Die Reue des Prometheus - Peter Sloterdijk - E-Book

Die Reue des Prometheus E-Book

Sloterdijk Peter

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Beschreibung

Von jeher muss der Mensch seinen »Stoffwechsel mit der Natur« organisieren. Für Marx war der wichtigste Faktor dabei die Arbeit. Als Prometheus, dem Mythos zufolge, das Feuer auf die Erde brachte, kam ein weiterer entscheidender Input hinzu. Seit Hunderttausenden Jahren wird es genutzt, um Nahrung zu garen und Werkzeuge zu härten. In diesem Sinne lässt sich sagen: Alle Geschichte bedeutet die Geschichte von Applikationen des Feuers.
Doch wo Bäume sich vormals nur je einmal verbrennen ließen, verschoben sich die Gewichte der Faktoren Arbeit und Feuer mit der Entdeckung unterirdischer Lagerstätten von Kohle und Öl. Die moderne Menschheit, so Peter Sloterdijk, kann als ein Kollektiv von Brandstiftern gelten, die an die unterirdischen Wälder und Moore Feuer legen. Kehrte Prometheus heute auf die Erde zurück, würde er seine Gabe womöglich bereuen, schließlich droht nicht weniger als die Ekpyrosis, der Untergang der Welt im Feuer. Die Katastrophe verhindern kann nur ein neuer energetischer Pazifismus.

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Cover

Titel

Peter Sloterdijk

Die Reue des Prometheus

Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2023.

Originalausgabe© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2023Alle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Textund Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-77672-8

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

A »Stoffwechsel mit der Natur«

B Sklavenarbeit und Arbeit überhaupt

C Der Mythos der Freiheit und die pyrotechnische Zivilisation

D Moderne Welt Die Ausbeutungsverschiebung

E Andere Kräfte, andere Feuer

Dank

Fußnoten

Informationen zum Buch

»Von allen Verbrechern ist der

Brandstifter der scheinheiligste.«

Gaston Bachelard,Psychoanalyse des Feuers (1938)

A »Stoffwechsel mit der Natur«

In einem denkwürdigen Passus seines Hauptwerks Das Kapital (1867) hat Karl Marx die menschliche Arbeit als einen »Prozess zwischen dem Menschen und der Natur« definiert, einen

»Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff […] anzueignen.«[1] 

Aus einigem historischem Abstand scheint es berechtigt, diese Aussagen wie die Präambel zu einer generalisierten, für die Gegenwart mehr denn je relevanten energetischen Anthropologie zu lesen – auch wenn die Grundausdrücke »Naturkräfte« und »Naturstoff« noch sehr vom grobmaterialistischen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts affiziert erscheinen. Wesentlich und zukunftweisend ist besonders der halbmetaphorische Ausdruck »Stoffwechsel«, mit dem von biologischen zu kulturellen Phänomenen eine Brücke geschlagen wird. Insofern der »Stoffwechsel« in Form von Arbeit, das heißt von menschlichem rationalem Kraftaufwand, geschieht, verläßt er die Sphäre naturhafter Automatismen, wie sie bei der Photosynthese oder der Verdauung von Kohlenstoffen und Proteinen bestimmend sind; er wird zu einem konstitutiven Moment dessen, was man zu Recht als »Kultur« bezeichnet, das heißt als einen Inbegriff des in Wiederholungen basierten, wissend-pflegenden menschlichen Verhaltens.

Was Marx an dieser Stelle nicht eigens betont, ist die Tatsache, daß die Begegnung von »Kraft« und »Stoff« nicht nur durch die Aktivierung von Armen und Beinen, Köpfen und Händen in Gang gesetzt wird. Zu diesen in der »Leiblichkeit« angelegten »Naturmächten« tritt schon in prähistorischer Zeit ein außerleibliches Agens hinzu, ohne welches der sogenannte »Stoffwechsel mit der Natur« wie bei den anderen Tieren auf einer vegetativen bzw. chemisch-mikrobischen Ebene fixiert geblieben wäre. Das außerleibliche Agens ist das Feuer, der älteste Komplize von homo sapiens bei seinem Ausbruch aus dem Zirkel bloßer Naturbedingungen. Es war zugleich eine der frühesten Größen, die von Menschen als Manifestationen des transzendenten Prinzips »Kraft« und »Macht« aufgefaßt werden konnten – eine anfängliche Gottesmetapher neben Wind, Blitz und Sonne.[2] 

Erst durch dessen Einschließung in den Kreis menschlicher Handhabungen wurde die Assimilation der Naturstoffe an die menschlichen Bedürfnisse im engeren Sinn möglich. Während das Rohe schon in frühen »Gesellschaften« für naturhaft Gebliebenes stand, wurde das Gegarte zum Inbegriff des Assimilierten, des durch feurige Naturkraft in menschlichem Gebrauch Verwandelten – wie Claude Lévi-Strauss in einer seiner mythologischen Studien gezeigt hat. Aus dieser Perspektive ist die Aussage berechtigt, die wesentliche Technik – neben der Herstellung primitiver Jagd- und Kampfwaffen aus Stein – sei seit je Pyrotechnik gewesen. Da die marxsche Tonart bei Fragen dieser Art noch immer naheliegt, wäre diese Aussage durch den Satz zu ergänzen, daß alle Geschichte der bisherigen Menschheit die Geschichte von Applikationen des Feuers bedeutet. Es war der junge Marx, der in seiner Dissertation notierte, Prometheus, in seiner Eigenschaft als Überbringer des Feuers vom Sonnenwagen am Himmel zu den Menschen, sei »der vornehmste Heilige und Märtyrer im philosophischen Kalender«.[3] 

Die assimilatorische Macht des Feuers manifestiert sich anfangs in bevorzugter Weise bei der Manipulation von Nahrungsmitteln, sie macht die Jagdbeute human genießbar; ohne die Alchemie der Hitze gelingt die Verwandlung von rohem Korn in Brot nicht. Das gehandhabte Feuer bildet das erste X in der Formel »Muskelkraft plus X«, die den Stoffwechsel des Menschen mit der Natur durch Arbeit beschreibt. Es bildet die Differenz-Energie, die ursprünglich einen Unterschied macht, den von roh und gar; überdies scheidet das Feuer das Metall vom Erzklumpen, es gibt dem Schmiedehammer Gelegenheit, heiße Eisen zu scharfen Klingen zu formen.

Die Ausdrücke »Kraft« und »Stoff« verweisen zurück auf die frühen griechischen Abstraktionsbegriffe dynamis und hyle. Noch bei Homer hatte hyle unmißverständlich Dinge wie Holz, Gehölz, Wald bezeichnet, indes bei Aristoteles aus dem alten Holz der »Stoff« schlechthin geworden war, die »Materie«, das Woraus aller Dinge, das allgemeine Gegenüber der »Form« (morphé, eidos). Bedenkenswert bleibt, daß der Materiebegriff der klassischen Physik und Metaphysik zumindest etymologisch eine ferne Erinnerung an das erste Brennbare bewahrt.

Das metabolische Regime, das die ältesten menschlichen Kulturen prägt, bleibt bis auf weiteres – für viele Jahrtausende – durch Kleinräumigkeit und relative Geringfügigkeit der Massenumsätze bestimmt. Noch sind die feuermachenden Jäger, Fischer, Krieger und Sammlerinnen fast überall zu schwach, um die Reproduktionskraft ihrer Beutetiere und die Wachstumszyklen ihrer vegetativen Umwelten zu zerstören. Vielmehr entwickelt sich schon früh eine Art von Gefühl für die Reziprozität des Verhältnisses von Mensch und Natur; es manifestiert sich in dem protoreligiösen Impuls, regenerative Dienste zu leisten und Opfer oder Gegengaben an eine Mitwelt aus Geistern, Ahnen und numinosen Mächten darzubringen. Andererseits sehen es Paläontologen seit einigen Jahren als erwiesen an, daß die vor ca. 50 ‌000 Jahren in Australien einwandernden Stämme, heute Aborigines genannt, es waren, die durch ihre Jagden das Aussterben der dortigen Großtierwelt verursachten. Es wäre unangemessen, den Vorfahren des heutigen Menschen summarisch so etwas wie ein Bewußtsein von ökosystemischen Beziehungen oder einen Sinn für »Ressourcen«-Schonung zu unterstellen. Knochenfunde am Fuß des Felsens von Solutré nahe der burgundischen Stadt Mâcon sprechen dafür, daß steinzeitliche Jäger dort über Jahrtausende Wildpferde den Berg hinaufgetrieben haben, bis diese an der Klippe vor Panik in die Tiefe sprangen; dort wurden die Tiere, falls sie nicht auf der Stelle tot waren, von den Jagdgefährten erschlagen und ausgeweidet – eine Fleischausbeute für viele Tage war gesichert, ein Gütesiegel für die Beachtung von Tierwohlkriterien konnte noch nicht vergeben werden. Der Felsen aus versteinerten Pferdeknochen am Fuß der Klippe zeugt für ein ganzes Weltalter einer archaischen Verschwendungs-»Wirtschaft«. Die läßt sich den geläufigen Mythen über die paläolithische Einheit von Mensch und Natur in keiner Weise einfügen. Wo explizit schonende Regelungen auftreten, wie in den Waldpflegegesetzen des alten China oder in der Wasserschutzverordnung der von Kaiser Friedrich II. erlassenen Konstitutionen von Melfi (1231), hat man es schon mit ersten Regungen einer hochkulturellen ökologischen Intelligenz zu tun.

B Sklavenarbeit und Arbeit überhaupt

Die lange Nacht der Prähistorie ging in das Zwielicht der geschichtlichen Zeit über, als die Jäger und Sammler archaischer Welten zu der folgenschweren Entdeckung gelangten, die Jagd auf tierische Beute lasse sich zur Jagd auf menschliche Beute ausweiten. Deren Folge ist die Etablierung der Sklaverei – einer Institution, die über lange Zeiten parallel mit der Haltung der Nutztiere bestand. Auch der Umgang mit Tieren wurde in jener Dämmerungszeit von der Jagd mit Tötungsabsicht auf Hegung mit Nutzungsabsicht umgestellt, mit Folgen, die in historischer Zeit nie wieder vergehen sollten. Nun kann die primäre Stoffwechselformel: »Muskelkraft plus X« präzisiert werden. In allem, was folgt, ist zwischen eigener (herrischer) und fremder (sklavischer, nutztierischer) Muskelkraft zu differenzieren. Dies ergibt den zweiten Unterschied, der außerhalb des Symbolischen einen Unterschied macht. Neben dem pyrotechnischen Plus kommt in den frühen viehzüchterischen und in den ersten sklavenhaltenden Gesellschaften ein prägnantes Mehr an lenkbaren Muskelkräften ins Spiel; diese lassen sich für alle möglichen Ausführungshandlungen vom Typus »Arbeit« einsetzen, vor allem in der Sphäre des beginnenden Ackerbaus und in Kontexten palastwirtschaftlicher Dienste, doch auch bei der Errichtung von Tempeln und fürstlichen Grabanlagen.

Wo der Horizont der so verstandenen ursprünglichen fremdmuskulären »Arbeit« wächst, erfährt der Energiehaushalt der »Gesellschaften«, besser: der frühen Staatskonstrukte, eine explosive Erweiterung. Durch sie treten die anfänglichen Hochkulturen als Überbauungen von massenhafter sklavischer Anstrengung ins Dasein. Dabei konnte der trügerische Schein aufkommen, die allgemeine »Arbeit«, als summierte Leistung der muskulären Aufwendungen einer Population begriffen, rücke in der Energiebilanz der despotischen Staaten an die erste Stelle, indes die Beiträge aus der Sphäre der Brennstoffe nachrangig würden. Tatsächlich setzt sich die Summe der muskulären Verausgabungen in einem frühen staatlichen oder agroimperialen System primär aus sklavischen Leistungen zusammen – sei es, daß diese durch den von Platon so genannten, zur Bewirkung des Nützlichen und Notwendigen bestimmten »Dritten Stand« erbracht werden (in dem auch die Handwerker [banausoi, demiourgói] enthalten sind), sei es, daß sie von unterworfenen »Barbaren« geleistet werden, die dem Philosophen ihrer Barbarei, das heißt ihrer Vernunftlosigkeit wegen »von Natur aus« (kata physin) als zum Sklave-Sein geeignet gelten.

Die aristotelische Definition des Sklaven als eines »belebten Werkzeugs«, in diesem Rahmen aufgefaßt, erwies sich jedoch von Anfang an als unzureichend: Es kam ja weniger auf die mechanischen Werkzeugqualitäten des Sklaven an als auf seine Beschaffenheit als anthropomorphe Muskelgruppe, somit auf seine Verwendbarkeit als erste Kraftmaschine. Die Geschichte der mechanischen Kraftanlagen (in denen ein Kraftsystem mit einem Ausführungssystem gekoppelt ist) beginnt nicht mit den zahlreichen Wassermühlen des Mittelalters und den Windmühlen, die vom 16. Jahrhundert an die Landschaften der nordeuropäischen Länder belebten (allein Holland soll mehr als 10 ‌000 Mühlen besessen haben, das Deutsche Reich 20 ‌000), auch nicht mit den Dampfmaschinen, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts an die älteren Energiesysteme überflügelten, sondern, Jahrtausende früher, mit dem Einsatz von humanoiden Biomaschinen als muskelbewegten und befehlssensiblen Erzeugern von gewünschten Effekten.