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Im Weinberg liegt ein toter Mann mit durchgeschnittener Kehle. Weitere grausame Morde folgen und stören die Romantik im wunderschönen Rheingau. Die Kommissare Emma Gröhninger und Paul Schegerts machen sich auf die Suche nach dem unberechenbaren Killer, der die sonst so beschauliche Region in Atem hält. Können sie den Täter finden? Welches schicksalhafte Geheimnis verbirgt sich hinter den Taten? Der Rheingau – Thriller zeigt die Abgründe des ganz normalen Lebens. Wenn aus Liebe Hass wird, tun Menschen Dinge, mit denen sie manchmal selbst nicht rechnen.
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Seitenzahl: 244
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Ute Dombrowski
Die Liebe stirbt im Weinberg
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Prolog
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Impressum neobooks
Die Liebe stirbt im Weinberg
Ein Rheingau – Thriller
Ute Dombrowski
3. Auflage 2016
Copyright © 2016 Ute Dombrowski
Umschlag: Ute Dombrowski
Lektorat/Korrektorat: Julia Dillenberger-Ochs
Satz: Ute Dombrowski
Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach
Druck: epubli
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
„Weinen kann ich nicht, aber mein Herz blutet.“
William Shakespeare
„Wintermärchen“
3. Aufzug, 6. Szene, Antigonus
Natalie wischte das Messer am Laub der Reben ab. Der volle silberne Mond verschwand hinter einer Wolke. In der Ferne zuckten die ersten Blitze am Nachthimmel und beleuchteten für einen kurzen Moment dicke Wolkentürme. Das Gewitter würde kommen und mit seinen dicken Regentropfen das Blut von den dunkelgrünen Blättern waschen. Sie hatte keine Angst, obwohl sie wusste, dass die Gewitter hier in den Weinbergen bedrohlich werden konnten. Sie breitete die Arme aus und genoss den aufkommenden kühlen Wind, der ihr die langen blonden Haare ins Gesicht wehte.
Dann wanderte ihr Blick zu dem am Boden liegenden Körper. Thomas lag ganz still und friedlich zwischen den Weinstöcken. Er sah aus, als ob er schliefe, so friedlich. Einzig die riesige Blutlache, die aus seiner Kehle geflossen war, störte die Harmonie. Mit einem Lächeln beugte sie sich zu ihm hinunter und strich ihm zärtlich über den Hinterkopf.
„Du hattest Unrecht. Ich hätte mich niemals in dich verliebt. Wir können nicht zusammenbleiben. Schlaf gut.“
Sie klappte das Rasiermesser, dessen Klinge seine Kehle wie eine reife Tomate von Ohr zu Ohr durchtrennt hatte, zusammen und schob es in ihre Handtasche. Thomas hatte sie geküsst und ihr tief in die Augen gesehen. Er hatte ihr vorgestern gesagt, dass er sich verliebt hatte und sofort alle Affären abbrechen würde. Während er sich umdrehte und eine kleine Weintraube pflücken wollte, hatte sie sich zärtlich an seinen Rücken geschmiegt. Sie hatte in der Tasche nach dem Messer gegriffen und es geöffnet.
Sein Blick war zunächst ungläubig auf sie gerichtet, dann griff er sich an die Kehle, wie um den wilden Blutstrom aufzuhalten, bevor er nach vorne kippte. Thomas war tot, ehe sein Körper den Boden berührte.
Gemächlich lief sie den Weg zurück zu ihrem Auto, das auf einem großen Parkplatz für Wanderer abgestellt war. Sie hatte Thomas zu einem Abendspaziergang in den Weinbergen eingeladen. Im Auto hatten sie sich lange geküsst, seine Hände waren unter ihr Shirt gekrochen und hatten ihre kleinen runden Brüste gestreichelt. Sie hatte ihn gewähren lassen. Ein letztes Mal. Ihr Lächeln war unergründlich. Er hatte sie dabei angesehen und stellte sich schon die unbeschreiblich schöne Liebesnacht nach dem Spaziergang vor. Vielleicht würde sich seine neue Freundin auch zu einem kleinen Abenteuer in der Natur hinreißen lassen oder sie klappten nachher die Sitze herunter und liebten sich im Auto.
Mit diesen Fantasien im Kopf stieg Thomas aus, ging zur Fahrertür und reichte ihr die Hand. Wieder hatte sie gelächelt. Ihre Gedanken waren bei dem geschliffenen Stahl in ihrer Handtasche. Dann liefen sie eng umschlungen los.
„Ich bin Thomas. Darf ich mich zu dir setzen?“
Der attraktive Mann mit den dunklen kurzen Haaren wartete nicht auf eine Antwort. Er setzte sich neben die junge Frau. Sie mochte Mitte zwanzig sein. Ihre langen blonden Haare fielen ihr weich über die Schultern. Mit ihren unergründlichen blauen Augen, sah sie ihn an. Die linke Augenbraue hatte sie ein wenig hochgezogen.
„Störe ich dich bei irgendetwas?“, fragte der sportliche, in Jeans und Shirt gekleidete junge Mann mit offenem Lächeln.
Sie schüttelte den Kopf und nippte weiter an ihrem Drink. Dann schaute sie wieder auf die tanzenden Paare, die sich auf der Tanzfläche um eine gute Figur bemühten. Bei einigen sah das recht gekonnt aus. Da stimmte die Harmonie, das Miteinander, Tänzerin und Tänzer verschmolzen in ihren Bewegungen. Andere ähnelten unbeholfenen Tanzbären. Eine junge Frau bewegte sich so steif, dass man zweifelte, ob sie Gelenke besaß. Daneben hampelte ein fülliger Mann wild umher und verrenkte sich fast dabei, um seiner Partnerin zu imponieren. Er schwitzte stark, sein Hemd hatte dunkle Flecken unter den Achseln, auf seiner Brust und am Rücken. Er stieß andere Tänzer an, die naserümpfend ein Stück abrückten, soweit das bei der Enge möglich war.
„Möchtest du tanzen?“
Die Stimme von Thomas war so dicht an ihrem Ohr, dass sie seinen Atem spürte. Es war nicht unangenehm und so nahm sie sich vor, heute mit ihm zu schlafen. Sie setzte ihr charmantestes Lächeln auf, leckte sich über die vollen Lippen, was ihn sichtbar zusammenzucken ließ, und nickte.
„Nenn mich Natalie. Tanz mit mir.“
Er führte sie mit fließenden Bewegungen sanft über die Tanzfläche. Ihre Körper berührten sich. Sie spürte seine heiße Erregung. Was ihre Hände unter seinem Shirt ertasteten, war ganz ansehnlich. Seine Arme gefielen ihr am besten. Sie waren von starken Sehnen durchzogen, fest und muskulös. Natalie mochte Männer mit starken Armen. Thomas hatte ein hübsches Gesicht. Seine grauen Augen strahlten.
Als sie sich wieder an die Bar setzten, ergriff sie sein Kinn und küsste ihn. Thomas zog Natalie an sich und schnell drängte seine Zunge zwischen ihre Lippen.
„Ich will dich. Heute Nacht!“, raunte er in ihr Ohr.
Natalie nickte und rutschte vom Barhocker. Thomas warf einen Geldschein auf die Theke und winkte dem Barkeeper. Natalie hatte nach seiner Hand gegriffen und ihn mit sich ins Freie gezogen. Dort küssten sie sich eng umschlungen. Er presste seine Hüfte gegen ihre.
„Ich habe ein Taxi gerufen. Komm mit zu mir. Ich habe mich bisher nie getraut, eine so schöne Frau anzusprechen.“
„Das hast du gut gemacht. Ich sitze am liebsten nur da und schaue mir die Leute an. Es kommt nicht sehr oft vor, dass mich jemand anspricht.“
„Heute ist mein Kumpel für ein halbes Jahr in die Schweiz gegangen zum Arbeiten. Ich hatte keine Lust, zuhause allein vor dem Fernseher zu sitzen. Darum bin ich losgefahren. Und wie man sieht, war es doch eine gute Idee.“
Er küsste sie wieder. Dann kam das Taxi. Sie stiegen ein und küssten sich weiter. Der Wagen hielt vor seinem Haus. Sie wollte jetzt Hände spüren und seinen männlichen Duft einatmen, wenn er erregt in sie eindrang. Er kramte eilig den Schlüssel aus der Hosentasche. Die Nacht war warm und trocken. Trotzdem zitterte Thomas, als er den Schlüssel ins Schloss steckte. Er hatte schon mit einigen Frauen geschlafen, aber noch nie waren sie so schön und unkompliziert. Alle, die er flachgelegt hatte, musste er vorher mit mitleiderregenden Geschichten beeindrucken. Oder er tröstete sie mit Sex, nachdem sie ihm von ihrem Kummer erzählt hatten. Es war schon ziemlich leicht, eine Frau ins Bett zu kriegen.
Seine letzte richtige Beziehung hatte er vor drei Jahren. Mara hatte ihn betrogen. Darum war er vorsichtig und hatte sich vorgenommen, sich nicht wieder zu verlieben. Also war er mit vielen Frauen einfach nur im Bett gelandet.
Natalie wurde auch von ihrem Freund betrogen.
Seitdem hatte sie jedes Jahr im Sommer versucht, den jungen Männern, die sie kennengelernt hatte, zu vertrauen und sich zu verlieben. Aber wenn einer sagte, dass er sich verliebt hatte, obwohl das eine offensichtliche Lüge war, fühlte sie in sich hinein und spürte eine unendliche Leere. Das war sein Todesurteil gewesen.
Den ersten Liebhaber, Jeff, hatte sie nach zwei Wochen im Liebesurlaub von einer Klippe gestoßen. Er war ganz am Rand balanciert, um ihr zu imponieren. Es war einfach gewesen und hatte sich gut und richtig angefühlt. Er hatte ihr gerade erklärt, dass es besser wäre, sich zu trennen. Niemand hatte von ihrer kurzen Beziehung gewusst und so hielt man seinen Tod für einen tragischen Unfall.
Der zweite Mann, Tim, hatte sich um vier Uhr morgens in Frankfurt auf die Brüstung seines Balkons im vierzehnten Stock gesetzt und gab sich locker und mutig. Sie hatten sich heiß und innig geliebt. Nach dem Sex hatte er ihr von seinen anderen Freundinnen erzählt. Am nächsten Morgen fand man seinen zerplatzen Körper auf dem Weg zu den Mülltonnen.
René war der dritte Mann. Er hatte ihr sehr gut gefallen. Der Sex war wunderbar. Aber bei jeder Gelegenheit flirtete er schamlos mit anderen Frauen. Als er sagte, dass er sich in Natalie verliebt hatte, brannte sein Appartement völlig aus. René hatte anscheinend die Flamme seines Gasherdes übersehen und die Handtücher zu nah an den Herd gelegt. Er war eingeschlafen, nachdem sie sich geliebt hatten. Die Handtücher waren in Brand geraten und die Flammen hatten sich erfolgreich durch die ganze Wohnung gefressen.
Im letzten Sommer hatte sie im Urlaub in Südfrankreich eine heftige Romanze. Es gab dort wunderbare, abgelegene Klippen, auf denen man Sex haben konnte. Jean-Claude, der jede vögelte, die dort Urlaub machte, war dreißig und hatte gerade festgestellt, dass er Natalie liebte, als er von dort abstürzte. Natalie war nach Hause gefahren und hatte um ihn geweint.
Sie hatte jedes Mal versucht, sich zu verlieben und zu vertrauen. Aber die Leere war geblieben. Männer waren Lügner und spielten mit Gefühlen.
Thomas hatte sie auf die Couch gezogen und geliebt. Gegen Morgen kleidete sich Natalie wieder an. Dann rief sie ein Taxi und fuhr zu ihrem Auto, das noch vor der Bar stand.
„Bitte erzähle niemandem etwas von uns. Es soll unser kleines Geheimnis bleiben. Darf ich heute Abend wiederkommen?“
Thomas hätte dieser Frau alles versprochen, wenn sie nur wieder in seinen Armen liegen würde. So kam Natalie fast jeden Abend zu ihm. Sie parkte in einer Nebenstraße und lief im Schutze der Dunkelheit zu seiner Haustür.
Kommissarin Emma Gröhninger von der Polizeidirektion Rheingau-Taunus stand an ihrem Auto und tauschte die weißen Turnschuhe gegen rote Gummistiefel mit gelben Sternen. Das Gewitter der letzen Nacht hatte den Boden des Weinbergs aufgeweicht. Sie stapfte durch die Reihen, bis Robert Rengsinger von der Spurensicherung sie aufhielt. Er arbeitete heute allein. Meist gab es in dieser Gegend nur Einbrüche oder andere kleinere Delikte, um die sich die Kommissare kümmerten. Die großen Fälle gingen direkt nach Wiesbaden.
„Eine riesige Sauerei ist das hier!“, rief er erbost.
Der kleine dicke Mann mit Halbglatze und randloser Brille meinte damit keineswegs den Toten und das Blut, sondern die vom Regen verdorbenen Spuren.
„Starkregen und Hagel. Ha! Dass ich nicht lache“, wetterte er weiter. „Ausgerechnet in so einer Nacht muss der Typ einen umbringen.“
„Wissen wir denn schon, dass es Mord war?“
Emma hatte gar keine Lust, an einem Sonntag das volle Programm durchzuspielen, aber sie hatte nun mal Dienst und sich mürrisch auf den Weg gemacht, als der Anruf von der Zentrale kam.
„Mord? Ha! Natürlich war es Mord. Oder denkst du, ein Wanderer trabt nachts durch die Weinberge und schneidet sich selbst die Kehle durch? Ich hätte an einem Samstagabend etwas anderes zu tun.“
Emma musste grinsen. Sie wusste, dass Robert samstags mit einem Bier und Chips vor dem Fernseher hockte und nichts weiter zu tun hatte, seit seine Frau das Weite gesucht hatte. Er tat immer so, als würde es ihm nichts ausmachen, aber Emma wusste, dass er unter der Trennung litt. Er war ein ausgezeichneter Kollege, doch außerhalb des Dienstes wusste er nichts mit sich anzufangen.
„Was wissen wir über den Mann?“
„Ein Mann halt. Dreißig plus minus würde ich sagen. Er ist nass wie eine Katze. Ein Wunder, dass er nicht mit Wasser vollgelaufen ist. Aber das liegt sicher daran, dass er auf dem Bauch lag. Der Winzer hat ihn heute früh gefunden, als er schauen wollte, ob das Gewitter irgendwelche Schäden angerichtet hat. Er hat ihn umgedreht und zwischen die Weinstöcke gekotzt. Danach ist er zusammengeklappt. Die Sanis haben ihn ins Krankenhaus gebracht.“
Na prima, dachte Emma, auf Kotze hatte sie jetzt so gar keine Lust. Schließlich hatte sie noch nicht gefrühstückt. Ein Kaffee musste morgens reichen. Sie strich sich eine Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht und trat zu dem Opfer. Emma kniff die blauen Augen ein wenig zusammen, als Robert den Reißverschluss des Leichensackes aufzog. Er reichte ihr einen Zettel mit dem Namen des Winzers.
Emma wandte sich schnell wieder ab. Eine tiefe Wunde klaffte am Hals des Opfers. Sie schüttelte sich. Eigentlich hatte sie, obwohl sie erst achtundzwanzig Jahre alt war, schon einige Leichen gesehen, aber es berührte sie immer noch heftig, dass es Menschen gab, die andere so grausam zurichteten. Sie war froh, dass sie noch nicht abgestumpft war. Wenn sie eines Tages nichts mehr empfand als Gleichgültigkeit, würde sie sich in den Innendienst versetzen lassen.
Ein Auto hielt unterhalb des Weinberges. Es war der rote Sportwagen ihres Partners Paul Schegerts. Er war vor einigen Wochen dreißig geworden und dachte seitdem, dass das Leben bald vorbei ist. Darum hatte er sich vorgenommen, jedes Wochenende ausgiebig zu feiern. So, wie er aussah, hatte er das gestern auch getan. Er hatte Mühe, die braunen Augen mit den langen Wimpern offen zu halten. Sein kastanienbraunes Haar, das bis zu den Schultern reichte, hatte er auf die Schnelle mit einem Gummi zusammengebunden. Der Dreitagebart war eher fünf Tage alt. Mit seinen weißen Turnschuhen trabte er durch den Matsch und Emma hört ihn schon von Weitem fluchen.
Eigentlich sah Paul sehr gut aus. Er war ein schlanker, durchtrainierter Kampfsportler, dem die Frauen hinterherschauten. Aber heute Morgen war er ungepflegt und roch so abgestanden und ranzig wie ein schales Bier neben kalt gewordenen Zigarettenstummeln. Emma runzelte die Stirn und hielt unmerklich die Luft an.
„Scheiße“, sagte er.
Emma stieß ihm unsanft in die Seite.
„Ja, auch schön, dich zu sehen. Guten Morgen! Wir haben einen ermordeten Mann.“
„Na toll, konnte man den nicht unter der Woche ermorden? Ich hatte gestern so viel Spaß wie lange nicht mehr.“
„Das sieht man. Und man riecht es. Konntest du denn schon Auto fahren mit dem Restalkohol?“
„Quatsch nicht. Sag mir lieber, was hier los ist!“, ranzte Paul seine Partnerin an.
Emma fasste kurz zusammen, was sie schon wusste. Dann ging sie zum Auto zurück, schlüpfte aus den Stiefeln, steckte sie in eine Tüte, damit ihr Kofferraum nicht schmutzig wurde und zog die Turnschuhe an.
Paul war hinter ihr her gelaufen. Er klopfte seine schmutzigen Schuhe gegeneinander, nachdem er sich auf eine Bank am Wegesrand gesetzt hatte. Zu spät bemerkte er, dass das Holz vom Regen durchtränkt war und fasste sich fluchend an den nassen Hintern.
„Was für ein Scheißtag“, murmelte er sauer.
„Komm, du Wrack, wir gehen Kaffee trinken“, forderte Emma ihn auf. „Danach fahre ich ins Krankenhaus und du gehst am besten duschen.“
Hintereinander fuhren sie ins Büro. Nach einer großen Tasse mit starkem Kaffee und viel Zucker sah die Welt für Paul schon wieder besser aus. Er trank aus, spülte die Tasse, trocknete sie ab und stellte sie wieder ins Regal. Paul wusste, dass Emma allergisch gegen Unordnung war. Er dachte immer: Wer weiß, was sie damit kompensieren muss. Sie arbeiteten schon fünf Jahre zusammen, aber er wusste fast nichts über ihr Privatleben. Sie lebte allein und war damit glücklich und zufrieden. In ihrem Job war man allein sowieso besser dran. Und obwohl Emma eine atemberaubend schöne und kluge Frau war, hatte er noch nie einen Annäherungsversuch unternommen. Sein Motto war: Niemals auf der Arbeit ficken. Das brachte nur Unruhe.
Die beiden kamen gut miteinander aus. Emma arbeitete gerne mit Paul zusammen. Mehr kam für sie nicht infrage. An einer Beziehung oder auch nur an Sex war sie nicht interessiert. Wenn sie nach Hause kam, wollte sie entspannen. Sie las viel, schaute gerne Horrorfilme und ging ab und zu essen oder etwas trinken.
Mona war ihre beste und einzige Freundin, seit sie Kinder waren, aber sie hatte einen Mann und zwei Kinder. Damit fehlte ihr oft die Zeit für einen Frauenabend. Ab und zu trafen sie sich zum Kaffeetrinken, aber entweder war Mona in Eile oder die Kinder waren dabei. Das ging Emma dann schnell auf die Nerven, denn die beiden sechs- und achtjährigen Jungen wurden antiautoritär erzogen und bestimmten das Leben ihrer Eltern wie kleine Terroristen. Man tat, was die Kinder wollten. Emma atmete jedesmal auf, wenn sie wieder ihre Ruhe hatte.
Natalie war nach Hause gefahren. Thomas die Kehle durchzuschneiden hatte sie sich nicht so spannend ausgemalt, wie es letztendlich gewesen war. Jemandem einen kleinen Stoß zu geben und so aus dem Leben zu befördern war das eine, aber selbst Hand anzulegen und zu töten war intensiver gewesen als alles andere. Es war besser als gutes Essen, besser als ein heißes Bad im Winter und besser als Sex. Sie hatte im Licht der stärker werdenden Blitze zugesehen, wie das Leben im wahrsten Sinne des Wortes aus ihm herausgeflossen war.
Sie stellte sich unter die Dusche, ließ das angenehm warme Wasser über Haare und Körper laufen und wickelte sich dann in ein Handtuch, um sich an das Fenster zu setzen. Draußen tobte das Gewitter wie ein wild gewordener Stier und unendliche Wassermassen ergossen sich in den Straßen des Ortes, um dann rasant den Weg ins Tal zu finden. Natalie war weit genug oben und musste nicht befürchten, Opfer einer Überschwemmung zu werden.
Sie musste lächeln, als sie an ihre Kindheit dachte. Immer, wenn ein Gewitter war, stand sie mit ihrer Schwester am Fenster und zählte die Blitze und die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Für jede Sekunde war es einen Kilometer entfernt, hatte Opa gesagt. Und Opa hatte immer recht. Opa hatte auf alles eine Antwort, schaute in den Himmel und sagte, was für ein Wetter es geben würde. Er schnupperte morgens aus der Haustür. Dann entschied er, ob es regnen, schneien, stürmen oder heiß und sonnig werden würde.
Nach einem Gewitter liefen die Mädchen barfuß durch die Pfützen vor dem Haus. Das Wasser war warm und die Luft wunderbar abgekühlt.
Natalie stand auf, warf das Handtuch über einen Stuhl und ging ins Bett. Entspannt und innerlich ruhig schlief sie ein.
Nach einem langen arbeitsreichen Wochenende, das an diesem Sonntag mit einer schnellen Banane endete, legte sich Emma auf die Couch. Sie war im Krankenhaus gewesen, aber als sie die Leiche erwähnte, zitterte der Winzer nur und bekam kein Wort heraus. Die Krankenschwester hatte sie in Richtung Tür geschoben.
„Sie sehen doch, dass er noch unter Schock steht. Kommen Sie morgen wieder oder rufen Sie an. Und jetzt raus hier. Der Patient braucht Ruhe.“
Unzufrieden ging Emma am Montagmorgen zu ihrem Auto und fuhr ins Präsidium. Dort saß ein duftender, frisch geduschter und frisierter Paul Schegerts am Schreibtisch und trank einen Kaffee. Als Emma sich ihm gegenüber an ihren Platz setzte, stand er auf und holte ihr auch eine Tasse Kaffee. Im Laufen goss er einen großen Schluck Milch in die braune Brühe.
„Danke. Der Typ im Krankenhaus ist noch nicht wieder beisammen. Schock, sagt die Schwester. Was hast du gemacht außer Schönheitsreparaturen?“
„Ist das ein Kompliment? Das wäre ja mal etwas ganz Neues aus deinem Mund. Ich habe in der Gerichtsmedizin angerufen. Sie waren nicht erfreut, aber den ersten Infos zufolge ist er an der durchtrennten Kehle gestorben. Er hatte Lippenstift im Gesicht. Was für ein Glückspilz. Wahrscheinlich war er vorher schön ficken und wollte sich auf dem Heimweg die Beine vertreten.“
Emma hasste Paul für seine derbe Ausdrucksweise. Aber sie ahnte, dass er damit etwas vertuschen wollte. Vielleicht war er aber auch einfach nur ein Arsch.
„Mehr nicht?“, fragte sie gelangweilt. „Linkshänder? Rechtshänder? Todeszeitpunkt? Weiß man, wer der Typ war?“
„Ja, in seiner aufgeweichten Hosentasche war seine Brieftasche mit Ausweis. Er hieß Thomas Bückau und war gerade mal so alt wie ich, als er das Zeitliche gesegnet hat. Aus Eltville. Bachstraße. Er hat dort die letzten Tage allein gelebt. Eigentlich war das eine Wohngemeinschaft, aber der andere Typ ist zum Arbeiten in die Schweiz abgereist. Das ist auch sicher. Er hat dort vor einigen Tagen in ein Hotel eingecheckt und geht regelmäßig zur Arbeit. Der kann es also nicht gewesen sein. Warum auch. Weil der Mitbewohner den Putzplan nicht eingehalten hat?“
Emma rollte mit den Augen. Sie antwortete nicht auf die dummen Sprüche ihres Kollegen. Stattdessen loggte sie sich in den Computer ein und suchte die Wegbeschreibung in die Bachstraße. Dann stand sie auf, nahm ihre Jacke vom Haken und sah Paul an.
„Komm, wir befragen die Nachbarn!“, forderte sie ihn auf.
Emma drehte sich um und verließ das Büro. Paul wusch noch die Tassen ab und folgte ihr dann eilig zum Parkplatz, wo sie sich an die Beifahrertür seines Autos gelehnt hatte.
Als er den Motor startete, sagte sie streng: „Und bitte lass mich reden. Du bist heute wieder sowas von pietätlos. Ich will mich nicht blamieren.“
Paul grinste und gab Gas.
Natalie stand vor dem Regal mit dem Müsli und suchte nach ihrer Sorte. Das mit Schokoflocken aß sie gerne. Hoch oben im Regal entdeckte sie die letzte Schachtel. Sie stand ganz hinten an der Rückwand und Natalie sah sich nach einem von den Hockern um, die manchmal im Supermarkt herumstanden.
„Kann ich helfen?“, fragte eine sanfte, tiefe Stimme.
Natalie drehte sich um und schaute in zwei schwarze Augen. Die schwarzen Haare und der Bart rahmten ein schönes, gebräuntes Gesicht ein.
„Müsli. Mit Schokoflocken. Da oben!“
Natalie zeigte hilflos mit dem Zeigerfinger nach oben. Der schlanke Südländer reckte sich, griff nach der Packung und stellte sie lächelnd in Natalies Einkaufswagen. Sie warf einen Blick auf seine Einkäufe. Zeig mir, was du isst und ich sag dir, wer du bist. Das hatte ihre Oma immer gesagt.
Im Einkaufswagen des Mannes befanden sich Milch, Tomaten, eine Gurke, Vollkornbrot in Scheiben und zwei kleine Tafeln dunkle Schokolade.
Er war ihrem Blick gefolgt.
„Schokolade. Ohne die kann ich nicht leben.“
Natalie nickte.
„Das kenne ich. Ein Tag ohne Schokolade ist wie ein Lied ohne Melodie. Ich bin Natalie.“
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. Er griff danach. Die wunderbaren dunklen Augen zeigten unverhohlen seine Bewunderung für die schöne blonde Frau.
„Ich bin Cem. Es freut mich, mal einen interessanten Menschen im Supermarkt kennenzulernen. Wollen wir nach unserem Einkauf eine heiße Schoko-lade trinken?“
„Gern“, erwiderte Natalie.
Cem gefiel ihr wirklich sehr. Er sah gut aus, konnte sich benehmen und er schien ein kluger Mensch zu sein. Vielleicht war er der Mann, der richtige Mann?
Sie schritten weiter zusammen durch die Reihen, obwohl sie damit den Zorn der eiligen Mütter auf sich zogen, die hinter ihnen drängelten, während deren Kinder im Einkaufswagen nach allem Möglichen verlangten. Natalie kaufte noch Milch und zwei Brötchen. Danach rollten sie zur Kasse.
„Ich verstaue meinen Einkauf im Auto und dann treffen wir uns hier im Café?“
Cem nickte. Er hatte sein Auto hinter dem Supermarkt geparkt, weil an diesem Freitag die Hölle los war. Im Kofferraum stand ein Korb, in dem er seine Lebensmittel ordentlich ablegte. Danach lief er zurück zum Haupteingang und suchte das übervolle Café im Eingangsbereich nach Natalie ab. Sie war noch nicht wieder drin, also steuerte er auf den einzigen freien Tisch zu und setzte sich mit dem Blick zur Tür.
Natalie kam eine Minute später an. Cem war der Gedanke gekommen, dass sie ihn vielleicht nur vertröstet hatte und dann abgehauen war. Nun rückte er ihr höflich den Stuhl zurück und sah sie sieges-sicher an. Diese Frau war ein Glücksgriff. Dagegen waren die Zicken im Studio hässliche Enten. Ihre Schönheit war unbeschreiblich, fand er und winkte nach der Bedienung.
„Zwei Tassen heiße Schokolade bitte.“
Die mürrische junge Frau nickte wortlos und trottete mit hängenden Schultern davon, um ihnen nach zehn Minuten zwei große blaue Tassen zu bringen, die eine dampfende, braune Flüssigkeit enthielten. Sie schmeckte wässrig, aber Cem war das egal. Er hatte hier seine Traumfrau getroffen. Er bemühte sich um interessante Konversation, was gar nicht so einfach war, denn Natalie redete nicht viel.
„Was machst du beruflich? Ich bin Personal-Trainer in einem Fitnessstudio in Wiesbaden. Wenn du magst, kannst du mal zum Trainieren kommen.“
„Ich bin Krankenschwester. Das mit dem Training überlege ich mir.“
„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ich denke, dass ich dich hier getroffen habe, war ein Wink des Schicksals. Nie wieder werde ich eine andere Frau ansehen. Würdest du dich mit mir verabreden?“
Natalie überlegte. Thomas war erst zwei Wochen her, aber der schöne Südländer gefiel ihr. Sie würde sich mit ihm treffen, mit ihm schlafen und schauen, wie ihre Gefühlslage war und wie sich der Mann in Sachen Treue verhielt.
„Gerne verabrede ich mich mit dir. Hast du eine Telefonnummer?“
Bereitwillig und überglücklich schrieb er ihr seine Handynummer auf einen alten Kassenbon. Dann verabschiedeten sie sich. Er hielt ihre Hand länger fest, als es nötig war. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, um ihn auf die Wange zu küssen.
Am nächsten Wochenende waren sie im Kino verabredet. Natalie trug ein dunkelblaues Kleid, die Haare fielen ihr wieder offen über die Schultern. Sie war leicht geschminkt. Cem kam in einem lässigen dunklen Anzug mit einem schwarzen Shirt darunter. Er küsste ihre Hand.
„Du siehst umwerfend aus. Ich freue mich, dass du mit einem wie mir ausgehst.“
Natalie lächelte ihn an.
„Was heißt denn mit einem wie dir? Du bist ein attraktiver Mann. Und was gucken wir? Es laufen ein Horror-Thriller und eine Liebesschnulze.“
Sie entschieden sich für den Horror-Thriller, weil da nur zehn Leute standen. Er war spannend und blutig. So mochte es Natalie. Liebesschnulzen zeigten nur, wie es im Leben eigentlich nicht lief. Cem hielt ihre Hand ganz fest und als der Killer die kurvige, kopfüber an der Decke hängende Blondine abschlachtete, wanderte seine Hand zu ihrem Knie. Die Blondine schrie, obwohl ihr Kopf schon fast komplett vom Körper abgetrennt war. Nur noch einzelne Hautfetzen im Nacken waren die Verbindung.
Cem beugte sich zu Natalie herüber, fasste mit der linken Hand ihren Nacken, zog sie zu sich heran und küsste sie hinter das rechte Ohr, während Natalie weiter nach vorn zur Leinwand schaute. Die Blondine war inzwischen völlig ausgeblutet. Cems rechte Hand befand sich nun zwischen Natalies Beinen. Der Killer wischte seine blutigen Hände am weißen, engen Kleid der Blondine ab. Natalie fragte sich, warum die Figuren immer weiße Kleidung trugen, wenn Blut im Spiel war. Cems Finger wanderten unter ihren Slip. Natalies rechte Hand legte sich in Cems Schritt. Er war höchst erregt. Der Killer durchtrennte das Seil, an dem die blonde Frau gehangen hatte und sie fiel in die Blutlache. Natalie wandte nun Cem ihr Gesicht zu und sie knutschten hemmungslos.
Beim Abspann des Films, nachdem der Killer vor der herannahenden Polizei auf ein Hochhaus geflüchtet und gesprungen war, verließen sie das Kino. Sie liefen eilig zu Cems Wohnung, die ein paar Straßen weiter war. Dort begannen sie sich bereits hinter der Wohnungstür auszuziehen und liebten sich auf der breiten, schwarzen Ledercouch im Wohnzimmer. Danach blieben sie atemlos liegen.
Cem strich Natalie eine schweißnasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann küsste er sie zärtlich. Natalie blieb über Nacht bei ihm.
„Der Thomas war ein so netter Mann“, schluchzte Gunhild Kröß, die Nachbarin.
Sie war fast neunzig Jahre alt und hatte neben Thomas Bückau gewohnt. Er hatte ihr oft geholfen, wenn etwas zu reparieren war oder wenn sie schwere Dinge tragen musste. Jeden Donnerstag hatte er ihr einen Kasten stilles Wasser mitgebracht. Dafür hatte sie ihm die Hemden gebügelt.
„Ach je, oh weh“, jammerte sie weiter. „Der war doch so ein guter Mensch. Wer tut denn so etwas? Wissen Sie schon, wer das gemacht hat?“
Emma tat die alte Dame leid. Sie erklärte ihr, dass sie zu den laufenden Ermittlungen nichts sagen durfte. Paul hatte sehr gern geschwiegen. Mit alten Leuten zu reden fand er immer anstrengend.
„Hatte Herr Bückau in letzter Zeit Besuch oder hat er sich anders verhalten als sonst?“
Gunhild Kröß überlegte. Sie wischte mit einem Taschentuch aus Stoff, das mit einer kornblumenblauen Spitze umhäkelt war, die Tränen ab und schüttelte ratlos den Kopf.
„Nein, nein. Es war alles so wie immer. Er hatte keine Freundin, sein Mitbewohner ist irgendwo im Ausland. Österreich oder Schweiz war das. Ach, ich bin alt und behalte nicht mehr alles. Die beiden haben sich das Häuschen geteilt. Zwei ordentliche junge Männer. Wer bringt mir denn jetzt Wasser mit? Oh, weh!“
Sonst bekamen sie nichts Interessantes zu hören. Die anderen Nachbarn waren entweder nicht da oder sie konnten nichts sagen.
Nur der alte Freddi von gegenüber sagte kurz angebunden: „Eine Blonde war mal da. Abends. Ist da rein.“
„Haben Sie mitbekommen, ob und wann sie wieder herauskam?“
„Ich bin doch kein Spion, der die Leute beobachtet. Keine Ahnung.“
„Wann war das?“
„Weiß nicht.“
Dann drehte er sich um und fegte weiter den Gehweg. In jedem Dorf gibt es einen Freddi von gegenüber. Der hielt sich meist auf der Straße auf, fegte den Gehsteig, zupfte unsichtbares Unkraut und wusste immer alles. Er wusste alles, bis jemand von der Polizei fragte. Dann wurden die Freddis manchmal stumm, taub und blind.
Emma schüttelte den Kopf und zog Paul fort. Hinter dessen Stirn sah sie eine böse Bemerkung wachsen, die im nächsten Moment aus seinem Mund herauskommen würde. Das konnte sie heute auf keinen Fall gebrauchen.
„Lass uns mal sein Haus ansehen. Ich habe den Schlüssel.“
„Die Alte hat doch gesagt, dass er nichts Besonderes war. Was soll es da zu sehen geben?“