Diese Augen klagen an: Dr. Florian Winter Arztroman 5 - Horst Weymar Hübner - E-Book

Diese Augen klagen an: Dr. Florian Winter Arztroman 5 E-Book

Horst Weymar Hübner

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Beschreibung

Um seine eigene Mittelmäßigkeit zu verbergen, intrigiert Dr. Schräder gegen seinen Kollegen Schwarzauer. Dr. Schwarzauer schweigt dazu, weil er selbst immer mal wieder falsche Diagnosen stellt. Doch dann trifft Dr. Schwarzauer in einem schweren Fall eine richtige Entscheidung und rettet dadurch Menschenleben. Das fällt bei Kollegen und Vorgesetzten angenehm auf. Eine Situation, die Dr. Schräder nun gar nicht gefällt.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Horst Weymar Hübner

Diese Augen klagen an: Dr. Florian Winter Arztroman 5

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Inhaltsverzeichnis

Diese Augen klagen an: Dr. Florian Winter Arztroman 5

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Diese Augen klagen an: Dr. Florian Winter Arztroman 5

von Horst Weymar Hübner

Um seine eigene Mittelmäßigkeit zu verbergen, intrigiert Dr. Schräder gegen seinen Kollegen Schwarzauer. Dr. Schwarzauer schweigt dazu, weil er selbst immer mal wieder falsche Diagnosen stellt. Doch dann trifft Dr. Schwarzauer in einem schweren Fall eine richtige Entscheidung und rettet dadurch Menschenleben. Das fällt bei Kollegen und Vorgesetzten angenehm auf. Eine Situation, die Dr. Schräder nun gar nicht gefällt.

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Alfred Bekker

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Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

1

Knapp siebzehn, schätzte Hennes Grossmann, der Rettungsfahrer vom Klinomobil. Und schon alles zu Ende mit ihr!

Das Mädchen lag auf der scherbenübersäten Straße, mit dem Kopf handbreit vor den gewaltigen Zwillingsreifen des Lastwagens. Geblutet hatte es nicht übermäßig.

Die verrenkte Körperhaltung war aber eindeutig.

Emil, Grossmanns Beifahrer, lehnte die zusammengeklappte Trage gegen den Lastwagen. „Zudecken hätten sie die wenigstens können.“

Er machte einen Schritt in Richtung Klinomobil, um eine Plastikfolie zu holen.

Hennes Grossmann erriet seine Gedanken. „Warte damit, bis der Arzt da ist. Muss gleich kommen.“

„Wer ist denn heute dran?“

„Schwarzauer wahrscheinlich.“

„Ach, du grüne Neune!“, platzte Emil heraus. Mit einem Blick auf die Unfallstelle fügte er hinzu: „Wenigstens kommt es nicht wieder zu Missverständnissen, wo hier alles glasklar ist. He, was treiben Sie denn da? Rühren Sie besser nichts an!“

Ein Mann im Straßenanzug war um das völlig zusammengestauchte Moped herumgegangen und wollte eben unter den Lastwagen kriechen.

Ärgerlich blickte er auf die beiden Rettungsfahrer im weißen Kittel. Dann setzte er energisch eine Bereitschaftstasche ab. „Sie haben sich ja mächtig viel Zeit gelassen! Vor zwanzig Minuten habe ich angerufen, ich bin der Landarzt hier.“

„Hier raus sind’s fünfundzwanzig Kilometer, fliegen ist mit dem Klino nicht drin, da hätten Sie den Hubschrauber anfordern müssen“, wehrte sich Grossmann gegen den Vorwurf der Trödelei. „Außerdem ist sie sowieso ...“

„Ist sie nicht!“, erwiderte der Landarzt und kroch neben die verrenkte Gestalt. „Ich wohne gegenüber, hab’ den Knall gehört und sie gleich versorgt.“ Mit drei sachkundigen Griffen brachte er das Mädchen in Seitenlage. „Wenn der Hubschrauber nicht im Einsatz wäre, könnte die Unfallchirurgie schon dran arbeiten. Haben Sie eine Decke? Sie kühlt aus.“

Emil holte eine Aluminiumfolie.

Zu dritt hoben sie das Mädchen darauf und wickelten es ein.

Voller Skepsis beobachtete Grossmann, wie dabei der Kopf nach rechts und links rollte, völlig ohne Halt.

„Sind Sie ganz sicher?“, vergewisserte er sich.

„Soll ich Ihnen die Spiegelprobe vormachen?“, brauste der Arzt auf.

„Nicht nötig wenn Sie es sagen“, beschwichtigte Grossmann und prägte sich die Unfallstelle näher ein.

Das Mädchen war natürlich ohne Sturzhelm gefahren. Die vorhandenen Bremsspuren stammten allein vom Lastwagen.

Auf der Kreuzung drängten sich gaffende Schulkinder, aus der anwachsenden Autoschlange ertönte ungeduldiges Hupen. Entsetzte, teilnahmsvolle, oder auch nur neugierige Anwohner lagen in den Fenstern.

Jemand schrie, dass es nun genug sei und endlich eine Ampel aufgestellt werden müsse.

Zwei Polizisten bemühten sich, die Situation zu meistern. Einer war noch stoppelbärtig und wirkte etwas zerknittert.

Die Tageszeit entschuldigte ihn. Es war sieben Uhr früh.

Er bekam eine Gasse frei und winkte die Autos durch.

Sein Kollege skizzierte die Unfallszene und wehrte einen blassen Mann im Overall ab, der gestikulierend auf ihn einredete.

Mit energischen Schritten kam er herüber, den Mann im Overall im Windschatten, markierte mit Kreide den Standort des Lastwagens, fasste die Zwillingsbremsspuren ein und umfuhr das Mädchen in der Folie und das auf Halbmeterlänge zusammengeschobene Moped.

Der blassgesichtige Mann im Overall starrte Grossmann und Emil an.

Plötzlich streifte er den linken Hemdärmel hoch und reckte ihnen den Arm hin.

„Ich verlange eine Blutprobe! Hier zapfen Sie mir was ab! Darauf bestehe ich. Es muss festgestellt werden, dass ich nüchtern bin. Hinterher heißt es sonst was, und dann habe ich den Hut an.“

Demnach war er der Fahrer des Lastwagens.

„Wir dürfen Ihnen kein Blut abnehmen“, wehrte Grossmann das Ansinnen ab. „Wir sind nur Fahrer und Sanitäter.“

Der Polizist mit dem Skizzenbrett trat hinzu und schüttelte den Kopf. „Sie haben keine Fahne, das Röhrchen hat sich auch nicht verfärbt. Außerdem waren Sie laut Fahrtenschreiber erst fünf Minuten unterwegs. Lassen Sie sich vom Doktor was zur Beruhigung geben.“

In seine letzten Worte hinein mischte sich das näher kommende Gellen eines Martinshornes.

Die Schaulustigen reckten die Köpfe.

„Ich brauche keine Tabletten, ich will eine Blutprobe!“, tobte der Fahrer.

Grossmann konstatierte Schock. Meist klappten Unfallbeteiligte zusammen, manchmal kam es auch anders.

Der Arztwagen stoppte auf der Kreuzung. Das Martinshorn erstarb, nur das Blaulicht rotierte weiter.

2

Emil rammte Grossmann den Ellenbogen in die Seite, als sich eine schlaksige Männergestalt vom Beifahrersitz zwängte und neben dem Wagen zu voller Größe entfaltete. Dr. Bert Schwarzauer in natura, oder, wie selbst die kleinste Lernschwester der Paul-Ehrlich-Klinik wusste, die größte Pfeife der Ambulanz. Pro Tag eine Fehldiagnose war das Minimum.

Es war ein offenes Geheimnis, dass Klinikleitung und Chirurgie auf Mittel und Wege sannen, wie sie ihn auf unspektakuläre Weise loswurden.

Schwarzauer griff seinen Metallkoffer aus dem Wagen und stelzte heran wie ein schreitender Storch auf der nassen Wiese.

„Guten Morgen, Herr Doktor!“, wünschte Emil grinsend; Grossmann ließ es mit einem Brummen genug sein.

Schwarzauer betrachtete die beiden misstrauisch. Aber sie sahen ihn so aufrichtig an, dass er jeden Argwohn unterdrückte.

„Von gut kann nicht die Rede sein. Tag, die Herrn! Packen wir’s gleich an.“

Der Polizist drängte den Lastwagenfahrer ab, der fortwährend schrie: „Die ist mir einfach rein gefahren. Mit geschlossenen Augen. Hat nicht gebremst und nichts. Glatt rein gefahren ist sie. Als ob’s Absicht war. Fragen Sie doch! Das sind alles Zeugen...“

Das Geschrei wurde leiser.

Der Landarzt hatte die Ankunft des Arztwagens bemerkt und eilte herbei. „Doktor Nies“, stellte er sich vor.

„Doktor Schwarzauer.“ Der Assistenzarzt machte eine ungelenke Verbeugung.

„Ich habe Unfallhilfe geleistet“, erklärte Dr. Nies. „Tetanus Prophylaxe.“

„Was haben Sie ihr gegeben?“ Trotz seiner Körpergröße hatte sich Dr. Schwarzauer mit erstaunlicher Behändigkeit niedergebeugt und das Mädchen halb ausgewickelt.

„HyperTET, zweihundertfünfzig internationale Einheiten, intramuskulär nach Vorschrift.“

„Was Sie nicht sagen? Ist Ihnen auch der Gedanke gekommen, dass sie es nicht verträgt?“

„Aber erlauben Sie, ich bin immer gut damit gefahren, und ich praktiziere seit zehn Jahren hier draußen“, erwiderte Dr. Nies schroff und maß den jungen Kollegen mit einem vernichtenden Blick.

Jetzt stieß Grossmann seinem Beifahrer den Ellenbogen in die Rippen und raunte: „Es geht schon los.“

„Haben Sie etwas diagnostiziert?“, forschte Schwarzauer. „Brüche? Schnitte? Innere Verletzungen?“ Dabei palpierte er vorsichtig den Schädel des Mädchens.

„Den Thorax hat’s erwischt. Außerdem großflächige Abschürfungen, aber keine starke äußere Blutung“, bellte Dr. Nies gereizt.

Schwarzauer griff eine Taschenlampe aus der Kitteltasche und leuchtete in die Pupillen. Er war unzufrieden und wischte dem Mädchen über die Stirn.

Verstört betrachtete er seine Hand, knöpfte den zerrissenen und durchbluteten Parka auf, griff unter den Pullover des Mädchens und wischte dort herum.

Wie auf der Stirn fand er auch hier kalten Schweiß.

Er fühlte den Puls. Der war fadenförmig und kaum noch erwähnenswert.

„Er macht sich wichtig“, flüsterte Emil. „Wie immer.“

„Und haut wie immer daneben“, ergänzte Grossmann.

Schwarzauer ging mit dem Stethoskop unter den Pullover.

Sekunden später beugte er sich über das Mädchen und brachte das rechte Ohr an Mund und Nase des Unfallopfers.

„Sauerstoff, Grossmann!“, brüllte er plötzlich den Klino-Fahrer an und zog dem Mädchen einfach den Pullover bis zum Hals hoch.

Eben bog der Polizist mit dem Skizzenbrett um das Heck des Lastwagens; in der anderen Hand hielt er eine zerschrammte Umhängetasche mit abgerissenem Trageriemen. „Sie werden die Personalien benöti...“

Das Wort blieb ihm im Halse stecken, denn Schwarzauer lupfte den BH hoch.

Dr. Nies gestikulierte entrüstet, die Zuschauer reckten den Hals noch mehr.

Schwarzauer achtete auf nichts, er befasste sich nur mit dem Unfallopfer. Blitzschnell kontrollierte er die Fingernägel, rollte Ober und Unterlippe nach außen und zog die Zunge heraus.

„Feine Prophylaxe!“, krächzte er den Kollegen vom Land an. „Warzen, Fingernägel, Lippen, Zunge, Gesicht, alles blau. Sie haben eine schwarze Zyanose bewerkstelligt! Grossmann, wo bleibt der Sauerstoff?“

„Kommt ja schon.“ Der Fahrer wuchtete das tragbare Beatmungsgerät aus dem Klino, Emil griff sich die Trage und klappte sie auseinander.

„Gänzlich ausgeschlossen!“, schnappte Dr. Nies.

Schwarzauer tippte wahllos auf ein paar Gesichtsstellen des Mädchens. Die Druckstellen blieben weiß. „Angioneurotisches Ödem, bitte!“

„Tief intramuskulär ...“, begehrte Dr. Nies auf.

„Vielleicht sogar ein Quincke!“

„.. streng nach Vorschrift.“ Nies hielt sich an seiner Bereitschaftstasche fest.

„Sie müssen eine Vene getroffen haben.“ Schwarzauer und Emil hoben das Mädchen auf die Trage, Grossmann legte die Atemmaske an und gab Sauerstoff.

„Hier, ihre Papiere.“ Der Polizist wühlte in der Tasche, zuckte mit der Hand zurück und starrte auf seinen Mittelfinger, in den sich ein Glassplitter gebohrt hatte.

„Her damit, ja“, sagte Schwarzauer. Dann entdeckte er das Glas im Finger des Polizisten. „Was machen Sie denn? Zeigen Sie her!“

Der Splitter stammte zweifelsfrei von einem zerbrochenen Glasröhrchen.

Schwarzauer zog ihn heraus. „Stecken Sie den Finger in den Mund!“ Danach warf er einen Blick in die Tasche und zog ein Röhrchenetikett heraus, an dem viele Scherben klebten.

Er las, starrte auf das Mädchen, auf Nies, schließlich auf den Polizisten. „Barbiturat! Das ist ja ein Hammer!“

„Was?“, Der Polizist schaute irritiert.

„Rezeptpflichtige Schlaftabletten! Darum keine Pupillenreaktion. Sie muss das ganze Röhrchen geschluckt haben. Grossmann, rein mit ihr! Und fahren Sie dem Teufel ein Bein ab!“ Schwarzauer fingerte nach dem Personalausweis.

Irmgard Weidner hieß das Unfallopfer.

„Ja, aber ...“ Ratlosigkeit stand in den Augen des Polizisten.

„Erklären Sie es ihm“, wandte sich Schwarzauer an Dr. Nies. „Suizid. Sie muss schon hoch im Tran gewesen sein, als sie in den Lastwagen rein fuhr.“

Er versenkte den Ausweis in der Kitteltasche, packte seinen Metallkoffer und stieg in das Klinomobil.

Mit einem Knall flogen die Türen zu.

Grossmann steuerte eine wahnwitzig enge Kurve und brauste los. Der Arztwagen folgte.

„Schneller. Grossmann brüllte Schwarzauer und hielt sich an der verankerten Trage fest. ..Müggenburg, Sie helfen mir. Los, Mensch!“

Emil kletterte nach hinten.

„Jetzt ist Berufsverkehr!", meuterte Grossmann und hakte den Sicherheitsgurt ein.

„Ist mir doch egal!", schrie ihn Schwarzauer an. „In fünfzehn Minuten fahren Sie in die Schleuse und keine Sekunde später! Geben Sie mir die Klinik.“ Er streckte die Hand nach dem Funktelefon aus.

Grossmann steuerte links und tippte mit der rechten Hand den Notruf ein, während Dr. Schwarzauer etwas ruhiger sagte: „Als ob ein Selbstmordversuch mit Schlaftabletten noch nicht reicht, nein, da wird noch das Moped missbraucht und in ein Auto rein gefahren, damit’s auch hundertprozentig klappt. Sicher ist sicher. Und dieser Unschuldsengel serviert uns mit seiner Spritze gegen Wundstarrkrampf obendrein einen anaphylaktischen Schock. Ist die Verbindung bald da?“

Grossmann reichte ihm das Telefon nach hinten.

Emil Müggenburg haderte mit seinem Schicksal, das ihn an diesem Morgen auf den Helferplatz im Klinomobil bannte.

Anaphylaktischer Schock!

Der kam sehr selten vor und ging dafür zu neunundneunzig Komma neun Prozent auch tödlich aus.

Und das mit der Pfeife im Wagen!

Immer lag Schwarzauer mit seinen Diagnosen ja nicht daneben.

3

„Herr Professor, für Sie liegt ein Anruf auf dem Apparat im Ärztezimmer!“ Schwester Else, die mit mütterlicher Strenge und unverwüstlichem Mundwerk das Pflegepersonal von Station 3 B dirigierte, zeigte Verschwörermiene. „Der Herr Primarius Faulhaber. Vielleicht will er Ihnen gratulieren. Ein bisschen feierlicher könnte er’s schon machen.“

„Immer noch Doktor und bestenfalls unordentlicher Professor“, sagte Professor Winter lachend. „Die ordentliche Professur steht noch aus. Was macht unsere Sturzgeburt?“

Das Malheur war am späten Abend passiert, genau zwischen Taxi und Klinikportal. Die Frau hatte zu lange gewartet.

Das Neugeborene war auf den Boden gestürzt, die Mutter hatte sich am Geländer festgehalten, der Taxifahrer hatte über sein ruiniertes Taxi lamentiert und ein später Klinikbesucher war in Ohnmacht gefallen.

Zufällig wollte Professor Winter gerade das Haus verlassen und geriet mitten in die dramatische Szene.

Mit denen, die von seinen Mitarbeitern noch da waren, hatte er unten im Ambulanzraum Säugling und Mutter versorgt.

„Dem Baby geht’s besser als der Mutter“, gab die Oberschwester Auskunft und blickte drängend in Richtung Ärztezimmer.

„Merken Sie es für die Visite vor, ich möchte mir selber ein Bild machen.“ Professor Winter schob die Hände in die Kitteltaschen und ging zu seinem Anruf.

Es war unwahrscheinlich, dass Professor Dr. Faulhaber wegen der Habilitation anrief, zumal seit geraumer Zeit die gesamte Klinik davon wusste. Warum sollte Faulhaber, der Chefarzt der Chirurgie und ihr Primarius, als einziger nicht davon erfahren haben?

Zur Gratulation hätte er sich vermutlich auch selber herbemüht und sich der kollegialen Pflicht nicht mit einem Anruf entledigt.

Wenn jemand darauf achtete, dass die Form gewahrt wurde, dann Faulhaber.

Ob er vielleicht..., überlegte Professor Winter.

Zwischen der Gynäkologie und der Chirurgie bestanden gewisse Spannungen, die ihre Ursache in der zu geringen Anzahl der OPs hatten.

Die Operationstage waren genau eingeteilt. Immer wieder kamen aber Notfälle dazwischen, die eine Umdisposition erforderlich machten.

Er nahm den Hörer vom Schreibtisch auf.

„Hier Winter. Bitte?“

Erst vernahm er nur ein ungehaltenes Grollen, dann sagte der Primarius im heimatlichen Dialekt: „San Sie Arzt oder Primaballerina, weil Sie sich gar so lang bitten lassen? Könnten S’ grad zu mir rüber kommen?“

Wenn Faulhaber in seine bayerische Muttersprache verfiel, war er auf hundertachtzig. Dann ließ er auch die Anstandsregeln vermissen.

„In fünf Minuten“, sagte Professor Winter reserviert. Er legte auf.

Was wollte der weißblaue Löwe von ihm? Wenn es um einen OP ging, hatten sie das immer am Telefon ausgehandelt.

Es war schon recht ungewöhnlich, dass er ihn sehen wollte.

Etwas verstimmt und zugleich neugierig, begab er sich in die Chirurgie und hielt Ausschau nach seinem Freund Albert, der dort Oberarzt war.

Von Albert Rose war natürlich nichts zu sehen. Zudem gewann er den Eindruck, dass das Personal bemüht war, bei seinem Auftauchen schleunigst vom Korridor zu verschwinden.

Das sah nach Absicht aus.

Und das fand er äußerst seltsam.

Messinglettern auf der Tür verkündeten, wo Faulhaber sein Domizil hatte.

Ein brummiges „Kommen ’S rein!“, antwortete seinem Klopfen. Professor Faulhaber konnte nicht nur brüllen wie ein Löwe, er sah auch so aus.

Er strich sich die Haare glatt, was sich als zwecklos erwies, weil sie sofort wieder zu Berge standen.

Das roch irgendwie nach dicker Luft.

Professor Winter entschloss sich, es mit Humor zu nehmen.

„Soll ich Ihnen was vortanzen?“, fragte er. „Wegen der Primaballerina, meine ich.“

Unter buschigen Brauen schoss Faulhaber einen zornigen Blick auf ihn ab. „Nehmen S’ Platz und machen S’ mi net narrisch, Herr Winter!“

Hat sich was mit Gratulation, dachte Professor Winter und ließ sich gemächlich in einem Sessel nieder. Und Humor hat er heute morgen auch keinen!

Die Stirn finster umwölkt, begann der Professor hinter seinem Schreibtisch eine Wanderung.

„Zwengs de OPs hamma eh gnuag Schwierigkeiten, da braucht’s net noch, dass uns die Gynäkologen in die Chirurgie einipfuschen“, bollerte er. „Abgemacht is, dass ma uns net ins Geheg komman daten. Mir machen nix Gynäkologisches, und ihr machts nix Chirurgisches. Oder is dös vielleicht glogen?“

Professor Winter versteifte sich. „Dieses Abkommen besteht und wird eingehalten. Bitte, wer pfuscht irgendwo hinein?“

„Dös Weibsbüld, der gscherte Igel!“, grollte der Professor.

Das Angebot an weiblichen Igeln in der gynäkologischen Abteilung war begrenzt. „Kollegin Simon-Stoll?“

Dass Faulhaber nicht sehr viel von Frauen im Medizinerberuf hielt, war hinlänglich bekannt. Es rechtfertigte aber nicht den schlimmen Vorwurf des Hineinpfuschens.

„Freili. Mir kriagn an akuten Wurm und daten a schöne Appendektomie vorbereiten, und do kimmt sie und sagt, dös is alles an Schmarren und den Wurm, der koa Wurm is, den macht sie. Und sie dat no sticheln, und der Schwarzauer, der damische Depp, red’t ihr zua und moant, dös sei a sei Diagnosen und er dat ihr assistieren. Herr Winter, dös geht fei net!“

Professor Winter saß wie vom Donner gerührt. Dass Faulhaber polterte, bewertete er nicht über. Keiner kann schließlich aus seiner Haut!

Dass sich seine Stationsärztin Simon-Stoll einen akuten Blinddarm angeeignet hatte, fand er jedoch ein starkes Stück.

Und dass ihn heute morgen niemand informiert hatte, fand er noch stärker. Da musste er sich vom Chefarztkollegen der Chirurgie herunter rüffeln lassen und hatte von nichts eine Ahnung!

„Ich werde mich unverzüglich darum kümmern“, sagte er. „Im übrigen ist mir die Sache völlig unverständlich. Kollegin Simon-Stoll ist eine hervorragende Ärztin und genießt meine Wertschätzung. Wie lautete die Diagnose?“

Faulhabers Zorn war verraucht, nicht zuletzt wegen der Zusicherung, dass Professor Winter sich um den Vorfall kümmern werde. Wenn eine Aufregung abgeklungen war, redete er meist normal, und so sagte er, wenn auch etwas grimmig: „Da müssen Sie schon die hochgeschätzte Dame befragen. Den Wurm haben wir nicht wieder zu sehen bekommen.“

„Wir könnten auch Doktor Schwarzauer fragen, da die Diagnosen doch identisch waren.“ Professor Winter konnte sich diesen Vorschlag nicht verkneifen, denn Schwarzauer wirkte auf den Professor wie das berühmte rote Tuch auf den Stier.

Faulhaber bekam auch sofort einen roten Kopf und einen dicken Hals. „Verschonen S’ mich und nehmen S’ bittschön mehr Rücksicht auf meine Galle!“

Nun ja, dachte Professor Winter, Schwarzauers Diagnosen sind ein Kapitel für sich. Aber Simon-Stoll stellt doch exzellente Diagnosen!

Der Sache musste er nachgehen. Wegen der Verstimmung und überhaupt.

Er erhob sich. „Ich werde Sie informieren, Herr Professor.“

Faulhaber machte eine abwehrende Geste. „Tun Sie nicht so gschert, Herr Winter. Kollege, bitte nur Kollege. Das sind wir doch. Oder ich müsst Sie auch mit Professor anreden. Guten Tag, Herr Professor! Auf Wiedersehen, Herr Professor!' Klingt a bisserl blöd, meinen S’ nicht?“

Er brachte den Chefarzt der Gynäkologie an die Tür und verabschiedete ihn mit verbindlicher Herzlichkeit.

„Halten S’ mich nicht für einen Querulanten, weil ich so drauf dränge, dass die Zuständigkeiten respektiert werden. Am Ende operiert sonst jeder, wann es ihm grad passt und wen er zu fassen kriegt. Auch im Patienteninteresse ist das nicht wünschenswert.“

Professor Winter bekundete seine Zustimmung.

Dann starrte er noch ein paar Sekunden auf die Messingletter. Eben noch hatte der weißblaue Löwe seinem Namen alle Ehre gemacht, und übergangslos war er wieder der verträglichste Mensch!

Was Faulhaber im ersten Zorn von sich gab, durfte man tatsächlich nicht auf die Goldwaage legen, auch nicht den „gscherten Igel“ und den „damischen Depp“.

Von seinem Freund Albert wusste Professor Winter, dass Faulhaber im OP noch weit stärkeres Vokabular gebrauchte, ohne sich deswegen seine untergebenen Ärzte zu Todfeinden zu machen. Ein Bayer halt und ein vortrefflicher Operateur, dem niemand etwas vormachte.

4

Seit Professor Winter auf den Stuhl von Professor Frenzel gerückt war, leitete Dr. Simon-Stoll als Stationsärztin die Frauenabteilung. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sie dort jetzt wohl antraf.

Er legte sich ein paar Worte zurecht, um seine Missbilligung der gestohlenen Appendektomie auszudrücken.

Vor dem Ärztezimmer wirbelte ihm der „gscherte Igel“ buchstäblich in die Arme.

Verwirrt löste sich Dr. Simon-Stoll von ihm, strich sich die Zauselfrisur zurecht und sagte entwaffnend: „Ja, wie sagt man jetzt? Professor oder Herr Chefarzt? Guten Morgen auch. Fein, dass wir uns gleich treffen.“ Sie schaute ihn mit einem strahlenden Lachen an.

„Lassen wir es beim Kollegen, bitte. Zu Ihnen will ich gerade.“

„Ja?“ Sie war die Unschuld in Person.

„Ich komme eben aus der Chirurgie und durfte mir dort eine erbauliche Morgenandacht anhören.“ Er räusperte sich.

Das verstand sie. „Dann sind Sie in die Pfanne gekommen, wo eigentlich Doktor Schräder hineingehört? Oder geht es nicht um die falsche Appendicitis?“

„Es geht um den entzündeten Wurmfortsatz!“; bemerkte er mit Nachdruck. „Wieso falsch? Und wer ist Schräder?“

„Der böse Geist von Kollege Schwarzauer. Ich merke schon, ich muss Sie aufklären, gell?“

„Ich bitte sehr darum. Die ganze Sache missfällt mir.“

„Gehen wir besser rein und setzen wir uns!“, schlug Dr. Simon-Stoll vor. Aus der Teeküche waren zwei Schwestern getreten und sperrten die Ohren weit auf.

Im Ärztezimmer entdeckte Professor Winter wieder einmal mehr seinen Aschenbecher, der nur von Oberarzt Dr. Mittler verschleppt worden sein konnte.

Auffordernd blickte er seine Stationsärztin an.

„Die Berichte über die Vorfälle der Nacht liegen auf Ihrem Schreibtisch, auch der über die falsche Appendicitis, auf die sich die Chirurgie so versteift“, erklärte Dr. Simon-Stoll.

„Richtig, Sie hatten Nachtbereitschaft. Ich war noch nicht in meinem Zimmer.“

„Ja, dann!“, machte die Ärztin. Es klang eine Spur vorwurfsvoll. „Die Ambulanz brachte gegen Mitternacht eine Patientin mit Verdacht auf akuten Wurm. Schwarzauer und Schräder hatten unten Dienst. Schräder bestätigte die Diagnose des Hausarztes und wollte sofort die Appendektomie vornehmen.

Schwarzauer stellte die Gegendiagnose und rief mich an. Ein Glück. Der versteht von der Gynäkologie mehr, als die in der Chirurgie ahnen. Bei der Gelegenheit bekam ich mit, dass die meisten Fehldiagnosen, die Schwarzauer angelastet werden, auf die Kappe von Schräder gehen ...“

„Ich fürchte, Sie kommen vom Thema ab“, erinnerte Professor Winter. „Himmel, was wurde denn aus dem Wurm?“

„Kein Loslassschmerz, überhaupt nicht das typische Bild einer Appendicitis. Schwarzauer hat das sofort gemerkt, Schräder hat jedoch auf seiner Diagnose bestanden. Bis ich runterkam, war im Beisein der Patientin schon der schönste Streit im Gang. Es handelte sich tatsächlich um eine Pyosalpinx, wie Schwarzauer schon festgestellt hatte.“

„Und da haben Sie sich einfach den Fall genommen und mit Schwarzauer konspiriert!“

„Da gab es nichts mehr zu konspirieren, die Pyosalpinx war akut. Er hat sich als Assistent angeboten. Sollte ich ablehnen?“

Professor Winter bekam den vorsichtigen Blick. „Sie haben doch wohl nicht nur zu zweit die Laparotomie vorgenommen?“

„Kollege Zech und Hella, ich meine Doktor Pusch, sind uns zur Hand gegangen. Wechselschnitt rechts. Die Pyosalpinx war pflaumengroß. Schwarzauer hat sie in Spiritus gesetzt. Er meinte für alle Fälle.“

„Sein Weitblick sei gesegnet“, sagte Professor Winter trocken.

Dr. Simon-Stoll nickte wichtig. „Der Gedanke ist ihm bei dem Eingriff gekommen. Er hat ein bisschen aus der Schule geplaudert, und uns ist aufgefallen, dass Schräder ihn immer nur als Lückenbüßer und Prügelknaben einspannt. Es hat einige Zeit gedauert, bis wir ihm das begreiflich machen konnten. Er glaubt immer noch an das Gute im Menschen und stellt kollegiale Loyalität über alles.“

„Jetzt wohl nicht mehr, nachdem ihm meine Ärzte die Augen geöffnet haben“, seufzte Professor Winter. „Wo befindet sich das Präparat?“

„Im OP-Waschraum. Aber Schwarzauer braucht das selber“, sagte die Stationsärztin erschrocken. „Das wird sein erstes unwiderlegbares Beweisstück, dass nicht er die Pfeife, ich meine ...“