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Auf den letzten Wunsch ihrer geliebten Mutter hin zieht Sabine nach deren Tod zu ihrer Tante, der Baronin von Korff. Doch die Tante nimmt sie nur widerwillig auf. Einst hatte Sabines Mutter es gewagt, einen Bürgerlichen zu heiraten - ein Skandal, der zum Bruch mit ihrer Familie führte. Ihr eigener Vater verstieß sie, und so wuchs Sabine ohne jede Verbindung zu ihren Verwandten auf. Nun steht die Baronin vor einem heiklen Problem: Ihr alter Vater, der auf dem Nachbargut lebt, darf unter keinen Umständen erfahren, dass Sabine hier ist. Der Korff-Hof steht finanziell schlecht da, und ohne seine Unterstützung droht der Ruin. Die Situation spitzt sich zu, als Sabine während eines Spaziergangs einen armen, verschrobenen alten Mann trifft. Unbedarft plaudert sie mit ihm über ihr halbes Leben - ohne zu ahnen, wer er in Wahrheit ist ...
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Nur geduldet
Vorschau
Impressum
Nur geduldet
Erfolgroman um ein Erbe ohne Frieden
Auf den letzten Wunsch ihrer geliebten Mutter hin zieht Sabine nach deren Tod zu ihrer Tante, der Baronin von Korff. Doch die Tante nimmt sie nur widerwillig auf. Einst hatte Sabines Mutter es gewagt, einen Bürgerlichen zu heiraten – ein Skandal, der zum Bruch mit ihrer Familie führte. Ihr eigener Vater verstieß sie, und so wuchs Sabine ohne jede Verbindung zu ihren Verwandten auf.
Nun steht die Baronin vor einem heiklen Problem: Ihr alter Vater, der auf dem Nachbargut lebt, darf unter keinen Umständen erfahren, dass Sabine hier ist. Der Korff-Hof steht finanziell schlecht da, und ohne seine Unterstützung droht der Ruin.
Die Situation spitzt sich zu, als Sabine während eines Spaziergangs einen armen, verschrobenen alten Mann trifft. Unbedarft plaudert sie mit ihm über ihr halbes Leben – ohne zu ahnen, wer er in Wahrheit ist ...
Sabine verließ mit ihren Mitschülerinnen das Gebäude der Handelsschule. Sie war die Älteste in ihrer Klasse, allen anderen um drei Jahre voraus.
Ihre Mutter hatte damals darauf bestanden, dass sie zuerst ihr Abitur absolvierte. Die Voraussetzungen dafür hatte Sabine hinreichend mitgebracht. Sie lernte leicht und hatte im Abschlusszeugnis eine Traumnote erreicht.
Ihre Mutter hätte danach am liebsten gesehen, wenn sie studiert hätte. Auch Sabine wäre das recht gewesen, aber zwei Dinge hatten sie davon abgehalten.
Erstens wollte sie sich nicht von ihrer Mutter trennen, die damals schon schwer krank gewesen war. Sabine hatte es gewusst, obwohl Frau Bianca ihren ernsten Zustand vor Sabine stets hatte verbergen wollen.
Und zweitens wollte Sabine endlich Geld verdienen, um etwas zum Haushalt beisteuern zu können und so das Leben für ihre Mutter ein wenig zu erleichtern. Die winzige Rente von ihrem leider so früh verstorbenen Mann reichte nicht hin und nicht her.
Das Geldverdienen war jetzt gottlob in unmittelbare Nähe gerückt. Auf inständiges Bitten ihrer Mutter war Sabine nach dem Abitur noch auf die Höhere Handelsschule gegangen. Die Entlassung stand kurz bevor.
Ihrer schnellen Auffassungsgabe verdankte es Sabine, dass sie auch hier wieder die Klassenbeste war. Aber ihr höheres Alter und die Tatsache, niemals Zeit zu haben, ließ sie nicht recht Kontakt zu ihren Mitschülern finden, sodass sie sich ein bisschen wie eine Außenseiterin vorkam.
Auch jetzt waren ihre Gedanken bereits wieder bei ihrer Mutter, als sie rasch losging, um die Straßenbahn noch zu erwischen. Der Arzt kam heute wieder nach der Sprechstunde zu ihnen, um ihrer Mutter eine Spritze zu geben. Vorher musste Sabine die Wohnung noch ein wenig in Ordnung bringen.
Sie lief jetzt schneller, denn die Bahn kam donnernd angebraust, und die Haltestelle war noch ein ganzes Stück entfernt.
Und dann hielt die Straßenbahn auch schon an. Sabine setzte zum Spurt an und übersah dabei den Autofahrer, der sich an der bereits anfahrenden Elektrischen vorbeischlängeln wollte.
Bremsen quietschten, ein Passant schrie auf, andere standen wie erstarrt und schüttelten entrüstet die Köpfe. Als Sabine wieder zur Besinnung kam, sah sie in zwei stahlgraue, besorgt dreinblickende Augen.
»Wie fühlen Sie sich?«
»Gut«, murmelte sie noch ein bisschen benommen.
»Das Mädchen hatte hundertprozentig Schuld. Es ist dem Autofahrer ja direkt vor den Wagen gelaufen!«
»Na, gottlob hat der Fahrer schnell reagiert, sonst wäre es schlimm ausgegangen.«
Sabine hörte die Stimmen der Schaulustigen. Erst dann begriff sie, dass der Mann mit den seltsam grauen Augen sie im Arm hielt.
»Entschuldigen Sie, ich habe Ihnen sicher einen großen Schreck eingejagt«, stammelte Sabine. In ihre kreideweißen Wangen kehrte langsam die Farbe zurück.
»Das haben Sie allerdings.« Er hielt sie noch immer fest und geleitete sie ein paar Schritte weiter, öffnete den Wagenschlag und schob sie mit sanfter Gewalt auf den Beifahrersitz.
Dann ging er schnellen Schrittes um das Auto herum. Sabine lehnte den Kopf gegen die Nackenstütze und schloss einen Moment die Augen.
Sie sah, wie der Fremde mit einem der Passanten ein paar Worte wechselte. Vielleicht wollte er sich einen Zeugen sichern. Sabine verzog bitter den Mund. Er brauchte nicht zu fürchten, dass sie je irgendwelche Ansprüche an ihn stellen würde. Sie wusste ja schließlich, dass sie allein an dem Zwischenfall die Schuld trug.
Erst als der Mann nun Anstalten machte, in den Wagen zu steigen, fiel Sabine auf, wie groß er war. Er trug einen erstklassigen grauen Schneideranzug.
»So, nun werde ich Sie schleunigst in die nächste Klinik bringen«, erklärte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Sabine schaute in sein markantes Gesicht. Eine Haartolle fiel ihm in die Stirn.
Jetzt warf der Fremde einen Blick auf seine Armbanduhr. Dabei runzelte er besorgt die Stirn. Offenbar hatte er es eilig.
»Ich möchte und ich brauche nicht in eine Klinik«, sagte Sabine. »Bitte, bemühen Sie sich nicht.«
»Sie mögen sich im Moment wohlfühlen, aber Sie könnten doch verletzt sein. Darum bestehe ich darauf, dass Sie ein Arzt untersucht.«
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern ließ den Motor anspringen und startete.
Sabine wünschte, dieser Mann hätte sie nicht in sein Auto bugsiert, dann säße sie nun in der Straßenbahn und wäre auf dem Weg nach Hause.
Ihre Mutter ängstigte sich zu Tode, wenn sie nicht pünktlich daheim war. In letzter Zeit ging es ihr ohnehin sehr schlecht.
Sabine fühlte sich jetzt völlig erschöpft. Der Schock wirkte nach, und die Sorge um ihre Mutter verstärkte das Gefühl.
Kurz darauf hielt der Fremde vor der Unfallklinik.
Wenn Sabine sich vorstellte, hier unter Umständen ewig lange untersucht und geröntgt und unter Umständen sogar noch ein paar Tage zur Beobachtung dabehalten zu werden, brach ihr der Schweiß aus.
»Kommen Sie«, sagte der Mann.
»Mir fehlt ganz bestimmt nichts«, versicherte sie ihm.
»Das mag sein, dennoch möchte ich auf Nummer sicher gehen, dass Ihnen tatsächlich nichts passiert ist.« Jetzt klang seine Stimme fast ein wenig verärgert.
Er schätzte es offenbar nicht, wenn man sich gegen seinen Willen auflehnte. In Sabine aber erwachte nun ein gewisser Trotz.
Der Mann schloss sein Auto ab und schickte sich an, auf das Portal der Klinik zuzustreben.
Sabine stellte sich vor ihn hin.
»Es tut mir leid, wenn ich Sie jetzt enttäusche, aber ich muss nach Hause. Ich erkenne an, dass Sie um mich besorgt sind, und ich weiß auch, welch Unannehmlichkeiten ich Ihnen durch meine Unvorsichtigkeit bereitet habe. Darum besten Dank für alles!«
Sie sah ihn mit ihren großen veilchenblauen Augen an. Dann nickte sie ihm zu und ging davon.
Damit hatte der große Fremde wohl nicht gerechnet. Er schüttelte verständnislos den Kopf, schloss seinen Wagen wieder auf, stieg ein und fuhr in rasantem Tempo davon.
♥♥♥
Völlig atemlos kam Sabine daheim an. Sie stürzte auf das Bett zu, in dem ihre Mutter lag.
»Kind, du sollst doch nicht immer so schrecklich hetzen«, sagte die leidende Frau in den Kissen.
»Wie geht es dir, Mutsch?«
»Gut«, behauptete Frau Bianca, obwohl ihr Aussehen ihre Worte Lügen strafte.
»Du hast bestimmt ungeduldig auf mich gewartet, nicht wahr, Mutsch?« Sabine sah ihre Mutter angstvoll an.
Frau Bianca lächelte weich und gütig.
»Ich habe mir gesagt, dass dir sicher etwas Wichtiges dazwischengekommen ist, sonst wärst du pünktlich zu Hause gewesen.«
Sabine atmete erleichtert auf und ließ sich neben dem Bett ihrer Mutter auf einen Stuhl sinken.
Sie nickte. Von dem Zwischenfall würde sie ihrer Mutter nichts erzählen, sonst regte sich die Kranke nur unnötig auf.
»Ich koche uns jetzt Mittagessen«, sagte Sabine und sprang wieder auf.
Während die Kartoffeln kochten, schüttelte sie ihrer Mutter das Bett auf. Schnell putzte sie noch ein bisschen Staub. Da klingelte es. Sabine eilte zur Tür und öffnete.
»Guten Tag, Herr Doktor«, begrüßte sie den Arzt erleichtert. Immer wenn ihre Mutter die Spritze bekommen hatte, ging es ihr ein bisschen besser.
Kurz darauf war der Arzt schon wieder verschwunden.
Das Essen war wie immer das reinste Trauerspiel, denn Frau Bianca aß wie ein Spaß. Gottlob schlief die Kranke danach tief und fest.
Heute legte Sabine sich auch ein wenig hin. Sie brauchte ein bisschen Ruhe. Bevor sie einschlief, sah sie die grauen Augen des Fremden vor sich.
Gewiss hatte sie ihn bitter enttäuscht. Vielleicht würde er sie verstehen, wenn er wüsste, warum sie ihn so vor den Kopf gestoßen hatte.
♥♥♥
Ein paar Tage waren vergangen.
Voller Sorge sah Sabine, wie unruhig ihre Mutter war. Sie selbst hatte noch eine Stunde für die Schule gearbeitet. Morgen schrieb sie die letzte Abschlussarbeit. Dann konnte sie endlich ins Berufsleben treten und Geld verdienen.
Als Erstes würde sie eine Pflegerin für ihre Mutter suchen, die sie tagsüber versorgen würde.
»Soll ich dir etwas vorlesen«, bot Sabine freundlich an und setzte sich zu ihrer Mutter. Sie nahm die abgezehrte, durchscheinende Hand und drückte sie zärtlich.
»Nein, Kind, bleib nur ein wenig bei mir sitzen«, erwiderte die Kranke. »Ich habe nämlich etwas mit dir zu besprechen.«
»Ich möchte aber nicht, dass du dich aufregst, Mama!«
Die Mutter überging den Einwand.
»Ich weiß nicht, ob du dich schon einmal darüber gewundert hast, dass ich eine geborene Baroness von Semmler bin, Kind.«
»Natürlich habe ich mich manchmal gefragt, wie du und Papa, ein schlichter bürgerlicher Herr Müller, einst zueinandergefunden habt«, sagte Sabine wahrheitsgemäß.
Frau Bianca nickte. Ein verklärtes Lächeln erhellte ihr Gesicht.
»Weil wir uns liebten, Sabine, sehr liebten. Unsere Liebe überwand alle Standesunterschiede.«
»Ich habe es immer gespürt, wie sehr ihr euch geliebt habt, Mutsch.« Durch diese große Harmonie zwischen den Eltern war Sabines Kinder- und Jugendzeit bis zum Tode ihres Vaters ungetrübt gewesen.
»Ja, Kind, das haben wir. Ich habe aber für dieses Glück auch einen gewissen Preis zahlen müssen.«
»Welche Preis denn?« Sabine sah ihre Mutter verständnislos an.
»Ich musste dafür den Verlust meines Elternhauses in Kauf nehmen, Sabine. Das ist mir nicht leichtgefallen.«
»Das verstehe ich gut, Mama.«
»Dein Großvater und deine Großmutter waren sehr adelsstolze Menschen. Für sie beide war es unfassbar, einen schlichten Herrn Müller als Schwiegersohn willkommen zu heißen, der außerdem auch noch ziemlich mittellos war.«
»Aber Papa war doch ein wertvoller, kluger Mensch. Ihm konnte sicher so mancher mit klingendem Namen nicht das Wasser reichen«, ereiferte Sabine sich.
Sie hatte sehr an ihrem Vater gehangen. Als er ihrer Mutter und ihr vor einigen Jahren durch einen Unfall genommen worden war, war sie lange nicht darüber hinweggekommen.
Frau Bianca lächelte wehmütig.
»In den Kreisen, aus denen ich stamme, werden zuweilen andere Wertmaßstäbe angelegt«, sagte sie. »Nach Meinung deiner Großeltern und deiner Tante habe ich mit der Heirat Schande über die Familie gebracht.«
»Schande«, stieß Sabine entrüstet hervor. Dann wurde ihr erst bewusst, dass sie offenbar noch Verwandte besaß, von deren Existenz sie bisher nichts geahnt hatte.
»Leben deine Eltern und deine Schwester noch?«
»Meine Mutter soll gestorben sein.«
»Und du warst nicht zur Beerdigung, nicht wahr?«, murmelte Sabine mitfühlend.
»Nein.« Die Kranke hatte Tränen in den Augen.
»Woher weißt du von ihrem Tod?«, fragte Sabine.
»Eine Frau aus unserem Dorf, die einst meine Amme war, schreibt mir noch ab und zu.«
»Deine Amme?« Sabine schüttelte verwundert den Kopf.
»Mein Vater war Großgrundbesitzer. Damals, als ich geboren wurde, gehörte es zum guten Ton, dass Frauen aus besseren Kreisen ihre Kinder nicht selbst stillten. So bekam ich eine Amme«, erklärte Frau Bianca. »Das war eine Häuslerfrau, die zur gleichen Zeit wie meine Mutter entbunden hatte und viel überschüssige Milch besaß.«
Sabine kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Dann besitze ich sozusagen noch einen Milchbruder oder eine Milchschwester?«
»Ja, ganz recht, einen Milchbruder.«
Frau Bianca nickte. Sie wirkte noch erschöpfter als sonst. Das Sprechen strengte sie an.
»Er soll ein netter und tüchtiger junger Mann geworden sein. Meine Amme ist ganz stolz auf ihren Sohn und hat mehrfach von ihm berichtet. Er hat irgendeine Fachschule besucht und ist Techniker geworden. Darüber habe ich mich sehr gefreut.«
»Es ist sehr interessant, was du mir da heute alles erzählst, Mama, aber ich habe Angst, dass dich das Reden zu sehr anstrengt.«
Da schüttelte Frau Bianca leicht den Kopf.
»Wir wollen uns nichts vormachen, Kind. Ich habe nicht mehr viel Zeit, dir zu erzählen, was du wissen musst.«
»Mama!« Sabine schrie leise auf und drückte die Hand der Mutter noch fester.
»Du musst tapfer sein, Sabine«, beschwor die Todkranke ihre Tochter. »Du bist es doch schon seit Jahren. Dir kann nicht verborgen geblieben sein, wie krank ich wirklich bin.«
Sabine drängte die Tränen zurück, die ihr in die Augen stiegen.
»Ich scheide nicht gern, Sabine. Keine Mutter lässt ihr Kind leichten Herzens zurück. Aber ich freue mich auf der anderen Seite auf das Wiedersehen mit Papa. Er war ein Teil von mir.« Sie lächelte. »Die Lücke, die sein Tod in mein Leben gerissen hat, hat sich niemals wieder geschlossen.«
Nun schluchzte Sabine doch heiß auf.
»Ich bitte dich, Sabine, sei immer tapfer und trauere einst nicht um mich. Hülle dich nicht in schwarze Gewänder und gib deiner Verzweiflung nicht nach. Du bist ein junger Mensch, und ich will, dass du ein fröhliches Leben führst und dich nicht vor Gram verzehrst, hörst du?«
Sabine konnte nicht sprechen, darum nickte sie nur.
»So ist es recht, Sabine, reich mir darauf die Hand.«
Frau Bianca öffnete ihre abgezehrte Rechte, und Sabine schob ihre zögernd hinein.
»Nun bin ich beruhigt«, sagte die Todkranke und lächelte. »Von nun an wollen wir uns nicht länger belügen, Sabine. Du weißt, dass ich gehen muss, und ich weiß es auch.«
Es bedeutete für Sabine eine große Anstrengung, jetzt nicht in Tränen auszubrechen.
»Ich habe an meine Schwester geschrieben, Sabine. Sie wird dich in ihrem Hause aufnehmen«, fuhr Frau Bianca fort.
»Zum Glück kann ich mich bald allein ernähren, Mama. Ich möchte auch nicht zu deinen Verwandten, die so herzlos zu dir waren. Bestimmt werden Sie sich auch bedanken, deine Tochter in ihrer Familie aufzunehmen.«
»Ich möchte, dass du bei meiner Familie lebst, Sabine, in jenen Kreisen, aus denen ich stamme.«
»Aber ich mag diese Kreise nicht, Mama«, protestierte das junge Menschenkind.
»Es ist töricht, sich ein Urteil über Dinge zu erlauben, die man nicht kennt«, kam es streng zurück.
Sabine wagte nun keinen Widerspruch mehr, um ihre Mutter nicht unnötig aufzuregen.
»Gut, wenn deine Schwester mich haben will, ziehe ich also zu ihr«, murmelte Sabine ergeben.
»Versprich mir auch, dich anzupassen, Kind! Du hast eine gute Erziehung genossen und brauchst dich deiner Eltern niemals zu schämen. Dein Vater war ein Gelehrter von Ruf. Er hat es leider nur nicht verstanden, seine Fähigkeiten in klingende Münze umzuwandeln. Doch er war sehr klug und hatte einen lauteren Charakter.«
»Das stimmt«, murmelte Sabine. Ihr Vater war Altertumsforscher gewesen, sicher ein interessanter Beruf, aber keiner, bei dem man reich werden konnte.
»Erzähle mir von deiner Schwester«, bat sie nun.
»Sophie ist drei Jahre älter ich.« Die Kranke dachte kurz nach. »Wir waren immer sehr verschieden. Meine Schwester verlobte sich schon früh mit einem gewissen Baron von Korff.«
»Und den mochtest du nicht?«, fragte Sabine.
»Er war mir im Grunde gleichgültig. Aber ich hätte mich niemals in ihn verlieben können. Er war Sophies Bräutigam, und das war alles.«
»Wart ihr als Kinder mal enger miteinander verbunden, Mama?«
»Eigentlich nicht. Sophie hatte stets andere Interessen als ich.«
»Glaubst du, Mama, dass sie mich gerne bei sich aufnehmen wird?«, fragte Sabine bedrückt.
»Sie wird dich aufnehmen, Sabine, und das ist im Moment genug. Ich will, dass du in ihrer Familie lebst. Sie ist schließlich meine Schwester.«
Frau Biancas Kraft hatte sich nun erschöpft. Sie schloss die Augen und atmete schwer.
Sabines Blick war voller Liebe auf ihre Mutter gerichtet, während ihr Tränen über die Wangen liefen.
Warum muss Mama nur so schrecklich krank sein?, fragte sie sich wie schon unzählige Male zuvor.
♥♥♥
Eine Woche später wurde Sabine das Abschlusszeugnis der Handelsschule ausgehändigt. Sie hatte von all ihren Mitschülern am besten abgeschnitten.
