Wien Sleef, der Knecht - Felicitas Rose - E-Book

Wien Sleef, der Knecht E-Book

Felicitas Rose

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Beschreibung

Ein Tagebuchroman aus der norddeutschen Heimat der Schriftstellerin. Ihr Leben verbrachte Felicitas Rose an wechselnden Orten vor allem in Nord- und in Mitteldeutschland;

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Wien Sleef, der Knecht

Felicitas Rose

Inhalt:

Felicitas Rose – Biografie und Biografie

Wien Sleef, der Knecht

Wien Sleef, der Knecht, F. Rose

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849634131

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Felicitas Rose – Biografie und Biografie

Deutsche Schriftstellerin, geboren am 31. Juli 1862 in Arnsberg, verstorben am 18. Juni 1938 in Müden (Örtze). Eigentlich Rosa Caroline Mathilde Emma Schliewen. Tochter eines Postbediensteten, der oft den Wohnort wechseln musste (u.a. Potsdam, Erfurt, Leipzig und Berlin). 1884 heiratet sie ebenfalls einen Angestellten der Post. Von 1914 bis 1930 lebte sie hauptsächlich in Berlin. 1930 zieht sie nach Müden, wo sie das „Haus Ginsterbusch“ gekauft hatte und gleichzeitig im Hotel "Kaiserhof" wohnte.

Wichtige Werke:

Die Eiks von Eichen (1910)Drohnen (1912)Pastor Verden (1912)Meerkönigs Haus (1917)Das Lyzeum in Birkholz (1917)Der Mutterhof (1918)Der Tisch der Rasmussens (1920)Der graue Alltag und sein Licht (1922)Erlenkamp Erben (1924)Die Erbschmiede (1926)Der hillige Ginsterbusch (1928)Die Wengelohs (1929)Das Haus mit den grünen Fensterläden (1930)Die vom Sunderhof (1932)Wien Sleef, der Knecht (1933)Die jungen Eulenrieds (1937)

Wien Sleef, der Knecht

I.

Sleefkamp, den 24. Dezember 19 ..

Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Wien Sleef sitzt vor dem alten Folianten und soll ihn »weiterführen«. Der Knecht. Und ist doch Herrenvolk da, das es wohl besser könnte als ich. Es ist seltsam. Ich gehorche einem Befehl, der vor dreihundert Jahren niedergelegt wurde in diesem schweinsledernen Buch, in dessen schweren Umschlag viele hundert Seiten aus feinem Papier eingeheftet wurden. Weil unsere neuzeitigen Federn auf dem Büttenzeugs versagen. Der Passus vom Ahnbauern Erne Sleef 1632 lautet: »In düssem Fullianten soll jedweder Sleef, der düssen Hof als Hoferbe oder in Vertretung übernimmt, sein Leben leben. Ik sülben tu verstecken düssen Untüm vun Fulliant. Nich in die Erbtruhen. Weil da die Zackermenters Kriegsvolk zu allerirst drin rumoren und zerren heraus, was ihrem Gelust ansteht. Ik versteck ihm im hilligen Ginsterbusch, dieweilen das Wetter trocken ist. Trag ihm dann wieder in der braunen Heyden umher, so lang sie dürr ist. Leg' ihm in die Thingeichen, welche ist hohl. Damit sie sich beide von ihrer Heiligkeit noch etwas abgeben. Hat aber sowohl die Eichen, als auch der Fulliant manch Unheiliges gesehen. Bleibt aber deshalb doch heiligs Erbe. – Leg' ihm auch in die Kiefer, so ganz allein in einem Wald von Wachholdern steht. Kein Mensch außer mir findet dort hin. Gott schall mi wohren! Man kümmt sik sülben as 'n Spitzbub vör un gruglichen Schelm, weil man allstunds Schleichweg geht. Wird aber auch wieder eine Zeit kommen, da die Erbtruhen ein sicher Ort ist. Amen. – ›Amen‹ heißt: Soll also geschehen! – Und gebiete ich alle meine Nachfahren: »Jedweder, so sich »Sleef« nennet, ehelich gezeuget, und kann sich zurückführen auf meinen Samen, der muß schreiben in düsse Urkund. Jedem einzelnen muß es überlassen sein, was er wert hält, daß es die Nachfahren zu wissen bekommen. – Das aber soll Schand und übler Makel sein, so ein Sleef überhaupt niet schreiben kann.

Nur die Fruenslüd sünd ausgeschlossen. Die sollen nich tühnen und schkribifaxen, kommt doch nix bei rut. Sondern sollen brave Hausehren sein und brav Kinners gebären. Sollen die Welt füllen, wie es sich schickt nach so großen Völkermorden. – Kann aber auch hier Ausnahm gemacht werden. So ein Weib, eine Sleef nach Gottes Ratschluß unfruchtbar bleibt und hat allermeist veel Tid, so sall se schriewen.«

Der Ahne hat viel geschafft.

Hat ihm das Feuer manch Hab und Gut verbronnen. Aber ein vollgestrichen Maß Geld hat er in der Lüneburger Heide vergraben gehabt. Hat ihn der Schlag gerührt vor Freuden, als er's unversehrt ausgrub. Und ich, Wien Sleef, sinniere, daß groß Freud genau so Wirkung tut, wie groß Leid. – Und düsse vor mir liegende Foliant ist durch hohle Bäume, Büsche und Heidekraut gewandert, wie ein Geselle auf der Walze. Der Sohn hat die Papiere gefunden, als der Ahnbauer selber ist eingegraben worden in die rote Heide 1650 anno domini. Ich hab großen Respekt vor dem Ahn, denn solche Nachkriegszeit ist ebenso schwer zu tragen, wie der dreißigjährig Greul selbst. Und hat Ode Sleef doch schier alle Tage ein paar Worte in diesen Folianten gemalt mit klammen Fingern, die sich sträuben gegen die Feder.

Vielleicht würd sich der Ahne hinwiederum sträuben gegen mich, wenn er wüßt, daß ich als Außenseiter in diese heilige Sach hineinschreibe. Denn wenn ich auch ehelich gezeugt und geboren bin, wie es dieses Buch verlangt, so ist doch mein Vater von der Sippe enterbt und ausgestoßen worden. Der Grund ist wohl für jeden lächerlich, wenn er kein Heidjer ist. Bei denen Sturköpp und Dickschädel ist alles so fest gefügt und durch »Geschriften« beglaubigt. Da geht alles nach Maß und Faden. »Langweilig, aber rechtschaffen«, hat mein Vater immer gesagt. Er hat die »Sünd« begangen, eine Ausländerin zu heiraten, ein bayrisch Dirnlein aus Bubenreuth. – »Jessas, Jessas, – i a Ausländrin?« hat die Mutter gerufen, und gelacht, eine ganze Tonleiter hinauf und herunter. – Das Dirnlein hat gejodelt und Zither geschlagen. Ihr Blut hat mir auch nicht geschadet, ich bin ein echter, rechter »Sleef« geworden. Wie sie alle waren seit 1622. So an die zwei Meter groß, und stark wie die Bären, und wenn auch nicht stier-, so doch steifnackig. Aber von 1862 an, da sind die Leut kleiner geworden, haben immer in die Verwandtschaft geheiratet. Das dünkte meinem Vater nicht recht und widerstand ihm. Ging deshalb auf die Walze, was kein Bauer tut, und verschüttete es mit seiner Sippe, daß sie ihm alle feind wurden. Und als er meldete, daß er »eine wahre Prachtsdern gefunden hätt', in einem kleinen bayrischen Gütel, ein schwarzbraunes Madel, zum Fressen süß, aber ohne Geld« – da war's gefehlt. Der Sleefkamp hat ihn aufs Pflichtteil gesetzt. Brüder, Schwestern und Basen haben das Feuer geschürt. Und mein Vater war kein Mann, dem das Prozessieren anstund. So glücklich waren ja auch die zwei, Vadder un Mudder, wie es wohl gar nie wieder eine Eh' gibt landauf, landab.

Wie ich so das hinschreib, ist ein Tosen und Rumoren draußen, als wenn der wilde Jäger über die Heide tobt. Und kann doch gar nichts Ungutes auf dem Weg sein – ist ja doch Weihnachten. Davon merkt man freilich nix bi üs im Sleefkamp, und ich muß büschen die Zähne zusammenbeißen, damit's den Schlagetot nicht umreißt. Wenn ich an die Mutter denk – Gott schenk ihr fröhliche Urständ! – Alles, was Freud bringt, Ostern, Pfingsten und Weihnachten, das war sie, und dazu die gute Stund selber. – »'s Amei« nannte sie der Vadder. Und wenn man den Namen vor sich hinsagt, dann ist's schon, als ob man gestreichelt würde. Erster Adventsonntag mußt ein Bäumle her, da steckte die Mutter zuerst ein Lichtle dran, und jeden Tag kam eins dazu, bis an Heiligabend vierundzwanzig Licht'l brannten. Ich hab nie wieder solch einen Glanz gesehen. – Und am Weihnachtstag, da holte sie selbst aus dem Wald einen Tannenbaum und schlug ihm ein Brett unter. Denn der Vater war nicht für so was »Gefühliges«. Er lachte auch immer arg spöttisch, weil die Mutter mit dem Zollstock in den Weihnachtswald ging. Mit dem hatte sie mir vorher Maß genommen, und mußt der Tannenbaum immer genau so groß sein, wie ihr Bübel. Wir beiden schmückten ihn denn auch mit roten und grünen und gelben Ketten, Rosen und Tulipanen aus Seidenpapier. Es war eine Pracht. Und ich nannte das als Bub » anplündern«, denn zu Neujahr kam doch das »Plündern«, und alls wurde abgetan. Mich dünkt jetzt noch, daß wir bei dieser Tätigkeit alle Lieder und Choräle der Welt gesungen haben. Freilich waren da auch Frühlingslieder mit drunter, und wenn ich meine Lieblingsweise anstimmte, dann ging der Vater hinaus und brachte beide Hände voll Schnee mit herein, wusch mir damit tüchtig den Kopf, Gesicht und Haare und sang dazu: »Nun fangen die Weiden zu blühen an.« Frohe Zeit war das! Und Mutters Lachen klang wie silberne Glocken.

Vater hatte auch seine Freude, wenn er sah, daß der Tannenbaum in jedem Jahr größer sein mußte nach dem Maß seines »Dschung«, wie er als echter Heidjer zu mir sagte, denn der Name »Bübl« war ihm zu weich. »Mach mir nur keinen ›Dätsch‹ un ›Döllmer‹ aus ihm«, sagte er einmal, als ich mit einem versonnen Gesicht »in die Wicken horchte«. »Du weißt doch, Amei, wo er mal hinsoll?!« »I woaß schon«, hatte die Mutter zurückgegeben. »Wo soll ich denn hin?« fragte ich neugierig. Aber erst am Abend, als die Mutter an meinem Lager mit mir gebetet, was sie nie versäumte, erzählte sie mir, daß ein kluger Syndikus, den sich der Vater verschrieben, ausgediftelt hätt', daß da ein Klausel zu meinen Gunsten wär' im Ahnentestament, und daß ich nochmal auf dem Sleefkamp sitzen könnt'. Da hatte ich meine ganze, sanfte Frömmigkeit vergessen und mich störrisch umgedreht: »I mag aber net bei die Saupreiß'n.« Das war gefehlt, denn ich kriegte gleich ein paar hinten vor. Die Mutter hatte eine flinke Hand, und weil ich im Bett lag, war ihr alles hübsch parat.

»Ein schlechter Vogel, der sein eigen Nest beschmutzt«, sagte sie streng, wie ich sie nie gesehen. »Saupreißen sind ebensogut Menschen, wie wir Bayern.« Das prägte sie mir noch ein und gab noch eine anschauliche Geschichte von den Leuten »um Bremen, Hannover und Lüneburg 'rum«, daß ich wohl vorbereitet war für die Lüneburger Heide. Mit einem blauweißen bayrischen Fähnlein zog ich umher und sang schallend:

»Halte hoch die deutsche Treue du Niedersachsensproß! Das Gute tu, das Böse scheue, – der Edle sei dir Kampfgenoss'.«

Der Wind hat mir in den nächsten Jahrzehnten tüchtig um die Ohren geweht. So im Schützengraben und beim Patrouillenführen und auch im Lazarett, wo die Ärzte nicht wußten, was sie noch an mir zurechtflicken sollten. Ja, jetzt gespür ich's, was es heißt, im großen, warmen Bauernhof arbeiten zu dürfen. »Unteroffizier Sleef«, sagte der Oberstabsarzt: »eins wissen wir wenigstens, daß Sie nicht tot zu kriegen sind.« ›Ist doch was‹, dacht' ich, und bin immer wieder auferstanden. War ein rechtes Wunder für alle Ärzte, Sanitäter und Kameraden. Aber schön bin ich nimmer. Dafür haben etliche Kugeln und besunders die neckischen Granatsplitter gesorgt. – Wie hätt' die Mutter wohl aufgeschrien beim Anblick ihres »Bübels«, das so mordshäßlich geworden war. Brauchte es aber nimmer anzuschauen. Sie starb im gachen Leid dem lieben Vater nach, den ein Baum im eignen Wald erschlug. Solch ein jähes Sterben soll's geben, wenn zwei sich arg lieb haben. – Ich bin fünfunddreißig Jahr alt und kenn die Lieb nur von Vater und Mutter her... Muß der Wien Sleef sich schämen?

Eine rote, garstige Narbe zieht sich quer über mein Gesicht. Drei Finger fehlen an der linken Hand und drei Zehen am rechten Fuß. Den schleife ich nach, als wollt' ich zu einem »gefühligen« Walzer ansetzen. Und dann ist da noch ein Säbelhieb über den Kopf, den hat mein Haarwald büschen milder gemacht.

Die alte Magd Gesine sagt: »Schöne Augen hast Wien! Mußt sie nützen. Aber du ziehst die wilden, garschtigen Brauen zusammen, daß die Gucken klitzeklein werden, sobald eine Deern vorbei kommt – bist 'n groten Döllmerl«

Und das war's just, was mein Vater mit mir hatte vermeiden wollen. Ein »Döllmer«, das ist ein weicher, versonnener, unbrauchbarer Mensch, eben kein Heidger. »Weißt, Gesine«, hab' ich der Alten geantwortet, denn sie ist recht meine Freundin, »ich werd's mal auf 'n Zettel schreiben, was noch an mir heil ist, das lernst auswendig und kannst es den Deerns in den Spinnstuben vordeklamieren, vielleicht krieg ich noch eine ab.« Da hat sie mir ihren krummen Rücken zugedreht, denn sie hat keinen Humor, die Gute verficht scharf die Ansicht, daß »kein ein« Mannsbild was taugt. Und nun muß ich doch glauben, daß draußen der wilde Jäger zugange ist. Die Eichen biegen sich im harten Sturm und viele Bäume gehen zu Bruch. Ich werd' alle Luken schließen müssen. Unheimlich ist der Schneefall, der ja wohl den Sleefkamp bei klein begraben will. Das ist kein heiliger Abend – – –

Den 23. Dezember 19 ..

Kein heiliger Abend ... bei den Worten knallte gestern die Tür auf und ein greller Blitz stach durchs Fenster, dem ein Donnerschlag wie ein Fluch folgte. So haben wir's wintertags schon manches Jahr gehabt, aber dieser Schlag war reif für ein Stoßgebet. Das schickte ich denn auch in die Nacht, in die pechrabenschwarze, aber es war erst vier Uhr nachmittags. Die Peseltür war zerbrochen. Im Fleet lag eine Schneewehe, denn die schwere Eichentür stand sperrangelweit offen und zitterte in ihren Fugen. Hinaus lief ich. Es hatte getönt wie ferner Schrei. Und vor dem Hoftor lag meine Weihnachtsbescherung. Ein totes Pferd, ein zuckendes Etwas, daneben ein zerbrochener Wagen, ein ganz verbaster Kutscher, der kindisch greinte, und ein Bub, der aber unter dem Wagen steckte. Von ihm tönten die abgerissenen Schreie.

»Ich komm schon!« rief ich.

»Es wird Zeit«, knurrte der Bub. »Vorsicht Tölpel – ich glaub', ich hab' den Fuß gebrochen.«

War aber nur büschen verstaucht. Der Jung' humpelte zum Kutscher.

»So heul doch nich«, schrie er, »schämst dich nich? Stehst aufrecht da; nich mal betäubt sind wir.« Er beugte sich über das Pferd. »Tot!« Dann ging er zum andern Gaul, der wild um sich schlug, aber sich nicht erheben konnte. »Armes Tier!« Aus seiner Hosentasche langte er einen Revolver. Ein scharfer Knall – aus war's.

Tapferer Kerl. Aber er hatte Tränen in den Augen. Legte einen Finger an die Mütze, das sollt ein Gruß für mich sein.

»Sleef!« sagte er.

»Kennst mich?« fragte ich.

Was antwortet der Knirps? »Erstens bin ich kein, Du' von Ihnen und zweitens heiß ich so: von Sleef–Sleefkamp. Und ich friere, und will einen steifen Grog.«

Da hab' ich gelacht. »Un it heet ok ›Sleef‹. Man ganz gewöhnlich ›Sleef‹. Aber wenn du auch der König wierst, Grog schallst doch hebben!«

Da wunnerwarkte der Lüttje, und ich nahm den Kutscher beim Kragen und schüttelte ihn ordentlich, damit erst mal sein Unterst wieder zu Öbberst käm. Rief dann mit scharfem Pfiff etwelche andere Knechte, damit sie die toten Pferde beiseit schafften, bis der Abdecker käm. Und überantwortete ihnen den Kutscher, daß sie ihn mit einem Grog ins Bett stecken sollten, und ging mit dem vertrackten Bengel, der »von Sleef« heißen wollte, in den Wohnpesel vom Sleefkamp.

Und nun bin ich ganz durchgedreht, und muß mich besinnen, was oben und was unten ist am Firmament. Hab' auch schon laut für mich gelacht, was gornich mein Art ist. Aber ich war mit dem Jung die alte, geschnitzte Stiege hinaufgegangen und hatte an die Peseltür der Muhme Kordula Sleef gepocht. Die rauchte gerade eine schwere Zigarre, was sie immer tut, wenn sie schwere Gedanken hat. Sie führt das Regiment im Gewese und ist unser Aller Herrin.

Der Jung riß seine Mütz ab und klappte die Hacken zusammen. Und genau von der Stelle, woher er den Revolver geholt, zog er nun einen zerknitterten Brief. Gab ihn der Frau. Die riß ihn auf, las ihn, stampfte mit dem Handstock auf und rief: »Düwel ok! Der General is wohl verrückt?«

Dann legte sie den Arm um den Jungen, und der ließ sich straken und gar küssen von ihr, wenn auch mit bitterbösen Augen. Dann drehte Muhme Kordula den Buben zu mir hin und stand auf. Legte die Zigarre fort und sprach feierlich: »Dies ist meine Enkelin Amei von Sleef.«

Da hatte ich nun die Bescherung. Wollt' es immer nicht glauben, daß die schlichte Muhme Kordula die Mutter von einem General sei. Im Leben geht's aber närrischer zu als in Büchern. Ist der Muhme ihr Bräutigam, auch ein Sleef, ihr untreu geworden, hat sich verheiratet, mit einer Jungen, denn die Muhme ist dazumal schon an die Dreißig gewesen. Ist der französische Krieg gekommen und der treulose Sleef gefallen, aber ein Söhnlein hat er hinterlassen. Zwei Jahr alt. Und die junge Frau war treuer, hat sich ihm nachgegrämt, ist gestorben. Da hat die Jungfer das Kind zu sich genommen, einen braven Offizier draus gemacht, und der ist vom Kaiser geadelt worden. Tapferkeitsadel! Stillgestanden! Präsentiert das Gewehr! – – Und kann doch auch ein solcher Mann eine närrische Nachkommenschaft haben. – Ich bin aus der Stuben hinausgepoltert, stieß mir noch den Kopf am Deckenbalken, denn oben sind die Stuben noch niedriger als unten. Heil verbast saß ich dann in meinem Pesel. Hatte noch grad so viel Besinnlichkeit, daß ich einen Grog brauen konnt für den obsternatschen Jung, der eine feine Deern ist, Tochter von einem General, der bei den Soldaten dicht hinter dem lieben Gott kommt. Und der Jung heißt: »Amei«. Wie meine Mutter selig ... meine Mutter.

Sleefkamp, den 26. Dezember 19 .. In der Nacht zum 27.

Denn am Tage komm ich natürlich nicht zum schreiben, selbst wintertags nicht, wo man eingeschneit ist. Wir sind's bis zum letzten Ziegel vom Schornstein. Aber Tetje, der Hausbursch hatte brav geschaufelt, also daß man zur Tür hinaus konnt' gehen, und dann sieht man schon den Kirchtumknopf, und es ist grade, als ob er winkte und nickte: »Komm nur her! Stapf tüchtig den Schnee zusammen und laß dir vom Gotteswort deine Sünden abwaschen!« Eigentliche Sünden hab' ich nicht – wüßt' nicht welche, wenn nicht doch den Jähzorn, dies Erbteil der Sleefs, das wohl schon von Adam her uns vermacht ist. Aber uns' Pastor Eichstaedt, der fängt ganz timide an, daß man meint, man könnt büschen nicken, denn man ist ja auch Sonntags schon um fünf Uhr früh zugange. – Aber das gibt's nicht, auf einmal ist das Timide fort, und ein Predigen hebt an, das einem schier das Herz aus der Brust nimmt. Ich laß es ihm auch gern, er ist ein richtiger Pastor. – Pastor heißt Hirte. Und ich will gern zu seiner Heidschnuckenherde gehören. Und ich seh auch schon genau, es ist eine andere Zeit angebrochen, geht nicht mehr so kommode fort, wie wir das im Sleefkamp gewöhnt sind. – Die Schneeflocke, die uns da am Heiligabend reinwehte, ich weiß warraftig nicht, ob sie ins Gewese paßt. Muhme Kordula macht schmalen Mund und red't nix. Sie soll aber reden. Denn ich bin ja kein unmöndigen Jung, sondern ein Mann, der »Sleefsrecht« hat auf dem Kamp laut Urkund. Wenn ich auch upstunds Knecht bin. Düwel ok. Das ist mein Stolz. Und ein frommer und getreuer Knecht will ich sein, der über wenigem getreu gewesen ist, und den Gott über vieles setzen kann und wird. Hab' ich meinen Jähzorn so lang auf Kandare geritten, daß so ein Näswater, so ein Deerns-Jung ihn mit ein paar Schluderworten wieder heraufschwören könnt?

Siedend heiß steigt mir's auf, wenn ich nur dran denk' an den heutigen Kirchgang. Weiß nicht, wohin sich die Andacht verkrochen hatte. Schier in den Glockenstuhl. Ist mir nicht passiert seit Jahren. Sitz' also heute auf der Männerbank, wie es schon die Bibel vorschreibt, daß Schafe und Böcke getrennt sind. Und steht deshalb auch an den Bänken rechts ein schöngemaltes M., und links ein F. Da weiß jeder Bescheid, der nicht mit dem Dummbüdel kloppt is. Sitzt da auf einmal vor mir ein Jung – unser Jung, der eine feine Deern ist. Tochter von einem General, der gleich nach dem lieben Gott kommt. – Aber wo süht sie ut! Ein Glück, daß der Heidjer in der Kirche keinen Aufstand macht. Manchmal aus richtiger Frömmigkeit, die sich nicht stören lassen will, und manchmal auch aus Sturheit, die seggt: »wat gehts mi an?« Aber ich dacht', mir verschlägt's Odem und Gesicht. Glührot stieg mir das Blut in den Kopf, also daß meine Augen trübe wurden und die Buchstaben des schönen Liedes verschwammen. Derbe graue weite Buxen trug der Jung, der eine Deern is. Unten um die Knöchel waren sie zugebunden. Hab' nie so 'n Anzug gesehen. Und obenher eine graue Bluse, die um den Hals gekordelt war, und ebenso an beiden Handgelenken. Und keinen Wuschelkopf, aber auch keine ehrbaren Zöpfe, sondern so, wie ich mich selbst als Junge trug. Kamm ins Wasser getaucht und dann ein Scheitel links gezogen. Wenn meine schlichte Mutter Amei das sehen könnt', wie eine Nachfahrin »Amei« sich antüdert, sie legte sich ja wohl im Sarge auf die andere Seiten. Kann aber auch sein, sie jodelte. Denn bei Frauen kennt man sich ja nie aus.

Es ist ein hart Ansinnen. Wenn ich in dieser Urkund blättere, dann sehe ich, wie ausführlich alle die Sleefs darein geschrieben haben. Pietät und Tradition sind doch mächtige Antriebe. Schier unnötige Dinge sind darin erwähnt, aber vielleicht dünkten sie damals wichtig. Und mich dünkt wichtig, daß ich die lebendigen Sleefs schildere, damit meine Nachfahren sie kennen. – Sie saß auch ganz still in der alten Kirche, das wunderte mich, aber ihre Augen gingen in der langen Liturgie suchend an den Wänden entlang. Als wüßte das Dinglein, daß es wertvolle Dinge sind. Jawohl. Holzschnitte von Albrecht Dürer. Und bei dem Pelikan, der seine eigene Brust aufreißt, um mit dem Blut die dürstenden Jungen zu laben, da verfärbte sich das Gesichtchen ordentlich, und ein Zucken ging durch den Körper. Ich hab' die ganze Kunst erst vorigen Sonntag klargekriegt. Da war eine Führung aus der Stadt Hannover hier und viele Gelehrte und Künstler mit dabei. – Und so eine junge hereingeschneite Schneeflock hat es gleich weg beim ersten Anschaun. Das ist also Bildung. Und weil ich ärgerlich war, daß sie meine Andacht störte, stellte ich mich nach der Kirche vor sie hin. Da hatte das Lebewesen die Hände schon wieder in den Hosentaschen. »So legt man sich nicht an für die Kirche, und so steht man nicht da«, sagte ich böse. »Da ziehen die Bauern nur das Maul über dich.« Ich hatte aber wohlweislich erst die Leute sich verlaufen lassen. Und die Heidjer bleiben nicht stehen beim Kirchgang, sie halten auf Ansehn.

Sagt das Krott: »Erstens bin ich kein ›Du‹ von Ihnen, und zweitens pfeif' ich drauf. Verstanden, Knecht?«

Düwel ok! Das war büschen viel für mich. Und packte den Jung, und hob ihn hoch, setzte ihn dann auf meinen Arm und trug ihn heim. Hei, wie er sich wehrte, und fauchte und schnob wie ein Rassepferd oder wildes Tierlein. Und doch nicht schrie, weil er ja eine hochmütige Deern war, die nicht wollt, daß auch nur ein einziger Bauer im Dorf unsern Kirchgang heimwärts gewahrte. War wohl seltsam, unser Kirchgang. Hab' Haarwuchs genug. Einen ganzen Wald auf meinem Kopf. Aber die Schuld von dem jungen Sleef ist's nicht, daß ich noch etwelche Haare mein eigen nenn'. Die feinen Fingerlein krabbten sich ein und rissen und zausten, daß es schon ein ehrlicher Schmerz war auch für einen Schlagetot, wie ich einer bin. Gerade tauchte das Dach vom Sleefkamp zwischen den Rieseneichen auf, die ihn bewachen, da biß mich der Katteiker in die rechte Hand. Tief hinein in den Ballen und ich ließ den Jung rasch zur Erde gleiten, weil mein Blut strömte, und er sollte sich doch nicht damit beschmutzen. Sah ihn weiter gar nicht an, aber mein Jähzorn war zahm geworden.

Ich lachte für mich hin. An der linken Hand drei Finger fort, und an der rechten einen Biß, daß die Stelle gleich blitzblau war und hochgeschwollen. Ging in meine Stube, machte kalte Umschläge und gut ist's, daß ich nie die Arnikasalbe habe ausgehen lassen. Das ist ein Kraut gegen den Tod und auch gegen Haß und Jähzorn. Nachher rief ich einen Jungknecht, und der fatschte mich wie eine Soggerpupp und ich ließ ihn gewähren, denn die Wunde brannte noch wie höllisch Füer.

Als eine Magd mich zum Mittagessen rief, ließ ich der Muhme Kordula sagen, ich hätt' mich verletzt, wollt' nicht essen, aber nochmal zehn Minuten kühlen. Da stand gleich drauf die gute Seele schon in meinem Pesel. »Jesus«, schrie sie auf. Denn meine Pranke lag im Wasser und sah gefährlich aus. »Hund oder Katz?« fragte sie kurz, denn Kratzer waren genug auf Händen und Gesicht. »Katteiker«, ist meine Antwort. »Doktor muß her«, entschied sie. »War das Tier gereizt, so kann Blutvergiftung kommen.« Ich lachte: »Bösartig und gereizt.« Die Muhme blieb ernst. »Bist ein Hüne, Wien, aber ich hab' einen Riesen gekannt... war mir anverlobt. Ein Fliegenstich bracht' ihn zur Strecke.« Muhme Kordula ging zur Tür, drehte sich noch einmal um. In ihren Augen stand helle Güte. Aber sie sagte nur kurz: »Du weißt, daß viel Schreiberei liegt und erledigt sein will. Mach, daß du bald in der Reihe bist. Hab' auch zu reden mit dir – hörst?«

Solch' ein Wort von der Muhme Kordula ist besser als alle Rezepte und Pflaster der gelehrten Doktores. Sie wirkt so, wie der neue Gelehrte, der aufgetaucht ist. Der sagt zu sich selbst, wenn er

totkrank ist: »Heute geht's mir schon besser.« Und glaubt auch dran. Und da kann's geschehen, daß vorgestern einer die Diphterie hatte und von den Ärzten aufgegeben war. Gestern sagte er sich mit Willensstärke, es geht mir besser, und morgen singt er im Stadttheater. – Das ist mir ernsthaft erzählt worden. Aber es hängt gewiß noch anders zusammen, und ich bin nicht leichtgläubig. Da es auch sicher noch keinem Sleef passiert ist, so will ich auch diesen Folianten nicht weiter damit belästigen.

Zwischen Weihnacht und Neujahr.

Es ist ja wahr, die seine Deern hat recht, es ist Weihnachtszeit. Und wenn ich auch gar nicht aus ihr klug werde, so bringt sie mich doch immer wieder auf etwas – Heiliges, möcht' ich sagen. Ich ging heut' am Wohnpesel vorbei nach der Treppe, die hinaufführt zur Muhme Kordula. Hör' ich im Wohnpesel singen. Wo seit hundert Jahren nicht ist gesungen worden im Sleefkamp. So gefemt war das Singen, daß ich oft und oft hinaus in die Heide gestürmt bin mit der Hand auf dem Mund. Weil mir ein Lied inwendig hochkam, das die Mutter Amei gesungen hatte an meinem Bett, oder in der Küche, oder im Walde. Wo sang sie nicht, meine Mutter Amei?

Wer kann's sein? dacht' ich. So fein, so leis' tut kein Ein hier im Sleefkamp. Klink' ich die Tür sachtgen auf. Ich dacht', ich müßt' im Himmel sein. Die Amei im schlohweißen Kleid. Und kniet auf der sandigen Dielen und schmückt einen Tannenbaum. Hängt närrische Sachen dran, ein silbernes Schiff und eine silberne Lokomotive. Und noch mehr so Zeugs. Aber alles schon von lang her und abgegriffen. Ein alleiniges Wachslichtchen leuchtet zu dem Tun. Bei ihrer Arbeit sang die Deern. So tun Engel singen droben und fingerieren dabei auf den Harfen. »Josef, liebster Josef mein, hilf mir wiegen mein Kindelein.« Und ich fall' ein. Kann's um Leib und Leben nicht zurückhalten. Hol' einfach meinen Tenor aus der Kehl, der immer Kantor Rüdels Stolz und Freud' war. Aber wie's scheint, nicht solche von der feinen Deern. Läßt sie allen Silberkram fallen, schwingt auf, ganz weiß im Gesicht. Und die Augen sprühen.

»Kann ich denn niemals allein sein?« ruft sie. »Spionieren hier die Knechte hinter mir drein?«

In diesem Augenblick sprang ich auf sie zu. Und sie glaubt, ich wollt' sie gar schlagen. Aber sie brannte ja, die ungute Deern, das Licht am Baum hatte das dünne weiße Engelskleid gefaßt, als sie vor mir zurückgewichen war. Die große Decke reiß' ich vom Tisch, wickel das ganze Dinglein drein, trag's auf das breite Kanapee. War ja die leichte Last nun schon gewohnt. Der Brand war gleich aus. An der Hand ward ich noch büschen versengt. Schad' nix, dacht' ich, sind ja noch ein paar Stellen da, die an dem groben großen Wien Sleef heil find. »Hast Schmerzen?« frag' ich. Denn auf »Sie und Sie« ist's schwerer zu kommen in der Heide als auf »Du und Du«. »Ja«, sagt sie und beißt die Zähne aufeinander. Und wie ich die Decke auseinanderschlag', seh' ich an ihrem Nacken eine große brandrote Stelle, recht glasig anzuschaun. Das gibt morgen eine elende Blase, denk' ich, und laß das versehrte Dinglein liegen, spring' zur Tür hinaus und die Trepp hinauf in meine Bodenkammer. Da hatt' ich im Schapp eine Salbe noch von den bayrischen Großeltern her. Dort wuchs die Arnika uns ins Haus hinein. Sie roch arg gut die Salbe, und ich wußt es, daß, wenn ich sie auf das Hälschen legte, die Wunde würd' zu heilen anfangen in selbiger Nacht. – Wieder herunter vom Boden, und in die Engelsstuben. Hatte aber noch so viel Zeit gehabt, ein blühweiß Leinensacktüchlein von Mutter selig zu zerreißen. Ein sauberes Messer konnt' ich auch erwischen, aber erst drunten, wo das Dinglein lag. So mit verändertem, schmerzverzogenem Gesicht, daß ich hätt' heulen können. Bist ein schlapper Hund, sagt ich inwendig zu mir. Und ging zu ihr, legt das Leinenstück auf die talergroße Brandwunde. Vorher rief ich noch: Achtung! Tapfer! Tat aber nicht nötig bei einer Generalsdeern. Wie ich mit meinen groben Händen zugange bin, kriegt sie meine rechte Pranke zu sehen, wo der Biß noch blutrot leuchtet, und sie wird wieder weiß im Gesicht, als wollt' sie besmiemelt werden.

»War ich das?« fragt sie entsetzt, aber so leis, daß ich's kaum hätte verstehen können, wär ich ihr nicht so nahe gewesen.

»Jawohl!«

Eine Minute noch, da ward ihr feines schönes Gesichtlein häßlich. Ein hochmütig Schnäuzlein zog sie: »Er hat's verdient«, sagte sie. Sprang auf und lief hinaus.

Er?! So, wie der alte Fritz gesprochen hat mit seinen Offizieren und Grenadieren. Ich blieb zurück und dacht: »Mein Arnikapflaster muß sie doch leiden, und wird es sobald nicht wieder los.« Aber mir selbst war's, als fingen alle meine Wunden an zu brennen, die lange verharrscht waren. Und die Tannenbaumwunde war wie höllisches Feuer.

Auf dem Kanapee sah ich ihr Nastüchlein liegen, das hatte sie vergessen. Ich nahm's, riß es mitten, entzwei und strich Salbe drauf und verband mir die rechte Hand damit, sowohl den Biß als auch das Brennende. – Hilft's nix, so schadet's nir.

Und es ist auch so. Noch kein büschen hat's geholfen, brennt döller als je. Aber das Nastüchlein ist doch ein Teil von der Deern, die mir auf düsse Art nahe ist. Könnt' auch nicht sagen, daß ich mich schämte wegen des Diebstahls. Wenn man dem den kleinen Finger gibt, hat er einen ja gleich am Kanthaken. Das weiß männigein.

Sleefkamp, Neujahr, 6. Januar 19 ..

Ich hätte ja wohl noch ein paar Wochen fortgetühnt wie ein altes Weib, wenn ich nicht das Wundfieber gekriegt hätte. So ein Mammut wie ich, so ein Riesentrumm, und muß sich hinlegen lassen wie ein Fatschkind. Und weiß nicht's von sich, und phantasiert das Blaue vom Himmel runter, das ehestens drauf war. – Denn nun haben wir ümmerlos Heidenebel. Und man kann kaum vor sich sehen. Das war aber närrisch mit meiner Krankheit. Und auch heute will die garstige Wunde noch nicht heilen. Das Dinglein aber, die Generalsdeern ist kandidel as 'n Katteiker. Ich denk mir, in ihrem Tüchlein muß ihre ganze Bosheit und Widerborstigkeit gesteckt haben, die hat mich und meine Brandwund' recht von Grund auf vergiftet. Aber in dem Tuchfetzen, darauf ich ihr die Arnikasalbe strich, war die ganze lachende Güte meiner Mutter Amei drinnen. Da konnt sie freilich genesen, die ungute Deern.

Wie man so Etwas »Amei« nennen kann! Ich mein, da müßt sich die Feder, die beim Kirchenbuch liegt, gesträubt haben. Aber Muhme Kordula hat mir erzählt, der General hätte von meiner Mutter, als einer Fernversippten gehört. Auch daß sie ein seelensgutes, schönes bayrisches Madel gewesen sei. Und hat einen Narren an dem Namen »Amei« gefressen. Weil er so weich geklungen hat, wie sein eigen Weib zutiefst gewesen ist. Da hat er gemeint, der Name könnt' abfärben auf sein eigen Fleisch und Blut. Aber selbst Generäle können irren, wenn ich auch keinem Rekruten raten möcht', sowas anzunehmen.

Die Mutter von – – – hier muß ich eine andere Feder einsetzen, denn düsse Foliantenfeder sträubte sich wirklich meiner Mutter Namen für die Deern hinzuschreiben. – Deshalb taufe ich einfach um und nenne das ungute Ding »Raudi«. – Oh, ich hört es wohl, auch in meinem Fieber, wie sie manchmal hinaufschlich an meinen Krankenpesel und die Magd fragte, wie denn so die Nacht war. Weiß aber nicht, warum sie Erkundigung tat, denn wenn die vernagelte Magd Antwort gab: »Gut zuwege« bei vierzig Grad, dann rutschte die »Raudi« auf dem Treppengeländer hinunter, was eine grauenhaft quietschende Tonleiter abgab, und unten ballerte sie die Tür, daß der Kalk bei mir von der Decken runterrieselte.

Und die Mutter von dieser Raudi, welche seelensgut gewesen ist, ist bei der Geburt ihres Kindes gestorben. Da kenn ich mich nicht aus beim Herrgott, daß er solches zuläßt. Gut – ein Weib kann er sterben lassen vom Manne fort. Wenn sie eine Beißzange war, so kann der Wittiber ein neues geruhiges Leben anfangen, und war sie ein Engel schon auf Erden, so braucht der Herrgott sie bei klein da droben zum Harfenspielen. Aber eine Mutter dürfte nicht wegsterben von ihrem lürlütten Soggerpupp. – Man sieht's ja, was aus sowas wird. Die Schönheit freilich, die ficht es nicht an, das ist was Außenwendiges. Aber alle Bosheit und List und ungut Wesen kann in das Innerliche kommen und sich festsetzen, wenn Mutterhände nicht abwehren und Mutteraugen nicht Obacht haben Tag und Nacht. Was kann son General groß erziehen ... Noch dazu, da er vor fünfzehn Jahren man erst Hauptmann war. Erbeingesessene Nachfahren werden meinen, es sei dem Außenseiter Wien zu Kopf gestiegen, daß er in den Folianten schreiben darf. Und daß er sich was einbildet auf die Sinniererei und wollt' gar Anweisungen geben dem Herrgott und der Sippen. Ist nicht an dem.

Sleefkamp, den 20. Januar 19 ..

Jeden Tag kann ich nicht in den Folianten schreiben, oder ich muß die Magd zu Hilfe nehmen. Weiß nicht, wie es die Ahnen zuwege gebracht haben, so arg zu schriftstellern. Sind eben ein paar Fruenslüd dazwischen gewesen. »Ohne Kinder, durch Gottes Gebot«, wie es schon der Ahn Ode Sleef vermerkt hat. Denen liegt das »Mitteilen« mehr im Leder als uns Mannsen. Und so haben sie sich mit und an ihrer Gänsefeder ausgetobt.

Es ist auch verstecktes Leid gar viel im Folianten. Ein kurzer Passus einer Gesche Sleef hat mir zu denken gegeben. Sie schreibt: »Nur dir, dem alten Ahnenbuch, und dir, du liebe Feder, kann ich's beichten. Mein Ehgemahl, der Großbauer, schaut mich nicht an. Bin ein lüttjes, mager Ding, auch scheu im Kurakter. Und mag derbe Späß nicht leiden. Die bringt der Bauer an die große Hausmagd heran. Die lacht überlaut, läßt sich alles vom ›Herrn‹ gefallen. Aber ich lieb ihn zu tausend Malen jeden Tag mehr. Und kann's doch nicht erzwingen, daß er zu mir kommt, und die Magd läßt – – –«

Es geht kraus zu in der Welt. Wie würd' ich mir solche Lieb ersehnen – und ein Vorfahr hat sie mit Füßen getreten. Man muß sich schämen, daß er ›Sleef‹ heißt. Sind aber beide lange tot und ist also Leid wie Lust vergangen – – –

Schreibt hingegen wieder eine andere Sleef, Kiliam, geborene Dagebüll: »Komme wieder zu dir, liebster Foliant. Hörst geduldig zu. Fühle mich wieder Mutter, und du schallst mein Glück zuerst wissen. Zwölf Soggerpup's hatt ich mir gewünscht vom Adebar, oder von der Hexe Nekkepenn, je nach Gusto. Und nun rückt schon's dreizehnte an. Soll eine Unglückszahl sein – aber ich weiß schon jetzt – den frechen dreizehnten, den hab' ich am liebsten. Heißt das, wenn die zwölf anderen nicht zu Hause sind. Heut abend sag' ich's dem lieben Mann. Der wird wunnerwarken und sich verstaunen und sich freuen – huijeh – wie ein Jung, wenn er dreizehn Äppel auf einmal sieht. Und wird seine Ziehharmonika herkriegen – spielt seiner Eheliebsten auf, und ich tanz, und alle dreizehn tanzen mit. Lieber Herrgott, Du bist gut, und ich dank Dir zu tausend Malen – – –«

Die Eichen um den Sleefkamp stehen noch fest und stark und stolz von » damals« her. So sagte mir Muhme Kordula, als ich den Doppelhof in Stellvertretung übernahm.

» Wann war damals?« fragt' ich – aber eine Antwort ist nicht gekommen. Was Muhme Kordula nicht sagen will – den möcht ich sehen, der sie zwingt. Sie bekommt dann ein steinern Antlitz und ist doch von Natur aus nur Güte. Ich möcht' sagen »dunkle Güte«. Jetzt weiß ich längst, daß kurz vor Muhme Kordulas Hochzeit ein Blitz in die Eichen geschlagen war. Drei haben wie Fackeln gebrannt. Waren keine Hochzeitsfackeln. In derselben Nacht des Unwetters ist der Bräutigam ihr untreu geworden. Hat dann später wieder zurückfinden wollen zu ihr. Aber sie hat durch ihn hindurchgeschaut, wie wenn er Luft sei. – Ist ledig geblieben. Aber die neu gepflanzten Eichen haben getrieben, sind gewachsen schier übermächtig. Man muß im Hochsommer scharf lugen, will man das weiße Haus dahinter erschauen. Wien Sleef braucht nicht angestrengt zu lugen, der sieht durch Baum und Bork. Der sieht's auch mit den inwendigen Augen, und würde es sehen, auch wenn es plötzlich in die Erde sänke. – Das macht, daß der Sleefkamp in mich hineingeboren wurde. Trotzdem meine Mutter ein bayrisch Madel war.

Wenn eine Mutter ganz Liebe ist zu ihrem Manne, dann kann ihr Leib Wunder vollbringen an ihrem Kinde. Meine Mutter war ganz Liebe. Das ist ein heilig Vermächtnis für mich. Und ob ich auch nicht Geld noch Goldeswert habe, weil ich ja wirtschafte für andere, so beneide ich doch niemand. Will nichts sein, als ein frommer und getreuer Knecht. Freilich ist dieser Knecht einsam, und das kann gut sein und auch eine Qual. Ich möcht' wohl einen Freund haben. Mit dem man von Höhen und Tiefen sprechen könnte. Von allen Dingen, die mir gute Bücher gaben. Dieser Freund müßt gescheiter sein als ich. Vielleicht find ich ihn noch. Sauber muß er inwendig sein, sauber. Das ist meine erste Bedingung. Er muß nicht mit Behaglichkeit schmutzige Geschichten erzählen. Nicht drin herumwühlen wie ein Borstentier. Aber Humor muß er haben, Humor ist ein Bruder vom Ernst. Solche Zwillingsbrüder wandern durch die Welt wie ein paar Sieger, und wer sie beisammen hat, dem wird alles zu Musik. Ich hab' desgleichen Musik im Leibe und möcht' manchmal meine Geige gegen die Wand hauen, weil ich sie nicht in die Herzen schwingen lassen kann. Soviel Geld hatte mein Vater nicht, um mir einen Meister zu halten, der mich selbst zum Meister machte. Hab' viele Instrumente durchprobiert, Klavier und Geige, Baßgeige, Trompete und Flöte. Am meisten störte mich das Klavier. Weil da alles so feststeht. Man ist ja auf Bauer und Stimmer angewiesen. Habe auf jedem Instrument zum Tanze aufgespielt. Die Baßgeige habe ich auf eine närrische Art kennengelernt. – Ich hatte Hunger, und der Wirt in einem Heidedorf wollt' mir nur warm Essen geben, wenn ich Baßgeige spielen wollt' zum Tanz. Hatte aber nie eine in der Hand gehabt. Er gab sie mir, sie stand auf dem Oberboden, hatte aber nur zwei Saiten. Die hingen locker, aber der Schmied, der gerade da war, schraubte sie ordentlich fest. Der Geiger war ein Blödling, die Flöte war duhn, aber die Bratsche hatte Humor. Und die setzte sich neben mich und raunte mir immer zu: »Die Dicke, die Dünne, die Dicke – die Dünne.« Ich strich drauflos. Da ging es ganz gut, und ich durfte nachher auch mitessen. Nun bin ich bei der Flöte geblieben. Posaune und Trompete find zu schwer zu blasen, und geht einmal ein Ton vorbei, dann lachen die Hansnarren, weil unter tausend Menschen höchstens zwanzig sind, die wissen, daß es die schwierigsten Instrumente sind. Man sollte vor jedem rechten Posaunisten den Hut ziehen. Aber die Flöte, die jetzt meine Gesellin ist, paßt nicht zu mir. Ich bin ein rechter Schlagetot mit meinen zwei Metern an Länge, und sie ist so zierlich und klingt zärtlich und weich. Da ist's mir immer, als tönte es gar nicht aus mir selbst heraus, dem rauhen, widerhaarigen Gesellen. Und doch soll sie ein Ahn von mir gemeistert haben. Fand sie in einer der ältesten Truhen. Und so hab' ich's lieb, das kleine, weiße Ding. Denn sie ist aus Elfenbein, und das gehört ja doch zu dem Elefanten, der ich bin. Ihr Mundstück ist aus Mosaik.

Ich muß sagen, dieser Foliant macht Gelegenheit, nur von sich selbst zu schwatzen. Das kommt, daß niemand hineinschauen darf, ehvor ich sterbe. Will aber doch weiter vom Sleefkamp erzählen, der hochangesehen ist und war, und – so der Herrgott will – es bleiben wird noch ein paar hundert Jahre. So an die fünfhundert heran. Da hapert es dann mit den Vorbildern. Weil immer möglichst in die Familie geheiratet wird, und die Stirnen werden dann niedriger. Aber die Sleefs sind alle mit ordentlichem Grips erblich belastet, wenn auch ein General drunter ist, der seine leibliche Deern verrückt erzogen hat.

Gar stattlich gefügt ist unser Bauernhaus. Wer uns Übel will, schimpft es »Herrenhaus«. Das sind aber meist nur Händler, die wegen irgend etwas scheel sehen, vielleicht mal vom Hofe verwiesen sind von einem geringen Sleefkamper. Zwanzig Stuben birgt es, und eine Diele, die nochmal zehn Stuben fassen könnte. Aber sie tut's nicht. Es ist ihr Stolz, so weit und groß dazustehen mit dem Riesenkamin und den Tischen und Stühlen aus Eichenholz geschnitzt. An jedem Stuhl unser Bauernwappen. Ein paar Ohrenstühle sind auch da, die alle zwanzig Jahr frisch gepolstert werden mit reinem Roßhaar und einen Überzug neu kriegen, den die jüngste Haustochter aussuchen darf, weil sie sich ja die meisten Jahre dran freuen kann. Nicht weit vom großen Bauernhaus ist das Altgedinge, das Altenteil. Manch Besitzer begibt sich vorzeitig darein wenn etwa sein Sohn eine ungute Schwiegertochter ins Gewese bringt, die den alten Eltern das Brot nicht vergönnt. Was mein Foliant auf seinen anderen Seiten erzählt, das ist wohl so, daß einem das Heiraten vergehen könnt'.

Bei uns Heidjern heißt es aber »Mannshand haben«. Doch kann man auch was Feines verscheuchen, wenn man so ein Schlagetot ist, wie ich. Deshalb muß ich mal zusehen, daß die, der ich so gut werde, daß ich sie zur Mutter meiner Kinder haben möcht', den Spruch fest im Gedächtnis hat: »Er soll dein Herr sein.« Das ist ein rechter Bauernspruch. Die Städter nehmen das nicht so genau. Und deshalb hat bei ihnen mancher »Lahmlackl« eine »Z'widerwurzn«. So hat meine Mutter selig gesagt. Das soll bei mir nicht vorkommen, auch nicht, wenn ich ein Außenseiter bleibe, der niemalen den Hof erbt. Und bekomme ich den Hof, so müßt' ich erst recht Herr sein über mein Weib, sonst müßte ich mich schämen vor des Hofes schönem Angesicht und seinem Alter und seiner Vollkommenheit, und würde mich seiner für unwürdig achten.

Neben dem Altgedinge steht das Viehhaus und eine Scheune von so großem Ausmaß, wie sie kein anderer Hof besitzt. Eine Feldscheune ist auch da, ein großer Wagenschuppen und weiter fort ein Kunstdüngerschuppen. Mehrere Speicher schließen sich an. Darunter auch ein Imkerspeicher. Denn Muhme Kordula hält darauf, daß unsere Bienenbestände bleiben. Von Bayern her kannte ich nur den Lindenblütenhonig, aber er ist weiblich. Für uns Mannsen ist der herbe Heidehonig, der »braune Jung'«.

Und das Vieh auf dem Sleefkamp! Das macht stolz. – Das wächst einem ans Herz. Sechs Prachtspferde (drei Gespanne), fünfzig Kopf Rindvieh, zehn Zuchtsauen, im ganzen mit Läufern und Mast hundert Stück. – Einhundert Hühner, drei Zuchtgänse und einen Ganter. Tauben hält sich die Muhme Kordula, es ist eine besondere Liebhaberei von ihr. Ich selbst mag keine Geschöpfe, die sanft aussehen und auch als die Sanftmut in Person angedichtet werden von sonst ganz vernünftigen Menschen. Und dann doch um jedes Futterkorn streiten, kollern und neidisch sind. Meine Lieblinge sind die Heidschnucken. Achthundert Stück halten wir. Hätt' ich Zeit, ich verbrächte sie beim Schäfer mit seinem blauen Strickstrumpf. Der kann erzählen! Aber meistens schweigt er. Und dann verstehe ich ihn am besten. Sobald ich komme, löst sich aus der großen Herde eine Heidschnucke, das ist mein Liebchen, meine braune »Erika«. Die reibt ihren Kopf an meinem Knie und leckt meine Hand. Ich muß täglich nach ihr sehen, sonst fressen wir beide nicht.

Zwei große Schafställe nehmen die Schnucken auf. Einer steht auf dem Hof und einer in der Heide. – Meine Aufzählung klingt trocken und nüchtern, aber wie ich so alles nochmal durchlese, da fühl ich recht, wie stolz ich das schrieb. Es ist ein schöner Hof, der Sleefkamp, und ein stolzes Gewese rings in der Runde. Und immer war die Rechtschaffenheit zu Hause, Frömmigkeit, Ehrbarkeit. Das sind schon ein paar gute Wandergesellen durchs Leben. Und der Fleiß ist auch da, die Lust zur Arbeit. Die Knechte spüren es, wie es mir in den Händen zuckt, zu schaffen von früh bis spät. Sind auch nicht neidisch, daß mich die Muhme Kordula zum Oberknecht gemacht hat. Ich möcht' schon lieber nur Vorarbeiter heißen. Möcht' Beispiel sein. Sie haben hart zu leisten, meine Mitknechte. Da möchte ich den »Arbeiter« mehr betonen als den »Ober«. Und wenn der Tag kommt, der den richtigen Erben hierher bringt – – – ich erziehe mich jeden Tag dazu, es nie zu vergessen, daß ich Außenseiter bin und mir meine Stelle hier hart verdienen muß – – – so habe ich mich still zu bescheiden. Habe das Gewese zu übergeben und abzuwarten, ob mich der »Herr«, der freilich nur ein Vetter von mir ist, aber ein studierter, vornehmer Vetter, fürder behalten will.