Kerlchen als Erzieher - Felicitas Rose - E-Book

Kerlchen als Erzieher E-Book

Felicitas Rose

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Beschreibung

Wie es im Leben von Kerlchen weitergeht ... ... Als neulich der Wagen in der Kirchallee vor Villa Käfermann hielt, da stockte mir doch ein klein wenig der Herzschlag. Man ist doch trotz aller Tapferkeit ein recht hasenherziges Frauenzimmer. Ich sagte dasselbe schon zu Onkel Liskow beim Abschied, aber der meinte: "Aus 'Hasen' mache ich mir nichts, aber ein 'herziges Frauenzimmer' bist du, das stimmt!" Er muß ja immer seinen Scherz machen. Ach, und ich meine, hier muß einem aller Spaß vergehen in diesem kalten, öden Hause, wenn man auch wirklich noch ein fröhliches Herz hätte, das ich ja nicht mehr hab' - es liegt bei meinem Väterchen tief, tief drunten in der Erde. Die 'Villa' ist schon von außen fürchterlich, krebsrot, mit bunten Blumen bemalt und über der Einfahrt prangt ein mächtiger goldener Käfer, es sieht zu lächerlich aus. Auch im Innern des Hauses spielt der Käfer eine große Rolle, überall ist er angebracht, an der Treppe ist eine ganze Käfergalerie, als sei es eine Auszeichnung, den Namen dieses Tierchens zu tragen. ...

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Kerlchen als Erzieher

Kerlchen als Erzieher1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. KapitelImpressum

Kerlchen als Erzieher

Aus der Romanreihe "Kerlchen" – Band 3

Felicitas Rose

1. Kapitel

Hilskehmen, Januar 18 . .

Aus Kerlchens Tagebuch

Als neulich der Wagen in der Kirchallee vor Villa Käfermann hielt, da stockte mir doch ein klein wenig der Herzschlag. Man ist doch trotz aller Tapferkeit ein recht hasenherziges Frauenzimmer. Ich sagte dasselbe schon zu Onkel Liskow beim Abschied, aber der meinte:

»Aus ›Hasen‹ mache ich mir nichts, aber ein ›herziges Frauenzimmer‹ bist du, das stimmt!«

Er muß ja immer seinen Scherz machen. Ach, und ich meine, hier muß einem aller Spaß vergehen in diesem kalten, öden Haus, wenn man auch wirklich noch ein fröhliches Herz hätte, das ich ja nicht mehr hab' – – es liegt bei meinem Väterchen tief, tief drunten in der Erde.

Die ›Villa‹ ist schon von außen fürchterlich, krebsrot, mit bunten Blumen bemalt und über der Einfahrt prangt ein mächtiger goldener Käfer, es sieht zu lächerlich aus.

Auch im Innern des Hauses spielt der Käfer eine große Rolle, überall ist er angebracht, an der Treppe ist eine ganze Käfergalerie, als sei es eine Auszeichnung, den Namen dieses Tierchens zu tragen.

Die Zimmer sind sämtlich ganz und gar überladen eingerichtet, nur das von Herrn Käfermann ist einfach, und zwar übermäßig einfach, es sieht aus wie ein Wartezimmer vierter Klasse, nur daß ein Bett darin steht, das hinter einem Wandschirm von Segeltuch versteckt ist. Es soll eine Marotte von Herrn Käfermann sein, so einfach zu wohnen, die Möbel hat er sich vor fünfunddreißig Jahren angeschafft, als er sein erstes Geld verdiente.

»Aber Arrnst!« sagt Frau Käfermann jedesmal, wenn er's einem Fremden erzählt, »i laß doch, es klingt so jewehnlich, so arm, i Chott nei, wie jrrräßlich!«

Aber Herr Käfermann erzählt es doch immer wieder, er ist so stolz darauf, ein self made man zu sein.

Damit ich nicht übermütig werde, hat mir Frau Käfermann ein ebenso einfaches Stübchen angewiesen, wie dem Hausherrn, ich war zuerst ordentlich erschrocken, als ich hineinschaute, aber jetzt sieht es schon anders aus. Mit meinen Decken und Bildern hab' ich mir ein ganz liebes Heim geschaffen, nur ein Teppich fehlt mir so sehr – – ja, so dumm und anspruchsvoll bin ich noch.

Frau Käfermann scheint gleich gemerkt zu haben, woran sie mit mir ist, sie hat sehr scharfe Augen, am ersten Abend hat sie mir schon gesagt, daß ich ein hochmütiges Gesicht hätte und daß sich dies für mich nicht mehr passe. Ihr scheint nichts an mir zu gefallen, nicht einmal mein einfaches, schwarzes Trauerkleid, »das nicht für ihr Haus geeignet sei.«

Ich sah sie an und da rief sie: »Um Gott, Kind, solche Blicke missen Sie sich eiiiin für alle mal abjewehnen.«

Ich glaub' aber nicht, daß ich das kann. Reden halten darf man nicht in diesem Käferhause, das besorgt alles Frau Käfermann, nur blicken kann man und sich wundern, wenigstens ich lasse mir das nicht nehmen.

Als ich zum ersten Mal allein war und in meiner kahlen, unfreundlichen Bude stand, da meinte ich, das Herz sollte mir in Stücke brechen. Ganz trostlos saß ich auf meinem Koffer und guckte mit brennenden Augen durch Türen und Häuser und Wälder hindurch in mein liebes, verödetes Schwarzhausen und dann weiter nach Buchenwalde, wo ich so unendlich viel Liebe zurückgelassen hatte.

Ich war so versunken in tiefste Betrübnis, daß ich draußen gar keine Schritte hörte und sehr erschrak, als die Tür leise geöffnet wurde und ein blondlockiger Jungskopf hereinguckte.

»Tag, Fräulein,« sagte eine lustige Stimme, »ich wollte Sie mir mal besehen.«

»Na bitte,« entgegnete ich mürrisch, »dann tu's.«

»Och, ich mein's nicht bös,« rief er und dann stellte er sich wirklich hin und betrachtete mich von allen Seiten.

»Es ist wirklich schade um Sie,« meinte er dann mit kritischer Miene, »an Ihrer Stelle kratzte ich wieder aus.«

»Wer bist du denn?« fragte ich erstaunt. »Ich bin leidernurWilly Reymers,« und gehöre nicht in die hochedle Familie derer von und zu Käfer, täte ich's, dann hätte ich Geld wie Heu und brauchte mich hier nicht schlecht behandeln zu lassen. So aber bin ichnurein Sohn von der Schwester des »Käfermannes«, die einen blutarmen Lehrer geheiratet hat.«

»MußtenSie denn »Erziehersche« werden,« fragte Willy weiter und betrachtete mich mit zweifelnden Blicken.

Ich nickte schweigend.

»Sie Ärmste, ach Sie Ärmste!« rief der Junge in so schmerzlichem Tone, daß die mühsam zurückgehaltenen Tränen bei mir mit einem Male hervorbrachen.

»Na,« sagte er altklug und trippelte recht unbehaglich von einem Fuß auf den andern, »weinen Sie sich man aus, Marjellen tun das ja nich anners, aber wenn Sie fertig sind, muß ich Ihnen doch die »Käfer« vorführen, Sie sind dann mehr gewappnet.«

Ich war im Nu fertig und blickte ihn gespannt an. Willy Reymers gefiel mir gleich vom ersten Anblick. Er hat ein solch' offenes, liebes Knabengesicht, das mich an meinen Erich-Bruder erinnert, blondes, lockiges Haar, mutige blau-graue Augen und eine energische Nase. –

»Er, – der Käfermann, ist ein guter Kerl, eine Null, ein Gar-Niemand,« erzählte Willy. und dämpfte seine Stimme kein bißchen, so als wollte er im hellen Trotz ungebetene Lauscher heranreden, »ihm gehört eigentlich nichts in diesem schauderhaften Hause, obgleich er sich alles sauer verdient hat,siebelegt alles mit Beschlag,sie, das »Käferweib.«

Willy schleuderte den letzten Namen mit solcher Verachtung heraus, daß ich am liebsten sofort wieder abgereist wäre, – zum ersten Mal fürchtete ich mich vor der Zukunft, vor der einsamen Fremde, vor meinem neuen Beruf.

»Und dann die übrigen Käfer!« fuhr Willy aufgeregt fort. »Hüten Sie sich vor der Angela! Ich nenne sie ›Teufela‹, und dann ist sie so wütend darüber, daß der Name richtig paßt.«

»Soll ich die erziehen?« fragte ich erschrocken.

»Nee, die is schon, d. h. sie is garnich, aber Sie sollen's nich,« lautete die etwas orakelhafte Antwort, und als ich Willy fragend anblickte, erklärte er sich deutlicher.

»Sie ist längst aus der Pension zurück und mindestens zwanzig Jahr alt und das »feinste, wohlerzogenste Wesen in ganz Ostpreußen,« wie das Käferweib sagt. Aber der Käfermann sagt: »Na na, man lernt nie zuviel und nie aus,« und ich sage: »Sie ist ein geborenes Scheusal.«

»Und wer ist nun noch da?« fragte ich zaghaft.

»Na, – der Max zählt nicht, das ist so 'ne Art gelehrtes Huhn, der steckt immer zwischen seinen Büchern oder im Laboratorium, aber nun kommt ja noch der eigentliche Käfer, den Sie erziehen sollen, – Friederike, oder, wie das Käferweib wünscht, »Rika« genannt, – nun, ich rufe sie so hart wie nur möglich »Friedderikke«, und das giftet das ganze Volk.«

Ich erhob mich in meiner ganzen – Kleine, mir fiel mit einem Male ein, daß ich ja jetzt Erzieherin bin.

»Ich glaube, ich darf das nicht so mit anhören, wie du immer »Käfermann und Käferweib und Volk« sagst,« – fing ich an, aber er wurde gleich braunrot vor Zorn und Überraschung und schrie mich an:

»Michsoll'n Sie nich erziehen, davon is garnich die Red', verstanden?«

Paff, schlug er die Tür zu, und ich war allein, – ich hatte meinen ersten und letzten Freund in diesem Haufe verscheucht. Als ich ganz todtraurig meinen Koffer auspackte und darüber nachdachte, wie ich das schauderhafte Zimmer etwas behaglicher machen könnte, öffnete sich leise die Türe wieder, und Willys Gesicht schaute mit sehr ernstem Ausdrucke herein.

»Tut's Ihnen leid,« fragte er, wie ungefähr ein betrübter Vater fragt, der sein unartiges Kind eingesperrt und geprügelt hat.

»Sehr!« gab ich zerknirscht und wahrheitsgemäß zur Antwort.

Willys Gesicht hellte sich mit einem Schlage auf.

»Dann kann ich ja wohl wieder 'neinkommen,« meinte er fröhlich, und ließ seinen Worten gleich die Tat folgen, »Sie sind ja ein außergewöhnlich vernünftiges Mädchen.«

Ich lachte ihn an und knickste dankend.

»Und hübsch sind Sie,« fuhr der dreizehnjährige Schlingel fort, »Donnerwetter ja, das wird dem Käferweib unangenehm sein, denn Angela – – brrr – sehen Sie mal so – – – so sieht die aus!«

Er hielt die zur Faust geballte Hand an die Nase, schielte gräulich und zog den Mund breit auseinander, dabei die Zähne fletschend wie ein Kannibale.

»Hör' auf,« bat ich, »es kann einem übel werden.«

»Es stimmt aber,« meinte er, höchst befriedigt von seiner Vorführung.

»Sie sollen mich aber nicht für einen gräßlichen Bengel halten, der seine Verwandten bloß schlecht macht,« rief er plötzlich rau, »denn erstens will ich Ihnen helfen,« – – damit neigte er sich über einen Koffer und warf planlos die darin befindlichen Sachen heraus, bis ich ihm in den Arm fiel, – – und zweitens – – –«

Eine längere Pause entstand, ich guckte garnicht hin, sondern ordnete in großer Hast meine Sachen, damit ich fertig sei, falls man mich rufen würde, – dann erfolgte plötzlich ein tiefer Seufzer, zwei Arme warfen sich über den wackeligen Tisch, der vor dem steinharten Sofa stand, und Willy brach in ungestümes Schluchzen aus.

Ich sah ihm eine Weile stumm zu, dann richtete er sich hastig auf.

»Soweit kommt man hier,« rief er zornig und bearbeitete mit einem fragwürdig aussehenden Taschentuch sein heißes Gesicht. »Sie müssen mir auf Ehre glauben, daß ich sonst nie heule. Aber ich hab' Heimweh,« schrie er mich an, »und ich weiß nicht wonach, ich hab' ja gar niemand auf Gottes Welt.«

Ich stand ganz stumm diesem großen Schmerz gegenüber, und er biß sich die Lippen beinahe blutig, um sich zu beherrschen.

»Der Vater ist schon lange tot, aber ich weiß doch noch, wie gut und klug er war, er wußte alles, alles, und das ganze Dorf kam zu ihm. Mutter und ich waren sehr unglücklich, als er starb. Na, und da blieb ich bei der Mutter, und immer sagte ich zu ihr: »Weine nicht, ich bin bald groß, dann sorge ich für dich!« Ach und dann kam die schreckliche Zeit von Mutters Krankheit, und ehe sie einschlief, sagte sie noch leise: »Tapfer, mein Willusch!«

Willy schluchzte laut auf.

»Dann war sie tot, – ich wollt's nicht glauben, na – und tapfer bin ich auch nicht gewesen, geschrieen hab' ich, – geschrieen, bis sie mich hierher brachten. Da wurde ich still, weil das Käferweib immer sagte: »Der Bengel ist ein Waschlappen!« Sie hätte mich auch nicht zu sich genommen, wenn ich auf der weiten Welt jemand gehabt hätte, der mir zugehörte, aber Onkel bestand darauf, Onkel ist so gut. Aber ich bin ganz anders hier geworden, – viel ruppiger, sie nennen mich hier Wilhelm, kein Mensch hat mich früher so genannt, die Mutter sagte: »Willusch« – – – –

Stromweise stürzten dem armen Kerl wieder die Tränen hervor, und ich saß dabei so hölzern und ungeschickt – –

»Wein' doch nicht, lieber, kleiner Willusch,« sagte ich plötzlich ganz zaghaft, und er sprang auf und erdrosselte mich beinahe mit seinen Liebkosungen.

Mit einem Schlage gewann er seinen Frohsinn wieder, sein ganzes Gesicht strahlte, als er fragte:

»Ist es wahr, daß Sie ›Felicitas‹ heißen?«

Ich nickte erstaunt.

»Och – wie schade!Sodürfen Sie hier nicht heißen, der Namen istvielzu fein für eine Erziehersche, sagt das Käferweib. Haben Sie nicht noch 'n andern? Oder 'ne Abkürzung?«

»Fee« nannte mich Mama, und Väterchen sagte: – – »Kerlchen.«

Willusch schlug die Hände über den Kopf zusammen, dann bearbeitete er mit den Fäusten seine Knie und lachte sich rein von Sinn und Verstand.

»Kerlchen!« schrie er entzückt. »Kerlchen als Erziehersche in der Käfersammlung! Ich werde immer nur »Kerlchen« rufen!«

»Untersteh Dich!« fuhr ich ihn an. »Niemand soll mich wieder so nennen, hörst Du? Niemand!« Ich fühlte, daß ich ganz blaß geworden war, und Willusch machte ein verdutztes, erschrockenes Gesicht.

»Nein, nein,« sagte er begütigend, »aber »Fee« darf ich doch sagen? Es ist beinahe noch toller, als »Kerlchen« und ich werde es jeden Tag sechsunddreißig mal anwenden!«

»Wozu?« fragte ich. »Meinen Namen kann mir doch niemand nehmen, und Frau Käfermann wird sich dazu bequemen müssen, mich Felicitas zu nennen!«

»Das tut sie nicht, das tut sie nicht,« rief Willusch aufgeregt, »Sie sollen's sehen! Oh hören Sie, sie kommt; wenn sie mich sieht, kriegen wir's beide.«

Mit einem Riesensatz sprang er zur Tür hinaus und kaum war er weg, da schlürfte Frau Käfermann herein.

Sie schlürft immer. Sie ist eine so kleine, dicke, gewichtige Dame, aber ich glaube, sie würde auch schlürfen, wenn sie lang und dünn wäre, jeder Schritt von ihr sagt: »Ich bin die Frau Kommerzienrat Käfermann!«

Sehr, sehr häßlich ist Frau Käfermann, abschreckend häßlich, – wie ein großer Karpfen sah sie aus, der nach Luft schnappt, denn mein Stübchen liegt ganz oben und sie mußte zwei Treppen zu mir heraufpusten. Während sie noch pustete, schossen ihre winzig kleinen Schweinsäugelchen in dem mir gehörenden Raume umher.

»Sehr unordentlich!« sagte sie atemlos.

»Ich fang' ja auch erst an,« verteidigte ich mich, aber da wurde sie so heiß und rot, daß sie zum Fürchten aussah.

»Was, Sie widersprechen ?« schrie sie mich an.

»I wo, ich widerspreche nicht, es sieht greulich unordentlich aus, aber ich kann da nix für, ich werde es schon noch ordentlich machen.«

»Sie führen eine sonderbare Sprache, Fräulein Marie,« eiferte nun Frau Käfermann, »ich bin das von meinen Dienstboten nicht gewöhnt, haben Sie verstanden, Fräulein Marie?«

Ich guckte mich rings im Zimmer um, um die »Marie« zu entdecken, mit der gesprochen wurde, aber ich sah niemand, ich sah nur die häßliche, zornige Frau, die mitmirredete.

»Ich heiße doch nicht Marie,« sagte ich erstaunt.

»Ach so, darüber wollt' ich mit Ihnen ja sprechen, deshalb bin ich hinaufgestiegen. Also Fräulein Marie, – »Felicitas« ist ein Unsinn, solche verrückte Namen sind für reiche Gräfinnen, aber nicht für Erzieherinnen und Stützen. Meine »Vorige« hieß »Marie«, sie heiratete den Krämer Wachduleit in der Gumbinner Straße, ich hab' mich an den Namen gewöhnt und werde Sie auch so nennen!«

»Aber ich gewöhne mich nicht daran, nie, nie!« rief ich aufgeregt und wendete mich sofort meinem Koffer zu. »Oh, oh, ich will wieder nach Hause!«

Ich warf schleunigst die eben von Willusch ausgepackten Kleider in den Koffer zurück, aber dann setzte ich mich ergebungsvoll auf einen Stuhl, – nein, ich ließ mich drauf fallen, vor Schreck über die zornige Redeflut, die über mich hereinbrach.

Ich weiß gar nicht mehr,wassie mir alles vorhielt, wessen sie mich beschuldigte, – ihre furchtbare Wut, ihre ungebildete Sprache hielten mich in Schach, ich packte ein Stück nach dem andern aus und hing es in den Kleiderschrank, oder legte es in die große, wurmstichige Kommode und hatte nur im tiefsten Innern ein wohliges Gefühl, daß diese häßlichen Reden ja gar nicht mir, sondern Fräulein »Marie« galten. Endlich, endlich ging Frau Käfermann fort, und ich blieb zurück mit heißem, schmerzendem Kopf und sagte immer leise für mich hin:

»Felicitas – Kerlchen! Felicitas! Kerlchen!«

Das Schulzimmer in Villa Käfermann liegt zu ebener Erde. Es ist ein riesengroßer, ungemütlicher Raum, »für mindestens vierundzwanzig Käferkinder berechnet«, wie Kerlchen schaudernd überlegt, während es dem jüngsten Sproß der Familie, Rika Käfermann, bei den Schulaufgaben ›hilft‹.

»Wenn Sie ein ordentliches Lehrerinnenexamen gemacht hätten, Fräulein Marie, dann könnten Sie sich doch noch das Schulgeld für Rika verdienen, uns kommt es ja nicht darauf an, wieviel wir bezahlen,« hatte Frau Käfermann noch am Morgen mißbilligend zu Kerlchen gesagt, und mit den Worten geschlossen: »Sie können doch rein gar nichts!«

»Rika, Rika, la plume – die Feder, wird nicht mit einem »h« geschrieben, – wie oft soll ich Dir das sagen. Sieh, wie lächerlich das aussieht »la plühme, du lernst ja im Leben kein Französisch.«

»Pah!« Rika rekelt sich aus ihrem bequemen Sitz, der streng nach den neuesten Anforderungen der Schulhygiene gebaut ist.

»Was Sie nur wollen, Fräulein Marie! Meine Institutsvorsteherin sagt, ich wäre hochbegabt für Sprachen.«

Kerlchen zieht die Augenbrauen hoch in ehrlichem Erstaunen.

»Ist die Möglichkeit! Hat sie das wirklich gesagt?«

»Ja, gestern. Mama holte sie zu einer Spazierfahrt in unserem Wagen ab, das hat Fräulein Milauer gern, und da erzählte Mama, Sie wären so ein sonderbares Mädchen, so hochnäsig und dabei arm wie eine Kirchenmaus – –«

»Wir wollen weiter arbeiten, Rika, ich will gar nicht hören, was Frau Käfermann gesagt hat – –«

»Doch, Sie müssen! Und Sie hätten gesagt, es wäre besser, wenn ich eine Lehrerin bekäme, die mir im Hause ordentlich Lesen, Schreiben und Rechnen beibrächte, aber da wurde Fräulein Milauer ganz rot vor Zorn und sagte, Sie wären eine anmaßende Person, und ich müsse unbedingt in ihrer Pension bleiben, ich wäre außerdem sehr begabt für Sprachen, nur etwas zart – –«

Rika lehnt sich bequem zurück und legt die Feder aus der Hand.

»Wie zornig sie aussehen, Fräulein Marie! Ich hab' es gern, wenn sich die Menschen ärgern, es ist sonst so langweilig auf der Welt.«

»Schreib Rika! La plume die Feder. La table, der Tisch. Rika, Rika! Du darfst doch französisch nicht so schreiben, wie du sprichst, guck, wie das aussieht »La tabbel«! Mir ist überhaupt so was nie vorgekommen. O Rika! Das Heft! Le Kajee! Wie schauderhaft!«

»Ja, dann sprechen Sie's mir falsch vor, Fräulein Marie. Fräulein Milauer hat gesagt, ich wäre – begabt – –«

Kerlchen schaudert es. Sie kennt schon genau den Tonfall ihrer Schülerin. Noch ein Widerwort von ihr, und Rika wird die Mundwinkel weit, weit herunterziehen und dann in ohrbetäubendes Geschrei ausbrechen, Frau Käfermann wird auf der Bildfläche erscheinen, hinter ihr Fräulein Angela, eine langgestielte Lorgnette vor Augen, um sich recht genau »Fräulein Marie« zu besehen, die so hoch bezahlt wird und nicht mal der kleinen Schwester bei den Schulaufgaben helfen kann.

»Komm, Rika, weine nicht! Ich will dir nochmal alle die Worte deutlich sagen und hinschreiben und dann lernen wir sie zusammen, willst du? Dann überraschen wir deine Eltern mit lauter richtigen Wörtern, – hör zu: »La plume« p, l, u, m, e – – –«

»Bin ich begabt?« fragt Rika weinerlich.

»Komm, schreib, Rika, sei vernünftig – ich helfe dir – –«

»Bin ich begabt?«

»La plume, die Feder! P, l, u – –«

»Bin – ich begabt?«

»Nein, Rika, nein – fürs Französische nicht – – –«

Kerlchen stockt entsetzt. Ein langgezogener Klagelaut ertönt, dem mehrere schrille Schreie folgen. Rita liegt ausgestreckt auf dem Stuhl, starr und steif, die Augen sind verdreht, ab und zu stößt sie gellende Laute aus, und da kommt auch schon Frau Käfermann gerannt, Fräulein Angela hinterher, sie jammern laut und ringen die Hände, die Köchin und zwei Stubenmädchen drängen sich auch dazu. Herr Käfermann schiebt alle fort, um seine Jüngste in den Arm zu nehmen und beruhigend zu streicheln. Dabei sehen seine Augen vorwurfsvoll Kerlchen an, die es immer noch nicht versteht, das zarte Kind vor Aufregungen zu behüten. Auch das pfiffige Gesicht von Willy Reymers taucht auf, – er ist gleich, nachdem man die ersten Schreie gehört, zum Arzt gelaufen, der glücklicherweise »nebenan« wohnt, – er wird gleich kommen.

»Nur ruhig Blut, Anton,« rannt Willy leise Kerlchen zu, »so 'ne Geschichte dauert nie lange, ich kenn' das. Nicht so blaß sein, Fräulein Fee, i Gott nei, – sie kommt schon wieder zu sich.« – –

»Solche Anfälle müssen unbedingt vermieden werden,« sagt zehn Minuten später der junge Dr. Schirmer, der sich an Stelle des beurlaubten Hausarztes der Familie Käfermann eingestellt hat. Dann tuen ihm seine Worte sofort leid, denn er fängt ein wahres Kreuzfeuer von mitleidslosen, vorwurfsvollen, scharfen Blicken auf, die sich alle auf das blasse, seltsame Mädchen richten, das ihm gleich beim Eintritt aufgefallen ist.

»Fräulein Marie versteht es so garnicht, unser Herzblättchen ›sanft‹ zu unterrichten,« klagt Frau Käfermann dem jungen Arzt, aber dieser unterbricht sie etwas schroff:

»Das Mädchen sollte überhaupt möglichst wenig »unterrichtet« werden, gnädige Frau. Lesen, schreiben, rechnen, plaudern, vorlesen und frische Luft! Haben Sie etwas Kampfer im Hause, gnädige Frau?«

Frau Käfermann läuft fort, so eilig es ihre Fülle erlaubt, und der Doktor bleibt mit Kerlchen allein, das ihm behilflich ist, Rika zu entkleiden.

»Das Kind muß mehr spazieren gehen,« sagt der Doktor und guckt Kerlchen scharf an. »Ich sehe Sie täglich mit ihr ausfahren, Fräulein Marie, das mag bequemer sein, ist aber nicht gut für das Kind.«

Ein paar zornige Augen richten sich auf ihn.

»Ich gehe auch lieber,« ruft Kerlchen, »aber es ist nicht vornehm,« sagt Frau Käfermann.«

»Ach so!«

Ein humoristisches Lächeln zuckt um die Mundwinkel des Arztes.

»Na, das wollen wir schon deichseln. Bitte, gehen Sie von heute ab jeden Nachmittag mit dem Kinde fort, es kann nach Tisch eine halbe Stunde schlafen, dann führen Sie es durchs Tilsiter Tor über den Wiesenweg nach Perkallen. Dort trinken Sie im Blauen Löwen ein Glas frische Milch, –Sieauch, Fräulein Marie!«

Kerlchen zuckt die Achseln.

»Jawohl, Sie auch,« wiederholt der junge Doktor ärgerlich. »Verstanden?«

»Ich will sehen.«

Der Doktor guckt Kerlchen scharf an, und sie erwidert seinen Blick unbefangen.

»Ich lasse mir so furchtbar ungern etwas befehlen,« setzt sie wie entschuldigend hinzu.

Der Doktor lacht.

»Sie sind hier nicht auf Rosen gebettet?« fragt er leise und legt Rika dabei sacht aufs Sofa.

Ein so abweisender Ausdruck tritt in Kerlchens Augen, daß er sich ärgerlich auf die Lippen beißt. Er hat während seiner Praxis gelernt, in den Mienen der Leute zu lesen, und auf Kerlchens offenem Kindergesicht steht ganz deutlich geschrieben :

»Das geht Sie garnichts an!«