Die Totenbändiger - Band 18: Zwillingskräfte - Nadine Erdmann - E-Book

Die Totenbändiger - Band 18: Zwillingskräfte E-Book

Nadine Erdmann

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Beschreibung

Nach dem überstandenen Nebellockdown brennt Cam darauf, endlich seine Zwillingskräfte ausprobieren zu können. Bei aller Neugier plagen ihn allerdings auch Ängste und Zweifel. Was, wenn er die Kräfte nicht kontrollieren kann? Was, wenn der Geminus seine Gefühle manipuliert und Cam nicht mehr er selbst ist, wenn er den Zwilling ruft? Doch Cam ist nicht der Einzige, dem die Zwillingskraft innewohnt. Auch Blaine trägt einen Geminus in sich – und er hat große Pläne mit ihm … Der 18. Roman aus der Reihe, "Die Totenbändiger", von Nadine Erdmann (Cyberworld, Die Lichtstein-Saga).

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Table of Contents

Zwillingskräfte

Wintersonnenwende

Was bisher geschah

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Vorschau

Impressum

Die Totenbändiger

Band 18

Zwillingskräfte

von Nadine Erdmann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wintersonnenwende

Substantiv, feminin. Oberbegriff: Sonnenwende (lateinisch: Solstitium). Die Wintersonnenwende fällt auf den 21./22. Dezember und markiert den Tag, an dem die Sonne die geringste Mittagshöhe am Horizont erreicht, was besagten Tag zum kürzesten und die darauffolgende Nacht zur längsten des Jahres macht. Die Nacht der Wintersonnenwende ist die vierte und letzte Unheilige Nacht eines jeden Jahres und gilt aufgrund der besonders langen Phase der Dunkelheit als die gefährlichste. Auch in den unmittelbaren Nächten vor und nach der Wintersonnenwende wird allerdings zu extremer Vorsicht geraten.

 

Um den dunklen Tagen entgegenzuwirken, zelebrieren die Menschen den gesamten Dezember über die Julzeit, in der sie der Finsternis mit Lichterglanz begegnen. Höhepunkt ist dabei das Julfest, das am 22., 23. und 24. Dezember gefeiert wird. Es ist ein Fest der Lichter, bei dem man mit Freunden und Familie zusammenrückt, um gemeinsam der dunkelsten und gefährlichsten Zeit des Jahres zu trotzen und gleichzeitig zu feiern, dass die Tage nach der überstandenen Unheiligen Nacht nun wieder länger werden.

Was bisher geschah

 

In London herrscht der erste Nebellockdown, den die Hunts als Auszeit nach den anstrengenden letzten Wochen durchaus willkommen heißen. Sie nutzen die Zeit, um Leo und Toby, die beiden Ritualkinder, die sie Carlton entrissen und bei sich aufgenommen haben, kennenzulernen.

Doch nicht alle können das Wochenende zum Regenerieren nutzen: Gabriel, Sky und Connor werden zu einem Notfalleinsatz ins East End gerufen. Geister sind in ein marodes Jugendheim eingedrungen und die Spuks müssen eins der im Haus vermissten Kinder retten. Trotz etlicher Erschwernisse und ungewöhnlichem Verhalten der Geister gelingt die Rettung, das Heim ist danach jedoch unbewohnbar.

 

Carlton wird aufgrund seiner Aufnahmekampagne gebeten, die Jugendlichen in der Akademie zu beherbergen. Davon ist er zwar nicht begeistert, stimmt aber zu, um seine Fassade als einer von Londons Wohltätern aufrechtzuerhalten. Eigentlich hatte er die Normalostraßenkinder nur an seiner Akademie aufgenommen, um an ihnen unbemerkt ausprobieren zu können, ob der Geminus wirklich in der Lage ist, Normalos in Totenbändiger zu verwandeln. Da er seine Ritualkinder aber verloren hat, braucht er die Normalos dazu nun nicht mehr.

Um zu verhindern, dass Carlton den Jugendlichen etwas antut, wird Lorna Rifkin, seine Stellvertreterin im Stadtrat, mit neuen Lehrkräften, die sie für die Akademie ausgesucht hat, dafür sorgen, dass immer jemand vor Ort ist, um ein Auge auf die Normalos zu haben. Gleichzeitig sollen auch die Betreuerinnen aus dem Jugendheim mit in die Akademie integriert werden, was zu einer schrittweisen Öffnung der Institution für alle Kinder und Jugendlichen Londons führen könnte, die ein neues Zuhause brauchen.

Dass Lorna ihn kontrolliert und Susan ihm zudem die Ritualkinder weggenommen hat, will Carlton nicht auf sich sitzen lassen. Bevor er jedoch Rachepläne schmieden kann, muss er zunächst herausfinden, wie die Hunts und die Rifkins ihm und den Dreizehn auf die Schliche gekommen sind. Carlton verdächtigt dabei Blaine, da er wie vom Erdboden verschwunden zu sein scheint, seit er der Akademie den Rücken zugekehrt hat. Nicht einmal Draper, einer von Carltons fähigsten Männern, war in der Lage, ihn zu finden.

 

Blaine ist von Wut und Hass auf seine Eltern zerfressen. Seine Mutter hatte ihn – einen der erfolgversprechendsten Geminusträger – kurz nach seiner Geburt entführt und somit die Reifung seines Zwillings verhindert. Seinen Vater hasst er, weil der ihn nur als einen gescheiterten Versuch ansieht, den er bezüglich seiner Machenschaften nie ganz ins Vertrauen gezogen hat. Cornelius wollten ihn ebenfalls nicht dabei unterstützen, das Ritual dreizehn Jahre später zu versuchen. Deshalb geht Blaine die Erweckung des Zwillings allein an. Zu seiner tiefsten Genugtuung funktioniert das Geminusritual trotz seines bereits jugendlichen Alters bei ihm perfekt und Blaine schmiedet Pläne, wie er mit seinem Zwilling am besten Rache an seinem Vater nehmen kann. Bei einem Blick auf Blaines Kindheit wird deutlich, dass er bereits im Alter von vier Jahren psychopathische Neigungen zeigte.

 

Die Ergebnisse der Blutuntersuchung von Leo, Toby und Cam zeigen nicht nur, dass die beiden Kleinen keine schwerwiegenden Mangelerscheinungen oder gesundheitliche Probleme aufweisen, sondern auch den Umstand, dass die drei Halbbrüder sind. Bevor Phil und Sue Cam jedoch von seiner Verwandtschaft zu Leo und Toby erzählen, wollen seine Eltern und älteren Geschwister zunächst Gewissheit bezüglich des Verdachts, Cornelius könnte der biologische Vater der drei sein …

Kapitel 1

 

Dienstag, 5. November

 

Doktor Hunt, Mr Rifkin ist hier«, meldete Paul, einer der Rezeptionisten aus dem Team des Hampstead Health Centres, über die Sprechanlage. »Soll ich ihn zu Ihnen schicken?«

»Ja gern, danke, Paul.«

Phil tippte rasch ein paar letzte Anmerkungen in eine seiner Patientenakten und war gerade fertig, als es an der Tür zu seinem Sprechzimmer klopfte.

»Komm rein!«

Eddie trat ein, in der Hand einen Korb mit Thermokanne und einer Warmhaltebox. »Hey.« Er lächelte zufrieden, als er sah, dass Phil am Laptop gearbeitet hatte. »Gut, du hast noch nicht gegessen. Hank hat dir ein warmes Tomaten-Käse-Sandwich mit einer neuen Pestokreation gemacht. Du bist damit also zu einem seiner Testesser auserkoren und ich darf mich nicht nach Hause trauen, ohne deine Meinung mitzubringen.«

Phil lachte. »Alles, was dein Mann in seiner Küche zaubert, schmeckt göttlich. Da wird das Pesto mit Sicherheit keine Ausnahme sein.« Er schob den Laptop zur Seite und bot Eddie einen der Stühle vor seinem Schreibtisch an. »Setz dich. Wenn du mein Urteil abwarten sollst, musst du ja sicher nicht sofort wieder los, oder?«

»Nein. Das Mean & Evil ist bei Willa und Hank in guten Händen.« Eddie nahm Platz und reichte Phil Thermokanne und Warmhaltebox. »Ich kann dir also problemlos in deiner Mittagspause Gesellschaft leisten. Es sei denn, du musst arbeiten.« Er deutete zum Laptop. »Ich weiß ja nicht, für wie viel Chaos der Nebellockdown bei euch gesorgt hat.«

Phil winkte ab und holte zwei Tassen von einem Sideboard, die dort neben einem Wasserkocher standen. »Uns fehlt nur ein Tag, da hält sich das Chaos zum Glück noch in Grenzen. Es ist nur ungünstig, dass ich mir Donnerstag und Freitag freigenommen hab. Das macht die Umverteilung der ausgefallenen Termine schwieriger.«

Eddie musterte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue, während Phil verführerisch duftenden Kaffee aus der Thermokanne in die Tassen verteilte. »Deshalb denkst du aber hoffentlich nicht darüber nach, hierzubleiben, während der Rest deiner Familie nach Cornwall fährt. Ihr habt diese Auszeit alle mehr als verdient – und mehr als nötig.«

»Nein, ich fahre mit. Ich hab hier ein fantastisches Team, da funktioniert das Übernehmen von Patienten recht gut, wenn jemand frei hat. Trotzdem versuche ich natürlich so viel wie möglich vorher zu erledigen und umzuorganisieren. Die Auszeit war ja ein ziemlich spontaner Einfall. Der übrigens von deinem Sohn kam. Matt und Sky haben das Ganze dann organisiert und keinen Widerspruch geduldet.«

Eddie musste schmunzeln. »Ja, Matt kann ziemlich überzeugend sein. Es bedeutet ihm unglaublich viel, wie warmherzig ihr ihn bei euch aufgenommen habt. Und dass Gabriel ihn gebeten hat, mit ins neue Haus zu ziehen, bedeutet ihm noch mehr. Ich schätze, da lag ihm sehr daran, euch mit der Auszeit was Gutes zu tun.«

»Wir haben Matt wahnsinnig gern bei uns und du hast keine Ahnung, wie froh Sue und ich sind, dass er bei Gabriel so hartnäckig geblieben ist. Es tut unfassbar gut, zu sehen, wie er langsam wieder der Alte wird und sich nicht mehr nur verbissen in seine Arbeit oder den Sport stürzt. Ich danke allen guten Sternen, dass dein Sohn so geduldig mit meinem ist.«

Eddie hob seine Kaffeetasse zu einem Toast. »Darauf, dass zwei, die zusammengehören, wieder zusammengefunden haben.«

Phil hob ebenfalls seine Tasse. »Darauf trinke ich gern. Obwohl das eher einen von deinen guten Whiskeys wert wäre.«

Eddie lachte. »Den holen wir nach. Schließlich müssen wir ja auch noch feiern, dass du noch mal Vater geworden bist und zum ersten Mal Großvater wirst.«

Phil fiel in das Lachen mit ein. »Ja, in meiner Familie ist gerade eine Menge los«, stimmte er seinem Freund zu. »Aber die Großvaterschaft können wir ja gemeinsam feiern. Wie geht es Cleo und Tia?«

»Beide putzmunter.«

»Das freut mich.« Phil nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee.

»Und wie geht es Sky?«, wollte Eddie wissen.

»Sehr gut. Bisher hat sie noch keine Übelkeit oder andere Beschwerden.«

»Schön das zu hören. Und wie machen sich die beiden Kleinen? Leben sie sich gut bei euch ein?«

Phil nickte. »Ja, es läuft erstaunlich gut. Toby ist zwar sehr schüchtern und wird noch Zeit brauchen, um sich zu erholen. Nicht nur psychisch, er ist auch körperlich sehr geschwächt. Aber er taut langsam auf. Besonders gegenüber Gabriel. Seinen Retter hat er ziemlich in sein Herz geschlossen. Aber auch Ella hat schon einen ganz guten Draht zu ihm gefunden.« Er öffnete die Warmhaltedose und der Duft, der daraus emporstieg, toppte den des Kaffees noch mal um Längen. »Leo ist deutlich offener und ein munterer Wildfang. Er ist körperlich allerdings auch in einer besseren Verfassung.« Er sah zu Eddie. »Und er hat einen Narren an Matt gefressen.«

Eddie grinste verschmitzt. »Na, dann hat das Kerlchen ja offensichtlich eine gute Menschenkenntnis.«

Phil biss in das Sandwich und verdrehte verzückt die Augen. »Oh wow. Das ist himmlisch. Richte Hank aus, dass ich ein ganzes Tablett von diesen Sandwiches bei ihm bestelle, wenn wir zum Feiern zu euch ins Mean & Evil kommen.«

Eddies Grinsen wurde noch ein bisschen breiter. »Das hört er mit Sicherheit gerne. Wie geht es mit den Kleinen denn jetzt weiter? Besorgt Peter euch Adoptionspapiere?«

Phil nickte bestätigend und genoss einen zweiten Bissen, bevor er weitersprach. »Obwohl er wegen der Sache im Jugendheim jetzt wohl erst mal einiges in der Akademie zu tun hat. Warst du gestern Abend mit dabei, als Lorna dort nach dem Rechten gesehen hat?«

Nach einem Geistereinbruch war ein Jugendheim im East End geschlossen worden und Amanda Carlisle, die Leiterin des Londoner Jugendamts, hatte Cornelius Carlton gebeten, die fünfundzwanzig Teenager sowie deren Betreuerinnen in der Akademie unterzubringen. Eddies Frau Lorna war daraufhin mit einem Teil ihrer Familie und einer Ladung an Grundausstattung zur Akademie gefahren, um sicherzustellen, dass es allen Normalos bei Carlton gutging und die Jugendlichen das Nötigste für die nächsten Tage hatten, da das Heim erst von Geistern gesäubert werden musste, bevor sie ihre Habseligkeiten holen konnten.

Eddie nickte. »Nell, Jack, Leslie, Dash und ich sind mit ihr gefahren. Die vier sind auch über Nacht dortgeblieben, nur für den Fall, dass Carltons Mitgefühl und Hilfsbereitschaft gegenüber den Kids und ihren Betreuerinnen schlagartig verpufft wären, sobald wir der Akademie den Rücken zugekehrt hätten. Die Nacht verlief aber wohl absolut problemlos und heute ziehen sechs neue Lehrkräfte dort ein, die Lorna dem guten Cornelius vorhin im Mean & Evil vorgestellt hat.«

»Ich wette, davon war er schwer begeistert.«

Eddie hob die Schultern. »So wie ich ihn heute erlebt habe, müsste ich glatt ja sagen. Der Mann ist ein Ass, was das Schauspielern angeht. Wenn ich nicht wüsste, wie er eigentlich tickt, würde ich ihm seine charmante Art sicher abnehmen. Aber da ich mehr weiß, sorgt der Mann bei mir für Gänsehaut und wir sollten wirklich zusehen, dass wir ihn zügig aus dem Verkehr ziehen.«

»Ganz deiner Meinung«, stimmte Phil ihm zu und deutete auf eine Klarsichttüte, die in Eddies Korb lag. Darin befanden sich eine Tasse und ein Glas. »Danke auf jeden Fall schon mal dafür. Ich glaube zwar nicht, dass uns das dabei helfen wird, Carlton das Handwerk zu legen, aber es wird uns Gewissheit für Cam, Leo und Toby bringen.«

Eddie winkte ab. »Die Sachen einzusammeln und vorbeizubringen, war ja kein großer Akt.« Er musterte Phil ernst. »Cam aber womöglich beibringen zu müssen, dass dieses Monster sein Erzeuger ist – darum beneide ich euch nicht.«

Phil legte das Sandwich ab und gönnte sich einen tiefen Schluck Kaffee. »Sue, Mum und ich haben es immer so gehalten wie du, Lorna und Hank. Familie wird nicht durch Blutsverwandtschaft definiert, sondern durch Liebe, Zusammenhalt und gemeinsame Werte.« Er seufzte. »Nichtsdestotrotz wird es Cam hart treffen, sollte der DNA-Test nachweisen, dass Carlton tatsächlich sein biologischer Vater ist. Aber dann sind wir für ihn da.«

»Cam ist stark.« Eddie schenkte seinem Freund ein aufmunterndes Lächeln. »Und er weiß, wer sein wirklicher Vater ist.«

Gerührt erwiderte Phil das Lächeln. »Danke.«

Eddie schüttelte den Kopf. »Nicht dafür.« Auch er nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Hoffen wir einfach, dass wir Carlton bald das Handwerk legen können. Wird er von der Metro Police weiter überwacht?«

»Ja. Pratt hat Leute aus dem Sondereinsatzkommando von Samhain dafür eingeteilt. Sowohl Carlton als auch Nathan Harris, die Delawares, Grayers sowie Garett Singer werden beschattet. Dass Harris mit zu den Dreizehn gehört, dürfte wohl klar sein. Bei den anderen dreien liegt der Verdacht zumindest sehr nahe, weil Carlton enge Geschäftsverbindungen zu ihnen pflegt und sie vor der Ritualnacht mehrfach von Evan an der Akademie gesehen wurden. Seit Samhain gibt es dagegen keine Aktivitäten mehr zwischen ihnen. Das mag sicher auch am Nebellockdown gelegen haben, aber da der jetzt vorbei ist, läuft die Überwachung auf Hochtouren. Auch Thad, Gabriel, Sky und Connor übernehmen nach ihren Dämmerdiensten Observationen. Irgendwann werden diese Dreckskerle einen Fehler machen und dann schnappen wir sie.«

»Je schneller, desto besser«, brummte Eddie. »Und vor allem gerne, bevor Carlton zu seinem Vergeltungsschlag gegen unsere Familien ausholt. Wirklich ruhig schlafen werden wir alle ja erst wieder, wenn er und seine Organisation Geschichte sind.«

»Wahre Worte«, stimmte Phil ihm zu. »Wir danken Cleo auf jeden Fall sehr dafür, dass sie mit ihren Verbindungen zur Mediengilde Carlton so schön im Rampenlicht hält. Damit verschafft sie uns Zeit, weiter gegen ihn zu ermitteln.«

Eddie lächelte verschlagen. »Ich glaube, Cleo und Lorna macht es diebisch viel Spaß, dafür zu sorgen, dass Carlton gut beschäftigt ist.« Er zog sein Handy aus der Hosentasche und sah auf die Uhr. »Das Interview bei LNN läuft gleich und Cleo wollte ein paar Leute vom Sender davon überzeugen, dass eine mehrteilige Reportage über die Akademie und wie sich dort gerade alles zu einem gemeinsamen Ort für Jugendliche egal welcher Rasse wandelt, mit Sicherheit auf großes Interesse bei den Zuschauern stoßen würde.«

Phil lachte auf. »Okay, damit wäre Carlton definitiv gut beschäftigt.« Er schnitt eine Grimasse. »Und jetzt bekomme ich doch ein schlechtes Gewissen, dass wir uns zu dieser Auszeit am Wochenende haben überreden lassen.«

»Nein«, entgegnete Eddie sofort bestimmt. »Eure Familie hat in den letzten Wochen verdammt viel durchgemacht. Das Mobbing in der Schule, bei dem Cam an Äquinoktium hätte sterben können, die Mordverdächtigungen gegen euch, der Terroranschlag in der Ravencourt, bei dem ihr Jules fast verloren hättet, und jetzt die zwei traumatisierten kleinen Jungen, die ihr bei euch aufgenommen habt. Da hättet ihr noch deutlich mehr als nur vier freie Tage außerhalb von London verdient. Also genießt die Auszeit und macht euch keine Sorgen. Der Rest von uns hält hier solange die Stellung.«

Phil bedachte ihn mit einem alles sagenden Blick. »Ich weiß, warum ihr uns als Freunde so wichtig seid.«

Eddie antwortete mit einem genauso viel sagendem Lächeln. »Gleichfalls. Obwohl Freundschaft ja jetzt gar nicht mehr das Einzige ist, das uns verbindet.« Er grinste vergnügt. »Dank unserer beiden Söhne sind wir jetzt ja quasi zu einer Großfamilie geworden und wie du vorhin so treffend festgestellt hast, ticken wir da sehr synchron. Zusammenhalt ist das Wichtigste. Also gönnt euch die Auszeit und überlasst Carlton und seine Leute solange uns.«

Kapitel 2

 

Blaine starrte auf den Bildschirm, wo LNN gerade einen Werbeblock schaltete. Kurz darauf turnte eine abartig gutgelaunte Fernsehfamilie um einen Esstisch und feierte irgendeine neue Pastasoße, die es anscheinend geschafft hatte, dass alle drei versammelten Generationen vor lauter Ekstase gar nicht wussten, wohin mit sich. Genervt schaltete Blaine den Fernseher aus.

Das Letzte, was er jetzt gerade ertragen wollte, war gefakte Familienidylle.

Ihm reichte völlig die Idylle von Wir werden in der Akademie jetzt eine große glückliche Totenbändiger-Normalo-Familie,von der sein Vater und Lorna Rifkin in ihrem LNN-Interview gerade mit ähnlicher Ekstase geschwärmt hatten wie die bescheuerte Fernsehfamilie von ihrer Pastasoße.

Die Meldungen über Geistereinbrüche sowohl in einem Jugendheim als auch in einer Pflegeeinrichtung hatten schon am Tag zuvor die Nachrichten dominiert – und das, obwohl man aufgrund des Nebellockdowns nicht einmal Livebilder hatte senden können. In der Pflegeeinrichtung hatte sich das Personal aber offensichtlich ein bisschen was dazuverdient, indem sie mit ihren Handys das ein oder andere dokumentiert und die Videos dann an LNN verkauft hatten. Der Geistereinbruch dort war allerdings harmlos gewesen und man hatte nur deshalb Spuk Squads mit Totenbändigern angefordert, weil viele Bewohnerinnen und Bewohner bettlägerig waren. Ihre Zimmer hatte man deshalb besonders schützen müssen, während die übrigen Teammitglieder die eingedrungenen Geister bändigten. Da die Schutzbarrieren aber bloß durch einen Wasserrohrbruch im Keller beschädigt worden waren, den man zudem schnell bemerkt hatte, war der Vorfall insgesamt eher unspektakulär verlaufen.

Anders im Shelter. Das Jugendheim im East End hatte komplett evakuiert werden müssen und drei der Teenager lagen aufgrund von Geisterkälte oder Verletzungen, die sie sich auf der Flucht zugezogen hatten, im Krankenhaus. Da der Nebel sich über Nacht verzogen hatte, war die Säuberung des Gebäudes am heutigen Vormittag durchgeführt worden. Der Bau war jedoch so marode – und durch den Einsatz von Auraglue zusätzlich noch völlig verätzt – dass eine Rückkehr der Jugendlichen außer Frage stand. Die Leiterin des Londoner Jugendamtes hatte aber die unfassbar clevere Idee gehabt, Cornelius Carlton, den Retter aller benachteiligter Jugendlichen der Stadt, um Hilfe zu bitten.

Blaine ballte die Fäuste.

Er hatte es schon ätzend gefunden, dass sein Vater den ganzen verwahrlosten Streetkids vor Samhain ein sicheres Dach über dem Kopf angeboten hatte. Der Einzug von fünfundzwanzig weiteren Jugendliche samt ihrer Betreuerinnen bedeutete, dass es bald genauso viele Totenbändiger wie Normalos an der Akademie gab. An der Akademie! Dem Ort, der einmal von Totenbändigern für Totenbändiger eingenommen worden war und der nur für sie bestimmt sein sollte. Dass sein Vater ihn jetzt für Unbegabte öffnete und sich praktisch von ihnen überrennen ließ, war so verdammt falsch, dass Blaine vor Wut kochte.

Ihm war klar, dass die ursprüngliche Idee seines Vaters gewesen war, mit der Aufnahme der Streetkids Versuchskaninchen in die Finger zu bekommen, mit denen er nach dem vierten Ritual die Verwandlung von Normalos in Totenbändiger hätte testen können. Ihm war auch klar, dass dieser Schuss nun, da er seine Geminuskinder verloren hatte, nach hinten losgegangen war und Lorna Rifkin das Ganze schamlos ausnutzte. Was Blaine dagegen nicht verstand, war, wieso zum Teufel sein Vater sich darauf einließ.

Wieso hatte er gerade eine halbe Stunde lang herumgeheuchelt und so getan, als könnte er sich kaum etwas Wunderbareres vorstellen, als seine Akademie für minderbemittelte Unbegabte zu öffnen? Hatten seine Gegner irgendwas gegen ihn in der Hand, womit sie ihn erpressten? Aber wenn das der Fall war, wieso hatten sie ihn dann nicht verhaften lassen?

Das ergab für Blaine keinerlei Sinn.

Es war allerdings absolut unerträglich, mit anzusehen, wie alles, für das die Akademie eigentlich stand, jetzt drohte, den Bach hinunterzugehen. Nicht nur, weil immer mehr Unbegabte dort einzogen. Auch die Stellen für Lehrkräfte wurden jetzt offensichtlich zum Teil von Lorna Rifkin mit Totenbändigern aus dem gemäßigten Lager besetzt. Und falls man die Akademie wirklich nicht mehr länger nur als Internat und Heim für ungewollte Totenbändigerkinder sah, sondern sie zu einem Jugendheim mit integrierter Schule für alle Londoner Kinder und Jugendliche werden sollte, die einen Schutzraum brauchten, war bald überhaupt nichts mehr von dem einstigen Ort für Totenbändiger übrig.

Blaine presste die Kiefer aufeinander.

Das war vollkommen inakzeptabel und er hoffte wirklich, wirklich sehr, dass dieses Heile-Welt-Idyll, von dem sein Vater ach so schwärmte, Teil eines richtig genialen Masterplans war, den sein alter Herr in der Hinterhand hatte. Dass er zum Schein die Scharade des charmanten Wohltäters aufrechthielt, konnte Blaine verstehen. Auch dass sein Vater für all die erlittene Schmach zurückschlagen und Vergeltung üben würde, war klar. Blaine machte sich allerdings Sorgen, wie viele Unzumutbarkeiten ihre Gegner bis dahin in der Akademie noch durchdrücken würden. Das alles wieder rückgängig zu machen, war zwar sicher nicht unmöglich, würde aber wertvolle Zeit und Ressourcen kosten, und das passte Blaine nicht im Geringsten. Sein Vater hatte in den letzten Jahren so viel aufgebaut, was er – Blaine – übernehmen wollte, da stand ihm ganz und gar nicht der Sinn danach, dass jetzt Lorna Rifkin und Susan Hunt dazwischenfunkten und alles verkomplizierten. Mit dem vierten Ritual sollte zur Wintersonnenwende endlich seine große Zeit kommen und die wollte er nicht damit beginnen, zig Altlasten wegräumen zu müssen, die sein Vater ihm hinterließ, weil der sich hatte austricksen lassen.

Absolutes No-Go.

Blaine schnaubte unwirsch. Es nervte ihn schwer, seine Pläne ändern zu müssen und die Schmach seines Vaters nicht länger auskosten zu können. Aber zu riskieren, dass alles zusammenbrach, brachte weder Triumph noch Genugtuung. Also würde er sich seinem Vater offenbaren. Je schneller er sich in dessen Organisation einführen ließ, desto schneller konnte er dann auch für den Abgang des großen Cornelius Carlton sorgen, denn dass sein Vater seinen Zenit überschritten hatte und wegmusste, bevor er noch mehr Schaden anrichten konnte, war ja wohl offensichtlich.

Blaine schwang sich vom Sofa und begann in einem Karton voller technischem Equipment zu kramen.

Wenn er seinem Vater wieder gegenübertrat, dann definitiv mit Stil.

Kapitel 3

 

Es war kurz vor halb sechs, als Evan seinen Wagen vor seinem Elternhaus parkte. Die Autos seiner Eltern standen bereits in der Einfahrt und durchs Küchenfenster fiel Licht. Evan stellte den Motor ab, stieg aber nicht aus, sondern gönnte sich noch einen Moment Ruhe.

Der Tag war anstrengend gewesen und er verspürte wenig Lust auf die neugierigen Fragen seiner Mutter bezüglich der Neuzugänge an der Akademie. Die Nachricht von den Jugendlichen, die ihr Zuhause verloren hatten und deswegen so großzügig von Cornelius Carlton in der Akademie aufgenommen worden waren, hatte am Abend zuvor für mächtig viel Gesprächsstoff im Hause Miller gesorgt. Zum einen lobten seine Mum und sein Dad, wie spontan und wohltätig der Akademieleiter sich einmal mehr zeigte, zum anderen äußerten sie aber auch die Sorge, ob die neuen Bewohnerinnen und Bewohner nicht womöglich bedeuteten, dass Carlton nicht mehr so viel Zeit für Evans Privattraining haben könnte. Evan hatte große Mühe gehabt, nicht die Augen zu verdrehen. Seit er zur Akademie ging und seine Eltern ihn bei ihren Arbeitskollegen und Freunden als Protegé des allseits bekannten und immer beliebteren Stadtratsmitglied Cornelius Carlton präsentieren konnten, stellten sie ihrem Sohn jeden einzelnen Abend beim Essen gefühlt mehr Fragen nach seinem Tag als die letzten drei Jahre zusammengenommen.

Evan hatte keine Ahnung, wie er das fand. Einerseits war es schön, dass seine Eltern mal mehr Interesse an ihm zeigten und er sich nicht so fühlte, als würde er sie ständig enttäuschen. Andererseits wurde aber immer wieder offensichtlich, dass sie nur Anteil an seinem Leben nahmen, weil jetzt jemand Berühmtes und Einflussreiches wie Carlton in ihm etwas Besonderes sah und man sich damit vor anderen interessant machen konnte. Das war kein wirklich gutes Gefühl. Vor allem, weil seine Mum und sein Dad keinen Schimmer hatten, was für ein Monster Carlton in Wirklichkeit war. Und extrabitter war, dass sie Evan vermutlich nicht einmal glauben würden, wenn er ihnen die Wahrheit über den Akademieleiter erzählt hätte.

Evan blieb weiter im Auto sitzen, schloss die Augen und genoss die Stille. Durch die Aufnahme der Jugendlichen aus dem Shelter war der Tag ziemlich unruhig gewesen. Am Morgen hatte es vor Unterrichtsbeginn eine Versammlung gegeben, auf der Carlton ihnen die Neuen vorgestellt und den verschiedenen Jahrgängen zugeordnet hatte. Anders als die Streetkids, die schon vor einigen Wochen in der Akademie eingezogen waren, waren die Jugendlichen aus dem Shelter zur Schule gegangen, sodass ihre Zuteilung in die einzelnen Klassen kein großes Problem war. Die Streetkids waren dagegen in einer Förderklasse, in der sie den Stoff aufarbeiten sollten, der ihnen fehlte, bis sie in die Regelklassen integriert werden konnten. Bei zweien war das bereits passiert. Cassy war schon nach nur drei Testtagen mit in Evans zwölften Jahrgang geschickt worden. Auch Aaron war recht schnell in die elfte Klasse integriert worden und brauchte nur noch Extrahilfe in Mathe und Physik. Seit heute Morgen gingen jetzt noch drei weitere Normalos in Evans Klasse. Damit gab es in der Zwölf jetzt fünf Normalos und nur vier Totenbändiger. Asha und Leroy waren darüber alles andere als erfreut gewesen.