E-Book 291-300 - Friederike von Buchner - E-Book

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Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. E-Book 1: Simons zweiter Versuch ... E-Book 2: Erwachende Gefühle E-Book 3: Geht ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung? E-Book 4: Gemeinsam ins Glück! E-Book 5: Ein überraschender Besuch … E-Book 6: Wendy spielt Hochzeiterin! E-Book 7: Findet Wendy die richtigen Worte? E-Book 8: Tanja kehrt heim E-Book 9: Eine Verlobung zum Träumen E-Book 10: Endlich ist es soweit …

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Inhalt

Simons zweiter Versuch ...

Erwachende Gefühle

Geht ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung?

Gemeinsam ins Glück!

Ein überraschender Besuch …

Wendy spielt Hochzeiterin!

Findet Wendy die richtigen Worte?

Tanja kehrt heim

Eine Verlobung zum Träumen

Endlich ist es soweit …

Toni der Hüttenwirt – Staffel 30 –

E-Book 291-300

Friederike von Buchner

Simons zweiter Versuch ...

Gibt es nicht immer eine zweite Chance?

Roman von von Buchner, Friederike

Franziska schrubbte die Milchkammer. Ein Motorengeräusch drang an ihr Ohr. Eigentlich hatte sie den Lernstoff für die Prüfung über Kopfhörer hören wollen, aber die Batterie des Geräts war leer.

Sie stellte den Putzeimer hin und ging hinaus.

Ein Jeep kam den Weg herauf, er hielt und Hella stieg aus.

»Guten Tag, Franziska!«

»Grüß Gott, Hella! Neues Auto?«

»Nicht ganz neu. Ein kleiner Geländewagen ist für die Berge besser geeignet, als der Sportwagen.«

»Das stimmt.«

»Ich habe ihn heute Morgen abgeholt. Da dachte ich mir, ich fahre in die Berge und teste ihn.«

»Und?«

»Er schnurrt wie ein Brummbär«, lachte Hella.

»Lukas ist nicht da. Überhaupt ist niemand da, außer mir. Die Meiningers sind zur Genossenschaft gefahren. Ronja reitet.«

»Du bist doch hier. Das reicht.«

»Freut mich, dass du das so siehst. Es gab eine Zeit, da gingen wir uns aus dem Weg, Hella.«

»Das ist Schnee von gestern. Hast du einen Kaffee?«

»Sicher, aber du musst ihn selbst machen. Gehe ruhig rein. Ich habe leider keine Zeit.«

»Was machst du?«, fragte Hella.

»Ich bringe die Milchkammer auf Hochglanz. Aber daran liegt es nicht. Ich bin unter Zeitdruck. Mit Simon und Eva habe ich vereinbart, dass ich die nächsten beiden Wochen nur halbe Tage arbeite, nur vormittags, aber auch an den Wochenenden. In der Zeit muss ich alle Arbeit auf dem Hof bewältigen. Ich fange morgens jetzt schon drei Stunden früher an.«

»Himmel, das ist mitten in der Nacht!«, entfuhr es Hella.

»Du übertreibst«, sagte Franziska. »Doch auf diese Weise habe ich am Nachmittag frei und kann büffeln.«

»Ist die ganze Arbeit in der Zeit zu schaffen?«

»Wenn ich mich ranhalte. Deshalb habe ich keine Zeit, mit dir zu plaudern. Jede Minute ist kostbar.«

»Wenn du noch eine Jeans und Gummistiefel hast, helfe ich dir.«

Franziska schaute Hella überrascht an und hob ungläubig die Augenbrauen. »Wirklich?«, fragte Franziska.

»Ja, warum nicht? Und anschließend trinken wir einen Kaffee zusammen. Ich weiß, dass ich nicht so gut wie du bin. Falls ich etwas falsch mache, dann sage es mir. Ich habe in praktischen Sachen nicht viel Erfahrung. Gib mir einfache Aufgaben!«

»Dir scheint es ernst zu sein«, staunte Franziska.

»Sicher, es war kein Scherz.«

»Okay, suche dir etwas zum Anziehen, oben in meinem Zimmer. Gummistiefel stehen hinter der Haustür.«

»Prima, dann bis gleich. Und was kann ich machen?«

Franziska überlegte kurz. »Traust du dir zu, den Hühnerstall zu säubern?«

»Klar, du musst mir nur genaue Anweisungen geben.«

»Das werde ich. Ich bin in der Milchkammer«, sagte Franziska und ging. Dabei dachte sie, das ist eine ganz neue Hella.

Es dauerte nicht lange, dann kam Hella. Sie hatte sich aus Franziskas Kleiderschrank eine Jeans genommen, dazu eine Bluse mit kurzem Arm. Ihre langen blonden Haare versteckte sie unter einem Kopftuch, das sie im Nacken zusammengeknotet hatte.

»Fesch schaust du aus, Hella, wie ein Madl aus Waldkogel.«

»Die Stiefel waren mir etwas zu groß. Ich habe zwei Paar Socken angezogen.«

»Na, dann können wir ja loslegen.«

Franziska ging mit Hella zum Hühnerstall. Sie erklärte ihr, was zu tun war. Alles Stroh musste aus den Nestern entfernt und die Nester gesäubert werden. Die Sitzstangen mussten abgebürstet und der Boden gekehrt werden.

»Am Schluss füllst du die Nester mit frischem Stroh«, erklärte Franziska. »Wirf den Hühnern, am Ende des Auslaufs, reichlich Futter hin, dann laufen sie dir nicht zwischen den Beinen herum.«

»Mache ich!«, sagte Hella und nickte. Sie fing sofort damit an.

Sie war fast damit fertig, als Franziska kam.

»Ich muss nur noch Stroh in die unteren Nester geben«, sagte Hella. »Dann bin ich fertig. Bist du zufrieden?«

Franziska schaute sich um. »Gut gemacht!«

Hella erklärte, dass sie noch nie einen Hühnerstall gesäubert hatte.

»Oh, dafür hast du es sehr gut gemacht. Du hast mir damit eine Menge Zeit erspart. Ich gehe schon mal vor und mache Kaffee.«

»Fein, ich komme gleich nach.«

Zwischen den beiden jungen Frauen keimte eine zarte Freundschaft auf. Das wäre vor Wochen undenkbar gewesen.

Kurz darauf kam Hella in die große Wohnküche des Bichler Hofs. Franziska hatte Kaffee gemacht und eine herzhafte Brotzeit gerichtet.

»Setz dich!«, sagte Franziska und schenkte Kaffee ein.

Sie hatten Hunger und griffen zu.

»Du bist sehr ehrgeizig, Franziska. Ich kenne niemand, der so viel und intensiv für eine Prüfung lernt.«

Franziska lächelte. »Von nichts kommt nichts! Du weißt, dass mir der halbe Hof gehört und später werde ich ihn ganz übernehmen, irgendwann. Sebastian wird lieber Hüttenwirt. So ist alles bestens geregelt. Sebastian wird die Berghütte weiterführen, Wendy die Alm und ich den Bichler Hof. Aber darüber werden noch Jahre vergehen. Trotzdem bin ich mir der Verantwortung bewusst, was es heißt, hier Bäuerin zu sein.«

»Du machst das bestimmt sehr gut«, lobte sie Hella. »Du bist eine Vollblutlandwirtin.«

Franziska lachte. »Ich muss noch viel lernen. Weißt du, man trifft nicht immer im Leben die richtigen Entscheidungen. Dann muss man Umwege machen.«

Hella sah Franziska erstaunt an. »Wie meinst du das?«

Franziska trank einen Schluck Kaffee. Sie errötete. »Es war dumm von mir, die Schule abzubrechen. Ich hätte Abitur machen sollen, wie Lukas, und dann studieren. Aber es ist zu spät, etwas zu bedauern. Auf jeden Fall will ich gut abschneiden, bei der Prüfung.«

»Das wirst du, Franziska. Davon bin ich überzeugt. Es gibt heute viele Möglichkeiten, eine Ausbildung nachzuholen. Man kann sogar über Fernkurse studieren. Da werden spezielle Studiengänge angeboten, für Leute, die zuerst eine Lehre gemacht haben.«

»Da kenne ich mich nicht so aus. Danke für den Tipp! Ich werde mich nach meiner Prüfung damit befassen. Immer einen Schritt nach dem anderen.«

»Richtig, das gefällt mir an dir, Franziska. Du bist so bodenständig. Ich kann mir gut vorstellen, wie du später hier Bäuerin sein wirst. Bedauere deine Entscheidung nicht! Du hattest die Schule abgebrochen, weil du in Lukas’ Nähe und hier auf dem Bichler Hof sein wolltest. Seid ihr euch jetzt nähergekommen?«

Franziska warf Hella einen tadelnden Blick zu.

»Hella, sprich bitte nicht von Lukas! Okay? Er ist wieder aufmerksamer und sucht mehr meine Nähe. Er ist wie früher, bevor du hierher kamst. Wenn ich mal abends hier bin, reden wir miteinander. Er hat mir angeboten, den Prüfungsstoff abzufragen. So sitzen wir meistens am Sonntag zusammen. Irgendwann …«, Franziska seufzte und brach den Satz ab. »Reden wir von etwas Anderem!«

»Ganz wie du willst. Wenn ich Lukas ein wenig antreiben soll, damit er endlich Farbe bekennt, dann sage es mir.«

»Nein, bitte nicht!«, brach es heftig aus Franziska hervor.

»Okay, meine Lippen sind versiegelt. Das schwöre ich dir.«

Franziska und Hella aßen schweigend weiter.

Hella sah etwas nachdenklich aus. Nach einer Weile kramte sie ihren Terminkalender hervor und blätterte eifrig darin. Sie fragte Franziska nach ihrem Prüfungstermin und trug ihn ein.

»Franziska, ich bin am Überlegen. An zwei Tagen könnte ich dich den ganzen Tag vertreten und an zwei weiteren Tagen wäre es mir möglich, gegen Mittag hier zu sein. Das hängt auch davon ab, wie stark der Verkehr ist.«

Franziska schaute Hella erstaunt an. »Was meinst du damit?«

»Was ich gesagt habe: Ich könnte dich vertreten. Dann hast du mehr Zeit, dich auf die Prüfung vorzubereiten. Du kannst dir Urlaub nehmen.«

Franziska starrte sie so erstaunt an, dass Hella lachen musste. »Du müsstest jetzt mal dein Gesicht sehen.«

»Ich bin nur überrascht«, sagte Franziska.

Hella ließ nicht locker. »Hast du noch Urlaub zu bekommen?«

Franziska dachte nach. »Ja, ich denke, ich habe noch Resturlaub.«

»Dann steht dem doch nichts im Weg.«

Franziska steckte eine blonde Haarsträhne unter ihr Kopftuch. »Also …, also …, ich meine …, warum willst du das tun?«, stotterte Franziska.

»Blöde Frage! Warum nicht? Ich habe Zeit, und du brauchst ungestörte Zeit zum Lernen. Ich helfe dir gern.«

»Was wird Justus dazu sagen?«, fragte Franziska.

»Justus ist nicht da. Er ist in Spanien und beaufsichtigt das Einreiten von Wildpferden. Er hat darin ein sehr geschicktes Händchen. Sie ordern ihn jedes Jahr, solange er es noch macht.«

»Will er denn aufhören?«, staunte Franziska.

»Sicher, wenn wir verheiratet sind, dann ist es damit vorbei. Wir wollen Kinder. Sie sollen beide Elternteile haben. Dann wäre es nicht gut, wenn der Vater in der Welt herumgondelt und Pferde einreitet. Es ist besser, er ist daheim und spielt ›Hoppe-hoppe-Reiter‹ mit den Kindern.« Hella lächelte. »Natürlich hatte Justus viele Angebote, für Jahre im Voraus. Er hat sie alle abgelehnt, obwohl man ihm viel mehr Geld geboten hat, als bisher.«

»Eigentlich müsste jedem einleuchten, dass die Familie vorgeht«, bemerkte Franziska.

»Dass wir heiraten, hat Justus ja noch nicht offiziell verkündet. Er sagte, er wolle sich mehr um das Gut und die Zucht kümmern. Du weißt doch, dass wir unsere Vermählung geheim halten, wegen der Presse.«

»Ja, ihr habt davon erzählt.«

»Also, was ist nun, Franziska? Nimmst du mein Angebot an?«, fragte Hella wieder.

»Das hängt nicht nur von mir ab, Hella. Die Meiningers müssen zustimmen.«

»Das ist richtig. Aber was sollten sie dagegen haben?«

Franziska zuckte mit den Schultern.

Hella nickte eifrig. »Wir werden sie einfach fragen, Franziska. Oder ich frage sie. Soll ich?«

»Mm, klingt gut. Ich bin immer noch verwundert, Hella«, sagte Franziska.

»Also höre mal, ich werde es dir erklären. Ich interessiere mich wirklich für Landwirtschaft, in allen Formen und Bereichen, und deshalb wollte ich mein Praktikum auf einem Hof machen, der kleiner ist, als der meiner Eltern. Nach dem ganzen Ärger bat mich Lukas, von dem Praktikum abzusehen. Das habe ich auch eingesehen. Aber so könnte ich dir helfen und hätte für mich auch einen Nutzen davon.«

»Klingt irgendwie logisch«, sagte Franziska leise.

»Und die Meiningers müssen mir dafür nichts geben. Ich will keine Bezahlung. Das ist ein Freundschaftsdienst, Franziska, für dich. Ich mache das wirklich gern. Das kannst du mir glauben.«

Franziska trank einen Schluck Kaffee. Sie legte das Messer auf den Teller und schob ihn zur Seite.

Hella wartete geduldig. »Was denkst du Franziska? Was spricht dagegen? Sage es, falls dich etwas stört. Was sind deine wirklichen Vorbehalte? Du hast Zweifel. Gib es zu!«

Franziska schmunzelte zuerst. Dann brach sie in lautes Lachen aus.

Hella war erstaunt. »Warum lachst du? Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte Hella nach.

Franziska versuchte, Hella zu beruhigen. Es sei alles in Ordnung, sagte sie zwischen weiterem Gekicher.

Hella wurde leicht ungehalten. »Was hast du? Rede schon! Du lässt mich im Regen stehen.«

Franziska legte ihre Hand auf Hellas Unterarm. »Entschuldige bitte! Mein Gekicher hat nichts mit dir zu tun. Mir kam nur so ein Gedanke. Und deshalb musste ich lachen.«

»Welcher?«, fragte Hella. Ihre Stimme klang sehr herausfordernd.

»Okay! Ich habe an Ronja gedacht. Hella, was wird sie dann wieder anstellen? Was für wilde Ideen wird sie ausbrüten?«

»Oh ja«, sagte Hella, es klang wie ein Seufzer.

Sie lachten.

»Ich weiß, Franziska. Sie wird denken, ich will dich vertreiben und vertrete dich nur, um mir doch noch Lukas zu angeln.«

Sie lachten wieder.

»So etwas wird es sein«, sagte Franziska. »Ronja ist unberechenbar. Trotzdem mag ich sie. Ich hoffe, sie wird bald erwachsener und hört mit diesen nervigen Kindereien auf.«

Hella goss sich Kaffee nach und trank. Sie schwieg einen Augenblick. Dann grinste sie Franziska an. »Ich habe eine Idee, Franziska. Damit Ronja keine Gelegenheit hat, Unsinn anzustellen, muss sie aus dem Weg.«

»Wie meinst du das?«

»Schau nicht so, Franziska. Wir beide wissen, wie schwer Ronja zu bremsen ist.«

»Das stimmt! Sie kann Tausend Mal und mehr versprechen, dass sie keinen Unsinn macht. Aber im nächsten Augenblick heckt sie etwas Neues aus.«

»Genauso ist es. Deshalb muss Ronja fort. Es sind doch Ferien?«

»Ja, auf was willst du hinaus?«

»Ronja könnte Edeltraud besuchen«, schlug Hella vor.

»Du meinst, das ist möglich?«

»Sicherlich«, sagte Hella, mit viel Überzeugung. »Vorausgesetzt, die Meiningers erlauben es.«

»Ronja spricht jeden Tag davon, dass Justus sie eingeladen hat, seine kleine Schwester Edeltraud zu besuchen. Deshalb steckt sie ihr gesamtes Taschengeld in Reitunterricht. Sie ist sehr oft auf dem Reiterhof. Sie will ihren Stil verbessern, wie sie sagt. Sie möchte sich nicht vor Edeltraud blamieren.«

»Dann werde ich bei ihr offene Türen einrennen. Und die Fahrt, die organisiere ich auch. Am Wochenende ist hier im Alpenvorland ein Turnier. Unser Gestüt ist dort gut vertreten. Ronja kann mit einem der großen Pferdetransporter fahren. Ich hole sie hier ab und bringe sie zum Turnierplatz. Ich denke, sie wird begeistert sein, das Turnier zu erleben. In meiner Begleitung wird sie keine gewöhnliche Besucherin sein. Sie kann mit zu den Boxen kommen. Nach dem Urlaub wird Justus sie zurückbringen, wenn er mich in München besucht.«

»Ich dachte, Justus sei in Spanien?«

»Ja, das ist er. Aber nur noch etwas mehr als eine Woche. Also, was ist, Franziska? Bist du bei dem Komplott dabei?«

Franziska trank einen Schluck Kaffee. Sie dachte nach. »Ronja sollte zuerst in Urlaub geschickt werden, bevor du hier tätig wirst«, gab Franziska zu bedenken. »Nicht, dass sie es ablehnt, zu fahren. Okay, das klingt unwahrscheinlich. Doch bei ihr weiß man nie.«

»Da stimme ich dir zu.«

Hella erzählte, dass sie jeden Abend lange mit Justus telefoniere. Sie werde ihm alles erklären. Justus würde das schon geschickt einfädeln. Hella stellte sich vor, dass Edeltraud und Justus’ Familie Ronja einladen. Edeltraud könnte Ronja eine Einladung mailen. Dann könnten die Meiningers und die von Hovenwiks telefonieren. Ronja und den Meiningers gegenüber, lassen wir kein Wort verlauten, dass ich dich vertreten will, erst, wenn die Sache unter Dach und Fach ist. Ich bin sicher, Justus' Familie ist froh, wenn Edeltraud Gesellschaft hat. Das wird schon, dessen bin ich mir absolut sicher, Franziska. Ich werde die Meiningers ansprechen, wenn Ronja im Pferdetransporter sitzt.«

Franziska lächelte und seufzte. »Mir gefällt der Gedanke, dass Ronja in Urlaub fährt. Weißt du, sie belauert Lukas und mich. Ich habe schon oft gedacht, dass Lukas so zurückhaltend ist, weil immer Ronja in der Nähe ist.«

»Das ist durchaus möglich. Also, ich an seiner Stelle würde mein Madl auch nicht küssen, wenn das neugierige Schwesterlein hinter dem nächsten Busch lauert«, sagte Hella. »Schließlich ist eine Liebeserklärung eine intime Sache zwischen zwei Menschen. Ich habe darin etwas Erfahrung. Justus und ich haben anfangs unsere Liebe auch versteckt. Wie du weißt, waren wir lange Zeit gute Freunde, bis die Liebe keimte. Wir mussten das für uns erst einmal sortieren, die Gefühle, die wir plötzlich füreinander hatten. Wir waren vorsichtig. Justus erlebte mit Edeltraud auch so einiges, was er gar nicht lustig fand. Ich bin Einzelkind. So kann ich nicht wirklich wissen, wie es ist, Geschwister zu haben. Wie ist das bei Sebastian und dir? Und wie ist es jetzt, da Wendy noch hinzukam?«

Franziska dachte einen Augenblick nach.

»Sebastian und ich, wir haben immer zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Er hat immer alles getan, was in seiner Macht stand, damit es mir gut ging. Anna und Toni waren und sind wunderbare Eltern. Aber Sebastian schlüpfte in eine besondere Rolle, die Rolle des großen, fürsorglichen Bruders. Das ist auch verständlich, nach dem Unfalltod unserer leiblichen Eltern. In der Schule erlebte ich oft, wie ältere Brüder ihre jüngeren Schwestern ärgerten und wenn sie sich nur einen Spaß erlaubten. Sebastian und ich waren eng mit den Kindern aus dem Forsthaus befreundet. Wir übernachteten oft bei Ulla und Paul Hofer im Forsthaus. Paul war nicht der liebevolle Bruder, wie Sebastian. Er meinte es zwar nicht böse, er war einfach anders. Ich gebe dir ein Beispiel. Wenn wir im Wald waren und ein Gebirgsbach uns den Weg versperrte, dann zog Sebastian seine Schuhe aus. Er trug mich hinüber, damit ich keine kalten Füße bekam. Paul hat das für Ulla nie gemacht.«

»Das hört sich wirklich liebevoll an«, sagte Hella.

»So ist es bis heute geblieben. Mein Wohl liegt Sebastian sehr am Herzen.«

»Und wie hat sich Wendy in eure verschworene Gemeinschaft eingefügt?«

Franziska lachte. »Oh, Hella, als ich hörte, dass Wendy Tonis leibliches Kind ist, war ich sehr, sehr eifersüchtig. Ich benahm mich total daneben. Heute schäme ich mich dafür. Aber es war ein Schock für mich. Es kam auch daher, dass ich zufällig Zeugin eines Gesprächs wurde, das nicht für meine Ohren bestimmt war. Ich fühlte mich zurückgesetzt. Aber Wendy sah es mir nach. Außerdem hat sie einen lieben und guten Charakter und sie hat Geduld. Toni und Anna haben sie mit offenen Armen aufgenommen. Vieles an ihr erinnert mich an Toni. Bald mochte ich sie wirklich gern. Und heute ist es so, dass ich oft vergesse, dass sie erst später zu uns gekommen ist. «

»Ich fand Wendy auch sehr nett, als ich sie neulich auf der Alm kennenlernte. Du bist gut dran, eine ältere Schwester zu haben, Franziska.«

»Ja, das habe ich auch erkannt. Zu Wendy kann ich immer kommen, gleich was mir auf dem Herzen liegt. Sie hört mir zu. Oft hat sie einen Rat für mich.« Franziska lachte. »Den ich nicht oft nicht annehme, stur wie ich bin. Ich schätze an Wendy, dass sie mir nichts nachträgt.«

»Hat Wendy einen Liebsten?«, fragte Hella.

»Nein! Es gab einen Burschen, der ihr Blumen schickte und all die Sachen, aber Wendy schickte ihn fort. Das war auch gut so. Ich will keine Einzelheiten erzählen. Das soll sie selbst tun, wenn sie will. Es gibt noch einen Burschen, der nicht locker lässt. Aber auch ihn will sie nicht.«

»Männer sind eitel, Franziska. Sie halten sich alle für die Größten. Wenn eine Frau sie ablehnt, verletzt es ihren Stolz und für sie bricht eine Welt zusammen.«

»Genauso ist es«, stimmte Franziska zu. »Hast du Erfahrung damit?«

Hella nickte. »Ja und das nicht wenig. Ich könnte ein Buch darüber schreiben. Ich bin eben eine gute Partie. Das gefällt ihnen an mir, nicht ich als Frau. Aber ich habe alle durchschaut. Doch lassen wir das Thema, Franziska. Ich habe meinen Justus. Und wir kennen uns gut. Er und ich haben oft die gleichen Gedanken. Wir passen zusammen. Ich freue mich auf die Hochzeit. Und noch mehr auf das Leben danach, voller Zweisamkeit, vierundzwanzig Stunden am Tag. Wir werden eigene Pferde züchten. Okay, einen Teil der Zeit werden er und ich in den Betrieben unserer Eltern verbringen. Aber wir haben uns vorgenommen, es so zu machen, dass uns genügend Zeit bleibt.«

Franziska grinste.

»Was ist?«, fragte Hella.

»Wenn Edeltraud so ist wie Ronja, dann müsst ihr euch vor ihr schützen. Sonst habt ihr keine ruhige Minute.«

»Ach, das wird sich geben, Franziska. Edeltraud ist älter als Ronja. Sie wird sich bald verlieben, hoffentlich. Dann hat sie andere Interessen. Außerdem, – und jetzt verrate ich dir ein Geheimnis: Justus und ich planen etwas. Edeltraud könnte für ein Jahr als Austauschschülerin irgendwohin gehen, nach Australien oder Amerika. Justus hat gute Kontakte zu Ranchern. Da wird er etwas einfädeln«, blinzelte Hella. »Und wenn Edeltraud zurückkommt, wird sie sicherlich nicht mehr versuchen, ihrem großen Bruder wie ein Schoßhündchen hinterher zu laufen.«

Franziska schaute auf die Uhr. »Oh Gott, schon so spät! Wie die Zeit vergeht? Ich habe noch so viel zu tun.«

»Dann lauf! Ich räume den Tisch ab und stelle das Geschirr in die Spülmaschine. Dann komme ich nach. Wo bist du?«

»In der Maschinenhalle. Keiner ist die letzten Wochen dazugekommen, die Geräte zu pflegen und dort aufzuräumen.«

»Okay, dann helfe ich dir.«

Franziska machte an einem Traktor einen Ölwechsel. Dabei erinnerte sie sich an ihre erste Begegnung mit Wendy, bei Martin.

Es war Wendys erster Tag in Waldkogel gewesen. Hildegard Oberländer lag noch bei Martin auf der kleinen Bettenstation und heilte ihre Lungenentzündung aus. Wendy hatte sich mit der alten Schwanninger Bäuerin sofort angefreundet, die Martin und seiner Frau den alten Hof gegen ein Leibgedinge überschrieben hatte. Wendy hatte die alten Traktoren und landwirtschaftlichen Geräte entdeckt und einen Traktor zum Laufen gebracht.

In der Scheune hatten Franziska und Wendy zusammengesessen und über das Leben und die Liebe geredet, als würden sie sich schon lange kennen. Später verstand sie, warum ihr damals Wendy so gefiel. Es war die Ähnlichkeit im Charakter mit Toni.

›Hella hat recht, es ist wirklich gut, eine große Schwester zu haben‹, dachte Franziska. Sie nahm sich vor, bald bei Wendy vorbeizugehen und ihr von dem Gespräch mit Hella zu erzählen.

Während Wendy am Traktor herumschraubte, sortierte Hella die Werkzeuge, die auf langen Tischen entlang der Wände herumlagen.

»Hier hätte gut noch ein Lehrling zu tun oder eine Hilfskraft«, sagte Franziska. »Simon Meininger weiß das auch.«

»Dann soll er jemanden einstellen«, bemerkte Hella.

Franziska hob den Kopf unter der Motorhaube heraus. Sie wischte sich die Öl verschmierten Hände an einem alten Lappen ab.

»Das hat er vor. Aber zuerst will er die Bilanz abwarten.«

»Verstehe«, kommentierte Hella.

Sie ging auf Franziska zu.

»Du wirst ihn auch mehr kosten, wenn du nach deiner Prüfung hier auf dem Hof als Angestellte bleibst«, sagte Hella.

»Logisch, jede ausgebildete Fachkraft kostet mehr. Aber daran will ich jetzt nicht denken.«

»Ich weiß. Zuerst willst du deine Prüfung hinter dir haben. Aber bestehen wirst du sie.«

»Ich denke schon, aber es kommt auch auf die Note an.«

»Franziska, weißt du, dass man auch zu viel lernen kann? Dann ist man erschöpft und wenn man die gelernten Fakten abrufen will, ist der Kopf wie leer. Verstehst du?«

»Ja, ich verstehe. Aber ich bin unsicher und möchte mir keine Vorwürfe machen lassen. Ich tue es nicht nur für mich. Ich will es gut machen. Denn ich will alles Wissen erwerben, um später eine erfolgreiche Bäuerin hier auf dem Hof zu sein. Verstehst du?«

Hella schaute Franziska an. »Ja, ich verstehe dich. Der Bichler Hof ist deine eigentliche Heimat. Hier hast du deine Kindheit verbracht.«

Franziska schaute an sich hinunter, auf ihre Gummistiefel. »Wenn ich das Beste gebe, habe ich das Gefühl, dass sich meine Eltern gefreut hätten. Der Hof ist seit Generationen in der Familie. Er ging immer auf einen der Söhne über oder auf eine Tochter, wenn es keinen Sohn gab. Ich will es gut machen, genauso gut wie meine Eltern.«

Hella nahm Franziska bei den Schultern. »Franziska, du machst es gut. Glaube mir«, sagte Hella und schaute ihr dabei in die Augen. »Was du hast, ist schlichtweg Prüfungsangst.«

»Meinst du wirklich?«

»Ja und du setzt dich unter Druck. Ich sage dir, du musst den Druck abschütteln. Dann lässt die Angst auch nach. Du wirst auf jeden Fall die Prüfung bestehen. Das sollte dir genug Sicherheit geben, Franziska. Ich rede nicht nur so daher. Ich habe Erfahrung. Ich weiß, was Prüfungsangst ist. Und ich weiß, dass man sich verkrampfen kann. Sehen wir mal von der Größe unseres Erbes ab, dann sind wir beide in der gleichen Lage. Wir sind Erbinnen und wollen alles richtig machen. Nimm es etwas lockerer! Ich will dir jetzt keinen endlosen Vortrag halten. Ich habe auch zum Perfektionismus geneigt. Da sagte mein Vater zu mir, dass ich es mir abgewöhnen müsse. Die Pferde würden schon nervös werden, wenn ich den Stall beträte oder an die Koppel käme. Außerdem könne niemand immer alles gut machen. Als ich eingesehen hatte, dass es keine Schande war, Fehler zu machen, dass davon die Welt nicht untergehen würde, ging alles viel leichter.«

»Wirklich?«

Hella lachte. »Wirklich und wahrhaftig! Und jetzt sehen wir zu, dass wir Ronja loswerden, dann komme ich her und übernehme einen Teil deiner Arbeit. Dann bist du weniger unter Druck. Die kurze Zeit bis zur Prüfung geht schnell herum.« Hella lächelte Franziska an. »Wenn ich dich zwischendrin abhören soll, dann mache ich das gern, genau wie Lukas. Er kommt im Augenblick nur am Wochenende her, das weiß ich.«

»Warum eigentlich? Ihr studiert doch zusammen? Dann müsste er doch auch unter der Woche Zeit haben.«

»Franziska, Lukas hat sich für viel mehr Seminare und Vorlesungen eingeschrieben. In dem Punkt seid ihr euch sehr ähnlich. Lukas sitzt viel in der Bibliothek und büffelt. Er will immer dem Stoff voraus sein. Er ist viel ehrgeiziger, als ich.«

»Das wusste ich nicht.«

»Oh, hat Lukas nie erzählt, dass er der Beste in unserem Semester ist?«

»Nein, Lukas erzählt wenig, wie es an der Universität läuft«, erklärte Franziska. »Wenn er redet, dann nie über sich selbst, sondern nur über die neusten Forschungserkenntnisse.«

»Ja, das sieht ihm ähnlich. Frage ihn mal richtig aus, wenn er wieder hier ist. Frage ihn so, dass er Farbe bekennen muss, Franziska. Da wirst du staunen. Aber kein Wort, dass wir über ihn gesprochen haben.«

»Das Gespräch bleibt unter uns, Hella.« Franziska sah Hella an. »Auch wenn wir beide einen holprigen Start hatten, es ist schön, dass wir uns kennengelernt haben, Hella.«

Hella strahlte. »Ja, das finde ich auch. So und jetzt machen wir weiter.«

So geschah es auch.

Als zwei Stunden später Simon und Eva kamen, staunten sie nicht schlecht. Hella und Franziska hatten viel erledigt.

*

Über dem Tal von Waldkogel war die Sonne untergegangen. Der Himmel im Westen leuchtete in roten Farbtönen. Die letzten Hüttengäste hatten sich auf das Matratzenlager und in die Kammern zurückgezogen. Anna trocknete das Geschirr ab. Toni säuberte die Tische auf der Terrasse.

Alois stand am Geländer und schaute über das Tal.

»Obwohl ich so viele Sonnenuntergänge auf der Berghütte erlebt habe, weitet sich mein Herz jedes Mal beim Anblick dieser Aussicht.«

Toni stellte sich neben ihn. »Das verstehe ich. Und es ist so still«, stimmte ihm Toni zu. »In einem solchen Augenblick fällt die ganze Hektik des Tages von einem ab. Und es ist, als erfüllten ein besonderer Frieden und eine starke Kraft mein Herz.«

Der alte Alois sah Toni an, lächelte, nickte und legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. »Ich gehe schlafen, Toni. Gute Nacht und bis morgen!«, verabschiedete sich Alois.

Er drehte sich um und ging hinein. Toni hörte, wie er Anna eine gute Nacht wünschte. Augenblicke danach drang das Geräusch der sich schließenden Kammertür an Tonis Ohr.

Toni wischte die letzten Tische ab.

Anna kam heraus. »Ich bin drinnen fertig«, sagte sie. »Meinst du, dass Carl bald kommt?«

»Sein letzter Anruf war am späten Nachmittag. Da stand er, hundert Kilometer vor München, im Stau. Warten wir es ab! Carl wird sicherlich noch kommen, sonst hätte er Bescheid gesagt«, antwortete ihr Toni.

Anna nickte. Sie fragte, ob Toni einen Kräutertee mittrinken wolle. Toni lehnte ab. Er ging mit Anna in die Küche. Während sie sich einen Kräutertee aufbrühte, machte sich Toni eine Tasse starken Kaffee.

Anna schaute zur Uhr. »Ich nehme meinen Tee mit ins Wohnzimmer. Ich mache noch etwas Buchhaltung, Toni.«

»Ich bin froh, dass du diesen Schreibkram erledigst«, lächelte Toni.

Anna schmunzelte. »Ich weiß, dass dir das nicht liegt. Du hast mich nur geheiratet, weil ich es kann«, witzelte sie.

»Natürlich«, lachte Toni herzlich, »ich habe mich nur in dich verliebt, weil du Bankerin gewesen bist.«

Sie lachten beide über die scherzhafte Bemerkung.

Toni stellte seine Kaffeetasse ab, nahm Anna in den Arm und küsste sie. »Ich liebe Dich, Anna. Ich bin so glücklich mit dir. Du bist eine wunderbare Frau«, flüsterte er liebevoll.

Anna schmiegte sich an ihn. »Und ich liebe dich! Ich möchte mit keinem Anderen mein Leben teilen. Ich bin so glücklich, dass ich dich gefunden habe.«

Sie küssten sich erneut.

Benno, der junge Neufundländer, lag unter dem Küchentisch. Er stand auf und lief hinaus.

»Benno scheint etwas gehört zu haben«, sagte Toni. »Vielleicht ist es Carl?«

Sie gingen auf die Terrasse.

Benno stand einen Augenblick neben ihnen, dann stürmte er über das Geröllfeld.

Doktor Carl Ziegler kam auf die Berghütte zu. Benno begrüßte ihn stürmisch. Er wich nicht von seiner Seite, bis Carl die Berghütte erreichte.

»Grüß Gott, Carl!«, sagte Toni. Er nahm ihm die große Reisetasche ab.

Anna begrüßte Carl mit einer herzlichen Umarmung.

»Carl, es sieht aus, als hättest du Gepäck für eine viel längere Zeit dabei«, blinzelte ihm Toni zu.

Sie gingen in die Berghütte. Toni zeigte Carl die Kammer, die für ihn reserviert war. Carl stellte seinen Rucksack an die Wand.

»Das war eine anstrengende Fahrt, wie?«

»Oh ja, Toni! Baustellen überall, sie behindern den Verkehr so sehr, dass man denkt, mit dem Fahrrad wäre man schneller. Irgendwann hatte ich genug von ›Stopp und Go‹. Ich nahm eine Ausfahrt und kam in einen kleinen, idyllischen Ort. Dort wartete ich einige Stunden. Als ich danach wieder auf die Autobahn auffuhr, ging es gut voran. Der Hauptverkehr war vorbei.«

»Hast du Hunger? Willst du etwas trinken?«

»Danke, ich bin nicht hungrig. Aber ein schönes Bier nehme ich gern.«

»Dann gehe ich uns Bier zapfen, und du kommst nach«, sagte Toni und ging hinaus.

Carl zog sich etwas Bequemes an und machte sich frisch, bevor er hinaus in den Wirtsraum ging.

Toni saß schon am Kamin. Benno lag davor und schlief. Dabei bewegter der einige Male den Schwanz.

»Er träumt«, lächelte Toni.

»Nur zwei Bier?«, wunderte sich Carl. »Setzt sich Anna nicht zu uns?«

Anna kam aus der Küche, einen großen Becher Tee in der Hand. »Carl, ich will nicht unhöflich sein. Aber ich will und muss mich um die Buchhaltung kümmern. Tagsüber bleibt mir wenig Zeit dafür. Deshalb ziehe ich mich ins Wohnzimmer zurück. Ich sage dann schon mal gute Nacht.«

»Ich soll dir Grüße von deinen Großeltern ausrichten.«

»Danke, Carl! Wie geht es Bellos Freundin Cleo? Sie wird bald werfen, richtig?«

»Ja, nächste Woche ist es soweit. Ich denke, dass alles gut geht. Es ist schön, dass Bello jetzt doch noch Nachwuchs bekommt. Wer hätte das gedacht?«

Anna lächelte. Sie freute sich ebenfalls. »So, dann sage ich mal gute Nacht und überlasse euch euch selbst«, lachte Anna.

»Dir auch eine gute Nacht, Anna«, sagte Carl.

Toni stand auf und gab Anna einen Gutenachtkuss. Dann verschwand sie im Wohnzimmer.

Toni lächelte. »Anna ist ein Schatz. Sie kümmert sich um die Buchhaltung und den ganzen Schreibkram. Zahlen sind nicht so mein Ding. Ihr geht das leicht von der Hand.«

»In einer guten Ehe sollten sich die Partner mit ihren Fähigkeiten ergänzen. Was der eine nicht kann, kann der andere.« Carl hob sein Bierglas. »Auf die Frauen!«, sagte Carl.

»Auf die Madln, wie wir hier in den Bergen sagen«, lächelte Toni.

Sie stießen an und tranken. Toni legte zwei Holzstücke ins Feuer. Die Flammen züngelten aus der Glut hervor und fraßen sich in die Rinde, die leise knisterte, als sie barst.

Toni setzte sich wieder. Sie prosteten sich noch einmal zu und tranken.

»Madln, und damit sind wir beim Thema«, sagte Carl. »Wie geht es Beate?«

»Ich habe sie die letzten Tage nicht gesehen. Das was ich weiß, hat mir Martin erzählt. Beate hat immer noch starke Schmerzen. Zwar schont sie den Arm mehr, seit Katja bei ihr in der Praxis ist. Aber Katja ist keine Tierärztin. Zwar versucht Beate Operationen und schwierige Fälle hinauszuschieben oder sie schickt die Tierbesitzer nach Kirchwalden. Doch wenn eine Kuh oder ein Pferd niederkommt, kann sie die Sache nicht aufschieben. Dann packt sie wieder ordentlich zu. Aber nun bist du hier, und wir hoffen alle, dass Beate deine Hilfe annimmt.«

Carl lächelte nur etwas skeptisch.

»Hoffen kann man, aber sicher ist das keinesfalls«, fügte Toni hinzu und runzelte dabei die Stirn.

»Du hast alles mit Martin besprochen?«

Toni nickte und trank noch einen Schluck Bier. »Ja, alles ist vorbereitet. Du sollst am frühen Abend bei Beate, wie zufällig, vorbeischauen. Martin wird dort sein. Er hat mir versprochen, dass er einige Bauern mobilisiert hat. Sie werden anrufen und Beate um einen Hofbesuch bitten.«

Beide grinsten.

»Wollen wir hoffen, dass eine Kuh oder ein Pferd krank wird«, schmunzelte Carl.

»Das hat sich Martin auch gesagt. Die meisten Bauern schieben es seit Tagen hinaus, Beate anzurufen und versuchen es lieber mit ihren Hausmittelchen. Sie wollen Beate schonen. Wenn es wirklich nicht mehr geht, rufen sie zuerst Martin an und fragen, wie es Beate geht. Auf die Waldkogeler ist Verlass, Carl«.

Carl trank einen Schluck Bier. »Ich würde Beate wirklich sehr gern helfen, Toni. Aber sie muss meine Hilfe annehmen, und da habe ich meinen Zweifel. Sie hätte mich schon längst anrufen und um Hilfe bitten können. Sie hat es nicht getan«, seufzte Carl.

Toni rieb sich das Kinn. »Ich weiß, Carl. Wir wissen es. Wir dachten, Beate und du, ihr hättet euch ausgesprochen, als Beate Bello zu Annas Großeltern brachte.«

Carl zuckte mit den Schultern. »Ja, irgendwie war es auch so. Es war ein Fortschritt, gegenüber unserem unerwarteten Zusammentreffen, auf Wendys Alm. Wir führten ganz normale Gespräche, wie man das so tut. Wir schafften es sogar, über die Vergangenheit zu sprechen. Ich hoffte, dass wir eine Basis hätten. Dass Beate mir nichts von ihrem Unfall erzählt hat und mich nicht um Hilfe bat, macht mich betroffen.«

Toni nickte. »Das kann ich verstehen. Dabei liebt Beate dich, Carl. Sie liebt dich immer noch. Sie hat nie einen anderen Mann geliebt.«

»Ich weiß«, sagte Carl leise. Er trank einen Schluck Bier. »Und ich liebe Beate immer noch. Sicher, ich hatte Stella geheiratet. Ich liebte sie auch, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Verstehe mich bitte richtig, Toni. Ich liebte Stella und tat alles, ihr ein guter Ehemann zu sein. Aber es war eine andere Liebe, verstehst du? Nach Stellas Unfalltod fragte ich mich immer wieder, ob ich ihr ein guter Mann gewesen war. Irgendwann kam mir der Gedanke, das heißt, eigentlich hat mir Annas Großvater Erwin Bremer die Anregung dazu gegeben. Erwin ist ein kluger Mensch, mit viel Lebenserfahrung, wie Alois. Ich erkannte, dass es verschiedene Arten von Liebe gibt. Keine ist besser oder schlechter, als die andere. Sie ist eben anders. Seither geht es mir besser. Mir ist es möglich, über meine alte Liebe zu Beate zu sprechen. Verstehst du?«

Toni lächelte. »Ja, ich verstehe dich. Denkst du, du kannst ihr Herz wieder gewinnen, dass aus euch ein Paar wird?«

Carl schmunzelte. »Beates Herz hatte ich wohl immer. Nur ihr Verstand ist ihr im Wege. Beate ist ein starkes Madl.«

»Und kann ziemlich stur sein«, schmunzelte Toni.

Carl grinste. »Ja, das ist sie. Sie ist hart zu sich selbst. Sie hat sich selbst Unabhängigkeit geschworen.«

»Ja, so sind die modernen Weiber«, lachte Toni.

Carl schüttelte den Kopf. »Nicht alle, wenn ich mir deine Anna ansehe.«

Tonis Augen strahlten. »Ja, meine Anna ist schon ein besonderes Madl. Sie ist eine moderne Frau. Ich will ehrlich sein, Carl. Du kennst unsere Liebesgeschichte. Anna hatte die Wahl. Sie hat sich für mich, die Berge, die Berghütte entschieden.«

»Du bist eben ein Glückskind, Toni«, seufzte Carl.

»Wie du das sagst, Carl? Du bist ein Glückskind. Beate hat sich, über all die Jahre, die Liebe zu dir in ihrem Herzen bewahrt. Sie hat dir die Treue gehalten, vielleicht unbewusst. Jedenfalls ist es eine Tatsache, dass sie sich nie in einen anderen Mann verliebt hat.«

Toni trank einen Schluck Bier. Dann lachte er laut. Er erzählte Carl, wie es damals war, als Beate die verwaiste Tierarztpraxis übernahm. Zu der Zeit war Martins Herz noch frei. »Nicht wenige in Waldkogel sahen in den beiden jungen Ärzten das ideale Paar. Es gab viel Getuschel. Aber weder bei Beate noch Martin flammte die Liebe auf. Sie waren nur gute Freunde. Das war alles. Aber die letzten Gerüchte verstummten erst, als sich Martin in Katja verliebte und sie zusammen den alten Schwanniger Hof übernahmen, ausbauten und heirateten.«

»So sind die Menschen eben, Toni. Und das ist nicht böse gemeint. Vielleicht hat Beate Angst, das sie und ich ins Gerede kommen könnten, wenn ich ihr in der Praxis helfe?«

Toni überlegte. Er schüttelte den Kopf. »Ich denke, das ist es nicht, Carl.«

Carl zog die Augenbrauen nach oben und runzelte die Stirn. »Wieso?«, fragte er.

»Das will ich dir sagen. Ich denke nicht, dass es an deiner Person liegt, Carl. Betrachte die Angelegenheit mal sachlich. Wenn Beate einen ledigen Kollegen gefunden hätte, der für einige Wochen, vielleicht für zwei Monate, nach Waldkogel gekommen wäre, hätte es ebenfalls Getuschel geben können.«

Carl nickte. »Das stimmt. Aber hier liegt es doch anders. Beate liebt mich, auch wenn sie es mir gegenüber nie zugegeben hat. Ich meine, in der jüngsten Zeit. Ich spreche nicht von damals.«

»Verstehe«, sagte Toni mit Nachdruck. »Aber hast du ihr gesagt, dass du sie liebst?«

»Bist du irre?«, platzte Carl heraus. »Ich bin mir sicher, dass ich sie damit sofort vertrieben hätte. Wir haben unsere Freundschaft erneuert, als sie Annas Großeltern besuchte. Für mehr war auch keine Zeit. Petra war auf der Durchreise nach Italien und machte nur die eine Woche Urlaubsvertretung in Beates Praxis.«

»Nun, dieses Mal werdet ihr euch länger sehen«, bemerkte Toni. »Da stehen deine Chancen besser.«

Carl grinste. »Toni, dein Wunsch in Gottes Gehörgang, wie man sagt.«

»Mei, Carl, tue das nicht so ab. Es wird schon werden, wenn ihr den ganzen Tag zusammen seid.«

Carl rieb sich das Kinn. »Wir werden nicht den ganzen Tag zusammen sein. Das würde schiefgehen.«

»Und wie willst du Beate dann in der Praxis helfen?«

»Auf dem Weg hierher habe ich mir einen Plan gemacht«, antwortete Carl.

Er erläuterte Toni ausführlich, wie er es sich gedacht hatte. Carl wollte weiterhin auf der Berghütte nächtigen. »Darüber wird sich Beate nicht wundern, denke ich«, fügte Carl hinzu. »Ich biete ihr an, dass sie mich jederzeit hinzuziehen kann, wenn sie Hilfe braucht. Das nimmt sie vielleicht an. Wenn ein Hofbesuch ansteht, mit einer schwierigen Diagnose, dann kann sie mich nur für diesen Fall rufen. Das gleiche gilt für eine unaufschiebbare Operation in der Praxis. Verstehst du? Damit will ich umgehen, dass ich mich ihr aufdränge. Das wäre der falsche Weg.«

»Und wie willst du einen längeren Aufenthalt auf der Berghütte begründen, wenn du angeblich nur auf der Durchreise nach Italien bist?«, staunte Toni.

Carl lächelte verschmitzt. »Ich gebe zu, dass ein längerer Aufenthalt ohne einen Trick nicht zu begründen ist. In diesem Punkt zähle ich auf deine Hilfe, Toni.«

»Gern, wenn es in meiner Macht steht«, antwortete Toni.

Carl erzählte Toni von seinem Plan. Er wollte seinen Geländewagen so verstecken, dass ihn Beate auch durch einen dummen Zufall nicht entdecken könnte.

»Es müsste bei jemand untergebracht sein, der diskret ist und der kein Vieh hat und er müsste genug Platz haben. Mein Auto ist eben defekt, verstehst du? Es stimmt etwas nicht, mit der Programmierung des Motors. Das kommt bei modernen Autos oft vor. Die Werkstatt muss die dafür notwendige spezielle Prüfungssoftware aus dem Ausland anfordern. Und das dauert und dauert und dauert. Verstehst du?«, grinste Carl.

»Bist ganz schön raffiniert, Carl«, lachte Toni.

»Es ist eine glatte Lüge, die ich nicht nur in der Kirche beichten muss, sondern eines Tages auch Beate, wenn aus uns ein Paar wird, hoffentlich. Darüber bin ich mir im Klaren, aber im Augenblick halte ich es für eine gute Eselsbrücke.«

»Pfarrer Zandlers Absolution bekommst du bestimmt leichter, als von Beate«, schmunzelte Toni.

»Das wird schon werden, Toni«, sagte Carl hoffnungsvoll. »Wenn Beate erst einmal zu ihrer Liebe zu mir steht, dann wird sie mir verzeihen.«

»Lass mich überlegen«, murmelte Toni. »Was wäre ein guter Platz für dein Auto?« Toni rieb sich das Kinn. Dann ging er in die Küche und holte sein Handy. Er tippte darauf herum.

Carl beobachtete ihn.

»So, jetzt müssen wir warten. Entweder ich bekomme heute Abend noch eine Antwort oder morgen Früh. Besser wäre heute Abend. Er ist immer lange auf.«

»Wer?«

»Oh, ich habe Tassilo geschrieben. Ich habe dir von ihm erzählt. Er ist das derzeitige Oberhaupt der Grafen von Teufen-Thurmann und wohnt mit seiner Frau, seinem Adoptivsohn und dessen Frau und Kindern, hier im Waldschlösschen am Bergsee. Das Anwesen ist sehr groß, und es gibt zahlreiche Verstecke für dein Auto.«

»Meinst du, er macht es?«

Toni lachte laut. »Da bin ich mir sehr sicher.«

»Was hast du ihm geschrieben?«, fragte Carl.

Toni reichte Carl sein Handy, damit er die Nachricht lesen konnte.

Sie lautete: Hallo Tassilo, guten Abend! Entschuldige die späte Störung. Ich suche nach einer Möglichkeit, einen Geländewagen zu verstecken, am Besten sofort, noch in dieser Nacht! Weiteres erkläre ich Dir, wenn Du Dich meldest. Nur so viel, es geht um eine Liebesangelegenheit. Kannst Du dem Burschen helfen?

Grüße Toni

Carl grinste. Er gab Toni sein Handy zurück.

In dem Augenblick war die Antwort da.

Toni las vor: Okay, erwarte den Burschen! Helfe gerne!

Gruß Tassilo.

Toni stand auf. »Aufi, Carl! Wir fahren mit zwei Autos zu Tassilo. Dann nehme ich dich mit herauf.«

Während Carl in der Kammer Wanderschuhe und Jacke anzog, holte Toni eine große Flasche Obstler aus der Vorratskammer. Es war von Alois’ Selbstgebrannten.

Wenig später wanderten Toni und Carl, beide mit Stirnlampen ausgestattet, hinunter auf Wendy Alm. Toni fuhr von dort aus voraus und Carl folgte ihm.

Als sie am Waldschlösschen ankamen, wartete Graf Tassilo von Teufen-Thurmann unten an der Treppe. Toni parkte und stieg aus. Er wechselte wenige Worte mit Tassilo. Dann gingen beide voraus durch den Schlosspark und Carl folgte ihnen im Schritttempo.

Ziemlich am Ende des Schoßparks öffnete Tassilo die breite Doppeltür eines großen Holzschuppens. Er winkte Carl zu, dass er hineinfahren könnte.

Kaum war das Auto zum Stillstand gekommen, ging Tassilo hin und öffnete die Fahrertür.

»Hier ist der Wagen sicher«, sagte Tassilo.

Carl stieg aus. »Vielen Dank, Graf«, sagte Carl höflich. »Hier sind die Autoschlüssel.«

Tassilo reichte Carl die Hand zur Begrüßung. »Nix da Graf«, lachte Tassilo. »Der Titel ist nur für amtliche Zwecke. Hier in Waldkogel bin ich der Tassilo und duze alle und werde von allen geduzt.«

Sie schüttelte sich die Hände.

»Gut, ich bin Carl.«

»Nachdem das Auto versteckt ist, will ich alles wissen«, forderte Tassilo.

Obwohl es schon spät war, folgten Toni und Carl Tassilo hinein.

In der großen Eingangshalle blieb Tassilo stehen. »Was wollt ihr trinken, Bier oder lieber einen Kaffee?«

Carl und Toni waren sich schnell einig, dass eine Tasse Kaffee gut wäre. So folgten sie Tassilo in die Schlossküche.

»Zenzi stellt mir jeden Abend eine Thermoskanne mit Kaffee hin, falls ich nachts lange auf bin.«

Tassilo erklärte kurz, dass die alte Zenzi einst sein Kindermädchen war und später seine Gönnerin und Beschützerin, die ihm die Schritte ins Leben ermöglichte, gegen alle Traditionen, die er erfüllen sollte.

»Zenzi sieht in mir heute noch den kleinen Bub, obwohl ich inzwischen selbst schon Großvater bin«, lachte Tassilo. Er holte drei Becher aus dem Schrank, Zucker und Sahne, und schenkte allen Kaffee ein. Er setzte sich. »So und jetzt will ich alle Details erfahren. Es scheint eine höchst spannende Geschichte zu sein.«

»Das ist sie«, sagte Toni. »Da jeder in Waldkogel weiß, dass man sich auf deine Diskretion verlassen kann, sollst du alles erfahren. Außerdem ist es gut, wenn Carl einen Verbündeten im Dorf hat.« Toni rührte den Zucker in seinem Kaffee sorgfältig um und trank einen Schluck. »Carl ist in unsere Tierärztin verliebt und Beate in ihn. Nur Beate ziert sich.«

»Beate ist verliebt? Mei, das ist eine gute Nachricht!«, rief Tassilo begeistert aus.

Toni beschwichtigte den Grafen. Er erzählte ihm ausführlich, dass Carl und Beate im Medizinstudium ein Paar waren und nach den Prüfungen heiraten wollten. »Sie träumten von einer gemeinsamen Tierarztpraxis auf dem Land. Aber es kam zu keinem Happy End. Beate steigerte sich in eine unbegründete Eifersucht hinein und verließ Carl.«

Tassilo sah, interessiert und erstaunt, zwischen Toni und Carl hin und her. Er hörte weiter zu, bis Toni alles erzählt hatte.

Tassilo grinste. »Unsere liebe Viehdoktorin ist ein liebes Madl. Sie wirkt so klein und zierlich. Aber sie kann zupacken wie ein kräftiges Mannsbild, wenn es sein muss. Wahrscheinlich hat sie sich, im Laufe der Jahre, einen Schutzpanzer zugelegt. Der umschließt ihr Herz. Nur die Tiere finden dort Zugang. Beate ist ein fesches Madl. Es gibt hier in der Gegend nicht wenige Burschen, denen sie gefällt. Aber sie war Burschen gegenüber immer verschlossen. Nach all dem, was ich jetzt weiß, denke ich, entweder du bringst Beate dazu, dass sie zu ihren Gefühlen steht oder sie wird für immer allein bleiben. Das wäre sehr tragisch.« Tassilo trank einen Schluck Kaffee. »Die Idee, die Autoreparatur vorzutäuschen, finde ich gut. Und dass du dich ihr nicht aufdrängen willst, Carl, ist ein kluger Schachzug. Beate weiß dann, dass du hier bist. Sollte sie Hilfe benötigen, kann sie mit dir rechnen. Dabei drängst du dich ihr nicht auf.« Tassilo grinste über das ganze Gesicht. »Mal sehen, wie lange es sich unsere gute Beate überlegt, bis sie dich bittet, ihr den ganzen Tag in der Praxis zu helfen. Es ist gut, wenn du sie nicht bedrängst, Carl. Beate ist eine sehr gute Tierärztin, aber in ihren eigenen Herzensangelegenheiten muss sie noch viel lernen. Dazu kommt, dass sie sich in Liebesangelegenheiten nichts sagen lässt, nach allem, was ich erfahren habe. Ich vermute, dass sie längst eingesehen hat, dass sie damals einen Fehler gemacht hat. Eifersucht ist immer ein schlechter Ratgeber.« Tassilo seufzte hörbar. »Ich habe genug Menschenkenntnis, wenn auch nicht so viel, wie der alte Alois. Carl, du kannst mal mit Alois drüber reden. Ich denke, er wird mir zustimmen. Es gibt Menschen, die verzeihen gern die Fehler anderer. Aber wenn sie selbst einen Fehler gemacht haben, verbeißen sie sich darin ein ganzes Leben lang. Sie scheuen sich, zuzugeben, dass sie sich in dieser oder jeden Situation falsch entschieden haben. Sie haben es längst eingesehen. Aber sie halten nach außen hin an ihrer Entscheidung fest. Es ist schlimm für sie und sie leiden, aber im Stillen. Den Fehler anderen gegenüber zuzugeben, ist sehr, sehr schwer für sie, wenn nicht gar unmöglich.«

Carl lehnte sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Tassilo, du machst mir nicht gerade Hoffnung«, seufzte er. »Denkst du, dass Beate so ein Mensch ist?«

Tassilo legte für einen Augenblick Carl sanft die Hand auf die Schulter. »Ich wollte dich nicht ängstigen. Carl, bewahre. Ich habe nur die Sache sachlich betrachtet. Wenn du die Kraft und die Geduld aufbringst, zu warten und Beate nicht zu bedrängen, dann kann alles gut werden. Zumindest ist bekannt, dass sie dich liebt. Die Liebe ist die stärkste Kraft auf Erden. Sie bringt das härteste Herz zum Schmelzen. Nach meiner Meinung handelst du klug. Du bleibst eine Weile hier, bietest Beate deine Hilfe an, ohne sie aufzudrängen. Sie kann dich rufen, wenn sie deinen Beistand bedarf. Danach ziehst du dich wieder zurück«, sagte Tassilo. Er lächelte.

»Was ist?«, fragte Toni.

»Nun, ich stelle mir vor, dass Beate sich irgendwann zu wundern anfängt, warum Carl so zurückhaltend ist. Das wird sie nachdenklich machen. Sie wird sich fragen, ob Carl sich zurückgezogen hat, auf die Ebene eines Kollegen, der dann und wann aushilft?« Tassilo grinste und wandte sich an Carl. »Dabei bin ich mir sicher – und Toni hat es durch seine Schilderung bestätigt. Beate hat sich gewehrt, dich um Hilfe zu bitten. Wenn jemand so viel Energie in etwas hineinsteckt, will er meistens das Gegenteil. Sie wünscht sich, dass du ihr hilfst. Vielleicht hat sie unbewusst sogar gehofft, dass sie keinen Tierarzt oder Tierärztin zur Unterstützung findet. Wahrscheinlich hat sie nur mit halbem Herzen gesucht, weil sie dich wollte. Nur ihr dummer, dummer Stolz hielt sie davon ab. Aber irgendwann wird sie ihn aufgeben. Du musst ihr Gelegenheit dazu geben, Carl!«

»Wie?«

»Mei Bub, sei da! Aber biete und biedere dich nicht an. Sprich mir nach: ›Beate, wenn ich schon zufällig in Waldkogel bin, kannst du mich gern anrufen, falls du Hilfe brauchst. Meine Handynummer hast du.‹ Damit spielst du ihr die Karte zu.« Tassilo lachte. »Du wirst schon sehen, es läuft. Irgendwann wird sie dich anrufen, bei einem Notfall und dann beim nächsten und wieder beim nächsten. Dann wird sie dich bitten, in der Praxis zu helfen, wenn du nichts Besseres vorhast. Lass dich gewarnt sein, Carl. Lass dir deine Freude nicht ansehen und bleibe immer nur kurz! Du bist eben mit Wendy verabredet oder mit Martin oder mit sonst jemand. Irgendetwas wird dir schon einfallen. Ich gehe jede Wette ein, dass es nicht lange dauert, bis sie dich um mehr Hilfe bittet. Verstehst du?«

»Du meinst, ich soll ihr zeigen, dass ich ihr bester Freund bin, auf den sie zählen kann, aber meine Liebe verstecken?«, fasste es Carl zusammen.

»Genau und irgendwann wird sie dich vielleicht zum Essen einladen. Sie wird dich fragen, warum du so zurückhaltend bist? Ob es dir keine Freude macht, ihr zu helfen? Das wird der Augenblick sein, an dem du die Katze aus dem Sack lassen kannst. Sag ihr, du dachtest, es könnte ihr unangenehm sein, wenn du mit ihr zusammen seist und sei es auch nur arbeitstechnisch. Sag ihr, dass es dir schwerfalle, deine Gefühle für sie zu unterdrücken. Du könntest es nicht ändern und wolltest es auch nicht, dein Herz schlage für sie. Sage ihr, dass sie den ersten Schritt machen müsste. Sage, dass du es dir erhoffst. Du wirst sehen, dass Beate rot wird. Sie wird sehr verlegen sein. Und dann gehst du, es sei denn, sie bittet dich zu bleiben. Nach meinem Dafürhalten stehen die Chancen gut.«

Carl rieb sich das Kinn. »Du bist wirklich sehr lebensklug, Tassilo«, lächelte Carl.

»Danke für das Kompliment. Ich habe im Leben zu unterscheiden gelernt. Zwar nicht immer aus eigener Betroffenheit, sondern mehr durch Beobachtung. Es gibt unterschiedliche Typen von verliebten Madln. Die einen erwarten, dass der Bursche um sie herumschwirrt und mit allen Mitteln versucht, sie zu umgarnen. Diese Madln machen sich einen Spaß daraus, den Burschen zappeln zu lassen. Beate gehört zu der anderen Sorte. Sie ist mehr die Stille, die erst mal genau die Folgen bedenkt, wenn sie der Liebe folgt. Darin ist Beate ganz Naturwissenschaftlerin, neben ihrer verqueren Sturheit. In dem Fall hilft dem Burschen nur Beständigkeit, Höflichkeit und Freundlichkeit. Du musst viel Geduld haben, Carl. Dass das kein leichter Weg ist, weiß ich. Aber er wird zum Ziel führen. Eines Tags wirst du Beate in deinen Armen halten oder wieder in deinen Armen. Da bin ich mir ganz sicher, Carl.«

Tassilo wandte sich an Toni. »Wie denkst du darüber?«

»Ich bin ganz deiner Meinung, Tassilo. Auf die Dauer kann niemand die Liebe zu einem anderen Herzen unterdrücken. Da schmilzt jede Sturheit und Verbohrtheit wie Butter in der Sonne.« Toni schaute auf die Uhr. Er trank den Rest Kaffee aus.

»Carl, es wird Zeit für mich, wenn ich noch ein paar Stunden Schlaf bekommen will.«

»Ja, wir sollten gehen. Für mich war es auch ein langer Tag. Ich bin im Morgengrauen losgefahren. Dann stand ich in den vielen Staus.«

Tassilo brachte Toni und Carl zu Tonis Auto. Er bat Carl, ihn ruhig öfter zu besuchen.

Carl bedankte sich für die Einladung.

Tassilo sah den Rücklichtern von Tonis Geländewagen nach, bis er sie in der Dunkelheit nicht mehr erkennen konnte.

Dann ging er ins Schlafzimmer. Obwohl er kein Licht machte, sondern im Mondschein, der durch die hohen Fenster schien, in die Federn kroch, wachte seine Frau auf.

»Was war das für ein Auto? Hattest du noch Besuch, Tassilo?«, fragte Ottilie.

»Ja, Toni war da und hatte Carl mitgebracht.«

»Carl, welchen Carl?«

»Nun, den Carl, der irgendwann unsere liebe Tierärztin zum Altar führen wird.«

Mit einem Ruck saß Ottilie im Bett. »Wie bitte? Beate heiratet? Wann?«, rief sie aus, sie war hellwach.

Tassilo lachte. »Beruhige dich, Ottilie! Noch weiß Beate nichts von ihrem Glück. Noch wehrt sie sich. Aber alles ist nur eine Frage der Zeit. Da bin ich mir sicher. Wir überlegen gemeinsam, was wir den beiden zur Hochzeit schenken werden, Ottilie. Aber erst morgen. Jetzt sollten wir schlafen. Gute Nacht, Otti!«

»Gute Nacht Tassilo!«

Sie gaben sich einen Gutenachtkuss, kuschelten sich unter die Federn und schliefen bald ein.

*

Der Mann in der Livree musterte Gerold misstrauisch und ablehnend. Der junge Mann entsprach gar nicht den Besuchern, die sich sonst am Empfang des Towers mit den Luxuswohnungen meldeten.

Gerold ließ seinen schweren Rucksack von den Schultern gleiten und stellte den Gitarrenkasten ab. Er fuhr sich verlegen und unsicher durch sein längeres Haar. Gerold nannte seinen Namen und bat, ihn bei den Greens anzumelden.

Wortlos griff der Pförtner zum Telefon und erkundigte sich, ob er Gerold Einlass gewähren sollte. »Okay«, sagte er und legte auf. »Sie werden erwartet«, sagte der Pförtner knapp und zeigte auf den Aufzug.

Gerold bedankte sich und griff nach seinem Gepäck.

Oben am Aufzug stand schon Abigail. Sie stürmte auf ihn zu, fiel fast über ihn her und zog ihn aus dem Aufzug.

Gerold ließ sein Gepäck fallen und schloss seine Freundin in die Arme. »Ich habe dich so vermisst, Liebling. Das waren endlose Wochen.«

Gerold schloss Abigail in die Arme. Sie küssten sich innig.

»Lass uns hineingehen, Gero!«, sagte Abigail. »Du weißt, dass alle Flure und Treppenhäuser überwacht werden. Wir wollen dem Pförtner keine Vorstellung bieten.«

»Richtig, Abigail«, sagte Gerold, »unten war ein Neuer. Er kannte mich nicht und sah mich an, als wäre ich ein Außerirdischer.«

Abigail warf ihre langen, dunkelbraunen, glänzenden Haare nach hinten und lachte. »Ja, er ist neu. Ich werde mit ihm reden, Gero. Danach wird er wissen, dass wir zusammengehören, und du wirst keine Schwierigkeiten mehr haben.«

Sie gingen in die große Wohnung und schlossen die Tür.

Gerold ging auf die Terrasse und schaute auf den Central Park. »Wie ich den Anblick genieße!«, sagte er.

»So, so, dann siehst du den Park lieber, als mich?«, witzelte Abigail.

»Du Dummerchen!«, schimpfte Gerold scherzhaft, »natürlich sehe ich dich am liebsten.« Er griff nach ihren Händen und betrachtete sie von oben bis unten. »Du bist wunderschön, noch schöner, als ich dich in Erinnerung hatte.«

Sie nahmen sich wieder in den Arm und küssten sich.

»Ich bin so glücklich, dass du wieder da bist, Liebling!«, seufzte Abigail. Sie küsste ihn wieder. »Jetzt gehe ins Bad und mache dich frisch. Du siehst wirklich wie ein Tramp aus. Inzwischen mache ich uns etwas zu Essen. Was willst du? Etwas Herzhaftes?«

»Oh, das wäre wunderbar«, seufzte Gerold. »Ich bin per Anhalter gekommen, auf einem Fernlaster, die ganze Strecke.«

»Du hättest das Flugzeug nehmen sollen oder wenigstens einen Fernbus«, tadelte ihn Abigail.

Er schaute sie ernst an. »Abigail, du weißt, dass ich sparen muss. Lassen wir das Thema! Eines Tages werde ich berühmt und reich sein, dann reise ich in der eigenen Limousine.«

»Gerold«, sagte Abigail, »warum warten? Mein Papa hätte dir den Firmenjet geschickt, wenn ich ihn darum gebeten hätte. Das weißt du.«

Gerold, der Gero gerufen wurde, legte die Stirn in Falten. Dass Abigail anderer Meinung war, wusste er, weil sie ihn mit Gerold angesprochen hatte. Wenn sie ihn so ansprach, wusste er, dass sie etwas ärgerlich war.

Abigail war das einzige Kind sehr reicher Eltern, deren Vorfahren vor vier Generationen nach Amerikaausgewandert waren.

Gerold wusste nicht so genau, was sie alles besaßen und wie reich sie waren. Es interessierte ihn auch nicht. Er liebte Abigail und Abigail liebte ihn.

Ihr Großvater, Walter Green, hatte Gerold eines Abends in New York aufgelesen. Es war eine der Begegnungen, wie sie eigentlich nur in Romanen vorkamen, ausgedacht von romantischen Schreiberlingen.

Gerold wartete in einem Hauseingang. Es war spät. Man hatte ihm gesagt, dass er dort einen Schlafplatz bekäme. Ihm war es darauf angekommen, eine preiswerte Unterkunft zu finden. Die Wohnungsinhaberin war noch nicht von der Arbeit zurück. So setzte er sich auf die Eingangsstufen und spielte auf seiner Gitarre deutsche Volksweisen. Er hatte die lange Limousine erst gar nicht bemerkt, die auf der Straße gehalten hatte.

Gerold hatte erst aufgesehen, als ein alter Herr mit Spazierstock vor ihm stand und sich neben ihn auf die Stufen setzte.

Er sprach ihn auf Deutsch an, wenn auch mit deutlichem Akzent. Er bat Gerold, dieses und jenes Volkslied zu spielen. Er stellte sich als Walter Green vor. »Du spielst gut, Junge«, lobte ihn der ältere Herr.

Dann erkundigte er sich nach Gerolds Lebenslauf. Als er erfuhr, dass er ein Stipendium an der berühmten Juilliard Musikschule gewonnen hatte, war er sehr beeindruckt.

»Als mein Vater als junger Mann von Deutschland nach Amerika auswanderte, verdiente er sich zusätzlich Geld, indem er in seiner Freizeit auf der Straße musizierte. Du hast keinen Hut aufgestellt.«

Gerold hatte gelächelt. Er gestand, dass er Angst habe, als Bettler vertrieben zu werden. Er warte auf eine Wohnungsinhaberin, von der man sagte, sie hätte immer einen Schlafplatz für Musikstudenten. »Es wird eine winzige Kammer sein, aber besser als nichts«, lachte Gerold. »Lehrjahre sind keine Herrenjahre.«

Der alte Mister Walter Green schmunzelte. »So, so, du suchst also eine Bleibe? Da habe ich etwas für dich. Wenn es dir nicht gefällt, kannst du immer noch ablehnen. Okay?«

»Es kommt auf dir Höhe der Miete an«, bemerkte Gerold sofort.

»Sie ist recht günstig«, schmunzelte der Mann. »Einmal im Monat müsstest du raus nach ›Martha’s Vineyard‹ kommen, um mir und meiner Frau Lieder vorzuspielen. Das ist gut fürs Herz und die Seele. Ich würde dich abholen und zurückbringen lassen.«

Gerold hatte ihn erstaunt angesehen, dann ließ er sich überreden mitzukommen. Der Chauffeur hatte Gerold die Autotür aufgehalten. Etwas unsicher und verkrampft hatte er neben Walter Green in den Polstern gesessen.

Das wurde nicht besser, als er mit ihm die Luxuswohnung betrat.

»Hallo, Grandpa«, hatte Abigail gesagt. »Wenn bringst du da?«

»Oh, das ist Gerold, gerufen wird er Gero. Ich bringe dir einen zukünftigen Star.«

»Das ist typisch für dich, Grandpa. Mit was hat er dich verzaubert?«

»Heimatmusik natürlich, Abigail.«

»Bekomme ich auch etwas zu hören?«, hatte sie sofort gefragt.

Die nächsten Stunden waren wie im Flug vergangen. Abigail hatte Gerold am Klavier begleitet oder gesungen. Oder sie spielten vierhändig. Walter Green wischte sich öfters eine Träne aus den Augenwinkeln.

»Abigail, Gerold sucht eine Bleibe. Ich dachte mir, er könnte erst mal im Gästezimmer bleiben, wenn du nichts dagegen hast.«

Abigail hatte Gerold gemustert und dann geheimnisvoll gelächelt, mit einem verschmitzten Blick zu ihrem Großvater.

»Okay, ich mag Gero«, sagte sie. »Er kann bleiben, solange er will, wenn ich gelegentlich mit ihm musizieren kann.«

»Das lässt sich einrichten«, hatte Gerold verlegen geantwortet und war rot geworden.

Es war schon Mitternacht, als Walter Green sich verabschiedet hatte.

Den Rest der Nacht hatten Gerold und Abigail auf der Terrasse gesessen und geredet. Es war so, als würden sie sich schon ein ganzes Leben lang kennen. Die Musik verband sie. Und dabei entdeckten sie, dass ihre Herzen füreinander schlugen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Das war jetzt fast vier Jahre her.

Abigails Familie hatte Gerold mit offenen Armen aufgenommen. Der fleißige und bescheidene junge Mann gefiel ihnen. Einmal im Monat fuhr er mit Abigail zu ihren Großeltern. Meistens trafen sich dort die ganze Familie und die engsten Freunde. Dann war das Haus erfüllt von Heimatklängen.

Gerold wurde zurück in die Gegenwart gerufen.

Abigail hatte eine herzhafte Brotzeit gemacht, wie sie auch ihr Großvater liebte. Zwar kam die Leberwurst aus der Dose, aber sie schmeckte nach Heimat. Das Brot brachte mehrmals in der Woche eine Bäckerei, die in New York dunkles Brot nach deutschem Rezept backte, richtig mit Sauerteig.

Gerold griff zu.

»Wieso bist du früher gekommen?«, fragte Abigail. »Natürlich freue ich mich sehr, aber ich wundere mich.«

»Da kannst du dich auch wundern. Ich werde auch nicht lange bleiben können, Abigail. Ich muss nach Europa.«

Abigail erschrak. »Ist jemand krank? Ist was Schlimmes passiert? Ist etwas mit deiner Mutter oder deiner Schwester?«

»Mit beiden, deshalb muss ich rüber. Gebucht habe ich auch schon. Ich fliege heute Nachmittag, kurz nach siebzehn Uhr. Ich komme in Paris am frühen Morgen an, wegen der Zeitverschiebung. Ich hoffe, meine Schwester zu erwischen, bevor sie zur Arbeit geht, besser gesagt, zu überraschen. Am Mittag fliege ich bereits weiter nach München.«

Abigail starrte Gerold an. »Was ist los? Du siehst aus, als würdest du dir Sorgen machen.«

Gerold lächelte. »Dir kann ich nichts vormachen?«

»Nein, das kannst du nicht. Wenn man sich liebt, so liebt, wie wir uns lieben, dann spürt man, wenn den anderen etwas belastet. Was ist es?«

Gerold lächelte Abigail an, dann wurde er wieder ernst. »Meine Schwester verwirrt mich«, sagte er bedrückt.

Abigail runzelte die Stirn.

»Wie kommt’s? Ich dachte, ihr versteht euch gut.«

»Tanja hat mir äußerst wirre Mails geschickt und wir haben einmal telefoniert. Es war sehr …« Gerold suchte nach Worten, »bizarr. Abigail, ich denke, da läuft etwas aus dem Ruder. Ich muss nach Deutschland und mir selbst ein Bild machen. Vorher versuche ich mit meiner Schwester zu sprechen. Warte, ich hole dir die Mails. Ich habe sie ausgedruckt.«

Gerold stand auf und ging in sein Zimmer. Es dauerte nicht lange, dann kam er mit einem Bündel Ausdrucken zurück.