Kerlchen als Anstandsdame - Felicitas Rose - E-Book

Kerlchen als Anstandsdame E-Book

Felicitas Rose

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Beschreibung

Wie es im Leben von Kerlchen weitergeht ... ... Mich weckte ein eiskalter Luftzug und hastig fuhr ich empor. Verwirrt sah ich um mich. Es war heller Tag. Man hatte den Schaukelstuhl mit mir zusammen in eine Ecke geschoben, ohne daß ich auch nur das Geringste gemerkt hatte. Das Zimmer war sauber aufgeräumt, Felix' Bett war leer, ebenso das Sofa, auf dem Gisela geruht; neben der Korbwiege, die mit einer Rollschutzwand umgeben war, stand eine kleine Badewanne, die wohl schon ihre Dienste getan hatte, denn Kleinchen war wieder eifrig mit Trinken beschäftigt, und beide Fensterflügel standen offen, um die frische Winterluft hereinzulassen. Mit dem Rücken nach mir zu saß der Doktor, eine Menge Briefschaften lagen neben ihm, und eben studierte er ein Telegrammformular. Dann stand er auf, um die Fenster zu schließen, und ich wollte ihm gerade den Gutenmorgengruß leise zurufen, als Hartwig eintrat. War es Hartwig? Oder nicht vielmehr ein alter, gebeugter, grauhaariger Mann, dessen geisterhaft blasse, gramverzerrte Züge das grelle Tageslicht unbarmherzig beleuchtete? Der Doktor ging auf ihn zu und rüttelte ihn. »Herr des Himmels, Mann, Herr von Hartwig, wie sehen Sie aus? Sie wüten ja gegen sich selbst, Sie müssen daran denken, daß Sie noch Pflichten haben - gegen andere - gegen Ihre Kinder - « Hartwig regte sich nicht, er starrte geradeaus, und seine Augen waren schreckhaft weit geöffnet, als sähen sie durch die Wand hindurch - in etwas Furchtbares hinein. »Hier ist Ihr Kind,« fuhr der Doktor fort und zog ihn mit energischem Griff zu dem Bettchen hin. »Frau Inges heiliges Vermächtnis für Sie! Schauen Sie das liebe Ding doch wenigstens an, an, versündigen Sie sich nicht, es kann noch ein Segen für Sie werden.« Ein qualvolles Aufstöhnen war die Antwort. ...

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Kerlchen als Anstandsdame

Kerlchen als AnstandsdameKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Impressum

Kerlchen als Anstandsdame

Aus der Romanreihe "Kerlchen" – Band 5

Felicitas Rose

Kapitel 1

Brief von Bümi an Kerlchen

Mein liebes, kleines, dummes, dreimal vernageltes Kerlchen!

Bitte besieh Dir genau den Briefumschlag, es klebt eine Zwanzigpfennigmarke drauf, und das will bei den schlechten Zeiten viel sagen. Es herrscht in S. eine gar zu gesunde Luft, es ist geradezu ein Grab für einen Arzt mit Frau und –, na, also vorläufig mit Frau. Nicht die kleinste Seuche zeigt sich am Horizont, niemand bricht sich Arm oder Bein, trotzdem das Pflaster miserabel ist und Franz sich in der Stadtverordnetenversammlung auch gegen die Erneuerung ausgesprochen hat, – aus guten Gründen.

Selbst die Influenza macht »Halt« vor den Toren unserer Stadt, während sie im Weichbilde der nächsten herumwütet, wie nicht gescheit.

Es ist eine hungrige, elende Zeit, (verzeih, ich muß eine Pause machen, die Paketpost hält vor der Tür, und die Olsch schickt mir eine Kiste mit Wurst, Speck und Spickgans) – – – –

Also wo war ich stehn geblieben? Richtig – es ist eine hungrige, elende Zeit. Beim Aufwachen höre ich von Franz anstatt »Guten Morgen!« schon immer »Sparen, sparen,« na und das tue ich ja auch.

Weshalb ich Dir diese Jammerepistel sende und mir dazu vom Etat zwanzig Pfennige abknapse?

Um Dir Deine Verbohrtheit, Deinen Leichtsinn, Deine Unüberlegtheit recht ins Gemüte zu führen, Du dummes, dummes, liebes, ideales Goldkerlchen!

Eben fährt wieder Herr von Borby vorbei, an unserm Hause läßt er immer noch ein bißchen langsamer fahren, damit ich ja auch richtig sehe, wie satt und fett er im Fond sitzt.

»So hätte es deine Cousine auch haben können,« sagt jede Miene seines Gesichts. Auf dem Platz, an seiner Seite, wo Du dummes Kerlchen eigentlich sitzen solltest, sitzt jetzt sein greulicher Hund, den Du ob seiner Rassenunreinheit: »Pinscherteckelterrierspitzchen« getauft hattest.

Findest Du es nicht riesig geschmacklos, ein heilig angetrautes Weib durch einen Hund zu ersetzen?

Onkel Liskow soll gesagt haben:

»Weil der Borby das Kerlchen nicht gekriegt hat, ist er gleich auf den Hund gekommen. Kerlchen, im Ernst, – glaubst Du, daß Dir Dein Idealismus eine Bohne nützen wird? Ich hätte mir Dein vornehmes und manchmal doch recht hochmütiges Gesichtchen so herrlich vorstellen können im Borbyschen Landauer, Du würdest mich dann immer abholen zum Spazierenfahren, und Dein Greuel von Mann ließen wir zu Hause.

Mindestens paßt Du nicht zur »Stütze«, – Kerlchen, ich könnte heulen, wenn ich dran denke, daß Du in »Stellung« bist und »Fräulein« heißt. So ein lieb Ding, wie Du bist! So 'ne söte Deern! Son lütten Katteiker! Der liebe Gott selbst muß ja seine helle Freude an Dir haben und hätte gewiß den alten Borby rasch zu sich genommen, wenn Du damals »ja« sagtest.

Kerlchen, Du warst am Ende doch 'n Schaf.

Und Fritz von Rumohr ist auch eins.

Denk blos, – er hätte in Berlin ein steinreiches Mädel haben können, hübsch und gut gewachsen dazu (Fräulein von Strand deutete ja neulich auf der Taufe von Luttewetes Kindchen schon so etwas an), aber als ihre Eltern, weil sich ihre verzogene Einzige nun mal den hübschen Kerl in den Kopf gesetzt hatte, mit Taschentraualtar und gezücktem Segen auf ihn losgegangen sind, ist er reineweg zum Eiszapfen geworden, sodaß sie wieder stoppen mußten.

So ein Unsinn! Was will er denn?

Von seinem Jammergehalt darbt er sich das Nötigste ab, um die Ehrenschuld seines Vaters zu bezahlen. Das klingt ja wunderschön, und der Mensch sieht ja auch »hungrig« viel interessanter aus, als »satt«, aber der Rumohr sieht ohnedies schon »berückend« aus und soll nicht noch vollends unsere Mitschwestern mit seiner »Interessantigkeit« verrückt machen.

Sagtest Nu was, Kerlchen?

Natürlich nicht. Aus Dir wird man nie klug. Wärst Du aber vernünftig gewesen. Du unvernünftiges Kerlchen, dann hättest Du zu Borby »ja« gesagt, wärst, anstatt »Stütze der Hausfrau«, Stütze dieses alten, wackligen Hausherrn geworden, bis er sanft »entschluf«, Dich zur Erbin seiner Millionen machte, mit denen Du nach angemessener Frist den Rumohr beglücktest. Wäre das nicht ein herrlicher Romanschluß gewesen? So lach' doch, Kerlchen, lach' doch! Sieh nicht so furchtbar ernst drein, ich sehe ja Deine großen, erschrockenen Kinderaugen bis hierher leuchten.

Du kennst doch Deine Bümi! Weißt doch, daß sie zu Dir hält, daß sie Dich versteht so ganz, und gar!

Gelt, viel lieber hungern allein oder mit einem geliebten Menschen, als prassen mit einem verhaßten Manne um der Versorgung willen! Da fährt er wieder vorbei, der Protz, der es wagte, auch nur zu denken, – daß Kerlchen,unserKerlchen, – könnte, würde – – ohhh. Lang, lang strecke ich ihm die Zunge hinaus (ich habe das so prachtvoll von Dir gelernt), hinter dem Vorhang allerdings (leider muß ich auf Franzens Stellung Rücksicht nehmen), – noch länger, denn Borby lächelt und grinst zu uns herauf, – Kerlchen, mir ist ganz schlecht geworden, aber ich habe Dich gerächt. – – –

Schreibe mir genau Deine neue Adresse.

Deine Frau von Altenhof ist sogar hier bekannt. Sie soll mehr als wunderlich sein und mir bangt um Dich.

Gott befohlen, Gott befohlen!Deine treue Bümi

Kapitel 2

Aus Kerlchens Tagebuch

Altenhof, im November 18..

Wieder ein anderes Heim, wieder andere Menschen!

»Das Wandern ist des Müllers Lust, das Wandern.« Aber der Müller, der das gedichtet und der Schubert, der das gesungen, haben sicher was anderes damit gemeint. Das Wandern der Stützen ist nicht lustig.

Kerlchen, tapfer!

Das Wort rufe ich mir zu im Wachen und im Traum.

Ach Mädels, Mädels, wenn ihr wüßtet – wenn ihr euch so warm einmuschelt bei Vater und Mutter – – wie man draußen friert – –

Pfui, Kerlchen, ich glaub, du heulst.

I wo, nicht doch! Das tut nur so 'n bißchen weh – – Kopf hoch, tapfer!

Ich hab ja auch nicht rechte Ursache zum Klagen, hab es auch nach dem Hammerhäuschen wieder ganz gut getroffen, habe »mehr Glück, als Verstand«, wie Fräulein von Dewitz mir noch zum Abschied zurief.

Aber arg einsam ist's hier, und nicht viel Arbeit scheint es hier zu geben, das ist nix für Kerlchen. – –

Ich war schon einen halben Tag in Altenhof und hatte von den Schloßbewohnern überhaupt noch niemand zu Gesicht bekommen, das gab schon von vornherein ein eigentümliches Gefühl der Verlassenheit, ich wußte weiter nichts, als daß ich, wie Fräulein von Dörrberg mir sagte, »Frau von Altenhof« eine »Stütze« sein sollte, und dem Schlosse »Sonnenschein«. Nun stand ich da mutterseelenallein in einem düsteren Prachtzimmer und kam auf die dümmsten Gedanken, die ja bei mir schon so wie so locker sitzen.

Fünfzig Mark monatliches Gehalt soll ich hier bekommen, das macht fünfundzwanzig Mark fürs Stützen und fünfundzwanzig Mark für 'n Sonnenschein.

Himmel, wenn's nun nicht reicht? Wenn ich nun nicht so viel inwendig drin habe? Bedenk Kerlchen,monatlich!

Ich werde sehr sparsam mit meinem Gehalt sein, falls ich wieder was rausrücken muß.

Fünfzig Mark ist rasend viel Geld für ein Siebzehnjähriges, ich glaub' nicht, daß ich genügend dafür leiste. Das waren so meine Gedanken.

Vielleicht waren sie dumm, vielleicht auch nicht, bei mir weiß man sowas nie genau. Ein zweites unangenehmes Gefühl erweckte in mir das Buch, das auf meinem Nachttischchen lag. Ich war's von Jugend an gewöhnt, das neue Testament da liegen zu sehen, aus dem ich jeden Morgen wunderschöne Sprüche las.

Und was lag nun darauf?

»Der gute Ton in allen Lebenslagen.«

Ich sagte nur »au!« als ich den Titel las, denn ich fühlte den Hieb beinahe körperlich. Ordentlich ein bißchen böse wurde ich auf Fräulein von Dörrberg, die entschieden geschwatzt haben mußte.

Aber was nun?

Totenstille im ganzen Schlosse.

Ich fing schon an kribbelig zu werden. Jeder Mensch wird verstehen, was ich meine. So am kleinsten Ziebchen (wie wir Thüringer sagen) beginnt es und im Kopf endet es schließlich mit »wütend werden« und »loshauen«.

Aber ich tat keins von beiden, ich muß mich ja täglich, stündlich und minütlich bemühen, Liebe, Güte, Sanftmut u. s. w. in mir aufzuspeichern, damit ich monatlich für fünfundzwanzig Reichsmark Sonnenschein abgeben kann.

Und so tat ich das Dritte, ich zog an der Klingelschnur, die an der Türe hing.

Daß es so etwas wie Sturmläuten wurde, dafür konnte ich nicht, ich bin eben ein kräftiges Mädel.

Ich stellte mich wartend an das Fenster, dessen Vorhänge ich weit, weit zurückschob, obgleich es nichts nützte, denn das Zimmer blieb so katakombenhaft, wie vorher.

»Kerlchen, Kerlchen, wie soll das hier mit dir werden?« dachte ich kopfschüttelnd, und zentnerschwer fiel die mich umgebende Einsamkeit auf mein Herz.

»Fräulein hat geklingelt?« fragte eine flüsternde Stimme, und wie aus der Erde gewachsen stand ein Bedienter neben mir, – schwarz, schattenhaft, wie einer von der heiligen Feme.

»Donnerwetter,« fuhr ich ihn an, »da kann man ja den Tod davon haben, können Sie denn nicht anklopfen?«

»Ichhabegeklopft!« (Dies wieder im leisesten Flüsterton gesagt.)

»Sind Sie heiser?« fragte ich.

Abwehrende Handbewegung.

»Na dann reden Sie auch ordentlich und wandeln Sie nicht so weich wie auf Wiesen im Wonnemond! Ist jemand krank oder tot im Schlosse?«

Kopfschütteln.

»Ich wünsche Frau von Altenhof zu sprechen!«

Das war recht laut und kräftig gesagt, der Diener knickte nervös zusammen und verschwand lautlos, wie er gekommen.

Gleich, nachdem er gegangen, untersuchte ich die Tür, – nein, sie ließ sich mit dem besten Willen nichtzuschlagen, trotzdem ich zuletzt »Fangball« damit spielte.

Die absatzlosen Lackschuhe des Dieners tauchten wieder neben mir auf, er flüsterte: »Frau Baronin weiden gleich selbst kommen,« ich nickte gönnerhaft und erwartete nun ehrbar das Erscheinen meiner neuen Herrin.

Endlich kam sie, auch schattenhaft, – lautlos. Ich habe wirklich kaum in meinem Leben ein so verblüfftes, wirklich erschrockenes Gesicht gesehen, als das ihre war beim Anblick meiner kleinen Persönlichkeit.

Sie zog mich zum Fenster, schob die Vorhänge noch ein wenig mehr zurück und rief mit allen Zeichen des Schreckens:

»Aber Sie sind ja ein Kind!«

Ich fand es etwas beleidigend von ihr, obgleich es ja wonnig ist, Kind zu sein, aber ich war doch schon über ein Jahr »Fräulein« genannt worden.

»Wie alt Sind Sie?«

»Siebzehn Jahr.«

»Mein Gott, mein Gott, was hat sich die Dörrberg nur gedacht?«

Die Baronin sah ganz unglücklich aus, und ich überlegte im Stillen, ob es hier Wohl eine Schande sei, sehr jung zu sein.

»Was hat Ihnen denn Fräulein von Dörrberg gesagt?«

»Ich sollte hier »Stütze« sein und »Sonnenschein«, aber ich kann ja auch wieder gehen, wenn es nicht richtig ist.«

Ich schluchzte weh auf.

Stelle sich mal einer so hin und lasse sich begucken und dann für nicht voll ansehen.

»O, o, so war's nicht gemeint,« die Dörrbergen hat gewiß Gutes im Sinn gehabt, aber es ist ein Mißverständnis – – ich – ich suchte eine Dame.«

»O, eineDamebin ich! Meine Stumpfnase reckte sich in die Luft, ganz, ganz hoch. Mein Vater war Oberst und Regimentskommandeur, und meine Mutter ist eine geborene Freiin Cronshagen aus dem Hause Mühlenweg.«

»Der Tausend!« sagte sie spöttisch. »VonderSeite hat Sie ja die Dörrberg gar nicht geschildert. Also hochnäsig? Schade! Ich sehe nämlichgar nichtauf diesen äußeren Tand, bei mir gilt derMensch« – – –

Ich schämte mich furchtbar. Rasch nahm ich ihre Hand und küßte sie.

»Verzeihen Sie mir,« bat ich, »es war zu dumm von mir, ich meint' es nicht eigentlich so greulich, wie ich mich ausgedrückt habe. Soll ich nun gleich wieder gehen?«

Auf ihrem Gesicht erschien ein gütiges Lächeln.

»Nein, nein, nicht gleich. Aber ich kann Ihnen nicht verhehlen, ich suchte für mein Haus etwas ganz anderes, – ich suchte eine Anstandsdame.«

»Eine Anstandsdame,« rief ich erschrocken, »ist denn jemand bei Ihnen unanständig?«

Na, da hatte ich ja nun natürlich wieder ins Fetttöpfchen getreten, es tat mir rasend leid.

Sie wendete sich rasch von mir fort, und ich sah, wie sie den Kopf schüttelte in vollster Ratlosigkeit. Ich war fest entschlossen, gleich wieder fortzugehen, da drehte sie sich rasch um.

»Ich habe eine verwaiste, siebzehnjährige Nichte bei mir, Wera von Altenhof, die mit Herrn von Rhoda auf Groß-Rhoda verlobt ist. – Für sie suchte ich eine ältere Dame, die mit dem Brautpaar spazieren gehen und sich außerdem mit Wera nutzbringend beschäftigen sollte.«

Wieder sah ich beschämt zu Boden.

Frau von Altenhof sah mich so merkwürdig an; wahrscheinlich hatte sie nicht das geringste Vertrauen, daß ich überhaupt imstande sei, mich nutzbringend zu beschäftigen, und weshalb sie noch eine Dame für das Brautpaar brauchte, war mir überhaupt nicht klar, –daskonnte doch wahrhaftig allein gehen.

»Nun man kann's ja doch immerhin probieren,« sagte die Baronin endlich mit einem tiefen Seufzer wie zu sich selbst. »Es kommt ja schließlich darauf an, wie Sie sich mit Wera stellen; wen sie lieb gewinnt, für den geht sie durchs Feuer, und schließlich – die veränderte Sachlage wird ihr Wohl behagen. Ich bin auch des Suchens müde, denn ich bin mißtrauisch geworden, ach, sehr mißtrauisch. Ich hatte auf die vorige Dame Häuser gebaut, und dann ging sie mit meinem Verwalter durch.«

»Pfui Deubel,« entgegnete ich ausdrucksvoll.

Die Baronin hatte Wohl noch mehr sagen wollen, aber nun schnappte sie ab.

»Heinrich wird Ihnen nachher melden, daß das Essen serviert ist, bis dahin sind Sie Ihr eigener Herr!«

Sie sprach es, wie das Vorangegangene, flüsternd, leise, ich versank in einem Hofknicks, und sie entschwebte lautlos, schattenhaft wie ein Spuk. Die Tür aber sagte weder »bum« noch »klapp«, einfach unheimlich war's.

O, wie sehnte ich mich nach den lustigen, lauten Stimmen von Munke, Bümi und Luttewete! Ja selbst eine Reichstagsrede von Tante Hedwig würde erfrischend in diesen Räumen wirken, aber die Baronin würde der Schlag treffen, wenn man ihr diese meine Verwandtschaft auch noch meuchlings vorsetzte.

Und nun, wer in aller Welt war diese Wera, von der mir Fräulein von Dörrberg auch nicht einen Ton gesagt hatte? Mißmutig und aufgeregt lief ich planlos in meinem Zimmer umher.

Wenn ich gewußt hätte, ob ein Klavier im Hause sei, o, dann hätte ich nach weiter gar nichts auf der Welt verlangt – aber wie sich zurechtfinden in dem Riesenbau?

Die Einsamkeit wurde mir so unheimlich, daß ich laut zu reden anfing, indem ich dreimal »Kerlchen« sagte, – wirklich es half, und da probierte ich meine Stimme stärker und sang, – – huh, wie es von den Wänden hallte: »In meiner Heimat da wird es jetzt Frühling!«

Gleich darauf schrak ich zusammen, die Tür war wieder aufgegangen, das Klopfen hatte ich wohl überhört, schwarz und schattenhaft stand der Diener in der Öffnung und sah mich vorwurfsvoll an.

Ich stand wie ein ertappter Verbrecher da, sagte keinen Ton, und er verschwand, wie er gekommen.

Aber nun kam ein ehrlicher Zorn über mich. Ich war ja doch nicht ins Kloster gegangen, – ich sollte ja Sonnenschein abgeben, und das konnte ich nicht, wenn ich ebenso stumm einherwandelte und Trübsal blies, wie die Menschen hier. Ich beschloß, auf Entdeckungsreisen auszugehen und vor allen Dingen ein Instrument auszukundschaften. Hei, dann sollte mein geliebter Beethoven ein lautes Wort dreinreden und Vater Bach ein sehr energisches, ach, und Brahmssche Lieder wollt' ich singen –

Aber in den lauten Hackenschuhen könnt' ich unmöglich über Treppen und Gänge klappern, die hieß es zu allererst mal ausziehen; in Strümpfen würde sich dann das Weitere finden.

Und als ich die Schuhe erst mal in der Hand hielt, kam eine köstliche Unternehmungslust über mich und mit ihr die übermütigste Fröhlichkeit.

Wahrhaftig, jetzt weiß ich selber nicht mehr, wie's kam, aber ich warf beide Stiefeln gegen die braune Flügeltür, daß es nur so krachte. Es war eine selige Erinnerung an die Buchenwalder Zeit, wenn Onkel und Tante es ebenso machten, damit Ruhe im »Jungfernzwinger« sein sollte.

Wieder öffnete die Tür sich lautlos, und das Gesicht des Dieners war ganz blaß, aber diesmal ließ ich mich nicht einschüchtern, meine Zunge flog so blitzschnell gegen ihn hinaus, daß er vor Entsetzen das Schloß hart einschnappen ließ, wirklich laut und hart, wie es hier wohl seit Jahrzehnten nicht mehr gehört worden war.

So, und nun los!

In Strümpfen eilte ich hinaus, niemand war draußen zu sehen, ich schlich den Gang entlang und öffnete sacht jede Tür, welche in ihn mündete, aber überall starrten mir leere Wände oder Bücher entgegen.

Nun gings eine zweite Treppe hinab zu den eigentlichen Wohnräumen der Frau von Altenhof, die ich bereits gesehen hatte, ich huschte an ihnen vorbei und stand nun vor einer Riesenflügeltür, hinter der ich mit Recht auch einen Riesensaal vermutete.

Eiskalte Luft schlug mir entgegen, eine mächtige Halle tat sich auf, Ritter und Edelfrauen schauten von den Wänden nieder, und ich nickte ihnen zu.

»Felicitas Schlieden-Kerlchen«, stellte ich mich übermütig knicksend vor, »bitt' schön, haben Sie vielleicht ein Klavier hier?«

Die meisten derer von Altenhof würdigten mich keiner Antwort, aber ein junger, schöner Ritter im braunen Spitzbart zeigte mit seiner Hellebarde freundlich lächelnd zur Seite und richtig – – hurra!

Jubelnd stürzte ich auf den Konzertflügel zu, in solcher Größe hatte ich ihn hier nicht vermutet. Er war verschlossen, aber das kümmerte mich nicht, der Schlüssel ließ sich leicht herumdrehen, und dann – – –

Erst waren meine Hände leicht präludierend über die Tasten geglitten, o der süße, volle Ton, die edle Klangfarbe, – selbst Meister Johannsens Flügel war nicht zu vergleichen mit diesem herrlichen Instrument.

Kein Mißklang in den Saiten, es war, als habe ein großer Künstler eben seinen Lieblingsplatz verlassen, – o und es hatte doch, nach dem dicken Staub zu urteilen, schon lange, lange niemand mehr die Tasten berührt.

Kraftvoll setzte ich ein.

Mächtig hallte Beethovens Sonate pathétique von den Wänden wider, wie Orgelklang zog es durch den weiten Raum.

Und wie auf Kommando war auch der Diener wieder da. Jetzt erst kommt es mir so recht zum Bewußtsein, wie unerhört er wohl mein eigenmächtiges Benehmen gefunden haben muß, er ließ es auch nicht mehr bei vorwurfsvollen Blicken bewenden, seine Stimme klang ärgerlich zu mir herüber: »Es ist serviert!«

Aber Beethoven übertönte ihn. Wer mag wohl an Hunger denken, wenn er bei Beethoven ist, das Kerlchen sicher nicht. Ich sah nichts mehr um mich her, es kümmerte mich nicht, ob der Diener im Saal blieb oder hinausgegangen war, die Gegenwart versank, – mein Vaterhaus tauchte auf und leuchtete mir entgegen, wie ein Bildchen auf Goldgrund gemalt, und dann zogen sie alle vorüber, alle, die das Kerlchen lieb hatten, mein Väterchen zuerst, das liebe, unvergessene, und den Beschluß machte Chrisli, mein kleiner Herzensliebling.

Wie das Adagio rauschte und wogte, wie seine Töne sich geheimnisvoll mit leisen Stimmen verbanden, die in diesem hohen Saale wohnten und schliefen, die nun erwacht waren und wunderbar mitklangen in den Melodien des großen Meisters. Als ich die Hände von den Tasten nahm, war es fast ganz dunkel im Saal.

Ich blickte um mich und erschrak, denn aus der Dämmerung leuchtete mir eine grellrote Schleife entgegen, und die Gestalt, die sie schmückte, kauerte neben Frau von Altenhof und weinte, – ja, weinte fassungslos. Dann erhob sie sich plötzlich und ging hinaus, ohne daß ich ihre Züge gesehen hätte.

Ich stand mit klopfendem Heizen vor der Schloßherrin, ich schämte mich meines Eindringens in diese Räume, zugleich stieg ein grenzenloses Weh in mir auf, eine tiefe Sehnsucht nach Heimat und Liebe.

Da erfaßten mich zwei Hände, und eine gütige Stimme sagte:

»Gott segne Ihren Eingang – Kerlchen!« Am nächsten Tage, nach einer sehr unruhigen Nacht, während welcher alle Ahnen der Altenhofer aus ihren goldenen Rahmen stiegen und mich besuchten, was etwas sehr Unheimliches für mich hatte, stand Frau von Altenhof in meinem Zimmerchen, als ich Briefe nach Hause schrieb – – nach Hause! Wo ist denn dein Zuhause, heimatloses Kerlchen? Es war erst fünf Uhr früh, aber ich war gestiefelt und gespornt, und mein knurrender Magen führte schon seit einer Stunde eine gar liebliche Musik auf.

»Frühaufchen!« nickte mir die Baronin zu. »Das ist eine liebe Entdeckung! Wenn Sie dieses Talent auch bei Wera zu erwecken suchten, wäre ich von Herzen dankbar. Aber nun soll Ihnen auch jeden Morgen um fünf Uhr spätestens das erste Frühstück serviert werden, oder wollen Sie es bei mir in meinem Zimmer einnehmen?«

Ich dankte in ruhigem, verbindlichem Tone, denn ich hatte am Abend vorher mindestens zwanzig Seiten im »Guten Ton in allen Lebenslagen« studiert und saß bis obenhin voll Anstandsregeln wie der Hund voll – – o Himmel, ich meine natürlich, wie der Esel voll grauer Haare.

Die Baronin nahm mich nun gleich mit in ihr Zimmer, und während wir das Frühstück verschmausten, mußte ich ihr ununterbrochen von meinem früheren Leben erzählen, wobei sie immer gütiger und freundlicher wurde, und ich immer hungriger.

Als ich aufstand, setzte mein Magen seine Musik fort, und zwar war er jetzt beim Presto agitato angelangt. Ein Hauptparagraph im »Guten Ton« sagt nämlich, daß ein junges Mädchen aus guter Familie sich nicht »sättigen« darf und nun vollends eine »Anstandsdame«, die muß von Luft und Liebe leben.

Ich ziehe eigentlich Eier und Schinken vor. Um acht Uhr begaben wir uns in das Zimmer von Fräulein Wera von Altenhof, d. h. an das Zimmer, denn es war verschlossen und verriegelt.

»Nicht um die Welt lasse ich Euch 'rein,« rief eine laute Stimme von drinnen. »Mir ist gesagt worden, ich hätte drei Wochen Anstandsferien, die sind erst morgen um. Eher mache ich nicht auf. Wo ist Heinrich, mein Rabe? Ich will Frühstück haben und die Postsachen!«

»Keine Torheiten, Wera,« flüsterte die Baronin an der Türspalte, »du wirst sofort öffnen!«

»Ich verstehe kein Wort, Tante Lisbet, die Türen schließen famos, du mußt brüllen wie ich!«

Die Baronin zuckte ratlos die Achseln, und wir wollten eben wieder abschieben, da wurde die Tür vorsichtig geöffnet, und ein Auge lugte durch die Spalte. Nach einer Weile schob sich die Tür weiter auseinander, und eine hochgewachsene, schlanke junge Dame im weißen Spitzenmorgenrock stand vor uns.

»Alle guten Geister,« rief sie, »was heißt das?«

»Ich bringe dir Fräulein Felicitas Schlichen, es wäre wohl schicklich gewesen, wenn du ihr den Willkommengruß geboten hättest.«

»Machst du Jux, Tanteli, oder redest du im Brustton der Überzeugung?Dassoll Fräulein Schlieden sein, meine – meine Anstandsdame? O ich ersticke!!!«

Sie lachte so laut und unbändig, daß die Baronin das Feld räumte, wahrscheinlich um nicht wankelmütig in der Pädagogik zu werden. Mich aber zog Wera an beiden Händen in ihr Zimmer, drehte mich rundum und lachte weiter.

Was sollte ich tun? Sie gefiel mir auf den ersten Blick, und so lachte ich mit, planlos und schallend.

»Na, Gott sei Dank,« sagte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen, »Sie scheinen ausnehmend vernünftig zu sein. Aber nun erst mal erklären – wie, wo, warum, woher du kamst der Fahrt und wie dein Nam' und Art.«