Die Pferdereiter von Asteron - Bettina Auer - E-Book
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Die Pferdereiter von Asteron E-Book

Bettina Auer

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Beschreibung

»Weil ich dein Bruder bin. Durch unsere Adern fließt das gleiche Blut.«   Die Zwillingsbrüder Fargon und Aiden finden nach dem grausamen Tod ihrer Eltern in der Königsstadt Astoria die Chance auf eine hoffnungsvolle Zukunft. Schon bald haben die beiden das höchste Ziel: Sie wollen Pferdereiter des Königs werden. Allerdings geht dieser Traum nur für einen von ihnen in Erfüllung, während der andere voller Groll der neuen Heimat den Rücken kehrt. Einige Sommer später treffen sie wieder aufeinander, und schnell wird klar, dass auch nach all der Zeit derselbe Unmut zwischen den Brüdern herrscht. Während Fargon noch immer an seinem Traum hängt, Pferdereiter zu werden, sucht seine Frau nach ganz eigenen Wegen, ihm diesen zu verwirklichen. Schon bald lebt die Fehde zwischen den Brüdern wieder auf, obwohl sie das geringste Problem ist, dem sich die Zwillinge stellen müssen. Nach einem schweren Reitunfall des Königs scheint alles ins Verderben zu stürzen. Vertrauen geht verloren, aus Brüdern werden Widersacher und der Feind wartet vor den Stadtmauern. Aiden ahnt, was hinter all dem steckt, und auch Fargon bekommt langsam die ersten Zweifel …   Zwei Brüder, zwei Schicksale – eine Geschichte, die unter die Haut geht.

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Bettina Auer

Die Pferdereiter von Asteron

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Impressum

 

© August 2022 Seidl, Bettina

Rosenstraße 2

93086 Wörth an der Donau

[email protected]

www.bettinaauer.com

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

Lektorat/Korrektorat: Teja Ciolczyk - Lektorat Gwynnys Lesezauber, www.gwynnys-lesezauber.de

Umschlaggestaltung: Katja Hemkentokrax, www.cover-atelier.de

Illustration (Weltkarte): Vicky Hamen

Illustration (Pferd): Herzkontur - Linda Grießhammer, www.herzkontur.de

 

eBook-Vertrieb: Bookrix

 

Karte von Asteron

  

 

 

 

 

 

Erster Teil – Freunde

 

 

 

Zwillinge

Schon aus der Ferne war der graue Rauch zu sehen. Er stieg in den Himmel, der sein schwarzes Nachtgewand abgeworfen hatte und der leichten Röte des beginnenden Tages Platz machte.

Der Geruch von Asche, Blut und Verwesung schwebte durch die kalte Morgenluft. Pferdehufe hatten die Grassteppe umgepflügt und tiefe, erdige Scharten gezogen. Einige herrenlose Pferde durchstreiften das taufrische Grün und labten sich daran.

Je näher der Mann zum Ursprungsort des Qualms kam, desto mehr offenbarte sich ihm der Schrecken, den die Nacht hinterlassen hatte. Der Geruch des Todes drang deutlich an seine Nase und die Leichen, die in der Ferne wie verlorene Bündel ausgesehen hatten, nahmen ihre wahre Gestalt an.

Fliegen schwirrten bereits um die Körper, krabbelten über das tote Fleisch und legten ihre Eier in die frischen Wunden. Er verzog verächtlich das Gesicht und richtete sich im Sattel auf, sein Pferd schnaubte nervös.

Er war der Siedlung nun ganz nahe. Immer mehr Gefallene säumten seinen Weg und auch der ekelerregende Gestank nahm zu. Der Mann hustete und hielt sich den Unterarm vor die Nase. Sein Pferd brachte er nur mühsam am Brunnen in der Mitte des Dorfes zum Stehen, denn es scheute vor dem allgegenwärtigen Tod zurück.

Auch hier gab es nichts. Es war kein Anzeichen von menschlichem Leben auszumachen.

Eine Ziege blökte, die direkt auf ihn zusteuerte, und ihn dabei mit großen schwarzen Augen ansah. Der Mann stieg vom Pferd und strich dem Tier über dem Kopf. Es blökte erneut und machte sich von dannen; es hatte wohl auf Futter gehofft.

Er klopfte seinem edlen Reittier auf den Hals und sah sich abermals um.

»Heda! Ist da wer?«, rief er laut in der Hoffnung, auf sich aufmerksam zu machen, doch es rührte sich nichts. Verwundert runzelte er die Stirn. Sein Gefühl sagte ihm, dass nicht alle tot waren. Irgendjemand hatte diesen grausamen Raubzug überlebt - und er würde denjenigen finden.

Wahllos betrachtete er die Häuser, die größtenteils nur noch Ruinen waren. Er wählte das Gebäude außen auf der linken Seite. An den verbrannten Holzbalken konnte er erkennen, dass eine Scheune als Anbau gedient hatte.

Sicherheitshalber legte er seine rechte Hand auf den gerillten Schwertknauf. Der Mann erkannte vor sich eine Wohnstube. Besser gesagt das, was davon übrig war. Auf der rechten Seite musste sich einstmals eine Feuerstelle befunden haben, zudem fielen ihm weitere Überreste auf, die davon zeugten, dass hier eine Familie gelebt hatte. Aber da war nichts Außergewöhnliches zu erspähen.

Doch, da! Da war etwas!

Sein Körper spannte sich an, während er den Schwertgriff fest umklammert hielt. Seine braunen Augen huschten umher und alles in ihm war zum Kampf bereit.

Da!

Erneut sah er einen schnellen Schatten aus dem Augenwinkel und zog sein Schwert. Die Klinge blitzte auf und er vernahm ein Poltern, gefolgt von einem Aufschrei.

Schnell eilte er in den Nebenraum. Dort lagen mehrere morsche Fässer, Holzbalken, nasses Stroh und feuchte Wolldecken durcheinander.

Der Fremde wühlte sich durch das Gerümpel, ohne sein Schwert fallen zu lassen. Plötzlich spürte er einen Lufthauch von hinten, doch da war es schon zu spät.

Ein Holzbrett wurde ihm mit voller Wucht auf den Rücken geschlagen, und er stieß einen Schrei aus. Er wirbelte herum und bekam mit seiner linken Hand den Kragen eines Kindes zu fassen.

»He!«, brüllte und tobte der Junge, als der Fremde ihn zu sich herumdrehte.

Helle, grüne Augen starrten ihn aus dem verdreckten vom Ruß geschwärzten Gesicht an. Die dunkelbraunen Haare hingen ihm leicht in die Stirn. Der Junge trug ein Hemd aus Leinen, das an einigen Stellen zerschlissen und wohl früher einmal weiß gewesen war. Zudem war er in braune, knöchellange Hosen gekleidet. Die nackten Füße dreckig und von Schnittwunden übersäht.

»Sind noch andere hier?«, fragte der Krieger und hatte keine Mühe damit, den Jungen mit nur einer Hand festzuhalten. Der Bursche starrte ihn wütend an, seine Augen loderten vor Hass. »Antworte mir, Bengel! Zuerst schlägst du mir ein Brett über das Kreuz und dann kriegst du deinen Mund nicht auf!«

Der Junge schwieg beharrlich, doch diesmal zeigte er eine Regung. Er spuckte ihm ins Gesicht. Der Mann blickte ihn ausdruckslos an, wischte sich den Speichel weg, und stieß ihn angewidert von sich.

Das Kind landete unsanft auf dem Steinboden. Noch immer wütend blickte es ihn an.

Der Mann baute sich vor ihm auf, hob an, zu sprechen – doch ehe er zu Wort kam, rief jemand: »Haltet ein, Herr! Er meint es nicht so!« Ein Poltern ertönte und ein zweiter Junge erschien zwischen all dem Unrat. Er sprang leichtfüßig vor das andere Kind und sah dem Fremden fest in die Augen.

Die Ähnlichkeit der Kinder war verblüffend, sie waren eindeutig Brüder, wenn nicht sogar Zwillinge. Alles an ihnen war gleich: die Haare, die Augen, die heruntergekommene Kleidung und derselbe aufsässige Ausdruck in ihren Gesichtern.

»Es tut ihm leid, Herr. Fargon hat so etwas noch nie getan! Bitte, tut ihm nichts!« Die Panik war deutlich aus der Stimme des Kindes zu vernehmen.

»Sei still, Aiden!«, zischte Fargon seinem Bruder zu und trat nach ihm.

Der wich jedoch geschickt aus und wandte sich wieder an den Soldaten. »Herr, bitte …!«, er verstummte, als sich der Mann zu ihm hinunterbeugte und ihn eindringlich musterte.

»Wie alt seid ihr?«, fragte er, die Kinder nicht aus den Augen lassend.

»Wir sind beide elf Sommer alt«, beeilte sich Aiden, dem fremden Krieger zu antworten.

Der nickte knapp und richtete sich schweigend wieder auf, ehe er den Blick umherschweifen ließ. »Mein Name ist Terrebin. Was ist hier passiert?«

»Die Nomaden haben uns angegriffen, alle getötet und unser Dorf niedergebrannt! Grundlos und ohne darauf zu achten, ob Frau oder Kind! Und dabei haben sie auch nicht davor Halt gemacht, Magie zu benutzen!«, spie ihm Fargon voller Zorn entgegen.

Terrebin überraschten angesichts dieser Taten weder Wut noch Hass, die der Junge in sich trug.

So jung noch und klein, aber die Abscheu schon tief im Herzen verwurzelt, dachte er wehmütig.

»Ihr könnt hier nicht bleiben.«

»Und wohin sollen wir dann gehen? Dies ist unser Zuhause, zumindest das, was noch davon übrig ist«, sprach Aiden niedergeschlagen, woraufhin er einen bösen Blick von seinem Bruder erntete.

»Wir können es wieder aufbauen, Aiden! Bestimmt leben noch andere, und selbst wenn nicht, wir schaffen das gemeinsam.«

Terrebin kniff leicht die Augen zusammen. Er könnte die Kinder belügen, doch was würde es nützen? Sie hatten niemanden mehr auf dieser Welt; alle, die sie gekannt hatten, waren tot. »Es tut mir leid, euch enttäuschen zu müssen, aber meine Männer und ich haben bisher keine Überlebenden gefunden.«

»Er lügt, Aiden!«, kam es sofort von Fargon, der noch auf dem Hosenboden saß und den älteren Mann anstarrte, als wäre er ein Dämon.

Terrebin seufzte tief. »Ich kann euch anbieten, mich und meine Männer zu begleiten. Euch wird kein Leid geschehen, versprochen. Ihr werdet ein neues Zuhause bekommen.«

Die beiden Brüder warfen sich misstrauische Blicke zu. »Wieso sollten wir Euch glauben?« Fargon hatte skeptisch die Stirn krausgezogen und stand nun langsam auf.

Terrebin verstaute sein Schwert, dass er noch immer in der Hand hielt. Er hätte den Kindern natürlich kein Leid zugefügt, dennoch hieß es, wachsam zu sein. Die Nomaden konnten mit ihrer Magie alles bewerkstelligen.

Vielleicht sogar die Gestalt von Kindern annehmen, um uns zu täuschen?, sinnierte er, doch er schob den Gedanken weit von sich. Nein, diese Kinder vor ihm waren wirklich die Söhne von Bauern.

Terrebin ging in die Hocke und holte ein Siegel hervor, das um seinen Hals an einer goldenen Kette lag. Ein Pferd, aufgerichtet auf zwei Beinen, war darauf zu sehen. »Wisst ihr, was das ist?«, fragte er die Burschen, die verneinend ihre Köpfe schüttelten. »Das ist das Königssiegel von Astoria, dem Herrscher ganz Asterons. Ich bin der König, und ich schwöre euch bei meinem Siegel, dass euch kein Leid geschehen wird.«

Zwei Augenpaare starrten ihn an. Ein breites Lächeln stahl sich auf die Gesichter der Kinder.

»Wirklich? Ihr seid ein König, der König von Asteron?«, fragte Aiden atemlos.

»Ja, das bin ich. Kommt.« Er bedeutete den Jungen, ihm zu folgen, die nun willig gehorchten. »Habt ihr Dinge, die ihr mitnehmen wollt?« Betrübt senkten die Brüder ihre Köpfe. Hier gab es nichts mehr für sie. Still liefen sie hinter dem König her nach draußen.

Kurz blieben beide Knaben stehen, als sie das prächtige Streitross sahen. Dessen schneeweißes Fell glänzte in der Sonne, dunkle Metallplatten schützten seinen Körper. Es schüttelte mit dem Kopf und warf wiehernd die Mähne nach hinten.

»Wunderschön …«, entfuhr es Fargon, ihm klappte der Mund auf. Aiden tat es seinem Bruder gleich.

Terrebin lachte. »Na? Noch nie ein richtiges Schlachtross gesehen?«, sagte er und klopfte der Stute auf den Hals. »Kommt. Wir reiten zurück. Steigt auf.«

Nur zögerlich traten die beiden Brüder an das Pferd heran. Während Fargon es noch anstarrte, streckte Aiden die Hand nach seinen Nüstern aus. Das Tier schnüffelte daran, dann leckte es ihm über die Handfläche. Er kicherte.

»Sie mag dich. Es scheint, du kannst gut mit Pferden. Wisst ihr«, sagte König Terrebin nun an beide Jungen gewandt, »wenn ihr klug seid und gut lernt, könnt ihr eines Tages Pferdereiter in meinen Diensten werden.«

»Eure Pferdereiter?«, fragte Fargon nach und bot dem Pferd nun ebenfalls seine Hand dar. Jedoch sah es nicht mal in seine Richtung.

»Die Pferdereiter sind meine Leibwächter. Sie begleiten mich überall hin, beschützen mich und kümmern sich um die Sicherheit des Landes. Sie sind die Elitesoldaten des Reiches.« Der König sah in den Augen der Kinder, dass sie vollends begeistert waren. Er hatte in ihnen wohl einen Traum erweckt. »Und jetzt kommt! Ein Teil meiner Männer wartet dort auf mich, während die anderen das Dorf durchsuchen. Sie sind hinter dem Hügel. Da! Seht ihr die Standarte?«

Ein Banner flatterte im Wind: zwei Pferde auf rotem Hintergrund. Der König setzte die Kinder in den Sattel des Pferdes, während er die Stute am Zügel nahm und sie den Hügel hinaufführte. Dort angekommen warf er den beiden Jungen einen kurzen Blick zu und ein Lächeln schlich sich auf seine Züge.

Aidens Augen wurden noch größer, als er die Pferdereiter sah. Es waren mindestens dreißig Mann, alle saßen auf einem Streitross. Das Metall ihrer Rüstungen glänzte in der Sonne und ihre roten Gewänder hatten die Farbe von frischem Blut.

»Eines Tages werde ich Pferdereiter«, flüsterte Aiden so leise, dass es niemand hörte.

Hoffnung

Während sein kleiner Bruder diese neue Welt mit großen, neugierigen Augen betrachtete, war Fargon skeptisch. Die Männer, in deren Obhut sie sich befanden, waren zwar allesamt freundlich und anständig, aber er wusste, was sie über ihn und Aiden dachten.

Sie waren einfache Bauernsöhne, die zu nahe an der unsichtbaren Grenze der Nomadenstämme lebten. Nicht selten kam es vor, dass ihre unliebsamen Nachbarn durch die Dörfer streiften und von den Bewohnern forderten, was ihnen angeblich zustand. Stets hatten sie mit viel Widerwillen diese Abgaben geleistet, um Streit mit den Nomaden zu vermeiden, doch seit einigen Mondläufen hatten sie begonnen, grundlos mit Gewalt gegen die Dörfler vorzugehen. Sie benutzten sogar offen ihre Magie, obwohl dies in ganz Asteron verboten war.

Aber solch ein Pack wie die Nomaden hält sich natürlich nicht an Gesetze, dachte er voller Wut und ballte die Hände zu Fäusten.

Fargon hatte seinen Vater dazu befragt, wieso sie plötzlich so brutal vorgingen, aber selbst dieser hatte keine Antwort darauf gewusst. Und jetzt konnte er ihn nie wieder etwas fragen …

Sie hatten alle Einwohner getötet, nur ihn und Aiden nicht. Sie hatten sich versteckt, während sich ihre Eltern mit den anderen Dorfbewohnern gegen die Übermacht gerüstet hatten.

Die beiden Brüder hatten die Schreie der Sterbenden vernommen, das Geräusch, wenn Stahl auf Stahl traf, wenn Fleisch und Knochen durchtrennt wurden.

Nie wieder würde er diese Klänge vergessen.

»Hast du Hunger?« Einer der Männer fragte ihn plötzlich und hielt ihm ein Stück Brot und Käse entgegen.

Zögernd nahm Fargon das Essen an und dankte leise artig. Der Soldat wandte sich ab und widmete sich wieder seinen eigenen Angelegenheiten.

Fargon saß zusammen mit den Männern am Lagerfeuer, während sein Bruder bei den Pferden stand und einem der Soldaten half, sie zu füttern.

Seit Aiden die Tiere gesehen hatte, war er Feuer und Flamme. Es gab keinen Augenblick, in dem er sich von ihnen losriss. In ihrem Heimatdorf hatte es zwar auch einige Pferde gegeben, aber so prachtvoll, wie die Tiere der Soldaten, waren sie nicht gewesen.

Würde mich nicht wundern, wenn er von nun an sogar bei ihnen schläft.

Aiden war schon immer leicht zu begeistern gewesen. Er konnte ausdauernd gegen imaginäre Feinde kämpfen, mit gefundenen Käfern spielen und sich in seiner Traumwelt verlieren. War es das, worum Fargon seinen Bruder so sehr beneidete? Im Spiel einfach alles um sich herum vergessen zu können?

Er jedoch war nicht so. Er konnte das, was während der letzten Tage passiert war, nicht so leicht verarbeiten. Ihm war bewusst, dass er auch in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde.

»Schmeckt es dir nicht, Junge?«, fragte ihn der bärtige Mann zu seiner Linken freundlich.

Fargon sah ihn aus dem Augenwinkel misstrauisch an. Er hatte den Namen des Kerls schon längst wieder vergessen, auf dessen Pferd er mitreiten durfte. Und soweit er sich erinnerte, war es das erste Mal, dass er direkt zu ihm sprach.

»Doch. Ich habe nur keinen Hunger«, sagte er wahrheitsgemäß, biss aber dennoch ein Stück von dem Brot ab.

Plötzlich ließ sich Aiden neben ihn fallen, sein Bruder strahlte über das ganze Gesicht. »Hast du noch etwas für mich übrig?«

Wortlos brach Fargon seinem Bruder ein Stück Brot ab und gab es ihm. Der schlang es genüsslich hinunter. Fargon stieg dabei der Geruch nach Pferdemist in die Nase und er verzog das Gesicht. »Geh dich am Bach da vorne waschen! Ich mag nicht, wenn du stinkst wie ein Stallbursche!«

»Ich werde sowieso gleich wieder zu den Pferden gehen. Eines hat sich etwas im Huf eingefangen und ich möchte Gorn dabei helfen.«

»Gorn?«

»Ja!« Aiden zeigte auf den bulligen Mann, der gerade einen Rappen absattelte.

Fargon betrachtete ihn genauer. Der Mann war riesig, breit wie ein Schrank. Mit einer seiner Pranken könnte er einem den Schädel zerdrücken. »Der sieht für mich eher so aus, als würde er den Pferden wehtun, anstatt ihnen zu helfen«, grummelte Fargon verdrießlich.

Aiden verneinte jedoch laut. »Gorn weiß viel über Pferde und die Soldaten des Königs! Er sagt, er möchte einmal Hauptmann der Garde werden.« Aiden schlang das letzte Stück Brot hinunter und eilte dann zurück zu besagtem Gardisten, der ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken gab.

Fargon seufzte tief und schüttelte den Kopf. Danach stand er auf, entfernte sich etwas von den lärmenden Soldaten und legte sich zum Schlafen hin, den Blick weiterhin auf Aiden gerichtet, der mit einem freudestrahlenden Lächeln Gorns anleitenden Worten lauschte.

Wieso weinst du nicht, Bruder? Trauerst nicht, wie ich es tue? Alles, was uns etwas bedeutet hat, ist zerstört. Tot. Und du tust so, als wäre die ganze Welt in Ordnung. Wieso? Verrate es mir.

 

*

 

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Fargon erwachte. Doch er war nicht der Einzige, der keinen Schlaf mehr fand. An dem Lagerfeuer, das nur noch schwach brannte, saß mit dem Rücken zu ihm einer der Männer. Es war der König, der einen tiefen Schluck aus dem Trinkschlauch nahm. Dicht neben ihm lag sein Schwert.

Fargon gähnte und der Mann drehte sich halb zu ihm um.

»Ah. Du bist wach. Komm her, Junge«, bat er ihn freundlich, und Fargon folgte der Anweisung.

Er setzte sich neben Terrebin, aber nicht ohne gebührenden Abstand. Vor ihrer Begegnung hatte er noch nie einen König gesehen, woher denn auch? Sein Dorf war unbedeutend gewesen. Nicht einmal auf der Landkarte Asterons verzeichnet. Ein Adeliger hätte sich niemals dorthin verirrt.

»Du heißt Fargon, richtig?«

»Ja, Herr.«

Terrebin sah ihn unverwandt an, der Blick seiner braunen Augen lag prüfend auf ihm. »Du bist anders als dein Bruder. Obwohl du gerade sehr schweigsam und nachdenklich wirkst, bist du innerlich voller Zorn«, sagte der König und strich sich über den Bart.

»Kann schon sein«, erwiderte Fargon ausweichend. Ihm behagte es nicht, dieses Gespräch zu führen. »Was habt Ihr mit uns vor, Herr?«, wagte er dennoch, mit zitternder Stimme zu fragen.

Der König überlegte. »Ich werde euch beide als Mündel bei mir aufnehmen. Etwas anderes wäre unvernünftig. Ihr habt keine Eltern, kein Zuhause mehr. Euch nach diesem schrecklichen Vorfall in ein Waisenhaus zu geben, kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.«

»Wir brauchen Euer Mitleid nicht!«, entfuhr es Fargon jähzornig, kalte Wut wallte in ihm auf.

»Ist es das? Mitleid? Ich sehe das anders.« Terrebin blieb ruhig und freundlich, ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. »Aiden und du seid jeder auf eure eigene Art etwas Besonderes. Obwohl ihr alles verloren habt, habt ihr immer noch Euch. Ihr seid Brüder; Zwillinge. Das ist ein Band, das niemand durchtrennen kann. Ihr solltet stets daran festhalten. Ich möchte euch beiden ein neues Heim geben. Eine neue Zukunft. Findest du es falsch, dass ich euch helfen möchte?«

Die Wangen des Jungen brannten und er wandte beschämt den Kopf ab. Er sah zu Aiden, der tief und fest schlief – natürlich in der Nähe der Pferde.

»Ich habe Angst, Herr. Nicht nur um mich selbst, sondern auch um Aiden. Wie Ihr sagt, haben wir beide nur noch uns und … ich will ihn nicht auch noch verlieren.«

Der König legte ihm die Hand auf die Schulter, Fargon sah zu ihm auf. »Das wirst du nicht. Das verspreche ich dir. Ihr werdet ein neues Zuhause bekommen. Eine vielversprechende Zukunft.«

Fargon sah wieder zu Aiden und nickte schließlich dankbar, denn er verstand endlich, welche Möglichkeit der König ihnen da bot. Er schenkte ihnen Hoffnung. Zum ersten Mal an diesem Tag betrachtete Fargon den Mann genauer. Er war groß, wirkte nicht älter als Mitte dreißig und hatte dichtes, kurzes schwarzes Haar sowie dunkelbraune Augen. In seinen Iriden lag ein lebenslustiges Funkeln und seine Gesichtszüge strahlten Freundlichkeit aus.

Er hatte sich einen König immer andersvorgestellt: alt, dennoch bullig wie ein Stier und voller Härte. Es überraschte ihn insgeheim sehr, dass sein Gegenüber nichts davon erfüllte. »Ich danke Euch, König Terrebin. Wir werden versuchen, Euch nicht zu enttäuschen.«

 

Freundschaft

Aiden und Fargon kamen nicht mehr aus dem Staunen heraus, als die Türme Astorias immer näher kamen. Die Stadt war auf einem Berg errichtet worden, umschlossen von einem Fluss, und so sah es aus, als würde sie auf einer eigenen Insel stehen.

Die Brüder rutschten unruhig auf den jeweiligen Rücken der Pferde hin und her, auf denen sie mitreiten durften. Sie konnten es kaum erwarten, mit ihren schmutzigen Füßen über die Straßen der Stadt zu laufen. Auch die Pferdereiter wurden mit jedem Schritt nervöser, der sie Astoria näherbrachte.

Sie waren mehr als einen Mondlauf durch Asteron gezogen und jetzt, da die Heimat direkt vor ihnen lag, überschlugen sich ihre Gedanken vor Freude. Sie wollten nichts sehnlicher als ein gemütliches Bett, ein kühles Bier und freuten sich auf ihre Frauen, die sie erwarten würden.

Der König ritt mittig an der Spitze seiner Männer und sah hin und wieder nach hinten zu den beiden Kindern. Jedes Mal lächelte er breit, wenn er sah, wie sehr ihre Augen strahlten. Seine Entscheidung, sie nicht ihrem Elend zu überlassen, war richtig gewesen.

Die Pferdehufe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster, und die Menschen auf den grauen Straßen wichen sofort zur Seite, als sich die Pferdereiter ihren Weg zum Schloss bahnten. Einige verneigten sich hastig, andere riefen ihnen freundliche Worte zu und wieder andere boten ihnen Essen und frisches Wasser an.

Die Menschen wurden weniger, je höher sie die verwinkelten Gassen zum Schloss hinaufritten. Doch bevor sie das Tor erreichten, schwenkten die Männer nach rechts ab, lenkten die Tiere an der Außenmauer des Palastes vorbei und dafür eine kleine, steile Straße hinauf. An der Seite der Außenmauer war ein Durchgang und hinter diesem lagen ein großes hölzernes Gebäude sowie ein längliches aus Stein.

Aus dem Holzgebäude drangen die vertrauten Geräusche der Pferde, auf dem Platz zwischen den Gebäuden sah man junge Männer, die in einem abgesperrten Teil des Hofes trainierten. Aiden und Fargon sahen ihnen aufmerksam zu, wie sie mit hölzernen Übungsschwertern aufeinander eindroschen.

»Die beiden Männer trainieren, um in die Garde der Pferdereiter aufgenommen zu werden. Sie sind noch nicht lange Rekruten, aber sie machen sich gut«, sprach Gorn zuversichtlich und entlockte König Terrebin damit ein Grinsen.

Ja, die Ausbildung der neuen Pferdereiter war eine Herzensangelegenheit von Gorn, schon lange hegte er den Wunsch, Hauptmann der Kaserne zu werden. Der Regent nahm sich vor, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Hatte er in der letzten Zeit doch hinreichend unter Beweis gestellt, dass man sich auf ihn verlassen konnte.

Er stieg von seinem Pferd ab und übergab es einem Stallburschen. Die anderen Pferdereiter brachten ihre Tiere selbstständig in den Stall, um sie zu versorgen. Nur den Höhergestellten ihrer Einheit wurde das Privileg zuteil, einen eigenen Stallburschen für die Pflege ihres Tieres zu beauftragen.

Aiden und Fargon hingegen standen im Hof und starrten mit offenen Mündern alles an.

»Na?« Terrebin war zu ihnen getreten und legte jeweils einem von ihnen eine Hand auf die Schulter. Die Brüder zuckten kurz zusammen und sahen dann zu ihm auf. »Wie findet ihr Astoria? Das ist jetzt euer neues Zuhause«, sagte er mit Stolz in der Stimme und zwinkerte den Kindern zu.

»Es ist … überwältigend«, hauchte Aiden ergriffen.

Der König konnte nicht aufhören, das Strahlen in den hellgrünen Augen des Kindes zu betrachten.

»Und wo werden wir leben?«, fragte Fargon vorsichtig, doch selbst er konnte nicht verbergen, dass er von der Schönheit der Stadt beeindruckt war.

»Im Schloss. Zuerst. Danach, wenn ihr alt genug seid, dürft ihr dort leben, wo ihr euer Handwerk erlernt«, erklärte Terrebin.

»Ist es auch möglich, ein Pferdereiter zu werden?«, fragte Aiden aufgeregt.

Der König schmunzelte. »Ja, natürlich. Ihr beide könnt alles werden, was ihr wollt.«

»Dann will ich einer Eurer Pferdereiter werden!«, verkündete Aiden feierlich.

Fargon schnaubte jedoch nur abfällig. »Ja, klar. Als ob sie dich Knirps nehmen würden. Bestimmt werden nur adelige Söhne Pferdereiter. Der Rest wird für die Drecksarbeit eingesetzt.«

Terrebin musterte Fargon intensiv. In den letzten Tagen hatte er schnell bemerkt, dass Aiden im Gegensatz zu seinem Bruder aufgeweckt, fröhlich und leicht zu begeistern war. Fargon hingegen war launisch, mürrisch und betrachtete alles mit Argwohn. Ihn von etwas zu überzeugen, bedeutete, mit unendlicher Geduld zu reden.

»Wir nehmen jeden in unseren Reihen auf, der mutig und bereit ist, für die Heimat und seinen König alles zu riskieren. Egal ob der Sohn eines Bauers oder der Spross eines Adligen, jeder kann Pferdereiter werden. Natürlich nur, wenn er die Prüfung und die dreijährige Ausbildung über sich ergehen lässt. Mit vierzehn Sommern darf man die Aufnahmeprüfung ablegen, und wer sie schafft, wird innerhalb von drei Jahren darauf vorbereitet, alle Pflichten eines Pferdereiters bestmöglich erfüllen zu können. Das Bestehen der Abschlussprüfung ist das größte Ziel der Rekruten. Denn anschließend bekommen sie ihr eigenes Pferd und werden offiziell in die Garde des Königs aufgenommen. Leider schaffen viele die Prüfung nicht, doch diejenigen, die vielversprechend sind, dürfen sie im Sommer darauf wiederholen. Allerdings gibt es selten Anwärter für diese zweite Chance, da sie zutiefst beschämt darüber sind, es nicht geschafft zu haben.«

Fargon hatte die Stirn gerunzelt und den Kopf etwas schräg gelegt. »Und wie viele Soldaten schaffen schlussendlich die Prüfung?«

»Meist nicht mehr als drei. Die meisten Anwärter geben nach den ersten Tagen auf, denn die Ausbildung eines Pferdereiters ist mit nichts zu vergleichen. Sie erfordert Disziplin, Stärke und Durchhaltevermögen, nicht alle sind bereit, den notwendigen Ehrgeiz an den Tag zu legen«, erklärte der König geduldig. Aus dem Augenwinkel sah er Gorn, der auf ihn zukam. Terrebin nickte dem vor ihm salutierenden Soldaten zu. »Was gibt es?«

»Ihr werdet im Schloss erwartet, mein König.«

Er seufzte und beugte sich zu den beiden Jungen vor. »Ihr dürft euch gerne die Kaserne ansehen. Es wird bald jemand aus dem Palast kommen und sich um euch kümmern«, versprach er ihnen.

Schnell wie der Blitz rannten die beiden über den gepflasterten Hof, hinein in das steinerne Gebäude.

»Ihr habt Euch das gut überlegt, mein König?«, fragte Gorn vorsichtig.

Terrebin zuckte leichthin mit den Schultern. »Ja. Habe ich. Die beiden werden sich hier schnell einleben.«

Gorn verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Wenn ich offen sprechen darf: Ich denke, aus diesem Aiden lässt sich ein ordentlicher Soldat machen. Fargon hingegen, nun, er wirkt für mich nicht wie ein Bursche, der gern Befehle entgegennimmt. Ich kann Euch jetzt schon sagen, er wird Euch nur Ärger machen.«

»Das lässt sich noch nicht sagen, mein Freund. Vielleicht entwickelt sich auch alles anders. Wir werden sehen.« Terrebin klopfte ihm auf die Schulter. »Komm heute Abend auf einen Trunk zu mir. Ich möchte dir eine Entscheidung verkünden.«

Gorn salutierte vor ihm. »Wie Ihr wünscht, mein König.«

Terrebin zwinkerte ihm zu und verließ den Hof der Kaserne, um ins Schloss zu gehen.

 

*

 

Aiden und Fargon fühlten sich alsbald richtig zu Hause. Die ersten Tage waren ausschließlich dafür vorgesehen, die Stadt, das Schloss und natürlich die Kaserne zu inspizieren. Dabei erfuhren sie, dass dort nicht nur die Pferdereiter, sondern auch die einfachen Soldaten des Königs ausgebildet wurden.

Doch die fand Aiden bei Weitem nicht so faszinierend wie die Reiter. Deren Rüstungen glänzten in der Sonne, strahlten Souveränität und Respekt aus. Der Umstand, dass sie auf starken, schnellen Pferden ritten, ließ sein Herz in der Brust rasen.

Fargon hingegen betrachtete sie zurückhaltend. Während Aiden immer wieder in die Stallung rannte, um die Pferde zu streicheln oder sie mit Äpfeln zu füttern, beschränkte sich Fargon darauf, draußen zu warten und alles aus sicherer Entfernung zu beobachten.

Er sprang dann immer von einem Bein aufs andere und nörgelte lautstark, ob sich Aiden nicht beeilen könnte, da er lieber mit den Jungen in der Unterstadt spielen wollte.

Aiden erwiderte jedes Mal nur, dass er doch allein gehen sollte, allerdings wollte sein älterer Bruder dies nicht. Er sprach es nicht laut aus, aber Aiden wusste, dass er Angst hatte, dass ihm etwas passierte. Was natürlich völlig absurd war. Was sollte ihm hier schon geschehen? Es waren keine Nomaden hier, die ihnen nicht nur Hab und Gut, sondern auch ihr Leben rauben könnten.

»Geh doch vor!«, rief Aiden seinem Bruder zu und rollte genervt mit den Augen.

»Nein! Jetzt komm schon! Die Klepper sind morgen auch noch da!«

»He! Beleidige die Pferde nicht, du Hornochse!«

Fargon schnaubte abfällig. »Ach. Mach doch was du willst, du Stinkstiefel. Ich gehe.«

Aiden hörte, wie sein Bruder davonlief, und er war endlich mit den Pferden allein. Er holte aus dem Holzfass neben der Tür einige Äpfel hervor und gab sie dem Schimmel ganz vorne in der rechten Box.

Er streichelte dem Pferd sanft über den langen Nasenrücken und kraulte ihn zwischen den Augen. Das Tier schnaubte, Aiden lächelte, als ihn dessen warmer Atem streifte.

»Sonnenwind mag dich.«

Aidens Kopf ruckte nach rechts. Am Eingang der Stallungen stand ein Junge, nur einen Sommer älter als er selbst. Er hatte kurzes schwarzes Haar und die grüngrauen Augen leuchteten vergnügt. Seine teure Kleidung erinnerte Aiden an jene, die er in den letzten Tagen an den schnöseligen Adelskindern gesehen hatte. Doch der wirkte nicht so wie die Kinder im Schloss. Er sah Aiden nicht von oben herab an, sondern eher freundlich und voller Neugierde.

Er trat zu ihm, nachdem er ebenfalls einen Apfel aus dem Fass genommen hatte, und bot ihn Sonnenwind auf der offenen Handfläche dar. Das Pferd überlegte nicht lange und holte sich das Obst. »Sonnenwind gehört meinem Onkel«, sagte der Junge und lächelte Aiden an.

Der blinzelte verwirrt und schnappte plötzlich laut nach Luft. Der Schimmel gehörte König Terrebin. »Onkel?«, fragte Aiden nach und ihm klappte der Mund auf. »Terrebin ist dein Onkel?«

»Ja, aber verrate es keinem. Meine Mutter und ich sind heute erst in Astoria angekommen und ich möchte nicht, dass sofort jeder weiß, wer ich bin. Es ist manchmal anstrengend, zur obersten Schicht zugehören.«

»Und was macht … Ihr hier?«, fragte Aiden und kam sich dabei etwas unbeholfen vor. Er wusste nicht, wie er den fremden Jungen ansprechen sollte, ohne einen Fehler zu begehen.

Der hingegen lachte auf. »Hör auf, so förmlich zu sein. Ich heiße Ostan und du?«

»Aiden.«

Die beiden Jungen gaben sich zurückhaltend die Hände, der Ältere grinste verschlagen. »Wir sind eigentlich nur auf der Durchreise. Ich lebe mit meinen Eltern in Nordwacht, wir sind auf dem Weg nach Hause. Wir waren zu einer Hochzeit in Südstatt eingeladen und Mutter meinte, wir könnten meinem Onkel auf dem Weg einen Besuch abstatten. Deswegen ist bisher nichts über unser Eintreffen bekannt geworden, weil es nicht geplant war. Daher würde es mich freuen, wenn du niemandem davon erzählen würdest, ja?«, bat Ostan.

Aiden trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Die gewählte Aussprache des Jungen verunsicherte ihn.

Klar, er war ein Prinz oder so etwas in der Art – er würde niemals so reden wie Aiden oder sein Bruder Fargon. Immerhin war Ostan ja nicht in einem kleinen, unbedeutenden Dorf groß geworden, in dem es kaum Möglichkeiten für eine grundlegende Bildung gegeben hatte.

Doch das würde sich bald ändern, wie er gestern beim Abendessen vom König selbst erfahren hatte. Fargon und er würden ab morgen von einem eigenen Lehrer unterrichtet werden! Was dies genau bedeutete, verstand Aiden noch nicht wirklich. Aber wenn das hieß, als Mündel des Königs auch nur ansatzweise wie der Herrscher selbst zu werden, war er bereit, sich mit Schreiben, Rechnen und Geschichte abzugeben.

»In Ordnung«, erwiderte Aiden zögerlich und lächelte Ostan an.

»Und? Was hast du heute noch vor?«

»Nichts. Mein Bruder Fargon ist in die Unterstadt gelaufen, um dort mit den anderen Kindern zu spielen. Willst du mit?«

Ostan schüttelte den Kopf. »Nein. Ich darf nicht dorthin; Mutter wird schimpfen, wenn sie davon erfährt. Sie sagt, die Kinder dort unten sind kein guter Umgang für jemanden wie mich.«

»Und was ist mit mir? «, wollte Aiden nervös wissen.

Ostan zuckte nur mit den Schultern. »Du wohnst im Schloss. Das ist also etwas völlig anderes.«

Die beiden Jungen überlegten. »Mhm«, machte Aiden nachdenklich und tippt sich gegen das Kinn.

Plötzlich erhellte sich Ostans Miene. »Ich weiß, was wir machen können! Komm mit!«

Aiden folgte dem anderen, ohne zu zögern. Sie rannten über den Hof, vorbei an dem leeren Übungsplatz, hinein in die Kaserne. Es war dort sehr kühl und Aiden konnte die Stimmen der Soldaten hören, die sich im Inneren befanden.

Ostan bedeutete ihm, still zu sein und winkte ihn heran, damit er ihm folgte. Aiden tat es und wunderte sich, wieso sie wie Einbrecher durch den langen Gang schlichen. Ostan bog in eine Kammer ab und holte daraus zwei Schwerter aus Holz, wovon er eines Aiden in die Hände drückte.

Der grinste und die beiden Jungen huschten auf dem gleichen Weg wieder hinaus. Draußen rannten sie dann lachend mit ihren erbeuteten Schwertern über den Hof, zum Übungsplatz, indem sie unter die Holzbretter hindurch schlüpften. Gerade war niemand auf dem Platz zu sehen, denn der Hauptmann der Garde hatte heute beschlossen, dass sie außerhalb der Stadt im Gelände üben sollten. Somit konnten sie ungestört herumtollen.

»Kannst du damit umgehen?«, fragte Aiden, der noch nie ein Holzschwert in der Hand gehabt hatte und es ehrfürchtig betrachtete. In seinem Dorf hatte er mit gefundenen Stöcken gespielt und sich vorgestellt, sie wären Schwerter. Keiner der Bewohner hatte ein echtes besessen. Nicht einmal der alte Teck, der in seiner Jugend bei einer Söldnertruppe gedient hatte.

Ostan grinste und schwang die Waffe, die fast so lang war wie er selbst, als würde er jeden Tag nichts anderes tun. »Natürlich. Als zukünftiger König von Asteron muss ich mit dem Schwert kämpfen können. Außerdem kann ich fechten, reiten und mit dem Bogen umgehen«, erklärte er stolz.

Aiden verzog das Gesicht. Er konnte gar nichts von den Dingen, die der Junge ihm gerade aufgezählt hatte.

»Wieso König? Terrebin ist doch noch gar nicht so alt.« Aiden war verwirrt.

Auf Ostans Gesicht schlich sich ein Grinsen. »Das weiß ich doch! Aber eines Tages, wenn der König nicht mehr imstande ist, zu regieren, werde ich seinen Platz einnehmen. Also pass gut auf, was du sagst! Du willst doch deinen zukünftigen Herrscher nicht verärgern?«

Aiden zog die Augenbrauen nach oben und versuchte, das Schwert genauso elegant zu halten wie Ostan.

»Wollen wir etwas üben?«, schlug der Prinz vor, in dessen Augen ein abenteuerlustiger Glanz trat, der sofort auf Aiden übersprang.

Der nickte heftig und begann, jede Bewegung von Ostan zu imitieren.

Zuerst lockerte der seine Schultermuskeln, dann die Handgelenke, bevor er mit der Rechten den hölzernen Griff umfasste.

»Los!«

Aiden schaffte es gerade noch, das Schwert hochzuziehen, und blockte somit den Schlag ab.

In Ostans Augen war Erstaunen zu sehen und er wich einen Schritt von dem Jüngeren zurück. »Das war … gut«, lobte er ihn.

»Danke?«, sagte Aiden verhalten und zuckte mit den Schultern.

»He!« Fargons Stimme hallte zu ihnen über den Hof, die beiden Jungen sahen zu ihm. »Was treibst du da, Aiden?«