Die Verrückten Band 3 - Jakob Landolt - E-Book

Die Verrückten Band 3 E-Book

Jakob Landolt

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Beschreibung

Irrsinn in der Geschichte Diese mehrbändige Buchreihe hat den menschlichen Irrsinn zum Thema und versteht sich als Beitrag zur Geschichte der Psychiatrie und Psychologie Band 3: Renaissance Dieser Band behandelt einige Vorbedingungen, die in die zaghaften Anfänge der Psychiatrie führen werden. Etwa die anatomische Forschung u.a. durch verbotene Sektionen an verstorbenen Menschen, gefolgt von Ausführungen über die Alchemie, Iatrochemie, Iatrophysik, Iatromedizin, Iatroastrologie und Iatrotheologie. Exponenten der Renaissance arbeiten, teils unter dem Einfluss der Reformation, an der Befreiung der Irren aus dem Griff des christlichen Glaubens und entziehen diese dem Einfluss der Kirchen. Exponenten sind Descartes, Paracelsus, Melanchthon und die Kirchenkritiker Juan Luis Vives und Johannes Weyer. Sie fürchteten Teils persönliche Verfolgung und Verurteilung durch die göttlichen Herrscher ihrer Zeit. Annex: Kleine Geschichte der Epilepsie.

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Seitenzahl: 263

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis:

Band 3: Renaissance (15. – 17. JH.)

Sektionen und anatomische Forschung

Alchemie, Iatrochemie, -Physik, -Medizin, -Astrologie und Iatrotheologie

Johann Baptist van Helmont

Descartes

Paracelsus

Syphilis

Reformation (1517 – 1648)

Philipp Melanchthon

Juan Luis Vives

Johann Weyer

Annex:

Kleine Geschichte der Epilepsie

Ausblick auf Band 4

Literatur und Quellen

Irrsinn in der Geschichte

Einführung Band 3.

Dieser Band behandelt einige Vorbedingungen, die in die zaghaften Anfänge der Psychiatrie führen werden. Etwa die anatomische Forschung u.a. durch verbotene Sektionen an verstorbenen Menschen, gefolgt von Ausführungen über die Alchemie, Iatrochemie, Iatrophysik, Iatromedizin, Iatroastrologie und Iatrotheologie.

Exponenten der Renaissance arbeiten, teils unter dem Einfluss der Reformation, an der Befreiung der Irren aus dem Griff des christlichen Glaubens und entziehen diese dem Einfluss der Kirchen. Exponenten sind Descartes, Paracelsus, Melanchthon und die Kirchenkritiker Juan Luis Vives und Johannes Weyer. Sie fürchteten Teils persönliche Verfolgung und Verurteilung durch die göttlichen Herrscher ihrer Zeit.

Annex: Kleine Geschichte der Epilepsie.

Renaissance (15. - 17. JH.)

Das Spätmittelalter endete gemäss Geschichtsschreibung ungefähr ab dem Jahre 1500. Danach begann die Neuzeit. Selbstverständlich muss man sich diese Zeitenwende fliessend vorstellen, sie geschah nicht abrupt. Man kann keine exakt datierbaren Epochengrenzen ziehen. Der Zeitraum der Renaissance dauerte über 300 Jahre (ab dem 15. Jahrhundert) und endete im 17. Jahrhundert

Gewisse Zeitmarker lassen sich gut belegen, wie die Erfindung des Buchdruckes um 1450. Etwa zur gleichen Zeit ereignete sich die Eroberung Konstantinopels (1453) durch die Osmanen, später die Entdeckung Amerikas im Jahre 1492. Indien wurde knapp vor dem Jahre 1500 erstmals auf dem Seeweg erreicht. In diese Zeit fiel auch der Beginn der Reformation im Jahre 1517. Martin Luther wollte die alte Kirchenordnung erneuern und wurde zur treibenden Kraft der Reformation. Die alte Kirche schien am Ende ihres Daseins.

Eine Geschichte über die Verrückten zu schreiben, misslingt am Versuch, sie in exakte historische Zeitepochen zu zerlegen, die sich in Beginn und Ende durch einen deutlichen und einschneidenden Wandel kennzeichnen und diese unter ihren jeweiligen geschichtlichen Aspekten oder Hauptmerkmalen darstellen zu wollen. Denn die Zeit fliesst bekanntlich und befindet sich in einem Kontinuum und konstanten Wandel. Trotzdem gibt man einem Geschichtswerk gerne zeitliche Markierungen, wie dies mit den Titeln der Abschnitte versucht wird.

Es bleibt also ein unbefriedigender Versuch das 15./16. bis 17. Jahrhundert in eine epochale Psychiatriegeschichte zu zerlegen. Die Psychiatrie im heutigen Sinne gab es damals überhaupt nicht, sie entwickelte sich erst später teils auch aus diesen Jahrhunderten heraus. Immerhin handelt es sich um beinahe 300 Jahre, die mit der Zeit der Renaissance, resp. des Humanismus begann (15./16. JH.).

Die Renaissance zeichnete sich aus durch mehrere Fakten. Die Menschen begannen mit dem Fernhandel, der sie in weit entfernte Länder führte, in den Orient, aber auch nach Indien und China. Der Handel mit Stoffen wie Salz, Zucker, Gewürzen, Tee, Getreide, Wein, Baumwolle, Seide, Pelze, Lederwaren, Früchte, Glas, Holz, Bernstein, Kupfer, Silber, Gold, Edelsteine etc. förderte den Reichtum einzelner Geschlechter und vieler Städte. Beispiel: Neapel, Florenz, Mailand, Rom, Venedig.

Das Erstarken der Städte und der Reichtum von Handelsleuten hatten Folgen für die Gesellschaft und auch für die Religion. Die Welt erfuhr in dieser Zeit im Grunde genommen ihre erste Globalisierung. Kulturen rückten näher und tauschten sich aus. Religionen rieben sich an ihren Grenzen. Die Menschheit erweiterte ihren geistigen Horizont.

Die Menschen der Renaissance schritten in eiligem Tempo dem Humanismus entgegen, ausgedrückt in einem starken (retrogewandten) Hunger nach antikem, philosophischen Wissen (Aristoteles, Platon, Sokrates, Epikur, Cicero), der im Grunde genommen sich aus den Fängen einer restriktiven papst- und kirchenorientierten Religion zu befreien suchte. Es fand eine Wiederbelebung der Antike statt, was die herrschende gottgegebene und vor allem kirchliche Ordnung in Frage stellte. Wo bislang die Kirche die Macht innehatte, alle Dinge mit der Bibel und mit dem kirchenhörigen, christlichen Glauben zu erklären, drängte sich nun frech und unbekümmert die Kunst, die Philosophie und die Politik hinein.

Leonardo da Vinci kann man als Prototyp des Künstlers und Gelehrten der Renaissance bezeichnen, daher wird von ihm zu berichten sein.

Der Verstand wurde wichtiger als die Religion, obschon die Kirche ihre Macht nicht zugleich räumte, sondern weiterhin einflussreich blieb. Die religiöse Doktrin wurde abgelöst durch die Doktrin des Verstandes. Mit Folgen für den Menschen und mit besonderen Folgen für den verrückten und irrsinnigen Menschen, der diesen Verstand (wie die Vernunft) verloren hatte! Mit aller Macht bäumte sich die Kirche dagegen auf und griff zurück auf die Hexenverbrennungen, auf das Wirken des Teufels und auf Dämonen.

Auch in der Kunst zeigte sich ein neues Menschenbild. Die Nacktheit eroberte die Bilder und Skulpturen. Anatomen begannen akribisch tote Menschen zu sezieren, weil sie endlich wissen wollten, wie der Mensch beschaffen war und wie er funktionierte. Der Mensch stand im Mittelpunkt des Interesses.

Sektionen und anatomische Forschung

Zwar wurden Sektionen kirchlich nicht allgemein verboten, waren aber zu gewissen Zeiten häufiger. Die Kirche lehnte Sektionen an menschlichen Leichen durch eigene Priester (!) ab, denn sie glaubte an die Auferstehung des Fleisches, die demzufolge eine Zerstückelung einer (ehrbaren!) Leiche verbot.

Das galt nur bezogen auf ehrbare Menschen, resp. für Menschen mit einer zu Lebzeiten ehrenvollen Lebensführung. Die Sektionen waren über längere Zeit mit einem Kirchenbann belegt und es war für die sezierenden Ärzte nicht ungefährlich, Leichen in aller Öffentlichkeit zu sezieren. Zu einem späteren Zeitpunkt änderte sich diese Praxis und die Kirche ‚schützte‘ anatomische Versuche. Es fanden sogar anatomische Lesungen innerhalb von zu einer Kirche gehörenden Gebäuden statt.

Zu gewissen Zeiten erlaubte die Kirche also die Leichenöffnung von Verbrechern, verurteilten und hingerichteten Mördern, Selbstmördern, Huren, Ketzern oder gesellschaftlich Randständigen (sprich ‚Irren‘) wieder. Diese Menschen standen ausserhalb jeder Kirchengemeinschaft. Sie alle wurden auch ausserhalb der Friedhöfe beigesetzt, waren unehrbar, was bei ihnen eine Sektion ermöglichte.

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Im 16. Jahrhundert war Andreas Vesalius (1514 – 1564) ein bekannter Anatom, der viele Sektionen durchführte. Er umgab sich mit sezierenden Schülern, die dadurch die menschliche Anatomie kennenlernen konnten. Die bis zu diesem Zeitpunkt vorgenommenen Sektionen hatten sich noch der damals allgemein anerkannten Humoralpathologie zu unterordnen resp. sich ihrer Lehrmeinung anzupassen.

Eine Kritik dieser jahrhundertealten Galenus-Tradition war bisher weder angebracht, noch toleriert, noch erwünscht. Es brauchte Mut, sich gegen die Doktrin Galens zu stellen. Die Lehren des Galen waren sakrosankt und wurden von der Kirche geschützt. Das erklärt, warum sich der Einfluss Galens auf die Medizingeschichte über 1500 Jahre lang hielt! So blieben neue Erkenntnisse und Entdeckungen bislang für lange Zeit aus oder wurden unterdrückt, weil der Glaube an die Galensche Humoralpathologie während der Sektionen nach Bestätigung und nicht nach Opposition verlangte.

Die galenische Humoralpathologie war längst zu einem Dogma geworden und beinhaltete auch ein (festgefahrenes) Erklärungs- und Handlungskonzept zur menschlichen Anatomie und Physiologie ohne Widerspruch. Eine Leichensektion war in dem Sinne also keine ‚Autopsie‘ im heutigen Verständnis, sondern diente bislang einzig der Festigung des Dogmas der Humoralpathologie. Lange Zeit dachte man wenig über die tatsächlichen anatomischen und physiologischen Befunde nach, die sich beim Sezieren der Toten sicht- und auch beweisbar ergaben. Eine neue Erkenntnis wurde nicht gezogen, obschon laufend neue anatomische Entdeckungen gemacht wurden.

In dieser Zeit wurde bei den Sektionen etwas Neues eingeführt. Man bezeichnete dies als ‚anatomisches Theater‘. Gemeint war eine Vorführungspraxis im Sinne eines (öffentlich zugänglichen) antiken Amphitheaters. Analog baute man um die zu sezierende Leiche herum eine halbrunde oder runde Zuschauertribüne, wo alle Anwesenden eine gute Einsicht auf die Leiche und den ausführenden Sezierer hatten. Ein solches anatomisches Theater erbaute der Basler Arzt Felix Platter um 1588. Das Seziertheater diente der studentischen Ausbildung im Fach Anatomie und beherbergte bereits auch erste Exponate und Präparate wie Gehirne, Herzen, Leber und Nieren, Skelette und Skelettteile und dergleichen für den medizinischen Unterricht.

Man muss sich diese Sektionen nicht nur als wissenschaftsorientierte Vorführungen vorstellen, sondern auch als öffentliche Schauen, die durchaus auch der Befriedigung Neugieriger dienten oder als Mahnschauen, weil es durchwegs Leichen von verurteilten Verbrechern und Unehrbaren waren, die hier seziert, d. h. in ihre Einzelteile zerlegt wurden. So wurde die ‚Hinrichtung‘ eines Schwerverbrechers oder auch eines ‚verbrecherischen Verrückten‘, der sich wegen seiner Unvernunft einer schweren Straftat schuldig gemacht hatte, ein weiteres Mal vollzogen und in der Öffentlichkeit jedem Interessierten dargeboten, damit man Zeuge wurde, wie es solchen Mördern, Huren. ‚Verrückten‘ und auch Suizidanten erging, die sich vor Gott und der Kirche versündigt hatten.

Es ist dokumentiert, dass Vesalius im Jahre 1540 in der Universität von Bologna öffentlich sezierte. Dabei hielt er seine erste Vorlesung dank guten Beziehungen zur Obrigkeit ausgerechnet in einem Gotteshaus, nämlich unter dem sakralen Schutz der Kirche San Francesco. Die anatomischen Demonstrationen fanden ausserhalb sakraler Räume statt, in einem solchen anatomischen Theater, welches man extra dafür errichtet hatte. Dabei hatte er rund 200 Zuschauer für die Sektion in Neugier versetzt, davon rund 150 Medizinstudenten.

Vesalius interessierte sich für die Myologie (Muskelkunde) und auch die Osteologie (Skelettkunde, Knochenlehre), die bis zur Lebenszeit eines Leonardos da Vinci vernachlässigt worden waren. Daneben war er bereits ein Spezialist für die Lunge (auch Pleura).

Er wurde in Padua und später auch in Venedig zum Professor der Chirurgie und Anatomie ernannt. Auch in Venedig sezierte er, beschaffte sich Leichen von verurteilten und hingerichteten Schwerverbrechern oder Selbstmördern und forschte weiter. Die Rahmenbedingungen im Stadtspital in Venedig waren für seine Forschungserfolge ideal, auch was die Kunst der anatomischen Zeichnungen anbelangte. Er lernte nämlich in Venedig Maler und Holzschneider kennen, die ihm bei seinem Anatomiewerk künstlerische Unterstützung boten.

Im Laufe seiner Arbeit stellte er, der ein genauer Beobachter war, immer wieder Unterschiede und Abweichungen zu den anatomischen Angaben von Galen fest, die vermutlich durch die Abneigung der arabischen Übersetzer gegenüber der Anatomie entstanden waren. Er bemerkte, dass Galen, der nie Menschen seziert hatte, sondern zeitlebens nur Tierkadaver aufschnitt, in einigen Vorstellungen von seinen eigenen Beobachtungen stark abwich, was er öffentlich monierte. Zudem wurden die durch die Araber übersetzten Werke des Galen zur Zeit der Renaissance via direkter griechischer Quellen neu und zensurfreier gelesen und korrigiert.

Somit änderte sich einiges unter Andreas Vesalius. Er war einer der ersten, wenn nicht der erste Anatom, der die dogmatische Anatomielehre des Galen mutig in Frage stellte und neue Kenntnisse aus seiner Seziertätigkeit zuliess. Er bemerkte nämlich, dass seine eigenen Befunde nicht mit denen der doktrinären, galenschen Humoralpathologie übereinstimmten. Er förderte während seiner akribischen Arbeit nicht dasjenige zutage, welches hätte erwartet und zutage gefördert werden müssen. Seine Anatomieergebnisse waren nicht kongruent mit der galenschen Humoralanatomie.

Bild aus: Andreas Vesalius, humani fabrica Liber l, Seite 123 (Knochenbau), um 1540.

Darauf hin brachte er bald sein grösstes Werk heraus, die ‚sieben Bücher über den Aufbau des menschlichen Körpers‘ (lat. de Humani corporis fabrica libri septem), erschienen erstmals im Jahre 1543 und begründete mit seinem bahnbrechenden Werk die neuzeitliche Anatomie.

Das Buch hatte bei den Medizinern seiner Zeit grossen Erfolg und es erschienen bald mehrere gekürzte Nachdrucke (Epitome), die eine weite Verbreitung fanden.

Andreas Vesalius, auch Vesal genannt, profitierte auch von Leonardo da Vincis (1452 – 1519) exzellenten Zeichnungen. Ihm waren dessen anatomischen Darstellungen bekannt. Daher ist an dieser Stelle auch Leonardo da Vinci zu erwähnen. Auch seine Anatomiebilder waren exakt dargestellt und von hohem künstlerischen Wert. Sie wurden mit Feder, Tinte und Rötel auf das Papier gebracht.

Er bildete das Knochengerüst, die Muskulatur, das Nervensystem und auch den Blutkreislauf in einer erstaunlichen Genauigkeit ab, die verblüfft. Die noch heute erhaltenen Bildwerke Leonardos stammen aus der Zeit um 1500, also noch vor jenen von Vesalius. Er musste sich die anatomischen Kenntnisse als Autodidakt selber beibringen, denn da Vinci war kein Arzt und angeblich weder der griechischen, noch der lateinischen Sprache mächtig.

Es fehlten ihm die Kenntnisse eines Galenus. Die Genauigkeit, die Leonardo an den Tag legte, zeigten ebenfalls Widersprüchlichkeiten zu Galens Lehrmeinung auf.

Leonardo sezierte nicht nur männliche, sondern auch weibliche Körper, genau so wie es auch Vaselius tat. Leonardo musste oft nachts und möglichst im Geheimen sezieren, abgesondert vom Zugang unerwünschter Öffentlichkeit. In seinem Sektionskämmerchen mochte eine unheimliche Atmosphäre geherrscht haben, welche von düsterem Kerzenschein in ihrer Wirkung und ihrem Ausdruck noch zusätzlich angeregt wurde.

Das Ganze hatte etwas Gespenstisches an sich, als er an diesen Leichen herum schnitt, die er teilweise heimlich ausgraben liess. In Frage kamen nur verstorbene alte Menschen, Huren, Selbstmörder, Mörder, die vom Kirchenrecht ausserhalb von Friedhofsmauern beigesetzt wurden. So schrieb Leonardo da Vinci in seinem Vorwort zur seinem Anatomietraktat im Jahre 1509:

‚…und wenn du auch die nötige Liebe für diese Sache hättest, so wirst du vielleicht durch deinen Magen daran gehindert werden, und wenn dich dieser nicht davon abhält, dann wird die Furcht, zur Nachtzeit in der Gesellschaft solcher gevierteilter und enthäuteter und schrecklich aussehender Leichen zu verbringen, dich vielleicht sehr erschrecken.‘

Und schreckt dich dies nicht ab, so fehlt dir vielleicht die Zeichenkunst, die zu einer solchen Darstellung gehört, und solltest du solche Zeichenkunst besitzen, dann ist sie vielleicht nicht mit der nötigen Perspektive verbunden. Und wenn sie damit verbunden wäre, dann werden dir vielleicht die Regeln für die geometrische Darstellung und die Gesetze zur Berechnung der Kräfte und Fähigkeiten der Muskeln fehlen. Oder es fehlt dir vielleicht an Geduld, sodass du nicht sorgfältig genug sein wirst.‘

Leonardo musste mehrere Leichen sezieren – man spricht von rund 30 - um zu seiner akribischen, anatomischen Gesamtschau zu gelangen. Seine zeichnerische Leistung bestand darin, dass er sozusagen mehrere ‚Ebenen‘ darstellte, die man beim Sezieren einzeln so nicht sehen konnte. Aber in der Gesamtanschauung passte dann alles miteinander zusammen und entsprach sich gegenseitig.

Während seines Lebens und vor allem bei seinen Anatomiestudien war Leonardo auch stets auf der Suche nach dem Sitz der Seele. Dies macht ihn auch für unsere Ausführungen interessant. Er suchte den Sitz der Seele, wie auch den Sitz des Intellekts, der Emotionen, der Vernunft und des Verstandes. In der Vorstellung der damaligen Zeit, schienen genau diese geistigen und psychischen Qualitäten den Verrückten zu fehlen.

Er suchte den Verbindungsort zwischen Körper und Geist, machte Studien zur Vernunft, rätselte über die menschlichen fünf Sinne nach. Er meinte voller Begeisterung, dass man mit Hilfe seiner präzisen Studien den genauen Sitz des ‚senso comune‘ (gesunder Menschenverstand) ermitteln und somit die Seele lokalisieren könne. Er verortete den Sitz der Seele schliesslich in den Gehirnventrikeln.

https://www.rct.uk/collection/themes/publications/leonardo-da-vinci-anatomist/recto-the-skull-sectioned-verso-the

Sowohl Vesalius wie auch Leonardo da Vinci hatten zeitlebens ihre Feinde, die ihr Werk als Ketzerarbeit betrachteten und sie gerne vor ein kirchliches Tribunal gezerrt hätten. Vesalius begab sich unter den Schutz von Königen (Kaiser Karl V.), wurde dessen Leibarzt. Gleiches tat auch Leonardo da Vinci in Frankreich.

Miguel Serveto bemerkte bei seinen anatomischen Untersuchungen, dass die Herzscheidewand (Septum) nicht porös, also durchlässig war, wie man damals dachte. Somit postulierte er erstmals den kleinen (Blut)Kreislauf, resp. die Vermischung/Anreicherung des Blutes in den Lungen. Nach ihm gab es also keine für das menschliche Auge unsichtbaren Poren in der Herzscheidewand, wo das Blut ausgetauscht und mit Sauerstoff angereichert werden sollte, wie es Vesal noch dachte.

Für die Zeit der Renaissance galt der Fortschritt der Chirurgie resp. der chirurgischen Behandlungsmethoden und auch der der Wundbehandlung. Ebenso machte man Fortschritte in der Blutstillung, etwa durch Schutz-, Druck- und Salbenverbände. Zudem setzte sich der häufig durchgeführte Verbandwechsel durch.

Die häufigsten Operationen ergaben sich wegen derzeitigen Verletzungen durch Hieb-, Stich- und Quetschwunden. Hieb- und Stichwunden wurden den Opfern beigefügt durch Messer, Lanzen, Schwerter, Dolche, Armbrust- und Bogenpfeile und Handkeulen und Piken (Hellebarden oder Stangenwaffen zum Stechen).

Der chirurgische Eingriff bestand aus Amputationen, Kauterisierung durch heisse Eisen, Feuer (Verbrennungen) und Zunahtungen.

Ab Beginn des 16. Jahrhundert (1500) kamen dann neu die Verletzungen durch Schusswaffen dazu. Hans von Gersdorff schrieb sein ,Feldtbuch der Wundartzney‘ im Jahre 1517.

Auszug aus dem Gersdorffer Feldtbuch (S. 178) http://www.archive.org./details/feldbuchderwundarzney

Alchemie, Iatromathematik, Iatroastrologie, Iatromedizin, Iatrochemie, Iatrophysik und Iatrotheologie

Wie weiter oben bereits kurz erwähnt, hatten beispielsweise der Aderlass sowohl andere ausleitende Verfahren astrologischen, astromathematischen und religiösen Konzepten zu folgen. Dies kam stark innerhalb der Iatroastrologie zum Ausdruck resp. zur Anwendung. Der Ausdruck ‚Iatro‘ wurde bereits umschrieben als Iatros (deutsch) bedeutet griechisch : Ιατρού und meinte ‚griechischer Arzt‘. Iatrogen meint, durch einen Arzt verursacht, von einem Arzt erzeugt.

Die Alchemie war eine für heutige Auffassungen etwas seltsame Mischung aus Magie und Wissenschaft. Der damaligen Wissenschaft oblag etwas Magisches und alles Magische hatte damals – wenn auch noch wenig - etwas Wissenschaftliches an sich. Vermutlich weil dieser „Wissenschaft“ immer etwas Magisches und Seltsames anhaftete, etwas Dunkles und Verstecktes, zog sie, nicht nur im Mittelalter, oft sog. falsche Alchemisten an, schamlose Scharlatane und Kauze, denen, obwohl meist nicht viel wissend, ab und zu aber ein chemischer Zufallsfund resp. eine heilende Medizin gelang.

Alchemiker, also alchemische Wissenschaftler und Magier versuchten beispielsweise einfache Metalle in wertvolles Gold oder Silber zu verwandeln. Das wäre äusserst lukrativ gewesen, wenn es denn praktiziert hätte werden können. Alchemie ist aber ebenso eng begrifflich verbandelt mit dem Versuch, alle möglichen damals bekannten Krankheiten zu heilen. Die Alchemie versuchte nämlich nicht weniger, als dasElixier des Lebens zu finden. Man suchte den Stein des Weisen, ein Material, welches jede beliebige Metall in Gold oder auch Silber verwandeln konnte und mit dem man auch noch das Elixier des Lebens, sprich das Ewige Leben, herzustellen vermochte.

In der Heilkunde war ein Elixier aber auch ein in Wein oder Alkohol gelöster Auszug aus Heilpflanzen mit verschiedenen Zusätzen, ein Heiltrank also, welcher den verschiedensten Heilzwecken dienlich war. Ein Allheilmittel, welches auch bei psychischen Nöten verabreicht wurde. Und dieses Elixier wäre, wenn man es denn gefunden hätte, nicht nur ein Allheilmittel für alle möglichen Krankheiten und Gebrechen gewesen, sondern zugleich auch ein Zaubermittel, dem man sowohl eine verjüngende, wie auch lebensverlängernde Wirkung zugeschrieben hätte. Aber so ein Lebenselixier blieb bis heue nicht gefunden und wird es auch weiterhin bleiben. Das einzig wahre Lebenselixier ist Wasser!

Aber immerhin gab es Elixiere mit zugestandenermassen kräftigen, wenn nicht heftigen Wirkungen. Sie enthielten beispielsweise Theriak, ein Antidot gegen tierische Gifte, welches Vipernfleisch enthielt, aber auch Opium. Theriak wurde beispielsweise bei Bissen giftiger Schlangen, aber auch bei Stichen von Skorpionen als Gegenmittel (Antidot) verabreicht. Es enthielt oft Honig oder war auf Honigbasis entwickelt (Latwerge, also eingedickter Honigsaft) und war meist auch opiumhaltig. Manche Antidote enthielten auch Rosensaft, Sandelholz, Knochenasche, Kampfer und Zucker. Andere Elixiere enthielten wiederum Schwefel, Öl, Blätter von Wacholder, Harze und Engelwurz, wobei beim Letzteren schon der Name auf einen heilenden Beistand hindeutete.

Opiumhaltige Allheilmittel kannte man bereits in der Antike, wie auch im Mittelalter. Und die hatten zweifelsfrei als Lebenselixier einen gewissen Erfolg, nämlich derart, wie Opiate wirken (Morphium gegen Schmerzen, Codein gegen Hustenreiz).

Mit Elixieren beschäftigten sich namhafte Persönlichkeiten, wie Paracelsus, von dem wir weiter unten noch hören werden. Zaubertränke und Elixiere spielen noch heute eine gewissen Rolle in Märchen und in der Fantasieliteratur, etwa bei Harry Potter. In diesen Romanen und Märchen wird der Zaubertrank oder das Elixier oft von magiekundigen Personen zubereitet und zu eigenen Zwecken eingesetzt, von Hexen, Magiern und Druiden. Diese magiekundigen Personen, manchmal guten, manchmal bösen Kräften zugetan, erhielten so oft starke Zauberkräfte, um sich selber Vorteile und den Gegnern Nachteile zu verschaffen.

Die Alchemie erlebte ihre Blütezeit ab dem 12. Jahrhundert und dauerte bis ins 18. Jahrhundert, was erstaunen mag. Vermutlich setzte die heutige Wissenschaft resp. das moderne Verständnis von Wissenschaft erst ab dieser Zeit ein. Ungefähr gleich lange geisterte noch immer die humoralpathologische Vier-Säfte-Lehre in der ärztlichen Wissenschaft herum.

Begonnen hatte die Alchemie weit früher: bereits das frühe Ägypten, Indien und China kannten darin eine Jahrtausend lange Tradition. Alchemie hatte immer einen Hang zur Esoterik, sowie zu Zauberei, Hexenwesen und Religion.

Man würde aber der ‚Disziplin‘ der Alchemie Unrecht tun, wenn man sie nur aus dieser Sicht sehen würde, immerhin trug sie auch zur Entwicklung neuer Verfahren und zu medizinischen Erkenntnissen bei. Sie war auch gewissermassen eine Vorstufe zur heutigen Chemie. So versuchte man, Stoffe aus Pflanzen zu extrahieren, um sie medizinisch und heilend zu verwenden oder man versuchte Stoffe abzukochen, zu kondensieren, zu mischen und zu reinigen, die dann zur Behandlung von Kranken herangezogen wurden.

Das Buch Geber

In den Jahren um 1144 (12. JH.) gelangte die (islamische!) Alchemie in den Westen. Ein gewisser Robert von Chester übersetzte nämlich im Jahre 1144 ‚Kitab al-Kimya‘ (Buch über die Natur der Alchemie) des Persischen Gelehrten Dschabir Ibn Hayyan. Damit machte er dieses Buch in Europa populär.

Das Buch trug den Namen „Geberi philosophi ac alchimistae, maximi de alchimia libri tres“ welches in die lateinische Sprache übersetzt (resp. in lateinischer Sprache verfasst) wurde. Man spricht heute vom Buch Geber. Manche behaupten, es handle sich nicht um eine Übersetzung aus einer arabischen Schrift und stamme auch nicht aus der Hand des Dschabir Ibn Hayyan, der um die Zeit des 9. JH. lebte. Sondern sind der Meinung, es könnten auch mehrere Latein schreibende Verfasser dahinter stehen. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass es um das 12./13. JH. in Süditalien oder auch in Spanien entstand.

Wie auch dieses Buch zeigt, waren die alchimistischen Lehren durchdacht und wurzeln in philosophischen Gedanken über die Materie. Metalle, so die Vorstellung, waren keine einheitlichen, sondern zusammengesetzte Körper und man stellte sich vor, dass diese verändert und umgewandelt werden könnten. Man war der Meinung, Materie könnte durch alchemistische Einflüsse in teurere Metalle umgewandelt, sprich veredelt werden.

Der Gedanke, aus Materie Gold oder Silber machen zu können, lag also auf der Hand. Aber dahinter steckte noch weit mehr: sie wurden auch getrieben vom Verlangen, den Geheimnissen der Natur und damit den letzten Ursachen hinter den Dingen, auf die Spur zu kommen.

Das Buch Geber vertritt das Schwefel-Quecksilber-Prinzip. Die Grundstoffe waren Schwefel, Quecksilber und Arsen. Die Sonne (SOL), so die astronomische Beziehung, versinnbildlichte das Gold. Der Mond (LUNA) das Silber. Saturn das Blei, Jupiter das Zinn, Venus war gleichbedeutend wie Kupfer und der Mars verkörperte das Eisen. In einem ersten Abschnitt dieses oben dargestellten Buches wird über die Lehre von der hohen Kunst der Metallveredlung berichtet. Ein weiteres Buch (Kapitel) berichtet über die Erforschung der Metallveredlung. Danach berichtet ein Buch über die Auffindung der Wahrheit oder der Veredlung und eines von den Öfen.

Es geht darin auch um Sublimation (Übergangs eines Stoffes vom festen in den gasförmigen Aggregatzustand, ohne sich vorher zu verflüssigen.), um Destillation (Reinigung und Trennung meist flüssiger Stoffe durch Verdampfung und anschliessende Wiederverflüssigung), um Deszension (nach unten sinken, abstammen, abfallen), um Lösen von Substanzen im Wasserbad, um Zirkulationsgefässe, um Fixierungsgefässe. (Film Avatar [Atavar]: das vom Ursprünglichen abstammende, atavistisch heisst ursprünglich, Deszension. A.d.A.)

‚Über das Quecksilber.

Das Quecksilber, auch Mercur genannt, ist nach Auffassung der Alten eine dicke Flüssigkeit, die im Innern der Erde aus einer ganz feinen weissen, erdigen Substanz und ganz reinem Wasser entstanden ist, indem diese durch die natürliche Wärme gekocht und ganz innig und fest miteinander vereinigt wurden, bis sich das Feuchte und das Trockene ausglichen. Es rollt leicht über eine ebene Fläche infolge seiner Feuchtigkeit und haftet trotz dieser Feuchtigkeit nicht an, infolge seiner Trockenheit, welche jene ausgleicht und ein Ankleben nicht zulässt. Es ist auch, nach Ansicht mancher Forscher, mit dem Schwefel zusammen die Materie der Metalle. Es vereinigt sich leicht mit drei Metallen, nämlich dem Blei, Zinn und Gold. Mit dem Silber etwas schwieriger, mit dem Kupfer noch schwieriger wie mit dem Silber. Mit dem Eisen vereinigt es sich nur, wenn man einen Kunstgriff anwendet. Daraus kann man ein Geheimnis erkennen: Es vereinigt sich gern mit den Metallen, die ähnlicher Natur sind wie es selbst, und es ist ein Mittel, um Tinkturen zusammenzusetzen. Es sinkt in ihm nichts unter, ausser dem Gold. Zinn, Blei und Kupfer werden von ihm aufgelöst und vermischen sich mit ihm. Ohne das Quecksilber kann man kein Metall vergolden. Man kann es auflösen und beständig machen, und es ist eine Tinktur für Gold von überreichlicher Kraft und hellem Glanz. Solange es in seiner eigentlichen Form in einer Mischung vorhanden ist, entweicht es nicht aus ihr. Es ist an und für sich noch nicht unsere Medizin, aber es kann bei ihrer Darstellung bisweilen mit Nutzen verwendet werden.‘

(aus: die Alchemie des Geber, übersetzt und erklärt von Dr. Ernst Darmstaedter, Verlag Julius Springer, Berlin, 1922)

Quecksilber bildete als äusserst giftiges Schwermetall ein wichtiges Element für die Experimente der Alchemisten, wie auch das Arsen. Das war nicht ungefährlich und mochte manche Menschen, auch manche Alchemisten körperlich geschädigt haben. Weiter heisst es im Buch:

‚Die Behandlung des Quecksilbers

Das Quecksilber verarbeitet man auf zwei verschiedene Arten. Nach der ersten Art amalgamiert man es nach unserer unten angegebenen Vorschrift. Nach der zweiten Art destilliert man es und stellt dann eine Aqua vitae her. Die erste Methode ist folgende: Man nimmt 48 Unzen Quecksilber, eine Unze Gold, eine Unze Silber, eine Unze Kupfer und eine Unze Blei. Schmilz diese Metalle und zwar zuerst das Kupfer und Silber, dann das Gold, zuletzt das Blei. Dann nimm die Metalle, die in einem grossen Tiegel sein sollen, vom Feuer weg. In einem anderen Tiegel hat man das Quecksilber gut erwärmt. Wenn nun das Metallgemisch anfängt zu erstarren, giesse das Quecksilber allmählich dazu und rühre mit einem Stab um, bringe (den Tiegel mit den Metallen) von neuem über das Feuer und rühre um, bis alles gut mit dem Quecksilber amalgamiert ist.

Bringe das Produkt während sieben Tagen zur Lösung und filtriere die Flüssigkeit durch ein Tuch. Den Rückstand mache durch Erhitzen flüchtig. Dieses Produkt behandle wieder mit seinem Wasser (das man vorher abfiltriert hatte) und lasse während vierzig Tagen eintrocknen. Man erhält so den Stein, den man fixiert und der dann bis ins Unendliche vermehrbar ist.‘

Mit dem Aqua vitae meinte man ansonsten die Herstellung eines Wasser des Lebens (Lebenswasser), welches im Mittelalter ein alkoholischer, destillierter Auszug war, resp. eine Bezeichnung für Branntwein oder Weingeist.

Man könnte Alchemie auch als die angewandte und weitergeführte Aristotelische Philosophie ansehen. In die Alchemie mischen sich aber auch mystische und theosophische Gedanken ein. In späteren Jahren kam es dazu, dass die Aristotelische Auffassung der ‚Elemente‘ und die alchemistische Lehre von den Grundstoffen (Quecksilber, Schwefel, Arsen und später auch Salz) immer mehr bekämpft wurde, insbesondere, da die Alchemie sich des Unfuges und des Betruges sich immer häufiger schuldig machte und es immer zu stärkeren Exzessen, sprich Fehlbehandlungen und erfolglosen Experimenten kam.

Aber im 18./19. Jahrhundert wurde der alte Gedanke, dass es einen Urstoff (Grundstoffe) geben musste, wieder aufgenommen. Immerhin nahm man an, dass man den Wasserstoff als die Urmaterie aller Elemente ansah (Wasser). Das periodische System wurde aufgestellt und man sah sich erneut veranlasst, über die Beziehungen der Elemente zu einander nachzudenken. Und Forschungen zur Radioaktivität machen resp. machten es nötig, den Begriff des chemischen Elementes wieder zu überprüfen.

Die Alchemie hatte also auch zum Ziel, die Panazee, ein mystisch-geheimnissvolles, wichtiges und vor allem wirkungsvolles Allheilmittel herzustellen, was nie gelang. Es gab und gibt keine Allheilmittel.

Panazee: griechisch Panakaia,, Allheilmittel Ein mythisches Universalheilmittel, Arznei, Medikament zur Behandlung aller möglichen Krankheiten. Die Suche nach einem solchen Medikament (Stein des Weisen) galt in der Alchemie als Hauptaufgabe, neben der Veredelung von billigen Metallen zu Silber und Gold.

Neben der Allchemie waren schnell auch andere Begriffe und ‚Medizin- und Heilungssparten‘ geboren. Neben der Iatromathematik blühten die Iatrochemie, die Iatrophysik, die Iatroastrologie und auch die Iatromedizin auf. Sie differenzierten sich in ihre Disziplinen.

Eine geschichtlich frühe Panazee ist von Galenos überliefert. Ihm zufolge half der Theriak (Allheilmittel) bei:

KopfschmerzenSkotomen (Gesichtsfelddefekte)SchwerhörigkeitSehschwächeSchwäche des ErkenntnisorgansEpilepsieDyspnoeBlutauswurfAppetitlosigkeitFresssuchtDarmparasitenGelbsuchtNierensteinenDysurie (Harnbeschwerden)Dyspepsien (Verdauungsstörungen)BauchatonieDysenterie (Durchfall, Ruhr)Lienterie (Durchfall mit Abgang unverdauter Speisereste)HerzleidenAusbleibender MenstruationHämorrhoidenBlutungenAtonie der angeborenen KraftPodagra (Gicht der Füsse resp. Zehen)GelenkrheumatismusKachexie (Kräfteverfall, allg. Schwäche)Elephantitis, Elephantiasis (Fadenwürmer in Lymphgefässen, Lymphstau)Tetanie (Wundstarrkrampf mit oft tödl. Ausgang)Seelenpassionen (Gefühlsausdruck, erleiden, leidenschaftliche Hingabe)MelancholieTiergiftenQuartanfieber (Malaria, Wechselfieber)

Die in der Auflistung kursiv und fett gedruckten Diagnosen kann man in die Nähe seelischer, resp. psychischer Krankheitsbilder stellen.

Es war die Zeit der Renaissance angebrochen, also die Zeit zwischen dem Mittelalter und der frühen Neuzeit (1300 – 1600), wobei ihre Blütezeit um 1500 war. Um diese Blütezeit herum kam vieles in Bewegung. Ein gewisser Martin Luther verfasste seine berühmt/berüchtigten Thesen (z. B. gegen den kirchlichen Ablass) zusammen mit einem Zwingli. Sie revolutionierten die katholische Kirche, stellen so manches auf den Kopf. Die Epoche der wissenschaftlichen Revolution begann.

Diese Zeit beeinflusste die Medizin wie auch die Astronomie, die Physik, die Chemie und weitere Naturwissenschaften enorm. Den grössten Einfluss auf die Medizin erlangten die beiden Naturwissenschaften Chemie und Physik. Für die althergebrachten Weisheiten eines Hippokrates und Galen hatte man wenig übrig und betrachtete diese für die Wissenschaft als hinderlich. Von Galen (Galenos) wandte man sich noch weit stärker ab als von Hippokrates. Es war die Zeit der Befreiung von der Autorität dieser antiken Autoren. Man wandte sich auch ab vom reinen Bücher- und Gelehrtenwissen des Medikus resp. des Universitätsgelehrten, das sich auf die verkrustete 4-Säftelehre eines Galenos (Humoralpathologie: Blut, Schleim, schwarze Galle und gelbe Galle) und auf die einfache Temperamentlehre eines Hippokrates bezog (Persönlichkeitstypologie: Sanguiniker, Phlegmatiker, Melancholiker und Choleriker).

Es brach die Zeit an, während der man sich eher beobachtbaren Naturwissenschaften zuordnete. Die beobachtbare Natur wurde zum Vorbild.

Es gäbe viele berühmte Alchemisten zu erwähnen, kaum einer nahm sich leider besonders der Psychischkranken oder speziell den seelischen Krankheiten an. In einem gewissen Sinne tat dies Hippokrates mit seiner Persönlichkeits-Typologie.

Zwei berühmte Alchemisten möchte ich hier besonders erwähnen.

Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486-1535)

Paracelsus (1493–1541)

Agrippa von Nettesheim, Deutscher Universalgelehrter meinte im Jahre 1530: „Ein Alchemist ist entweder ein Arzt oder ein Seifensieder.“ Agrippa war ein wichtiger Vertreter iatromathematischer bzw. astromedizinischer Lehren.

Paracelsus wiederum war ein wichtiger Vertreter des Iatromediziners, resp. Iatrochemiker. Er war Arzt und Alchemist. Von ihm wird weiter unten noch näher berichtet.

Zu den einzelnen Iatros:

1.) Die Iatromathematik und Iatroastrologie

Es wurden beispielsweise aus den Zahlenwerten des Namens (manche nehmen auch den Geburtstag als Zahlenwert dazu) eines Menschen resp. Patienten dessen Überlebenschance errechnet. Was manchen als Unsinn erscheinen mag, ist für andere, die sich noch heute astrologisch beraten lassen, blutiger Ernst. Es geht auch hier wiederum mehr darum, woran und was man glaubt, als darum, was man wirklich weiss. (Wer nichts weiss, muss alles glauben!)

Das Sammelwerk ‚Secretum Secretorum‘ (das Geheimnis der Geheimnisse) geht vermutlich auf Aristoteles zurück. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um eine enzyklopädische Geheimlehre handelt. Ein Werk, welches wie viele andere, aus verschiedenen anderen Werken kompiliert (zusammengetragen) wurde. Die Kompilation stammt aus dem 10. Jahrhundert aus syrisch-persischen Kreisen und wurde um das Jahr 1234 ins Lateinische übersetzt. Das Sammelwerk hatte einen starken Einfluss auf das lateinische Abendland. Es enthält auch Ausführungen zur Diätetik, die Zwölfmonatsregeln sowie die Vier-Jahres-Regeln (Jahreszeiten-lehren).

Die Iatromathematik im Einklang mit der Iatroastrologie ging damit von einem (äusseren) Einfluss der Gestirne (Mond, Jupiter, Mars etc.) auf das Schicksal und den Charakter eines Menschen, sowie insbesondere auf den menschlichen Körper, sowie inkludierend auch auf die menschliche Seele resp. Psyche ein, somit also auf dessen Gesundheitszustand als Gesamtes. Die jeweilige astrologische Konstellation wurde als wesentlich für die Entstehung von Krankheiten angesehen. Insbesondere hatte sie direkten Einfluss auch auf die entsprechende Therapie, beispielsweise auf den Aderlass, der nicht zu jeder Zeit durchgeführt werden durfte.