Das Duell - John Gray - E-Book

Das Duell E-Book

John Gray

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Beschreibung

Der Autor steht für einen unverwechselbaren Schreibstil. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. Er scheut sich nicht detailliert zu berichten, wenn das Blut fließt und die Fehde um Recht und Gesetz eskaliert. Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Die Schatten waren lang, als die beiden Männer die Straße hinunterschritten. Im Westen färbte sich der Himmel rot. Sattes Karmesin ergriff Besitz von der Wölbung des Himmels. Die Stahladern des Schienenstrangs, die schnurgerade in das bewaldete Hügelland hinausführten, schimmerten wie schieres Kupfer. Clinton, Missouri: Die Stadt war von einem feinen, stinkenden Schmierfilm von Ruß und öl überzogen und hatte einen charakteristischen Geruch angenommen, den sie nie wieder loswerden würde – die Eisenbahn bestimmte hier alles, sogar die Reinheit der Luft und die Sauberkeit der Häuser. Das Schrillen der Dampfpfeife hatte das Morgen- und Abendläuten der Kirchenglocken ersetzt. Der Fahrplan der Züge bestimmte die Zeit in Clinton, Beginn und Ende der Arbeit und die Ruhepausen. Ein schmutziger, in Lumpen gekleideter Junge sprang wie ein Kastenteufel aus einem Hofeingang heraus. Die beiden Männer hielten an. Er blickte lauernd zu ihnen hoch. Er mochte sechzehn Jahre alt sein. Sein Gesicht aber war das eines alten Mannes: faltig, verschlagen, grau, mit kalten Raubvogelaugen. Ein Tramp, der gelernt hatte, sich durchzuschlagen, bevor er richtig hatte sprechen können. Es gab viele solche Jungen am Rande der Bahnstrecke. »Sie sind in Severre's Boarding­house, Sir«, sagte er. Seine Stimme klang wispernd und rauh. Er trank – keine Frage. Vermutlich billigen Fusel. Vermutlich sammelte er die Reste in den Flaschen, die jeden Morgen hinter den Saloons lagen. Und er rauchte. »Ihr Zimmer ist zum Hof raus«, sagte er. »Gute Arbeit, Humpy.« Earl Jordan langte in seine rechte Westentasche und zog einen Half Eagle heraus. Der Junge schnappte ihn mit der Behendigkeit eines Geiers, ließ ihn

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Die großen Western – 231 –

Das Duell

John Gray

Die Schatten waren lang, als die beiden Männer die Straße hinunterschritten. Im Westen färbte sich der Himmel rot. Sattes Karmesin ergriff Besitz von der Wölbung des Himmels.

Die Stahladern des Schienenstrangs, die schnurgerade in das bewaldete Hügelland hinausführten, schimmerten wie schieres Kupfer.

Clinton, Missouri: Die Stadt war von einem feinen, stinkenden Schmierfilm von Ruß und öl überzogen und hatte einen charakteristischen Geruch angenommen, den sie nie wieder loswerden würde – die Eisenbahn bestimmte hier alles, sogar die Reinheit der Luft und die Sauberkeit der Häuser. Das Schrillen der Dampfpfeife hatte das Morgen- und Abendläuten der Kirchenglocken ersetzt. Der Fahrplan der Züge bestimmte die Zeit in Clinton, Beginn und Ende der Arbeit und die Ruhepausen.

Ein schmutziger, in Lumpen gekleideter Junge sprang wie ein Kastenteufel aus einem Hofeingang heraus. Die beiden Männer hielten an. Er blickte lauernd zu ihnen hoch. Er mochte sechzehn Jahre alt sein. Sein Gesicht aber war das eines alten Mannes: faltig, verschlagen, grau, mit kalten Raubvogelaugen. Ein Tramp, der gelernt hatte, sich durchzuschlagen, bevor er richtig hatte sprechen können. Es gab viele solche Jungen am Rande der Bahnstrecke.

»Sie sind in Severre’s Boarding­house, Sir«, sagte er. Seine Stimme klang wispernd und rauh. Er trank – keine Frage. Vermutlich billigen Fusel. Vermutlich sammelte er die Reste in den Flaschen, die jeden Morgen hinter den Saloons lagen. Und er rauchte.

»Ihr Zimmer ist zum Hof raus«, sagte er.

»Gute Arbeit, Humpy.« Earl Jordan langte in seine rechte Westentasche und zog einen Half Eagle heraus. Der Junge schnappte ihn mit der Behendigkeit eines Geiers, ließ ihn in der roten Abendsonne blinken und biß darauf, bevor er die Münze irgendwo in seinen Lumpen verschwinden ließ.

»Stets zu Diensten, Sir.« Er verbeugte sich. Im nächsten Moment war er verschwunden.

»Eine kleine Ratte«, sagte Jim Murphy.

»Er hat sich sein Leben nicht aussuchen können.«

»Ich traue ihm zu, daß er sich an jeden verkauft.«

»Wer zu oft Hunger hat, kann sich keinen Charakter leisten.«

Sie gingen weiter. An der Einmündung der Benson Street in die Main Street stand Severre’s Boardinghouse: Zwei Stockwerke, ein imposanter Vorbau mit gedrechselten Holzsäulen, eine sauber gestrichene Fassade. Die Fensterscheiben blinkten im Abendschein.

»Sie schießen sofort«, sagte Jordan. Murphy antwortete nicht.

Über dem Eingang des Boardinghouses befand sich ein Erker mit einem Fenster. Das Fenster öffnete sich plötzlich. Die beiden Männer entdeckten eine Gestalt, die die Gardine für einen Moment anlüftete. Die Gestalt hielt einen Revolver in der Faust.

Weder Jordan noch Murphy sprachen ein Wort. Sie warfen sich gleichzeitig zu Boden. Da begann der Mann am Fenster schon zu schießen.

Die scharfen Detonationen belferten durch die Main Street. Ein paar Passanten auf den Stepwalks rannten schreiend in die nächsten Hofeingänge. Ein Fuhrwerk rollte an der Pension vorbei. Als die Schüsse krachten, begannen die beiden Gespannpferde zu scheuen und sich im Geschirr aufzubäumen. Der Kutscher auf dem Bock schwang die Peitsche, aber das Gespann entglitt seiner Kontrolle. Im donnernden Galopp rasten die Pferde die Straße hinunter. Der Wagen schlingerte und schwankte. Er krachte gegen einen Kistenstapel und riß ihn mit Höllengetöse um. Der Kutscher klammerte sich am Bock fest, während das Fuhrwerk weiterraste. Überall waren Schreie zu vernehmen.

Jordan und Murphy achteten nicht darauf. Sie rollten durch den Straßenstaub. Jordan landete unter einem Stepwalk, Murphy fand hinter einem Regenfaß Deckung.

Der Mann am Fenster über dem Eingang des Boardinghouse hatte sich weit vorgebeugt, um besser sehen zu können. Er bestrich mit seinem Revolver die gegenüberliegende Straßenseite. Seine Kugeln bohrten sich krachend in die Stepwalkbohlen. Zwei Fenster zerplatzten mit ohrenbetäubendem Klirren. Staubfontänen erhoben sich unter den Einschlägen der Projektile.

Jim Murphy zählte die Schüsse. Als es zum sechsten Mal geknallt hatte, richtete er sich halb auf. Eine stinkende Pulverdampfwolke trieb über die Straße.

Murphy sah eine zweite Gestalt neben dem Mann am Fenster auftauchen. Er hob den Revolver und drückte nur zweimal ab.

Die erste Kugel traf den Schützen. Er klappte zusammen wie ein Taschenmesser. Die zweite Kugel riß ihn wieder hoch und ließ ihn nach vorn taumeln.

Sein Oberkörper neigte sich über das Fensterbrett. Er war bereits tot, als er kopfüber hinauskippte und auf das Vorbaudach stürzte. Hier blieb er reglos liegen.

Die Gestalt hinter ihm verschwand in der Dunkelheit des Ganges.

Earl Jordan federte unter dem Stepwalk hervor. Er rief: »Ich nehme die Tür vorn.«

Er rannte über die Straße. Murphy folgte. Er steuerte den Stallanbau an.

Die Main Street war inzwischen wie leergefegt. Nur Humpy war zu sehen, der zerlumpte Junge. Er hockte mit übergeschlagenen Beinen auf einem Schuppendach, kaum dreißig Yards entfernt, und starrte herüber. Mehr denn je glich er einem Aasvogel, der auf Beute wartet.

Earl Jordan nahm die Stufen am Eingang des Boardinghouses mit einem einzigen Satz. Er warf sich gegen die Tür. Sie flog krachend auf. Jordan ließ sich ins Innere fallen, rollte über die linke Schulter ab und blieb hinter der kurzen Theke der Rezeption liegen. Von hier aus spähte er die Treppe ins Obergeschoß hoch.

Ein spitzer Schrei ertönte im Gang hinter der Treppe. Eine ältliche Lady tauchte auf, gleich hinter ihr war ein magerer, spitzbärtiger Mann, der sie zurückriß.

Im nächsten Moment sah Jordan einen Mann oben auf der Treppe.

»Wirf die Kanone weg, Ransom!« schrie er. »Euer Spiel ist aus!«

Der Mann auf der Treppe ging in die Knie und begann zu schießen. Drei Kugeln hämmerten mit brüllendem Knall in die Mahagoni-Front der Rezeption. Holzsplitter wirbelten Jordan um die Ohren. Er schloß für einen Moment die Augen, um nicht geblendet zu werden, dann feuerte er.

Er erwischte den Mann auf der Treppe in der Drehung. Ein gurgelnder Schrei war zu hören.

Jordan sprang aus seiner Deckung und stürmte die Treppe hoch. Oben hing der Mann, der auf ihn geschossen hatte. Er hatte das Geländer umklammert und stierte Jordan aus glasigen, weit aufgerissenen Augen entgegen. Sein Revolver polterte gerade auf die Stufen. Noch bevor Jordan ihn erreichte, verlor der Mann den Halt und kippte nach vorn.

Jordan konnte gerade noch ausweichen: Der Körper des anderen fiel an ihm vorbei auf die Treppenstufen und rutschte polternd hinunter.

Am Fuß der Treppe blieb er liegen. Das sah Jordan nicht mehr. Er stand bereits oben auf dem Gang und hörte trappelnde Schritte und wütende Schreie.

Im Hof krachten Schüsse, das war Murphy. Jordan hielt sich dicht an der Wand, als er sich den Gang hinunterbewegte.

Das Fenster zur Main Street hinaus, aus dem sie beschossen worden waren, stand noch weit offen. Die Gardine war heruntergerissen worden. Ein paar Fetzen des netzartigen Stoffes bewegten sich im Wind, der von draußen hereinstrich, hin und her.

Das Stakkato von Schüssen wurde heftiger. Jordan beugte sich aus dem Fenster und sah Jim Murphy an der Westecke des Stalles stehen. Er hielt seinen Revolver in der Faust. Murphy stand breitbeinig da und schoß ohne große Gefühlsregung.

Jordan federte zurück und stieß eine der Türen im Gang auf. Er sah gerade noch, wie ein Mann aus dem Fenster des Raums stieg, in den er trat. Der Mann blieb wie erstarrt auf dem Fensterbrett hocken und starrte Jordan entgegen.

»Nicht schießen!« schrie er. »Nicht…« Er schwankte und stürzte fast aus dem Fenster.

Jordan erreichte ihn, packte ihn am Hemdkragen und riß ihn vom Fensterbrett herunter. Der Mann fiel auf die Knie. Jordan fischte ihm den Revolver aus dem Holster und schob ihn in den eigenen Gürtel. Er beugte sich hinaus und sah zwei Männer im Hof zwischen Wohngebäude und Stall. Einer kniete am Boden und hatte die Hände auf den Leib gepreßt, er stieß ein klagendes Geschrei aus.

Der zweite schleuderte seine Waffe gerade von sich und riß die Arme hoch, als wolle er den Himmel stützen.

Jim Murphy tauchte auf. Er ging auf den Mann zu und schlug ihm unvermittelt mit dem Revolverlauf auf die rechte Schulter. Der Kerl brüllte und stürzte in den Staub, während Murphy sich über ihn beugte und ihn abtastete. Er förderte einen Derringer und ein Stiefelmesser zutage.

Murphy richtete sich auf und winkte zum Fenster hoch: »Alles in Ordnung.«

Jordan drehte sich um. Der Mann, den er am Fenster erwischt hatte, wollte gerade aus dem Raum flüchten. Jordan packte einen Stuhl und schleuderte ihn hinter ihm her. Der Stuhl traf den anderen zwischen die Beine. Er stürzte der Länge nach auf die rauhen Dielen. Jordan folgte ihm und sagte: »Steh auf! Du hast verloren. Je eher du das einsiehst, um so länger wirst du leben.«

Sie gingen gemeinsam die Treppe hinunter. Unten stiegen sie über den Toten. Jordans Gefangener wagte kaum, richtig hinzusehen.

Die ältliche Lady, die Jordan bei seinem Eindringen in das Boardinghouse gesehen hatte, spähte unter der Treppe hervor. Sie hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Hinter ihr war der magere Mann zu sehen, der sie aus der Schußlinie gezerrt hatte. Er war bleich wie eine gekalkte Wand.

Die Dämmerung lag wie ein feinmaschiger Filter über Clinton, als Jordan mit seinem Gefangenen hinaustrat. Gerade trieb Murphy die beiden anderen Überlebenden aus dem Hof. Der eine Mann stützte seinen Verletzten Kumpan, der sich nur mit Mühe auf den Beinen zu halten vermochte.

Von der Bahnstation her klang das Heulen einer Kesselpfeife. Von der Stadtmitte her tauchten zwei Männer auf: Einer trug einen schwarzen Prince-Albert-Rock mit langen Schößen. Er hatte eine Schrotflinte unter den rechten Arm geklemmt.

Humpy richtete sich auf, als er den Mann sah, auf dessen Rockaufschlag im Abendlicht matt ein Messingabzeichen blinkte. Unauffällig zog Humpy sich zurück.

»Sie kommen zu spät, Marshal.« Jordan schob seinen Hut weiter in den Nacken. Er war ein großer, schlanker, athletisch wirkender Mann. Er zog einen zusammengefalteten Steckbrief unter seinem Hemd hervor.

»Bass Younger, seine beiden Brüder und zwei Kumpane.« Er hielt dem Beamten den Steckbrief hin. »Der Eisenbahnraub bei Kansas City vor zwei Wochen.«

»Kopfgeldjäger?« Der Marshal runzelte die Stirn. Er musterte erst den Steckbrief, dann die Gefangenen.

»Wir sind Beauftragte der Eisenbahn«, sagte Murphy.

»Hätten Sie mir nicht vorher Bescheid geben können, daß die Youngers in der Stadt sind?«

»Hätten wir«, sagte Jordan. »Aber wir wollten sichergehen, daß die Kerle uns nicht entwischen.«

Der Marshal starrte ihn an, sagte aber kein Wort. Murphy sagte: »Sie können die Halunken haben. Wir kommen später vorbei und unterschreiben ein Protokoll. Sie kriegen eine Kopie unseres Berichts an unsere Auftraggeber.«

»Sehr freundlich.« Im Gesicht des Marshals zeigten sich hektische, rote Flecke. Er richtete seine Schrotflinte auf die Banditen und führte sie mit seinem Deputy die Straße hinunter.

»Ich glaube, er mag uns nicht«, sagte Murphy.

»Er wird es überleben, daß er die Youngers nicht verhaftet hat.« Jordan drehte sich um. Vor dem Boardinghouse scharten sich Menschen. Der Tote auf dem Vorbaudach wurde geborgen, der andere Tote wurde soeben aus dem Haus getragen. Die ältliche Lady, offenbar die Besitzerin, hatte begonnen, laut zu klagen.

»Zahlende Gäste sind ihr lieber«, sagte Murphy. »Auch wenn es Banditen sind.«

»Niemand hat gern tote Banditen im Haus.«

Sie gingen nebeneinander zur Bahnstation hoch. Humpy tauchte vor ihnen auf. Murphy streckte die Rechte drohend aus: »Ich wette, du hast den Youngers gesagt, daß wir kommen.«

Humpy blickte ihn böse an.

»Der Kerl, der auf uns geschossen hat, hat uns erwartet.«

Humpy drehte sich wortlos um.

»Nimm dich in acht, Junge!« rief Murphy ihm nach. »Du kannst nicht immer beide Hände gleichzeitig aufhalten und kassieren. Irgendwann mußt du selber zahlen.«

»Laß ihn in Ruhe, Jim. Er ist ein armes Schwein.« Jordan schaute dem Jungen nach, der in eine Seitengasse neben der Bahnstation einbog.

*

Sie standen an der Bar des Railway Arms Hotel und hörten die Dampf­pfeife des letzten Zuges, der Clinton in Richtung Osten verließ.

»Der Whisky in den Saloons an der Bahnlinie ist der beste«, sagte Murphy. Er ließ den rötlichen Bourbon genießerisch über seine Zunge rollen.

»Kunststück – hier brennen die Leute nicht mehr selbst.« Jordan schenkte nach. »Die Eisenbahn bedeutet eben Fortschritt.«

»Eigentlich schade«, sagte Murphy. »Der letzte Auftrag, bei dem wir zusammen waren.«

»Man sollte niemals nie sagen«, antwortete Jordan. »Wer weiß schon, was die nächsten Jahre bringen. Außerdem – im Moment ist es ganz in Ordnung, daß wir uns eine Weile nicht mehr sehen.«

»Jennifer«, sagte Murphy.

»Auch Jennifer«, sagte Jordan. »Man kann sein Brot miteinander teilen, seine Decke, seine Munition, vielleicht sogar sein Pferd – aber niemals eine Frau.«

»Wenn wir von der Eisenbahn weggehen, werden wir sie beide nicht mehr sehen.«

»Das weiß man nie genau«, sagte Jordan. »Außerdem würde immer ein Rest Bitterkeit zurückbleiben. Das ist gefährlich, jedenfalls in unserem Job. Revolverarbeit kann man nur mit einem Mann gemeinsam tun, wenn alles hundertprozentig stimmt.«

»Wie lange waren wir zusammen?« Murphy nippte an seinem Whisky.

»Drei Jahre«, sagte Jordan. »Davon zwei Jahre bei der Eisenbahn. Eine gute Zeit.«

»Was hast du jetzt vor?«

»Ich weiß noch nicht.« Jordan winkte nach dem Keeper und ließ sich die Zigarrenkiste bringen. Er wählte sorgfältig aus, biß die Spitze ab, nachdem er genießerisch an der Zigarre geschnuppert hatte, spuckte sie aus und zündete sie sorgfältig an.

»Es ist nicht nett, einen Partner zu belügen«, sagte Murphy.

Jordan blickte ihn durch den bläulichen Rauch der Zigarre hindurch rätselhaft an. Er fragte: »Hast du schon einen festen Job?«

»Es gibt immer irgendwo Probleme, die nur auf unsere Weise gelöst werden können«, antwortete Murphy. »Vielleicht braucht uns die Eisenbahn eines Tages wieder. Außerdem hört man eine ganze Menge darüber, daß es Krieg geben soll.«

»Darauf solltest du lieber nicht hoffen, Jim. Jetzt zahlt dir jeder einen Haufen Geld für deinen Revolver. Dann kriegst du eine Uniform verpaßt und darfst für dreizehn Dollar im Monat schießen.«

»Männer wie wir werden nirgends kleine Scheißer sein.«

»Auf jeden Fall hast du mir nicht gesagt, wo du von hier aus hingehst.« »Du mir auch nicht.«

»Wir sind uns also wieder einig, wie in den letzten drei Jahren.«

Jordan lächelte. Aber in seinen Augen leuchtete es kalt. Er schaute an Murphy vorbei und sah Humpy, den zerlumpten Jungen. Er wieselte wie ein kleines Insekt zwischen den Tischen herum, sammelte Tabakreste und Zigarettenkippen auf, die er sorgfältig in den Taschen verstaute, trank die Reste aus den Gläsern, die die Gäste stehenließen und nahm die Spucknäpfe mit, die er im Hof säuberte, polierte und wieder zurückstellte.

Sein schmales Gesicht wirkte noch schärfer geschnitten als am Nachmittag. In seinen Augen war ein fiebriger Glanz, er hatte anscheinend schon eine ganze Menge getrunken.

»Da ist ja diese kleine Ratte wieder«, sagte Murphy. »Man entgeht dem Burschen wohl nie.« Er verzog angewidert das Gesicht. »Wann wirst du Jennifer wiedersehen?«

»Ich weiß es nicht, Jim.«

»Du solltest mich nicht dauernd belügen, Earl. Wir sind mal Freunde gewesen. Richtige gute Freunde.«

»Deshalb solltest du nicht soviel fragen.«

»Ich weiß, daß du Jennifer wiedersiehst«, sagte Murphy. »Ich will wissen, wo sie gerade steckt.«

»Wenn sie es dir nicht gesagt hat, wird das sicherlich daran liegen, daß sie dich nicht wiedersehen will.« Jordan leerte sein Glas und nahm die Zigarre aus dem Mund. »Da ist der Marshal.«

Der Beamte im schwarzen Prince Albert-Rock näherte sich mit säuerlicher Miene. Er schob sich durch die dicht gedrängten Bahnarbeiter, bis er die Theke erreicht hatte.

»Die Sache ist aufgeklärt«, sagte er. Man sah ihm an, daß er darüber nicht erfreut war. »Es war die Younger-Bande. Sie haben recht behalten.« Der harte Zug um seinen Mund war wie versteinert. »Schade«, fügte er hinzu. »Ich hoffe, Sie verschwinden möglichst bald aus Clinton.«

»Darauf können Sie sich verlassen.«

»Ich hätte Sie gern verhaftet«, sagte er.

»Hätten Sie das wirklich versucht, Marshal?« Jim Murphy lächelte verbindlich über den Rand seines Glases hinweg. »Sie sind ein mutiger Mann.«

»Ich habe mich nach Ihnen erkundigt, Murphy«, sagte der Marshal. »Hätten Sie sich der Verhaftung widersetzt?«

»Das kommt auf den Mann an, der mich verhaften will.«

»Sie gelten als gefährlich«, sagte der Marshal. »Aber sie sind bisher nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten.«

»Irgendwann muß man alles einmal anfangen«, sagte Murphy. »Wie wär’s mit einem Whisky, Marshal?«

»Mit Ihnen trinke ich nicht, Murphy!« Der Beamte blickte Murphy und Jordan herausfordernd an. Murphy verzog das Gesicht. In seinen schmalen Augen glühte es. Er sagte: »Das ist eine Beleidigung, Marshal.«

»So? Paßt Ihnen das nicht, Murphy?«

»Es paßt mir nicht, Marshal.«

»Der Marshal kann trinken was er will und mit wem er will«, sagte Earl Jordan nachdrücklich. Er sog kräftig an der Zigarre und blies dem Marshal den Rauch ganz langsam ins Gesicht.

Die Züge des Beamten wurden maskenhaft. »Ich weise Sie aus«, sagte er. »Noch an diesem Abend.«

»Welche Begründung?«

»Störung der öffentlichen Ordnung.«

»Hör mal zu, du aufgeblasener…« Jordan drehte sich zu Murphy um und schüttelte den Kopf. Murphy verstummte. Jordan sagte: »Der letzte Zug ist bereits weg.«

»Das ist mir egal.«