Die Totenbändiger - Band 22: Fatalitäten - Nadine Erdmann - E-Book

Die Totenbändiger - Band 22: Fatalitäten E-Book

Nadine Erdmann

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Beschreibung

Nach dem Nebellockdown schmieden die Hunts verschiedene Pläne, um Carlton endlich das Handwerk zu legen. Doch wird ihnen das wirklich gelingen? Welche Trümpfe hält ihr Gegner vor ihnen verborgen? Der 22. Roman aus der Reihe, "Die Totenbändiger", von Nadine Erdmann (Cyberworld, Die Lichtstein-Saga).

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Table of Contents

Fatalitäten

Was bisher geschah

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Vorschau

Impressum

Die Totenbändiger

Band 22

Fatalitäten

von Nadine Erdmann

 

 

 

 

 

Was bisher geschah

 

Nach seiner Verschleppung durch Carlton wird Evan von den Rifkins gerettet. Während Carlton Polizei und Rettungskräften als Coverstory einen Autounfall präsentieren lässt, bei dem Evans Eltern gestorben sind, erfahren die Rifkins von Evan, was tatsächlich passiert ist. Außerdem überbringt er Carltons Nachricht an Susan: Evans Folter sowie die Morde an seinen Eltern sind nur ein Vorgeschmack auf die Rache, die Carlton an Susan und ihren Verbündeten plant. Nach der Folter und dem Tod seiner Eltern steht Evan unter Schock und ist körperlich sehr geschwächt. Deshalb bleibt er bei den Rifkins, wo besonders Jack sich um ihn kümmert.

 

Da Carlton von Evan nichts über Cam erfahren hat, soll stattdessen Blaine für ihn herausfinden, ob Cam ein Geminusträger ist, der vor dreizehn Jahren überlebt hat. Blaine hasst die Vorstellung, er könnte nicht der Einzige mit einem Zwilling sein, und willigt ein, Cam gegen eine angemessene Bezahlung unter die Lupe zu nehmen.

 

Nebel zwingt London in einen weiteren Lockdown, der diesmal über eine Woche andauert. Die Hunts nutzen die Zeit, um die Geschehnisse rund um Evan aufzuarbeiten. Außerdem beschäftigt sie die Adoption von Leo und Toby. Dabei entscheiden Matt und Gabriel, dass sie die Elternschaft für die beiden übernehmen wollen. In diesem Zusammenhang spricht Cam auch zum ersten Mal mit seiner Familie offen über das Ritzen.

 

Phil wird während des Lockdowns zu einem Notfall gerufen, um bei einer Geburt zu helfen. Die Schwangere ist eine Leihmutter und als das Baby als Totenbändigerin zur Welt kommt, lehnen die leiblichen Eltern das Kind ab. Phil nimmt die Kleine mit in seine Familie, um eine Adoption in die Wege zu leiten. Daheim angekommen schließen Sky und Connor das Mädchen sofort in ihr Herz und beschließen, Jade als ihre Tochter anzunehmen.

Kapitel 1

 

Montag, 25. November

Zur Mittagszeit in der Küche der Rifkins

 

Nur noch eine Unterschrift hier, dann ist der ganze Bürokratiekram für heute erledigt.«

Thad schob ihm ein weiteres Schriftstück hin. Mechanisch zog Evan es zu sich. Er hatte schon lange den Überblick darüber verloren, wie viele Seiten er heute und in den letzten Tagen unterschrieben hatte. Ihm war bewusst, dass er sich mehr dafür hätte interessieren sollen. Doch jeder einzelne Brief, in dem er in den letzten zwei Wochen zig Behörden, Versicherungen und wer weiß wen noch darüber hatte informieren müssen, dass Andrew und Glenda Miller am 12. November bei einem tragischen Autounfall verunglückt waren, löste bei ihm Überforderung, innere Unruhe und Angst vor der Zukunft aus. Das zu bewältigen, schaffte er nur, indem er vieles von dem, was Thad für ihn erledigte, einfach nur zur Kenntnis nahm. Thad hatte die Briefe und Kündigungsschreiben für ihn aufgesetzt sowie verschiedene Anträge gestellt. Er war es auch, der sich die Antworten vornahm, die jetzt nach und nach eintrudelten, ließ Evan die Dokumente unterschreiben und schickte alles erneut fort. Evan war ihm unglaublich dankbar dafür und riss sich zusammen, um den Brief zumindest zu überfliegen, damit er wenigstens grob wusste, was er da unterschrieb.

Antrag auf Waisenunterstützung.

Seine Hand, die den Kugelschreiber hielt, zuckte.

Waise.

Er hasste dieses Wort und dankte allen guten Sternen, dass er vor ein paar Wochen achtzehn geworden war und ihm so die Unterbringung in einem Heim erspart blieb. Oder die Suche nach einem Vormund, weil gerade alle Jugendlichen, die in London ohne Familie dastanden in der Akademie untergebracht wurden, und dorthin zurückzugehen, war undenkbar. Ihm war klar, dass es dazu nicht gekommen wäre. Wäre er noch minderjährig, hätten sicher die Rifkins oder die Hunts die Vormundschaft für ihn übernommen, und Peter Duggan, der im Jugendamt zwar eigentlich nur für die Vermittlung von ungewollten Totenbändigerkindern zuständig war, hätte sich sicher auch Evans Fall angenommen und dafür gesorgt, dass ein entsprechender Antrag genehmigt worden wäre. Auch hier war sich Evan bewusst, wie dankbar er dafür sein musste, solche Leute um sich zu haben. Trotzdem wollte er ihnen nicht mehr als nötig zur Last fallen, daher war seine Volljährigkeit definitiv ein Segen.

Doch egal ob volljährig oder nicht, eine Waise zu sein, fühlte sich furchtbar an. Er hatte seinen Eltern zwar nie besonders nahegestanden, aber dennoch nie die Hoffnung aufgegeben, dass sie sich irgendwann vielleicht doch noch besser verstehen würden. Diese Möglichkeit war ihm genommen worden und er würde nie herausfinden, was vielleicht hätte sein können. Natürlich war ihm bewusst, dass er sich vermutlich nur etwas vormachte. Die Wahrscheinlichkeit, dass seine Eltern sich jemals geändert hätten, war äußerst gering gewesen, und ihr Verhältnis wäre sicher immer kompliziert geblieben. Trotzdem trauerte er um sie und die verlorene Chance, dass es vielleicht doch anders hätte kommen können.

Er schloss kurz die Augen, atmete tief durch und schob den Gedanken dann von sich. Es brachte nichts, über irgendwelche Was-wäre-gewesen-wenn nachzugrübeln, die es nun mal einfach nicht mehr geben würde.

Er krallte kurz die Finger um den Stift, damit seine Hand aufhörte zu zittern, und setzte seine Unterschrift unter den Antrag. Offensichtlich hatten auch volljährige Waisen ein Recht auf finanzielle Unterstützung vom Staat, wenn ihre Eltern verstarben, bevor das Kind eine Ausbildung abgeschlossen und damit finanziell auf eigenen Füßen stehen konnte. Er war verdammt froh, dass er nicht wirklich allein war und Thad ihm bei all dem half. Er selbst hätte gar nicht gewusst, worum er sich alles hätte kümmern müssen und was ihm zustand.

Er schob den unterschriebenen Antrag zurück zu Thad. »Danke. Für alles.« Er sah von ihm zu Lorna, die gemeinsam mit ihnen und Jack am Küchentisch saß und für Tee und Kaffee gesorgt hatte. »Auch an euch. Ich weiß, dass das alles nicht selbstverständlich ist.«

Vor zwei Tagen war der Nebellockdown aufgehoben worden und sie hatten den gestrigen Sonntag dafür genutzt, Evans Möbel herzubringen. Obwohl es schwer gewesen war, noch einmal in sein Elternhaus zurückzukehren, hatte es gleichzeitig auch gutgetan. Es war wie ein Abschluss – auch wenn das seltsam klang, weil er sicher nicht das letzte Mal im Haus gewesen war. Doch seine Möbel herzuholen und sich damit hier sein neues Zimmer einzurichten, hatte geholfen, das Leben in seinem alten Zuhause hinter sich zu lassen. Sein neues Zuhause im obersten Stockwerk der Wohnung über dem Mean & Evil war zwar noch ungewohnt und etwas, in das er noch hineinwachsen musste, aber mit seinen eigenen Möbeln fühlte es sich nicht mehr ganz so fremd an.

Lorna stellte ihre Tasse ab und legte ihre Hand über seine. »Wir hatten uns doch gestern Abend darauf geeinigt, dass du dich jetzt oft genug bedankt hast.« Sie schenkte ihm ein bedeutungsvolles Lächeln. »Wir freuen uns, dich hierzuhaben, und hoffen sehr, dass du dich nach und nach als Teil dieser Familie siehst. Du musst dich also nicht ständig für alles bedanken. Du bist unglaublich charakterstark und loyal und einfach ein toller Mensch, den wir sehr gern haben. Also fühl dich nicht so, als müsstest du für Gastfreundschaft dankbar sein. Du bist kein Gast. Du gehörst zu uns, okay?« Sie sah ihm fest in die Augen und drückte seine Hand.

Evan musste schlucken. »Okay«, presste er dann hervor. »Danke.«

Jack grinste schief und knuffte ihm in die Seite. »Ich schätze, dass mit dem Nicht-danke-sagen üben wir noch. Vielleicht würde es helfen, wenn du für jedes unnötige Danke einmal das Badezimmerputzen übernehmen musst.«

Das entlockte auch Evan ein mattes Grinsen und er spürte, wie dieses Engegefühl in seinem Inneren dem warmen Kribbeln wich, das Jack immer wieder bei ihm auslöste und das all die drastischen Veränderungen in seinem Leben so, so viel erträglicher machte.

Schmunzelnd tätschelte Lorna ihm die Hand. »Diese Idee unterstützte ich mit großem Enthusiasmus.« Dann zog sie ihre Hand zurück und bot Thad noch einen Kaffee an, doch der lehnte dankend ab.

Er hatte die Unterlagen zurück in einen Ordner geheftet und zog jetzt zwei Versicherungspolicen heraus.

Evan verzog das Gesicht. »Ich dachte, ich muss nichts mehr unterschreiben.«

»Das musst du auch nicht«, antwortete Thad mitfühlend. »Es gibt allerdings trotzdem noch eine Sache, die wir besprechen müssen.«

Evan atmete tief durch und wappnete sich. »Okay. Worum geht es?«

»Um die Lebensversicherungen deiner Eltern.« Thad schob ihm die Schriftstücke hin. »Hast du gewusst, dass sie welche abgeschlossen hatten?«

Evan hob die Schultern. »Sie haben mir nie davon erzählt, aber sie waren ziemliche Spießer und absolute Sicherheitsfanatiker, daher wundert es mich nicht, dass sie Lebensversicherungen hatten. Was steht drin?« Er wollte sich nicht durch die umständlichen Formulierungen quälen. Eigentlich wollte er gar nicht wissen, was drinstand. Den Wert eines Lebens mit einer Geldsumme zu beziffern, die sich daran festmachte, wie viel diese Person dafür im Vorfeld bei einer Versicherung hatte einzahlen können, fühlte sich wie ein entsetzlich falsches Konzept an, bei dem das Leben von Reichen automatisch mehr wert war als das von Armen. Dagegen sträubte sich alles in ihm.

»Ganz kurz zusammengefasst: Du bekommst zweihunderttausend Pfund«, erklärte Thad. »Sowohl dein Vater als auch deine Mutter haben eine Police über je einhunderttausend abgeschlossen, die du im Falle eines Unfalltodes bekommst.«

Evan hatte keine Ahnung, was er dazu sagen sollte. Zweihunderttausend Pfund waren eine Menge Geld – gleichzeitig für zwei Menschenleben aber auch entsetzlich wenig, oder nicht? Und es fühlte sich falsch an, Geld dafür zu bekommen, dass seine Eltern gestorben waren.

»Die Summe wird dir ausgezahlt, sobald wir alle geforderten Unterlagen eingereicht haben«, sprach Thad weiter.

Die Totenscheine, schoss es Evan durch den Kopf.

Das Geld gab es für den Tod.

Er schauderte.

Fand nur er das furchtbar?

»Ich will das Geld nicht«, sagte er hastig. »Es fühlt sich schrecklich an.«

Thad seufzte mitfühlend. »Das verstehe ich. Mir ging es nach dem Tod meiner Eltern ganz ähnlich. Aber Edna meinte damals, ich soll das Geld als das letzte Geschenk meiner Eltern an mich sehen und es wertschätzen, indem ich mir damit Dinge ermögliche, die mir wirklich wichtig sind.«

Evan schwieg einen Moment. »Und was hast du dir damit ermöglicht?«, fragte er dann.

Thad hob die Schultern. »Einige Sonderkurse während meiner Ausbildung an der Polizeiakademie. Für die Ausbildung an sich muss man nicht zahlen, für spezielles Training schon. Außerdem hab ich mir eine Wohnung in Camden gekauft. Ich hab eine ganze Weile bei Phil und seinen Eltern in der Villa gewohnt, bis ich mich von dem Schock erholt und wieder Boden unter den Füßen hatte. Dann brauchte ich meine eigenen vier Wände, wollte aber im selben Viertel wie die Hunts bleiben, weil ich ihren Rückhalt noch brauchte. Mit meinem Ausbildungsgehalt hätte ich mir in Camden aber nicht mal ein WG-Zimmer leisten können. Mit dem Geld aus den Lebensversicherungen meiner Eltern war jedoch sogar eine eigene kleine Wohnung drin und ich weiß, dass es die beiden gefreut hätte, dass ich das Geld dafür genommen habe.« Thad hielt kurz inne, dann fügte er noch hinzu. »Den Rest habe ich angelegt und alles, was davon nicht bei meiner Altersversorgung draufgeht, geht als Erbe an die Hunts.«

Ein Lächeln flog über Evans Gesicht. »Das ist cool.«

Thad erwiderte das Lächeln. »Es ist etwas, das mir wichtig ist.« Dann wurde er wieder ernster. »Wir können dein Geld ähnlich anlegen, wenn du das möchtest. Bei dir besteht allerdings die Möglichkeit, es noch deutlich zu vermehren, weil deine Eltern ein Haus hatten, das so gut wie abbezahlt ist und jetzt dir gehört. Die restlichen Kreditschulden belaufen sich auf ungefähr fünfundzwanzigtausend Pfund. Du könntest sie mit dem Geld aus der Lebensversicherung tilgen, dann gehört das Haus schuldenfrei dir. Du könntest es behalten und vermieten. In dieser Wohngegend würde dir das sehr nette monatliche Einnahmen bringen und falls du deine Meinung irgendwann änderst und doch selbst dort einziehen möchtest, könntest du den Mietvertrag kündigen. Du kannst das Haus aber natürlich auch verkaufen. Lage und Zustand sind gut und Vergleichsobjekte in der Gegend bringen um die achthunderttausend.«

Jack keuchte überrascht auf. »Himmel, mit dem Rest aus den Lebensversicherungen wären das fast eine Million Pfund!«

Evan schwirrte der Kopf und er konnte Thad nur stumm anstarren.

Der klopfte ihm verständnisvoll auf die Schulter. »Ich weiß, das alles ist im Moment nicht leicht zu verdauen und du musst auch nichts jetzt sofort entscheiden. Du sollst nur deine Optionen kennen, und wissen, dass du dir zumindest finanziell über deine Zukunft keine Sorgen machen musst.«

Evan sah von ihm zu Lorna. »Ich will, dass ihr was davon nehmt.«

Sofort schüttelte Lorna den Kopf, doch Evan ließ sie nicht zu Wort kommen.

»Nein, bitte! Ich weiß, ihr habt gesagt, dass ihr keins der Kinder, die ihr hier bei euch aufnehmt, etwas zahlen lasst. Jedenfalls nicht, bevor sie nicht einen Job mit festem Einkommen haben. Aber ich bin kein Kind mehr und wenn ich bald so viel Geld habe, dann möchte ich euch was davon geben. Damit würde ich mich besser fühlen.«

Wieder schüttelte Lorna den Kopf. »Evan, wir haben dich gern hier und –«

»Ja, das weiß ich«, fiel Evan ihr erneut ins Wort und jetzt klang seine Stimme ziemlich gepresst. »Aber ihr habt mir das Leben gerettet und – und wenn ich euch in den letzten beiden Wochen nicht gehabt hätte … Ich hätte das allein nie geschafft.« Er schluckte hart und in seinem Blick lag jetzt fast etwas Flehendes. »Bitte lasst mich dafür etwas zurückgeben. Wenn ihr kein Geld wollt, dann nehmt das Haus. Ich kann dort nicht mehr wohnen und ich will es auch nicht vermieten. Aber ihr kennt sicher eine Totenbändigerfamilie, die es gebrauchen kann. Totenbändiger haben es immer noch schwer, an Immobilien zu kommen, und auch wenn sich viele Gesetze im neuen Jahr endlich zu euren Gunsten ändern sollen, wird der Wandel in der Gesellschaft nicht von heute auf morgen passieren und es wird weiter versteckte Diskriminierung geben. Deshalb nehmt das Haus. Ich will es nicht behalten, aber es wird sicher jemanden sehr glücklich machen.« Dann hellte sich sein Gesicht plötzlich auf. »Vielleicht gefällt es Cleo und Adam! Sie haben jetzt Tia und wenn sie noch mehr Kinder wollen, wird ihre Wohnung zu klein. In dem Haus hätten sie Platz genug und die Gegend ist toll. Da wohnen viele Familien und es wird Zeit, dass dort auch eine aus einem Normalo und einer Totenbändigerin einzieht.«

Damit hatte er es geschafft, Lorna sprachlos zu machen. Etwas, das nur sehr selten vorkam.

Evan musste lächeln und es ging ihm mit einem Mal viel, viel besser, weil es sich so verdammt richtig anfühlte, seinen Freunden das Haus zu schenken. »Ihr teilt hier euer Haus mit mir, dann lasst mich auch meins mit euch teilen. Davon haben wir alle was. Mich macht es glücklich und Cleo und Adam hoffentlich auch.«

Kapitel 2

 

14:03 Uhr

Camden Town

 

Kalter Wind wehte durch die Gasse, in der das Mean & Evil lag, und Gabriel beschleunigte seine Schritte, um ins Warme zu kommen. Sky und Connor hatten ihn an der Hauptstraße rausgelassen. Nach dem Meeting mit ihrem Boss auf dem Revier wollten die beiden mit Ella und Jaz eins der Einrichtungshäuser unsicher machen, weil sie schneller als gedacht ein paar Babymöbel brauchten. Natürlich hatte Ella sich die Chance nicht entgehen lassen, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, als Sky sie gefragt hatte, ob sie mitkommen wollte.

Gabriels Bedarf an Möbelhausbesuchen war dagegen schon seit einer ganzen Weile gedeckt. Die zwei oder drei Mal, die Sky und Connor ihn und Matt während der knappen Freizeit zwischen Observationen, Aufträgen und Schichtdiensten dazu verdonnert hatten, eine Küche und die Möbel für ihr gemeinsames Wohnzimmer auch gemeinsam auszusuchen, hatten ihm voll und ganz gereicht. Er war kein großer Freund von Shoppingtouren durch irgendwelche Konsumtempel und solange ihre Möbel nicht neonbunt blinkten, konnte er sich mit so ziemlich allem anfreunden. Sky und Connor mochten einen Mix, der sich Vintage Boho Shabby-chic nannte. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall passte das für ihn. Und ob das Sofa dann in der Farbvariante Mocca oder Cappuccino bei ihnen einzog, war ihm völlig egal. Hauptsache, es bot Platz für die gesamte Familie. Sonst brauchten sie eben zwei.

Die Möbel für ihr Schlaf- und Rückzugszimmer hatten Matt und er gleich bei einer dieser Shoppingtouren mit bestellt. Dass sie jetzt auch noch die Zimmer für Leo und Toby einrichten mussten, hätte eigentlich weitere Ausflüge in die Möbelhaushölle bedeutet, aber zum Glück konnte man vieles auch sehr gut online bestellen. Leo hätte zwar sicher Spaß beim Aussuchen im Laden gehabt, doch sie hatten in der Familie entschieden, vorerst Situationen zu vermeiden, in denen Carlton die Kleinen kidnappen lassen könnte. Die Sache mit Evan hatte sie alle deutlich vorsichtiger werden lassen, und zum Glück hatten Leo und Toby auch jede Menge Spaß dabei gehabt, Betten, Schränke, Kommoden und Regale auf dem Laptop anzugucken und die tollsten für sich auszusuchen. Theoretisch hätte jeder der beiden ein eigenes Zimmer bekommen können. Sowohl der erste Stock der neuen Villa, den Sky und Connor beziehen würden, als auch der zweite, in dem das Reich von Gabriel und Matt lag, hatte jeweils vier Zimmer. Das größte davon mit angeschlossenem Bad, ein weiteres Bad lag extra. Leo und Toby hatten aber keine eigenen Zimmer gewollt. Selbst eigene Betten wollten sie nicht. Sie wollten lieber weiter zusammen in einem schlafen. Für Gabriel und Matt war das völlig in Ordnung, daher bekamen die beiden Minis jetzt ein gemeinsames Schlaf- und ein Spielzimmer. Sollte irgendwann dann doch jeder ein eigenes Reich haben wollen, konnten sie die Zimmer neu aufteilen.

Schon von draußen war Stimmengewirr aus dem Evil zu hören, als Gabriel sich dem Pub näherte. Diese Ecke von Camden war zwar nicht so mit Touristen überlaufen wie die Camden Markets, hin und wieder verirrten sich aber doch welche her. Gabriel ging allerdings davon aus, dass die meisten Leute im Pub heute Evils sein würden. Matt war nach dem Frühstück mit Leo und Toby hergekommen, damit sie den Rifkin-Part ihrer Familie kennenlernen konnten. Gleiches galt für Flint und seine Mighty Evils. Er und einige seiner verschwiegensten Leute gehörten zum Sondereinsatztrupp, der Carlton an Samhain gestoppt hatte. Danach waren sie in London geblieben, um bei der Suche nach den Abtrünnigen zu helfen und hielten sich außerdem als Verstärkung bereit, sobald der Startschuss fiel, Carlton ein für alle Mal das Handwerk zu legen. Da geplant war, Leo und Toby mit Granny, Sky und Jade demnächst zum Rest der Evils nach Schottland zu schicken, sollten die beiden Minis heute schon mal einen Eindruck von der Gang bekommen.

Gabriel gefiel der Gedanke nicht, die Familie auseinanderzureißen. Besonders, weil Leo und Toby eigentlich beständige Strukturen und ihre Dads gebraucht hätten, da sie sich gerade erst in ihrem neuen Leben einfanden. Doch niemand wollte ein Risiko eingehen und die beiden zur Zeit der Wintersonnenwende in Carltons Reichweite wissen. So schwer es auch fiel, aber es war das Beste, so viele Familienmitglieder wie möglich aus London rauszubringen, um Carlton möglichst wenige Angriffspunkte zu bieten. Dass Sky und Granny mit ihren Kleinsten zu den Evils nach Schottland gingen, bis die vierte Unheilige Nacht vorüber war, schien daher eine gute Lösung zu sein, auch wenn sie keinen von ihnen glücklich machte. Gabriel grauste schon jetzt davor, mit Leo und Toby darüber reden zu müssen. Auch die Kids wussten noch nichts von ihren Plänen. Die würden jedoch nicht mit Tränen darauf reagieren. Gabriel hasste Kindertränen. Noch mehr hasste er allerdings Carlton, deshalb wurde es wirklich, wirklich Zeit, dass dieser Mann aus ihrem Leben verschwand und für niemanden mehr eine Gefahr darstellte.

Vor der Tür zum Pub blieb Gabriel stehen und atmete ein paar Mal tief durch. Diese Wut im Bauch schien mit jedem Mal stärker zu werden, wenn er an Carlton dachte, und er merkte, dass ihm das nicht guttat. Dieser Dreckskerl musste endlich erledigt werden und dafür hatte er auch schon einen Plan. Eigentlich hätte er den gerade nach dem Meeting gern noch unter vier Augen mit Pratt besprochen, um vorzufühlen, was sein Commander davon hielt. Es wäre gut, ihn auf seiner Seite zu haben, bevor er seiner Familie offenbarte, was er vorhatte. Dort würde sein Plan nämlich sicher nicht auf Gegenliebe stoßen. Leider hatte Pratt sich jedoch am Ende des Meetings schnell verabschiedet, weil er zu einem weiteren wichtigen Termin musste, sodass Gabriel ihn nicht mehr allein hatte sprechen können.

Er betrachtete das Licht, das durch die Bleiglasfenster auf die regennasse Straße fiel, dann atmete er noch einmal tief durch und zog die Tür auf. Schlagartig wurde das Stimmengewirr lauter und warme Luft schlug ihm entgegen, die den typischen und herrlich vertrauten Geruch von Bier, Kaffee und was immer Hank und Willa in der Küche zauberten in sich trug. Wie er erwartet hatte, bevölkerten vor allem die Evils den Pub, er sah aber auch Nell und Leslie. Die beiden saßen mit Cleo, Lorna, Jack und Evan an einem Tisch und Lorna hielt – ganz die stolze Großmutter – Tia im Arm. Flint und seine Leute hatten dagegen die Spielhölle in Beschlag genommen. Einige spielten dort am Billardtisch, eine andere Truppe stand vor der Dartscheibe. Zur ihr gehörte Flint, der Leo auf seinen Schultern hatte und ihn von dort Pfeile werfen ließ. Leo quietschte vergnügt, als er die Scheibe tatsächlich traf, und alle umstehenden Evils sofort laut jubelten.

»Dad, hast du das gesehen?«, rief Leo aufgeregt und wandte sich zu Matt um, der mit Toby auf dem Arm am Rand stand und zusah. »Ich hab getroffen!«

»Ja, ich hab es gesehen«, versicherte Matt ihm lächelnd und deutete dann Richtung Tür. »Und dein Daddy auch.«

Leo fuhr herum und quietschte erneut begeistert, als er Gabriel sah. »Du bist da!« Er zappelte auf Flints Schultern, damit der ihn herunterließ. Kaum auf dem Boden flitzte er zu Gabriel und warf sich in dessen Arme, als sein Daddy sich zu ihm hinabbeugte, um ihn aufzufangen.

»Hey Großer.« Gabriel hob ihn hoch. »Sieht so aus, als hättest du hier eine ganze Menge Spaß.«

Leo schlang seine Arme um Gabriels Hals und nickte eifrig. »Es ist ganz großartig hier!« Mit leuchtenden Augen deutete er zu den Evils. »Ich hab Darts gespielt! Mit Onkel Flint und Buster und Lilo. Ich durfte mit den richtig spitzen Pfeilen werfen, die eigentlich nur für große Leute sind. Aber Onkel Flint hat gesagt, ich darf. Aber nur auf die Scheibe werfen und keinen Unsinn damit machen. Und sie haben erzählt, dass sie Motorradpiraten sind! Das ist so wie Schiffpiraten, nur auf Motorrädern. Die stehen im Hof und ich durfte draufsitzen. Das war sooo viel cool!« Er riss seine Arme so weit auseinander, wie er konnte. »Und Onkel Flint und die Mighty Evils sind gute Piraten, keine bösen. Sie fahren durchs Land und helfen Leuten.« Dann deutete er zu dem Tisch, an dem Lorna saß, und zur Theke, an der Eddie Gläser polierte. »Und Toby und ich haben jetzt noch eine Grandma und zwei Grandpas. Grandpa Hank ist in der Küche. Er ist riesengroß und ganz schwarz und am liebsten mag er kochen und lachen. Er hat gesagt, er kocht uns alles, was wir gern mögen, und ich hab ihm gesagt, ich weiß noch gar nicht, was ich alles gern mag. Aber ich mag keine Rosinen und Sommerbäume auch nicht. Und weißt du was? Er wusste gar nicht, dass Bokkoli auch Sommerbaum heißt. Er musste ganz doll lachen, als ich ihm das erzählt hab.« Leo grinste. »Er hat gesagt, er nennt den Bokkoli jetzt auch so. Und er merkt sich, dass ich den nicht mag. Und Rosinen auch nicht.«

Die Sätze waren in einem einzigen atemlosen Strom aus ihm herausgepurzelt und seine Augen leuchteten so aufgeregt, dass Gabriel schmunzeln musste.

»Wow, das klingt nach einem wahnsinnig tollen Vormittag.«

Wieder nickte Leo eifrig und schlang seine Arme fest um Gabriels Hals. »Und jetzt bist du auch hier. Das ist noch viel tollerer.«

Gabriel wurde ganz warm ums Herz. Er drückte seinen Sohn an sich und gab ihm einen Kuss auf die Schläfe. »Ja, mein Tag ist auch viel tollerer, weil ich jetzt hier bin.«

»Wie sieht es aus, Rabauke?«, rief Flint zu ihnen herüber. »Willst du noch ein paar Pfeile werfen?«

»Ja!« Leo drückte Gabriel einen Kuss auf die Wange und zappelte dann, damit er ihn runterließ. Flink flitzte er zurück zu Flint und reckte sich ihm entgegen, damit der ihn wieder auf die Schultern nahm.

Matt war zu Gabriel herübergekommen, küsste ihn zur Begrüßung und reichte ihm dann Toby, der sich glücklich, dass sein Daddy von der Arbeit gekommen war, an ihn schmiegte.