man Zeichnungen geographisch verorten kann; vergessene Texte, unbekannte Zeichnungen. Detailgenau registriert er, wie verschiedene Weltgegenden sich seit Forsters Zeiten änderten. Zudem bildet er sich sein ganz eigenes Bild des Autors. In seinem Buch liefert Vorpahl uns nun den Bericht einer von Passion getragenen jahrzehntelangen Spurensuche rund um die Welt, bei der Georg Forster neu Gestalt annimmt.

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Seitenzahl: 810

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Frank Vorpahl

Der Welterkunder

Auf der Suche nach Georg Forster

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Frank Vorpahl

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

MottoKapitel 1 ForsterKapitel 2 Mainzer Affären – Pariser UmrisseKapitel 3 Die ReiseKapitel 4 Atlantische SkizzenKapitel 5 Fahndung nach Forsters CascadeKapitel 6 Auf dem Brotfrucht-PfadKapitel 7 Hiwa auf der OsterinselKapitel 8 Auf der glücklichsten Insel OzeaniensKapitel 9 FundsachenQuellen, Bibliografie, BildnachweisBildrechteDank
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»Alles zu prüfen und das Schönste zu behalten, ist das heilige Vorrecht der Vernunft.«

(Georg Forster in seiner Vorrede zur deutschen Übersetzung von Thomas Paine: Die Rechte des Menschen)

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Südpazifik: 18° 48' Süd, 169° 04' Ost

Kapitel 1Forster

Im Zwielicht der Morgendämmerung des 4. August 1774 gibt Captain Cook Order, mit zwei gut bemannten Booten zur Ersterkundung einer dicht bewaldeten Insel aufzubrechen. Die Resolution liegt nach Tagen endlosen Navigierens in den ruhigen Wassern einer riffgeschützten Bucht. Dem Schiff gegenüber, im schimmernden Grün der zerklüfteten Küste, leuchtet – von Bord mit bloßem Auge erkennbar – ein heller Korallenstrand auf, der einen bequemen Landeplatz verheißt. Zum Glück, denn Cooks Männer brauchen dringend neuen Proviant und frisches Wasser. Umso mehr, als die halbe Schiffsbesatzung seit Tagen an einer Fischvergiftung laboriert, die nicht nur Gliederschmerzen und Zahnausfall verursacht, sondern für Höllenschmerzen sorgt, wenn sich in der Mundhöhle die Schleimhäute blutig abschälen. Georg Forster kann es seinem Instinkt anrechnen, dass er die giftig-roten Seebrachsen verschmäht hat und so den Qualen seiner Reisegefährten entgangen ist. Doch ist er nicht weniger begierig, an Land zu kommen. Bestimmt hat dieser üppig bewachsene Landstrich dem Naturforscher neue Tier- und Pflanzenarten zu bieten.

Das gleichmäßige Eintauchen der Ruderblätter, das rhythmische Atmen der Männer in den Riemen wird nur vom Vogelgesang übertönt, der allmählich lauter wird, als sich die Boote dem Landeplatz nähern. Ein Dutzend schlanker Palmen überragt den halbrunden Platz, der von Felsen und dichtem Buschwerk begrenzt wird. Idyllischer könnte die Szenerie nicht sein. Und doch haben Cooks Männer Gewehre und Munition dabei, die Seekadetten ihre Bajonette aufgepflanzt.

Der Kapitän traut dem Frieden nicht. Seitdem er Kurs Richtung Westen aufnahm, um die Seekarten zu überprüfen, die der portugiesische Seefahrer de Quirós fast 200 Jahre vor ihm auf seiner Fahrt durch den Südpazifik angefertigt hat, scheint sich das Schicksal gegen ihn verschworen zu haben. Die Behauptung des Portugiesen, bei seiner Pazifikreise auch auf die Terra australis incognita – das seit der Antike immer wieder beschworene Südland im antarktischen Zirkel – gestoßen zu sein, hat Cook immer angezweifelt. Fast war er erstaunt, als er mittels der vagen Koordinaten des Portugiesen tatsächlich auf eine Insel stieß, die de Quirós 1606 Australia del Espíritu Santo getauft hatte. Nur lag dieses »Südland« hier in Äquatornähe und nicht am Südpol. Was für ein Irrtum! Immerhin tauchten auf der Fährte des alten Portugiesen vor dem Bug der Resolution immer neue, unbekannte Inseln auf: Malekula, Efate, Tanna – ein ganzer Archipel, den Cook Neue Hebriden taufte.

Georg Forster im Alter von 30Jahren auf einem Gemälde von Johann Heinrich Tischbein. © Sammlung Weltkulturen Museum Frankfurt am Main, Wolfgang Günzel

Die Bewohner dieser Inseln allerdings sind unberechenbar: Schon beim Landungsversuch auf Savage Island fuhr Georg Forster ein rußgeschwärzter Speer so dicht an der Lende vorbei, dass die Mixtur aus Asche und Öl an seinem Wams kleben blieb. James Cook konnte sich in letzter Sekunde gerade noch wegducken, als ein zweiter Speer heranschnellte.

Der durchdringende Klang des Muschelhorns ist den Männern in den Booten inzwischen bestens vertraut. Dennoch geraten die Ruderer für einen Moment aus dem Takt, als das Warnsignal der Insulaner die Stille des Morgens abrupt zerreißt. Wie ein Echo breitet sich der Ton über die Insel aus – kilometerweit, an der Küste entlang. Wie viele Augen sind inzwischen aus dem undurchdringlichen Dickicht des Ufers auf die beiden Boote gerichtet, die nur noch ein paar Ruderlängen vom Strand entfernt sind? Der eben noch menschenleere Landeplatz füllt sich in Windeseile. Fünfzig, sechzig mit Speeren bewaffnete Männer waten ins Wasser und kreisen die weißen Ankömmlinge ein. Der Kapitän verteilt eilig Nägel, Medaillen und Tapa-Stoffe aus Tahiti, um sie friedfertig zu stimmen. Tatsächlich gelingt es im aufgeregten Gerangel um die Mitbringsel, das Boot aus der Menschenmenge herauszubugsieren und eine felsige Landzunge anzusteuern, die sicherer erscheint. Noch wollen Cooks Männer die Chance nicht vergeben, an frisches Wasser zu kommen.

Doch kaum biegen die Boote um die nächste Klippe, werden sie von mehreren Hundert Kriegern in Empfang genommen, die mit Pfeilen und Bogen, Streitkolben und Steinen bewaffnet sind. Georg Forster sticht die martialische rot-schwarze Bemalung ihrer nackten Körper ins Auge, als die Einheimischen sich der Boote bemächtigen, um sie an Land zu ziehen. In einem verzweifelten Kampf verteidigen die Matrosen ihre Ruder, der Kapitän gibt lauthals Feuerbefehl, doch mehr als die Hälfte der Musketen versagt. In diesem Moment flucht auch Georg Forster auf die britische Marine, die ihre Seekadetten mit so schlechten Flintsteinen versorgt. Ein Matrose wird von einem Speer an der Hand getroffen, dann trifft ihn ein Wurfspieß ins Gesäß. Der Lotse wird durch einen Rohrpfeil verletzt, dessen gezackte Spitze ihm in die Brust dringt. Erst die donnernden Kanonenschüsse der Resolution erlauben den Männern in den Booten endlich den Rückzug, während die verwundeten Insulaner auf allen vieren, mehrere Tote mit sich schleifend, im Dickicht Schutz vor dem anhaltenden Feuer suchen.

Wie viele Male geriet Georg Forsters Leben in Gefahr während der dreijährigen Reise an Bord von Captain Cooks Schiff? Suchten ihn Beklemmungen heim? Hatte er Todesangst? Oder fürchtete er mehr noch um das Leben seines Vaters und Reisegefährten Johann Reinhold?

 

Das ist auch Forsters Reise um die Welt nicht zu entnehmen – jener abenteuerlichen Chronik, die ihn in deutschen Landen zum gefeierten Begründer des modernen Reiseberichts machte. Doch bezeugt sein bahnbrechendes Werk, dass er ebenso wie sein väterlicher Lehrmeister im August 1774 nicht nur den dramatischen Landungsversuch auf Erromango im Süden des Archipels von Vanuatu überstanden, sondern die längste und bedeutendste der drei Cook’schen Weltreisen überlebt hatte: Drei Jahre zwischen der weißen Hölle der Antarktis und den paradiesischen Inseln des Südpazifik.[1]

Eine Fahrt, die Georg Forster mit einem Schlag zu einem der berühmtesten Deutschen seiner Zeit machte. Schließlich lüftete das kühnste Forschungsunternehmen der Briten im 18. Jahrhundert den Schleier über dem letzten noch unerforschten Drittel der Erdkugel. Mächtige Inseln wie Neuseeland und Neukaledonien tauchten auf den europäischen Karten auf, weitläufige Archipele wie die Tuamotus und die Gesellschaftsinseln um Tahiti, die Inselgruppe von Tonga und die Marquesas, die Neuen Hebriden (heute Vanuatu), die Osterinsel und die Norfolk-Insel, schließlich Süd-Georgien und die Südlichen Sandwich-Inseln südlich von Feuerland.

Johann Reinhold und Georg Forster als »Naturforscher auf Tahiti« auf einem Gemälde von John Franics Rigaud (1780). © Francis Rigaud: Doppelbildnis Reinhold und Georg Forster (1780). Privatbesitz

Ging es dem genialen britischen Seefahrer James Cook darum, den Stillen Ozean zu vermessen und Inseln und Küstenstriche zu kartographieren[2], so fiel Georg Forster und der Handvoll Forschungsreisender an Bord von Cooks Schiff eine nicht weniger wichtige Aufgabe zu: Die Naturforscher waren es, die tiefer vordrangen in das unbekannte Terrain. Sie waren es, die sich größten Risiken aussetzten, um erste geologische, mineralogische und meteorologische Parameter zu ermitteln, eine ungeheure Vielfalt neuer Pflanzen- und Tierarten aufzuspüren, vor allem aber den unbekannten Menschen und Kulturen der Südsee zu begegnen. Wo immer Captain Cook in den Weiten des Pazifik vor Anker ging: Georg Forster und sein Vater Johann Reinhold waren die Ersten, die das neu entdeckte Fleckchen Erde wortwörtlich unter die Lupe nahmen. Ihre schriftlichen Überlieferungen und Reisebilder ermöglichten den Europäern schließlich eine erste Vorstellung von der großen Reise und ihren Entdeckungen.

Durch die ausgedehnten Fahrten in antarktischen Gewässern gab James Cook endgültig Antwort auf die sogenannte Südland-Frage: Eine Terra australis incognita, wie sie in der Antike von Ptolemäus erdacht und nach Überzeugung des einflussreichen Geografen der britischen Ostindien-Kompanie Alexander Dalrymple – des eifrigsten Verfechters eines Südkontinents zu Zeiten Cooks – theoretisch auch bewiesen war, entpuppte sich als Hirngespinst.[3] Es gab keinen fruchtbaren Kontinent am Südpol. Doch auch Georg Forster, der Erkunder der von Cook entdeckten Welten, konnte im Ergebnis seiner Reise Antwort auf große Fragen der Menschheit geben.

Certhia cardinalis: Georg Forsters Abbildung des auf der Insel Tanna entdeckten rotköpfigen Vogels Koiametameta taucht auch auf dem Gemälde Rigauds am linken Bildrand auf. © The Trustees of the Natural History Museum, London

Georg Forster bewunderte an James Cook nicht nur die herausragenden seemännischen Fähigkeiten, sondern auch seine Charakterstärke: die Hartnäckigkeit, mit der Cook seine Unternehmungen voranbrachte, das Einfühlungsvermögen bei der Begegnung mit anderen Menschen und nicht zuletzt den praktischen Experimentiergeist, der vor Althergebrachtem nicht haltmachte. Doch sah er in der Vollendung der Vermessung der Welt, dem höchsten Ziel der britischen Admiralität und ihres besten Seefahrers, nicht das wichtigste Resultat der Cook’schen Reisen. In den Augen des jungen Naturgelehrten betraf die wichtigste Erkenntnis der Reise das Wesen der Bewohner, das er rund um den Globus studieren konnte.

Captain Cook und seine Mannschaft bei der »Landung auf Tanna« auf einem Gemälde von William Hodges (1775): Im Hintergrund die Resolution im Rauch einer eben abgefeuerten Kanone, darüber die dunklen Rauchwolken des Vulkans Mt. Yasur.

Die Natur des Menschen – so Georg Forsters fundamentale Einsicht – ist überall gleich.[4] Er war damit der erste Deutsche, der aus der praktischen Anschauung der Welt heraus die grundlegende humanistische Einsicht formulierte, »dass die Natur des Menschen zwar überall klimatisch verschieden, aber im ganzen, sowohl der Organisation nach, als in Beziehung auf die Triebe und den Gang ihrer Entwickelung, spezifisch dieselbe ist«.[5]

 

Die Persönlichkeit Georg Forsters war außergewöhnlich vielseitig. Er war Weltreisender, Schriftsteller und Revolutionär, Botaniker, Ethnologe und Philosoph, Zeichner, Bibliothekar und Lehrer, Pfarrerssohn, Freimaurer und Aufklärer. Vielen dieser Facetten konnte ich in den letzten zwanzig Jahren nachgehen, eine ganze Reihe von Schauplätzen und Ereignissen wären wichtig genug, um am Beginn dieser Spurensuche zu stehen. Südseeparadiese und antarktische Eiswüsten, Revolution und Guillotine, Ehedramen und Vaterwunden. Doch schien es mir in den letzten Jahren zwingender denn je, den Mann an den Anfang zu stellen, für den die Neugier auf den Anderen, die Offenheit und der Respekt für das Fremde – den Fremden – die wichtigste Grundfeste seines Lebens bildete. Ein zutiefst humanistischer Geist, der es ihm ermöglichte, in der Natur des Menschen das Universelle zu sehen. Zu einer Zeit, in der Debatten über die Unterschiede zwischen den Rassen selbst unter Männern der Aufklärung zur Mode wurden.

Zuerst also, vor allem anderen: Georg Forster – der Verfechter von Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit. Ein Mann, der von diesen Idealen ein Leben lang nicht lassen wird. So mischte er sich schon bald nach der Rückkehr von seiner großen Südseereise in die wichtigste und hitzigste Debatte der Aufklärung ein: die Bestimmung der Natur des Menschen. Nicht mehr aus der Heiligen Schrift, nicht aus abstrakten Ideen sollten die menschlichen Gegebenheiten postuliert, sondern aus der Anschauung der Wirklichkeit gefolgert werden: »Dem Menschen liegt unstreitig kein Gegenstand näher als der Mensch selbst«, wie Forster es ausdrückte.[6] Die Stimme dieses jungen Mannes wurde gehört. Als meistgereister Deutscher und praktischer Welterkunder hatte er eine exklusive Stellung inne.[7] Tatsächlich war niemand sonst einer größeren Vielzahl menschlicher Kulturen begegnet. Und, was Alexander von Humboldt als »eigentlich groß und selten« an seinem hochverehrten Lehrer Georg Forster erkannte: Er besaß ein außerordentliches Talent für »die philosophische Behandlung naturhistorischer Gegenstände«.[8]

Dass Menschen grundlegend gleich sind, obwohl Tausende Kilometer voneinander entfernt und durch Weltmeere getrennt, ob mit Pfeil und Bogen oder Kanonen gerüstet, ob sie an viele Götter glauben, an einen oder keinen: Die Idee der Gleichheit der Menschen zog sich wie ein roter Faden durch das knapp 40-jährige Leben Georg Forsters. Von der legendären Weltreise mit Captain Cook bis zu Forsters letztem Atemzug im revolutionären Paris, wo er den Traum von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gegen alle äußeren und inneren Anfeindungen hochhielt.

Mit seiner Überzeugung von der Universalität der menschlichen Natur war er seiner Zeit weit voraus. Den Fremden als gleichwertig zu sehen, ihm auf Augenhöhe, mit Wachheit und Interesse zu begegnen – diese Grundmaxime in Forsters Leben und Werk war auch im Europa der Aufklärung nicht selbstverständlich.[9]

Für seine Überzeugung kämpfen musste er von Anfang an. Kaum nach Deutschland zurückgekehrt von seiner Weltreise, gerade die ersten Freundschaftsbande geknüpft in der fremden Heimat, war sich Georg Forster nicht einmal mit seinem besten Freund einig, was die Sicht auf die Natur des Menschen betraf. Der junge Samuel Thomas Soemmerring, damals Deutschlands berühmtester Anatom, mochte der Forster’schen Überzeugung nicht so ganz zustimmen.[10] Und was die Sache nicht einfacher machte, Soemmerring argumentierte nicht mit Dogmen, sondern wie Forster: wissenschaftlich, empirisch. In seinem Teatrum anatomicum in Kassel hatte Soemmerring verstorbene »Mohren« seziert, die mit den hessischen Truppen aus Amerika eingewandert waren.[11] Aus seiner Leichenschau schloss der junge Anatom kurzerhand auf eine angebliche »körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer«.[12] Zwar räumte er ein: »Auch unter den Schwarzen gibts einige, die ihren weißen Brüdern näher treten, und manche aus ihnen sogar an Verstande übertreffen«, doch stehe das Gehirn des Mohren anatomisch dem des Affen näher als dem des Europäers.[13]

Dagegen wollte Forster die Grenze zwischen Menschen und Affen nicht verwischt sehen. Soemmerring blieb bei seinem Vorstoß in Sachen Rassenunterschied indes nicht allein. Vielmehr meinte auch das Spitzenpersonal der deutschen Aufklärung zwischen höheren und niederen Rassen unterscheiden zu müssen, allen voran Immanuel Kant.[14] Der große Mann aus Königsberg glaubte zwar nicht wie Soemmerring an »zwei Adams«, also an zwei Stämme, von denen der Homo sapiens abstammte. In dieser Frage blieb Kant ganz bibeltreu bei der Herkunft aller Menschen von Adam und Eva. Doch machte er eine Abstufung menschlicher Rassen an der Hautfarbe fest.[15] Je dunkler, desto primitiver – so zugespitzt die Kant’sche These, die Soemmerring, trotz eines ganz anderen Ansatzes, praktisch-anatomisch zu beweisen schien. Georg Forster, das kann man ihm nicht hoch genug anrechnen, durchbrach diesen intellektuellen Schallraum. Getreu seiner Maxime: »Widerspruch und freye Ventilation pro und contra ist die Seele aller vernünftigen und beßernden Aufklärung …«[16]

Das Ottoneum in Kassel: Hier nahm Georg Forster nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Dezember 1778 seine erste Anstellung als ordentlicher Professor und Lehrer am Collegium Carolinum an.Stadt Kassel, Naturkundemuseum im Ottoneum

Es war wohl England, das den jungen Forster gegen den verhängnisvollen deutschen Geist immun gemacht hatte. In der Londoner Royal Society, deren Sitzungen er schon als polyglottes Wunderkind an der Seite seines Vaters besuchen durfte, war ein gewisses Misstrauen gegen Hypothesen und Theoretisches gute Tradition.[17] Eine Skepsis, die dazu führte, dass der Naturforscher und Philosoph Forster sich ganz bewusst größte wissenschaftliche Vorsicht bei der Diskussion von Menschenrassen auferlegte.[18] Offenbar ahnte er, in welchen Abgrund diese Debatte führen könnte. Hielt er seinem Freund Soemmerring noch das aufklärerische Ungestüm des Mediziners zugute,[19] so griff er den führenden Kopf der preußischen Aufklärung für dessen spekulative Rassenüberlegungen um so heftiger an.[20] Schon der Begriff »Menschenrassen« war einer, den er »gar nicht liebt«, hielt Forster Immanuel Kant entgegen.[21] Er spießte damit Kants rassistische Haltung auf, die heute fast vergessen scheint.[22] Kant hielt die »Negerrace« für »faul, weichlich und tändelnd« und philosophierte darüber, dass »alle Neger stinken«, was »durch keine Reinlichkeit« zu vermeiden sei.[23]

Verstand Georg Forster den großen Immanuel Kant richtig: Schwarze waren faul und stanken? Und das sollte ihn nicht aufregen? Ihn, der in seiner Reise um die Welt geradezu programmatisch gegen das abendländische Vorurteil angeschrieben hatte, »vermöge dessen wir in Europa uns allein Tugend, und Wilden nichts als Schandthaten und böse Natur zutrauen«.[24] Es war wohl mehr als Eitelkeit, die Forster auf die Barrikade trieb. Schon als Wissenschaftler, als Mann der Aufklärung, musste er sich der Frage stellen, wie er die Natur der Menschen prinzipiell für gleich halten konnte, wo es doch offenkundig Varietäten gab, etwa in der Hautfarbe der Menschen. Gültige Antworten konnten weder Forster noch Kant liefern, dazu fehlte ihnen noch Darwins Schlüssel der Evolutionstheorie.[25] Doch man konnte zusammenfassen und ständig erweitern, was an Erkenntnissen über den Menschen vorlag. So die Idee Forsters. Nicht die Idee Kants. Der meinte: »Eigentliche Wissenschaft kann nur diejenige genannt werden, deren Gewißheit apodiktisch ist; Erkenntnis, die bloß empirische Gewißheit enthalten kann, ist nur ein uneigentlich so genanntes Wissen.«[26]

Der stärkste Gegensatz zu Kants Rassismus tat sich jedoch dadurch auf, dass Forster nicht bereit war, sein wissenschaftliches Denken und ethisch-moralische Überlegungen voneinander zu trennen. Derselbe Kant, der die schwarze Rasse für stinkend und faul hielt, wollte bibeltreu darauf bestehen, dass alle Menschen aus einem Stamme hervorgegangen waren. Sarkastisch fragte Forster, ob es denn die Bibel je vermocht habe, einen Afrikaner vor Sklaverei zu schützen: »Doch indem wir die Neger als einen ursprünglich verschiedenen Stamm vom weißen Menschen trennen, zerschneiden wir nicht da den letzten Faden, durch welchen dieses gemißhandelte Volk mit uns zusammenhing und vor europäischer Grausamkeit noch einigen Schutz und einige Gnade fand? Wo ist das Band, das entartete Europäer davon abhalten kann, über ihre weißen Mitmenschen ebenso despotisch wie über Neger zu herrschen.«[27]

Georg Forster suchte das intellektuelle Duell mit Kant auch, um seiner Stimme im Kanon der deutschen Geistesgrößen Gehör zu verschaffen.[28] Den Fehdehandschuh aber hatte nicht Forster, sondern der berühmte Königsberger Philosoph geworfen. Als frischgebackener Professor musste Georg Forster in Wilna lesen, was Kant von den jüngsten Entdeckungsreisen der Europäer hielt: nämlich gar nichts. Damit aber verletzte er Georg Forster persönlich als Naturforscher. Kants Verdikt bedeutete ja nicht weniger, als die drei entbehrungsreichen Jahre, die der junge Forster mit Captain Cook unterwegs war, das Risiko, das sein Vater und er bei den lebensgefährlichen Erkundungen in antarktischen Gewässern und bei der Begegnung mit unbekannten Kulturen auf sich genommen hatten, und nicht zuletzt den naturwissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnisgewinn dieser gewaltigen Forschungsexpedition für ebenso unerheblich wie überflüssig zu erklären.[29] Solcherlei Reisen, schrieb Kant, nährten nichts weiter als die »leere Sehnsucht« nach einem goldenen Zeitalter.[30]

Leere Sehnsucht? Größer konnte der Gegensatz zu Forster nicht sein, der in der zweiten Cook’schen Weltumseglung und ihrer Beschreibung einen grundlegenden Beitrag zum Anwachsen nützlichen Wissens im Sinne der Aufklärung sah.[31] Kant traf Georg Forster ins Mark.[32] Zumal der Philosoph in seinen Rasseüberlegungen auch noch behauptete, dass über die Hautfarbe der Südsee-Insulaner nur wenig bekannt sei.[33] Als hätten die Forsters die Menschen der Südsee nicht Insel für Insel so genau wie möglich beschrieben. Die Folge: Georg Forster hielt Immanuel Kant für ignorant, rassistisch und verquast. Kants Sprache erschien ihm schlichtweg unlesbar. Seit seinem elften Lebensjahr hatte Georg Forster aus diversen Sprachen übersetzt und die Gedankentiefe der russischen Sprache, den Esprit des Französischen und die geradlinigen, klaren Sätze der Briten zu schätzen gelernt. Als ein Mann der Sprache fiel es ihm schwer zu begreifen, dass die Deutschen einen Mann verehrten, »der sich mit seiner Kunstsprache in die unüberwindlichste, stachlichste Form des gehetzten Igels zusammengerollt hat«.[34]

Mit seiner Polemik gegen eine »Philosophie im Lehnstuhl« stellte der junge Forster »blindlings pragmatisiertes Denken« infrage. Kants abstrakte Begriffssuche, die »niedrige« Rassen billigend in Kauf nahm – Georg Forster attackierte sie lange vor der radikalen Kritik der Aufklärung Horkheimers und Adornos.[35]

Forster mochte nicht ausschließen, dass sich Menschen aus verschiedenen Stämmen entwickelt hatten und stellte damit auch die Bibel infrage.[36] Ein vorurteilsfreies Nachdenken, eine Debatte über die Natur des Menschen, hielt er für absolut legitim. Doch bestand er zugleich darauf, infragen der Menschenrassen nicht mit »apodiktischer Gewissheit« zu operieren.[37] Unterschiede erschienen ihm am ehesten aus ungleichen kulturellen Entwicklungsstadien zu resultieren, die die Menschheit »zum Menschsein« durchläuft.[38]

Auch seinem Freund Wilhelm von Humboldt, der sich der Erkundung des Nationalcharakters der Völker verschrieben hatte, gab er eine heikle Frage mit auf den Weg: »Ist es nicht äußerst schwer, Nationalcharaktere anzugeben; zu sagen, wie Nationen von einander in Anlagen verschieden sind? Ist es nicht Unrecht, einer Nation diese oder jene Anlage abzusprechen? Da doch die Charaktere in jeder Nation so mannichfaltig sind?«[39]

Selbst seinen dominanten Vater, der die Unterschiede zwischen Völkern und Völkerschaften so schematisch wie Kant am Klima festmachen wollte, korrigierte Georg Forster bei der Auswertung der Weltreise stillschweigend.[40] Etwa, indem er bei der Übersetzung von Johann Reinhold Forsters Observations vom Englischen ins Deutsche »noch einiges umgearbeitet und berichtigt«, das heißt selbstständig korrigiert hatte.[41] Tatsächlich waren es radikale Veränderungen, die Georg Forster da vorgenommen hatte. Die harsche Vermutung seines Vaters etwa, wonach sich bei wilden Nationen in kalten Klimazonen durch körperliche Deformationen auch im Kopf Trägheit, Stumpfheit und Dummheit breitmachten, strich der Sohn ersatzlos.[42] Die logische Konsequenz aus einer Position, die schon der 20-Jährige in seiner Reise um die Welt deutlich gemacht hatte. Dort hatte er der Klimatheorie seines Vaters zum ersten Mal eine eigene Sicht der Dinge entgegengesetzt. Charakteristische Unterschiede zwischen den Bewohnern verschiedener Landstriche mussten seiner Meinung nach »wohl von einer Menge verschiedner Ursachen abhängen«.[43] Georg Forsters Welt war zu komplex, um ihr mit tumbem Rassismus beizukommen.

Abgesehen von seinem Vater befand sich Georg Forster, der Weltbürger, im Streit mit deutschen Aufklärern, die nur selten über den Tellerrand des deutschen Flickenteppichs hinausgekommen waren: Kants Abneigung, Königsberg zu verlassen, war legendär. Der Anatom Soemmerring schaffte es bis nach Bayern, Wilhelm von Humboldt immerhin nach Paris, Rom und nach Spanien. Forster dagegen lebte zeitlebens mit oder in anderen Kulturen: Als Kind in Preußisch-Polen und Russland, als Jugendlicher in England; auf seiner Weltreise mit Walisern, Schotten und Iren. Er traf Holländer am Kap der Guten Hoffnung, Portugiesen auf Madeira und den Azoren. Drei Jahre lang teilte er sich die tägliche botanische Arbeit an Bord der Resolution mit dem Schweden Anders Sparrman. In Afrika, Südamerika und auf über 30Südseeinseln nahm er intensiven Kontakt zu den Einheimischen auf. Er überredete Captain Cook sogar, den jungen Maheine aus Bora-Bora mit an Bord zu nehmen, was zu einem intensiven Kennenlernen des jeweils anderen führte.[44] Als Georg Forster 24-jährig nach Deutschland zurückkehrte, kam er über Frankreich. Und ging bald nach seinem Lehr-Debüt in Kassel als junger Professor nach Wilna, wo er ein polnisch-jüdisch-baltisches Völkergemisch vorfand, auf das er allerdings in manchem seiner Briefe auch kräftig fluchte.[45]

Aus dem fernen Wilna aber legte Forster in der Debatte um die Natur des Menschen nach, mit der Glaubwürdigkeit eines Mannes, der – wortwörtlich – aus Menschenkenntnis sprach. Gelegentlich mag Forster erstaunt darüber gewesen sein, dass unter den großen deutschen Aufklärern, von Blumenbach und Herder einmal abgesehen, nicht weit mehr mit ihm übereinstimmten.[46] Von Johann Gottfried Herder übernahm er schließlich den Begriff der »Besonnenheit« als Unterscheidungsmerkmal von Mensch und Tier. »Angewandte Besonnenheit« machte in den Augen Forsters die einzigartige »Perfectibilität« des Menschen aus.[47] Zugleich bemerkte Forster auch, dass diejenigen, die am wenigsten herumgekommen waren, die stärksten Vorurteile gegen »Fremdlinge« hegten; im Anderen eher den Primitiven, den Affen vermuteten als das Ebenbild, den Menschen. Forster machte es anders – mit einem Brückenschlag zwischen empirischer Menschenforschung und Philosophie. Wie sein Schüler Alexander von Humboldt sah er, dass alles in der Natur zusammenhing.[48]

Während Captain Cook mit der Vermessung des riesigen Pazifikraums den letzten großen weißen Fleck auf unserem Globus tilgte, stellte sich Forster der drängenden Frage nach den möglichen Unterschieden zwischen den Menschenrassen. Seine Antwort: Es gab keine Kreaturen, die halb Tier, halb Mensch waren, keine niederen Menschenrassen oder Herrenwesen, sondern eine »Einheit des Menschengeschlechts«, wie er es 30-jährig in seinem Essay Cook, der Entdecker formuliert hat.[49] »Kein Mensch verstände den anderen, wenn nicht in der Natur aller Menschen etwas Gemeinschaftliches zum Grunde läge, wenn nicht die Eindrücke, die wir durch die Sinne erhalten, eine gewisse Ähnlichkeit bei allen einzelnen Menschen beibehielten …«[50] Darauf bestand er bis zuletzt, auch in seinen Ansichten vom Niederrhein: »Gut und böse, recht und unrecht, widrig und angenehm, schön und häßlich« – die Menschen auf unserem Globus, so Georg Forsters feste Überzeugung, urteilten erstaunlich universell.[51]

Die zweite Cook’sche Weltumseglung bereicherte den Erkenntnishorizont von Seefahrern und Naturgelehrten auf unterschiedliche Weise, legte aber für beide gleichermaßen den Grundstein ihres Ruhms: James Cook erklomm ungeahnte Höhen auf der militärischen Karriereleiter – der Leutnant zur See durfte ausnahmsweise ohne blaublütige Ahnenreihe zum Captain der Royal Navy aufsteigen. Und Georg Forster, der Naturzeichner an seiner Seite, verließ am 30. Juli 1775 nach 1111Tagen die Resolution als mehrfacher Rekordhalter. Kein Deutscher vor ihm hatte mehr von der Welt gesehen: Über 50Inseln hatten sie besucht, ein Dutzend pazifischer Kulturen kennengelernt, mehr als 600 bis dahin unbekannte Tier- und Pflanzenarten entdeckt, gezeichnet und beschrieben. Niemals zuvor war ein Mensch trotz antarktischer Eismassen tiefer zum Südpol vorgestoßen als die Crew der Resolution am 30. Januar 1774.[52] Nicht zuletzt konnte Georg Forster drei Jahre lang einen Mann aus nächster Nähe studieren, der von seinen Zeitgenossen zum Helden ausgerufen wurde. James Cook galt bereits nach seiner zweiten Weltumseglung in ganz Europa als ein so bedeutender Entdecker, dass ihm Frankreich und Spanien, ja sogar die abtrünnigen englischen Kolonien der Vereinigten Staaten von Amerika im Frieden wie im Kriegsfall Schutz und Unterstützung zusicherten. Cook sei »mit dem ganzen Erdball so genau bekannt geworden, als trüge er ihn, wie den Reichsapfel, in der Hand«, rühmte Forster seinen Kapitän. Die von ihm auf drei Weltreisen zurückgelegte Strecke, 40000Seemeilen, reiche fast zum Mond.[53] Nachdem Captain Cook auf seiner dritten Südseereise im Februar 1779 in der Bucht von Kealakekua auf Hawaii getötet und – so eilte die dramatische Todesnachricht durch Europa – von Kannibalen verschlungen worden war, stieg der britische Seefahrer endgültig in den Rang eines der größten Seefahrer des Abendlandes auf.[54]

Georg Forster war diese Tatsache wohl bewusst: Als er sich im August 1784 zur kaiserlichen Audienz in der Wiener Hofburg einfand, erkundigte sich Joseph II. bei »seinem« Weltreisenden denn auch am vordringlichsten nach der Persönlichkeit des berühmten englischen Seefahrers. Und Forster lobte den Entdeckergeist seines Kapitäns in höchsten Tönen. Der Rest der spärlichen zehn Minuten ging für skeptische Ansichten des deutschen Kaisers über die Verhältnisse in Polen und Litauen drauf, wohin sich Georg Forster damals gerade aufmachte, um als Professor der Universität Wilna Naturwissenschaften zu lehren.[55] Immerhin schenkte der Kaiser Georg Forster einen Brillantring.[56] Insofern ist es kein Zufall, dass Georg Forster ihm seine bald darauf in Angriff genommene Schrift Cook, der Entdecker widmete. Vielleicht mochte sich der Reformen nicht ganz abgeneigte Herrscher durch Captain Cooks zupackende Experimentierfreude inspiriert fühlen.

 

Anders als bei seiner Rückkehr galt Georg Forster zu Beginn der Reise, als die Resolution am Montag, dem 13. Juli 1772 aus dem Hafen des südostenglischen Plymouth zur Weltreise auslief, vor allem als Sohn seines universell gelehrten Vaters. Johann Reinhold Forster (1729–1798) machte es zur Bedingung seiner Reisezusage, dass ihn der 17-jährige Georg als Assistent begleiten dürfe. Als naturwissenschaftlicher Leiter der Expedition, mit 4000Pfund der höchstbezahlte Mann an Bord der Resolution – und übrigens auch der erste von der britischen Regierung besoldete Wissenschaftler –, folgte Forster senior mit dieser Forderung seinem Vorgänger Joseph Banks, dem auf Cooks erster Reise ebenfalls ein Assistent, der schwedische Botaniker Daniel Solander, zugebilligt worden war.[57]

Offiziell bestellte der englische König Georg III. den jungen Forster am Vortag der Abreise, am 12. Juli 1772, zum Naturzeichner der Expedition. Als einen guten Zeichner – »a good designer« – hatte Lord Sandwich, der Chef der britischen Admiralität, Georg Forster zuvor empfohlen.[58]

Dass zwei Deutsche im Juni 1772 überhaupt für die zweite Cook’sche Weltreise nominiert wurden, resultiert aus einer folgenschweren Fehlkalkulation von Sir Joseph Banks (1743–1820) – des eigentlichen Spitzenanwärters für die Rolle des Chefs der naturwissenschaftlichen Expedition. Der als genial geltende junge Gentleman aus dem englischen Hochadel hatte seine botanische und zoologische Versiertheit schon auf der ersten Cook’schen Südseereise unter Beweis gestellt. Sein Ruhm übertraf 1772 noch den des legendären Captain Cook. Doch im Vorfeld der zweiten Weltumseglung mit Cook machte Banks seine erneute Beteiligung an einer Expeditionsreise von einem radikalen Umbau des Schiffs nach seinen persönlichen Bedürfnissen abhängig. Der erfahrene Kapitän indes warnte davor, die Seetüchtigkeit der kiellosen Bark durch zusätzliche Aufbauten zu gefährden. Zwei mächtige Männer traten hier gegeneinander an, doch sah sich Cook schließlich von der Admiralität alleingelassen: Banks galt als ein enger Vertrauter des Königs.

Erst als die völlig überfrachtete Resolution auf ihrer Jungfernfahrt vom Dock in Greenwich zur Themsemündung mehrfach zu kentern drohte, ordnete die Admiralität an, das Schiff wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. So trat das kaum Vorstellbare ein: Joseph Banks trat von der Reise zurück – und die Admiralität ließ ihn tatsächlich, offenbar mit dem Segen des Königs – als Teilnehmer der zweiten Cook’schen Weltreise fallen.[59]

Zur Nominierung des naturwissenschaftlichen Ersatzpersonals blieb bis zum geplanten Auslaufen jedoch nur wenig Zeit. In dieser Situation brachte Daines Barrington, der Vizepräsident der britischen Royal Society, kurzerhand die beiden Deutschen ins Spiel. Forster & Sohn würden sich – im Gegensatz zu Banks – an Bord der Resolution auch mit kleinstem Raum zufriedengeben, argumentierte er.

Trotz letzter Störmanöver von Seiten Banks’ wurde die Eignung der Forsters für die Reise nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. In den fünf Jahren seit seiner Ankunft in England hatte Johann Reinhold Forster als Fellow der Royal Society Einlass in den exklusivsten Club britischer Gelehrsamkeit erhalten. Kritiker seines gelegentlich unbeholfenen englischen Sprachgebrauchs verstummten allmählich und zollten ihm schließlich Respekt für diverse Publikationen zur Mineralogie und Botanik.

Selbst der große Carl von Linné, für dessen geniale Systematik zur Ordnung der Pflanzenwelt Johann Reinhold Forster unablässig warb und dessen Methodik er auf früheren Expeditionen erfolgreich erprobt hatte, bescheinigte seinem deutschen Kollegen, die Wahl eines naturwissenschaftlichen Begleiters auf Cooks zweiter Reise hätte auf keinen außerordentlicheren Mann fallen können. Vor allem aber legte sich Barrington mit der ganzen Autorität der Royal Society für die beiden Forsters ins Zeug. Nicht zuletzt – eine Hand wäscht die andere –, weil Johann Reinhold Forster dem wissenschaftlich nur bedingt talentierten, doch hoch ambitionierten Barrington gelegentlich als Ghostwriter bei dessen Publikationen ausgeholfen hatte.

Aber auch der 17-jährige Georg Forster hatte sich bereits seine ersten wissenschaftlichen Meriten erworben. In London galt er als gelehrtes Wunderkind, das schon in jungen Jahren auf große Entdeckungstour gegangen war. 1765 musste der zehnjährige Georg seinen Geburtsort Nassenhuben bei Danzig, das vertraute väterliche Pfarrhaus, die Mutter und seine vier jüngeren Geschwister hinter sich lassen, um mit dem ehrgeizigen Vater zu einer Expedition im Auftrag der russischen Zarin aufzubrechen. Dieses so abenteuerliche wie riskante Unternehmen führte Vater und Sohn ein halbes Jahr lang über Tausende Kilometer die Wolga entlang bis in die russische Kalmückensteppe, wo Katharina die Große Hunderte deutscher Kolonisten ansiedeln wollte. Bei den naturwissenschaftlichen Erkundungen assistierte Georg Forster seinem Vater »als scharfsichtiger Gehülfe« insbesondere auf dem Gebiet der Botanik.[60] Bei ihrer Rückkehr in die russische Hauptstadt hatten Vater und Sohn die über 200Pflanzen nach dem Linné’schen System registriert.[61] Zugleich erlernte er die russische Sprache. Während Johann Reinhold Forster seinen skeptischen Abschlussbericht über Lebensverhältnisse und Siedlungsaussichten in der südrussischen Wolgaregion verfasste und monatelang mit einem – ob der Kritik verärgerten – Grafen Orlow um das ursprünglich vereinbarte Salär ringen musste, besuchte Georg Forster acht Monate lang die Petrischule von Sankt Petersburg – die erste und einzige Schule in seinem Leben.[62] Alles andere hatte ihm der Vater, der nach eigenen Angaben siebzehn Sprachen beherrschte, selbst beigebracht und schon den Achtjährigen zu den Sitzungen der Danziger »Naturforschenden Gesellschaft« mitgenommen.

Nachdem Vater und Sohn im August 1766 Russland verlassen und sich nach England eingeschifft hatten – Johann Reinhold Forster hatte durch die monatelangen Verhandlungen am Zarenhof seine Stelle als evangelischer Gemeindepfarrer im heimatlichen Nassenhuben verloren und wollte sein Glück nun in der Gelehrtenhochburg London versuchen – sorgte Georg Forster mit zahlreichen Übersetzungen als begnadetes Sprachtalent für Furore. So übertrug er 1768 erstmals Lomonossows Abriss der russischen Geschichte aus der russischen Sprache in makelloses Englisch. A Chronological Abridgement of The Russian History machte den jungen Forster mit einem Schlag berühmt.[63]

Die polyglotten Fähigkeiten des jungen Forster könnten am Ende wohl auch das Zünglein an der Waage zugunsten der beiden Deutschen bei der Nominierung für die Weltreise mit Captain Cook gewesen sein. Denn Sprachbegabung war für den Kontakt mit den Menschen der Südsee ein wichtiges Kapital. Georg Forster war es aber auch, der den letzten, viel Aufsehen erregenden Bericht über die Südseereise des französischen Kapitäns Louis Antoine de Bougainville aus dem Französischen ins Englische übersetzt hatte.[64] In Voyage autour du monde schilderte der französische Seefahrer zum ersten Mal seine Eindrücke von Tahiti, an dessen Ostküste er 1768, ein Jahr vor Captain Cooks erstem Tahiti-Aufenthalt, an Land gegangen war.[65] Was Georg Forster den Briten da in seiner Übersetzung zu bieten hatte, wirkt bis heute als Tahiti-Mythos nach und sorgte damals dafür, dass auch der Name Forster in aller Munde war.

»Ich glaube mich in den Garten Eden versetzt«, resümierte Bougainville die neun Tage seines Aufenthaltes und sprach von Tahiti als dem »Neuen Kythera«, dem Geburtsort der Venus, der schaumgeborenen Venus Aphrodite, der Göttin der Liebe.[66] Unermüdlich pries er die »angenehmen Züge« und die »Schönheit der Körper«, die denen europäischer Damen keineswegs unterlegen wären.[67] Als kurz nach der Landung die erste junge Frau Bougainvilles Schiff erklomm und auf dem Achterdeck die letzten Hüllen fallen ließ, breitete sich schweigendes Staunen an Bord der La Boudeuse aus: Dass sich ein nacktes Mädchen ohne jedes Zögern »den Augen aller Betrachter darbot wie Venus sich dem phrygischen Schäfer zeigte, denn sie hatte in der Tat die himmlische Gestalt der Göttin«, hielt nicht nur Bougainville für außerordentlich.[68] Doch ging er noch einen Schritt weiter, indem er die Erotik der Südsee mit Rousseaus philosophischer Idee vom »edlen Wilden« und der »Unschuld vor dem Sündenfall« verschmolz und Tahiti so zu einem jener Orte verklärte, »in denen das Goldene Zeitalter noch herrscht«.[69]

Man kann sich ausmalen, mit wie viel Neugier man dem nächsten Reisebericht aus dieser verheißungsvollen Weltgegend entgegenfieberte. Tatsächlich hatten Johann Reinhold Forster und Captain Cook sich schon vor Beginn der Reise auf einen gemeinsamen Reisebericht verständigt. Doch schon bald nach dem Wiedereinlaufen der Resolution im heimatlichen Spithead im Juli 1775 wurde spürbar, wie sehr sich in den drei Jahren die Verhältnisse in London verändert hatten. Jetzt verlangte derselbe Lord Sandwich, der die Forsters erst so vehement an Bord befördert hatte, in schulmeisterlichem Ton nicht nur Stichproben von Johann Reinholds Reisebeschreibung; er wies die Arbeit auch umgehend zurück – aufgrund sprachlicher Mängel.

Auch James Cook ging mehr und mehr auf Distanz zu Johann Reinhold Forster und wollte von einer gemeinsamen Darstellung der Reise nichts mehr wissen. Zeitungsnotizen über erhebliche Differenzen zwischen dem Kapitän und seinem Naturwissenschaftler machten die Runde. Ob Maat oder Astronom – offenbar war fast jeder in drei Jahren auf engstem Raum mit dem als schwierig und leicht aufbrausend geltenden Deutschen aneinandergeraten.

Die Frage der Urheberschaft der Reisebeschreibung endete schließlich nach monatelangem Hin und Her mit einem Vergleich vor Gericht: Dort wurde entschieden, dass James Cook das seemännische Fazit, Johann Reinhold Forster aber die naturkundliche Bilanz der Reise ziehen sollte. Ein nun folgender neuer Entwurf fand vor der Admiralität wiederum keine Gnade, weil der Deutsche seinen philosophischen Kopf durchsetzen und sich nicht mit einer systematischen Aufzählung der Reiseresultate begnügen wollte. Johann Reinhold Forster saß in der Klemme: Die Freiheit einer inhaltlich unbeschränkten, über bloße Tatsachen hinausgehenden Darstellung wurde ihm verwehrt; doch zum Buchhalter der Reise wollte er sich nicht degradieren lassen. Ebenso wenig wollte er den Rechtsanspruch auf eine – auch finanzielle – Beteiligung an der offiziellen Reiseauswertung aufgeben. Ihm blieb nur ein Ausweg: sein Sohn und Reisegefährte.

Johann Reinhold Forster’s Reise um die Welt – Beschrieben und herausgegeben von dessen Sohn und Reisegefährten George Forster – so lautet der ursprüngliche Titel der berühmten Reisebeschreibung. Als sie im März 1777 – vor ihrer Übersetzung ins Deutsche – in England erschien, konnte das als cleverer Handstreich von Johann Reinhold Forster gelten. Sein Sohn war an keinerlei Abmachungen mit den Briten gebunden. Und das Buch löste die weitgesteckten Ambitionen ein, um die Johann Reinhold zuvor vergeblich mit der Admiralität gerungen hatte.

Allerdings zu einem hohen Preis: Als Autor konnte Johann Reinhold Forster nun selbst nicht in Erscheinung treten – der Ruhm für die Gesamtdarstellung der Reise kam Georg zu. Der konnte schließlich – gestützt auf das Bordjournal seines Vaters – Gedanken zu Papier bringen, die er mit diesem wieder und wieder ausgetauscht hatte: bei der Lektüre der letzten botanischen, zoologischen und völkerkundlichen Publikationen in der umfangreichen Forster’schen Bordbibliothek, in Gesprächen in der engen Schiffskabine während monotoner Antarktisfahrten, auf Landgängen an neu entdeckten Küsten, bei ersten Begegnungen mit den Menschen der Südsee und auf der gemeinsamen Jagd nach neuen Spezies der Tier- und Pflanzenwelt. Dabei war aus dem 17-Jährigen, noch kindlich wirkenden Georg im Laufe der dreijährigen Weltumseglung ein eigenständiger scharfer Beobachter geworden, der alles Gesehene und Gehörte nicht nur mühelos reproduzieren, sondern mit wacher Intelligenz kombinieren konnte – ein Mann, der einer gültigen Schilderung der Reise um die Welt gewachsen war.

Der Entschluss Johann Reinhold Forsters, die Schilderung der Reise um die Welt in die Hände seines Sohnes zu legen, war in der Kontroverse mit der englischen Admiralität eine überraschende Offensive, aber auch ein risikoreicher Coup. Mit Wohlwollen war in London nun nicht mehr zu rechnen, die finanzielle Lage der Forsters aber prekär. Georgs Buch sollte den erlösenden Befreiungsschlag bringen. Es musste nur zuerst – vor dem Reisebericht des Kapitäns – auf den englischen Buchmarkt gelangen. »Jetzt kommen alle andern damit zu spät«, jubilierte schon der Schwede Anders Sparrman, den Johann Reinhold Forster 1772 in Kapstadt als zweiten Assistenten für die Südseereise eingestellt hatte. »Selbst Captain Cook mit seinem Segel- und Schiffskram«, wie der schwedische Botaniker etwas abfällig bemerkte.[70]

Tatsächlich gelang es Georg Forster in wenigen Monaten, in einer körperlich auszehrenden Tour de Force – und während er gleichzeitig an der Übersetzung für die deutsche Ausgabe arbeitete –, die Reise um die Welt niederzuschreiben.

Doch als das Buch im März 1777 in London unter dem Titel A voyage round the world herauskam, war Cooks offizieller Reisebericht schon avisiert. Die Darstellung des berühmten britischen Navigators erschien schließlich nur einen Monat nach Georg Forsters Buch und verfügte bei einem ähnlichen Verkaufspreis über einen marktentscheidenden Vorteil: 63Kupferplatten, die die von Cook entdeckten Landschaften und ihre Bewohner in Szene setzten – mit größter Sorgfalt gestochen nach den Skizzen des Landschaftsmalers William Hodges; kostspielige Illustrationen, die die Admiralität finanziert und zur Hälfte Johann Reinhold Forster für seine Reisechronik zugesagt hatte; auf die ein dritter, konkurrierender Autor – Georg Forster – jedoch keinerlei Anrecht hatte.

Der bunt kolorierten Südsee-Exotik der Cook’schen Ausgabe zeigte sich Georg Forsters anspruchsvolle Schilderung im Verkauf nicht gewachsen. Ein Jahr nach der Veröffentlichung der englischen Ausgabe lagen die meisten Exemplare von Georg Forsters Voyage noch immer bleischwer im Regal. Das finanzielle Desaster hatte zudem eine andere, schwerwiegendere Folge: Um den Druck der ersten tausend englischen Exemplare finanzieren zu können, hatte Johann Reinhold Forster alle Reserven mobilisieren müssen: Sofort greifbar aber waren nur die Zeichnungen und Skizzen, die Georg Forster als Naturzeichner an Bord der Resolution angefertigt hatte.[71] 400Pfund zahlte Sir Joseph Banks schließlich – ebenjener Mann, für den die beiden Deutschen als Ersatzmänner bei der zweiten Cook’schen Weltumseglung eingesprungen waren.

»Er kaufte meinem Vater alle Zeichnungen von Thieren und Pflanzen die ich gemacht hatte, ab, um sicherer zu seyn, dass sie nie in das publicum kämen, weil er monopolium mit Südseekenntniß treiben wollte. Er schoß ihm Geld vor, um ihn ganz in seine Gewalt zu bekommen«, klagte Georg Forster noch ein Jahrzehnt später in einem Brief an seinen Verlegerfreund Spener.[72] Tatsächlich hatte Joseph Banks Zeit seines Lebens eine Abneigung gegen jede Form der Veröffentlichung und behandelte nicht nur seine Südsee-Blätter von Cooks erster Reise, sondern auch die Forster’schen Arbeiten als Objekte seiner exklusiven Sammelleidenschaft. Alexander von Humboldt meinte sogar, Banks sei aus »verfolgendem Neide« seit jeher »ein Feind der Forster’schen Familie« gewesen und habe sich entsprechend verhalten.[73]

Humboldt berichtet auch, dass Georg Forster 1790 – bei der gemeinsamen Reise nach England – die Idee einer Veröffentlichung seiner Zeichnungen nicht losließ, die in Banks’ berühmter Collection, nur ein paar Schritte von seiner Londoner Pension entfernt, aufbewahrt wurden.[74] Der Reisegefährte Anders Sparrman überliefert in seiner Chronik der Cook’schen Weltumseglung, dass der junge Forster auch in Deutschland nach einem Verleger für seine Zeichnungen suchte.[75] Gleichgültig war ihm das Schicksal seiner Abbildungen jedenfalls nicht.

 

In Deutschland wurde Georg Forsters Reise um die Welt, als sie 1778 im Verlag Haude & Spener in Berlin erschien, als ein literarisches Ereignis ersten Ranges aufgenommen.[76] Georg Forster, ein 22-jähriger Debütant, verstand es nicht nur, von seinem Südsee-Abenteuer, von fremden Wesen und unbekannten Welten zu erzählen, sondern auch, dabei das Arsenal aufklärerischer Ideen seiner Zeit auszuloten. Dieses Genie wollte man dringend kennenlernen.

Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) – wahrlich kein schwärmerischer oder unkritischer Bewunderer anderer Köpfe – reiste nach London. Benjamin Franklin (1706–1790), als Anwalt der amerikanischen Sache in Paris, und der Comte de Buffon (1707–1788), Frankreichs einflussreichster Naturforscher und Verfasser der berühmten Naturgeschichte: Jeder wollte den jungen Forster empfangen, als er nach Fertigstellung seines Buches erstmals wieder den Kontinent betrat. Selbst Johann Wolfgang von Goethe machte sich wiederholt zu Forster nach Kassel und nach Mainz auf.

Georg Forsters Darstellung eines Weißkopfliests (Alcedo cancrophaga) – ein Musterbeispiel der von ihm angestrebten zeichnerischen Einbettung einer Spezies in ihre natürliche Umgebung. © The Trustees of the Natural History Museum, London

Die Purgiernuss (Jatropha curcas) – eine der ersten quasi-fotografischen Pflanzenabbildungen Georg Forsters auf der zweiten Cook’schen Weltumseglung. © The Trustees of the Natural History Museum, London

Im Berliner Schloss Tegel verschlang der junge Alexander von Humboldt Forsters frisch gedruckte Reiseschilderung wieder und wieder. Forster sei der »hellste Stern seiner Jugend« gewesen, notierte Humboldt im Kosmos, seinem Hauptwerk.[77]

1790 durfte der 21-jährige Humboldt – »ein sehr liebenswürdiger, braver, geistreicher und kenntnisreicher Jüngling«, wie Forster meinte, den mittlerweile 35-jährigen, in ganz Europa bekannten Georg Forster für fast vier Monate auf einer Rundreise begleiten.[78] Von Mainz den Niederrhein entlang nach Flandern, Brabant und Holland, dann weiter nach England und ins revolutionäre Paris. Zwischenmenschlich gesehen keine ganz einfache Reise. Während der ausgedehnten Schiffs- und Kutschfahrten kam Georg Forster nicht umhin zu bemerken, dass der Geist des 14 Jahre Jüngeren »zu tätig« war, wie er meinte. Alexander von Humboldt schlief nur wenige Stunden am Tag, brach häufiger in Tränen aus, wechselte rasant die Themen und sprach »mit der Geschwindigkeit eines Rennpferdes«.[79]

Für den jungen Humboldt aber wird diese »kurze Epoche meines Lebens immer die lehrreichste und unvergeßlichste sein«, wie er 1791 in einem Brief an Jacobi schrieb.[80] Was Forster auf dieser Reise gesehen und notiert hat, überlieferte er in seinen berühmten Ansichten vom Niederrhein, den von Goethe so hochgelobten literarischen Reisereportagen, die die Landschaft und ihre Menschen, politische und wirtschaftliche Verhältnisse, Architektur, Kunst und Religion schilderten.

Alexander von Humboldt notierte noch am Ende seines Lebens über Georg Forster, von ihm habe er jenen ersten starken Impuls empfangen, der aus ihm schließlich selbst einen Forschungsreisenden werden ließ.

In seinen frühen autobiografischen Notizen Ich über mich selbst warf Humboldt, der in manischen Perioden recht drastisch werden konnte, seinem Lehrer Forster in den vier Monaten ihres Zusammenlebens schon mal dessen »kleinlich-eitlen Charakter« vor.[81] Trübte das am Ende das Verhältnis?

Eine Frage, die ich einmal im Gespräch mit Hans-Magnus Enzensberger anschnitt, der gerade mit der neuen Edition von Humboldts Kosmos beschäftigt und insofern besonders beschlagen war. Aus seiner Sicht war Alexander von Humboldt vor allem fasziniert von Forster. Von dessen Temperament, von »Forsters Feuergeist« – wie Enzensberger es nannte. Auch von Seiten, die Humboldt selbst fehlten: Forsters Radikalität, sein klares politisches Projekt. All das hätte Humboldt sehr gefallen.

Humboldts Credo, man müsse die Welt erst angeschaut haben, bevor man sie beschreibe, klingt wie ein Echo auf die folgenreiche Begegnung mit Forster. »Mehr hat man doch nicht, als was einem durch diese zwei Oeffnungen der Pupille fällt und die Schwingungen des Gehirns erregt«, notierte Georg Forster kurz vor seiner Reise mit Humboldt. »Anders als so nehmen wir die Welt und ihr Wesen nicht auf. Die armseligen vier und zwanzig Zeichen reichen nicht aus«.[82]

Mittels dieser »armseligen Zeichen« allerdings sorgte Georg Forster als Publizist und Schriftsteller immer wieder für Furore. Was seinen Zeitgenossen imponierte, war beides: Forsters elegante Sprache – und seine Haltung: ein an humanistischen Idealen ausgerichteter Horizont gepaart mit aufklärerischer Wissbegier. Diese Ideale führten ihn schließlich – zum Erschrecken mancher seiner Zeitgenossen – von der Resolution zur Revolution.

»Freiheit und Gleichheit? … das Bewußtsein meines ganzen Lebens sagt mir, dass diese Grundsätze mit mir, mit meiner Empfindungsart auf innigste verwebt sind, und es von jeher waren«, wird er am Ende seines Lebens feststellen.[83]

Begeistert vom großen historischen Umbruch, der sich 1789 in Frankreich Bahn brach, schloss sich Georg Forster dem Mainzer Jakobinerklub an, nachdem französische Truppen in ihrem Abwehrkrieg gegen die Deutschen das Rheinufer überschritten und im Oktober 1792 das fürstbischöfliche Kurmainz besetzt hatten.[84] Ein Großteil des Adels und der Geistlichkeit, auch Kurfürst Joseph von Erthal (1719–1802), der Forster 1788 als Universitäts-Bibliothekar nach Mainz geholt hatte, waren aus der Stadt geflohen.

Forster aber blieb – voller Elan für einen Neuanfang. Schon bald stieg er zum führenden Kopf der im März 1793 gegründeten Mainzer Republik auf. Zum ersten Mal in deutschen Landen wurden die Feudallasten abgeschafft, gab es demokratische Wahlen, konstituierte sich mit dem Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent ein Parlament. Stolz verkündete Georg Forster in der Stadt Gutenbergs die Pressefreiheit. Doch die Tage unter dem Freiheitsbaum der Republik waren gezählt, immer stärker wurde der militärische Druck durch preußisch-österreichische Truppen. Schließlich wurde Forster nach Paris entsandt, mit dem Mandat, zum Schutz der Mainzer Republik die Vereinigung mit dem revolutionären Frankreich zu beantragen. Doch während Forsters Verhandlungen in Paris wurde Mainz schließlich von Österreichern und Preußen militärisch bezwungen. Mit dem Einzug der deutschen Truppen setzte eine wilde Jagd auf die »Klubbisten«, die Mitglieder des Jakobinerklubs, ein.

Die Mainzer, so sagte es Georg Forster im April 1793 in Paris voraus, kehren »so leicht und so gern in ihr altes Joch zurück, als hätte es nie etwas anderes gekannt und geahndet«.

Nach der Niederlage der Mainzer Republik wurde Haftbefehl gegen Georg Forster erlassen und ein Kopfgeld ausgesetzt. Selbst das Mittel der »Reichsacht«, die generelle Aberkennung aller Rechte und praktische Ausbürgerung aus deutschen Landen, wurde gegen den berühmten Weltreisenden erwogen.

Tatsächlich kehrte Forster nie mehr nach Deutschland zurück. Nur ein halbes Jahr nach dem Ende der Mainzer Republik starb er im Januar 1794 in Paris – nicht einmal 40-jährig. Die ältere seiner beiden Töchter war gerade einmal sieben Jahre alt.

 

Erstaunlicher, dichter, dramatischer kann das Leben eines einzelnen Menschen kaum sein.

Es ist diese enorme Intensität, die mich an Georg Forster am stärksten beeindruckt hat: Mit zehn an die Wolga und ins russische St. Petersburg, mit 17 die große Reise in die Südsee und rund um die Welt, mit 23Mitglied der Londoner Royal Society. Mit 24Professor in Kassel, Freimaurer, Gold- und Rosenkreuzer auf der Suche nach der »Ursubstanz«. Mit 31 frisch verheiratet als Professor im litauischen Wilna, mit 34 im Dienst der Zarin, um für Russland eine große Pazifikreise zu unternehmen, was sich durch den Ausbruch des Krimkriegs in letzter Minute zerschlägt, dann Bibliothekar in Mainz.

Mit 35 die Reise mit Humboldt, Höhepunkt im Juli 1790: eine Visite im revolutionären Paris. Georg Forster ist 38, als die Revolution Mainz erreicht und er sich an die Spitze der Mainzer Republik stellt. Kurz darauf versucht er – er fuhr schließlich auf einem britischen Schiff um die Welt – im Auftrag der Französischen Republik einen Waffenstillstand mit den englischen Truppen auszuhandeln, die die junge Republik in der Normandie bedrohen. In der französischen Metropole tobt währenddessen die »terreur«.

Als ihn kurz nach seinem 39. Geburtstag die Lungenentzündung niederwirft, kommt er gerade zurück aus dem winterlich-verschneiten Schweizer Travers, wo er versucht hat, Therese, ihren Liebhaber und ihre beiden Töchter zu überreden, zu ihm nach Paris zu ziehen. Vergeblich. Er ist gerade dabei, eine erneute Weltreise zu planen, diesmal unter französischer Flagge, als der Tod ihn in der Pariser Rue des Moulins überrascht.

 

Der Eindruck eines besonders intensiven Lebens ergibt sich aber auch aus dem, was Georg Forster in Briefen und Schriften an Gedanken und Ideen hinterlassen hat. Die in der DDR 1953 begonnene und von der Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg bis heute fortgeführte Gesamtausgabe seiner Werke ist so umfangreich, dass man hinter den 20 dicken Bänden ein langes Leben ihres Urhebers vermuten würde. Und dabei brachte Forster all das in nicht einmal zwanzig Jahren zwischen 1776 und 1794 zu Papier, zwischen der Rückkehr von seiner Weltreise mit Cook und seinem Tod in Paris. Was für eine beispiellose Produktivität! Ebenso erstaunlich sein Schreibstil. Die angelsächsische Umgebung, die prägenden Jugendjahre in London und an Bord der Resolution trugen gewiss dazu bei, dass Forsters Sprache frei blieb vom bräsigen deutschen Gelehrtenstil. Die Genauigkeit seiner Darstellung offenbart den Zeichner, dessen Auge sich an Bord von Cooks Schiff drei Jahre lang darin geübt hatte, die Umgebung in all ihren Nuancen zu erfassen. Oder in den Worten Friedrich Schlegels: »In andern, auch den besten deutschen Schriften, fühlt man Stubenluft. Hier scheint man in frischer Luft, unter heiterm Himmel, mit einem gesunden Mann, bald in einem reizenden Tal zu lustwandeln, bald von einer freien Anhöhe weit umher zu schauen. Jeder Pulsschlag seines immer tätigen Wesens strebt vorwärts«.[85]

Naturgemäß sind in Georg Forsters 20-bändiger Gesamtausgabe die vielen Übersetzungen anderer Autoren nicht enthalten, die die »Übersetzer-Maschine« Forster seit seiner frühen Jugend anfertigte – unter der »Knute« seines Vaters, wie Georg Christoph Lichtenberg es bei seiner ersten Begegnung mit Vater und Sohn Forster 1775 in London in einer Karikatur festhielt. Nicht selten stand Georg Forster auch persönlich mit den Verfassern der von ihm übersetzten Werke in Kontakt.

Sein Austausch mit den großen Köpfen seiner Zeit war enorm: ob mit James Cook oder Joseph Banks, den Malern der Cook’schen Weltreisen Hodges und Webber, mit Naturgelehrten wie dem Franzosen Buffon, dem Amerikaner Benjamin Franklin oder dem Schweden Carl von Linné, mit Verlegern wie Christian Friedrich Voss und Karl Spener, vor allem aber mit den großen Geistern der deutschen Aufklärung: mit Goethe und Herder, Wieland und Lichtenberg, mit den Brüdern Humboldt, Schlegel und Jacobi. Eine Korrespondenz, die »in der deutschen Briefliteratur kaum ihresgleichen hat«, wie Walter Benjamin bemerkte.[86]

 

Für Intensität sorgten nicht zuletzt bemerkenswerte Frauen in Forsters Leben: starke, selbstbewusste, kluge Damen, die nicht selten in mehrfacher Hinsicht mit den Konventionen ihrer Zeit brachen – vor allem die »Universitätsmamsellen« aus Göttingen, die dem jungen Forster als Professorentöchter vorgestellt wurden und später erneut seinen Lebensweg kreuzten. Die erste: Therese Heyne, um deren Hand Georg Forster schließlich 1785 anhielt. Die turbulenten acht Jahre ihrer Ehe, die in Mainz in eine Dreiecksbeziehung mit dem Schriftsteller Ludwig Ferdinand Huber mündeten, waren zugleich eine Zeit regen intellektuellen Austauschs. In dem gastfreundlichen, weltoffenen Haus, das die Forsters in Mainz führten, beeindruckte die äußerst wache und rhetorisch geschulte Tochter des Göttinger Philologieprofessors Heyne auch andere kluge Köpfe – wie Wilhelm von Humboldt, der in seinen Briefen Thereses lebhaften Geist, ihr gefühlvolles Wesen und ihre innere Unabhängigkeit pries und sie für eine der klügsten Frauen ihrer Epoche hielt. Auch erotisch war der ältere der beiden Humboldt-Brüder von ihr fasziniert, was einige Eifersüchteleien seiner Verlobten und späteren Ehefrau Caroline von Dacheröden zur Folge hatte.[87] In der späteren Ehe mit dem Publizisten und Schiller-Vertrauten Huber avancierte Therese, die zehnfache Mutter, von deren Kindern allerdings nur vier das Erwachsenenalter erreichten, zur Berufsschriftstellerin. Nach dem Tod Hubers wurde Therese als eine der ersten Frauen in Deutschland Chefredakteurin. Sie leitete das Stuttgarter Morgenblatt für gebildete Stände.

Zum engsten Forster-Kreis zählte ebenso Caroline, die Tochter des Göttinger Orientalistikprofessors Michaelis. Allein die Namen ihrer späteren Ehemänner Böhmer, Schelling und Schlegel stehen dafür, dass sie nicht nur als hübscher, sondern ebenso kluger Kopf begehrt war. Als »kokette junge Witwe« – wie sie sich selbst in einem Brief nannte – zog sie 29-jährig nach dem frühen Tod ihres ersten Mannes im Sommer 1792 nach Mainz.

Dort fand sich im selben Jahr mit der 27-jährigen Meta Forkel eine dritte Göttinger Gelehrtentochter ein. Schillernd und ein wenig verrucht auch die Vita der Tochter des Philosophieprofessors Rudolf Wedekind: Sie verließ ihren Ehemann zugunsten des Balladendichters Gottfried August Bürger, zog nach einem Jahr aber zu einem neuen Geliebten nach Berlin weiter, woraufhin Bürger sie in Gedichten und Briefen als Furciferaria dem öffentlichen Spott preisgab. Im Sommer 1792 machte sich Meta Forkel dann nach Mainz zu ihrem Bruder Georg Wedekind auf, der sich als Mediziner an der Universität einen Namen gemacht hatte und bald auch zu Georg Forsters Jakobinerklub – der »Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit« – zählte.

So kamen die »Universitätsmamsellen« wie schon in Göttingen nunmehr in Mainz im Hause Forster zusammen. Als eine Art Salon, als geistiges Zentrum, fungierte das Haus in der Mainzer Universitätsstraße5 erst recht, nachdem die französischen Revolutionstruppen im Oktober 1792 in die Stadt eingezogen waren. Meta Forkel, schon von Jugend an eine eifrige Übersetzerin und spätere Schriftstellerin, ließ sich von Georg Forster Übersetzungsaufträge übertragen, um selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.[88] Politisch aufschlussreich auch, dass Georg Forster sie wirkungsvoll dabei unterstützte, Thomas Paines’ Streitschrift Die Rechte des Menschen aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen. Georg Forster steuerte schließlich mutig das Vorwort dazu bei.[89] Eine Kampfansage an das ancien régime.

In den Tagen der Mainzer Republik nahm Meta Forkel regen Anteil an den politischen Umwälzungen und assistierte Forster bei seinen enormen Schreibarbeiten in der dreifachen Rolle als Präsident des Jakobinerklubs, Vize-Chef der Mainzer Administration und Chefredakteur der Neuen Mainzer Zeitung oder Der Volksfreund.

Caroline Böhmer wäre sogar gern »Klubbistin« geworden, nur konnte sie es nicht, weil weibliche Mitglieder im Mainzer Jakobinerklub nicht zugelassen waren. Nach dem Einzug des französischen Generals Custines in Mainz verliebte sie sich in einen französischen Offizier und trug bald dessen Kind unter ihrem Herzen. Ein Kind, von dem die Feinde der Mainzer Jakobiner verbreiteten, dass Georg Forster der Vater sei.[90] Dass der berühmte Fahrensmann Captain Cooks, der mit englischen Matrosen die »kytherischen« Verhältnisse auf Tahiti erlebt und diese auch beschrieben hatte, es mit der ehelichen Treue nicht so genau nahm, mochte vielen einleuchten, zumal er schon seit längerem in einer Ménage à trois mit seiner Frau und Huber lebte. Das Gerücht von Forsters »Bastard« musste um so glaubhafter erscheinen, als Forsters Ehefrau Therese immer energischer die Scheidung von Forster verlangte, nachdem die französische Nationalversammlung die Ehescheidung liberalisiert hatte.[91] Im Dezember 1792 verließ Therese, gemeinsam mit ihrem Geliebten Huber und den beiden Forster-Töchtern Therese und Clara, schließlich Forsters Haus und die belagerte revolutionäre Stadt, um die Kinder in der Schweiz in Sicherheit zu bringen.[92] So jedenfalls begründete Therese ihren für Forster verstörenden Schritt, der den führenden Mann der Mainzer Republik desavouieren musste, sah es doch verdächtig nach einer sich abzeichnenden Niederlage aus. In einem zweiten Schritt ermächtigte Therese ihre Freundin Caroline Böhmer, Georg Forster den Haushalt zu führen, und hätte wohl auch gegen eine Rochade im ehelichen Bett keine Einwände gehabt, hätten Forster und Caroline dies gewollt.

Ein halbes Jahr später, nach der Rückeroberung der abtrünnigen Stadt durch die Deutschen – Georg Forster verhandelte zu diesem Zeitpunkt gerade in der Pariser Nationalversammlung –, wurden Caroline Böhmer und Meta Forkel Opfer der Jakobinerjagd und als Personen aus dem engsten Forster-Kreis in der Festung Königstein eingekerkert. Während in Mainz die alten Verhältnisse wiederhergestellt wurden und man sich auf der Bühne über das Stück Die Mainzer Klubbisten zu Königstein: Oder, die Weiber decken einander die Schanden auf amüsierte, das die »Universitätsmamsellen« im Forster’schen Hause als mannstolle Weibsbilder denunzierte.

 

Tatsächlich aber ist sexuelle Libertinage in den Tagen einer Revolution, in der reihenweise Konventionen über den Haufen geworfen werden, nichts Unerhörtes. Bei Forster kommt so zur überdurchschnittlichen Ereignisdichte seiner Biografie eine erotische Facette hinzu. Mit dem Ringen um Therese – die Ehefrau, die ihn nicht will – aber auch eine tragische.

Dennoch sind die knapp vierzig Jahre seines Lebens ungeheuer reich: reich an Schauplätzen in Europa und rund um den Globus, reich an unterschiedlichen Sujets und reich an schillernden Personen und herausragenden Köpfen seiner Zeit, männlichen und weiblichen. In der Summe entsteht der Eindruck, dass Georg Forster ein überaus reiches Leben gelebt hat. Spannend genug, um mich für Jahre in seinen Bann zu ziehen.

 

Ich war zehn Jahre alt, als ich Georg Forster im Atelier meines Großvaters in Zeuthen zum ersten Mal begegnete. Genauer: Ich begegnete einer Zeichnung von seiner Hand, die mir nur deshalb in Erinnerung blieb, weil sie mich aus einer unangenehmen Situation rettete.

Mein Großvater hatte die Angewohnheit, bei jeder Gelegenheit vom Krieg zu erzählen, den er – offenbar zu seinem großen Erstaunen – überlebt hatte. Ganz gleich, wo wir uns aufhielten, ob auf der Hollywoodschaukel im Garten, in seinem Boot auf dem Zeuthener See oder in seiner Malstube: Sobald kein anderer in der Nähe war, fing er an, mir mit leiser Stimme von sibirischer Eiseskälte zu erzählen und von ausgemergelten Gestalten in Asbestminen, von Wanzen und Läusen, die wie Heuschrecken über die Menschen herfielen, und von Lagern, bei denen am Ausgang Tausende Männer erschossen wurden um Platz zu machen für Tausende neu ankommende deutsche Soldaten am Eingang.

Es muss im Juli 1973 gewesen sein: Meine Großmutter hatte an diesem Tag einen Arzttermin und daher musste ich meinem Großvater in seinem Atelier Gesellschaft leisten. Ich ahnte schon, was kommen würde, als ich in den hohen, hellen Raum kam, der durch dichtgedrängte Meeresansichten an den Wänden in eine Art Ozeanarium verwandelt war und einen strengen Geruch nach Ölfarbe und Firnis verströmte.

Während mein Großvater eine neue Leinwand grundierte, kam er schnurstracks auf die Plakatmalerei in der Kriegsgefangenschaft zu sprechen, die ihm zwar das Leben rettete, weil die sowjetischen Offiziere die Schönheit seiner kyrillischen Buchstaben bewunderten, andererseits aber dafür sorgte, dass man die Entlassung des talentierten Malers ständig hinauszögerte. Als er zum Kapitel über die Heimkehr übergehen wollte – ein Kapitel, in dem meine Großmutter stets als herzlose Frau dastand, weil sie ihm nach zehn Jahren Kriegsgefangenschaft nicht jubelnd um den Hals gefallen war –, suchte ich fieberhaft nach irgendetwas, mit dem ich die Kriegserzählung meines Großvaters unterbrechen konnte. Mangels besserer Ideen platzte ich schließlich mit der Frage heraus, was das denn für eine blaue Mappe sei, die da auf seinem Schreibtisch liege.

Erleichtert, vielleicht sogar erlöst von der eigenen traurigen Erzählung, schlug mein Großvater plötzlich einen anderen Ton an: Das sei ja nun etwas ganz Besonderes – Zeichnungen, die er als Nächstes kopieren wolle, die aber schon vor gut 200 Jahren entstanden seien. Und zwar nicht etwa in der guten Stube oder in einem Atelier, sondern auf hoher See, in der Unendlichkeit des Pazifischen Ozeans – ich hätte doch einen Globus und könne mir das vorstellen? –, also fast ganz unten, am Südpol. Bei dem Blatt, das mein Großvater pars pro toto herauszog, handelte es sich um die Abbildung eines Schneesturmvogels, ja um die allererste Zeichnung einer solchen Vogelart überhaupt – gemalt von einem 17-Jährigen, Georg Forster, der das große Privileg gehabt habe, als Naturzeichner einen der berühmtesten Seefahrer aller Zeiten, den britischen Captain James Cook, auf seiner dreijährigen Reise um die Welt zu begleiten. Und wenn man sich Georg Forsters Gouache genau anschaue, könne man im Grau der Wellen, vor dem Horizont zwischen den Eisbergen, auch das Schiff erkennen, auf dem er als Zeichner gestanden haben muss, als er seinen Sturmvogel zu Papier brachte.

Georg Forsters Darstellung des Antarktischen Sturmvogels (Procellaria antarctica): ursprünglich in London für den englischen König Georg III. angefertigt, von Goethe nach Gotha vermittelt, nach dem zweiten Weltkrieg ins sowjetische Leningrad verlagert, 1954 nach Gotha zurückgekehrt, 1971 zum ersten Mal in Leipzig veröffentlicht. © Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt

Ich entsinne mich, dass mich mehr noch als der hoch über dem Meer dahingleitende Schneesturmvogel, dessen weiße Schwingen das obere Drittel des Bildes einnahmen, das winzig kleine Schiff faszinierte, das auf Forsters Zeichnung mit mächtig aufgeblähten Segeln zwischen den Eisbergen kreuzte. Ein Bild, das sich in meinem Hinterkopf festsetzte, während mein Großvater fortfuhr, das blaue Konvolut zu durchblättern, um mir ein Dutzend weiterer Forster-Drucke zu zeigen. Erst Jahre später wurde mir klar, dass es sich bei diesem von Gerhard Steiner 1971 in Leipzig herausgegebenen Band Vögel der Südsee um die erste Veröffentlichung von Forster-Zeichnungen überhaupt gehandelt hatte. Während mein Großvater mir erklärte, dass der Name von Captain Cooks Schiff Resolution gewesen sei, was soviel wie Beharrlichkeit bedeute, und dass die Briten damals nach einem großen fruchtbaren Südland gesucht hätten, das sie nicht finden konnten, weil es am Südpol eben nichts Fruchtbares gäbe, wunderte ich mich über diesen Mann, der im Radio immer nur Stimme der DDR hören wollte und in diesem Augenblick mit mir und Georg Forster in die Weiten des Pazifik entschwand.

 

Das zweite Mal hörte ich den Namen Georg Forster Mitte der 80er Jahre an der Leipziger Uni, als Student im Fach Pressegeschichte. In den Hörsälen am Karl-Marx-Platz wurde Georg Forster als deutscher Revolutionär gefeiert, als Aufklärer, der die erste deutsche Republik begründet hatte, und als Mann von Weltrang im revolutionären Paris, der auf dem Höhepunkt des Terrors die Guillotine – zähneknirschend – verteidigt hatte. Kein Geringerer als Friedrich Engels, in der DDR nach Marx (und vor Lenin) der zweite »Klassiker« des wissenschaftlichen Kommunismus, hatte Forster im Oktober 1845 den Ritterschlag des revolutionären Proletariats erteilt. »Warum nicht Georg Forster feiern«, fragte Engels fünfzig Jahre nach dessen Tod in der radikalen britischen Wochenschrift The Northern Star: