Die Verrückten Band 9 - Jakob Landolt - E-Book

Die Verrückten Band 9 E-Book

Jakob Landolt

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Beschreibung

Irrsinn in der Geschichte Diese mehrbändige Buchreihe hat den menschlichen Irrsinn zum Thema und versteht sich als Beitrag zur Geschichte der Psychiatrie und Psychologie. Band 9: Degeneration, Eugenik, Euthanasie und Nationalsozialismus Dieser Band beinhaltet Ausführungen zur Geschichte der Degeneration, Eugenik, Euthanasie und zum Nationalsozialismus mit Fokus auf die Vernichtung von psychisch kranken und geistig behinderten Menschen. Sie wurden aus Irrenanstalten und Heimen via ärztlichen Meldebogen aus diesen Einrichtungen ausgesondert und in spezielle, für die Liquidierung eingerichtete Verbrennungsanstalten deportiert. Zur Volksbelastung erklärt, wurden sie dort mittels Giftinjektionen oder Gaskammern in Verbrennungsöfen als sog. lebensunwerte Menschen brutal getötet und kremiert. Stichworte: Aktion T4, Kindereuthanasie, Zwangssterilisation, Zwangsabtreibungen, Medizinversuche. Während der Nazi-Zeit wurden ungefähr 150000 lebensunwerte Menschen, oft psychisch Kranke und geistig Behinderte brutal und herzlos ermordet. Zwischen 300000 und 400000 Menschen wurden bis zum Kriegsende 1945 zwangsweise sterilisiert.

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Seitenzahl: 252

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis:

Band 9 : Degeneration, Eugenik, Euthanasie und Nationalsozialismus

Von den Darwinisten über die Degenerationisten zu den Vordenkern der Eugenik

Charles Darwin (1809-1882)

Francis Galton (1822-1911)

Benedict-Augustine Morel (1809-1873)

Valentin Magnan (1835-1816)

Max Nordau (1849-1923)

Cesare Lombroso (1835-1909)

Henry Maudsley (1835-1918)

Richard von Krafft-Ebing (1840-1902)

Auguste Forel (1848-1931)

Alfred Ploetz (1860-1940)

Eugen

und

Manfred Bleuler (1857-1939, 1903-1994)

Emil Kraepelin (1856-1926)

Karl Binding und Alfred Hoche (1841-1920, 1865-1943)

Ernst Rüdin (1874-1952)

Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses

Der Nationalsozialismus

Kindereuthanasie

Aktion T4

Tagesablauf in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein

Ausblick auf Band 10

Literatur und Quellen

Irrsinn in der Geschichte

Einführung Band 9:

Dieser Band beinhaltet Ausführungen zur Geschichte der Degeneration, Eugenik, Euthanasie und zum Nationalsozialismus mit Fokus auf die Vernichtung von psychisch kranken und geistig behinderten Menschen. Sie wurden aus Irrenanstalten und Heimen via ärztlichen „Meldebogen“ aus diesen Einrichtungen ausgesondert und in spezielle, für die Liquidierung eingerichtete Verbrennungsanstalten deportiert. Zur Volksbelastung erklärt wurden sie dort mittels Giftinjektionen oder Gaskammern in Verbrennungsöfen als sog. ,lebensunwerte' Menschen brutal getötet und kremiert.

Stichworte: Aktion T4, Kindereuthanasie, Zwangssterilisation, Zwangsabtreibungen, Medizinversuche.

In diesem Band wird aufgezeigt, dass die „Vernichtung unwerten Lebens“ keine reine Erfindung der Nazizeit war, sondern dass diese bereits lange davor Thema verschiedener einflussreicher Psychiater, Naturwissenschaftler, Juristen, Politiker und Ärzte war.

Völker stritten sich bereits seit Jahrtausenden aus Gründen der Rasse, Ethnie oder Religion. Das Thema ist keineswegs neu. Neu ist auch nicht, dass Kulturen „veralten“ und „untergehen“, denn schon die Griechen und die Römer sprachen von der Degeneration ihrer Kulturen.

Der Begriff „Degeneration“ wird erläutert und als Grundlage des menschlichen und psychiatrischen Denkens entlarvt, der via Darwins Evolutionstheorie und der Entartungstheorie des 18. Und 19. Jahrhunderts zur Eugenik, Euthanasie und zur Rassenlehre der Nazis bis hin zur brutalen Ermordung von Hunderttausenden von Opfern geführt hat.

Während der Nazi-Zeit wurden ungefähr 150'000 ,lebensunwerte' Menschen, oft psychisch Kranke und geistig Behinderte brutal und herzlos ermordet. Zwischen 300'000 und 400'000 Menschen wurden bis zum Kriegsende 1945 zwangsweise sterilisiert.

Degeneration, Eugenik und Euthanasie

Über Entartung (Degeneration) und Euthanasie (=schöner Tod)

Um den Irrsinn zu verstehen, der im Nationalsozialismus dem Holocaust, also der Ermordung, der Vergasung und Aushungerung von 6 Millionen Juden und Dissidenten vorausging und auch um die Liquidierung von vermutlich um 350'000 bis 400'000 psychisch kranken Schizophrenen, Depressiven, Alkoholikern etc., den debilen, imbezilen und idiotischen Behinderten und körperlich, geistig verkrüppelten Kindern deutscher Herkunft in der Nazizeit zu begreifen, muss man sich zuerst Gedanken machen um Begriffe wie Entartung, Eugenik und Euthanasie. Nur so kann man verstehen, wie alles dazu kam.

Es gab immer Wissenschaftler, Naturforscher, Psychiater, Ärzte, Politiker und Juristen, die, Kinder ihrer gesellschaftlichen und sozialpolitischen Zeit, sich Gedanken machten über die Entwicklung von Gesellschaft und Menschheit schlechthin. Zu solchen Wissenschaftlern gehörten beispielsweise schon Philosophen wie ein Aristoteles.

Bei Aristoteles heisst es um Ausführungen zur tierischen Rohheit des Menschen: „Am häufigsten kommt sie (die tierische Rohheit beim Menschen) noch bei auswärtigen, nichthellenischen Völkern vor; doch nehmen die Menschen zuweilen auch infolge von Krankheiten und von Entartung solche Eigenschaften an.“(Aristoteles: Nikomachische Ethik, S. 283. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie, S. 4977 (vgl. Arist.-Nikom., S. 140)

Oder um Ausführungen zum Staate: „Die Tyrannis ist eine Entartung der Alleinherrschaft, und ein nichtswürdiger König wird zum Tyrannen. “(Aristoteles: Nikomachische Ethik, S. 374. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie, S. 5068 (vgl. Arist.-Nikom., S. 183)

Auch Jean-Jacques Rousseau schrieb in seinem berühmten Buch „Emile oder über die Erziehung" im 1. Buch; „Alles ist gut, wenn es aus den Händen des Schöpfers hervorgeht; alles entartet unter den Händen des Menschen."(Rousseau: Emil oder Ueber die Erziehung, S. 9. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie, S. 21390 (vgl. Rousseau-Emil Bd. 1, S. 13)

Man sah die Natur, so wie sie aufgebaut war, als perfekt an und betrachtete alles Göttliche oder von Gott kommende als Ursprung, als unfehlbar, absolut und vollkommen. Durch menschlichen Einfluss, durch Erziehung etc. jedoch würde dieses Absolute und Makellose immer mehr entarten, zunichte gehen, von der unfehlbaren Ursprünglichkeit abweichen, nicht im Sinne einer Verbesserung oder Weiterentwicklung, sondern als Verschlechterung und Rückbildung. Ganz im Sinne der Entartung.

Entartung (Degeneration, lateinisch de- „ent“ und genus „Art, Geschlecht) als salonfähiger Begriff setzte sich ab ca. 1850 in die Köpfe vieler Wissenschaftler, Politiker und Psychiater der damaligen Kultur und Zivilisation und faszinierte wohl über hundert Jahre lang, ja bis heute weite Teile der Gesellschaft.

Der Degenerationsgedanke, bereits bei den Griechen als Idee aufgetaucht, ist im Grunde genommen ein Ausdruck der Angst vor dem Verfall und des Niedergangs einer Kultur, ja der ganzen Menschheit und nährt sich aus dem Schlunde einer sehr pessimistischen Weltanschauung und Zukunft. Er ist als Schwamm vollgesogen mit rassistischem, religiösem, kulturkonkurrenzierendem Gedankengut.

Eng verbunden mit dem Gedanken des Verfalls und des Rückschritts der Menschheit zu seinen Anfängen, bringen sich um die Jahrhundertwende des 19. Jahrhunderts sowohl Vererbungslehre, Eugenik und verschiedene Rassentheorien ins Spiel. Dies geschah also bereits vor der Nazizeit!

Die Jahrzehnte vor der Jahrhundertwende (1900) waren gekennzeichnet durch einen heftigen Schub an wissenschaftlichem und technischem Fortschritt. Es vollzog sich ein abrupter sozialer und ökonomischer Wandel, eine eigentliche industrielle Revolution, erlebt als gewaltiger Sprung vor allem in der Technisierung, Automatisierung, Industrialisierung, Elektrifizierung und Erneuerung des Arbeitsalltages. Dies führte zu spürbaren sozialen und kulturellen Umwälzungen. Manche Menschen erlebten diese Zeit als regelrechten Kulturschock.

Die industrialisierte Arbeitswelt gestaltete die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse radikal um, beginnend in England, übergreifend nach ganz Westeuropa und Amerika. Es war der Übergang von der Agrarwirtschaft zur Industriegesellschaft. Plötzlich gab es kapitalistische Unternehmer und ihnen zudienende, meist rechtlose lohnabhängige Proletarier (Leibeigene).

Die Bevölkerung nahm gleichzeitig rapide zu, das führte zu heftigen sozialen Missständen. Es gab eine starke Bewegung weg vom Lande in die Städte. Dort fehlte es an genügend Wohnraum. Nahrungsmittel, vor allem für das Proletariat, waren knapp. Es gab Unruhe in der Arbeiterschaft, man forderte soziale Reformen.

Karl Marx veröffentlichte im Jahre 1867 sein Hauptwerk (das Kapital), eine Kritik der politischen Ökonomie und zugleich scharfe Analyse dieser neu entstandenen, damaligen, kapitalistisch orientierten Gesellschaft, welches eine heftige Auswirkung auf die Arbeiterbewegung zeigte.

Neben der Not an Wohnraum und Mangelernährung (auch wegen Missernten) der proletarischen, an Kindern stark zunehmenden Bevölkerung, wegen mangelnder Gesundheit (Kälte, schlechte Luft, unsauberes Wasser, mangelhafte Hygiene), wegen fehlender medizinischer Versorgung (fehlender Krankheitsschutz), miserablen Arbeitsbedingungen (Licht, Luft, Lärm, Hitze, Einsturzgefahr in Bergwerken etc.), fehlendem Arbeitsschutz, Anstieg der Arbeitslosenzahlen, Verslumung der Großstädte, ja einfach wegen der damals herrschenden Massenarmut (Pauperismus), um nur einige Faktoren zu nennen, malträtierten weitere gesundheitsrelevante Geisseln vor allem, aber nicht nur die proletarische Bevölkerung:

Eine Zunahme der Syphilisfälle (Hirnerweichung, Progressive Paralyse, Demenz) und des Alkoholismus (Hirnschäden, alkoholische Verblödung, Geburtsschäden), Mangelernährung (Rachitis etc.), Tuberkulose, Missgeburten durch Jodmangel (Kretins, Kropfbildung, körperliche Missbildungen etc.). Aber auch die Zunahme von Verbrechen, Suiziden, Homosexualität verband man nun mit eugenischem und rassistischem Gedankengut. Im psychiatrisch-medizinischen Bereich zog man gedankliche Verbindungen zum Aufkommen von Geisteskrankheiten, weil sich die Irrenanstalten in dieser Zeit rasant füllten. Die Idee der Degenerationslehre wurde wesentlich nicht durch deutsche psychiatrische Schulen, sondern durch französische geprägt. Zu erwähnen ist hier: Benedict Augustine Morel. Doch von ihm später.

Unter diesen damaligen gesellschaftlichen Bedingungen, wobei dazu auch das praktisch jedes Land betreffende Kriegsgeschehen gehörte, schienen die Menschen immer stärker zu entarten. Psychiatrische Kliniken waren an Hilfe suchenden Menschen übervoll und um dem riesigen Ansturm an kranken Menschen endlich Herr zu werden, mussten schnell neue geplant und gebaut werden.

Jetzt begann man sich in weiten Kreisen (beinahe epidemieartig) Gedanken zu machen, woher dieser starke Anstieg der Einlieferungen und Beherbergungen von Menschen mit psychischen, geistigen und körperlichen Behinderungen in diese „Siechenhäuser und Klappsmühlen“ kommen mochte. Schnell geisterte die Idee der Entartung resp. Degeneration von weiten Gesellschaftsteilen als Ursache durch die Köpfe der Gelehrten, Politiker, Naturwissenschaftlern, Geistlichen und auch Ärzten und Psychiatern.

Entartung, so meinten namhafte Persönlichkeiten, könne man an morphologischen Merkmalen, an sogenannten „Stigmata degenerationis“ erkennen. Diese körperlichen Stigmata sollen geistige Erkrankungen, die Neigung zu Neurosen sowie verbrecherische Veranlagungen sichtbar machen. Solche morphologisch sichtbaren Stigmata degenerationis zeigten sich als/durch/in:

Asymmetrien der Gesichtshälfte

Anomalien der Schädelform

Auffälligkeiten der Knochenformen (mangelndes Kinn)

Fehlbildungen wie Hasenscharte, Spina Bifida (offener Rücken)

Abstehende oder ungleiche Ohren

Angewachsene Ohrläppchen

Schielen (Strabismus)

Stottern

Missbildungen der Zähne (Zahnfehlbildungen)

Fehlende oder überzählige Glieder

Verkümmerung oder Missbildung der Geschlechtsorgane

Abweichende Körperproportionen (Verhältnisse Körper - Beine)

Tics

Schwerhörigkeit

Übermässige oder fehlende Körperbehaarung

Nasenformen (besonders bei Juden und Fahrenden)

Wie bereits erwähnt, waren es nicht die Nazis, die den Begriff der Degeneration als erste formulierten. Es gab andere „Väter“ der Entartungslehre, die nachfolgend vorgestellt werden.

Von den Darwinisten über die Degenerationisten zu den Vordenkern der Eugenik

Charles Darwin

Charles Darwin (1809-1882)

Bild: https://theunboundedspirit.com/charles-darwin-quotes/

Naturforscher

Charles Robert Darwin war ein britischer Naturforscher. Er gilt wegen seiner wesentlichen Beiträge zur Evolutionstheorie noch heute als einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler.

Geboren: 12. Februar 1809, The Mount, Shrewsbury, Vereinigtes Königreich

Gestorben: 19. April 1882, Down House, Downe, Vereinigtes Königreich

Aus: Wikipedia

Darwin war kein Psychiater, sondern ein genialer britischer Naturforscher. Seine Evolutionstheorie, deren eigentliche Begründer er war, legte den Grundstein für unser heutiges Wissen über die Entstehung der Tier- und Pflanzenarten. Er erklärte mehr dieEntstehung der Arten durch natürliche Zucht,als die „Entartung“. Seine Theorie gilt bis heute in der Naturwissenschaft als anerkannte, wissenschaftliche Erklärung für die Entstehung und Weiterentwicklung des Lebens.

Darwin, der zuerst wie sein Vater Arzt werden wollte, wechselte jedoch zum Theologie-Studium, vielleicht auch, weil seine Mutter der Religionsgemeinschaft der Unitarier angehörte.

Ende 1831 stach Darwin in See und umreiste die Welt. Während dieser Reise sammelte er zahlreiche Pflanzen, Tiere und Steine. Anhand von auf den Galapagosinseln gefangenen Vögeln erhielt er entscheidende Hinweise für sein berühmte Evolutionstheorie. Er bemerkte u.a. dass Finken im Laufe der Evolution verschiedene Schnäbelformen entwickelten, wobei er einige dieser Schnabelarten als geeignet ansah etwa zum Knacken von Nüssen, andere aber eher für das Fangen von Insekten.

Er bemerkte, dass das Nahrungsangebot auf diesen Inseln knapp war und folgerte daraus, dass ein heftiger Überlebenskampf hat herrschen müssen. An das bestehende Angebot an Nahrung mussten sich die Vögel (Finken) anpassen, sie mussten sich ihre eigenen Nahrungsnischen suchen. Es überlebten ihm gemäss nur jene Vogelarten, die sich am besten an ihre Umgebung angepasst hatten.

Dieses Prinzip nannte Darwin „natürliche Auslese“. Darwin erkannte sie als Evolutionsfaktor. Somit würden sich aufgrund von verschiedenen (Umwelt)-Einflüssen verschiedene Arten entwickeln und sich im Laufe der Zeit verändern. Die Evolutionstheorie war geboren. Die vielen Notizen und Überlegungen, die sich Darwin während dieser Weltreise machte, waren sozusagen die Geburtsstunde seiner Evolutionstheorie.

Später wandte Darwin seine Theorie auch auf Affen an. Mit der Behauptung, dass sowohl der Mensch wie der Affe dieselben Vorfahren haben mussten, löste er vor allem in kirchlichen Kreisen verständlicherweise heftige Empörung aus. Für die Gläubigen der Kirchen waren seine Ideen nicht anderes als Gotteslästerei. Jedoch - die Wissenschaft bestätigte seine Theorie.

Im Jahre 1859 veröffentlichte er dann sein berühmtes Werk „Die Entstehung der Arten“, ihm folgten noch mehrere bedeutende Folgewerke. Seine Theorien resp. Thesen war grundlegend für die Biologie und sorgen bis heute für äusserst lebhafte Diskussionen vorwiegend unter Theologen, Philosophen und Politikern.

Die Evolutionstheorie ist in der Naturwissenschaft ein Erklärungsmodell dafür, wie auf der Erde Leben entstand resp. sich auf ihr entwickelte. Dieses Konzept hat sich in den meisten westlichen Ländern gegen die religiöse Meinung, die Schöpfung sei durch Gott, resp. eine Gottheit gegeben, durchgesetzt. Die Begründung der Theorien der Evolution entnehmen wir heute etwa den Studien der Fossilien, jedoch auch aus Erkenntnissen der Genetik.

Lebewesen auf dieser Erde weisen viele auffällige Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten auf. So ist die Biologie, speziell der Aufbau und die Funktion der Organe menschlichen Lebens, ähnlich bis gleich zur tierischen Biologie. Durch Mutation von Genen verändern sich Lebewesen und sorgen ebenfalls für Entwicklung. Lebewesen haben sich Umweltveränderungen anzupassen, sonst droht ihr Aussterben resp. Ausrottung.

Durch die Einflussnahme der Menschheit auf die Natur verändern sich die Bedingungen für viele Lebensformen (im Tierreich) und führen bereits heute zu deren Aussterben. Die Menschheit ist unmittelbar mit der Evolutionstheorie Charles Darwins verbunden. Der Kampf ums Überleben jeder Spezies dieser Welt hat längst begonnen resp. ist schon längst im Gange.

Somit hat Charles Darwin wie kein anderer unser modernes Weltbild beeinflusst. Wie man sich denken kann, haben seine Ideen auch nicht Halt gemacht vor anderen Naturforschern, wie etwa auch vor Psychiatern. Aus seinem Fundus an Theorien und an Thesen lassen sich, je nach gesellschaftspolitischer Tendenz, schnell einmal Begriffe wie „Eugenik“ oder „Degeneration“ ableiten. So auch beim folgenden Naturforscher und Eugeniker.

https://www.planet-wissen.de/sendungen/sendung-evolution-100.html

Die Evolutionstheorie besagt, dass sich die Natur allmählich entwickelt hat und nicht auf einen Schlag von Gott geschaffen wurde.

Francis Galton

Sir Francis Galton (1822-1911)

National Portrait Gallery, St. Martin's Place, London

Englischer Naturforscher

Sir Francis Galton war ein britischer Naturforscher und Schriftsteller. Galton gilt als einer der Väter der Eugenik. Durch seine Vielseitigkeit machte er sich in verschiedenen Disziplinen einen Namen.

Geboren: 16. Februar 1822, Birmingham, Vereinigtes Königreich

Gestorben: 17. Januar 1911, Haslemere, Vereinigtes Königreich

Aus:Wikipedia

Der englische Naturforscher Francis Galton (1822-1911) prägte erstmals den Begriff „Eugenik“. Galton war Engländer. Beflügelt von den Lehren Charles Darwins verband er Vorstellungen vom Kampf des Daseins mit anderen Rassenlehren. Man ging damals allgemein auch von der Ungleichheit menschlicher Rassen aus. Dies zeigte sich besonders bei der Kolonialisierung des afrikanischen Kontinentes.

Der Engländer Galton studierte die Lehren von Charles Darwin. Darwin ersetzte die Idee der höheren „Göttlichen Ordnung“ durch eine natürliche, also der Natur entstammenden Kraft. Diese These setzte sich in weiten Bevölkerungskreisen durch. Darwin unterstützte sie mit Aussagen, dass aus dem Kampf mit der Natur, aus Hunger und Not, neue Lebewesen entstehen, die von Mal zu Mal komplexer würden. Die These Darwins hatte insofern grossen Einfluss auf das Denken vieler Menschen, als dass sie ein neues Verständnis des Menschen bezüglich seiner Herkunft (aus dieser Welt, nicht durch Gott) sowie seiner Stellung (Mensch als Primat) in der Natur erzeugte.

Eines der erklärten Ziele der Eugenik war die Verhinderung der „Degeneration“ eines Volkes, gleichzeitig mit der Idee, die Höherentwicklung der Menschheit, resp. eine gesunde „Rassenhygiene“ zu fördern. Damals breitete sich im Volk eine tief wirkende Angst aus, die Menschheit würde durch unerwünschte Bevölkerungsgruppen in ihrer evolutionären Entwicklung gehemmt oder sich zurück entwickeln. Daher schlug man vor, behindernde Elemente in der Bevölkerung auszumerzen, etwa dadurch, dass bei Neugeborenen eine Selektion und Sterilisation vorgenommen würde, die deren Lebens- und Fortpflanzungsrecht in Frage stellten (negative Eugenik).

Galton warb für die Zeugung vieler Kinder bei tüchtigen Menschen (positive Eugenik) und trat dann später ein für eine Form der negativen Eugenik, indem er für die Ausgrenzung von Minderwertigen von der Zeugung warb. Er verstieg sich in der Aussage, dass die damalige Armenfürsorge, Hygienemassnahmen sowie die Medizin die natürliche Auslese verhinderten, so dass dies zu einer Verschlechterung der „weissen Rasse“ (sic!) führen würde.

Im Gegenzug sollten erwünschte Bevölkerungsgruppen, also unbehinderte und gesunde Elemente in ihrer Entwicklung gefördert und unterstützt werden durch bevölkerungspolitische und sozialstaatliche Massnahmen (positive Eugenik).

Generell kann man sagen, dass die Eugenik als internationales Phänomen auftrat, sich also nicht auf einen einzelnen Staat (etwa Deutschland) bezog. Es ist daher auch ein Trugschluss anzunehmen, dass Eugenik sich auf die Zeit der Nationalsozialisten begrenzen würde. Die Eugenik als Fundament der Euthanasie der Nazi-Zeit wurde daher sozusagen als Idee der Rassenhygiene ins Land importiert, dort dann aber staatlich und ideologisch brutal in die Praxis umgesetzt.

Zur Eugenik, welche also ein internationales gesellschaftliches Phänomen war, gehörten Anhänger aus verschiedensten Kreisen: Konservative und radikal Rechte, genauso wie überzeugte Sozialdemokraten und radikale Vertreterinnen der damaligen Frauenbewegung.

Warnende Stimmen wurden bereits im 19. Jahrhundert laut, die monierten, dass sich „Minderwertige“, „Entartete“ und, in unserem Zusammenhang wichtig. Es ging auch die Angst um, dass sich „Irre“ immer mehr fortpflanzen würden und die gesunde Bevölkerung verdrängen könnten. Allgemein galt eine Behinderung oder auch nur schon eine Beeinträchtigung als vererbbarer Makel. Diese Behauptungen verbanden sich mit einer angeblichen moralischen Entartung bis hin zur Behauptung, dass es sich um die Folgen einer selbst verschuldeten Krankheit handle.

Während also Galton als englischer Vertreter der Theorie der Eugenik galt, war es wiederum für Frankreich ein glühender Vertreter mit dem Namen

Benedict-Augustine Morel

Benedict-Augustine Morel (1809-1873)

Fotoherkunft

Französicher Psychiater, Lehrer, Katholik

Begründer der Degenerationstheorie. Sie bezog auch Religion und Anthropologie mit ein. Armut, Alkoholismus, Kriminalität, Geisteskrankheit wurden als natürliche Gesetzesmässigkeit erklärt. Als solche legitimierte sie das Wegsperren der Betroffenen aus der ,gesunden' Gesellschaft.

Geboren: 22. November 1809, Wien, Österreich

Gestorben: 30. März 1873, Saint-Yon, Frankreich

Aus: Wikipedia

1839 beendete Morel sein Studium der Medizin und arbeitete später als Assistent im berühmten Pariser Hôpital de la Salpètrière. Dem im 19. Jahrhundert wohl berühmtesten Nervenkrankenhaus Frankreichs, welches bis zu 8000 Patienten (sic!) beherbergte.

Zusammen mit dem Hôtel des Invalides wurde das Salpètrière als Krankenhaus gebaut und erhielt seinen Namen von der früher auf diesem Gelände erbauten Fabrik, die Munitionspulver herstellte, welches als Bestandteil Salpeter enthielt. Die Salpètrière bildete das zentrale Gebäude des Hôpital général (einem Zusammenschluss staatlicher Hospitäler). Die Absicht war, alle Armen und Bettler, Siechen, Prostituierte, Geschlechtskranke, Epileptiker, Demente, gescheiterten Selbstmörder, Geisteskranke, chronisch Kranke und Alte aufzunehmen um sie auf diese Art und Weise von der Stadt und von der Gesellschaft fernzuhalten.

Bekannte Ärzte machten sich im Hôpital de la Salpètrière einen Namen:

Babinski (Neurologe, Babinski-Reflex)

Charcot (Pathologe, Begründer der modernen Neurologe)

Esquirol (Psychiater, beendete Missbräuche in den Irrenanstalten)

Freud (Neurologe, Begründer der Psychoanalyse)

Jung (Psychiater, Begründer der analytischen Psychologie)

Janet (Psychiater, Begründer der modernen dynamischen Psychiatrie)

Pinel (Psychiater, überdachte die Zwangsbehandlung, no-restraint)

Gill de la Tourette (Tourette-Syndrom)

Morel führte in die Psychiatrie den Begriff der „démence précoce” ein, Deutsch: vorzeitige Demenz. Er beschrieb damit einige ungewöhnliche Phänomene des Jugendalters. Emil Kraepelin, an anderem Ort näher erläutert, übernahm den Begriff etwa ein halbes Jahrhundert später und nannte ihn „Dementia praecox“, genannt auch als vorzeitige Verblödung. Im Jahre 1911 sollte Eugen Bleuler, ebenfalls an anderem Ort näher erläutert, ihn wiederum umbenennen als Krankheit: „Schizophrenie“, eine der noch heute am meistgebrauchten, psychiatrischen Diagnosen.

Und Morel war es wiederum, der den Begriff resp. das Konzept der Degeneration auf die schicksalshafte Reise in die Irrenanstalten, Boulevard-Blätter und Gerichtssäle schickte. Sein Konzept erwies sich als äusserst virulent, überzeugte viele Irrenärzte und fand schnell Einzug in diverseste Irrenhäuser Europas. Nicht nur das, dieses fatale Konzept bereitete den zukünftigen Boden biologischen und genetischen Boden der modernen Neurowissenschaften.

In seiner Tätigkeit als Arzt entdeckte er entsetzt eine massive Zunahme von progressiver Paralyse (Endstadium der Syphilis), Epilepsie, Selbstmord und Kriminalität in Europa. Er war der Meinung, dass alle Insassen von Irrenanstalten irgendwie gleich aussahen: Kretins (schwere Form von geistiger Behinderung) etwa wiesen oft einen Kropf auf. Dieser war zwar auf Jodmangel zurückzuführen, doch wusste man dies zu jener Zeit noch nicht.

Doch er vermeinte gleiches Aussehen bei allen Irrenhausinsassen zu entdecken: sie schienen ihm alle „ein physiognomisches Merkmal“ zu tragen.(Edward Schorter, Geschichte der Psychiatrie, Rowohlts Enzyklopädie, S. 149).„Was war mit ihnen los? Morels Ansicht nach litten sie einfach nur unter erblichem Irrsinn - alle Irrenärzte seiner Zeit glaubten, dass Geisteskrankheit erblich sei - nein, ‘es wiederholen sich in ihren Körpern die pathologischen Charakteristika der Organe einer Reihe von früheren Generationen', das heisst, sie trugen das ganze Gewicht generationenalten Irrseins mit sich herum. Also borgte sich Morel einen Terminus aus der vergleichenden Zoologie seiner Tage und beschloss, dieses pathologische Phänomen innerhalb eines Familienstammbaums Degeneration zu nennen".(E. Schorter, ebd.)

Dies hatte natürlich Auswirkungen, nicht nur auf die Familie dieser Geisteskranken, sondern auf die gesamt Gesellschaft. „Der degenerierte Mensch fällt, sofern er sich selbst überlassen wird, einer progressiven Entartung anheim. Es ist ihm nicht nur... unmöglich, Teil eines fortschrittlichen Gliedes in der Erbkette der menschlichen Gesellschaft zu sein, er ist durch seinen Kontakt mit dem gesunden Teil der Bevölkerung sogar das grösste Hindernis für diesen Fortschritt.“ Doch glücklicherweise, so Schorter, „ist seine Lebensspanne, wie die aller Monstrositäten begrenzt".(Morel, Traité dégénérescences, S. iii-ix, 5f, 62, 72, 136 aus E. Schorter, Geschichte der Psychiatrie)

Morel hatte eine einfache Vorstellung, wie sich das Karussel bei diesen Menschen in den Irrenanstalten immer weiter drehe. Im Ursprung, vermutete er, war da eine Krankheit, etwa Alkoholismus oder eine in den Armenslums sich zugezogene Tuberkulose. Diese Urkrankheit dringe dann, gemäss Morel, in die menschliche Erbbahn, resp. Keimbahn ein und werde weiter vererbt, wobei sie sich zukünftig von Generation zu Generation immer weiter verschlimmere, um dann sich schon nach drei oder vier Generationen später in Schwachsinnigkeit und/oder Sterilität zu manifestieren.

Nun, wie ist diesem Schicksal Herr zu werden? So die Frage der Irrenärzte. Und die Antworten lagen auf der Hand: Aussonderung, Sterilisierung, Ausrottung! Das Problem schien erkannt zu sein, die Lösung lag schnell auf der Hand.

Im Jahre 1857 erschien sein wichtiges Werk „Traité des dégénérescences“, zu Deutsch „Abhandlungen über die Entartungen“, welches ein starke Beachtung und Verbreitung fand. In ihm wollte Morel anhand des Kriterium von „fixierten und unveränderlichen“ Merkmalen in Physis, Psyche und Moral den Begriff der Degeneration bei zwölf Patienten typologisch belegt wissen.

Schon drei Jahre später, 1860, schrieb er ein weiteres Werk mit dem Namen (Traité des maladies mentales) zu Deutsch „Abhandlungen über die Geisteskrankheiten“). In ihm behauptete er, dass Wahnsinn mit fortschreitender Degeneration in modernen Gesellschaften zunehme. Seine „Degeneration“ begann mit der biblischen Erbsünde und war nichts anderes als eine krankhafte Abweichung vom gottgeschaffenen Idealtypus des Menschen, dem „type primitif“ oder auch genannt, dem „type normal“. Nun kam Moral und Gott ins Spiel.

Er vertrat die Meinung, dass zwar der überwiegende Teil der Menschheit sich anpassen könne und auch gesund bleibe, aber ein entarteter Irrer zunehmend unfähiger werde, seine gesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen. Er behauptete, dass sich diese Unfähigkeit (Störung) auf seine Nachkommen übertrage. Aber er hegte nicht nur Angst um einzelne Nachkommen solcher Degenerierter, er hegte bald Angst um ein gesamtes Volk, welches dadurch degenerieren könne.

Er verstand Degeneration also als Prozess, der sich in die Zukunft bewege. Er äussere sich dadurch, dass Degeneration sich in körperlichen Merkmalen, sog. Stigmata zeige. Sie wurden weiter oben unter „Stigmata degenerationis“ bereits aufgeführt. Solche Auswüchse könnten jedoch, so Morel, durch eugenische Massnahmen aufgehalten werden. (Sterilisierung, Aussonderung, Ausrottung)

Folgend Abbildung 81, aus dem grundlegenden Werk der Degenerationslehre von Morel „Traité dégénérescences“. Solche Bilder wurden seinerzeit bei der Diagnostizierung der Krankheit des Bayrischen Königs Ludwig II herangezogen, bei der auch Morel persönlich als Sachverständiger zugezogen worden sein soll.

81 Psychiatrische Patienten: abnorme Schädelformen als Degenerationszeichen47

Bild aus: histoiredelafolie.fr

Morel, auch rechtsmedizinisch tätig, befand sich während des „Prozesses“ von Bayern-König (Neuschwanstein) Ludwig II. in München und war offenbar von Ludwigs glänzender Erscheinung geblendet. Während der Grossvater, Ludwig I, in den Augen seines Enkels einen Abglanz des Göttlichen sah, nahm Morel darin jedoch den Wahnsinn war. Auch an diesem Beispiel zeigt sich die Wirkungsgeschichte von Morels Degenerationslehre. Er beeinflusste die psychiatrische Theoriebildung massiv.

Die Degenerationslehre erklärte nicht nur Stigmatas in über 100 Formen, sondern diente auch dem psychiatrischen Verständnis von nervösen Störungen, Delinquenz, Persönlichkeitsstörungen und Psychosen. Wilhelm Griesinger, ein deutscher Psychiater, verbreitete sie im Deutschen Sprachraum, Valentin Magnan, siehe weiter unten, in Frankreich und Cesare Lombroso in Italien. Richard von Krafft-Ebing vertrat sie in Österreich, August Forel und Eugen Bleuler in bestimmten zeitlichen Phasen auch in der Schweiz. Einige Psychiater allerdings zeigten nur am Anfang ihrer beruflichen Karriere Sympathien für die Degenerationslehre und ihnen zur Ehre muss hier klar gesagt werden, dass einige von ihnen sich später in aller Deutlichkeit wieder davon lossagten und sie entschieden ablehnten, aus welchen Gründen auch immer!

Aus Morel: „Traité dégénérescences"

(Morel: Abhandlung über Degeneration, 1857)

Um endlich Morels Degenerationstheorie auf den Punkt zu bringen, hier einiges über die Ursache der Abweichungen der menschlichen Natur, die wo liegt?... ... im Sündenfall!

Am Anfang stand der „type primitif“, auch als type normal bezeichnet. Es war nach ihm der Ursprungsmensch, der, nicht geringer, als mit Adam (und Eva) identisch ist. Denn nach dem biblischen Sündenfall, als Eva dem Adam den besagten Apfel zum Kosten reichte, konnte sich der Mensch den vielfältigen äusseren Einflüssen der Welt, dem Klima, der Nahrung und der Erblichkeit nicht mehr entziehen, sondern war ihnen unweigerlich ausgeliefert.

Die Enkel von Adam wichen im Laufe der Zeit, so Morel, immer mehr vom einstigen Ursprungsmenschen ab, wobei ein Teil der Menschheit, die Gesunden, sich durch Anpassung an die Gegebenheiten gesund erhielten, in dem sie das göttliche Gebot erfüllten und dadurch die Einheit der Gattung Mensch bewahrten, während der andere Teil, die Entarteten, sich in die progressive Degeneration steuerten. Progressiv meint hier, dass Krankheit zukünftig immer mehr fortschreite, sich von Generation zu Generation steigern würde und zwar bis zum Aussterben (Sterilität, lmbezilität)des von der fortschreitenden Degeneration befallenen Geschlechts.

Gründe für dieses Geschehen waren alle möglichen Belastungen, angefangen durch die Eltern, die via Gene und Erziehung ihren Beitrag dazu gaben, über den falschen Lebenswandel (Alkohol, Hurerei, Homosexualität u.a) und einem pathologischen sozialen Milieu (Armut, Verslumungsprobleme, Krankheiten etc.).

Morel erklärte die Erblichkeit zu den wichtigsten Ursachen der Geisteskrankheiten, sozusagen unter ätiologischen (ursächlichen) Gesichtspunkten. Und zwar so, dass Entartete und Geisteskranke identisch werden. Die schwerste Kategorie bildeten nach ihm Abweichungen des Geschlechtssinnes, vor allem die sexuellen Perversionen. Die allerschwerste erkannte er in de Nekrophilie (der Liebe zum Toten), aber auch in der Satyriasis (der krankhaften Steigerung des männlichen Geschlechtstriebes), dann auch in der Nymphomanie (dem übersteigerten Geschlechtstrieb der Frau) und in der Erotomanie (dem krankhaft übersteigerten sexuellen Verlangen).

Die Entwicklung der progressive Degeneration stellte er sich als vier Stadien vor:

charakterliche Anomalien wie etwa nervöse Reizbarkeit

körperliche Krankheiten wie etwa Schlaganfall

schwere Geistige Störungen wie Psychosen und Geistesschwäche

angeborene Blödsinnszustände (Debilität) und Missbildungen

So Abstrus heute seine Theorie klingen mag, damals verbreitete sie sich virulent nicht nur in den Irrenanstalten, sondern ganz allgemein in der Wissenschaft. Zudem war sie stets konkret und in allen Bereichen der Öffentlichkeit zugegen: man sah sie leibhaft vor sich im Alkoholismus, in der Armut, der aufkeimenden Kriminalität und, last but not least, in den übervollen Nervenheilanstalten.

Wie virulent das Konzept der Degeneration war, zeigt sich in weiteren Namen:

Valentin Magnan

Max Nordau

Lombroso Caesare

Henry Maudsley

Richard von Krafft-Ebing

Ein überdriften zu den „reinen“ Eugenikern und Rassenhygienikern ist schnell vollzogen. So als Beispiele:

August Forel

Ernst Rüdin

Eugen Bleuler

Alfred Ploetz

Emil Kräplin

Auch der berühmte französische Psychiater Charcot war der Ansicht, dass auch die Hysterie eine Form der Entartung war. Im Hôpital de la Salpètrière konnte man nämlich die von Charcot öffentlich zur Schau gestellten, meist hysterischen Patientinnen in einem auf dem Gelände gebauten Amphitheater betrachten. Es handelte sich nicht unbedingt um klinische Vorführungen zum Zwecke der psychiatrischen Schulung neuer, junger Nachwuchsärzte zum Thema der Hysterie, erfüllten sie doch den Zweck von eigentlichen Lehrveranstaltungen recht wenig.

Es gab Meinungen, diese Vorführungen entsprächen eher einem Karneval. Charcot hielt zwar wöchentliche Vorträge, die zwei Stunden dauerten, sie erinnerten aber eher an Demonstrationen, die ein Publikum begeisterten, das sich an Séancen, Mesmerismus oder Telepathie bereits gewöhnt war.

Abschliessend sei vermerkt, dass es wirklich einige Krankheiten gibt, die heute als erblich gelten: Huntington Chorea, Hämophilie, Mukoviszidose, auch Trosomie-Chromosomen-Abweichungen wie etwa: das Down-, Edwards und Pätau-Syndrom. Dazu braucht es jedoch bestimmte Dispositionen, damit sie manifest werden.

Künstler: André Brouillet (aus Wikipedia) Zeigt den Psychiater und Neurologen Jean-Martin Charcot In der Salpètrière.

Valentin Magnan

Valentin Magnan (1835-1916)

Fotoherkunft Wikipedia org- Valentin Magnan

Französicher Entartungstheoretiker, Arzt und Psychiater. Er galt als einer der wichtigsten Theoretiker der Degenerationslehre des Fin de siècle. (frz. für „Ende des Jahrhunderts"), auch Dekadentismus genannt. Zeit von etwa 1890 bis 1914.

Geboren: 16. März 1835 in Perpignan

Gestorben: 27. September 1916 in Paris

Aus:Wikipedia

Dekadent:

Abgelebt, angekränkelt, degeneriert, im Verfall/Niedergang begriffen, verfallen;

(bildungsspr.): morbid; (oft abwertend): entartet, heruntergekommen.

© Duden - Das Synonymwörterbuch, 4. Aufl. Mannheim 2007 [CD-ROM]

Der Dekadentismus lehnt sich hier also eng an den Begriff der Degeneration. Magnan war der Meinung, dass Degeneration zwar eine Rückwärtsbewegung zu einem minderen evolutionären Zustand darstellt, jedoch nicht als Rückkehr zu einem als normal und als ursprünglich angesehenen Zustand. Er meinte also nicht eine Rückentwicklung zu einem ehemaligen Ursprung (Adam und Eva), sondern eher zu einer pathologischen Neubildung (Dekadenz), die jedoch für ihn eindeutig auch eine evolutionäre Rückbildung war.

Die Zunahme an Verbrechen und Alkoholismus in dieser Zeit erklärte sich Magnan ätiologisch im Vorhandensein von sowohl endogenen wie sozialen Faktoren. Hier grenzt er sich von Lombrosos „Atavismustheorie“ ab. (Siehe dort) Der Begriff der Degeneration wurde von ihm also schon damals mit dem neueren Datums entstehenden Begriff des „Endogenen“ verbunden. Hinter dem Begriff der „endogenen Depression“ versteckt sich demnach recht unverhüllt auch das Konzept der Degeneration, wobei endogen nur „von innen kommend, versteckt“ als das Gegenteil von exogen meint.

Atavismus:

(Biol. Wiederauftreten von Merkmalen od. Verhaltensweisen aus einem früheren

entwicklungsgeschichtlichen Stadium)

© Duden - Das Synonymwörterbuch, 25. Aufl. Mannheim 2009 [CD-ROM]

Magnan setzte sich also von Lombrosos Meinung ab, dass Kriminalität sich einzig atavistisch auf die Degeneration zurückführen liesse, sondern war der Meinung, dass auch soziale Faktoren für Verbrechertum entscheidend und ursächlich seien.

In dieser Zeit forschte man nicht nur in Europa, sondern auch in Russland auf dem Gebiete der Kriminalanthropologie und forensischen Psychiatrie und geriet sich ob der vielfältigen Theorien bald einmal in die Haare. Es gab nämlich einige Überschneidungen zwischen der Degenerations- und der Atavismustheorie. Lombroso versuchte die Degenerationstheorie in seine Atavismustheorie zu integrieren und wollte auf diese Weise den geborenen Verbrecher als Folge einer Entwicklungshemmung medizinisch begründen. (Riccardo Ricolosi, Degeneration erzählen, Wilhelm Fink Verlag, S. 257)

Zwischen den Jahren um 1880 - 1890 entstand eine Polemik zwischen der französischen Psychiatrie (Degenerationskonzept) und der italienischen Kriminalanthropologie (Atavismuskonzept), die auf internationalen Kongressen für Kriminalanthropologie in Paris, Brüssel und Genf ausgetragen wurde. Es ging darum um die Frage, ob Verbrechertum von Geisteskrankheit zu trennen sei oder ob sie zu einander in einer Verbindung stünden.

Während Lombroso den Verbrecher vom Wahnsinn strikt trennte, unterstützte eine Mehrheit der teilnehmenden Psychiater, inkl. Magnan, die These, dass bestimmte Formen von Kriminalität nichts anderes als Erscheinungen degenerativer Vererbungsprozesse darstellen würden. (Riccardo Ricolosi, ebd, S.257)

Magnan arbeitete ab 1865 zuerst im berühmten Salpètrière, um dann zwei Jahre darauf im Pariser Hôspital de L’enfant Jésus den Kronprinzen Napoléon Eugène Louis Bonaparte erfolgreich zu behandeln. Trotz grosser Reputation schaffte er es jedoch nicht auf den Lehrstuhl für Psychiatrie an der Pariser medizinischen Fakultät.