Die Kopf-ab-Morde - Peter Niggl - E-Book

Die Kopf-ab-Morde E-Book

Peter Niggl

5,0

Beschreibung

Wenn der Germanengott Odin Menschenopfer fordert, müssen Köpfe rollen. Nicht in finsteren Vorzeiten spielt dieses Szenarium, sondern 1990, inmitten Berlins. Ein Mann köpft eine Prostituierte und erklärt seine Tat mit Odins Auftrag. Von gänzlich anderen Motiven war der "Klingelmörder" getrieben, er hielt Ausschau nach älteren Damen, die "nach Geld aussahen", und ermordet drei Rentnerinnen. Der Frage, wie es zu diesen und weiteren Taten kam, geht Peter Niggl in genau recherchierten und spannend erzählten Geschichten nach.

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Seitenzahl: 295

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Impressum

ISBN eBook 978-3-360-50025-0

ISBN Print 978-3-360-02144-1

© 2012 Verlag Das Neue Berlin, Berlin

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin, unter Verwendung

eines Fotos von picture alliance/chromorange

Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH

Neue Grünstraße 18, 10179 Berlin

Die Bücher des Verlags Das Neue Berlin

erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

Die in diesem Buch geschilderten Fälle folgen präzis den tatsächlichen Ereignissen. Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen wurden in den meisten Fällen die Namen der auftretenden Personen geändert.

 

Peter Niggl

Die Kopf-ab-Morde

und andere authentische Kriminalfälle

Das Neue Berlin

Der Klingelmörder

Trostloses Regenwetter herrscht an diesem Apriltag des Jahres 2008. Eine kleine Schar Trauernder gibt auf dem Landschaftsfriedhof Gatow einer Frau, die gerade einmal 46 Jahre alt geworden ist, das letzte Geleit. Ein letztes Mal kreuzen sich die Wege von Jasmina Fiedler und ihrem ehemaligen Mann Manfred.

Als sich ihre Wege ein Vierteljahrhundert zuvor trennten, war Jasmina eine junge, hübsche Frau, »ein bisschen einfach gestrickt«, meinte mancher ihrer Bewunderer hinter vorgehaltener Hand. Sie hat nicht wieder geheiratet. Den Familiennamen des Mannes, mit dem sie nur kurze Zeit so etwas wie eine Ehe führte, behielt sie bei. Mit Kellnern in Lokalitäten, die wahrlich nicht zu den ersten Adressen der Stadt zählten, hat sie sich über Wasser gehalten. Über die Jahre ist es einsam um sie geworden. Mit den wenigen Menschen, mit denen sie sich noch umgab, teilte sie das Interesse am Alkohol. Irgendwann hat ihr Körper das nicht mehr mitgemacht.

Manfred ist ebenfalls 46 Jahre alt. Er steht schlicht und korrekt gekleidet neben seiner Mutter am Grabe der Frau, für die er einst gemordet hat. Er ist im »Freigang«, ist also fast am Ende einer Haftstrafe und kann bereits hin und wieder einen Ausflug aus dem Gefängnis machen.

Zur kleinen Trauergemeinde gehören Jasminas Mutter, die einzige in diesem Kreis, die ihren Schmerz zeigt, und deren langjähriger Lebensgefährte Karl-Heinz Brennecke. Jasminas Vater ist mit seiner neuen Frau aus dem Ruhrpott angereist. Kaum eine Handvoll Freunde und Bekannte der Familie haben sich zum Abschied von Jasmina zusammengefunden. Etwas abseits stehen zwei Männer in abgewetzter Kluft, vom Alkoholdunst umweht – es sind Jasminas letzte Freunde.

Fast zweieinhalb Jahrzehnte liegt nun eine grausame Geschichte zurück, die mehrere Menschen das Leben gekostet und vielleicht Jasminas Leben mehr zerstört hat als das ihres früheren Mannes.

Beide sind 22 Jahre alt, als sie sich als junges Paar eine eigene, komfortable Existenz aufbauen wollen. Eine Eigentumswohnung, die für Altersgenossen kein Thema, weil einfach unerschwinglich ist, soll das Glück der jungen Ehe komplettieren. In Mariendorf wird eine solche 90-Quadratmeter-Eigentumswohnung gekauft. Die gewitzten Immobilien-Marktschreier hätten ihm weis gemacht, »dass es nicht allzu viel kosten würde«, gibt Manfred später an. Man schreibt das Jahr 1984. Es ist die Zeit der »windigen Berlin-Geschäfte und zu teuren Bauherrenmodelle«, wie der »Spiegel« einschätzt. Auf einem wabernden Markt mit Immobilien werden den Interessenten die Angebote schöngeredet. Die Ernüchterung folgt auf den Fuß.

Manfred, der noch nicht einmal einen erlernten Beruf vorweisen kann, will seiner Jasmina – der »schönen Jasmina«, wie sie genannt wird – etwas bieten. Aber in den Fängen der Immobilienzocker, in denen damals sogar gut verdienende Akademiker und Unternehmer finanziell in die Knie gingen, konnte er nicht zu den Gewinnern gehören.

Manfred ist mit seinem Latein am Ende. Dunkle Wolken haben sich vor den Honigmond des jungen Glücks geschoben. Die laufenden Kosten sind dem Paar über den Kopf gewachsen. 80 000 Mark Schulden aus dem Wohnungskauf sind eine bleischwere, nicht mehr zu stemmende Last.

Jasmina ist es nicht, die die Ansprüche ins Utopische schraubt. An Manfred selbst nagen die Zweifel, ob seine begehrenswerte Frau sich nicht einen Besseren suchen könnte, wenn er finanziell völlig ruiniert dasteht und eine klägliche Figur abgibt. Die Zeit drängt, der Besuch des Mannes mit dem Kuckuck steht kurz bevor.

»Ich hatte eigentlich viel Glück im Leben«, resümiert Manfred einige Jahre später. »Ich hatte eine gute Arbeit, eine hübsche Frau, nicht zu anspruchsvoll, und es ging immer weiter voran – und jetzt sollte mit einem Schlag alles vorbei sein. Ich habe die Arbeit verloren, jetzt wäre die Wohnung noch weg gewesen. Ich wollte wohl nicht zurückstehen, ich wollte nicht wieder zurück als einfacher Mensch …« Dem Makel, als »einfacher Mensch« dazustehen, will er sich nicht aussetzen.

Manfred spürt: »Das ging aber über meine Verhältnisse. Irgendwann sah ich keinen Ausweg mehr.« Er macht den ersten Schritt ins Abseits, noch nicht justiziabel, doch schon in eine Sackgasse. Bankraub – wäre das eine Lösung? Er wägt ab. Er weiß, dass die Sicherungsmaßnahmen immer ausgefeilter werden. Das Risiko, erwischt zu werden, ist hoch, zu hoch. Handtaschenraub – sicher, für einen Junkie mag dabei schon mal das Geld für einen Schuss rausspringen, aber eine Eigentumswohnung finanzieren?

Am 1. April 1984 wird in einer Wohnung im Berliner Bezirk Tempelhof eine Frauenleiche entdeckt. Hedwig Siebenstein war im Alter von 87 Jahren gewaltsam zu Tode gekommen. Sie lag mit Blutergüssen am Oberkörper und gebrochenen Rippen im Badezimmer ihrer Wohnung in der Borussiastraße. Als Todeszeitpunkt legt sich die Polizei auf den 30. März fest. Alle Ermittlungsergebnisse führen zu dem Befund: Es war ein Raubmord. In der Wohnung werden diverse Schmuckstücke vermisst. Über den Wert ist man sich nicht im Klaren. Umständlich formuliert im polizeilichen Amtsdeutsch fahnden die Ermittler nach möglichem Goldschmuck, der als »zwei Ringe aus gelbem Metall mit je zwei Steinen, bei denen es sich um Brillanten handeln könnte« bezeichnet wird. Neben weiterem Schmuck sei auch »Bargeld in unbekannter Höhe« verschwunden. Außerdem hätten »die Täter eine Flasche vermutlich weißen Krimsekt gestohlen, den die Frau zusammen mit anderen Dingen in einem Geburtstagspäckchen aus der DDR erhalten hatte«, brachte eine Tageszeitung in Erfahrung. Und dann verriet die Polizei noch ein Ermittlungsergebnis: Offensichtlich hatte das Opfer den »Mörder freiwillig in die Wohnung gelassen, denn Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen waren nicht zu erkennen«. Die Polizei setzt für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, 5000 D-Mark aus.

Der Tag des Mordes an Hedwig Siebenstein war ein Freitag. Genau eine Woche später, es ist Freitag, der 6. April 1984, erstickt in ihrer Wohnung in der Kreuzberger Gneisenaustraße die 83 Jahre alte Gerda Schubert an einem Stoffknebel. Am 10. April schreibt die »Berliner Morgenpost«: »Gerda Schubert ist die vierte Berlinerin, die von einem ›Klingelgangster‹ in diesem Jahr umgebracht wurde.« Erst einen Monat später erfährt die Kripo, dass am selben Tag in der Charlottenburger Stülpnagelstraße das Leben der 74-jährigen Elfriede Dornbach ein gewaltsames Ende fand.

Vier Wochen vergehen, die Ermittler tappen im sprichwörtlichen Dunkel. Die Schreckensworte »Klingelgangster« und »Klingelmörder« ziehen ihre Kreise durch die Zeitungsspalten. Eine neue Verbrechensart scheint gekürt. Fünf Jahre später zieht das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« das Fazit dieser verbrecherischen Novität: »Raub und Mord an der Wohnungstür nehmen zu: Klingelgangster überfallen vor allem Alte und Schwache.« Inzwischen hatte sich das kriminalistische Phänomen ausgewachsen: »Als Klingelgangster, eine neue Spezies von Kriminellen, betätigen sich Rauschgiftsüchtige in Geldnöten sowie Profi-Räuber, die Hehlerware suchen. Bisher wurden Jahr für Jahr rund 1800 solcher Überfalle registriert. Doch seit Spätherbst häufen sich in der Kriminalitätssparte ›Raub an der Wohnungstür‹ die spektakulären Fälle: So starben allein in Hamburg binnen einer Woche vier Menschen, darunter die Sängerin Gerlinde Etschmann, unter den Hieben, Stichen und Würgegriffen brutaler Besucher.« Erfahrungen, die die Berliner Kripo schon gemacht hatte.

Am 7. Mai 1984 wurde die Mordkommission in die Neuköllner Thomasstraße gerufen. Die 83-jährige Else Franzen war in ihrer Wohnung tot aufgefunden worden. An einem »Fremdverschulden« bestand kein Zweifel. Die Frau war mit einem Halstuch erdrosselt worden. Die durchwühlte Wohnung, in der der Inhalt der Schränke und Schubladen auf dem Fußboden verstreut herumlag, ließ vor allem eine Schlussfolgerung zu: Raubmord. Die Kripo vermutete, dass die Frau ihrer Ersparnisse beraubt worden war, und lag damit genau richtig. Auch der Zeitpunkt des Verbrechens ließ sich schon vor dem Befund des Gerichtsmediziners einigermaßen konkret bestimmen. Die Tat musste rund zwei Wochen zurückliegen und während der Ostertage verübt worden sein. Eine Zeitung vom 21. April – dem Ostersamstag – machte die Eingrenzung wahrscheinlich, denn die folgenden Ausgaben fehlten.

Aber bislang gab es noch keine Spur vom Täter – bis zu diesem Verbrechen. Wie eine Visitenkarte lag in der Wohnung ein Kassenbon über fünf Mark. Es war kein gewöhnlicher Kassenbeleg. Der sieben mal vier Zentimeter große Zettel lieferte den Schlüssel zur Lösung des Falles. Das Papierscheinchen, eine Gebührenquittung der polizeilichen Meldestelle des Abschnitts 48 in der Tempelhofer Volkmarstraße, war datiert vom 16. April. Wie in einem schlechten Krimi bekam die Polizei ihren Täter auf dem Silbertablett serviert. An besagtem 16. April waren nur zwei solcher Quittungen für sogenannte »Lebensbescheinigungen« ausgegeben worden. Ihre Empfänger konnten problemlos auf der Meldestelle namhaft gemacht werden. Zwei Männer erhielten daraufhin Besuch. Einer der beiden konnte seinen Beleg vorzeigen. Der andere musste also der »Klingelgangster« sein.

Am frühen Vormittag des 10. Mai klingelt es an der Wohnungstür von Jasmina und Manfred Fiedler – es ist die Kripo. Dem sichtbar irritierten Wohnungsinhaber wird der Tatvorwurf eröffnet. Dann findet die obligatorische Wohnungsdurchsuchung statt.

Wieder bekommen die Kripo-Beamten das Belastungsmaterial geradezu mundgerecht serviert. Persönliche Sachen von Else Franzen werden gefunden, wie beispielsweise ein Briefbogen, auf dem eine Bekannte der Ermordeten eine Nachricht hinterlassen hatte, oder ein Brief, der an Franzens 1977 verstorbenen Ehemann gerichtet war. Die weitere Suche fördert Schmuck zutage, der der Hedwig Siebenstein gehört hatte. Fast wie ein Karnevalsutensil machte sich eine imitierte »FBI-Marke« mit der Aufschrift »New York-FBI – Special Agent« aus, die sich Fiedler offensichtlich als »Türöffner« für seine Raubzüge beschafft hatte. Nicht zuzuordnen waren zunächst 1050 Schweizer Franken.

Am folgenden Tag präsentierte die Tagespresse den Fang der Polizei. Es gibt aber wenig Konkretes zu berichten, bislang war der Mann lediglich durch kleine Eigentumsdelikte bei der Polizei aktenkundig geworden.

Manfred Fiedler wurde nun von der 4. Mordkommission in die Mangel genommen. Die von der »Vierten« galten als Vorzeige-Spürnasen; ihr Chef, Manfred Vogt, ist ein besonders erfolgreicher Mord-Ermittler. Die Fakten sprachen gegen Manfred Fiedler. Der sah sich einer erdrückenden Beweislast gegenüber und schaltete auf simple Abwehr. Und die hieß: eisern schweigen.

Doch dann wurde – wie am 13. Mai der »Tagesspiegel« unter Berufung auf Kommissionschef Vogt berichtete – »Fiedler von einer nicht näher bezeichneten Vertrauensperson dazu gebracht, ein Geständnis abzulegen«.

Diese Person ist Karl-Heinz Brennecke, der als große Nummer in der Westberliner Ganovenszene galt und dennoch exzellente Kontakte zur Polizei hatte. Und er ist der Lebensgefährte von Jasminas Mutter. Als er von der Verhaftung Fiedlers erfuhr, bot er den Leuten der Mordkommission seine Dienste an. Er wolle ihnen helfen und müsse dazu mit »Manni« sprechen. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf den schillernden Bordellwirt, dass die Kripo-Beamten ihm in dieser Ermittlungsphase den Zugang zu Fiedler erlauben. Als Brennecke mit dem Gespräch fertig ist, können die Beamten das Geständnis von Manfred Fiedler protokollieren.

Vier Morde an betagten Damen hatten die Ermittler in den zurückliegenden Wochen in Atem gehalten. Die Opfer: Gerda Schubert, Hedwig Siebenstein, Else Franzen und die 78-jährige Klara Ziegler, die am 9. März während eines Überfalls in ihrer Weddinger Wohnung einen tödlichen Herzinfarkt erlitten hatte.

Eine Verantwortung für den Tod von Gerda Schubert und Klara Ziegler bestritt Fiedler, die anderen beiden Taten, zu denen es eine Fülle an Beweismaterial gab, räumte er ein und – er lieferte der Polizei noch eine Leiche.

Fiedler über seine damalige Aussage: »Es wurden erst zwei gefunden, und ich habe dann die Dritte zugegeben, habe sie hingeführt. Aber erst nach dem zweiten Tag. Ich war natürlich voller Panik, voller Angst, habe kein Wort gesagt, zwei Tage lang. Dann kam noch der Herr Brennecke zu mir und sagte: Es ist ja sowieso alles vorbei, mach reinen Tisch. Was ich auch eingesehen habe, weil es ja verbohrt war – die Beweise waren da. Schlafen konnte ich sowieso nicht in der Gothaer Straße, es war ja doch alles … die Frau war weg, die Wohnung war weg, die Verhaftung … Die Erkenntnis , was ich getan hatte, was ich vorher verdrängte, kam jetzt auf mich zu. Ja, dann habe ich alles zugegeben, alles eingeräumt.«

Er führte die Kriminalbeamten zu einer Wohnung eines siebengeschossigen Wohnhauses in der Stülpnagelstraße in Charlottenburg. Die seit über einem Monat tot in ihrer Wohnung liegende Elfriede Dornbach war noch nicht gefunden worden. Jetzt rückte Fiedler auch mit Details zu seinen Morden raus. Die 74-Jährige habe er auf der Straße als potenzielles Opfer ausgemacht. Daraufhin sei er ihr gefolgt und sogar gemeinsam mit ihr im Aufzug in die fünfte Etage gefahren. Kaum hatte die Rentnerin ihre Wohnung betreten, habe er an der Tür geklingelt. Als sie öffnete, habe er die Frau in den Korridor gestoßen, von ihr Wertsachen und Bargeld verlangt und sie dann mit einer Strumpfhose erdrosselt.

Elfriede Dornbach war das zweite Opfer des »Klingelmörders«. Die Schweizer Franken, die die Ermittler zunächst nicht zuordnen konnten, stammten ebenso aus einem Schrank in ihrer Wohnung wie mehrere tausend Mark und Schmuck. Bei seinem letzten Opfer hatte Fiedler rund 20 000 Mark in Briefumschlägen erbeuten können.

Mit dem Geständnis drangen nach und nach weitere Einzelheiten zu den Verbrechen an die Öffentlichkeit. Ähnlich wie beim Mord an Elfriede Dornbach sei Fiedler auch bei den anderen beiden Überfällen vorgegangen, hieß es schon kurz nach seiner Festnahme. Else Franzen aus der Thomasstraße in Neukölln wurde sein letztes Opfer. Nach eigenen Angaben erdrosselte er die Frau am 18. oder 19. April in ihrer Wohnung mit einem Schal. Die Schilderungen der Taten offenbarten ein Maß an Brutalität, das selbst erfahrenen Mordermittlern die Schauer über den Rücken laufen ließ. Der 87-jährigen Hedwig Siebenstein aus der Borussiastraße, die dem Verbrechen am 30. März zum Opfer gefallen war, hatte er zunächst das Knie gegen den Kehlkopf gedrückt und dann die Schwerverletzte in die Badewanne gestoßen und Wasser einlaufen lassen.

Nach Jahren der Haft war Fiedler bereit, sich den Fragen eines Reporters für das SFB-Hörfunk-Magazin »Pulp« zu stellen. In der monatlichen Halbstunden-Sendung konnten Häftlinge über ihre Fälle und ihr persönliches Schicksal sprechen. Im Juni 1991 kam Manfred Fiedler dort zu Wort.

Auf die Frage, wie es zu diesen Verbrechen kommen konnte, erläuterte er: »Irgendwann wollte ich einen Raub machen, dann hat sich das zum Raubmord entwickelt. Und die anderen zwei Morde danach waren aus Gewohnheit, kann man schon fast sagen. Ich wusste danach, dass ich fähig war, einen Menschen zu töten, und habe das also billigend in Kauf genommen …« Es klingt salopp, wenn er zu sich selbst sagte: »Mensch, machst ’nen Raub. Einbrechen war nicht so mein Ding gewesen, also dachte ich: machst ’nen Raub. In dem Raub hat die Frau sich gewehrt, geschrien, alles. Ich bin in Panik geraten und habe die Frau erwürgt.«

Frage an Manfred Fiedler, ob es nicht eine innere Stimme gegeben habe, die ihn zu Umkehr hätte bewegen können: »Das war wie eine Einbahnstraße, man kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, man sieht, dass das, was man getan hat, sowieso nichts gebracht hat, zurück kann man nicht mehr … Ich habe es nicht bewusst wahrgenommen, dass ich jemand getötet habe. Das war also weit weg. Ich kann mich heute nicht mehr an das Gesicht oder an die Wohnung der Frau erinnern … es fällt mir schwer, mich an Einzelheiten zu erinnern, das war ­alles wie ein Film. Ich war ja auch nicht betrunken, nichts.«

Am 29. Oktober 1984 begann vor einem Moabiter Schwurgericht der Prozess gegen den inzwischen 23-jährigen Manfred Fiedler. Zwar gab er auch vor den Richtern unumwunden seine Taten zu, die rechte Einsicht in die Schuld, die er auf sich geladen hatte, schien aber nicht aufzukommen. Er habe »hinterher zwar immer ein dumpfes Gefühl« der Leere gehabt, »aber Gewissensbisse in dem Sinne eigentlich nicht«. Er habe »trotzdem gut schlafen« können. So schilderte er den Richtern sein offensichtlich stark abgestumpftes Gefühlsleben. Weil ihm der Staat nicht geholfen habe, sei ihm klar geworden: »Legal geht nichts mehr.« Er habe nicht nach einem Plan gehandelt, sondern aus der Situation heraus getötet: »Ich bin immer davon ausgegangen, dass sie sich vernünftig benehmen und mir das Geld geben. Aber als sie schrien und sich wehrten – was sollte ich da machen?«

Da war sie wieder, die Schuldzuweisung an die Opfer, die zum unauslöschlichen Standardrepertoire von Mördern gehört.

»Warum brauchen alte Leute noch so viel Geld?«, stellte Fiedler als rhetorische Frage in den Raum. »Ist das etwa gerecht?« Wollte er damit andeuten, dass er nur der Gerechtigkeit etwas nachgeholfen hatte? Offensichtlich! Das Geld liege »doch bei denen nur rum. Manche von ihnen haben nur eine Ein-­Zimmer-Wohnung mit Außentoilette, bewahren im Schrank zigtausend Mark auf und geben keinen Pfennig aus.«

Warum die alten Frauen? »Die wehren sich nicht und haben immer was zu Hause.« Fast hilflos wirkt dabei die Erwiderung des Vorsitzenden Richters: »Man hat Sie ja nicht gezwungen, sich eine Eigentumswohnung für 80 000 Mark zu kaufen.«

Fiedler konnte bei diesem Prozess keine Pluspunkte sammeln. Zwei Sachverständige hatten ihn begutachtet, eine schwere seelische Abartigkeit diagnostiziert und ihm eine verminderte Schuldfähigkeit zugebilligt. Das Gericht jedoch folgte diesen psychiatrischen Gutachten nicht und verkündete am 9. November 1984 das Urteil: dreimal lebenslänglich.

In einer Strafrechtsreform schaffte der Gesetzgeber aber bereits 1986 die mehrfach lebenslängliche Strafe ab. Für Manfred hieß dies, dass sein Strafmaß in eine einfache lebenslange Haft, also in der Regel 25 Jahre, umgewandelt wurde.

Er fügte sich in sein Schicksal. In der Justizvollzugsanstalt Tegel zeigte er sich als Mustergefangener. Er schaffte es sogar in den letzten Jahren seiner Haft in das Redaktionsteam der Gefangenenzeitung »Lichtblick«. Ein gewisses Privileg.

Am Grab von Jasmina stand Manfred neben dem Mann, der 25 Jahre zuvor vielleicht in mehrerlei Hinsicht schicksalsbestimmend für ihn war. Manfred hatte Karl-Heinz Brennecke einst bei seiner Schwiegermutter kennengelernt und ab und zu bei ihm übernachtet. Brennecke, Ex-Fremdenlegionär, Bordellbesitzer und Unterweltgröße, war gewiss nicht das Leitbild für ein tugendhaftes Leben. Als in dem einstigen »Pulp«-Gespräch ein Journalist fragte: »Es gibt ja von Brennecke immer so Aussagen, wenn er irgendwo auftritt: Töten ist wie Kaffeetrinken, wenn man sich daran gewöhnt hat«, hatte Fiedler erwidert: »Die Sprüche kannte ich von ihm. Er hatte eine lockere Einstellung zum Leben, sagen wir es mal so. Er wurde auch – wie er behauptete – öfters bedroht und schreckte vor nichts zurück. Bloß, ob mich das zu den Taten verleitet oder es mir einfacher gemacht hat, dass ich da nicht so tief drüber nachgedacht habe … Es wäre eine Möglichkeit, natürlich.«

Nachdem Brennecke Manfred zum Geständnis gebracht hatte, besorgte er ihm einen Verteidiger, den Rechtsanwalt Wilfried Manthey. Erst einige Jahre nach dem Fiedler-Prozess kam bei ihm ein Doktor-Titel hinzu. Dr. Manthey war in vielen schlagzeilenträchtigen Strafverfahren mit und ohne Mandat zugange. Er wird uns in diesem Buch noch begegnen. Manfreds stille Minuten im April 2008 auf dem Gatower Friedhof erlebte er nicht mehr. Einen Monat zuvor war er mit 68 Jahren gestorben.

Die Gebrüder Pohl vom Nollendorfplatz

Sieht man von der ungewöhnlichen Architektur des U-Bahnhofes ab, fällt am Nollendorfplatz eigentlich nur ein Gebäude ins Auge: das 1906 erbaute »Neue Schauspielhaus«, das später als Kino, dann als Diskothek »Metropol« und heute als Club­lokal »Goya« genutzt wird. An der Rückfront des Baus befinden sich die Häuser, die zur Nollendorfstraße gehören.

Der Musiker Franz Winnig war schon vor dem Ersten Weltkrieg hierher gezogen und hat bis zu seinem Lebensende in der Straße wohnte. Nur einmal ist er umgezogen. Von der Hausnummer 33 quer über die Straße in das Haus mit der Nummer 15.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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