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Bettina Auer

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Beschreibung

»Obschon ich weiß, dass er in der Dunkelheit wandelt, so ist sein Herz voller Licht.«   Verbannt an die Front, zum Sterben verurteilt – das ist Kazars Strafe nach dem Verrat an König Gregorio. Doch er setzt alles daran, einen Weg zurück zu Ateria und ihrem gemeinsamen Kind zu finden. Als Ateria im Asyl beim Fürsten von Tsugaru die Nachricht von Kazars Tod erhält, bricht eine Welt für sie zusammen. Um den Fängen ihres Vaters zu entgehen, zieht sie aus der Not heraus eine Vernunftehe in Betracht – mit Kazars Bruder Côe. Das Schicksal hat jedoch einen anderen Weg für sie bestimmt …   Das spannende Finale der Romance-Fantasy-Reihe »Wenn ...«

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Bettina Auer

Wenn (3) ...

Raben vergelten

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Wenn (3) ... Raben vergelten

 

Bettina Auer 

 

 

Wenn (3) ... Raben vergelten

 

 

Band drei der Wenn ... -Trilogie 

 

 

 

Zitat

 

- Fata viam invenient. -

 

Das Schicksal findet seinen Weg.

Impressum

 

 

© Mai 2023 Seidl, Bettina

Rosenstraße 2

93086 Wörth an der Donau

[email protected]

www.bettinaauer.com

 

Lektorat: Teja Ciolczyk - Lektorat Gwynnys Lesezauber, www.gwynnys-lesezauber.de 

Covergestaltung: VercoDesign, Unna, www.vercopremadebookcover.de

Illustration (Rabe): Herzkontur - Linda Grießhammer, www.herzkontur.de

Illustration (Asche): Andrea Hagenauer

 

eBook-Vertrieb: bookrix.de

1

 

Neroz saß auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch und betrachtete die junge Frau, die demütig vor ihm auf dem Teppich kniete.

Das ist ein Traum.

Immer wieder sagte er sich das, denn es konnte nichts anderes sein. Ateria, die Prinzessin von Réos, würde sich niemals vor ihm verneigen.

Er ließ den Blick über die kauernde Gestalt schweifen und erkannte in dem jungen blonden Mann neben ihr Daiman. Der Soldat, den er in Calbar als Kazars Freund kennengelernt hatte.

Die Kleidung der beiden war verdreckt und zerschlissen, zeigte deutlich, wie schwer der Weg nach Tsugaru für sie gewesen war.

Doch es gab noch etwas, das dem Fürsten ins Auge stach. Ein Umstand, der es ihm eiskalt den Rücken runterlaufen ließ.

Der gewölbte Bauch der Königstochter.

Sie erwartet ein Kind!

Das hatte in dem Schreiben, das er vor vier Monaten vom König erhalten hatte, nicht gestanden. Nur, dass seine Tochter nach einigen unschönen Differenzen verschwunden wäre und er von jedem sofortige Information über ihren Aufenthaltsort forderte, sofern er sie besaß – und ihre Auslieferung.

Was mag geschehen sein?, fragte er sich und musste unweigerlich an Kazar denken.

Dem Schreiben war noch eine weitere Notiz beigefügt gewesen, in der es um seinen jüngsten Sohn ging. Die Nachricht war mit der Hand geschrieben worden, vom König persönlich unterzeichnet.

›Euer Sohn hat schändlichen Verrat begangen und wird dafür seine Schuld in Deija verbüßen.‹

Mehr hatte darin nicht gestanden, doch es hatte gereicht, um ihm ruhelose Nächte zu bescheren. Und je länger er die schwangere Ateria anblickte, umso stärker beschlich ihn ein grausamer Verdacht, der es ihm übel werden ließ.

Bitte Kazar. Sag nicht, dass du so töricht warst.

»Ateria, Prinzessin von Réos, was hat Euch dazu veranlasst, hierherzukommen?«, fragte er sie mit fester, lauter Stimme.

»Bitte, nennt mich nicht so«, sagte sie. Er war überrascht, wie dünn und kraftlos ihre Worte klangen. »Gerade behagt es mir nicht, wenn Ihr mich mit meinem Titel ansprecht.«

Der ältere Mann mit den dunklen Haaren, in dem schon unzählige graue Strähnen zu sehen waren, runzelte die Stirn. »Prin... Ateria, was ist geschehen?«

Sie hob den Kopf, Neroz erschrak. Nichts in ihrem Gesicht erinnerte an die stolze, hochmütige Königstochter, die er vor über einem halben Jahr kennengelernt hatte. In ihren Augen war keine Spur der Arroganz zu sehen, mit der sie ihn damals angeblickt hatte. Im Gegenteil: Die blutroten Iriden waren voller Schmerz und Furcht.

»O weh«, wisperte Neroz aufgebracht und krallte die Hände fester in die lederne Lehne des Stuhls. »Kind, was ist passiert?«

Sie biss sich auf die Unterlippe, wich seinem Blick aus und erwiderte dafür den von Daiman.

»Sag es ihm«, raunte der Soldat vertraut.

Sie nickte zaghaft, erhob sich und hob abwehrend die Hände, als ihr der Freund helfen wollte. Ateria atmete tief durch, reckte das Kinn leicht vor und sah dem Fürsten genau in die Augen.

»Ich bin hier, weil ich um Zuflucht bitte. Ich erwarte ein Kind und mein Vater wird alles daransetzen, es zu töten. Aber ich möchte dies verhindern, es kann nichts für die Torheit seiner Eltern!«

»Und wieso bittet Ihr mich darum? Wer ist der Vater des Kindes? Etwa Daiman?«

Neroz sah, wie der junge Mann rot anlief und hastig wegsah.

»Nein!«, wehrte die Shay sofort ab. »Daiman ist mein Freund; mein Beschützer.«

»Ist Seras, Euer eigentlicher Daijatzu, der Vater?«

Er sah das Zögern in ihrem Blick, allerdings schüttelte sie den Kopf. »Nein.«

Allmählich wurde er ungeduldig und die Übelkeit kehrte langsam zurück. Ungehalten fuhr er sie an: »Dann teilt mir endlich mit, wer es ist und wieso Ihr Euch mit dieser Bitte an mich wendet! Das ist recht und billig, wenn Ihr Euch schon der Gefahr aussetzt, mir Euer Vertrauen zu schenken.«

»Der ehemalige Wächter des Königs ist der Vater. Euer Sohn, Kazar.«

Vollkommene Stille beherrschte den Raum, die nur durch das Ticken der Standuhr durchbrochen wurde.

»Was?«

Die junge Frau zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen, doch sie zwang sich, den Blick nicht zu senken. »Ihr habt richtig gehört. Euer Sohn ist der Vater – und dafür hat ihn der König an die Front geschickt, um dort zu sterben.«

Wie zäher Sirup erreichten ihn diese Worte, flossen durch seine Gedanken. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Nein! Das ist nicht wahr. Mein Sohn hätte so etwas Schändliches nicht getan!«

Sie riss erschrocken die Augen auf und keuchte. »Nein! Ihr missversteht! Kazar hat mir keine Gewalt angetan. Ich war damit einverstanden.«

Neroz sah, wie ihre Wangen brannten, und schüttelte abermals das Haupt. »Das ist ein Scherz! Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass mein Sohn und Ihr freiwillig das Lager geteilt habt?!«

Ihre Wangen brannten in noch tieferem Rot, doch diesmal erkannte der Fürst, dass es Zorn war. Mit jeder weiteren Sekunde wurde sichtbarer, dass das alte Wesen der Prinzessin wieder in ihr erwachte.

»Wenn Ihr es genau wissen wollt: Dieses Kind wurde in Liebe gezeugt!«

Die Tür zum Arbeitszimmer wurde geöffnet und Neroz starrte in das Gesicht seines ältesten Sohnes – Côe.

»Ich habe laute Stimmen gehört«, sagte der statt einer Begrüßung und trat, ohne auf ein Wort des Fürsten zu warten, ein. »Was ist hier los?«, fragte er spöttisch und wandte sich Ateria zu. Von einer Sekunde auf die andere wich der Prinzessin die Farbe aus dem Gesicht.

Neroz verstand, wieso. Côe ähnelte Kazar sehr, bis auf die kürzeren Haare war die Ähnlichkeit verblüffend. Er wiederum musterte Ateria abwertend von oben bis unten.

»Vater, sagt nicht, dass Euch diese Shay hier ein Balg andrehen will«, sagte er und lachte laut auf.

»Côe, mäßige dich!«, rief ihn der Fürst zur Ordnung, doch der junge Mann grinste gehässig. »Ach kommt! Ich weiß, wie ich mit einer Straßenhure zu reden habe!«

»Straßenhure?«, echote Daiman, und ließ seine Finger zum Schwertknauf fahren.

»Nicht!« Ateria legte die Hand auf seine und sah ihn an. »Das ist er nicht wert.«

»Wie viel würde eine Nacht mit dir kosten, meine Süße? Kann mir vorstellen, dass es die meisten Männer abschreckend finden, mit einer schwangeren Hure zu schlafen, aber ich kann darüber hinwegsehen. Dein Gesicht ist hübsch, das genügt mir.« Er streckte die Hand nach ihr aus, doch die Shay schlug sie ihm zur Seite.

»Ihr seid widerlich!«

»Côe!«, herrschte sein Vater ihn an. Das Leder der Stuhllehnen unter seinen Fingern knarzte und die Fingerknöchel waren weiß hervorgetreten. »Entschuldige dich augenblicklich bei der Prinzessin von Réos!«

Das überhebliche Grinsen in seinem Gesicht wich dem Erstaunen. »Was? Das ist ein Scherz. Ihr behauptet doch nicht etwa, dass dieses Mädchen hier Ateria ist? Seht sie Euch an, Vater! Sie ist schwanger und völlig verarmt!«

Daiman packte Aterias rechten Unterarm und hielt sie zurück.

»Doch, dem ist so, mein Sohn. Das hier ist Ateria, sie erwartet das Kind deines Bruders.«

»Von Avéo? Ich dachte nicht, dass er mit ihr-«, er brach ab. Seine Miene veränderte sich abermals und er sah fest seinen Vater an. »Kazar«, flüsterte der Prinz und lachte im nächsten Moment schallend. »Wirklich? Mein kleiner, kläglicher Bruder hat es geschafft, der Königstochter einen Bastard zu schenken? Das ist zu erheiternd! Verratet mir, Prinzessin: Musstet ihr ihm sagen, was er zu tun hatte oder hat er von selbst den Weg-«

Der Klang der Ohrfeige hallte durch den Raum und Neroz kam nicht umhin, die Prinzessin dafür zu bewundern.

»Haltet Euren Mund, Ihr widerlicher Mistkerl! Ihr wisst gar nichts darüber, und es geht Euch auch nichts an! Nur eines solltet Ihr wissen: Kazar hätte mir niemals Gewalt angetan!«

»Genug!« Der Fürst erhob sich von seinem Stuhl und ging auf die drei zu.

»Ateria«, sprach er ruhig und versuchte, der Shay ein wärmendes Lächeln zu schenken. »Stimmt das, was Ihr gesagt habt? Kazar und Ihr steht in Liebe zueinander?«

»Ja. Wäre es nicht so, hätte ich niemals all das zwischen uns zugelassen.«

Der Fürst musterte sie lange und traf schließlich eine Entscheidung. Er breitete die Arme aus und schloss sie darin ein. Ateria erwiderte die Geste nicht, war steif wie ein Brett.

»Ich heiße Euch im Hause des Raben willkommen, meine Tochter.«

2

 

»Verdammt nochmal, halt endlich still! Wenn du dich noch einmal bewegst, überlege ich es mir ernsthaft, dir zu helfen, Bruderherz!«, zischte Jiya ihm ins Ohr.

Kazar grummelte als Antwort nur etwas Unverständliches zurück. Er warf seiner älteren Schwester einen Blick aus dem Augenwinkel zu, wobei er genau bemerkte, wie sie ihn mit ihren eisblauen Iriden strafend ansah. Das schwarze Haar trug sie zu einem kurzen Zopf geflochten.

»Bist du jetzt brav?«, fügte sie falsch lächelnd hinzu.

Kazar erwiderte nichts, starrte nur geradeaus an die Wand des grünen Zeltes.

Jiya summte, während sie abermals die Nadel durch sein Fleisch zog, was dem Prinzen ein unwirsches Knurren entlockte. Seine Schwester räusperte sich hörbar, setzte aber dann ihr Summen und die Arbeit fort.

»Habt ihr keine Magier hier?«, wagte er zu fragen, dabei immer noch fest die Wand anstarrend.

»Doch, allerdings sind sie nur den Offizieren und dergleichen vorbehalten. Nicht Männern wie dir und deinem Freund, die hier als Kanonenfutter dienen«, gestand seine Schwester. »Aber ich dachte stets, du hasst Magie. Außerdem verstehe ich nicht, wieso du dich so anstellst. Du hast mehr Narben an deinem Körper als deine ganze Kompanie zusammen. Das Nähen von Wunden solltest du doch gewohnt sein.«

»Ja. Aber ... Ach, vergiss es! Werde einfach fertig, ja? Ich will mich noch ein wenig ausruhen, ehe ich wieder hinaus muss«, presste er hervor.

Jiya seufzte. »Sei froh, dass du hier nicht allein bist, dass Seras und ich an deiner Seite stehen. Du hast mehr Glück als Verstand, was vieles hier angeht. Du schlägst dich wacker auf dem Schlachtfeld. Das Töten ist dein erlerntes Handwerk, das merkt man.«

»Verabscheust du mich?«, fragte er, wobei er die Worte direkt ausspie. Kazar spürte, wie die Wut in ihm hochkroch und er konnte gerade noch ein Zittern unterdrücken.

»Nein. Ich habe in den letzten zwei Jahren hier sehr viel Abscheuliches gesehen und gehört. Weder verabscheue ich dich, noch habe ich Angst vor dir. Mir tun nur deine kleine Prinzessin und das Kind leid, dass sie zur Welt bringen wird. Glaubst du, sie wird ihm die Wahrheit sagen, wenn es alt genug ist? Wer sein Vater ist und was er alles getan hat? Zugegeben, ich würde mir das gut überlegen.«

»Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ateria wird unserem Kind niemals etwas erklären müssen, da es dafür keinen Grund geben wird. Ich komme hier raus und dann ... Autsch!«

Jiya hatte den Faden fester gezogen und durchschnitt mit einer Schere das Ende. »Du kommst hier nicht raus, niemand von uns. Nicht mal ich, obwohl ich mich freiwillig als Heilerin gemeldet habe. Wer einmal in Deija ist, wird hier sterben, also schlag dir das aus dem Kopf. Du wirst deine wunderschöne Drachenprinzessin niemals wiedersehen. Finde dich damit ab und hoffe, dass sie einen Mann findet, der sie heiratet und das Kind als seines annimmt.«

»Du irrst dich, ich werde hier rauskommen!« Er erhob sich von der Liege, packte sein schwarzes Wams, das voller Blut und Dreck war, und zog es sich über.

»Wie wäre es mit einem Danke?«, rief ihm Jiya kopfschüttelnd nach. Kazar war da jedoch schon verschwunden, stürmte aus dem Lazarett hinaus, auf das schlammige Feld, dass seine neue Heimat war. Er blickte starr zu Boden, achtete darauf, niemanden genau anzusehen. Er wollte sich keines der Gesichter merken, die sowieso schon bald von der Leere des Todes durchdrungen werden würden.

Die Luft war erfüllt vom Knistern der Lagerfeuer, den Gesprächen der Soldaten und dem durchdringenden Geruch von Schweiß, Blut und Verwesung.

Kazar versuchte, nicht zu tief einzuatmen, während seine Gedanken immer zu Ateria abschweiften. Er verfluchte sich innerlich dafür, denn er hatte keine Zeit, ihr nachzutrauern. Der Prinz musste klar bei Verstand bleiben, wenn er hier überleben und fliehen wollte. Er konnte nicht ständig an seine Geliebte denken, auch wenn es ihn schmerzte.

An der Front von Deija zu kämpfen war hart. Ungleich grausamer, als er sich ausgemalt hatte. Er war es gewohnt zu töten, ja, einzeln und in langen Abständen, aber nicht innerhalb von Sekunden, Tag für Tag. Auch war das, was man ihnen als Waffen gab, nichts weiter als Plunder.

Kazar und Seras waren froh, dass sie wenigstens ihre Ausrüstung aus den Tagen als Königswächter hatten behalten dürfen. Dennoch machte es das Töten nicht leichter.

Hoffentlich finde ich bald einen Weg hier raus, dachte er und ballte die Hände zu Fäusten.

Die Wunde an seinem Arm, die seine Schwester genäht hatte, brannte. Er gab es nicht gerne zu, aber er sehnte sich fast schon danach, dort von einer warmen Aura der Magie berührt zu werden.

»Wo warst du so lange?«

Kazar hob den Kopf und sah in Seras‘ Gesicht. Er hatte gar nicht bemerkt, wie ihn seine Füße hierher getragen hatten. Der Nycar lag gelangweilt in seinem Feldbett, hatte die Hand ausgestreckt und ließ eine kleine Feuerkugel durch seine Finger wandern.

»Ich war bei Jiya, um die Wunde nähen zu lassen«, entgegnete der Prinz schnaubend und ließ sich ebenso in sein Feldbett fallen. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sah sich in dem spärlichen Zelt um. Die beiden Männer hatten so gut wie nichts, nur die zwei besagten Betten und zwei Truhen, in denen sie ihre wenige Habseligkeit aufbewahrten.

Kazar war noch immer fasziniert davon, dass Seras und ihm ein eigenes Zelt zustand. Die anderen Soldaten mussten sich meist zu sechst eines teilen, sie hingegen waren allein. Doch das hatte auch seinen Preis.

Ständig waren sie in der Nähe, insgesamt vier Männer, die sich fortlaufend zu zweit abwechselten, um auf Kazar und Seras zu achten. Bis heute glaubten sie, die Daijatzus hätten sie nicht bemerkt, doch Seras und Kazar waren sie von der ersten Sekunde an aufgefallen.

Eine Sonderbehandlung des Königs, dachte er säuerlich und seufzte frustriert auf.

»Was ist jetzt schon wieder?«, vernahm er Seras murren.

»Gar nichts. Lass mich einfach in Ruhe.« Kazars schlechte Laune ging ihrem Höhepunkt entgegen.

Ein Zischen erklang, der Nycar hatte den Zauber aufgelöst. Anschließend erhob sich Seras aus seinem Feldbett. »Schau mich an«, forderte er von Kazar, als er direkt neben ihm stand.

Widerwillig kam der Prinz dem nach. In den smaragdgrünen Augen lag immer noch die ungebrochene Arroganz des Königswächters der Prinzessin, das machte Kazar aus einem unbekannten Grund wütend.

»Was?«

»Du musst endlich aufhören, dich in Selbstmitleid zu suhlen«, wurde er von Seras belehrt.

Der Dunkelhaarige stöhnte auf. »Hör bitte auf, den Lehrmeister raushängen zu lassen. Wir sind schon lange nicht mehr Lehrer und Schüler«, gab er bissig zurück.

»Ich weiß, aber ich denke, du solltest mich dennoch anhören. Glaubst du etwa, mir bereitet all das Freude? Mit dir zusammen im Dreck zu hausen und für den König, den ich übrigens genauso sehr hasse wie du, zu töten? Dieser Krieg ist ein Hohn! Seit Jahren kämpft er gegen Deija und hat bis jetzt nichts erreicht, aber er will einfach nicht aufgeben, obwohl er ganz genau weiß, dass es aussichtslos ist. Ich garantiere dir, dass er dieses Stück Land erst aufgibt, wenn wir alle tot sind.«

»So weit wird es nicht kommen, denn wir werden vorher fliehen.«

Ein lauter Knall erschütterte das Zelt, doch Kazar wich nicht zurück, besah sich nur die knisternden Blitze, die über Seras‘ Hand zuckten.

Er benutzte seine Magie hier offen, doch der Prinz hatte keine Angst mehr davor. Seras würde es nicht wagen, ihn ernsthaft zu verletzen.

»Du bist ein Narr! Jeder der Offiziere hier weiß, dass du versuchen wirst, zu entkommen! Sobald du oder ich nur eine Winzigkeit aus der Spur geraten, ist es vorbei mit uns. Verstehst du? Hier geht es nicht nur um dich, Kazar, sondern auch um mich!«

»Ich dachte nicht, dass du an deinem Leben hängst«, konterte der Prinz.

Seras lachte kurz auf. »Komm mir ja nicht damit, ja? Ich stehe hier, weil es meine Pflicht ist. Ich konnte Ateria nicht beschützen. Das ist meine Strafe.«

»Ich habe dich nicht darum gebeten, mich zu begleiten.«

Seras schüttelte den Kopf und die Blitze um seine Finger verschwanden. »Du verstehst gar nichts. Oder bist du nur so naiv und willst es nicht verstehen?« Der Nycar fasste sich an die Stirn. »Ich bin hier, weil ich es wollte. Es ist meine Pflicht.«

»Das ist eine Lüge, und das weißt du. Du bist genauso wie ich in Ungnade gefallen.«

»Ja, natürlich. Das bestreite ich auch nicht, trotzdem habe ich mich dazu entschieden, bei dir zu bleiben. Zusammen haben wir diesen Pakt begonnen, daher werden wir das hier auch bis zum Schluss durchstehen. Außerdem brauchst du mich, um dich vor unüberlegten Taten zu bewahren. Zu fliehen, wäre eine davon.«

»Wäre es nicht.«

Seras atmete tief ein und aus. »Gut, in Ordnung. Diese Diskussion führt zu nichts. Du solltest nur wissen, dass ich nicht dein Feind bin, sondern dein Freund, auch wenn es noch so haarsträubend klingt. Wenn du ein Problem hast, kannst du damit zu mir kommen. Wir müssen uns vertrauen, Kazar, denn hier gibt es nur noch uns.«

»Jiya ist meine Schwester, darf ich ihr etwa nicht vertrauen?«

»Doch, natürlich. Dennoch, sie hat sich freiwillig hier zum Dienst gemeldet. Findest du das nicht seltsam?«

»Sie ist seit zwei Jahren hier, weil sie es so wollte. Jiya hat diesen Weg selbst gewählt, da sie nicht vorhatte, wie meine Schwester Sarei zu heiraten. So entkam sie dem – und das ist auch schon die ganze Geschichte dahinter«, erklärte Kazar dem Nycar, der daraufhin bloß die Stirn krauszog.

Ohne ein weiteres Wort an den Prinzen zu richten, wandte er sich ab und ging auf seinen Platz im Zelt zu.

»Warte kurz.« Seras verharrte, als er Kazars Worte hörte. »Du ... könntest für mich etwas tun. Als Freund, versteht sich.«

Der Nycar kniff die Augen zusammen und legte den Kopf leicht schräg. Kazar gefiel diese intensive Musterung nicht, aber er ließ sie über sich ergehen.

»Kannst du meine Wunde heilen, bitte? Jiya hat sie zwar schon genäht, allerdings wäre es mir lieber, wenn du sie zusätzlich mit Magie versorgst.«

»Ach? Hast du keine Angst, dass ich dich verbrennen könnte?«

»Hilfst du mir jetzt oder nicht?«

Seras gab ihm mit einem Wink zu verstehen, ihm die Wunde zu zeigen. Ohne Umschweife legte Kazar seinen Arm frei und der Nycar trat auf ihn zu. Seine Hände waren ungewöhnlich warm und Kazar schloss daraus, dass es an der Magie lag, die durch seine Adern floss. Schon bald spürte er die rauen Finger des früheren Königswächters über seine Haut streichen.

»Die Wunde ist wirklich gut genäht. Es wird zwar eine Narbe bleiben, aber sie wird gut aussehen. Soll ich dich trotzdem heilen?«

»Ja. Es brennt wie die Hölle und ich möchte nur den Schmerz vergessen«, brachte Kazar zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Gut. Ich versuche, sanft zu sein, aber ich kann es nicht versprechen. Meine Magie ist anders als Aterias.«

Kazar konnte dem nur zustimmen. Als der Nycar seine Magie in die Wunde leitete, schmerzte sie so sehr, als würde er mit einem Dolch hineinbohren. Ungewollt schrie er auf und hielt sich den Arm, wobei Seras zur Seite sprang.

»Du ... Bastard!«, presste Kazar hervor und warf dem Freund einen wütenden Blick zu.

»Ich habe dir gesagt, dass meine Magie anders ist. Sie ist wilder, rauer als Aterias. In der Regel benutze ich sie nicht für Heilungen, denn darin wurde ich nicht trainiert.«

»Und wieso hast du das nicht gleich erwähnt?«

»Weil du mein Freund bist und ich dir helfen wollte.«

Ohne weiter auf Kazar zu achten, ging der Ältere endgültig zu seinem Feldbett und legte sich hinein.

Der Blick des Prinzen schweifte zu seinem Arm. Die Wunde war so gut wie verheilt, nur noch die Fäden waren zu sehen. Vorsichtig strich er mit den Fingerspitzen über die Nähte. Es fühlte sich fremd an, dennoch hatte er keine Schmerzen mehr.

»Seras?«

»Mhm.«

»Danke.«

Der Nyca drehte Kazar langsam den Kopf zu, auf seinen Lippen lag ein ehrliches Lächeln.

3

 

Ateria lehnte an der Balustrade ihres Balkons und blickte hinab in die trostlose Ebene. Zu deutlich erinnerte sie sich in diesem Moment an Avéos Worte, mit denen er damals sein Land beschrieben hatte.

»In meiner Heimat ist es heiß. Tags sowie nachts. Ständig weht der Wind den Wüstensand durch die Straßen, doch er ist genauso brennend wie die Sonne. Selten regnet es – und wenn doch, dann nur für kurze Augenblicke. Das Land ist verdorrt.«

Bitter dachte sie: Ja, seine Worte hätten nicht treffender sein können.

Schnell verdrängte sie die Erinnerung an ihn. Sie hatte zwar nicht viel Zeit mit ihm verbracht, dennoch wollte sie sich nicht selbst an ihre bösartigen Taten erinnern. Ateria verspürte dabei keineswegs Reue, trotzdem war da ein kleiner, sachter Stich in ihrem Kopf, der wohl so etwas wie ihr schlechtes Gewissen darstellte.

Die Prinzessin atmete tief ein und aus, ihre Finger verkrampften, als sie ihre Hände fester um das eiserne Geländer schloss.

Tsugaru war ganz anders als Aré. An die Hitze konnte sie sich gewöhnen und auch an die schwüle, fast schon stickige Luft, doch der Anblick, der sich ihr von ihrem Standpunkt aus bot, schreckte sie arg zurück. Während in Àlbeon alles seine Ordnung hatte und die Hauptstadt sowie das umliegende Land nur so vor Gründlichkeit und Sauberkeit glänzte, bot dies hier ein gänzlich anderes Bild.

Ateria sah teilweise eingestürzte Häuser, die eindeutig aus dem Krieg stammten. Unzählige faustgroße Löcher prangten in den notdürftigen Lehmdächern. Die Menschen, die ihr bisher auf den Straßen begegnet waren, hatten allesamt vor Hunger eingefallene Gesichter und ihre Kleider waren nicht mehr als Lumpen.

Mein Vater muss Neroz über alle Maßen hassen.

Sie wusste, dass den Fürsten ein gewisser Etat aus den Steuergeldern zur freien Verfügung stand, damit sie sich um das Land, das sie verwalteten, kümmern konnten. Doch der König musste Kazars Vater kaum oder gar nichts von den Geldern zugestehen.

Er hat ihn stets verabscheut, ich würde zu gerne den Grund dafür in Erfahrung bringen. Ob Neroz ihn kennt und ihn mir verraten würde, sollte ich ihn darauf ansprechen?, sinnierte sie, sah in den strahlendblauen Himmel und gab der Versuchung nach, die Augen zu schließen und die warmen Sonnenstrahlen über ihre Haut liebkosen zu lassen.

Wie wäre alles verlaufen, wenn nicht stets Hass im Spiel wäre?

Sie seufzte tief und biss sich auf die Unterlippe. Die Shay wusste nur zu gut, was diese Emotion anrichten konnte. Sie selbst hatte sich davon verleiten lassen, hatte Dinge getan, die sie nie wieder berichtigen konnte.

Dennoch, ohne Hass hätte sie sich niemals in Kazar verliebt. Hätte niemals erfahren, wie sich Liebe anfühlte, da sie diese seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr gespürt hatte.

»Prinzessin?«

Ateria öffnete die Lider und drehte sich um. In der offenen Balkontür stand Ellen, dass Braun ihrer Augen leuchtete wie Bernstein. In dem zarten Gesicht der jungen Frau war eindeutig Überraschung zu sehen. Als Ellen merkte, dass ihr Gegenüber sie ebenso überrumpelt musterte, fing sie sich wieder und senkte hastig den Blick. Viel zu tief verbeugte sie sich.

»Prinzessin, es tut mir leid! Ich war nur überrascht, obwohl Vater mir gesagt hat, dass Ihr hier seid. Ich-«, sie brach verkrampft ab.

Ateria merkte, wie unangenehm Ellen diese Situation war und lenkte ein. »Ihr müsst meinen Titel nicht benutzen, Ellen. Gerade möchte ich zu allem, was mich an meinen Vater erinnert, so viel Abstand wie möglich. Nennt mich einfach Ateria, bitte.« Das Lächeln auf den Lippen der Shay war echt, dennoch wusste die Königstochter selbst, dass es nicht sonderlich galant wirkte.

»Oh. Natürlich, wenn Ihr das wünscht«, kam es sichtlich verwirrt von Ellen, die sich wieder normal hinstellte.

Zum ersten Mal, so wurde sich Ateria bewusst, konnte sie sich die junge Frau genauer ansehen. Vor allem ihre Augen faszinierten sie. Das Braun erinnerte sie an jemanden, doch das konnte nicht sein, und sie verdrängte diese Absurdität sofort. Auch war sie überrascht, dass Ellen und sie in ihrer Körpergröße gleichauf waren. Ein Umstand, der sie erleichterte, da sie ziemlich klein war und bis jetzt selten andere Frauen mit den gleichen Proportionen getroffen hatte.

»Ist etwas?« Ellens zarte Stimme durchdrang Aterias Gedanken und die Prinzessin schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Ich habe mir nur ein paar Gedanken gemacht. Entschuldigt, es war nicht höflich, Euch anzustarren.«

Offensichtlich verblüfft über die Rechtfertigung der Dunkelhaarigen, blinzelte Ellen mehrmals verwirrt.

»Es ist schon in Ordnung. Immerhin habe ich Euch vorhin ebenso angestarrt.«

Die beiden schwiegen, und Ellen trat schließlich näher an die Prinzessin heran, blieb jedoch knapp einen Schritt von ihr entfernt stehen. Ihr Augenmerk war dabei deutlich auf Aterias Bauch gerichtet.

»Stimmt es, was mein Vater gesagt hat? Dass Ihr ein Kind von ... meinem Bruder erwartet?«

»Ja, es entspricht der Wahrheit.«

Der Blick der jüngeren Prinzessin veränderte sich. Hatte darin bis jetzt eine gewissen Scheu und Distanz gelegen, so war sie reiner Neugierde und einem funkelnden Glanz in den Augen gewichen. Ellen streckte die Hände nach Aterias aus und umfasste sie ohne Vorwarnung.

»Ihr wisst gar nicht, wie sehr mich das freut! Zu wissen, dass Ihr doch ein gutes Herz besitzt. Dem ist doch so, nicht wahr? Mein Bruder hätte sich sonst nie in Euch verliebt, obschon ich weiß, dass er in der Dunkelheit wandelt, so ist sein Herz voller Licht.«

»Da irrt Ihr Euch gewaltig, Ellen. Ich habe weder ein gutes Herz noch einen Funken wahren Anstandes«, erklärte sie mit gesenktem Kopf, Bitterkeit schwang in ihren Worten mit.

Ellens bernsteinfarbene Iriden weiteten sich, doch der Griff um Aterias Hände ließ nicht nach. Noch immer hielten ihre warmen Finger die eiskalten der Prinzessin.

»Das glaube ich Euch nicht. Ihr mögt diese Meinung von Euch haben, aber ich teile sie nicht. Tief in mir weiß ich, dass Ihr gut seid, obschon man das im ersten Augenblick nicht erkennt.«

Ungewollt musste Ateria über die netten Worte der Jüngeren lächeln. »Habt Dank.«

Ellen erwiderte es. »Denkt Ihr nicht, da wir ja so gut wie verwandt sind, es wäre leichter, wenn wir auf die unnötigen Höflichkeiten verzichten würden? Aber natürlich nur, wenn Ihr wollt.« Sie zwinkerte Ateria verschwörerisch zu.

Die Shay lachte ungewollt auf und nickte. »Sehr gerne. Ich würde mich darüber freuen.«

»Ach, wie wundervoll! Es ist schön, endlich wieder weibliche Gesellschaft zu haben. Seitdem Jiya und Sarei, meine beiden Schwestern, nicht mehr hier sind, ist es teilweise recht langweilig. Und von Côe mag ich gar nicht erst sprechen! Er ist, nun ja, nicht gerade ein netter Zeitgenosse.« Ellen rollte mit den Augen und zog eine genervte Grimasse. »Manchmal wünschte ich, ich könnte ihn einfach gegen Kazar austauschen.«

»Ich habe ihn gestern kennengelernt. In der Tat, er ist sehr unangenehm.«

Belustigt hob Ellen die rechte Augenbraue. »Unangenehm? Prinzessin Ateria! Über dich ist bekannt, dass du eine sehr spitze Zunge hast und diese selten im Zaum hältst. Dieses viel zu milde Wort aus deinem Munde irritiert mich.«

»Was willst du hören? Dass er ein ungehobelter Mistkerl ist, dem ich am liebsten die Kehle aufschneiden würde?«

»Ja, das klingt schon sehr viel besser«, erwiderte Ellen nickend. Sie ließ die Hände der Prinzessin los und stemmte ihre eigenen in die Hüften. »Vor ihm solltest du dich wirklich hüten! Er dreht sich alles so hin, wie er es gerade braucht.«

»Du solltest aufhören, leichtfertig solche Dinge über mich zu erzählen. Sonst meint die Prinzessin noch, ich bin das schlimmste Übel.«

Ateria hatte ihn schon vor einigen Sekunden wahrgenommen, jedoch abgewartet, bis er das Wort erhob. Sie warf ihm aus dem Augenwinkel einen verächtlichen Blick zu. Er hingegen hatte das Kinn herausfordernd vorgestreckt, in seinen eisblauen Iriden lag ein wütendes Funkeln.

Die junge Prinzessin drehte sich halb zu ihrem Bruder um und verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Wahrheit darf man immer aussprechen. Das hat Mutter stets gesagt, schon vergessen?«

Côe schüttelte den Kopf und lachte leise. »Sie war nicht deine Mutter, falls du es vergessen hast.«

»Doch, war sie! Sie hat mich genauso angenommen wie euch alle!«, zischte Ellen zurück und ballte ihre Hände zu Fäusten.

Der Prinz strich sich mit den Fingern über das Nasenbein. Kopfweh bahnte sich an, denn dieses Thema hatten sie schon allzu oft ausdiskutiert.

»Eigentlich bin ich hier, weil ich gehört habe, dass du die Prinzessin belästigt. Sie ist bestimmt erschöpft von der langen Reise und möchte jetzt garantiert nicht von dir genervt werden. Du bist inzwischen siebzehn, trotzdem benimmst du dich noch wie ein törichtes Mädchen. Kein Wunder, dass du bisher jeden potenziellen Ehemann vergrault hast.«

Ateria warf Ellen einen beeindruckten Blick zu. »Ach? Ich kann dir in dieser Hinsicht gern noch ein paar Ratschläge geben.«

»Bringt sie bloß nicht auf solche Gedanken! Oder wollt Ihr, dass sie genauso in Ungnade fällt wie Ihr? Ich werde dies zu verhindern wissen.«

»Tz, Ihr habt doch keine Ahnung, wovon Ihr da redet«, entgegnete Ateria bissig.

»Ihr seid schwanger von meinem Bruder, sonst niemand«, lautete Côes spitzer Konter, jedoch erwiderte die Prinzessin kalt: »Tja, mich würde es auch stark wundern, wenn Ihr dazu fähig wärt, ein Kind auszutragen.«

Aterias blutrote Iriden blitzten genauso gefährlich wie seine, und sie hatte das Gefühl, die Kälte seiner Augen würde die Temperatur merklich senken.

»Äh …« Man sah Ellen eindeutig an, dass ihr dieses Schauspiel nicht gefiel. »Ich denke, wir alle sollten uns beruhigen.«

»Sei doch kein Spielverderber, Schwesterchen«, wurde sie von ihrem Bruder ermahnt, auf dessen Lippen ein böses Grinsen lag. »Die Prinzessin ist außerdem alt genug, um sich selbst zu verteidigen, nicht wahr?«

»Ja, da habt Ihr vollkommen recht«, gab sie als Antwort, ihre Mundwinkel zuckten leicht.

Ellen atmete tief durch. »Könntet ihr zwei bitte aufhören, euch wie tollwütige Wölfe anzustarren? Da kriegt man es ja mit der Angst zu tun!«

Widerwillig löste der Prinz seinen Blick, Ateria tat es ihm gleich. Trotzdem loderte da noch diese unbändige Wut in ihren Adern, die allein sein Anblick in ihr auslöste.

»In Ordnung. Ihr könnt mich nicht leiden und ich Euch nicht, dennoch müssen wir versuchen, miteinander auszukommen«, sprach der Prinz plötzlich und strich sich nachdenklich über sein Kinn.

»Das ist völlig untertrieben. Allein Eure Existenz ist beleidigend genug für mich.« Sie räusperte sich, ehe sie hinzufügte: »Wie wäre es damit? Ihr lasst mich in Ruhe und ich Euch?«

Ihren Vorschlag quittierte Côe zunächst nur mit einem Stirnrunzeln, wog ab, ob er diese Vorgehensweise in Betracht ziehen wollte.

»Mhm. Das wäre natürlich eine Möglichkeit, aber ich würde sagen, dass wir vielleicht trotz allem versuchen sollten, uns anzufreunden?«

»Wie bitte?« Ellen hatte das laut ausgesprochen, was Ateria ins Gesicht geschrieben stand.

»Anfreunden? Mit Euch?«, wiederholte die Prinzessin pikiert und zog die Nase kraus. »Ihr habt mich als Hure betitelt, schon vergessen? Und da glaubt Ihr wirklich, ich würde mich mit Euch anfreunden?«

»Du hast was gesagt?!«, brüllte Ellen ihren Bruder an. Schock und Unglaube prägten ihre Züge.

Côe rollte jedoch nur abfällig mit den Augen. »Meine Güte! Das war doch ein Missverständnis. Ich wusste schließlich nicht, wer Ihr seid, Prinzessin Ateria. Somit entschuldige ich mich jetzt in aller Förmlichkeit dafür.« Er verneigte sich leicht vor ihr.

Die Königstochter hingegen sah kurz zu Ellen, die mit dem Kopf schüttelte. Ateria straffte sich und sah Côe in die Augen.

»Ich werde Euch Euer loses Mundwerk nicht verzeihen, aber ich habe wohl keine andere Wahl. Ich werde gute Miene zum bösen Spiel machen. Wir werden keine Freunde werden, das kann ich Euch versichern, trotzdem kann ich mit Eurer Existenz leben.«

Côe schnalzte mit der Zunge. »Na immerhin etwas.«

Er lächelte falsch, sodass es seiner Schwester einen Schauder über den Rücken jagte.

»Nachdem wir das geklärt haben, werde ich Euch nun wieder allein lassen. Vielleicht gewährt Ihr mir in den kommenden Tagen ein wenig Eurer Zeit?«

»Wir werden sehen«, entgegnete Ateria ausweichend und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu.

Der Prinz verließ die beiden. Nachdem seine Schritte verklungen und die Frauen wieder allein waren, wandte sich Ellen an die Königstochter.

»Du solltest bei ihm wirklich Vorsicht walten lassen.«

Doch die Shay lächelte sie heimtückisch an, wobei der jungen Prinzessin anzusehen war, wie es ihr abermals eiskalt den Rücken hinunterlief.

»Keine Sorge, Ellen. Mit dem werde ich spielend leicht fertig, aber vorher gönne mir den Spaß, mich mit ihm zu messen.«

Ellen seufzte und legte den Kopf in den Nacken. »Na, ob das gut geht?«

 

4

 

Seras bedeutete seinem Freund Kazar, still zu sein, und ließ seinen Blick zu den anderen Männern ihrer Gruppe schweifen. Die meisten von ihnen ignorierten die beiden ehemaligen Königswächter. Seras nahm es den Soldaten nicht einmal übel, wäre er an ihrer Stelle, würde er auch auf sie herabsehen.

All die anderen Rekruten waren einfache Bauern und Handwerker, denen man nur eine kurze Unterweisung mit den Waffen gegeben hatte – wenn überhaupt.

Er und Kazar hingegen waren ausgebildete Assassinen, hatten das Töten gelernt. Es war klar, wer in diesem Kampf echte Überlebenschancen besaß. Doch keiner von ihnen konnte sagen, wann das Gefecht heute beginnen würde.

Dichter Nebel lag über dem Schlachtfeld, sie konnten kaum etwas erkennen. Seras runzelte nachdenklich die Stirn. Wo war der Feind? Eigentlich müsste er schon längst auf den Beinen sein.

Feind? Es ist schon fast höhnisch, diesen Haufen armer Tölpel als solche zu bezeichnen. Sie können einem leidtun. Genauso wie all die anderen hier.

Er streckte die Finger seiner Hände und widerstand dem Drang, sich über die Augenlider zu fahren. Auch wenn gerade alles harmlos wirkte, durfte er seine Aufmerksamkeit nicht vernachlässigen.

»Wie lange dauert es noch?«, fragte plötzlich ein Mann aus der Gruppe. »Es ist saukalt und in dem Nebel sehen wir doch sowieso nichts! Wir sollten einfach zurück zum Lager gehen!«

»Du kennst den Befehl: Schützt diesen Teil des Gebietes«, erwiderte ein anderer in genervtem Ton und steckte seine Waffe zurück in die Scheide.

»Der General hätte auch sagen können: Schützt das Stück Ackerland! Denn mehr ist das hier nicht. Ich weiß nicht, was das Ganze noch soll! Seit Jahren geht es hier kaum vorwärts und das, obwohl Deija ein Bauernstaat ist! Sie sind uns schlicht ebenbürtig. Wenn ich der König wäre, würde ich einfach-«

»Sei still, du Narr!«, blaffte einer seiner Kameraden dazwischen. »Du lieferst uns ans Messer, wenn du deinen Mund nicht hältst! Das ist Hochverrat. Du kannst von mir aus denken, was du willst, aber sprich es nicht laut aus!«

Der Gescholtene lachte gehässig auf. »Ach komm schon. Das denken wir doch alle hier! Dieser Krieg ist vergeudete Zeit! Der König hat bis auf Deija und Karakei im Süden alles in Réos unterworfen. Sein Reich ist groß genug!«

»Wenn du nicht willst, dass ich dir die Kehle aufschneide, halte jetzt deinen Mund!«, knurrte der Soldat zurück. »Ein weiteres Wort in diese Richtung, und ich muss es dem General melden!«

»Nur zu, tu es doch. Alles ist besser, als hier zu sterben!«, spie er seinem Kameraden wütend entgegen.

Seras stöhnte innerlich auf. Fast täglich gab es in ihrer Gruppe diese Diskussion, langsam konnte er es nicht mehr hören. Er wusste, er könnte sie mit einer gewaltigen Rüge zum Schweigen bringen, aber er tat es nicht. Kazar und er wollten nicht auffallen, liefen einfach nur mit.

Nun ja, zumindest Seras.

»Doch, es gibt etwas Besseres, als hier zu sterben«, flüsterte Kazar und verstärkte den Griff um sein Schwert.

»Denk nicht mal daran«, gab der Nycar leise zurück und warf einen kurzen Blick nach hinten. Die anderen fünf Männer ihrer Kompanie waren noch in ihre sinnlose Diskussion vertieft, was Seras nutzte, um Kazar zur Besinnung zu bringen.

»Du weißt genau, dass wir es uns nicht erlauben können, aufzufallen. Halte dich bedeckt, denke dir deinen Teil, obschon es schwer ist, und halte bloß deinen Mund!«

Kazar rollte nur unwirsch mit den Augen. »Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass du mir das schon seit über zehn Jahren predigst?«

»Weil es so ist, mein Freund.«

Kazar schüttelte es deutlich. »Mein Freund? Hör bitte auf damit! Mir ist es lieber, wenn du mich zusammenschreist oder mich mit Magie quälst«, neckte der Jüngere den ehemaligen Wächter.

Seras zog missbilligend die Stirn kraus. »Das Letzte meinst du nicht wirklich ernst?«

»He! Ihr zwei!«

O nein.

Säuerlich wandten Seras und Kazar die Köpfe zu ihren Mitsoldaten um.

»Ja, bitte?«, fragte der Nycar in äußerst freundlichem Ton.

Er machte den hageren Mann links hinter ihm als den Sprecher aus. Er hatte eine schlecht verheilte Narbe im Gesicht, viele Falten und der Blick seiner braunen Augen war fest auf die Daijatzus fixiert.

»Ihr wart doch mal sowas wie die Elite des Königs, nicht wahr? Was hat euch hierher verschlagen?«

Kazar öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder.

Er erinnert sich an meine Worte, gut.

»Das geht euch nichts an«, antwortete Seras. »Außerdem redet ihr alle ohnehin zu viel, wie ich meine. Wir befinden uns im Einsatz, habt ihr das vergessen? Reden können wir auch im Lager, ohne die Klinge des Feindes im Nacken zu vermuten.«

Zwei ihrer Gefährten lachten. »Hör dir den an!«, spielte sich ein junger Bursche von kaum sechzehn Jahren auf. »Tut so, als wäre er unser Anführer.«

Abermals öffnete Kazar den Mund, besann sich erneut und beschloss, nichts zu sagen.