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Ich sicherte das Zimmer vollständig mit Dämonenbannern ab. Die blonde Fremde schaute mir verständnislos zu. »Es kann sein, dass noch mehr von diesen lebenden Leichnamen unterwegs sind«, erklärte ich. »Diese Zeichen werden Euch vor ihnen beschützen.« Als ich fertig war, setzte ich mich neben sie. »Wollt Ihr mir wohl Euren Namen nennen?« »Ich heiße Francesca«, erwiderte sie leise. Bevor ich fortging, strich ich ihr noch einmal zärtlich über das Haar und deutete auf ihren Bauch. »Wisst Ihr, wer der Vater ist?« »Ihr.« Die Diener der Schlangendämonen scheinen im Jahr 1642 allgegenwärtig zu sein. Sie bedrohen nicht nur Galileo Galilei, sondern auch Francesca, die Geliebte Matthias Trogers, die sein ungeborenes Kind unter ihrem Herzen trägt ...
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Was bisher geschah
FRANCESCA
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.
In seinem Kampf findet Dorian mächtige Verbündete – die Freimaurerloge der Magischen Bruderschaft; den Hermaphroditen Phillip, der stets in fremden Sphären zu leben scheint; den Steinzeitmenschen Unga, der einst dem legendären Weißmagier Hermes Trismegistos diente; den früheren Secret-Service-Agenten Donald Chapman, der von einem Dämon auf Puppengröße geschrumpft wurde; vor allem aber die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat und ihm einen Sohn, Martin, geboren hat. Aber die Dämonen bleiben nicht untätig: Es gelingt ihnen, mit dem Castillo Basajaun einen wichtigen Stützpunkt der Magischen Bruderschaft in Andorra zu zerstören. Damit bleibt Dorian als Rückzugsort nur noch die Jugendstilvilla in der Londoner Baring Road.
Bei Ausgrabungen in Israel wird der Angisus Nathaniel – ein »Engel« – entdeckt. Dieser will die Welt zerstören und wieder komplett neu aufbauen, doch ausgerechnet eine abtrünnige Artgenossin durchkreuzt seinen Plan. Nathaniel wird vernichtet. Einige Zeit später bringt Helena Riedberg sein Kind zur Welt: Larissa. – Nach Luguris Tod ruft Zakum potenzielle Kandidaten dazu auf, sich als neuer Fürst der Finsternis zu bewerben. Ken Harding, den die Dämonen versklavt hatten, um sich die Jugendstilvilla anzueignen, betreibt die Gründung eines eigenen Clans. Seine Angehörigen trinken das Blut von Dämonen und gewinnen dadurch magische Fähigkeiten. Der neue Clan nistet sich in der Jugendstilvilla ein.
Ein fremder Geist fährt in die junge Janet Coughlin und zwingt sie, kompromisslos gegen die Dämonen vorzugehen. Dorian erinnert sich an sein sechstes Leben: 1641 tauchte der geheimnisvolle Manannan mac Lir auf und führte Matthias Troger nach Florenz zu Galileo Galilei. Jener war der Ketzerei beschuldigt worden, um ihn daran zu hindern, die Verbindung zwischen den Jupitermonden und den Schlangendämonen aufzudecken.
von Dario Vandis
Träge, zähflüssig wie Blei strömten meine Gedanken zurück in die Gegenwart. Der Prozess im Jahre 1633 war eine Farce gewesen, das wussten die Historiker seit Langem. Die Kirche hatte Galileo vor einigen Jahren rehabilitiert. Doch niemand ahnte, dass nicht das Heilige Offizium oder etwa Papst Urban VIII. selbst die Ursache des unrühmlichen Prozedere gewesen waren, sondern Dämonen aus dem Mittelpunkt der Erde.
Ich schloss nachdenklich die Augen. Galileos Lebensgeschichte lag aufgeschlagen wie ein offenes Buch vor mir. Er hatte die Wasserwesen, die sich jedoch ebenso gut an Land bewegen konnten, als schuppige, übermannsgroße Wesen beschrieben, aus deren Körper unnatürlich glatte, knochenlose Gliedmaßen ragten. Und sie waren in der Lage, menschliche Tarngestalten anzunehmen.
»Ich habe noch nie von diesen Bestien gehört«, sagte ich mit rauer Stimme und blickte Janet Coughlin durchdringend an. Sie wusste etwas über diese Wesen – mehr als ich. Selbst Paolo Sarpi, Galileos alter Freund, hatte damals nur Bruchstücke des Geheimnisses enthüllen können. »Wer sind sie, woher stammen sie? Sind es Dämonen?«
»Zumindest etwas Ähnliches. Doch sie sind selbst nur Diener, das darfst du nicht vergessen. Die wirkliche Bedrohung geht nicht von ihnen aus.«
»Das reicht mir nicht«, entgegnete ich barsch. »Ich brauche handfeste Informationen!«
Sie zuckte nur die Schultern. »Die Schlangenbestien tauchen nur sporadisch auf. Im sechzehnten Jahrhundert soll schon einmal eine von ihnen in Florenz gewütet haben. Sie kommen aus dem centro terrae, einem Ort, der schauriger ist als alles, was der menschliche Verstand ersinnen kann. Nicht einmal die Dämonen der Schwarzen Familie trauen sich dorthin – ganz zu schweigen davon, dass niemand von ihnen einen Zugang kennt.«
»Warum sind sie dann nicht hier?«, erkundigte ich mich. »Wenn sie so unendlich große Macht besitzen, warum haben sie die Schwarze Familie nicht längst ausgerottet und an ihrer Stelle die Herrschaft über die Menschen übernommen?«
Janet atmete tief ein und schloss die Augen. Dann antwortete sie: »Das Schicksal der Menschen kümmert sie nicht. Außerdem ist es auch für sie nicht leicht, unsere Welt zu erreichen. Die Zugänge sind versperrt – auch von der anderen Seite. Ich kann dir keine näheren Auskünfte geben, da ich auch nicht alles weiß.«
Ich zog sofort die richtigen Schlüsse. »Dennoch weißt du sehr viel. Du bist ein Geist, nicht wahr? Du bist nicht Janet Coughlin, sondern hast dich nur in ihrem Körper eingenistet.«
Das Mädchen nickte schwach.
»Wer bist du dann?«, fragte ich. »Etwa Galileo?«
Sie schüttelte den Kopf. »Galileo ist tot. Seit über dreihundertfünfzig Jahren.« Sie stocherte mit einem Ast in der Glut herum. Sofort flackerte das Feuer an einigen Stellen wieder auf. »Aber wir sollten nicht länger von Vergangenem reden. Die Gegenwart ist das, was zählt. Die Schlangenbestien sind wieder auf dem Vormarsch. Eine von ihnen schickt sich an, das Tor zur Wirklichkeit zu öffnen. In einer kleinen Bucht in der Nähe von Drogheda, während einer Schwarzen Messe. Das darf nicht geschehen.«
»Soll das heißen, die Menschen, die du ermordet hast, waren Dämonendiener?«
»Sie sollen die Rückkehr der Nereide vorbereiten, ja.«
»Der Nereide?«
»So werden die weiblichen Schlangendämonen genannt. Bei den männlichen spricht man von Tritonen.«
Langsam begann ich zu verstehen. »Wie kann ich diese Nereide töten?«
»Du brauchst den Feuerkuss«, erklärte sie. »Nichts anderes ist gegen diese Bestien nütze.«
»Wo finde ich ihn? Was ist der Feuerkuss?«
Sie antwortete nicht, sondern hob nur überrascht die Hand, als ob sie einer fremden, für mich unhörbaren Stimme lauschte. »Ich muss fort – jetzt gleich«, sagte sie dann. »Vielleicht sehen wir uns schon bald wieder. Versuche gar nicht erst, mich aufzuhalten. Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, Dämonenkiller.«
Ich hegte jedoch keinesfalls die Absicht, sie einfach gehen zu lassen. Sie gehörte zurück in die Klinik, vielleicht sogar in eine geschlossene Anstalt.
Doch der fremde Geist in ihr schien mächtiger zu sein, als ich gedacht hatte. Gerade streckte ich die Hand aus, um Janet am Ärmel zu fassen, als sie und Tadeusz vor meinen Augen wie ein Nebelstreif verblassten.
Ich griff verdutzt ins Leere.
Von einer Sekunde zur anderen saß ich allein mit Coco da. Nur die glimmenden Holzscheite waren zurückgeblieben und bezeugten, dass das Gespräch mit dem Mädchen nicht meiner Einbildung entsprungen war. An der Stelle, an der sie vorhin gesessen hatte, lag ein jetonartiges Plättchen von karmesinroter Farbe auf der Erde, durch dessen gläserne Struktur bei genauerem Hinsehen der monströs geschuppte Leib eines Schlangenwesens schimmerte.
Ich blinzelte erschrocken, als ich eine Berührung am Arm spürte.
Die ehemalige Hexe war aus ihrer Starre erwacht. Verwundert rieb sie sich die Augen und blickte auf das verloschene Lagerfeuer. »Was ist passiert?«, fragte sie leise und richtete sich auf. »Das Feuer – eben brannte es doch noch. Wohin ist Janet verschwunden?«
»Sie ist gegangen, ohne uns zu fragen«, erwiderte ich langsam und trat die Glut aus. Dann reichte ich Coco das münzgroße Plättchen. »Es fühlt sich an wie ein Spieljeton. Galileo empfing ein ähnliches Stück im Laufe des Inquisitionsprozesses von seinen Gegnern. Vielleicht ist es sogar dasselbe. Kannst du damit etwas anfangen?«
Sie musterte das Plättchen ratlos und drehte es einige Male zwischen den Fingern. »Eine seltsame magische Ausstrahlung geht davon aus, ähnlich wie in der Hollister-Villa. Allerdings habe ich ein ähnliches Stück noch nie in meinem Leben gesehen.«
»Wäre ja auch zu schön gewesen«, erwiderte ich verstimmt.
Wir machten uns schweigend auf den Heimweg.
Am Abend des nächsten Tages fanden wir uns wie verabredet zum Abendessen bei der Witwe Hollister ein. Auch ich spürte jetzt den düsteren Hauch, der von dem Gebäude ausging und den Coco mir vorgestern in allen Einzelheiten zu beschreiben versucht hatte. Da hier jede Menge Ghoule ein und aus zu gehen schienen, war der Geruch erklärlich.
Wir stiegen die Stufen zur Veranda zwischen den beiden Marmorsäulen hinauf und klingelten an der Tür. Es dauerte einige Zeit, bis uns geöffnet wurde. Ein Mann, den weder Coco noch ich auf der Beerdigung gesehen hatten, erschien im Türrahmen und ließ uns ein. Seine blasse Miene machte mich glauben, hier vielleicht einem weiteren Leichenfresser gegenüberzustehen. Doch die typische üble Geruchswolke blieb aus. Er geleitete uns in einen Empfangsraum und forderte uns auf, in zwei mit roter Seide bezogenen Polstersesseln Platz zu nehmen.
»Mrs. Hollister wird sogleich erscheinen und Sie in den Speisesaal bitten«, erklärte er mit tiefer Stimme und zog sich gleich darauf in einen Nebenraum zurück.
Ich warf Coco einen kurzen fragenden Blick zu, doch sie schüttelte den Kopf. »Das war kein Dämon«, sagte sie, »sondern ein Untoter. Genau wie Brad Hollister.«
Das ganze Haus schien ein Dämonenhort zu sein.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, durch die der Wiedergänger kurz zuvor verschwunden war, und die Witwe betrat den Raum. Sie trug ein dezentes, dunkelrotes Kleid mit einem kleinen Ausschnitt, das mir fast ein wenig gewagt erschien. Überhaupt ließ sie sich ihre Trauer nicht anmerken, sondern begrüßte uns mit einem bemerkenswert offenen Lächeln, das Coco unter Aufbietung ihres schauspielerischen Talentes erwiderte.
Ich gab der Witwe nur kurz die Hand. »Mein Beileid«, sagte ich wenig überzeugend.
Sie winkte ab und tat, als habe sie die Spitze nicht bemerkt. »Sprechen wir heute nicht davon. Darf ich Sie beide in den Speisesaal bitten?« Ohne unsere Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und verließ den Raum.
Coco und mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Wir betraten einen prunkvollen Raum. An den Wänden hingen kostbare, messinggerahmte Spiegel und unzählige Gemälde, nach denen sich gewiss jedes Kunstmuseum die Finger geleckt hätte. Dazwischen zwei kleine Gobelins, auf denen mittelalterliche Kriegsszenen abgebildet waren. Im Zentrum des Saals befand sich eine große hölzerne Tafel, die bereits drei Gedecke trug. Nachdem wir Platz genommen hatten, servierte der Bleichhäutige, der uns die Tür geöffnet hatte, das Essen. Es war Fisch, ich hatte es bereits geahnt. Coco konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während ich mich mit Leichenbittermiene über mein Essen hermachte. Milla Hollister tat, als bemerke sie meine Grimasse nicht.
»Sie sind Engländer, wie ich Ihrem Akzent entnehme«, meinte die Witwe schließlich, nachdem wir das Essen beendet hatten. »Was treibt Sie nach Clenwan?«
»Wir sind mit Tadeusz Coughlin befreundet«, erklärte Coco. »Er bat uns vorbeizukommen, weil seine Tochter an einer mysteriösen Krankheit leide, die sie seit Wochen ans Bett gefesselt halte.«
Milla Hollister hob die Brauen. »Janet Coughlin? Meine Güte, das mit ihrer Mutter tut mir leid. Wie konnte nur so etwas Furchtbares passieren?«
Coco zuckte die Achseln. »Ist es nicht so, dass Janet sich während der letzten Wochen oft mit Ihrem Mann getroffen hat?«
Eine Sekunde lang herrschte atemlose Stille. Doch Milla Hollister schien die Bemerkung nicht übel zu nehmen. Im Gegenteil, sie nickte und erwiderte mit einem verklärten Lächeln auf den Lippen: »Ja, das stimmt. Er hegte eine besondere Zuneigung zu dem Mädchen. Ich möchte ihm jedoch keine unlauteren Absichten unterstellen. Die Nähe Janets tat ihm gut. Sobald sie aufgrund ihrer Krankheit zu Hause bleiben musste, verfiel er sichtlich.«
Ich hatte keine Ahnung warum, aber irgendwie war ich mir sicher, dass sie uns belog. Zumindest was die Gelassenheit anging, mit der sie die Beziehung zwischen ihrem Gatten und Janet Coughlin verfolgt haben wollte. Hatte sie als seine Frau nicht um ihr Erbe fürchten müssen? Wenn man Trevor Sullivan Glauben schenken konnte, war der alte Mann sein ganzes Leben lang sprunghaft und schwer berechenbar gewesen. Warum hätte sich dies so kurz vor seinem Tode ändern sollen? Als ich Milla Hollister aus den Augenwinkeln musterte, glaubte ich, unter ihrer aufgesetzten Miene tatsächlich eine Spur von Bitterkeit zu erkennen.
»Sie müssen meinen Mann verstehen«, sagte sie. »Er wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Wie konnte ich ihm da die Begegnungen mit Janet, die er leidenschaftlich verehrte, übel nehmen?«
»Sie hatten also eine Liebesbeziehung miteinander?«, fragte ich.
Die Witwe zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte sie mit kühler Stimme. »Aber glauben Sie mir, es interessiert mich nicht im Geringsten. Ich möchte Brad so in Erinnerung behalten, wie ich ihn über Jahre hinweg erlebt habe. Als treuen, fürsorglichen Ehemann. Seine Eskapaden sind für mich nicht von Bedeutung.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Bleichhäutige erschien. Er trat an den Tisch heran, beugte sich zu Milla Hollister herab und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
»Entschuldigen Sie«, meinte sie kurz darauf und tupfte sich mit ihrer Serviette den Mund ab. »Ein dringender Anruf. Ich bin sofort zurück.« Sie schob den Stuhl nach hinten, erhob sich und folgte ihrem Diener ins Nebenzimmer.
Ich wartete, bis der Bleichhäutige die Tür geschlossen hatte, dann beugte ich mich zu Coco hinüber und sagte mit gesenkter Stimme: »Diese Tränendrüsenstory nehme ich ihr nicht ab. Was ist mit den Untoten und den Ghoulen? Hast du eine Erklärung dafür?«
»Im Augenblick nicht«, entgegnete sie leise.
Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch da näherten sich bereits wieder Schritte, und die Witwe kehrte an den Tisch zurück.
»Ich bitte Sie nochmals um Entschuldigung für diese Störung«, sagte sie, um dann sogleich einen kurzen Blick auf unsere Teller zu werfen. »Ich hoffe, es hat Ihnen geschmeckt. Wenn Sie fertig sind, würde ich Ihnen gern die Sammlung meines Mannes zeigen. Sie enthält einige Stücke von hohem kulturgeschichtlichem Wert, die Sie bestimmt interessieren werden.«
»Nur zu gern«, entgegnete ich und stand auf. Wir folgten der Witwe in die hinteren Räume des Hauses. Ich war gespannt, was uns dort erwarten würde. Wir erreichten den Saal und folgten dem Hauptgang, zu dessen Seiten sich mannshohe Schränke und Glasvitrinen aufreihten, in denen Steinwerkzeuge und andere vorgeschichtliche Gegenstände aufbewahrt wurden. Aufmerksam ließ ich meinen Blick über die Schreine gleiten. Ich vermutete, dass es sich bei den Objekten darin um keltische Fundstücke handelte. Magische Zeichen oder eine entsprechende Ausstrahlung suchte ich bei ihnen jedoch vergebens. Am Ende des Ganges erreichten wir eine Vitrine, in der sich einige steinerne, tellerähnliche Gebilde befanden, in deren Oberfläche Runen des englischen Futhorc eingemeißelt waren. Gerade deswegen zweifelte ich aber daran, dass die Gegenstände tatsächlich von archäologischem Wert waren. Runen waren bei den Kelten kaum verbreitet gewesen. Die meisten Stämme hatten keinerlei Schrift gekannt, und die mündliche Überlieferung hatte einer Art Bildungselite obliegen, welche sich äußerlich wie innerlich vom Rest der Bevölkerung abzugrenzen verstand. Sie bestimmte maßgeblich das Zusammenleben innerhalb eines Stammes, war für Juristerei genauso wie für Kriegsführung oder medizinische Behandlungen verantwortlich gewesen.
Meine Überlegungen stockten, als ich zwischen den Tongefäßen einen metallenen Silberkessel erblickte. In seine Oberfläche waren ebenfalls unzählige Schriftzeichen eingeprägt, die ich jedoch nicht zu entziffern vermochte. Auch Coco, die in der Runenkunde wesentlich besser bewandert war, zuckte nur die Schultern.
»Es ist bis heute keinem Archäologen gelungen, diese Zeichen als Schrift zu interpretieren«, meinte Milla Hollister, nachdem sie meine Blicke bemerkt hatte. »Aber ehrlich gesagt haben sich auch noch nicht allzu viele daran versucht. Die meisten Gegenstände aus diesem Raum gehören dem kulturgeschichtlichen Museum in Drogheda. Sie werden wegen mangelnder Kapazitäten hier zwischengelagert.«
»Es sind Runen, daran besteht kein Zweifel«, bemerkte ich und trat näher an die Vitrine heran. »Allerdings ergeben sie keinen Zusammenhang. In Form und Gestaltung erinnert das Gefäß ein wenig an den Silberkessel von Gundestrup, der vor einigen Jahren in Skandinavien gefunden wurde.«