Kerlchens Mutterglück - Felicitas Rose - E-Book

Kerlchens Mutterglück E-Book

Felicitas Rose

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Beschreibung

Wie es im Leben von Kerlchen weitergeht ... »Fritz! Fritz!! Lieber Fritz!!! - - - Fritz!!!« »Hmmm!« »Nein, bitte Fritz, wach auf!« »Ich wache.« »O Fritz, wenn du wachst, dann mußt du doch hören, daß unser Erni furchtbar schreit.« »Ich höre nichts.« »Fritz!!!!« »Ja, Kerlelein, wenn du mit Ausrufungszeichen redest, dann - - « »O Fritz, unser armer Junge!!!« »Warum arm?« »Weil er so gräßlich schreit.« »Alle kleinen Kinder schreien, sie müssen erst zum Stillesein erzogen werden. 'Auch Stillesein ist ein gewaltig Werk', singt der Dichter.« »O Fritz, ich wollt', du wärst auch still. Wie du nachts um zwei Uhr Dichter zitieren kannst, ist mir unverständlich.« »Mir auch. Du bist schuld, Kerlchen. Ich schlief so süß und träumte von dir.« »Unsinn! Wie kann man bei dem Geschrei schlafen und träumen.« »Mein Teil schreit wahrscheinlich nicht, deshalb hörte ich nichts.« »Fritz, du willst dich doch nicht auf die andere Seite legen?« »Warum nicht? Ich liege bereits seit 11 Uhr immer auf derselben.« »Ach, das meine ich natürlich nicht. Ich frage dich bloß, ob du wieder einschlafen willst?« »Natürlich.« »Es ist nicht möglich!« »Gute Nacht, Kerlelein!« »Friedrich von Rumohr - Rotbach!« »Kerlchen, geborene Schlieden, mir sind deine sämtlichen Namen nicht ganz gegenwärtig.« »Oh - oh - oh - hör nur das Kind!« »Er ist Stammhalter der Familie Rumohr und verkündet dies der Welt auf eigene Art. ...

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Kerlchens Mutterglück

Kerlchens MutterglückKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Impressum

Kerlchens Mutterglück

Aus der Romanreihe "Kerlchen" – Band 9

Felicitas Rose

Kapitel 1

»Fritz! – – Fritz!! – – – Lieber Fritz!!! – – – Fritz!!!«

»Hmmm!«

»Nein, bitte Fritz, wach auf!«

»Ich wache.«

»O Fritz, wenn du wachst, dann mußt du doch hören, daß unser Erni furchtbar schreit.«

»Ich höre nichts.«

»Fritz!!!!«

»Ja, Kerlelein, wenn du mit Ausrufungszeichen redest, dann – – – «

»O Fritz, unserarmerJunge!!!«

»Warum arm?«

»Weil er so gräßlich schreit.«

»Alle kleinen Kinder schreien, sie müssen erst zum Stillesein erzogen werden. ›Auch Stillesein ist ein gewaltig Werk‹, singt der Dichter.«

»O Fritz, ich wollt', du wärstauchstill. Wie du nachts um zwei Uhr Dichter zitieren kannst, ist mir unverständlich.«

»Mir auch. Du bist schuld, Kerlchen. Ich schlief so süß und träumte von dir.«

»Unsinn! Wie kann man bei dem Geschrei schlafen und träumen.«

»Mein Teil schreit wahrscheinlich nicht, deshalb hörte ich nichts.«

»Fritz, du willst dich doch nicht auf die andere Seite legen?«

»Warum nicht? Ich liege bereits seit 11 Uhr immer auf derselben.«

»Ach, das meine ich natürlich nicht. Ich frage dich bloß, ob du wieder einschlafen willst?«

»Natürlich.«

»Es ist nicht möglich!«

»Gute Nacht, Kerlelein!«

»Friedrich von Rumohr-Rotbach!«

»Kerlchen, geborene Schlieden, mir sind deine sämtlichen Namen nicht ganz gegenwärtig – – –«

»Oh – oh – oh – hör nur das Kind!«

»Er ist Stammhalter der Familie Rumohr und verkündet dies der Welt auf eigene Art. Eine gute Lunge ist ein Segen Gottes. Vielleicht wird er mal Reichstagsabgeordneter –«

»Oder Nachtwächter, Fritz – – o Gott – – er hat schon gar keine Stimme mehr.«

»Die kommt wieder.«

»Fritz, wenn ich nicht wüßte, daß ich am Traualtar einem Ehrenmanne die Hand gereicht habe – –«

»Dashast du, Kerlelein – –! Wird mein Lütten tragisch? Ich kenne dich ja gar nicht mehr. Wie sagte Pfarrer Truling so treffend? Ich sei derRumohrund du derHumor?«

»O, mir ist nicht humoristisch zumute.«

»Das merk' ich.«

»Mein einziges, wunzwinziges Kind haben schlechte Menschen auf den wüsten, letzten Flügel eines einsamen, alten Schlosses geschoben, wo es sich tot schreit.«

»Kerlchen, Phantasie hast du, das muß man dir lassen.«

»Und ich arme Mutter bin durch das Verbot eines mit im Komplott befindlichen Arztes an das Bett gefesselt – – –«

»Kerlchen!«

»O, jetzt hört man nichts mehr – – –«

»Gott sei Dank! – – –

»Er ist tot – –«

»Aber Kerlchen! Er macht nur 'ne etwas längere Kunstpause, horch – da fängt er wieder an. Und war es vorher allegro ma non troppo, so ist es jetzt con brio, – con fuoco! – Junge, Junge, nimm Vorspann, – – so – – ahh – – – – –

»Fritz, ich bitte dich, – inständigst – – steh auf.«

»Aber Kerlelein!«

»Fritz!«

»Keilchen, sei doch mein Vernünftiges! Haben wir es nicht Doktor Paul feierlichst in die Hand versprochen, uns seinen Anordnungen fügen zu wollen, die das beste für uns und unser Kind bezwecken?« – Und jetzt sollen wir wortbrüchig werden? Heute, in der ersten Nacht, da wir unsere Elternvernunft erproben sollen?«

»Vernünftig sein ist grausam. O, wie unser Liebling schreit – – –«

»Der Jung' gefällt mir, es liegt Methode drin.«

»Fritz! O Fritz!«

»Und musikalisch ist er, – hör doch bloß, Kerlchen, das muß dich ja glücklich machen. Der Bengel pfeift das hoheCwie 'n Heldentenor. – – Nanu? Was tust du, Kerlelein?«

»Aufstehen will ich! Meinst du, ich wollte die ganze Nacht in diesen Martern verbringen und deine schrecklichen Witze anhören? Ich gehe zu meinem Kinde.«

»Untersteh dich, du böses Kerlelein! – Ich leid es auf keinen Fall! So! – – Ruhig liegen geblieben! Wie du glühst! Ist das auch artig von meinem kranken Liebling? Fieber bekommen? he? Und an mich denkst du gar nicht? An meine Sorge und an Bubis Gesundheit?«

»O Fritz!«

»Nein, jetzt steh' ich auf. Du ängstigst dich doch sonst die ganze Nacht ab – du Erzgeneraldümmerchen.«

»O mein Friedel, du bist so gut – – ich hab' so Sehnsucht nach Kleinchen.«

»Nach dem Schreibalg? Komischer Geschmack! Und nun hör bloß, das ist der rechte, echte Schliedensche Eigensinn, mit dem er losblökt.«

»O, hau ihn bloß nicht, Fritz, lieber guter Fritz, es kann ja auch Rumohrscher Dickkopf sein – – –«

»Kerlelein – –«

»Nein, nein! Ich geb ja nach. Es ist Schliedens Art. Aber hol mir das Kind!«

»Jawohl! Teures Weib, gebiete deinen Tränen! Ich beginne meinen dunkeln Weg, Diese Kerze leuchte mir zu jenen Gemächern, wo unser einziges Kind schmachtet und Molch und Uhu nisten.«

Fritz verschwand durch die Tür, Kerlchen setzte sich im Bett hoch, und ein glückliches Lächeln lag auf seinem etwas blassen Gesichtchen in Erwartung der kommenden Minuten.

Bald trat auch Fritz wieder ein, vorsichtig einen mächtigen Kinderwagen vor sich herschiebend. Es war ein uraltes Gehäuse, eine wahre Familienkutsche und hatte wohl schon Fritzens Großvater gedient.

»Kajüte« nannten die Dienstboten das Monstrum.

»Bringst du ihn, Fritz? Bringst du ihn?«

»Freilich bringe ich ihn. Oder meinst du, ich schöbe Klock 2 Uhr nachts die leere Kajüte durch das Schloß meiner Ahnen aus purem Pläsiervergnügen?«

»Tausend Dank, Friedel!«

»Den nehme ich an. Und morgen kommt wieder die alte Wärterin her, ich will nachts meine Ruhe haben und du sollst sie auch bekommen.«

»Bist du ärgerlich auf mich, Friedel?«

»Na, es geht für'n Schaltjahr.«

»O sieh doch den süßen, süßen Jungen, er guckt uns groß an.«

»Ja, er hat noch nie so unvernünftige Eltern gesehen. Ordentlich überlegen sieht er aus, der Filou.«

»Gib ihn mir, Friedel. – O du Herzenskind, süßes, einziges, du bist gewiß hungrig.«

»Hungrig und – noch so verschiedenes. – Das hat er mit altem, gutem Champagner gemein, daß ertrockenaufbewahrt sein will.«

»Das wollen wir gleich haben.«

»So, Kerlelein! Ahh! Wie das Bett wohltut! Bedenke, es ist Januar. Jetzt bringt mich kein Gott wieder heraus. – Ahhh! Wenn ich so überlege, daß ich es nicht um ein Haar besser haben soll, als der geringste Tagelöhner auf meinem Gute – – – ich, der Gutsherr – – –«

»Vor allen Dingen bist duVater, – das geht vor.«

O nein, ich war erst Gutsherr, ehe ich Vater wurde – –«

»Du liebe Zeit, das sind Sophistereien – – –«

»Kerlchen, ich finde, du hast dir einen etwas erzieherischen Ton angewöhnt, seit du ›Muusch‹ bist, – vergiß aber bitte nie, daß der zu Erziehende wunzklein ist, dort an deiner Brust ruht und – Erni heißt. Erni – hörst du? Nicht Fritz von Rumohr-Rotbach.«

»Ich höre!«

»Das ist gut!«

»Friedel, bist du wieder bös mit mir?«

»Wenn du in dem lieben Tönchen fragst und aussiehst wie eine Madonna von Raffael, kann kein Mensch mit dir bös sein; ich will auch nur dein bestes – –«

»Unddeins, Fritz.«

»Nicht stachlig werden, Kerlchen. – Also ich will dein bestes, und das besteht darin, daß wir beide Nachtruhe haben – und morgen wird der Bengel wieder auf den andern Flügel geschoben, und Frau Bulling zu seiner Beaufsichtigung hergeholt.«

»Fritz, eine rechte Mutter soll das selbst tun.«

»Wenn sie gesund ist, – versteht sich. Du aber sollst dich vorläufig noch recht sehr schonen, kleines, blasses Kerlelein. Außerdem wirst du stets eine echte, rechte Mutter sein, die jede liebe Pflicht erfüllt. Aber ich will jetzt keine philosophischen Reden schmettern, es ist halb drei. – Wie der Bengel schlürft! Na, es ist das letzte Mal, daß du Vater und Mutter aufkrakeelst. Gute Nacht, Kerlelein.«

»Gute Nacht, Fritz!«

»Fritz! Fritz!! Fritz!!! – – – Fritz!!!!« »Hmmmmmm! – Wwwas ist denn schon wieder?«

»O Fritz, ich weiß nicht, was mit dem Jungen ist. Dreimal hab ich ihn hingelegt, dreimal aufgenommen, ob er wieder hungrig ist?«

»Kerlchen, es ist halb vier. Soll das so fortgehen? Rrrruhe, du Unband!«

»O Fritz, schrei nicht so, er hat sich richtig erschrocken.«

»Das soll er auch. Ich werde ihnmoreslehren.«

»Du willst ihn doch nicht schlagen?«

»Wohin denn? Er hat ja noch keine ordentliche Erziehungsfläche. Nun hör bloß, wie er rasaunt!«

»Was hast du mit ihm vor, Fritz?«

»Wegbringen will ich ihn, dann hab ich noch 1 1/2 Stunden Schlaf, bis ich aufstehen muß.«

»Wirst du schlafen können, wenn – –«

»Wie'n Ratz.«

»O Fritz! Gib mir das Kind nochmal! Verhungern soll es nicht.«

»Kerlchen! Du hast dir in unverständiger Jugendzeit vierundzwanzig Kinder gewünscht, damit du ›feste mit ihnen rumtoben könntest‹, – nun, ich sehe uns beide nach dem Vierundzwanzigsten als Astralleiber in der Luft umherschweben. Und nun nimm Abschied von Lohengrin – –«

»O Fritz! Er verhungert!«

»Er platzt!«

»Fritz! Fritz!! Fritz!!! Er hört nicht, – er geht; 0 wie der Junge brüllt! –Rabenvater!!!«

»Ruhe in der Bullelloge!«

»Es ist zum Auswachsen!«

»Dabei soll man nun arbeiten!«

»Na, was du arbeitest, Paul, das wird sich hier wohl noch ermöglichen lassen.«

»Bitte, quetsche dich nicht so verächtlich aus, Erni, – mehr Respekt vor deinem Bruder. Er wird dir in ein paar Jahren mit 'ner Doktordissertation unter die Augen springen, daß dir grün und gelb werden soll, wenn du hier in Rotbach als Stoppelhopser herumfuhrwerkst.«

»Ich neige mich bereits jetzt in Demut vor dieser Dissertation.«

»Fritz, was machst du denn da?«

»Was wird er machen, – er dichtet.«

»Natürlich dichtet er, und zwar mit Wucht und Kraft und innerm Drang; gestern ist ihm sogar der Hosenträger dabei geplatzt.«

»Her damit, ich lese es euch vor.«

»Gibst du's gleich her, Elimar? Gibst du's, elender Kerl, Schafkopp – – –«

»Kinder, hier wird nicht mit dem Vornamen angeredet, immer Respekt!«

»Komm, Fritz, du bist der einzige von uns, den die Muse geküßt hat, gib uns von deinem Spendegold.«

»Nein, ich will nicht. – Ihr lacht doch nur.«

»Dummerjahn, – natürlich lachen wir, Lachen ist gesund.«

»Nein, ich will nicht.«

»Trotzbock! Hört zu:

»Seht, wie schön die MorgenröteAus dem blauen Meere steigt,Ach, ich wollt', ich wäre Goethe,Dann hätt' ich euch was gezeigt.«

»Wunderbar!«

»Das macht dir so leicht keiner nach.«

»In Anbetracht, daß es jetzt auf den Abend losgeht und in unserm lieben Thüringen von irgend einem Meere weit und breit nischt zu sehen ist – –«

»Seht ihr, wie ihr höhnt? Rasselbande!«

»Laßt doch den Fritz in Ruh. Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen, er tut euch ja auch nichts.«

»Regt sich der Pädagoge wieder mal in dir, Elimar? Macht nichts, alter Magister. Was wären wir ohne dich? Du bist der geborene Schulrat und hältst uns in Ordnung.«

Sie saßen alle um den großen Familientisch.

»Alle Neune«. Das Kegelspiel von Rumohr: Ernst, Rose, Elimar, Fritz, Paul, Harald, Carlo, Adolf, Willy.

Rose, das einzige Mädchen unter den acht Jungens, hatte von den ganzen, ziemlich kriegerischen Unterhandlungen nichts gemerkt, – sie hatte die Finger in die Ohren gesteckt und sah und hörte nichts, sie las.

Rose las immer.

Aber jetzt war sie doch auf die letzte Seite des umfangreichen Buches gekommen, nun zog sie die Finger aus den Ohren, ließ das Buch auf den Schoß sinken und atmete tief. Ein paar leuchtende Blauaugen schauten die Brüder an.

»Himmlisch!« sagte sie.

Ernst nahm das Buch und las den Titel: »Onnen Vissen, der Schmugglersohn von Norderney«. Er strich der Schwester über den blonden Krauskopf.

»Na, Kerlchen, alte Leseratte, war's gar so schön?«

Rose nickte strahlend und noch ganz im Banne der Geschichte.

Jetzt begehrte Fritz auf.

»Du sollst sie nicht ›Kerlchen‹ nennen, Erni, du sollst nicht. ›Kerlchen‹ ist unsere Muusch, unsere einzige, goldige Muusch. – Rose ist Rose, damit basta.«

»Alter Krakeeler,« bemerkte Erni ruhig. »Nu wirst mir wohl verbieten, meine Schwester zu nennen, wie ich will, phhhh!«

»Abstimmen!« schrie Fritz, »Abstimmen, die Majorität entscheidet!«

Sie erhoben sich alle von ihren Sitzen mit den ernstesten Mienen von der Welt.

»Soll denn ›Pate‹ mit abstimmen? Dem fehlt doch noch jegliche höhere Einsicht.«

»Pate« war der fünfjährige Willy, ein stämmiges, blondes Bürschchen, das sofort in ein Zetergeschrei ausbrach, als er seinen Namen in etwas wegwerfender Weise vom älteren Bruder aussprechen hörte.

»Schämst du dich nicht, zu brüllen, Pate? Denkst du denn gar nicht an deinen Namen und seine Bedeutung?«

Willy war der siebente Junge in einer Reihe, und Seine Majestät hatte bei ihm Patenstelle übernommen. Die Fürstin Mutter gleichfalls, und so hatten die Geschwister das vornehme Bürschchen zuerst »gekröntes Haupt« nennen wollen, bis sie sich auf den Namen ›der Pate‹ einigten.

Willy holte sofort nach der Ermahnung ein zerknülltes Taschentuch von zweifelhafter Weiße hervor und trocknete seine Tränen.

»Ich will auch stimmen,« betonte er energisch.

»Na, denn los.«

»Kardinalfrage: Darf man ein anderes Menschenkind als unsere Muusch ›Kerlchen‹ nennen?«

Fritz war der Sprecher. Sein ausdrucksvolles Zigeunergesicht war sehr erregt, seine schwarzen Augen funkelten.

»Nein,« rief Rose energisch.

»Nein,« trumpfte Elimar.

»Nein, nein, nein, nein, nein!«

In den verschiedensten Klangfarben bewegten sich die frischen Kinderstimmen.

»Nee,« rief Pate. Seine Kinderfrau sagte immer »nee«, wenn sie ihm was abschlug.

»Na, dann sind wir ja einig,« meinte Ernst überlegen, »denn ich sage selbstverständlich auch ›nein‹!«

Er weidete sich an den verblüfften Gesichtern der Geschwister. »Ihr seid die Reingefallenen. Hat jemand im Ernst geglaubt, ich würde der Muusch ihren Namen nehmen? Unserer Muusch?«

»Aber denkt euch, Fräulein Kornelia findet beides schrecklich.«

»Was denn, Rosel?«

»›Muusch‹ und ›Kerlchen‹.«

»Hast du schon mal gefunden, daß Fräulein Kornelia irgend etwas an einem von uns behagt?«

»Na, an Fritz doch!«

»Richtig, an Fritz. Das hatte ich vergessen. Aber doch nur, weil er sich zum Dichter rausmausert. Sie denkt dabei an den andern Fritz, der auch dichtet.«

»Friedrich Kerntreu. Er hat wieder ein Buch herausgegeben, Muusch sagt, es sei einzig schön. Ich kam gerade herein, als sie damit fertig war; sie hatte ganz leuchtende Augen und strich so wie liebkosend über das Buch, das kann ich gut verstehn.«

Rose streichelte den »Onnen Vissen«.

»Und Muusch,« fuhr Rose fort, »sagte zu mir: ›Wenn du erwachsen bist, führe ich dich indieseWelt ein, Rose, das ist eine reine, gute, große Welt!‹ Und dann las sie mir etwas, nur ein Stückchen draus vor, ihr wißt ja, wie Muusch liest, – herrlich klang es.«

»Na, da hat also Fräulein Kornelia doch recht mit ihrer Schwärmerei?«

»Ach die!« Rosel verzog das Mäulchen. »Freilich hat sie recht. Aber wie sie das zeigt! Ellenlange Briefe schreibt sie an ihn, er soll ja solch ein guter, liebenswürdiger Mensch sein, und furchtbar ritterlich, dem es nie einfällt zu sagen: ›Lassen Sie mich in Ruhe.‹ Trulings kennen ihn ja, die haben den Eltern von ihm erzählt. Antwort kriegt sie natürlich kaum, höchstens mal 'ne Karte, aber na, ihr wißt ja, was sie mit der für'n Hokus-Pokus macht und immer schreit: ›Mein Tag ist mir verklärt!‹ Und dann setzt sie sich wieder zu einem ellenlangen Brief hin und schreibt als Postskriptum: ›Meine Seele ist immer bei Ihnen! K.‹«

»Der arme Dichter! Fräulein Korneliens Seele hat 'n Riesenumfang, er hat gewiß immer Überfracht, wenn er auf Reisen geht.«

»Hört doch auf mit dem Unsinn! Das ist alles unverständliches Zeug,« murrte Carlo. »Denkt lieber an Muuschs Geburtstag. Ist alles fertig?«

Ein mitleidig-verächtlicher Blick traf ihn aus Ernis Augen.

»Als ob wir uns mit irgend einem andern Thema beschäftigen würden, wenn nicht für Muusch alles klipp und klar wäre. Hier ist das Festprogramm, das ihr morgen feierlich überreicht wird. Also um 4 Uhr Ständchen von uns achten, vierstimmig. Hebe deine Augen auf. Ich hab mir 'ne vierte Brummelstimme dazu komponiert. Dann Ständchen vom Kriegerverein, während wir Kaffee trinken.«

»Und viel Kuchen essen,« warf Willy ein.

»Sehr richtig, Pate. Dann feierliches Hinführen von Muusch nach der Grotte im Park. Hier steigt das von Fritz verfaßte Festspiel: ›Heil dir, edelste der Muuschen‹!«

Fritz machte ein klägliches Gesicht.

»So heißt's ja gar nicht mehr. Fräulein Kornelia hat mir in dem Ding herumgefuhrwerkt, daß es gar nicht wieder zu erkennen ist.«

»Und das läßt du dir gefallen? Du als Dichter?«

»Was soll ich denn machen? Sie ist ja sonst ein ganz vernünftiges Lebewesen, aber die Lehrerinnen gewöhnen sich alle mit der Zeit so 'n dozierenden Ton an –«

»Das Festspiel wird in der alten Fassung vorgetragen,« bestimmte Erni. »Es war wunderschön und wir sind sehr stolz, weil du der einzige Dichter unter uns bist.«

»Na und was will denn Fräulein Kornelia?« brummte Elimar, »Ihre Seele ist ja doch bei Friedrich Kerntreu, und ohne Seele kann kein Mensch 'n Festspiel machen.«

Sehr richtig! Bravo bei allen Parteien. »Also: Sonnenstrahl, Mondschein und Tautröpfchen, dargestellt von Rosel, Carlo und Adolf. Könnt ihr eure Lektion?«

»Natürlich!« tönte es unisono.

»Darauf Überreichung eines Rosenstraußes von Pate, nachdem er sich vorher die Nase geputzt hatte.«

Pate »schnüffelte« und wischte sich dann energisch sein Stumpfnäschen mit dem Ärmel.

»Es hilft nichts, wir müssen ihm Knigge schenken, der Bengel hat keine Manieren.«

»Hierauf unsere neu einstudierten Gesänge: Volkslieder. Solisten: Harald und Paul. ›Gold und Silber hab' ich gern‹. ›Horch, was kommt von draußen rein‹. ›So pünktlich zur Sekunde‹. ›An jedem Abend geh' ich aus‹.«

»Harald, vergiß nicht immer den Text. Pauk ihn nochmal ein.«

»Faß an deine eigene Nase, Paul. Du weißt doch, daß du immer singst: ›So pönktlich zur Sekonde‹.«

»Zankt euch bloß nicht. Ewig hackt ihr und seid doch unzertrennlich.«

»Fräulein Kornelie sagt, es wäre eine unpassende Liederwahl für Kinder,« fiel Rose hier ein.

»Na da soll doch gleich!« Erni fuchtelte erregt mit den Armen in der Luft herum. »Es sind Vaters und Mutters Lieblingslieder. Dame Kornelie vermurkst unsere schönsten Gesänge. ›Mein Onkel ist gestorben, der dort gewohnet hat‹. Oder: ›Mir ist es so wohl, wenn der Tante bedächtig a Sträußele i hol‹.«

»Na, Erni, du kümmerst dich doch nicht drum.«

»I wo, ich singe erst recht: ›Und mir ist so sauwohl, wenn meinem Schätzele bedächtig a Sträußele i hol‹.«

»Steht es so da?« fragte Elimar erschrocken.

Die Geschwister lachten schallend.

»Nein, du altes Haupt auf jungen Schultern, das ›sauwohl‹ istlicentia poetica, dazu bestimmt, Dame Kornelia zu erziehen.«

»Weiter im Programm!«

»Volkslied mit Violinbegleitung. Elimar Violine, Adolf singt: ›Es saßen beim schäumenden, funkelnden Wein‹.«

»Ist das nun alles?«

»Na, zum Schluß quälen wir Muusch um unsere Lieblingslieder, die muß sie singen: ›In meiner Heimat, da wird es jetzt Frühling‹, ›Dort an der Ecke das alte Haus‹ und den ›Drachen‹.«

»Und dann, dann singen wir alle gemeinsam: ›Und wenn wir gehn, so gehn wir alle miteinander zusammen in Fedderns Hühnerstall hinein‹.«

»O ja, man zu!«

»Ein herrliches Lied.«

»Wenn bloß alles klappt!«

»Na, was sollte denn nicht klappen?!«

»Spaß sacht'gen! Erni könnte über einer neuen landwirtschaftlichen Maschine alles totaliter vergessen, Fritz desgleichen über einem Drama, Rose kriegt's Lampenfieber und sagt in ihrer Bedripptheit ›Des Sängers Fluch‹ her anstatt die Sonnenstrahlgeschichte, Paul macht sonst was dummes – –«

»Hör auf Li,« gebot Harald, »ehe mein edler Name dem Gehege deiner Zähne entfleucht. Du hast nett charakterisiert, das muß man dir lassen, Schulmeister, aber meinen Namen schenke ich dir.«

»Na, das sehe ich nun nicht ein,« begehrte Paul auf, »gleiches Recht für alle!«

Erni reckte sich in seiner ganzen, hübschen Größe auf.

»Silentium! Euer Oberhaupt redet.«

»Oberhaupt ist gut.«

»Maul halten! – Der heutige Tag wird also so viel wie möglich zur Einstudierung und Befestigung des Gelernten verwendet. Kleine Einzelheiten zur Verherrlichung von Kerlchen-Muuschs Geburtstag können natürlich noch ausgedacht werden. Jeder von uns, ich sage jeder, bekümmert sich außerdem darum, daß die Ausschmückung von Haus und Hof möglichst nett und programmäßig geschieht. Manchmal ist auf die Mägde kein Verlaß, Willy, du kannst ja sonst noch nicht viel tun, aber du kannst alle Viertelstunden in die Leutestube gehen und nachfragen, ob sie auch fleißig beim Kränzebinden sind, man nennt das ›anpurren‹. Hast du mich verstanden, Pate?«

»Jawohl, Erni. Soll ich jetzt gleich gehen?«

»Das kannst du!«

Willy steckte beide Händchen in die Hosentaschen, um sich ein besseres Ansehen zu geben. »Muusch« konnte das zwar für den Tod nicht leiden und hatte sogar einmal »in einem Anfall von Tobsucht«, wie Erni sich ausgedrückt hatte, sämtliche Taschen sämtlicher Jungens zugenäht, aber das waren vergangene Zeiten, und Willy wollte eben jetzt den Dienstboten imponieren. In der Milchkammer stieß er auf »Male«, die nicht gerade seine Freundin war, weil er im Verdacht stand, mit dem Zeigefinger in Rahmtöpfe zu tunken.

»All wieder in der Milchkammer, Pate?«

Er steckte die Hände noch tiefer in die Taschen.

»Fragen will ich, ob ihr Kränze bindet.«

»Wozu?«

»Na zu Muuschens Geburtstag.«

»Herr du meines Lebens, da fragst du jetzt danach? Die wirden scheene de Keppe hänge lasse, de Blimechens, wann mer se jetzt abrupfe wollte. Na, das machen mer ahms, immer ahms oder nachts, – vor de Frau Baronin ist uns nischt zu viel.«

Willy ging weiter.

Trinchen Lebrecht, die Kuhmagd, schichtete gerade weißen Käse auf und sang:

»Ich lag im Garten und schlief.Da kam ein Engel und rief:Kathrinchen, du sollst auferstehnUnd sollst bei deinen Liebsten gehn.«

»Trinchen, kannst du bitte mal deinen Mund zuklappen?« bat Willy. Er fürchtete sich ein wenig; sie hatte eine mächtige Stimme und einen mächtigen Mund, der sich riesenhaft auftat. Sie schnappte gehorsam ab, was sehr komisch klang, und sah das Bürschchen fragend an.

»Bindest du Kränze?«

»Nee, ich mach' Käse.«

»Du sollst aber Kränze binden.«

»Wer sagt en das?«

»Erni.«

»Ich bin nich bein jungen Herrn in Lohn und Brot, und jetzt bleib'ch bei'n Käse.«

»Aber Muusch hat doch Geburtstag, und es darf nicht vergessen werden.«

»Na nu schlägt's dreizehn! Will mir dies Birschchen sagen, daß ich meiner Baronin ihren hohen Geburtstag nicht vergesse, allo marsch naus, um Mitternacht frag' wieder nach.«

»Wann ist Mitternacht?«

»Quatschjendolmes! Wann's zwelfe schlägt.«

Willy trabte weiter.

Die Obermamsell rechnete gerade mit dem Milchmann, sie hatten beide heiße Köpfe, denn das Buch stimmte nicht.

»Bindet ihr Kränze?« fragte Willy.

»Dreiundzwanzig, sechsundzwanzig, vierunddreißig, zweiundvierzig – – –«

»So viel?« fragte Willy, »aber wo sind sie?«

»Fünfzig, sechsundfünfzig – – –«

»Ob ihr Kränze bindet – – –«

Die beiden Beschäftigten sahen sehr rot und zornig den Störenfried an.

»Was willst du?«

»Ob ihr Kränze bindet – –?«

»Na nun bin ich glücklich aus dem Text. Kränze? Für wen denn?«

»Für unsere Muusch!«

»Da brauchst du uns doch nicht zu erinnern, – na ich sag's ja, ausgerechnet das Nestküken kommt und will mahnen, – nun geh man zu, wohin du herkommst – – dreiundzwanzig, sechsundzwanzig, vierunddreißig, zweiundvierzig –«

Willy rannte zu Erni, den er beim Gärtner fand.

»Die Mamsell hat schon zweiundvierzig Kränze mit dem Milchmann gebunden,« berichtete er atemlos.

Erni machte ein ungläubiges Gesicht.

»Sonne Dämlichkeit! Es sollte doch erst heute abend geschehn – da mußt du nachher nochmal nachsehn, Pate, ich selbst hab' absolut keine Zeit.«

»Jawohl, Erni! Nach 'ner Viertelstunde und denn um Mitternacht,« nickte der gewissenhafte Willy und trabte davon. Er stellte sich vor die große Uhr am Ökonomiegebäude und verfolgte aufmerksam die Zeiger und ihr Fortschreiten.

Nach dem Abendbrot kam für das Elternpaar Rumohr, sowie für das Kegelspiel erst das eigentliche Beisammensein, das gemütliche »nüßlern«, wie der Gutsherr die innige Aussprache mit seiner Familie zu nennen pflegte.

Fritz von Rumohr, der schöne, stattliche Hausherr, ging, die Hände auf dem Rücken, in dem großen, behaglichen Wohnzimmer auf und ab.

Sein tiefschwarzes Haar war an den Schläfen leicht ergraut, aber die dunklen Augen blitzten jung und lebhaft über sein »Hümpelchen« hin, das da auf dem breiten, großen Familiensofa »runkste«. Der Mittelpunkt des Hümpelchens war im Dämmerschein des Juliabends nicht recht zu erkennen, man konnte ihn nur erraten, da Erni den freundschaftlichen Vorschlag machte:

»Muusch, wenn wir dich totdrücken, sag' bitte ›piep‹.«

»Piep«, sagte jetzt Kerlchen-Muusch auch, stand plötzlich in ihrer ganzen Größe auf, so daß etliche Quälgeister auf den Boden rutschten, worüber alle, Kerlchen am hellsten, in ein lautes, fröhliches Lachen ausbrachen. Wie es unverändert war, das Mütterchen des Kegelspiels. Kein Fältchen auf der Stirn, in die das Haar noch immer in braunen Locken fiel, welche manchmal mit lebhafter Handbewegung fortgestrichen wurden.

Kerlchen schien tatsächlich unverändert, und wie es jetzt mit einem halb traurigen, halb lustigen Schelmengesicht noch einmal »Piep« sagte, weil Adolf Miene machte, an seiner Muusch in die Höhe zu klettern, sah es aus, wie die älteste Schwester der frohen Schar.

Der Gutsherr kam lachend zu Hilfe.