Die Reise - Mahmud Doulatabadi - E-Book

Die Reise E-Book

Mahmud Doulatabadi

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Beschreibung

Seit Monaten wartet Chatun auf ein Zeichen ihres Mannes, auf das versprochene Geld, auf einen Brief. Weil keiner mehr Dreschflegel und Hakenpflüge kauft, seit es Traktoren gibt, musste er in den Golfstaaten Arbeit suchen. Wie soll eine Frau, allein mit Tochter und Grossmutter, überleben? Nachts, wenn keiner es sieht, schleicht sich der junge Marhab in das kleine Haus zwischen dem Bahndamm und der Müllhalde. Aber was hilft die Liebe, wenn es keinen Verdienst gibt? Da taucht eines Tages, an Krücken, ein Mann auf. Abends steht er am Bahndamm, schaut zum Haus hinüber und wagt sich keinen Schritt näher. Er sieht es hell erleuchtet, Männer gehen aus und ein. In der Schenke am Bahndamm wird jedem klar: Über diesem Mann hängt ein Fluch.

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Seitenzahl: 162

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Über dieses Buch

Seit Monaten wartet Chatun auf ein Zeichen ihres Mannes, auf das versprochene Geld. Da taucht eines Tages, an Krücken, ein Mann auf. Abends steht er am Bahndamm, schaut zum Haus hinüber und wagt sich keinen Schritt näher. In der Schenke wird jedem klar: Über diesem Mann hängt ein Fluch.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Mahmud Doulatabadi (*1940) gilt als bedeutendster Vertreter der zeitgenössischen persischen Prosa. Er arbeitet als Schriftsteller und Universitätsdozent für Literatur in Teheran.

Zur Webseite von Mahmud Doulatabadi.

Bahman Nirumand (*1936) studierte in Deutschland und promovierte 1960 über Bertolt Brecht. Im Iran war er Dozent an der Teheraner Universität, musste jedoch ins Exil gehen. Er lebt als Schriftsteller und Publizist in Berlin.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Mahmud Doulatabadi

Die Reise

Roman

Aus dem Persischen von Bahman Nirumand

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Originalausgabe erschien 1989 unter dem Titel Safar im Bozorgmehr Verlag, Teheran.

Originaltitel: Safar (1989)

© by Mahmud Doulatabadi 1989

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30510-6

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 25.06.2024, 21:06h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DIE REISE

1 – Eine bedrückende Dämmerung füllte den Raum von Meister …2 – Bei dem Lastwagen, in dessen Laderaum Marhab einen …3 – Ach, wie angenehm sich die Sonne auf dem …4 – Wie ein Gespenst, schmal und lang gestreckt …5 – Die Sonne schien immer noch, aber allmählich hatte …6 – »Was ist los?« sagte Moschir. »Du bist schon …7 – Es war ein heißer Freitag. Ali hatte seinen …8 – Sie standen vor dem Büro der Fabrik …9 – Vielleicht war es schon spät in der Nacht …10 – Mochtar hatte seine Holzkrücken auf die Seite gelegt …11 – Marhab stand beim Fabrikeingang und lehnte sich an …12 – Furcht im Schnee. Mochtar stand, gestützt auf seine …13 – Moschir lehnte hinter dem Samowar und den Teegläsern …14 – Der fremde Gast hatte sich, seines Schlafes beraubt …

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Über Mahmud Doulatabadi

Über Bahman Nirumand

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1

Eine bedrückende Dämmerung füllte den Raum von Meister Safis Laden. Es war weder Tag noch Nacht. Die Luft war trübe, wie eine Staubwolke, vermischt mit Rauch. In dieser dicktrüben Luft verschwanden die Flecken und Risse an den Wänden. Die kleine Schmiedeesse war erloschen. Mochtar stand da, versunken in seine Gedanken. Es schien, als habe er um sich herum alles vergessen. Starr und reglos stand er neben dem Ofen, als suche er in der kalten Asche etwas Bestimmtes.

Meister Safi, ein abgezehrter, hinkender Mann mittleren Alters, saß draußen vor der Tür auf einem kleinen Hocker an der Wand und rauchte. Er hatte sich dem Flug seiner Gedanken hingegeben. Offenbar hatte es zuvor zwischen Meister Safi und Mochtar einen Wortwechsel gegeben, und beide grübelten nun darüber nach.

Schließlich brach Meister Safi die lastende Stille, erhob sich halb von seinem Hocker, streckte seinen Kopf in den düsteren Laden und sagte: »Gott soll dich segnen und mich gesund erhalten. Den Laden gebe ich auf und überlasse ihn der Stadtverwaltung. Ich werde versuchen, selbst einen Trödlerladen aufzumachen. Vielleicht werde ich mich auch am Trödelgeschäft meines Bruders beteiligen. Wer soll denn noch, seit es Traktoren gibt, bei dir und mir Hakenpflug und Dreschflegel kaufen? Und die paar Droschken, die noch am Rande der Stadt hin und her fahren, werden bald auseinander brechen. Die haben längst ausgedient und sind nichts mehr wert.«

Mochtar kam zu sich, hob den Kopf, ging zur Wand, nahm seine Jacke vom Haken und kam auf den Meister zu. Er blieb im Türrahmen stehen.

Meister Safi stand auf. »Bete auch für mich, selbst wenn ich nicht immer gut zu dir war.«

Ohne dem Meister noch einen Blick zu gönnen und ohne ein Wort zu sagen, verließ Mochtar den Laden und machte sich auf den Weg. Er spürte nicht einmal seinen eigenen Schritt. Die Beine führten ihn, der Gewohnheit gehorchend, einfach fort. Er war nicht traurig, auch nicht wütend. Er war des Lebens überdrüssig, er empfand eine Art quälende Gleichgültigkeit, als gehöre er nirgends hin, als sei er ein Mensch ohne Vergangenheit. Er fühlte eine Haltlosigkeit, wie wenn er vom Himmel herabgestürzt wäre und nun in der Luft schweben würde. Was war aus seinem Leben geworden? War es nun verloren? Ist das möglich – plötzlich stellt ein Mensch fest, dass er sein Leben verloren hat? Was geschieht dann mit seinem Leib, seinen Gliedern?

Unwillkürlich schaute Mochtar auf seine Hände. Sie waren leer, rau und voller Schwielen. Er zog einen Flügel seiner Jacke, die von seiner Schulter herabgeglitten war, wieder hoch und setzte seinen Weg fort. Vor dem Bäckerladen hielt er inne, kaufte ein Brot und ging weiter. Das machte er jeden Abend. Als er den Blick wieder hob, befand er sich schon außerhalb der Stadt. Ein trüber Dunst, vermischt mit Rauch, hüllte die Landschaft ein. Er ging an einigen zerfallenen Pferdekarren und Droschken, an einem demolierten Wasserbehälter und einer elektrischen Straßenlaterne vorbei und lief in Richtung Bozzu den Gleisen entlang. Ein Weilchen ging er auf dem kleinen Pfad neben den Eisenbahnschienen, dann spürte er Lust, auf den Schwellen zu laufen. Er kletterte zu den Gleisen hoch und begann auf den rauen Schwellen zu hüpfen.

»Meister Mochtar, Meister Mochtar!«

Mochtar drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. Eine Droschke hielt neben den Schienen an.

Bibi streckte ihren Kopf aus einer Ecke der Droschke heraus und rief ihm zu: »Komm, steig ein, lass uns zusammen fahren.«

Mochtar sprang vom Bahndamm herunter, lief zur Droschke und sprang auf das Trittbrett. Die Droschke setzte sich in Bewegung. Die Großmutter hatte wie immer ein Reisebündel dabei. Als Mochtar in die Droschke stieg, nahm sie das Bündel auf ihren Schoß, um ihm Platz zu machen. Sobald Mochtar richtig Platz genommen hatte, fragte er Bibi nach ihrem Befinden. Statt ihm zu antworten, sagte sie: »Warum gehst du auf den Schienen?«

Mochtar fragte zurück: »Möchtest du ein Stück Brot?«

Bibi fragte: »Wie geht es deiner Frau und deinem Kind?«

»Es geht ihnen gut, es geht ihnen nicht schlecht. So spät noch unterwegs?«

»Meine Herrin hatte gestern bis spät in die Nacht Gäste. Bis gerade vorhin habe ich Geschirr gespült und sauber gemacht. Erst vorgestern ist mein Herr aus dem Ausland zurückgekehrt.«

»Ausland?« Mochtar merkte selbst nicht, in welchem Ton er das Wort aussprach.

Die Droschke bog in eine Unterführung ein und setzte auf der anderen Seite des Bahndamms ihren Weg fort. Geradeaus, in weiter Entfernung, war ein schwacher Lichtschein zu sehen – aus dem Fenster von Mochtars Zimmer. Die Droschke hielt neben der Mauer. Bibi und Mochtar stiegen aus. Bibi bezahlte das Fahrgeld. Mochtar nahm das Bündel, lief zum Hauseingang und klopfte mit der Schuhspitze an die Tür. Chatun öffnete ihrem Mann, er trat in den Flur, übergab das Bündel seiner Frau und ging ins Zimmer, legte das Brot in die Wandnische, setzte sich auf den Boden und lehnte sich gegen die Matratze.

Chawar lief von dem Nischenvorhang zu ihrem Vater, setzte sich auf seinen Schoß und rieb die Maus, die ihr die Mutter aus einem Tuch genäht hatte, ein paar Mal an seiner Nase. Als sie merkte, dass er nicht besonders gut aufgelegt war, lief sie zur Tür und schmiegte sich an die Beine der Großmutter, die sie mit Mühe hochhob. Die Großmutter umarmte ihre Enkelin, trug sie in eine Ecke, öffnete ihr Bündel und überreichte die mitgebrachten Kleidungsstücke und das Obst, das sie gepflückt hatte.

Chatun, die sich schon auf dem Flur nach dem Befinden ihrer Mutter erkundigt hatte, setzte sich neben den Samowar, schenkte ihr Tee ein. Auch ihrem Mann setzte sie ein Glas Tee vor. Mochtar nahm mürrisch das Glas, stellte es auf eine Untertasse, stand auf, warf seine Jacke auf das Bettlager, krempelte seine Hemdsärmel hoch und ging hinaus. Seine Frau folgte ihm, füllte eine Gießkanne mit Wasser. Mit hochgekrempelten Hemdsärmeln hockte Mochtar an der Grube, seine Frau goss ihm Wasser über die Hände. Mochtar rieb seine kräftigen rauen Hände gegeneinander, nässte auch die Arme bis zum Ellbogen, wobei er Gebete murmelte.

»Hast du mit jemandem gestritten?« fragte die Frau.

»Seit wann bin ich denn streitsüchtig?« antwortete er.

»Was ist denn mit dir los?«

»Nichts.«

»Nichts? Runzelst du ohne Grund die Stirn?«

Mochtar beendete die Waschung seiner Hände. Er stand auf, fuhr sich mit nassen Fingern durch das Haar. »Meister Safi will einen Trödlerladen eröffnen.«

»Und was wird aus dir?«

Statt einer Antwort ertönte das lang gezogene Pfeifen der Eisenbahn. Mochtar ging durch den Flur ins Zimmer und trocknete Hände und Gesicht mit dem Vorhang. Das Wasser im Samowar kochte leise vor sich hin. Chatun goss Wasser nach. Chawar spielte mit der Apfelsine, die ihr die Großmutter mitgebracht hatte, und die Großmutter war gerade dabei, ihrer Enkelin ein Paar nicht zusammenpassende Socken anzuziehen. Mochtar nahm das Gebetbuch von der Wandnische, legte es auf den Boden und begann zu beten. Chatun achtete nicht auf ihren Mann, setzte sich zornerfüllt mit dem Rücken zu ihm neben den Samowar. Und während sie den Deckel hob und ihren Kopf zur Seite neigte, um den heißen Wasserdampf nicht ins Gesicht zu bekommen, sagte sie: »Was wird dann aus der Schmiedewerkstatt? Was wird aus dir?«

Mochtar hatte schon zu beten begonnen. »Gott ist groß«.

Nach dem Beten wurde gegessen. Auch beim Essen gab Mochtar auf die Fragen seiner Frau und der Großmutter keine Antwort. Er blieb still. Bald nach dem Essen gingen Chawar und Bibi in die Hinterkammer, richteten ihr Bettlager. Nicht dass sie schliefen, sie legten sich einfach hin. Vor allem die Großmutter lauschte mit offenen Augen und sorgenvollem Blick hinter dem Vorhang, um kein Wort zu verpassen.

Im Zimmer lagen Mochtar und Chatun nebeneinander. Die Flamme der Petroleumlampe war niedriggestellt, ein fahler Lichtschein erhellte die Gesichter des Ehepaares. Beide lagen mit offenen Augen da und schienen in ihre Gedanken versunken. Die Frau hatte das Gesicht ihrem Mann zugewandt und ihre Hand unter den Kopf gelegt. Mochtar lag auf dem Rücken, mit dem Unterarm auf der Stirn, und starrte ins Dunkel der Decke. Er war still, man spürte, dass Schweres auf ihm lastete.

»Ich denke, ich fahre nach Kuwait«, sagte Mochtar.

»Kuwait, wo ist Kuwait?« fragte die Frau.

»Ein Ort, ungefähr wie andere Orte auf der Welt.«

»Sind da viele Schmiedewerkstätten?«

»Nein, aber es gibt andere Arbeit. Da sollen die Löhne ziemlich hoch sein.«

»Woher weißt du das?«

»Alle sagen das.«

»Ein fremdes Land.«

»Da leben viele Iraner.«

»Und wir? Was wird aus uns?«

»Ich werde euch Geld schicken.«

»Meine Mutter sagte, sie werde ihren Herrn um eine Arbeit für dich bitten.«

»Ich habe keine Lust, als Dienstbote zu arbeiten. In fünf Jahren bin ich alt. Ich kann nicht bis an mein Lebensende für andere schuften. Ich werde nach Kuwait fahren, vielleicht kann ich etwas Geld zurücklegen und später hier eine eigene Bude aufmachen.«

»Hier gibt es doch in den Häusern genug Arbeit für dich«, erwiderte Chatun.

»Ich bin ein alter Schmied, bin schon fünfunddreißig, vierzig Jahre alt. Um in den Häusern arbeiten zu können, muss man entweder jung sein oder ein Spezialist, sonst bekommt man wenig Lohn. Es ist ohnehin schwer, als Selbständiger eine Arbeit zu finden.«

»Was wird dann aus unserem Haus?«

»Morgen werde ich den Spalt in der Wand zumauern.«

Am nächsten Morgen machten sich Mochtar und Chatun gemeinsam daran, die zerfallende Wand zu richten. Bibi und Chawar saßen an der Sonne, in einer Ecke des Hofes. Die Großmutter machte aus ihrem bunten Taschentuch für ihre Enkelin eine neue Maus.

Mochtar strich die Lehmmasse, die zwischen seinen Fingern klebte, auf die Mauer und sagte zu seiner Frau: »Gib mir die Ziegel!«

Die Frau legte die Ziegel in seine Hände, Mochtar fügte diese auf die Mauer, und als wollte er das Gespräch vom Vorabend fortsetzen, sagte er: »An allem ist deine Mutter schuld. Wie wäre ich sonst zu einem so abgelegenen Haus gekommen? Wenn ich jetzt das gesparte Geld hätte, wäre ich einen großen Teil unserer Probleme los.«

»Du kannst es jetzt verkaufen«, sagte Chatun.

»Wer will schon dieses Haus haben? Gib mir Lehm!«

Die Frau reichte ihm die Schüssel mit dem Lehm. »Du kannst es verpfänden.«

Mochtar häufte den Lehm auf die Mauer, strich ihn glatt. »Diese Gegend gehört nicht zum Stadtgebiet. Reich mir die Ziegel!«

Die Frau nahm einen Ziegel auf. Doch bevor sie sich ganz aufgerichtet hatte, fiel ihr Blick auf die tiefblauen Augen eines Gendarmen.

Der patrouillierende Gendarm stand auf der anderen Seite der Mauer und lächelte sanft. »Möge Gott dir Kraft geben, Meister Mochtar!« sagte er.

Mochtar hob den Kopf, erblickte den Gendarm und sagte: »Gott schütze dich, Wachmeister, sei gegrüßt.«

»Endlich renovierst du diese Mauer. Das ist beruhigend für uns.«

»Was soll ich tun. Bisher fand ich keine Zeit dazu.«

»Ja, da hast du auch wieder recht. Man hat ja immer eine Menge Arbeit.« Bei diesen Worten blickte der Gendarm Chatun in die Augen. Chatun schaute verstohlen weg.

Mochtar, der sich noch immer an der Mauer zu schaffen machte, sagte: »Komm herein und trink eine Tasse Tee mit uns!«

»Danke, heute nicht, vielleicht ein andermal. Ich bin auf dem Weg zur Wache.«

Mochtar drehte sich nach ihm um. Der Gendarm ging an der Mauer vorbei und verschwand.

Mochtar schaute zuerst seine Frau an, blickte dann dem Gendarm nach und legte den letzten Ziegel auf die Mauer. Dann trat er ein paar Schritte zurück, betrachtete sein Werk. Ja, die Mauer war gerade. Er setzte sich an die Grube, verschränkte seine Hände, senkte den Kopf und sagte: »Bring mal die Gießkanne!«

Der Tag durchlief seine vorgegebene Bahn. Der nächste Morgen brach an. Mochtar und seine Familie standen auf dem kleinen Bahnhof neben einem Reisebündel. Nur die Großmutter hatte sich hingesetzt. Sie rauchte Pfeife. Alle schienen traurig und nachdenklich. Ein blassgrauer Sonnenschein fiel auf sie. Chatun stand neben Mochtar. Chawar hatte ihre Hand in die ihres Vaters gelegt. Niemand sagte ein Wort. Als ob es nichts mehr zu sagen gäbe. Die Lippen waren geschlossen, Schweigen. Seit sie das Haus verlassen hatten, nein, schon seit feststand, dass Mochtar gehen würde, schwiegen sie, als hätte man ihre Hälse mit Watte zugestopft.

Doch schließlich hielt es Chatun nicht mehr aus. An Mochtar gewandt sagte sie: »Können wir auch von hier aus Briefe schicken?«

»Warum nicht. Kuwait ist ein Land wie jedes andere. Ich werde meine Briefe an die Gendarmeriestation adressieren.«

In der Ferne tauchte der heranfahrende Zug auf. Die Großmutter erhob sich. Mochtar nahm seine Tochter in den Arm, dann küsste er seine Frau, nahm sein Bündel, schaute Bibi an und sagte: »Ich vertraue meine Familie zunächst Gott, dann dir an.«

Die Großmutter brachte kein Wort heraus, wischte ihre Tränen mit einem Zipfel ihres Schleiers ab und schüttelte die Asche ihrer Pfeife weg. Der Zug kam an, bildete vor ihnen eine Mauer, verminderte seine Geschwindigkeit und kam für wenige Augenblicke zur Ruhe. Dann setzte er sich wieder in Bewegung, fuhr ab, fuhr immer schneller und ließ den Bahnhof hinter sich. Er trug jetzt Mochtar in seinem Bauch. Die Familie stand neben den Schienen und schaute auf den Rücken des sich entfernenden Zuges. Eine fröstelnde Stille breitete die Flügel über ihnen aus. Jede war auf ihrem Platz erstarrt. Es schien, als fehle ihnen der Mut, sich gegenseitig anzuschauen. Einige Augenblicke lang blieben sie festgewurzelt stehen und starrten ins Leere. Schließlich brach Chatun das Schweigen. »Was sollen wir tun?«

Bibi nahm Chawar an die Hand, ging die Schienen entlang. Chatun folgte ihnen.

2

Bei dem Lastwagen, in dessen Laderaum Marhab einen Platz gefunden hatte, war ein Scheinwerfer defekt und brannte nicht. Nur aus dem linken Scheinwerfer ragte eine Lichtsäule hervor, bohrte ein Loch durch die Nacht und bahnte so den Weg. Marhab hatte sich in seinen Mantel eingehüllt und hielt sich an den Stangen zu beiden Seiten fest. Das war das dritte Fahrzeug auf seinem Weg von Gilan in die Hauptstadt. Auch hier sollte er nicht vorn sitzen. Aber hinten, auf den Brettern hatte er es nur wenige Kilometer ausgehalten. Er war nach vorn gekrochen, hatte sich neben dem Bett des Beifahrers verkrümmt und sich an den Stangen festgehalten.

Von Mandjil bis hierher hatte er ständig den Wind ins Gesicht bekommen. Seine Wangen und seine Augen brannten, die Ohren dröhnten vom Wind. Bei einer Weggabelung vor der Stadt verminderte der Lastwagen in der Nähe der Eisenbahnschienen seine Geschwindigkeit, hielt schließlich am Straßenrand. Der Beifahrer streckte seinen Kopf und die Hälfte der Schulter aus dem Fenster heraus und rief: »Spring ab, in der Stadt ist das Mitfahren verboten.«