Die jungen Eulenrieds - Felicitas Rose - E-Book

Die jungen Eulenrieds E-Book

Felicitas Rose

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Beschreibung

Ein Heimatroman aus dem Thüringen des beginnenden 20. Jahrhunderts. Drei Söhne beschliessen ihre heruntergekommene Burg Eulenried wieder flott zu machen ...

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Die jungen Eulenrieds

Felicitas Rose

Inhalt:

Felicitas Rose – Biografie und Biografie

Die jungen Eulenrieds

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

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13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

Die jungen Eulenrieds, F. Rose

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849634056

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Felicitas Rose – Biografie und Biografie

Deutsche Schriftstellerin, geboren am 31. Juli 1862 in Arnsberg, verstorben am 18. Juni 1938 in Müden (Örtze). Eigentlich Rosa Caroline Mathilde Emma Schliewen. Tochter eines Postbediensteten, der oft den Wohnort wechseln musste (u.a. Potsdam, Erfurt, Leipzig und Berlin). 1884 heiratet sie ebenfalls einen Angestellten der Post. Von 1914 bis 1930 lebte sie hauptsächlich in Berlin. 1930 zieht sie nach Müden, wo sie das „Haus Ginsterbusch“ gekauft hatte und gleichzeitig im Hotel "Kaiserhof" wohnte.

Wichtige Werke:

Die Eiks von Eichen (1910)Drohnen (1912)Pastor Verden (1912)Meerkönigs Haus (1917)Das Lyzeum in Birkholz (1917)Der Mutterhof (1918)Der Tisch der Rasmussens (1920)Der graue Alltag und sein Licht (1922)Erlenkamp Erben (1924)Die Erbschmiede (1926)Der hillige Ginsterbusch (1928)Die Wengelohs (1929)Das Haus mit den grünen Fensterläden (1930)Die vom Sunderhof (1932)Wien Sleef, der Knecht (1933)Die jungen Eulenrieds (1937)

Die jungen Eulenrieds

1.

Die Glocken des kleinen Kirchleins von Ilmenbach, droben im Thüringer Wald, taten ihre letzten Schläge. Man konnte nicht sagen, daß sie »verhallten«, sie riefen um zehn Uhr morgens recht kläglich: »Kommt, kommt!«, und um elfeinhalb ebenso blechern und eilig: »Geht! Geht!«, denn der Küster mußte zu seiner Suppe. Die Frau Pfarrerin fand dies Gehaben gottlos. Deshalb bewilligte sie ihrem Gatten eine volle halbe Stunde Frist bis zur Tischzeit. Und die füllte der Seelsorger gut aus. Er stieg langsam den steilen, steinigen Kirchweg zum Pfarrhaus hinunter, sprach mit den Männern, die jeden Sonntag fast vollzählig erschienen, erklärte einigen Frauen, was sie an seiner Predigt nicht verstanden hatten und verwies den »Frömmsten« ihr Pharisäertum. Bei einigen windschiefen Häusern blieb er stehen, nickte oder sprach auch einige gute Worte in die kleinen Fenster hinein, an denen Bresthafte saßen, die mit dem besten Willen nicht mehr den steilen Kirchweg schafften. »Aber die Glocken waren wieder tröstlich«, sagte mit brüchiger Stimme der Dorfälteste. Das war dem Geistlichen gar nicht recht, denn die »Tröstlichkeit« war schuld daran, daß der Patron keine neue Glocke bewilligte.

Die uralte Kalesche des Freiherrn Eulenried fuhr einen Feld- und Wiesenweg in den Wald hinein. Der Patron hatte seinen Pfarrherrn grimmig gegrüßt, denn die Predigt war ihm wieder zu sanft gewesen, weshalb er ihn auch nicht zu Tisch gebeten hatte, denn sie hätten sich doch nur gezankt. Aber den Organisten nahm er mit in den ungeheuren Wagen, in dem nun sechs Personen saßen. Der Pfarrer hätte auch noch bequem hineingekonnt, es war ein Wagen, der sich sehen lassen konnte – es war »die Arche«.

»Von Noah selbst erbaut«, pflegte der Freiherr zu sagen. Aber dem widersprach immer heftig, wenn auch vergeblich, ein kleines, dürres Männchen, das auf dem Bock neben dem Kutscher saß. So heftig widersprach er immer seinem Brotherrn, daß das ganze magere Gestellchen ins Wanken kam und beinahe vom Bock fiel. Deshalb hatte der Freiherr schon eine doppelte Bewehrung auf der Seite anbringen lassen, an welcher Dr. Eustachius Senfkorn saß. Dieser war als Hauslehrer der Söhne vor zwanzig Jahren nach Eulenried gekommen, »der Billigkeit halber«, meinte der Schloßherr. Und das konnte man nehmen, wie man wollte. Billig war der Hauslehrer, denn er bekam kein Gehalt. Aber »billig« war es auch gewesen, das »jämmerliche Gestelle« aufs Schloß zu nehmen. Denn die durchgehenden Pferde am Wagen des Barons hatten den Dr. Senfkorn überfahren, als er einst fremd und einsam und arg zerstreut den Thüringer Wald durchwanderte ... Man zog ihn unter dem Wagen hervor, er rief noch herzbeweglich »bitte nicht schlagen!«, als der Kutscher dem Handpferd mit der Peitsche eins überzog, und dann wurde der Dr. Senfkorn bewußtlos. – Aus dem nahen Jena holte man einen tüchtigen Arzt, der flickte ihn zusammen, und bis er wieder laufen konnte, saßen abwechselnd die geweckten Buben oder auch alle drei um sein Bett herum. – Auf diese Art wurde der damals schon Vierzigjährige ihr Hauslehrer, und wenn auch das »Päppeln« der Wirtschaftsmamsell bei ihm nicht anschlug und er auch nach den allsonntäglichen rohen Kartoffelklößen nicht um ein Gran dicker wurde, so war es erstaunlich, wie das kleine Männchen es verstand, sein reiches Wissen an seine Schüler heranzubringen und in ihren Köpfen seßhaft zu machen. Dabei hing der kleine, unscheinbare Mann wie ein graues Spinngewebe auf dem Katheder, denn er trug unentwegt einen grauen Anzug, den er selbst bürstete, reinigte, klopfte und stopfte. Auch zu Beerdigungen erschien er »gräulich«, was im Dorf großen Anstoß erregte, besonders, da ihn zu solchen Gelegenheiten eine leuchtend blaue Krawatte zierte. Aber er dachte sich eben in solchen Farben eine »fröhliche Urständ«, die er jedem wünschte, den er zu Grabe geleitete. – Der einzige Schmuck in seinem Turmstübchen, das er sich extra vom Patron erbeten hatte, waren zwei Bilder: Friedrich der Große und Martin Luther, und ein gemalter Spruch des großen Reformators: »Die Lehrer werden leuchten wie die Sterne des Himmels.« – »Ja, und das finde ich anmaßend«, pflegte die Wirtschafterin zu sagen, wenn sie den Spruch abstäubte. Dafür hieß sie aber auch Frau Demut, und außerdem kümmerte sich Dr. Senfkorn nicht um ihre Ansichten.

Als die alte Kalesche alle Insassen hübsch zurechtgestuckert hatte und sie nun wirklich bequem beinander saßen, fiel das erste Wort von den bärtigen Lippen des Freiherrn. »Wo du nicht bist, Herr Organist, da schweigen alle Flöten«, wandte er sich grimmig, was er selbst »leutselig« nannte, an Herrn Friedemann Örglein (von den drei Jungherrn »das Harmonium« genannt). »Wenn Sie aber auf der Orgelbank sitzen, dann bitte ich mir aus, daß Sie mir bekannte Weisen spielen, damit wir alle, einschließlich die halbundhalbtauben Weiblein, die Melodien kennen und mitkrächzen können. ›Singt immer, es dringt euer Lallen empor zu des Ewigen Ohr.‹ Heute hat kein Mensch mitgesungen. Welcher Teufel ritt Sie heute, Örglein?«

»Ich bemerke gehorsamst, daß ich keine Beziehungen zu diesen Herren habe, ich sah auch keinen in der Kirche.«

Freiherr Eulenried lachte schallend. Er liebte es, wenn man seine Grobheiten parierte. Dann aber grollte es wieder in seiner Stimme: »Ich will meinen Gellert haben, meinen Paul Gerhardt, meinen Luther, meinen Johann Sebastian. Beinahe hätte ich heute in das ohrfremde Gekrächze hineingebrüllt: ›Wie groß ist des Allmächtgen Güte!‹ Und als Sie aufhörten, hätte ich am liebsten gesungen: ›Nun danket alle Gott.‹ Aber als alter Kavallerist ritt ich mich auf Kandare. Aber nächsten Sonntag befehle ich: ›Befiel Du Deine Wege ...‹«

Da lachten sie alle. –

Die Tannen dufteten stark in der Frühlingssonne. Eine Amsel sang. Ein Fink fiel ein. Der Kuckuck rief in der Ferne. »Wenn es warm wird, ganz warm für unsere Alten«, begann der Freiherr wieder, aber viel gehaltener und leiser als vordem, »dann halten wir wieder Gottesdienst im Walde. Hören Sie, Organiste? Und wenn sich der Pfarrer auf'n Kopp stellt!«

»Er stellt sich nicht, Herr Baron. Er hat schon selbst davon angefangen. Die jungen Herren wollte er bitten, ein Terzett zu singen: ›Singet dem Herrn ein hohes Lied.‹ Von Cherubini.« Die jungen Herren nickten freudig. Nur Illo, der Jüngste, meinte nachdenklich: »›Gegen Amsel, Drossel, Fink und Star‹ kommen wir nicht auf.« Sie lauschten wieder.

»Nun hört bloß den Finken, – er bringt sich rein um«, lachte Dankwart. »Nur, nur, nur dem lieben Gott vertraut!‹ singt er.«

»Seit wann so fromm?«

Dankwart wurde knabenhaft rot. Das kleidete ihn gut. »Ich hörte es, Lisel Kreihorstern sagte es.«

»Seit wann bist du bei den Kreihorstern zugange? Ich hoffe nicht, daß einer meiner Söhne Mitgiftjäger wird.«

Nun lachten alle drei.

»Das Terzett von Cherubini wird gut tönen.« Der Organist sagte es leise mit seiner warmen, musikalischen Stimme. Dann fuhren sie schweigend weiter, die Sonne brannte, die Vögel sangen, und der ganze Wald duftete. – Der Weg wurde steiler. Der Kutscher hielt die Zügel schlaff. Die beiden Füchse hatten schwere Arbeit. An Durchgehen dachten sie längst nicht mehr, es waren bedächtige Pferde geworden. Die jungen Barone hatten schon daran gedacht, ihre gewalttätigen Namen »Donner und Doria« in »Amor und Psyche« umzunennen. Aber das litt der mit ihnen vertraute und ergraute Kutscher nicht.

»Nä, nä, se sinn nu mal mit dän Fluchnamen bedacht worden. Jäder, dar emol mit däm Wagen umgestürzt war, hat ›Donner un Doria‹ geschrien, aber Schimpfnamen verdienen se denn doch nich.«

Bei Kilometerstein 4 sprangen die drei Söhne mit einem Hechtsatz über alle Hindernisse aus der Kalesche, so daß sie arg ins Wanken kam, und Dr. Senfkorn mit kläglichem Gesicht sich an die Bewehrung klammerte. Aber die Gäule zogen nun bedeutend besser an, und die drei Brüder schritten wacker dem Wagen voraus. – An einer Lichtung verhielten sie etwas. »Ein Jammer«, sagte Dankwart grollend. »Nächstens ist überhaupt kein Wald mehr da. Der Förster hat weiße Haare bekommen.«

Illo stieß einen hallenden, urwüchsigen Schrei aus. Ein Echo gab ihn wieder. Der Jüngste pflegte sich immer so zu erleichtern. Sein schönes Gesicht war dunkelrot, und die blauen Augen funkelten vor Zorn und verhaltenen Tränen.

»Spürt ihr denn nicht, daß wir zuviele sind auf Eulenried?« fragte er leise und heftig und dabei atemlos auf dem steilen Wege.

»Schlag uns tot«, grollte Dankwart verbissen.

Illo legte den Arm um ihn. Der Wagen war ein gutes Stück zurückgeblieben, die Pferde standen und ruhten sich. Der Kutscher war auch abgesprungen und scheuchte die lästigen Schmeißfliegen. –

»Wir müssen fort von Eulenried«, hub Illo wieder an, und seine Stimme bebte so, daß die Brüder stehenblieben.

»Was denkst du, Illo?«

»Ich denke, daß wir Jungen fort müssen. Wir sind Fresser. Vater bleibt und Mutter auch. Die soll in der frommen Lüge fortleben, als ob alles wäre wie einst. Arme Muusch! Ihr Leiden nimmt ohnehin zu. Kutscher und Mamsell bekommen schon seit Jahren keinen Lohn, aber sie würden ja sterben, wenn sie nicht mehr auf Eulenried leben dürften. Tante Hermine verzehrt ihre Pfründe bei uns und verläßt auch unsere Muusch um keinen Preis der Welt. Für das Senfkorn habe ich eine Stelle als Archivar gefunden. In Jena. Jawohl. Er steckt mit mir unter einer Decke. Sein Wissen ist reich, – und er macht so unglaublich kleine Ansprüche. Aber Fresser ist er, wie wir.«

»Illo und du bist besser als wir.« Wildrich schlug ihm auf die Schulter, daß der Bruder taumelte. Aber es war nur Freundschaft und Bewunderung.

»Was wird aus dem Verwalter und aus der weiblichen Bevölkerung?« fragte er dann.

»Zu verwalten gibt es nichts mehr, also ist der Herr überflüssig. Alle Mitesser müssen fort. Eulenried wird ein mageres Bauerngehöft ... Nur die Mutter – – die Mutter muß gepflegt werden ...«

Illo lehnte den Kopf an eine Eiche – – sie war das Wahrzeichen des Eulenberges, auf dem die Burg stand. Die Schultern des Jünglings zuckten, ein schweres Schluchzen hob seine Brust.

»Illo hat in vielem, fast in allem recht. Aber ich muß hier bleiben – ich bin doch Landwirt – ich – ich muß noch aus den Äckern und Wiesen was herausholen!« sprach Dankwart.

»Äckern und Wiesen!« spottete Wildrich. »Sind sie nicht schon verpfändet? Brach? Vertrocknet oder versumpft? Haben sie je Drainage gekriegt? Oder ordentliche Düngung? Verfluchtes Geld ...« Wildrich war ganz aus den Fugen.

Die Vögel sangen weiter, der Kuckuck rief ganz nahe. Illo zog ein mageres Beutelchen aus der Tasche, es klapperte wehmütig darin; er schwenkte es. »Schrei du Kuckuck mitten in meine gespickte Börse hinein! Das muß helfen!« Dann rief er plötzlich hell: »Mutter!« Und die Brüder schauten auf.

Da lag Burg Eulenried im hellen Sonnenglanze. Noch nicht allzu nahe, aber an dem großen Bogenfenster des rechten Flügels gewahrte man ein weißes, winkendes Tuch und eine Frauengestalt. Wildrich vergaß seinen Zorn, er stieß einen starken Juhuschrei aus, und dann jodelten alle drei zur Burg hinüber. Auch der Wagen, der den breiten Fahrweg verfolgt hatte, fuhr jetzt aus dem Wald heraus, und die rauhe Kehle des alten Freiherrn versuchte mitzujodeln.

Das weiße Tuch winkte und winkte. –

Der letzte Aufstieg war bald geschafft von den rüstigen jungen Füßen, auch der Wagen hielt wenig später vor dem riesigen alten Tor mit dem großen Wappen, in dem die Eule auf einem Baumstamm hockte. Ein Spruch umzog, in Stein gemeißelt, das Schild: »Nunquam retrorsum! 1562.«

Wildrich zeigte auf den Spruch und rief ihn fast laut. Und deutete dann auf den zusammengestürzten linken Flügel des Schlosses, der ganz von Efeu umzogen war. Lustig wucherten auf ihm Akelei, Kiekübernzaun, wilde Rosen und Orchis in zartlila Farben. Und trotz der Mittagsstunde tönte aus dem grünen Gewirr heraus das volle Singen einer Nachtigall.

»Sie schluchzt über Eulenried«, sagte Wildrich bitter.

»Fängst du schon wieder an? Wir müssen der Mutter ein frohes Gesicht zeigen.« Illo zog den Bruder mit sich fort. – Über eine schadhafte Freitreppe ging es, dann über hallende Steinstufen, die keine Teppiche mehr über sich hatten. – Auf dem Gang öffnete sich eine Bogentür.

»Da sind die Strolche!« sagte eine derbe Frauenstimme, und eine ebenso derbe, aber gut geformte Hand streckte sich aus und wurde ehrerbietig geküßt. »Tante Hermin, wie geht's der Mutter?« Sie riefen es leise alle drei.

»Wie immer!«

Und sie beugten auch alle drei die Knie vor dem Krankenstuhl, und die Mutter umfaßte mit ihren Armen die blonden Köpfe. »Meine, meine Jungens!«

Man würde diesen Mutterlaut nie vergessen draußen in der weiten Welt ...

Der Krankentisch wurde fortgerollt, ein gebratenes Täubchen lag fast unberührt auf einer silbernen Schüssel.

»Bin völlig satt«, beteuerte die Kranke. »Ihr verwöhnt mich. Die Fleischbrühe in der Tasse war das reinste Gedicht, – ich habe sie ganz leer getrunken. Und was bekommen heute meine Wildlinge?«

»Hoffentlich das einzig anständige Gericht, was es auf der Welt gibt: Geräucherte Schweinsrippen und rohe Klöße«, rief Dankwart, und »Tante Hermines« sonore Stimme lachte »ja und amen! Ich krieg sie sonst nicht satt.« –

»War die Predigt gut?« fragte die Mutter gespannt.

»Dem Vater zu sanft, er schimpft, aber ich habe gut dabei geschlafen«, bemerkte Dankwart trocken.

Jetzt schloß die Kranke ermüdet die Augen, die Söhne erhoben sich schweigend und verließen das Zimmer, durch dessen Tür jetzt der Schloßherr eintrat.

Etwas später standen sie alle um den großen runden Tisch. Freiherr Eulenried sprach das uralte Gebet:

»Herr! Bewahre uns vor Kriegssturm! Schütz Schloß und Turm! Und laß uns halten hoch und wert Unseres Hauses heiligen Herd!«

Die alte Wirtschaftsmamsell trug die schneeweißen Klöße mit Siegermiene auf, und doch sah sie den Schloßherrn erwartungsvoll an. Er teilte den ersten Kloß mit zwei Gabeln, ließ diese sinken und rief mit Stentorstimme: »Miserabel!« Ein wehes Aufschluchzen der Wirtschafterin, Stirnrunzeln von »Tante Hermine«, Schweigen der übrigen und dröhnendes Lachen des Schloßherrn.

»Sie sind ausgezeichnet«, sagte er dann hochbefriedigt, und Illo, der Jüngste, mußte dann zehn Mark in die Küche bringen, es war sozusagen der Monatslohn der Köchin, und die Szene wiederholte sich allmonatlich.

»Warum die Gustel immer noch aufschluchzt, ist mir unerfindlich«, bemerkte der Freiherr und ließ den dritten Kloß verschwinden. »Sie weiß doch, daß sie noch niemals vorbeigekocht hat, und daß sie auch der zehn Märker nicht verlustig geht ...«

»Tante Hermine« bekam eine weiße Nasenspitze, was sich seltsam in ihrem roten Antlitz ausnahm.

»Daß doch Männer durchaus nicht die Psyche einer Frau ergründen können, auch nicht in dreißig Jahren«, bemerkte sie ernst.

»Verzeih, ich wußte nicht, daß Gustel eine Psyche hat, glaubte, sie sei ganz Kochlöffel ...«

Es lachte niemand, und eine Ader schwoll an der Stirn des Freiherrn. Er verlangte, daß die Familie seine Witze belachte, denn seine Verdauung bedurfte steter und mannigfacher Anregung. Auch das ernste Gesicht seines Jüngsten, der eben wieder hereintrat, erregte seinen Unwillen.

»Na, was sagt die Psyche?« schrie er Illo an.

»Nichts, Vater. Sie hat den Schein gar nicht angesehen.«

»So! Und um dieser gekränkten Leberwurst willen funkelst du mich an, als wolltest du deinen Erzeuger maßregeln, du Kücken.«

»Das stünde mir nicht an.« Illo nahm sich gleich zwei Klöße. – »Aber Kücken bin ich wohl nicht mehr mit zweiundzwanzig Jahren, – sondern ein ausgewachsener Hahn. Heute sogar ein Streithahn, lieber Vater ...«

»Was du sagst, – das ist ja direkt erheiternd!« Der Schloßherr trank in einem Zuge das große Glas schweren Rotweins hinunter, was ihm vom Hausarzt streng untersagt war. Und dann flog das schöne, alte Glas durch das geöffnete Bogenfenster unter dem immer noch die Nachtigall schluchzte.

»Um Gott Vater!« Illo sprang zu ihm hin. »Ich wollte dich nicht kränken ...« Aber er wurde zurückgestoßen.

Der Freiherr stand schwerfällig auf. Ein Jähzornsanfall griff ihn immer an. Die Tür fiel schmetternd hinter ihm ins Schloß. Mit verfinstertem Gesicht sah der Älteste ihm nach.

»Das ist nun so. Neulich warf mir der Sturm die Tür aus der Hand. Da hat mich der Vater ausgelümmelt, daß ich keine Rücksicht auf die kranke Mutter nähme, – und heute – – was sag' ich heute – – jeden Tag ist er rücksichtslos – –«

Das alte Freifräulein nahm ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. »Sowas mag ich nun gar nicht hören. Zu unserer Zeit kritisierte man niemals die Eltern. Das hatte auch sein Gutes. Und wenn du in deinem Leben erst so viel Böses durchgemacht hast, wie dein Vater, – dann ballerst du wohl auch die Türen und verbittest dir jede Kritik deiner Sprößlinge ...«

»Sprich nicht von Sprößlingen, Tante Hermine« rief Dankwart. »Es macht mich nervös. Unsere Klitsche ernährt nicht einmal mehr uns ...«

»Großer Gott, der Bengel sagt ›Klitsche‹! Burg Eulenried eine Klitsche!« Sie rang die Hände.

»Tantchen, du sitzest ja selbst drauf. Und ernährst dich selbst, anstatt – –«

Sie hielt ihm den Mund zu. Und brauchte sich gar nicht zu recken, sondern war seiner stattlichen Höhe durchaus gewachsen. Die Eulenrieds hießen im weiten Umkreis »die Hünen«.

»Tante Hermine, kannst du uns heute ein privatissimum mit dem Vater verschaffen?« fragte Illo. »Es ist nun doch einmal ein ungemütlicher Sonntag. Sieh, der Organist wandelt da unten allein im Park und fuchtelt mit den Händen. Dem wird alles zu Musik, und der Jähzornsanfall seines Patrons verschafft ihm eine Rhapsodie, mindestens ein Furioso in einer Fantasie.«

»Habt Ihr dem Vater Unangenehmes vorzusetzen?« fragte die alte Dame besorgt.

»Unabänderliches auf jeden Fall. Und es leidet keinen Aufschub.«

»Illo, sind deine Pläne so fest umrissen?« rief Wildrich hastig.

Illo nickte. Ihr nennt mich ja schon immer den Sicherheitskommissarius. Ganz stimmt ja der Name nicht, sonst würde ich nicht so viel ›reinfallen‹. Aber mein Zukunftsweg liegt allerdings – ich kann wohl sagen – hell besonnt vor mir. Ich will mir ja darauf das Leben erobern. Ihr fehlt natürlich in keinem meiner Pläne.« Er rüttelte Wildrich liebevoll und fuhr Dankwart ungestüm durch die dichte Haartolle. Es geschah alles augenscheinlich, um Rührung zu verbergen. »Und wir können uns überall in der Welt treffen, falls mir Eulenried vom Vater verschlossen werden sollte ...«

»Härr du meines Läbens!« rief Tante Hermine entsetzt, und sie sprach es so thüringisch, wie es eigentlich nur Kutscher und Wirtschafterin fertig brachten. »Willst du Raubmörder oder Devisenschieber werden? Denn ich wüßt nicht, vor was anderem dir der Vater die Heimat verbieten würde ...«

Illo hatte sich ans Fenster gestellt und sah »vom Berge zu Tal«. Sah die Heimat vor sich liegen, wahrlich hell besonnt. Würde so sein Weg sein? Die Ilm zog glitzernd im engen Tale ostwärts. Illo meinte, die rotgepunkteten Forellen darin spielen zu sehen. Wie ernste Wächter standen die ragenden Edeltannen vor dem Schlosse der Väter. Sie hatten seinen Verfall nicht aufhalten können, aber sie waren wenigstens von der Axt des Waldmörders verschont geblieben. Wie lange würde dieser siebenreihige dichte Kranz um den Eulenried noch stehenbleiben?

»Ja, Dankwart, du mußt hier bleiben«, sagte er laut und heftig, ohne sich zum Bruder herumzudrehen. Du mußt das wahren, hörst?«

Der Bruder war zu ihm getreten und nickte ernst. Einen Augenblick lehnte Illo den Kopf an seine Schulter. Wildrich war auch hinzugetreten.

Voll Stolz sah die alte, schlichte Edelfrau auf die drei jungen Recken.

Aber dann stieg eine unbekannte Angst in ihr hoch.

›Wenn nur die Unterredung mit dem jähzornigen Vater erst vorüber wäre!‹ dachte sie unruhig. Da meldete ihn auch schon das schwere Aufstampfen seines Knotenstockes an. Draußen verhielt er aber noch, ließ den alten Diener vorangehen, der eine lange und drei kurze Pfeifen brachte, sowie einen ledernen Riesentabaksbeutel. Die Wirtschafterin schob sich schwerfällig hinter ihm herein, auf ihrem Arm schwankte das große, silberne Servierbrett mit den buntbemalten Thüringer Tassen und der bauchigen Kanne. Ein derbes Mädchen, das Sonntags vom Dorfe heraufkam und in der Küche mithalf, trug die Thüringer Kräpfel hoch aufgeschichtet auf einer Schüssel.

Das sah alles so sonntäglich und friedlich aus, die Gesichter hellten sich auf. »Ob ich jetzt die Mutter hereintrage?« fragte Dankwart.

»Die Frau Baronin möchte noch schlafen«, meldete die Wirtschafterin, »um fünf Uhr wünscht sie geweckt zu werden.«

Illo zog eine, unscheinbare schwarze Ankeruhr aus der Tasche, – Tante Hermine hatte sie ihm zu seiner Einsegnung geschenkt. Geld zu einer besseren war nie dagewesen. Dafür hatte er einen anderen Schatz. »Mehr wert, als jedes Mädchen der Welt«, pflegte Tante Hermine zu sagen, denn Illo war ihr Liebling, und sie wachte eifersüchtig, daß er keine anderen Liebesgedanken bekam. Aber was Illo jetzt rasch aus einem Nebengemach, seinem eigenen Zimmer holte, ehe der Vater erschien, das war »seines Herzens Trost und sein Teil.«

Eine kleine Standuhr. Die er jetzt aus einem altmodischen Lederfutteral holte, das man um die Achsel hängen konnte, wenn man auf Reisen ging. Der Urahn hatte es jedenfalls getan und seinem Erben weiter anempfohlen.

»Sie hänget so alleweyl sicher, und kannst noch die Hand darauf halten, schützest zugleych deinen gehäkelten Geldsack, so in der Pantalontasch stecket. Der du düsse Uhr erbest: Sey alleweyl selber ›die gute Stund‹, so wird auch die Uhr dir gute Stunden schlagen. Der Stundenzeyger sagt mit einem leysen Knax: Jetzt kommt's! Just drey Sekunden vor der Vollstund und ebendso vühl vor der Halbstund. Und dann hebt ein Schlagen an. Sollt man es dem Ührleyn ansehen? Mit nichten. Ist eyn Überraschung vor männiglich, Weyblein oder Mannsbild. Hat auch im Reysewagen eitel Freud und Spassettel gemacht, wann sie anhub zu schlagen, was keyn Mensch vermuten war. Ja, es ist eyn hochwert Ding, die alte Bronzenuhr. Zwanzig Centimetre hoch bis zum obersten Griff über dem Fazettenglas, unter dem man die Unruhe an dem Rubin spielen sieht. Der Erbe kann sie auch an dem wundersamen Bronzegriff in der Stuben dahin tragen, so er ein Gusto dazu spüret. Besser schon, sie bleibet an einer Stell. Gut Wärme muß sie haben. Deshalb ist auch das Futteral mit schwerem Sammt ausgeschlagen, wie es die Weyblein wohl als Winterkamisol tragen.

Ist nun auf unser Burg eine holde Jungfrau gewachsen, die Elsabe von Eulenried. Und die hat der junge Fürst des Landes gesehen, ist in Liebe entbrannt. Sind allebeid von Gott für einander geschaffen gewesen, haben Menschen sie geschieden. Der Fürst mußte eine Reichsunmittelbare freien. Zu Beginn ihrer Lieb, so kein Unrecht war, denn sie waren Beide frei, – hat der Fürst das Ührlein der holden Jungfrawe zu eigen gegeben. Ein Kleinod, wie sie selbsten war. Aber als der Fürst Hochzeit hielt mit einer Anderen, da ist die bronzene Uhr stehen geblieben, wie wohl ein Herz stehen bleibet, so es verraten ward. – Und die Jungfrawe ist gestorben mit dem Ührlein, und das ›Glück‹ hat nie Heimat gehabt auf dem Eulenried. Zum wenigsten das äußere von Fortuna gespendete. Denn in Lieb, Ehr und Treu sind sich alle Eulenrieds zugetan gewest. Und das Lutherlied ist alleweyl ihr Stützen und Stab gewesen. – Soll eine Sybille, so am Fuße der Wartburg gelebt hat, geweissagt haben: ›Wenn die Bronzene wieder schläget, grünet der Eulenried.‹

Ist aber wohl Teufelsred, wie alles Wahrsagen. –

Ich halt's mit unserm Spruch: Nunquam retrorsum und dem Dr. Martinus: Ein feste Burg ist unser Gott!

Thassilo von Eulenried.«

So lautete der auf Pergament geschriebene Brief, und Illo hatte ihn immer mit heiliger Scheu betrachtet. Sein Erbe war es. Sein Großvater hatte die Uhr der Tante Hermine hinterlassen, die ihn einmal lange Monate aus schwerer Krankheit heraus gepflegt. Und die selbstlose alte Jungfrau hatte wiederum das Kleinod dem Illo vererbt. Aber sie hatte es mit »warmer Hand« gegeben, auf daß er nicht auf ihren Tod zu warten brauche. Und oft, wenn schon alles auf der Burg im Schlafe lag, hatten die Alte und der Junge vor dem Erbstück gesessen und es mit wahrer Andacht bestaunt. »Wer sie heilen könnte!« hatte Illo sinniert. »Mach nicht so ein wissendes Gesicht, Illo, als könntest du mir noch in dieser Nacht das Geheimnis kundtun. So Allgescheite sehen dann immer besonders dämlich aus, wenn nix dahintersteckt.«

Illo hatte fröhlich gelacht, – so wie er, konnte kein Mensch lachen, behauptete die alte Dame, und hatte dann doch verträumt gemeint nach einer Weile stummen Nachdenkens: »Es steckt aber sicher was dahinter. Tante Hermine, was gibst mir, wenn ich mich ans Sinnieren begebe?«

»Ein paar hinten vor«, sagte sie ruhig. »Von so was Heiligem sollen Lausbuben die Finger lassen. Tu's mir nicht an, mein Illo, das ›Glück von Eulenried‹ leichtsinnig zu zerstören!«

»Nein Tante Hermine, – ich möcht' Glück wieder auf unsern abgeholzten Berg heraufholen.«

»Da soll doch ein Donnerwetter ...« Die alte Dame fluchte gern einmal, aber Illo hatte ihr den Mund wahrhaftig lachend mit einem Kuß verschlossen. Und daß er sich so gar nicht vor ihrem Schnurrbart gefürchtet, hatte ihr altes Herz vollends erobert. –

Es wurde heute ziemlich spät, ehe der Schloßherr zur Kaffeetafel erschien. Er sei wieder zur Frau Baronin hineingegangen, die nach ihm verlangte, hatte der Diener gemeldet. – Aber endlich kam er doch und ließ sich schwer in den geschnitzten Wappenstuhl fallen. Sorgfältig legte Dankwart große und kleine weiche Kissen zwischen das Holz und das Podagra seines alten Herrn. »Warum habt ihr nicht getrunken?«, schalt dieser. »Für den Tod kann ich's nicht ausstehen, wenn auf mich gewartet wird.«

Aber die um den Tisch Stehenden wußten, daß sie weise gehandelt hatten. Die Wirtschafterin brachte frisch gebrühten Kaffee nur für den Herrn, Wildrich reichte die gestopfte Pfeife und entzündete den Fidibus, und als der alte Herr die ersten Züge tat, war wohl sein Haupt von Wolken umhüllt, aber die Stirn unbewölkt.

»Eure Mutter ist heute gar nicht wohl, der Doktor muß mal her«, sagte er noch, ehe er sich an die Vertilgung der frisch gebackenen Kräpfel begab.

»Könntest du nicht den jüngeren Arzt konsultieren«, fragte seine Schwester besorgt, »Doktor Grillenberg ist doch schon reichlich bequem geworden, – er schleicht ja nur so daher ...«

»Liebe Hermine, willst du die rechte Beurteilung nicht mir überlassen? Der Doktor hat alle Krankheiten schon selbst durchgemacht, das ist der rechte Mann für mich. Und meinst du, irgendein Arzt könnte Podagra behandeln und verstehen, – dies verfl ... Zwacken und Zwicken, wenn er's nicht am eigenen Leibe schon mal erfuhr?«

Tante Hermine warf die Augen gen Himmel, was ihr Bruder durchaus nicht leiden mochte, und die Söhne lachten alle drei. – Der Schloßherr verbat sich alles, und viele Kräpfel verschwanden doppelt schnell durch den Zorn befördert. Besorgt sah ihn die Schwester an, aber sagen durfte man nichts, vielleicht hätte er auch die Schüssel zum Fenster hinausgeworfen. Dankwart beugte sich zu Illo. »Wollen wir's nicht verschieben?« fragte er leise und eindringlich.«

»Nein.« Illo hatte eine tiefe Falte zwischen den dunklen Brauen, die seltsam von seinem Blondschopf abstachen.

»Ich bin auch für Alexander den Großen«, raunte Wildrich fast unhörbar, aber der Vater war heute durch irgend etwas hellhöriger, als sonst.

»Was habt ihr mit Alexander zu tun?« fragte er verdrossen. »Sprecht laut, oder habt ihr keine Lebensart mehr?«

»Wir hoffen's, Vater, daß sie noch da ist.« Illo hatte einen roten Kopf. »Alexander schlug den gordischen Knoten durch, und das wollen wir auch tun.«

»Herr, dunkel ist der Rede Sinn. Darf ich hören, was ihr vorhabt? Ihr seht aus, als wolltet ihr in geschlossener Phalanx gegen mich kämpfen ...«

Jetzt erhob sich der Organist. »Herr Baron werden erlauben, daß ich mich verabschiede ...«

»Dageblieben, Bakkalaureus! Was fällt Ihnen ein? Ich werde Hilfe brauchen. Denn Schwester Hermine hängt auf Gedeih und Verderb mit den Jungens zusammen. Übrigens haben Sie meine Buben bis zum zehnten Jahre versohlt, nun wollen wir sehen, ob die schnöde Welt Ihre Methoden zuschanden gemacht hat.«

»Davor ist mir nicht bange«, meinte der Lehrer mit einem ernsten, guten Lächeln, was dem schlichten Mann außerordentlich gut zu Gesicht stand. »Es müßte denn nicht viel an meiner Erziehung gewesen sein, denn ich gab mein Bestes.« Er setzte sich zögernd wieder hin.

»Dankwart hat das Wort«, gebot der Freiherr, »aber Trina soll zuerst abräumen. Es könnten Späne fliegen und das geblümte Porzellan gefährden.«

Das alte Schloßfräulein sah besorgt auf den Bruder. Die Pfeife schien ihm nicht mehr zu schmecken, das schlechteste Zeichen, was es geben konnte. Sie legte beruhigend ihre Hand auf die seine, aber er schüttelte sie rauh ab. »Bist du mit im Komplott?« fragte er mißtrauisch. »Ich bin gerüstet und brauche keine Hilfe.«

»Großer Gott, Bruder, Kinder werden ja wohl noch ihre Wünsche äußern dürfen ...«

»Ganz gewiß, Hermine. Aber es scheint sich hier nicht um eine Schreckpistole oder ein Schaukelpferd zu handeln.«

Nun schwiegen alle. Die Wirtschafterin hatte mit Trina das Abräumen begonnen und beendete es rasch und möglichst geräuschlos. Wenn der alte Freiherr ungeduldig war, konnte es Scherben geben. Die Tür schloß sich hinter Trina, die draußen noch in nachträglicher Beklemmung eine Tasse fallen ließ.

»Hoffentlich war es die mit dem Sprung«, meinte Tante Hermine trocken. Sie hatte eine liebe Art, Spannungen zu lockern.

Dankwart sprang mit beiden Füßen in die Sachlage.

»Vater, ich will morgen bei dem Nachbar Kreihorst meinen Besuch machen. Ich möchte mir Rat von ihm holen, denn er ist ein anerkannter, in allen Sätteln gerechter Landwirt. Es paßt ihm und mir nicht, daß wir uns immer nur stumm über den Grenzacker grüßen. Wir Bauern müssen enger verbunden sein ...«

»Willst du die Tochter heiraten?«

Dankwart ging über die Frage hinweg. »Ich möchte endlich unserm sogenannten ›Administrator‹ kündigen. Wir können ihn nicht mehr bezahlen, was ich aber nicht drückend empfinde, da der Mann sich anderweitig schadlos hält. Aber wir brauchen ihn überhaupt nicht, – ich werde ihn ersetzen.«

»Hast du Worte, Hermine?« fragte der Burgherr heiser. »Mein Herr Sohn scheint sich schon ganz als Majoratsherr zu fühlen und wähnt mich in der Gruft unseres Mausoleums ...«

Wieder legte sich die Frauenhand beruhigend auf seine derbe Rechte, die zur Faust geballt auf dem Tische lag.

»Ich bitte dich, Vater – du hast mir einmal in guter Stunde gesagt, du habest volles Vertrauen zu mir –«

Dankwarts ruhige Stimme schien ihre Wirkung zu tun.

Der Alte paffte gewaltig. »Hab ich auch, – hab ich auch, – nur Komplotte bringen mich aus der Kontenance.«

»Vater, – es gibt keine Komplotte –«

»Schon gut, schon gut. Also weiter im Text. Mit meinem verteufelten Zipperlein kann ich ja nicht hinter dem Schuft von Administrator herrennen. Jag ihn fort.«

»Das kann ich nicht, aber kündigen. Morgen schon. Und der alte Kreihorst soll grob, aber gerecht sein, ich habe die Absicht, mich ihm unterzuordnen. Eulenried muß es zugute kommen. Gesellschaftlich will ich nichts, gar nichts von dem Alten.«

»Schön! Ich wüßte auch nicht, was er dich gesellschaftlich lehren könnte. Sein Großvater war Schäfer, sein Vater ging nach Amerika, kam mit schwerreicher Frau wieder, die dann hier starb. Er haust mit seiner Schwester weiter, hat das Geld brillant angelegt, verdoppelt und verdreifacht – ich hab ihn nicht sehen wollen.«

Dankwart dachte: »Man merkt es an dem Eulenriedschen Gewese, daß hier nie ein gescheiter Nachbar Rat gegeben hat, oder vielmehr, daß immer das Gegenteil davon getan wurde.«

Beim alten Freiherrn kam wieder der Zorn hoch.

»Es ist doch erheiternd, Hermine, daß der eigene Sohn zum Nachbar läuft, um unser Gut zu halten, weil er den Vater für einen Banausen hält –«

»Wenn der Vater ein Banause ist – warum soll der Sohn sich nicht bessern Rat holen«, meinte das alte Fräulein trocken; – »aber ich glaub, du kannst den Großbauern Kreihorst noch manches lehren, – Bruder. Mit deinem Podagra kannst schimpfen, Bruder, mehr noch mit dem schweren Rotspon. Das ist der Halunke, der an allem schuld ist ... ja, und die Mißernten und das Viehsterben ...«

»Man gut, daß du dem Herrgott doch auch einige Versehen zuschiebst«, wetterte der Freiherr und war schon wieder krebsrot. – »Was man sich nicht alles gefallen lassen muß, wenn man siech ist –«

»Na mit dem Siechtum hat's noch 'ne Weile Zeit, Bruder.«

»Wo zum Donnerwetter steckt der Doktor Eusebius Senfkorn?« lenkte der Hausherr ab. »Er soll mitraten. Herholen, Illo!«

»Doktor Senfkorn hat vorhin an der Tür gehorcht«, berichtete Illo, »da wußt ich gleich, was los war. Er ist sicher sofort in sein Turmgemach gestiegen. Lieber leidet er Hunger und Durst, als daß er sich Streit mit anhört.«

»Also das Gesinde streikt auch schon«, murmelte der Alte.

»Um Gott, Bruder, was ist in dich gefahren?« Das alte Fräulein war tief erschrocken. »Du wirft doch Senfkorn nicht zum Gesinde rechnen?«

»Bisher zum Gewürz«, lenkte der Freiherr ein. »Der Mann hat Einfälle. Aber wenn er mit seinem Herrn muckscht, dann werde ich ihn Mores lehren.«

Tante Hermine beruhigte sich nicht. Sie rüttelte seine Schulter, als wolle sie ihn aufwecken. »Bruder! Er hat deine Kinder umsonst erzogen ... an ihren Krankenbetten hat er gewacht; wenn ich bei deiner Frau war ...«

Der Freiherr fuhr sich mit allen zehn Fingern durch das volle, weiße Haar. »Hol den Kerl her«, schrie er Illo an, »mir schmeckt der Kaffee nicht ohne ihn.«

Das wußten alle, aber daß der Vater es eingestand, war etwas Außergewöhnliches. Illo warf ein Mundtuch über den Arm, um das »Gesinde« zu markieren, schenkte dem Vater noch Kaffee ein und sauste mit Kellnerschritten durch das große Zimmer und nach oben.

»Dem Illo werde ich nächstens kündigen, der wird mir zu frech.« – Aber die Söhne meinten bei sich, daß der Tag noch ruhig verlaufen könne. Dr. Senfkorn stolperte verlegen neben Illo herein. Aber als der Burgherr ihn heischend ansah, die Brauen eng zusammengezogen, reckte sich das kleine Männlein: »Am Himmel ist Sonne«, sagte er mutig, »aber hier im Tale schienen mir Gewitter aufzuziehen, da trat ich auf meinen Turmaltan und atmete mir den Feind aus der Brust.«

»Das klingt erhaben!« spottete der Alte. »Und es ist gut, daß Sie den Kram oben abgemacht haben; ich eigne mich so gar nicht zur Poesie.«

»Ja, das dachte ich auch.«

Sie sahen alle erschrocken und halb belustigt hoch, das alte Fräulein dachte: »Sieh, sieh, das unscheinbare Bündelchen hat sich wirklich Mut geatmet.«

Der abgekühlte Mokka des alten Herrn war schon wieder durch frisch gebrühten ersetzt. Man kannte das gar nicht anders, und die Wirtschafterin lebte nur für die Wünsche ihres alten Herrn und Gebieters. Sie mußte Berge von Kräpfeln gebacken haben, denn es wurden ebensoviele wieder auf den Tisch gestellt, als vorher schon vertilgt worden waren. Dr. Senfkorn suchte sich das winzigste Küchlein aus, was sein Auge erspähen konnte und kullerte es auf seinen Teller. –

»Ich würde es nochmal teilen, Doktor«, höhnte der Schloßherr.

»Gestatten, Herr Baron – ich habe Hunger.«

Illo hüpfte vor Freude über diese Antwort auf seinem Stuhl und wurde vom Edelfräulein unter dem Tisch getreten. Dann erhob sich die alte Dame, um nach der kranken Schwägerin zu sehen.

»Wenn meine Frau nicht schläft, bringe sie mit«, rief ihr der Bruder nach.

Illo öffnete der Tante ritterlich die Tür. »Nicht mitbringen«, raunte er ihr dabei zu. »Es würde die Mutter zu sehr erregen. Es muß heute zum Klappen kommen.«

Der Vater war schon wieder heftig und ungeduldig.

»Was schmust ihr beiden da noch, wie ein Liebespaar? Schluß! Es zieht verdammt auf meine Potentaten ...«

Illo war auch erregt, das Kommende warf seine Schatten voraus. Er schloß die Tür nicht sehr sanft.

Aber der große Ahnentisch präsentierte sich dann doch recht gemütlich, – die langen und kurzen Pfeifen dampften, – es war das richtige Tabakskollegium. Im Waldtal lag schon die Abenddämmerung, auf den Spitzen der hohen Tannen glühte noch die Abendsonne. Die drei jungen Stimmen setzten ein, wie jeden Abend: »...Nie kann ohne Wonne deinen Glanz ich sehn.« Das war alte Überlieferung, solange sie auf Ferien daheim waren.

»Nun ja – legt's einstweilen dort hin«, gebot der alte Eulenried unrastig. »Wir haben schon viel Zeit versäumt, – brenne darauf, mir den Knoten zu besehen, den meine Sprößlinge durchhauen wollen. Er ist sicher mal sorgfältig von mir geknüpft worden.«

»Ganz sicher«, lieber Vater, sagte Wildrich ernst. »So sorgsam, wie die Tradition es erheischte. Der Älteste kriegt das Gut, der Zweite wird Offizier, der Dritte Jurist. Aber mein Wald, mein Thüringer Wald überwältigte die Tradition. Vater, ich dank dir noch heute, daß ich Förster werden durfte.«

»Na, – hast brav studiert und deinen Referendar sorgsam in Eberswalde geschafft. Nun wirst du deinen Forstassessor bauen, – die ganze Geschichte ist ja etwas langatmig und teuer. Bis du Oberförster wirst, kannst du graue Haare kriegen. Na – andere sind's auch geworden, und es ist gut, daß die Eulenriedstiftung da ist ...«

»Vater, – es ist gut, daß du selbst alle die Schwierigkeiten aufzählst. Die Stiftung ist ja jämmerlich zusammengeschmolzen, wie mir unser braver Syndikus in Berlin sagte ...«

»Der Mann hat mit mir zu verhandeln und nicht mit euch«, fuhr der Alte auf.

»Ich habe ihn selbst darum dringend gebeten, lieber Vater, – ich weiß, wie Dankwart sich abarbeitet ...«

»So so, – und ist dir nun ein neuer, großer Gedanke und Plan aus dem Kopfe gesprungen, wie Pallas Athene aus dem Haupte ihres Vaters?«

»Kein großer Plan«, lieber Vater ... Ich will mich verkleinern. Ich will als einfacher Förster bei Oberförster Ehrlich eintreten. Ich habe öfters mit ihm das Revier durchstreift, was sind es für herrliche, weitgedehnte Waldungen! Der Alte kennt jeden Baum, aber er würde sich freuen, wenn er einen Gehilfen kriegte, der so mit Leib und Seele Förster ist, wie ich. Der Fürst kümmert sich um nichts, das heißt er ist mehr Jäger, als Heger und Pfleger.«

»Du bist übergeschnappt, Wildrich. Du willst deine Karriere aufgeben, die dich später zu den höchsten Stellungen berechtigt ...«

»Ja, Vater, später, – sehr später ...«

»Einerlei, – du willst alles vergessen, im Stich lassen, was du gelernt ...«

»Nichts will ich vergessen, außer dem Hochmütigen, das mich immer noch stach, wenn ich so mit den Standesgenossen zusammensaß. – Vater, – wir sind arm. Wir müssen bitter sparen. Und alles, was erspart wird, muß der Heimat gehören, muß dem Dankwart gehören, damit er uns allen Burg Eulenried erhält.«

Wildrich war aufgesprungen und ans Fenster getreten. Da lag sein Thüringen vor ihm. Das ganze Tal im Frühlingsschmuck, die glitzernde Ilm, der Wald, der sich weithin streckte –»o du Heimatflur ...«

»Hast du dich schon verdingt?« fragte der Vater heiser.

»Ich habe hier im Umkreise mit niemand gesprochen, außer mit den Brüdern, mußte doch zuerst dich in meine Pläne einweihen ...«

»Überaus gütig. – Nachdem ich von dem Unsinn Kenntnis genommen, wird natürlich nichts daraus. Man läßt keine große Laufbahn im Stich, um ein Subalterner zu werden. Steckt vielleicht ein Frauenzimmer dahinter? Hat irgendein Waldwärter eine hübsche Tochter?«

»Wie wenig du mich kennst, Vater. Meinst du, ich könnte irgend jemand in meine Misere hineinziehen?«

»Schweig!! Es beleidigt mich. Du wirst vor allen Dingen deinen Assessor machen ...«

»Nein, Vater. Er hat schon zu viel gekostet, – ich will jetzt verdienen. Ich bitte dich, Vater, gib deine Einwilligung, es ist alles hundertmal gut überlegt. Gewissenhafte Berater stimmen mir zu. Selbst meine Vorgesetzten ...«

»So, – also abgekartet. – Ich, als Trumpf sechs, und halber Krüppel – der sein eigen Gut nicht halten konnte ...«

»Vater, wir wissen, daß du dein Lebtag geschuftet hast und seit Jahren nicht gesund bist. Dazu die sieche Mutter, – ach Vater, mach mir's nicht so schwer ...«

»Du bist mündig.« Die Lippen des Alten schlossen sich fest, aber es arbeitete heftig in seinem Gesicht. Wildrich ging hinaus und verweilte lange auf dem hallenden Korridor.

Nunquam retrorsum.Überall trat ihm der Wappenspruch vor die Augen. Nein, er wollte nicht zurück. Sein Entschluß war eisern. Und die neue Laufbahn war kein »Zurück«, die führte ihn aus unerträglicher Enge, aus Schulden, die er nicht umgehen konnte trotz aller Einschränkung, – aus Mangel und Bitternissen in seine Heimat, wo er anfangen konnte wirklich zu leben. Klein leben, groß denken ...

Sacht öffnete sich neben ihm eine Flügeltür. Tante Hermine schloß sie leise und schob ihren Arm durch den seinen. »Die Mutter läßt grüßen, sie will ruhen, ich habe sie zur Nacht gebettet. Nur den Vater erwartet sie noch. Dich grüßt sie ganz besonders.« – Sie wollte in das Wohnzimmer treten, aber Wildrich hielt sie zurück. Rasch und leise, in großen Zügen, erzählte er von seinem Entschluß. –

Sie drückte seine Hand. »Ich stehe zu dir«, sagte sie ruhig. »Man muß mit der Jugend gehen, sobald man ihren Ernst erkennt.«

»Tante Hermine, du bist ein Engel!«

»Nein, nur eine alte Jungfer mit einem Herzen auf dem rechten Fleck – will's Gott l«

Sie gingen eng umschlungen ins Wohnzimmer. Baron Eulenried lachte bitter, als er die beiden sah.

»Wüßt ich's doch! Wenn's gegen den Alten geht, dann hängt alles wie Pech und Schwefel zusammen.«

»Pech und Schwefel riecht wie Teufels Großmutter. Ich hoffe, daß mein Duft einwandfreier ist«, lachte Tante Hermine rauh und herzlich. »Ich würde nicht so vor mich hinbrüten, Bruder, was Vernünftiges kommt da nicht zum Vorschein. Komm, setz dich froh zu uns. Deine Jungs sind gut geraten. Und wenn sie wirklich die verfahrene Karre mit der Zeit aus dem Dreck ziehen, wollen wir Hallelujah singen.«

»Deine Ausdrucksweise ist einer zarten Jungfrau würdig«, spottete grimmig der Bruder, »aber zum Hallelujah singen muß ich warten, bis mein jüngster Sohn zu Worte gekommen ist. Er sieht nicht aus, als ob er mir Gutes brächte.«

»Ich hoffe, es wächst sich zum Guten aus, lieber Vater. Wenn es auch jetzt für dich nicht so ausschaut. Für mich bedeutet es Aufstieg, rechte Arbeit, meinen Herzenswunsch, schlechthin mein Leben.«

»Großer Gott, er phantasiert, er ist komplett verrückt geworden! Was wird nun jung?«

»Dies da, Vater. Ich habe es mir vorgenommen. Lacht mich alle aus, ich bleibe doch dabei. Das Glück von Eulenried möcht ich wieder in die Burg bringen.«

Illo hatte das alte, brüchige Lederfutteral aufgeschnallt. Nun zog er das kleine, schwere, bronzene Kunstwert heraus. Seine jungen, schönen Augen strahlten, als er es seinem Vater hinschob.

»Was soll der Firlefanz? Hier ist kein Theater. Was soll dein bombastischer Vortrag, Illo?«

»Darauf kann ich nichts sagen, Vater. Denn du würdest mich gar nicht verstehen. Aber vielleicht verstehst du doch äußerlich meine Worte, wenn du auch – mich selbst schmähen wirst. Thüringen hat von jeher große Meister gehabt. Ich will mir einen solchen suchen. Handwerk hat goldenen Boden. Vater, mit diesem Vermächtnis unseres Ahnen und seiner Urkunde gehe ich auf die Walze. Ich will Uhrmacher werden.«

Eine Weile war es ganz still. Hochrot von gewaltigem Zorn war das Antlitz des Burgherrn. Dann wechselte wieder die Farbe in erschreckender Weise. Schwer fiel seine geballte Faust auf den Tisch. »So geh in Dreiteufelsnamen!« brüllte er.

» Nein! Zu dem Herren hat unser Illo keine Beziehungen«, rief Tante Hermine, und sie huschte wie eine ganz junge Dirne davon. Man hörte, wie sie rasch die Treppe zu ihrem eigenen Gelaß erstieg, und schon nach kurzer Zeit trat sie atemlos wieder herein. Noch immer war's still im Zimmer. Keiner wagte den Bann zu brechen, der auf allen lag.

» Mit Gott soll er gehen!« rief sie laut. »Du, lieber, tapferer Junge! Illo! Meinen Segen gebe ich dir mit. Da steckt er drin.«

Und sie reichte ihm ein gewaltiges Felleisen, wie es dem breiten Rücken eines jungen Hünen wohl anstehen konnte. Es stammte auch noch aus uralten Zeiten, wie sie wußte. Es war gut, daß das Prachtstück nicht in der Truhe vermoderte. –