E-Book 321-330 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 321-330 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Alinas Flucht in ein neues Leben E-Book 2: Liebe lasst sich nicht erzwingen E-Book 3: Es ist dein Recht zu lieben, Lisa E-Book 4: Mein Herz gehört Nathalie E-Book 5: Die Liebe macht dich stark … E-Book 6: Philipps dunkles Geheimnis E-Book 7: Ich kämpfe um unser Glück! E-Book 8: Irrwege des Schicksals E-Book 9: Gefährlicher Ehrgeiz E-Book 10: Mit dem Erbe kam die Liebe

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Inhalt

Alinas Flucht in ein neues Leben

Liebe lasst sich nicht erzwingen

Es ist dein Recht zu lieben, Lisa

Mein Herz gehört Nathalie

Die Liebe macht dich stark …

Philipps dunkles Geheimnis

Ich kämpfe um unser Glück!

Irrwege des Schicksals

Gefährlicher Ehrgeiz

Mit dem Erbe kam die Liebe

Der Bergpfarrer – Staffel 33 –

E-Book 321-330

Toni Waidacher

Alinas Flucht in ein neues Leben

Doch die Vergangenheit holt sie ein …

Roman von Waidacher, Toni

Sophie Tappert brachte ihre Einkäufe in die Küche, stellte die Tasche aber, ohne sie auszuräumen, auf einem Stuhl ab und begab sich sofort zum Arbeitszimmer des Bergpfarrers, klopfte gegen die Tür und schaute hinein.

Pfarrer Trenker drehte sich samt seinem Stuhl herum. Er hatte am Computer gearbeitet.

»Entschuldigen S’ die Störung, Hochwürden«, sagte Sophie. »Aber die Frau Herrnbacher hat mir was erzählt, das Sie interessieren dürft’.«

»Na, dann spannen S’ mich net auf die Folter, Frau Tappert«, versetzte Sebastian lächelnd.

»Seit einiger Zeit wird doch gemunkelt, dass unser Bürgermeister mit einem Unternehmer aus München wegen einer Sommerrodelbahn verhandelt.«

»Das ist inzwischen ein offenes Geheimnis«, bemerkte der Bergpfarrer. »Der Bürgermeister selbst hat vor einiger Zeit damit geprahlt, dass es da eine Kontaktaufnahme gab. Aber wie’s scheint, tut sich noch nix Konkretes.«

»Das kann sich ändern«, erklärte Sophie, »und zwar sehr schnell. Die Frau Herrnbacher will nämlich erfahren haben, dass der Unternehmer aus München, mit dem der Bruckner Verhandlungen führt, gestern nach St. Johann gekommen ist, um die Sach’ perfekt zu machen.«

Jetzt zeigte Sebastian Betroffenheit, seine Brauen schoben sich zusammen, und über seiner Nasenwurzel entstanden zwei senkrechte Falten. »Das ist in der Tat sehr interessant, Frau Tappert. Der Bürgermeister hat mir zwar von dem Plan erzählt, aber er hat mir net den Namen des Unternehmers genannt, der ihn in die Tat umsetzen möcht.«

»Den hat mir die Frau Herrnbacher auch net nennen können. Aber der Mann soll im ›Löwen‹ abgestiegen sein und er hat heut’ Früh schon das Rathaus aufgesucht. Vielleicht kann Ihnen die Reisinger Susi seinen Namen nennen.«

»Den herauszufinden dürfte wohl tatsächlich net schwer sein«, sinnierte der Bergpfarrer und nagte an seiner Unterlippe, dann stieß er hervor: »Ich werd’ der Sache auf den Grund gehen. Vielen Dank, Frau Tappert, dass Sie mich informiert haben.« Sebastian schaute auf die Uhr. Es war kurz vor elf. »Vielleicht sollt’ ich mich gleich mal auf die Socken machen und mir unser Gemeindeoberhaupt zur Brust nehmen. Wenn mir einer was Konkretes sagen kann, dann der Markus. Fair Play hat er mir ja schließlich zugesagt.«

Mit dem letzten Wort drückte sich Sebastian von seinem Stuhl in die Höhe, reckte die Schultern und fügte hinzu: »Sieht ganz so aus, als müsste ich wieder mal die Messer wetzen, Frau Tappert. Unser Bürgermeister kann’s einfach net lassen.« Er lächelte fast ein wenig amüsiert. »Kaum hab’ ich ihm die Freilichtbühne ausgetrieben, hat er schon wieder ein neues Groß-Projekt gefunden, auf das er all seinen Ehrgeiz setzt.«

»Er gibt halt die Hoffnung net auf, irgendwann einmal in den Annalen der Gemeinde als erfolgreichster Bürgermeister genannt zu werden, Hochwürden.« Sophie Tappert schüttelte den Kopf. »Wenn S’ jetzt zu ihm gehen, werden S’ dann in einer Stund’ wieder zurück sein, Hochwürden? Es gibt heut’ gebratene Leber mit Zwiebelhaube. Ihr Bruder wird gegen zwölf Uhr kommen. Man soll’ die fertig gebratene Leber nämlich net allzu lange liegen lassen, denn dann wird sie hart wie eine Schuhsohle.«

»Ich denk’, es wird kein allzu langes Gespräch, das ich mit dem Markus führ. Ich hab’ lediglich ein paar Fragen an ihn. Also werd’ ich auch zurück sein, wenn der Max aufkreuzt.«

Wenig später schritt er die Hauptstraße des Ortes hinunter in Richtung Rathaus. Die Sonne schien, der Himmel, der sich über dem Wachnertal spannte, war blau, um die Gipfel der Zweitausender, die das Tal säumten, schwebten weiße Wolken. Auf den Balkonen und Fensterbänken der im alpenländischen Stil erbauten Häuser zu beiden Seiten blühten die Geranien, Petunien und der Weihrauch um die Wette.

Sebastian war geradezu verliebt in sein St. Johann. Wohin er auch schaute: seinen Augen bot sich ein Bild des Friedens und der Beschaulichkeit. Und daran erfreuten sich auch die meisten Bürger, wie auch die Touristen, die hier vor der Hektik der Großstadt eine Auszeit suchten.

Die Einheimischen, denen er begegnete, grüßten ihn respektvoll und freundlich, aber auch der eine oder andere Tourist, der seinen Weg kreuzte, murmelte einen Gruß.

Sebastian erreichte das Rathaus und betrat gleich darauf das Vorzimmer des Bürgermeisters.

Die Sekretärin, die die Tastatur ihres Computers bearbeitete, hielt inne und musterte den Besucher.

Er nickte ihr grüßend zu. »Ich würd’ gern den Bürgermeister sprechen. Oder ist der Besuch aus München noch bei ihm?«

»Sie meinen den Herrn Lebegern, wie?«, fragte die Vorzimmerdame. »Der ist schon wieder gegangen.« Ihre Brauen zuckten in die Höhe. »Hochwürden, Sie kommen wieder einmal, ohne vorher einen Termin vereinbart zu haben. Das wird den Herrn Bruckner gar net gefallen. Und mich pflaumt er hinterher wieder an, weil ich Sie net abgewimmelt hab’.«

»Das meint er sicher net bös’«, versetzte Sebastian. »Und das wissen S’ auch. Er mosert halt herum. Das muss man ihm zugestehen. Hat er doch oft einen schweren Stand.«

»Wenn sie die Händ’ im Spiel haben, Hochwürden, immer.«

Sebastian musste lachen. »Das hab’ ich allerdings net gemeint. Ich mach’ ihm das Leben vielleicht noch ein kleines bissel schwerer, aber er hat auch ohne mich genug zu schultern. Zu beneiden ist er jedenfalls net.«

Die Sekretärin erhob sich, seufzte und sagte: »Dann werd’ ich Sie halt mal anmelden, Hochwürden. Ich seh’ unseren Herrn Bürgermeister jetzt schon die Augen verdrehen.«

»Darauf dürfen S’ nix geben.«

Die Vorzimmerdame ging zu der Verbindungstür zum Büro des Bürgermeisters, öffnete sie und steckte den Kopf in den Türspalt. »Entschuldigen S’, Herr Bruckner, Pfarrer Trenker ist da und möcht’ Sie sprechen.«

»Das darf doch net wahr sein«, hörte Sebastian den Bürgermeister lamentieren. »Kaum dass der Lebegern vorgesprochen hat, steht der schon bei mir auf dem Teppich. Haben S’ ihn denn net abwimmeln können?«

»Du weißt genau, Markus«, rief Sebastian, der hinter die Sekretärin getreten war, »dass das bei mir net klappt. Und darum versucht es deine Vorzimmerdame schon gar nimmer. Ich hab’ nur ein paar Fragen.«

Die Sekretärin, froh, dass sie sich nicht weiter rechtfertigen musste, trat zur Seite und gab dem Bergpfarrer den Weg frei.

Sebastian betrat das Büro. »Das bissel Zeit, das ich brauch’, wirst du dir schon nehmen können, Markus.«

Markus Bruckner lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie wissen ja selber wie das ist, Hochwürden«, sagte er. »Alle Augenblick kommt irgendetwas daher, mit dem man net rechnet. Ich versuche, die tägliche Arbeit zu erledigen, und muss mich stattdessen um all den anderen Kram kümmern, der ungebetener Weise an mich herangetragen wird.«

»Wenn ich mal mehr Zeit hab’, Markus, dann bedauere ich dich«, sagte Sebastian ungerührt. »Darf ich mich setzen?«

»Ich denk’, Sie haben nur wenige Fragen.«

Sebastian zog sich den Stuhl heran, der vor dem Schreibtisch stand, und ließ sich nieder. »Du möchtest doch sonst auch mit mir auf Augenhöhe sein.«

»Na, dann hocken S’ sich halt nieder, Hochwürden. Sind S’ mir net bös, aber meine Zeit ist begrenzt.«

»Ich sitz’ bereits, falls das deiner geschätzten Aufmerksamkeit entgangen sein sollte. Dennoch danke. Du bist wieder mal sehr zuvorkommend.«

»So bin ich halt, Hochwürden.«

»Na schön, Markus, dann will ich dir sagen, weshalb ich zu dir gekommen bin. Bei dir war vorhin der Unternehmer aus München, mit dem du wegen der Sommerrodelbahn verhandelst. Mir scheint, die Angelegenheit nimmt Formen an.«

Bruckner wich dem Blick des Bergpfarrers aus.

*

Markus Bruckner hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen und kaute kurz darauf herum, dann antwortete er: »Das Vorhaben des Unternehmers …«

»Er heißt Lebegern«, sagte Sebastian. »Du kannst ihn also bei seinem Namen nennen.«

Bruckner blinzelte. »Sie haben sich ja schon ganz schön kundig gemacht, Hochwürden. Aber das hätt’ ich ja wissen müssen.« Er winkte ab. »Es ist kein Geheimnis. Sein voller Name ist Heribert Lebegern. Ein knallharter Geschäftsmann, der es versteht, seinen Willen durchzusetzen. Sein Antrag, ihm im Ainringer Forst einen passenden Berghang zu verpachten, liegt noch beim Staatsministerium in München. Lebegern hat mir aber versichert, dass er über einen sehr guten Draht dorthin verfügt und meint, dass die Genehmigung nur noch eine reine Formsache sei.«

»Mit einem geeigneten Hang wird’s net getan sein, Markus. Für eine Rodelbahn braucht man eine Talstation, eine Bergstation, und natürlich auch genügend Parkplätze in der Nähe. Denn wenn die Besucher erst kilometerweit marschieren müssen, um zur Rodelbahn zu gelangen, dann dürft’ das dem Geschäft net gerade zuträglich sein. Man wird auch eine Straße bauen müssen, und bald werden auch Eisdielen, Cafes und diverse Lokale rund um die Stationen der Rodelbahn entstehen. Was meinst du, wie viel Natur mit dem Bau einer solchen Anlage und den weiteren Bauobjekten, die sie zwangsläufig nach sich zieht, zerstört werden wird?«

»Natur, Natur!«, explodierte der Bürgermeister. »Der Natur zuliebe, die Sie ständig ins Spiel bringen, hab’ ich schon zig Projekte sausen lassen müssen! Haben S’ denn net mal mit den Menschen ein Einsehen, Hochwürden, die hier in St. Johann oder in der Umgebung ihr tägliches Brot verdienen müssen? Die sind auf den Fremdenverkehr angewiesen. Wenn wir aber keine Attraktionen bieten können, bleiben die Gäste bald aus und alle, die vom Tourismus leben, können mit dem Ofenrohr ins Gebirg’ schauen.«

»Die Menschen hier sind bis jetzt auch ohne Massentourismus ausgekommen, Markus«, konterte der Bergpfarrer. »Wir haben ein vernünftiges Touristenaufkommen, und den Leuten, von denen du sprichst, geht’s recht gut. Sie sind zufrieden mit dem, was sie am Tourismus verdienen.«

»Das meinen Sie, Hochwürden. Sie gehen da wahrscheinlich von Ihrer Warte aus. Sie haben ja – wenn mich net alles täuscht –, irgendwann einmal ein Armutsgelübde abgelegt. Es gibt aber Leut’, die ihre Familien zu ernähren haben. Und die sind darauf angewiesen, dass möglichst viele Gäst’ nach St. Johann kommen. Sie wollen nämlich net nur leben, sie wollen gut leben.«

»Du verwechselst wieder mal etwas, Markus. Ich gehör’ zu keinem Orden, und so hab’ ich auch net das Armutsgelübde ablegen müssen. Ich beziehe ein Gehalt wie du auch, allerdings – net ganz so üppig wie deines.«

Bruckner machte eine wegwischende Handbewegung. »Jedenfalls sind Sie net auf Touristen angewiesen. Haben S’ denn keine Gewissenbisse, wenn S’ an die armen Leut’ denken, die sich auch gern’ ein Stück vom Kuchen abschneiden würden.«

»Solang unser Ort und das Tal den Tourismus verkraften, bin ich der Letzte, der etwas gegen ihn einzuwenden hat«, erklärte Sebastian. »Du aber willst eine Art Massentourismus hierher ziehen, und der wär’ weder für St. Johann noch für das Wachnertal gut. Außerdem müsste viel Natur unwiederbringlich vernichtet werden. Willst du unsere schöne Gegend einem Kollaps ausliefern, Markus? Frieden und Ruhe wären dahin. Aber ich wiederhol’ mich. Das alles hab’ ich dir schon erzählt, als du den Bau der Freilichtbühne geplant hattest.«

»Das stimmt. Ich kann’s und ich will’s aber nimmer hören. Den Powell konnten S’ ja um den Finger wickeln, sodass er auf Ihre Seite gewechselt ist. Der Lebegern aber ist einer, der sich von nix und niemand die Butter vom Brot nehmen lässt. Der hat sich die Sommerrodelbahn in den Kopf gesetzt, und der baut sie auch. Mit oder ohne Ihren Segen, Hochwürden. Apropos Segen!« Bruckner grinste schief. »Sie kommen doch zur Einweihung, um das Projekt zu segnen?« Sein Grinsen verstärkte sich. »Wenn net, dann müsst ich ja glatt annehmen, dass Sie sauer sind, weil S’ dieses Mal den Kürzeren gezogen haben.«

»Lach net, Markus. Und Zynismus ist schon gar net angebracht. Ich seh’s schon: Du stehst wieder einmal voll und ganz hinter dem Projekt, und meine Argumente fegst du vom Tisch.«

Bruckner grinste nur siegesgewiss.

Sebastian stemmte sich am Tisch in die Höhe. »Wenn’s sein muss, ruf’ ich persönlich beim Staatsministerium an, um mit Nachdruck meine Bedenken gegen die Sommerrodelbahn darzulegen. Ich werde darauf bestehen, dass man von dort aus ganz genau prüft, ob die Umwelt hier im Tal durch ein solches Unternehmen net allzu sehr geschädigt wird.«

»Rufen S’ ruhig an, Hochwürden. Lassen S’ sich aber gesagt sein, dass der Herr Lebegern ganz andere Beziehungen ins Ministerium hat. Man sagt dazu auch Kon …“ Bruckner legte die Fingerkuppen an die Stirn. »… Confections. Wahrscheinlich kennen S’ den Begriff, Hochwürden, schließlich haben S’ ja studiert …«

»Es heißt Connections.«

»Was?«

»Schon gut, Markus«, sagte Sebastian und winkte ab. »Ich weiß, was du meinst.«

»Schön. Dieses Mal können S’ sich wahrscheinlich auf den Kopf stellen und mit den Ohren schlackern – an der Sommerrodelbahn führt kein Weg mehr vorbei.«

»Du bist dir wieder einmal sehr sicher, Markus – zu sicher«, gab Sebastian zu bedenken. »Mit der Freilichtbühne war es genauso. Und dann bist du fürchterlich auf den Bauch gefallen. Dass du nix dazulernst? Jeder andere lernt aus seinen Fehlern, nur du net.«

»Halten S’ mich nur net für dümmer, als ich vielleicht ausschau’, Hochwürden.« Bruckner verlor nichts von seiner zur Schau getragenen Siegessicherheit. »Wenn die Arbeiter mit schwerem Gerät aufmarschieren, um in den Wald auf einem Hügel im Ainringer Forst eine breite Schneise zu schlagen, dann werden S’ merken, dass ich ein Gewinner bin. Dann geht alles seinen Gang und Sie stehen dumm daneben.«

»Erinnerst du dich an die Stripteasebar, deren Eröffnung du zustimmen wolltest?«, fragte der Pfarrer. »Du hast sie sogar mit allen möglichen rechtlichen Stellungnahmen befürwortet. Und trotzdem haben wir den Irrsinns-Plan verhindert.«

»Jetzt kommen S’ mir gewiss wieder mit der Drohung, eine Bürgerinitiative ins Leben zu rufen.« Bruckner legte die flache Hand auf seine Brust. »Aber wenn S’ meinen, wieder ein paar selbsternannte Moralapostel oder Naturschützer auf mich loslassen zu müssen, dann muss ich Ihnen sagen, dass Sie sich dieses Mal an die falsche Adresse wenden. Der Ainringer Forst ist Staatswald, und die bayerische Staatsregierung muss entscheiden, ob man an Lebegern verpachtet oder vielleicht sogar verkauft. Die Gemeinde ist dann nur für die Erschließung zuständig. Und das können S’ dann auch mit einer Bürgerinitiative net verhindern.«

»Und wer genehmigt das Projekt? Doch die Gemeinde, oder net?«

»Na ja …« Bruckner schien sich innerlich zu winden.

»Na also! Nachdem du eine Bürgerinitiative erwähnt hast, nehm’ ich an, dass du gern hören würdest, was ich als Nächstes unternehmen werd’, um die Rodelbahn zu verhindern, Markus, gell? Aber an eine Bürgerinitiative hab’ ich in dem Zusammenhang net gedacht. Es gibt andere Mittel und Wege.«

»So, welche denn?«

»Das werd’ ich gerade dir auf die Nase binden, Markus.«

Bruckner schürzte die Lippen. »Dann darf ich das so verstehen, dass der Waffenstillstand zwischen uns wieder vorbei ist, Hochwürden.« Bruckner klatschte in die Hände. »Fein, wie Sie wollen. Ich hab net das Geringste dagegen. Ich werd’ Ihnen sogar den nächsten Zug überlassen. Ich kann mir das leisten.«

»Jetzt werd’ nur net größenwahnsinnig, Markus«, versetzte Sebastian ruhig, und ein angedeutetes Lächeln umspielte seinen Mund. »Du hast dich wieder mal auf ein sehr hohes Ross gesetzt, würd’ ich sagen. Pass nur auf, dass du net herunterfällst. So ein Sturz kann sehr, sehr wehtun.«

»Ich hab’ die Zügel fest in der Hand, Hochwürden. Dennoch vielen Dank dafür, dass Sie sich um mich sorgen.«

»Keine Ursache. Wir hören wieder voneinander, Markus. Schauen wir mal, wer von uns beiden den längeren Atem hat.«

»Den hat der Lebegern, Hochwürden. Ich hab’s doch schon gesagt: Er hat gute Connections – bis zum Staatsminister. Gegen den machen S’ keinen Stich.«

»Ich fürcht’ mich net, Markus. Aber jetzt will ich dich net länger aufhalten. Außerdem möcht’ ich vermeiden, dass die Frau Tappert mit dem Essen auf mich warten muss. Servus, Markus. Und – immer schön fair bleiben, ja!«

»Pfüat Ihnen, Hochwürden. Es ist schlimm mit Ihnen. Wir beide könnten die besten Freunde sein, wenn Sie net gegen alles, was ich anleiere, vorgehen würden. Wollen S’ net endlich aufhören damit?«

»Wenn du aufhörst, dem Frieden und der Ursprünglichkeit in St. Johann und im Wachnertal dem Profit opfern zu wollen, dann hör’ ich auf, dagegen anzukämpfen. Und dann können wir von mir aus, Bruderschaft trinken.« Sebastian verließ die Amtsstube und wenig später das Rathaus.

Er war unzufrieden. Das Gespräch mit dem Bürgermeister war wieder mal ohne Ergebnis geblieben. Aber eigentlich hatte er gar nichts anderes erwartet. Er kannte Markus Bruckner wahrscheinlich besser als der sich selbst. Das rührige Gemeindeoberhaupt war von seinen ehrgeizigen Ideen und Plänen anfangs immer überzeugt, zeigte sich selbstbewusst und unangreifbar, und wurde dann immer kleinlauter, wenn er merkte, dass ihm die Felle wieder einmal davonschwammen. Am Ende war von seiner Siegessicherheit nie etwas übrig geblieben.

Ein Lächeln stahl sich in Sebastians Gesicht. Das Schöne an all den Kabbeleien war, dass sie in der Regel auf einer sachlichen Ebene ausgetragen wurden und dass daraus nie eine persönliche Feindschaft geworden war.

Trotz aller Gegensätze – er, der Pfarrer, und der Bürgermeister respektierten sich gegenseitig und waren sich sympathisch.

*

»Ich weiß mir keinen Rat mehr«, rief Alina Wolfinger verzweifelt. Die hübsche, fünfundzwanzigjährige Frau mit langen, dunklen Haaren schüttelte den Kopf. »Heut’ hat mich der Lennard schon wieder angerufen.« Ihre Stimme drohte zu brechen. Um ihren Mund hatte sich ein herber Zug festgesetzt, ihre Mundwinkel zuckten, ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Was der mit mir treibt, ist Psychoterror. Jetzt wird’s net lang’ dauern, und ich krieg’ wieder einen Anruf. Wie er meine neue Telefonnummer herausgefunden hat, ist mir ein Rätsel.«

Alina saß im Wohnzimmer ihrer kleinen Wohnung in Innsbruck und schaute ihre Freundin Karin Rat suchend an.

Sie und Karin kannten sich schon seit ihrer Kindheit, waren zusammen in die Schule gegangen, und auch danach, als sich ihre Wege trennten, hatten sie ihre Freundschaft aufrechterhalten. Karin war, im Gegensatz zu ihr, verheiratet und hatte zwei Kinder.

»Du könntest ihn anzeigen«, sagte Karin. »Das Gericht hat es ihm doch schon zur Auflage gemacht, dass er sich von dir fernzuhalten hat. Für den Fall, dass er dagegen verstößt, wurde ihm ein hohes Bußgeld angedroht. Wenn du ihn anzeigst und er zahlen muss, bringt ihn das vielleicht zur Raison.«

»Hätt’ ich bloß nie was angefangen mit diesem Kerl«, stieß Alina in einem Anflug von Zorn hervor. »Alle haben mich gewarnt. Aber ich war blind vor Liebe …«

»Es war keine Liebe, es war eine Verliebtheit, und als du die Wahrheit über Lennard erfahren hast, ist dieses Strohfeuer sehr schnell wieder erloschen. Zeig’ ihn an. Vielleicht lässt er dich dann in Ruhe.«

»Daran glaub’ ich net. Der ist resistent gegen Bußgeldandrohungen oder irgendwelche Gerichtsbeschlüsse.« Alina schluchzte, wischte sich mit der Hand über die Augen, und stieß hervor: »Ich halt’ das nimmer aus. Meine Nerven liegen blank. Ich hab’ sogar schon daran gedacht, wegzuziehen. Wenn ich Innsbruck verlass’ und niemand sag’, wo ich künftig wohnen werd’, hab’ ich auch meine Ruhe vor Lennard.«

Karin dachte kurz nach, dann erwiderte sie: »Das ist gar keine so schlechte Idee. Deine Wohnung hier brauchst du ja net aufzugeben. Ich war doch mit meinem Mann und den Kindern vor drei Wochen im Urlaub drüben in Bayern, genau gesagt, in St. Johann. Dort hab’ ich zufällig mitbekommen, dass ein Pensionswirt, dessen Frau vor einem halben Jahr gestorben ist, eine Hauswirtschafterin sucht. Das wär’ doch was für dich. Hier bist du auch in der Hotellerie tätig, und so groß kann der Unterschied zur Arbeit in einer Familien-Pension net sein. Wenn du lang’ genug aus der Schusslinie bist, verliert vielleicht der Lennard das Interesse an dir.«

»Was ist das für ein Mann, dieser Pensionswirt?«, wollte Alina wissen. »Meinst, er sucht ernsthaft eine Hauswirtschafterin? Vielleicht hat er auch noch ganz was Anderes im Sinn. Man muss da sehr vorsichtig sein. Ich hab’ da mal einen Bericht im Fernsehen angeschaut …«

»So genau weiß ich das auch net. Aber du könntest dich ja mal bei ihm bewerben und ihn dir ansehen. Dann weißt du mehr.«

»Die Idee ist net schlecht. Hast du einen Namen und eine Adresse oder Telefonnummer? Ich würd’ alles tun, wenn ich dadurch den Lennard loswerden könnt’. Der macht mich fertig. Er braucht net mal was zu sagen. Allein schon die Tatsache, dass er sich in meiner Nähe herumtreibt und mich net aus den Augen lässt, empfind’ ich als Bedrohung. Ja, das ist so, Karin. Der Kerl macht mir Angst. Sobald er auftaucht, steh’ ich vor einem Nervenzusammenbruch.«

»Ruf’ bei der Gemeinde St. Johann an. Die können dir sicher sagen, an wen du dich wegen der Stelle wenden musst. Dass ich dich verrat’, musst du net befürchten. Ich würd’ mir eher die Zunge abbeißen, als dem Lennard zu sagen, wo du dich versteckt hältst.«

»Das weiß ich doch Katrin.« Alina erhob sich, ging zu der Freundin hin, umarmte sie und fügte hinzu: »Danke für den Tipp. Wenn das Angebot dieses Pensionswirts in Ordnung ist, geh’ ich nach St. Johann. Vielleicht kann ich dann dort endlich wieder ein normales Leben ohne Angst führen.«

Tags darauf erfuhr Alina, wer der Mann war, der eine Hauswirtschafterin suchte. Sein Name war Alfred Holzinger, er war zweiundsechzig Jahre alt, seine Gattin war ein halbes Jahr zuvor an Leukämie verstorben, und er betrieb eine Pension, die ein Dutzend Zimmer zur Vermietung anbot.

Die Gemeindemitarbeiterin, mit der Alina gesprochen hatte, versicherte ihr, dass Holzinger ein Ehrenmann war, der ganz sicher keine üblen Hintergedanken hegte.

Alina sagte Karin Bescheid, rief bei ihrem Arbeitgeber an und erklärte, dass sie aus familiären Gründen ein, zwei Tage Urlaub bräuchte. Danach setzte sie sich in ihr Auto und fuhr in Richtung Garmisch, wo ungefähr eine halbe Autostunde entfernt das idyllische St. Johann lag, von dem ihr Katrin in den höchsten Tönen vorgeschwärmt hatte.

*

Alfred Holzinger war ein freundlicher Mann mit kurz geschorenen, grauen Haaren und ehrlichen, blauen Augen, die gütig in die Welt blickten, in deren Tiefe Alina aber auch einen Ausdruck von Schwermut wahrzunehmen glaubte. Sie sagte sich, dass er wohl den Tod seiner Frau noch nicht überwunden hatte.

»Die Stelle ist noch frei«, erklärte Alfred.

Er und Alina saßen in dem kleinen Aufenthaltsraum neben der Rezeption. Es gab hier drei Tische mit jeweils vier Stühlen.

»Haben Sie denn Erfahrung im Beherbergungsgewerbe? Sie müssen wissen, ich such’ jemand, der den Betrieb sofort eigenverantwortlich übernehmen kann. Der Tobias und ich haben versucht, nach dem Tod meiner Frau den Laden zu schmeißen, mussten aber sehr bald feststellen, dass wir beide überfordert waren. Solange meine Frau alles – vom Frühstücksbüffet bis zur Reinigung der Zimmer –, gemanagt hat, ist es nie zu irgendwelchen Beschwerden gekommen, seit Tobias und ich das übernommen hatten, lief es net mehr glatt.«

»Der Tobias ist ihr Sohn?«, hakte Alina nach.

»Stimmt. Ich hab’ zwei Buben. Der Tobias hat, als die Maria gestorben ist, seine Arbeit aufgegeben, um mit mir die Pension zu führen. Der Dennis ist zwei Jahre jünger und studiert in München Maschinenbau. Irgendwann in nächster Zeit wird er wieder antanzen, wenn die Semesterferien beginnen. Er geht mir dann auch ein wenig zur Hand, aber das ist halt alles net so wie unter der Regie meiner Frau – Gott hab’ sie selig. Die hat einfach ein Händchen für die Gäste und den Betrieb gehabt.«

»Ich arbeite in Innsbruck in einem großen Hotel«, erzählte Alina. »Vier Sterne. Da darf nix schiefgehen. Den Gästen werden die Wünsche von den Lippen abgelesen. Ich kann mir also sehr gut vorstellen, dass ich diesen Betrieb hier zu Ihrer Zufriedenheit managen könnt’.«

»Wann könnten S’ denn anfangen, Alina? Ich darf Sie doch mit dem Vornamen anreden? Das ist bei uns so üblich. Sie können zu mir, wenn es zu einer Zusammenarbeit kommt, gerne auch Alfred sagen.«

»Natürlich können S’ mich beim Vornamen nennen. Anfangen könnt’ ich schon übermorgen. Ich muss nur noch einmal nach Innsbruck zurück, um mit meinem bisherigen Arbeitgeber einen Auflösungsvertrag zu schließen, und um einige Sachen zu holen.«

»Wie gesagt, Alina: Wohnen und essen können S’ hier im Haus, ich müsst allerdings etwas Geld für Kost und Logis von ihrem Lohn abziehen. Aber keine Sorge, das bleibt im üblichen Rahmen.«

»Das ist in Ordnung, Alfred. Dann wär’ ja soweit alles geklärt. Jetzt müssen S’ mich nur noch einstellen.« Alina lächelte etwas gezwungen. Ihre graugrünen Augen, die einen starken Kontrast zu ihren dunklen Haaren darstellten, erreichte das Lächeln jedoch nicht.

Alfred Holzinger blieb das nicht verborgen. Forschend schaute er in Alinas ebenmäßiges, hübsches Gesicht und fragte: »Warum verlassen S’ eigentlich Innsbruck? Sie haben dort eine Arbeit und eine Wohnung, und ich denk’ mal, es fehlt Ihnen dort an nix. Grundlos gibt das doch niemand auf, so mir nix dir nix.«

Alina hatte diese Frage befürchtet und sich eine Ausrede zurechtgelegt. »Ich bin vor kurzer Zeit im Wachnertal wandern gewesen, und war begeistert. Vor allem St. Johann hat’s mir angetan. Da ich in Innsbruck nicht gebunden bin – meine Eltern leben in Salzburg –, hab’ ich mir gedacht, ich geh’ hierher, vorausgesetzt, ich find’ eine Anstellung. Ich hab’ mit einer Freundin drüber gesprochen, und die hat mir den Tipp mit Ihrer Pension gegeben …«

»Lebt die Freundin etwa gar hier in St. Johann?«

»Nein, sie hat hier mit Ihrem Mann und den beiden Kindern Urlaub gemacht. Sie hat gar nimmer aufgehört mit dem Schwärmen. Vom schönen Badestrand am Achsteinsee hat sie mir erzählt, von der Kandereralm, zu der sie gewandert sind, von der Streusachhütte …«

Alfred nickte. »Ich denk’, Sie sind die Richtige für die Pension, Alina. Wenn S’ mit den Bedingungen, die ich biete, einverstanden sind, dann können S’ bei mir anfangen. Ob übermorgen oder ein paar Tage später, das spielt net die große Rolle. Erledigen S’ Ihre Angelegenheiten in Innsbruck, und sobald Sie zurückkommen, nehmen S’ die Arbeit auf. In Ordnung?«

Alfred hielt Alina die Rechte hin und sie schlug ein. »Vielen Dank für Ihr Vertrauen, Alfred. Ich werd’ alles tun, damit Sie mit mir zufrieden sein werden.«

»Davon bin ich überzeugt«, antwortete Alfred.

In diesem Moment lief ein jüngerer Mann an der geöffneten Tür vorbei.

Alfred Holzinger rief: »Tobias, komm’ doch mal rein!«

Der Bursche kam zurück. Er war über eins achtzig groß und machte einen kernigen Eindruck. Tobias sah seinem Vater sehr ähnlich. Seine Haare waren blond, die Augen wiesen dieselbe Farbe auf wie die Augen seines Vaters.

»Darf ich vorstellen«, sagte Alfred und wies mit seiner Linken auf Alina. »Das ist Alina Wolfinger. Ich hab’ dir ja erzählt, dass sie mich angerufen hat, weil sie gern die Stell’ hätt’, die wir zu vergeben haben.«

Tobias gab Alina die Hand und grinste. »Und? Haben S’ immer noch Interesse, nachdem Ihnen mein Vater erklärt hat, was alles auf Sie zukommt?«

»Ihr Vater und ich sind uns einig«, antwortete sie höflich lächelnd. »Ich hab’ noch ein paar Dinge in Innsbruck zu erledigen, komm’ aber so schnell, wie es mir möglich ist, zurück, um die Arbeit aufzunehmen.«

»Dem Himmel sei dank. Ohne eine ordnende, erfahrene Hand wär’ die Pension wohl langsam aber sicher im Chaos versunken, und wir hätten auch noch unsere letzten Gäste vergrault. Ich freu’ mich schon auf die Zusammenarbeit.«

»Ganz meinerseits«, erklärte Alina lächelnd. Sie hatte das Gefühl, bei Alfred und Tobias Holzinger gut aufgehoben zu sein. Beide vermittelten den Eindruck von Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit, und auch das letzte bisschen Misstrauen, mit dem Alina nach St. Johann gefahren war, löste sich auf wie Rauch im Wind.

Alina schaute wieder hoffnungsvoll in die Zukunft. Vielleicht gehörte Lennard Lugauer, der sich in Innsbruck mehr und mehr zu einem Albtraum für sie entwickelt hatte, bald nur noch der Erinnerung an. Glücklich und zufrieden machte sie sich auf die Rückreise nach Innsbruck.

*

Heribert Lebegern wohnte im Hotel ›Zum Löwen‹. Er war achtundvierzig Jahre alt, mittelgroß und wog sicherlich zwanzig Kilogramm zu viel. Seine braunen Haare waren ziemlich licht, sein Gesicht war rund und fleischig, seine braunen Augen blickten gutmütig. Wer ihn sah, vermutete hinter seinem ganzen Erscheinungsbild einen urgemütlichen Typen, den so leicht nichts aus der Ruhe zu bringen vermochte.

Er saß an einem Tisch im Biergarten des Hotels und aß zu Mittag. Er hatte sich eine knusprig gebratene Schweinshaxe mit Knödel und Kraut bestellt und aß mit gutem Appetit. Dazu trank er ein Weißbier.

Um ihn herum herrschte reger Betrieb. Es war Hochsaison und in St. Johann gab es kein freies Bett mehr. Und viele der Urlauber, die in den Pensionen nur Frühstück erhielten, nahmen ihr Mittagessen im Hotel ein. Der ›Löwe‹ war bekannt für sein vorzügliches Essen und seine bürgerlichen Preise. Außerdem wurden die Gäste von den Haustöchtern höflich und zuvorkommend bedient.

Von Susanne Reisinger, der ältesten Tochter des Reisinger Sepp, der das Hotel betrieb, hatte der Bergpfarrer erfahren, dass er den Unternehmer aus München im Biergarten antreffen könne. Also begab sich Sebastian dorthin, sah, dass Lebegern noch nicht ganz fertig war mit seiner Haxe, und setzte sich in seiner Nähe an einen freien Tisch im Schatten unter einem der alten Kastanienbäume. Er ließ sich von Heidi Reisinger, Susannes Schwester, ein Glas Mineralwasser bringen.

Als Sebastian in die Richtung des Unternehmers schaute, kreuzten sich ihre Blicke. Dem Pfarrer entging nicht, dass sich die Miene Lebegerns von einem Augenblick zum anderen verschloss und dass aus seinen Augen der gutmütige Ausdruck verschwand.

›Markus scheint ihn vorgewarnt zu haben!‹, durchfuhr es Sebastian. ›Und Lebegern hat mich an meinem Priesterkragen und dem kleinen Kruzifix an meiner Jacke erkannt. Na ja, sobald er gegessen hat, sprech’ ich ihn an. Er macht ja eigentlich einen recht leutseligen Eindruck. Allerdings hat mir der Markus ein anderes Bild von ihm vermittelt. Es wird sich herausstellen, wie er tickt.‹

Immer wieder schoss Lebegern dem Pfarrer verstohlene Blicke zu. Schließlich legte er Messer und Gabel in den leeren Teller, wischte sich mit der Serviette den Mund ab, knüllte die Serviette zusammen und warf sie auch auf den Teller, griff nach dem Bierglas und trank. Über den Rand des Glases hinweg beobachtete er Sebastian. Er ahnte wohl, dass der Pfarrer seinetwegen in den Biergarten gekommen war, und wartete nun darauf, dass er ihn ansprach.

Sebastian erhob sich, ging zum Tisch des Unternehmers und sagte lächelnd: »Guten Tag, Herr Lebegern. Verzeihen Sie die Störung, aber ich würde mich gerne mit Ihnen über eine Sache unterhalten, die mir sehr am Herzen liegt. Ich bin der Gemeindepfarrer von St. Johann, mein Name ist Trenker. Würden Sie sich ein paar Minuten Zeit für mich nehmen?«

»Sehr formvollendet, Herr Pfarrer«, versetzte Lebegern mit starrer Miene. »Als Sie den Biergarten betreten haben, wusste ich, dass Sie zu mir wollen. Ihr Bürgermeister, Herr Bruckner, hat mich vor Ihnen gewarnt. Ich habe also damit gerechnet, dass Sie irgendwann das Gespräch mit mir suchen würden.«

»Dann darf ich mich also kurz zu Ihnen setzen?« Ein Blick in die Augen Lebegerns verriet Sebastian, dass dieser Mann energisch und unduldsam war. Der gutmütige Eindruck täuschte. Dahinter verbargen sich Härte und kompromissloser Ehrgeiz.

»Ich will Sie nicht daran hindern, Herr Pfarrer. Holen Sie Ihr Wasser und nehmen Sie Platz. Weswegen Sie mich sprechen wollen, weiß ich ja. Machen Sie sich aber keine allzu großen Hoffnungen, dass Sie bei mir etwas erreichen.«

»Sie wissen also, worum es geht?«

»Natürlich. Ich weiß inzwischen sehr gut über Sie Bescheid.«

Sebastian holte sein Wasser und setzte sich Lebegern gegenüber an den Tisch. Sie schauten sich an, taxierten sich, jeder machte sich ein Bild vom anderen.

Schließlich ergriff der Unternehmer das Wort: »Sie sehen überhaupt nicht altmodisch aus, Herr Pfarrer. Wenn man Sie so sieht, könnte man Sie für einen weltoffenen, aufgeschlossenen Mann halten. Vom sonnengebräunten Aussehen her, würde ich zunächst an einen Schauspieler oder Sportler denken, wenn ich sie sehe. Kaum zu glauben, dass Sie sich so vehement gegen den Fortschritt stemmen.«

»Derjenige, der das behauptet, hat meine Beweggründe net begriffen«, versetzte Sebastian.

»Begriffen wahrscheinlich schon, doch wen interessieren sie?«

Der Bergpfarrer war einen Moment lang ziemlich baff. »Sie sollten jeden interessieren«, stieß er schließlich hervor, »der net dazu betragen will, dass unsere Natur im Wachnertal… Ach was sag’ ich? Net nur im Wachnertal, in den gesamten Alpen sind durch den Massentourismus die Flora und Fauna gefährdet. Inzwischen schlägt die gepeinigte Natur zurück, daher sollte der Umweltschutz jeden interessieren und man sollte ihn über materielle Interessen stellen.«

»Vom Umweltschutz kann ich nicht leben, guter Mann«, knurrte Lebegern und vollführte eine ausholende Armbewegung. »Schauen Sie sich um, Herr Pfarrer. All die Berge, die das Tal säumen, die Wälder, die Almen und was weiß ich, worauf es Ihnen noch ankommt – das ist Natur pur. Glauben Sie allen Ernstes, dass da ein paar Hundert Bäume, die wir wegen der Rodelbahn fällen, ins Gewicht fallen? Man räumt weg, was im Weg steht. Überall in den Alpen entstehen Skigebiete. Was also wollen Sie überhaupt? Wollen Sie mir wegen einiger Föhren oder Fichten vorweinen?«

Sebastian war regelrecht schockiert über soviel Naivität und Ignoranz, die Lebegern zum Ausdruck gebracht hatte. Fassungslos starrte er den Unternehmer an.

Der zeigte ein geradezu faunisches Grinsen und stieß hervor: »Jetzt fehlen Ihnen die Argumente, wie?«

Der Bergpfarrer schüttelte ungläubig den Kopf. »Es geht net nur um ein paar Bäume, Herr Lebegern. Es geht darum, dass mit jeder Skipiste, die erschlossen wird, mit jeder Freizeitanlage, die irgendwo mitten in die Natur gebaut wird, die Tier- und Pflanzenwelt ein Stück zurückdrängt wird und die Natur der Bergwelt einen immensen, irreparablen Schaden nimmt. Wissen Sie denn net, dass viele Tiere und Pflanzen bereits auf der Liste der gefährdeten Bestände stehen? Wenn alle so denken wie Sie und unser Bürgermeister, dann lernen unsere Nachkommen sie nur noch in den Schulbüchern kennen.«

»Über solchen Mist mache ich mir keine Gedanken, Herr Pfarrer. Ich plane etwas, in diesem Fall ist es der Bau einer Sommerrodelbahn, und stelle entsprechende Anträge. Dabei gehe ich davon aus, dass diejenigen, die darüber zu entscheiden haben, die entsprechenden umweltrelevanten Prüfungen durchführen. Das ist nicht mein Problem. Bekomme ich grünes Licht, heißt das für mich, dass ich mit der Umsetzung meines Planes beginne. Verstehen Sie das? Meine Taktik ist vollkommen einfach und klar. Darf ich bauen, baue ich ohne Rücksicht auf Verluste, lehnt man meine Anträge ab, suche ich mir einen anderen Platz, wo man sie vielleicht genehmigt. Ich blicke nach vorn, nicht zur Seite. Ich denke, Sie verstehen, was ich meine.«

»Das ist eine gefährliche Einstellung, auf die sie anscheinend auch noch stolz sind, Herr Lebegern«, verlieh Sebastian seiner Betroffenheit Ausdruck.

Der Unternehmer zuckte mit den Achseln. »Ich habe nichts gegen Sie, Herr Pfarrer – so lange Sie nicht versuchen, mir Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Ich bin Unternehmer, mein Geschäft ist auf maximalen Gewinn ausgerichtet. Machen Sie Ihren Job als Priester, aber kommen Sie mir nicht in die Quere.«

»Das war deutlich«, sagte Sebastian.

»Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen. Bruckner hat mir erzählt, dass Sie bereits ihre Fühler bis ins Staatsministerium ausgestreckt haben. Er hat mir auch von einigen Ihrer früheren Aktionen berichtet, mit denen Sie das eine oder andere Projekt verhindert haben. Ich weiß nicht, von welchem Schrot und Korn die Leute waren, die Sie aus dem Rennen geworfen haben. Bei mir bedarf es mehr – viel mehr, um mich von dem einmal eingeschlagenen Weg zu drängen. – Prost.« Lebegern griff nach seinem Bierglas, setzte es an die Lippen und nahm einen satten Schluck.

»Wenn man Sie so sieht, könnte man Sie für einen gemütlichen und verträglichen Zeitgenossen halten«, sagte Sebastian und erhob sich. »Ihre Art, die Dinge zu sehen, aber straft diesen Eindruck Lügen.«

Als Lebegern jetzt lächelte, vermittelte er wieder einen umgänglichen, friedfertigen Eindruck. »Ich kann gemütlich und verträglich sein, Herr Pfarrer. Die meisten Menschen mögen mich deswegen. Doch man darf nicht versuchen, mir gegen den Karren zu fahren. Tut es jemand doch, kann ich ziemlich unangenehm werden.«

»Verstehe. Ich seh’s schon, Herr Lebegern, wir leben in verschiedenen Welten. Sie haben ihre Interessen, die Sie verfolgen wollen. Mir müssen S’ allerdings zugestehen, dass ich net untätig zuschau’, wie Sie im Ainringer Forst Unheil stiften.«

»Machen Sie nur, Herr Pfarrer. Vielleicht ergeben sich ein paar werbewirksame Schlagzeilen. Ich hoffe sogar, dass Sie sich als ebenbürtiger Gegner erweisen. Je heftiger der Schlagabtausch, umso größer die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit – und damit spreche ich von meinen potentiellen Kunden.« Lebegern lehnte sich zurück, legte die rechte Hand auf den Bauch, und lachte wiehernd. »Wissen Sie, an wen Sie mich erinnern, Herr Pfarrer?«

»Wie sollte ich?«

Wieder lachte Lebegern schallend. »An Don Camillo, ja wirklich, Sie erinnern mich an Don Camillo, der aus den alten Filmen.«

»Vielen Dank für die Blumen, Herr Lebegern. Mit Don Camillo verglichen zu werden, ist eine Ehre. Sie wissen doch hoffentlich, dass sein Widersacher Peppone irgendwann erkennt, dass er und Don Camillo mehr gemeinsame Ziele haben, als er es vorher wahrhaben wollte.«

Jetzt schaute Lebegern wieder sehr ernst drein. »Ich bin nicht Peppone, Herr Pfarrer. Und ich glaube nicht, dass wir beide auch nur so viel gemeinsam haben.« Er zeigte Sebastian einen winzigen Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger.

›Er ist ein Wolf im Schafpelz‹, durchzuckte es Sebastian. »Das wird sich zeigen«, murmelte er. »Wir hören sicher wieder voneinander, Herr Lebegern.«

»Hat mich gefreut, sie kennengelernt zu haben, Herr Pfarrer.« Es sollte ironisch klingen, doch in Lebegerns Stimme war ein respektvoller Unterton.

Sebastian besaß feine Sensoren für die Stimmung der Menschen, mit denen er sprach. Und wie es schien, achtete ihn Lebegern als ernstzunehmenden Gegner. Wahrscheinlich hatte er aus dem Mund des Bürgermeisters genug über ihn erfahren, sodass er ihn auf keinen Fall unterschätzte. Sebastian murmelte einen Gruß und ging davon.

Gedankenvoll schaute der Unternehmer hinter ihm her. Seine Mundpartie wirkte verkniffen …

*

Drei Tage, nachdem sie sich mit Alfred Holzinger geeinigt hatte, kehrte Alina Wolfinger nach St. Johann zurück und trat die Arbeit in der Pension an.

Nachdem Alfred sie ein paar Tage bei der Arbeit beobachtet hatte und sich ein klares Bild von ihr machen konnte, sprach er sie eines Nachmittags an, nachdem sie die letzten Handgriffe ihres Tagwerks erledigt hatte und sich eine Tasse Kaffee kochte.

Sie befand sich in der Küche der Pension, in der alles blitzblank war, sodass man im wahrsten Sinne des Wortes vom Fußboden hätte essen können.

»Kochen S’ mir auch eine Tasse Kaffee mit, Alina?«, fragte Alfred und musterte die junge Frau wohlgefällig.

Was würde kommen? In Alina waren plötzlich Zweifel. Hatte sie sich vielleicht in dem Mann getäuscht und er hatte völlig andere Absichten, als sie bisher angenommen hatte? Sofort erwachte sich in ihr das Feuer des Misstrauens und sie nahm sich vor, auf der Hut zu sein. »Natürlich«, sagte sie und zwang ein Lächeln in ihr Gesicht. »Es gibt doch nix Angenehmeres als so ein Haferl Kaffee nach getaner Arbeit.«

Alfred nickte. »Ja, da haben S’ recht. Auch ich setz’ mich gern hin, wenn alles erledigt ist, was ich mir vorgenommen hab’, und streck’ die Beine unter’n Tisch. Ich hol’ zwei Haferln aus dem Schrank.«

Alina hoffte, dass sie sich täuschte, und dass der Grund, aus dem er ihre Nähe suchte, ein absolut harmloser sein würde.

In den wenigen Tagen, in denen sie in St. Johann weilte, hatte sie sich schon recht gut eingelebt. Sie fühlte sich hier wohl, die Arbeit machte ihr Spaß, und was das Wichtigste war: Lennard Lugauer, ihr Albtraum, war weit weg von ihr in Innsbruck und zerbrach sich wahrscheinlich den Kopf mit der Frage, wo sie auf einmal abgeblieben war.

Alfred hatte sich schon an den Tisch gesetzt, und obwohl Alina es vermied, ihn anzusehen, glaubte sie seine Blicke fast körperlich zu spüren. War sie vom Regen in die Traufe gekommen? Der Magen krampfte sich ihr zusammen, bei dem Gedanken, dass es so sein könnte, und ihr Herz begann einen schnelleren Rhythmus zu schlagen.

Als der Kaffee durchgelaufen war nahm sie die Kanne von der Maschine und trug sie zum Tisch, schenkte ein und verspürte eine fast schmerzliche Anspannung. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Alfred keinen Annäherungsversuch startete, und ließ sich ihm gegenüber am Tisch nieder. Und jetzt erwiderte sie seinen Blick.

Alfred Lippen zogen sich zu einem Lächeln auseinander, und dann begann zu sprechen. »Sie sind nun schon ein paar Tage bei uns, Alina. Ich hab’ Sie beobachtet und den Eindruck gewonnen, dass Ihnen die Arbeit Spaß macht.«

»Das ist richtig. Es gefällt mir bei Ihnen und Ihrem Sohn. Die Gäste sind angenehm, das Arbeitsklima ist gut, alles hier gefällt mir. Ich hab’ auch schon einige Leute kennengelernt, wenn ich im kleinen Supermarkt oder in der Bäckerei eingekauft hab’. Alle sind sehr nett und freundlich.«

»Das freut mich«, sagte Alfred und goss etwas Milch in seinen Kaffee. »Eigentlich wollt’ ich Ihnen nur sagen, dass ich mit dem, was Sie in den paar Tagen gezeigt haben, außerordentlich zufrieden bin. Meine Maria – Gott hab’ sie selig –, hätt’s net besser machen können.«

Alina errötete etwas. Ein solches Lob hatte sie nicht erwartet. Sofort aber kam wieder der Argwohn. Verfolgte er ein Ziel, indem er mit Lob nicht geizte?

Alfred entging ihre Verlegenheit nicht. »Ich mein’s genauso, wie ich’s gesagt hab’, Alina. Ich bin wirklich sehr, sehr zufrieden mit Ihnen, und hoff’, dass Sie mir und der Pension recht lange erhalten bleiben. Wissen S’, das ist oft so eine Sach’ mit den Mitarbeitern. Die wenigsten sind mit Freud’ bei der Arbeit. Sie arbeiten mehr oder weniger nur, um leben zu können. Sie hingegen haben immer gute Laune und nix wird Ihnen zu viel.«

»Ich wollt’ den Job, weil ich gewusst hab’, dass er mir Spaß macht. Was Sie eben gesagt haben, fass’ ich als Kompliment auf, Alfred. Ich hoff’, ich hab’ den Kaffee net zu stark gemacht. Haben S’ ihn schon probiert?« Sie wollte ihre Verlegenheit überspielen.

»Ich hab’ ihn net probiert, weiß aber auch so, dass er schmeckt, er duftet sehr gut. Ich hab’ mich zu Ihnen gesetzt, Alina, weil ich der Meinung bin, dass ich Sie ein wenig über die Gegebenheiten hier unterrichten muss.« Alfred machte eine kleine Pause und schien sich seine nächsten Worte im Kopf zurechtzulegen. Dann begann er erneut: »Dass ich zwei Buben hab’, das wissen S’ ja. Den Tobias, den S’ ja kennen, und den Dennis, der in München Maschinenbau studiert. Ihn werden S’ auch kennenlernen, denn es beginnen bald die Semesterferien, und die verbringt er immer zu Haus bei uns.«

»Der Tobias ist Ihnen sehr ähnlich, Alfred. Trifft das auch auf den Dennis zu?«

»Nein, der kommt vom Aussehen her mehr nach der Maria.« Alfred seufzte. »Dass sie schon so früh sterben hat müssen! Gerade mal neunundfünfzig Jahre ist sie geworden. Sie fehlt mir an allen Ecken und Enden. Das Sprichwort hat schon was für sich: Wenn der Herrgott einen Narren braucht, dann lässt er dem Mann die Frau wegsterben.« Alfred ließ den Kopf hängen und ein wehmütiger Ausdruck lief über sein faltiges Gesicht.

»Sie haben Ihre Frau sehr geliebt, Alfred, wie?«

»Ich lieb’ sie immer noch.« Er schniefte. »Es ist eine Liebe über den Tod hinaus. Ich weiß net, ob Sie’s schon mitgekriegt haben, dass ich jeden Morgen das Haus verlass’. Ich geh’ dann auf den Friedhof und anschließend ein paar Minuten in die Kirche, um für meine Maria zu beten.«

›Du hättest ihm beinahe Unrecht getan‹, dachte Alina betroffen. ›Er will wirklich nur mit dir reden.‹ Die Anspannung in ihr verschwand, ein Gefühl der Wärme für den vom Schicksal so sehr gebeutelten Mann kroch in ihr hoch, und sie verspürte eine Art Ergriffenheit angesichts seiner Treue, die selbst den Tod überdauerte.

Alfred schniefte und fuhr fort: »Ich will net abschweifen. Mit meiner Trauer muss ich alleine fertig werden. Ich wollt’ Sie nur ein wenig über meine familiären Verhältnisse aufklären. Vielleicht bringt mir irgendwann mal der Tobias eine Frau ins Haus. Eine Freundin hat er bereits. Sie heißt Sarah und stammt aus einer angesehenen Bauernfamilie. Der Schuberthof ist ein großes Anwesen. Ich glaub’, der Schubert Wastl besitzt an die dreißig Hektar Land, das er bebaut. Die Sarah ist ein nettes Madel. Ich hab’ sie eigentlich recht gern.«

»Ist’s denn was Ernstes zwischen ihr und dem Tobias?«, fragte Alina.

»So richtig net. Manchmal hab’ ich das Gefühl, dass die Sarah mehr in den Tobias verliebt ist, als er in sie. Er will sich einfach net binden, der Bub. Mir hat er erzählt, dass einige von seinen Freunden schon angedeutet haben, dass er sich die Sarah wohl mehr wegen ihres Geldes als wegen ihres guten Aussehens geangelt hat. Dabei ist die Sarah ein recht hübsches Dirndl. Solche dummen Anspielungen treffen den Tobias ungemein. Er steht auf dem Standpunkt, dass net das Geld, sondern nur die Liebe zwischen zwei Menschen eine Rolle spielen darf.«

»Da muss ich ihm recht geben«, stieß Alina hervor. »Eine Verbindung zwischen Mann und Frau, die net auf Liebe basiert, taugt nix und ist zum Scheitern verurteilt.«

»Sie sagen das, als hätten S’ auf diesem Gebiet Erfahrung gesammelt.«

Alina sah Alfreds prüfenden Blick auf sich gerichtet, ein unerfreulicher Gedanke an Lennard Lugauer durchfuhr sie, sie schüttelte den Kopf. »Nein«, brachte sie über ihre Lippen, »hab’ ich net, aber ich kann’s mir denken. Ich hab’ mir nämlich vorgenommen, nur den Mann zu heiraten, den ich wirklich und aus ganzem Herzen liebe.«

»Das mit der Liebe ist halt so eine Sach’«, murmelte Alfred. »Die einen haben das Glück, sie tatsächlich erleben zu dürfen, und vielleicht hält sie sogar ein Leben lang, so wie bei mir und meiner Maria. Bei anderen aber erlischt sie sehr schnell und manchmal schlägt sie sogar in Hass um. Mein Kleiner, der Dennis, war damals auch in Sarah verliebt. Als er aber gemerkt hat, dass sich zwischen Sarah und Tobias was anbahnt, hat er sich zurückgezogen. Er hat nie mehr drüber gesprochen. Ich weiß net, ob es ihn sehr getroffen hat und ob er drüber hinweg ist. Er lässt sich nix anmerken.«

»Hat Sarah gewusst, dass Dennis in sie verliebt war?«

»Das weiß ich net. Man kriegt halt im Leben net immer, was man gern’ haben möcht’. Der Dennis ist ein recht scheuer, zurückhaltender Bursch’ und alles andere als ein Kämpfer. Das heißt net, dass er sich net auf die Hinterfüß stellen könnt’. Ich mein damit, dass er wegen einer verlorene Sache erst gar net auf die Barrikaden geht.«

»Ich freu’ mich schon darauf, ihn kennenzulernen«, sagte Alina.

»Sie werden mit ihm genauso gut auskommen wie mit mir und dem Tobias«, versicherte Alfred Holzinger. »Sie werden S’ sehen, Alina.«

*

Zunächst lernte Alina die Freundin von Tobias kennen.

Es war zwei Tage nach dem Gespräch mit Alfred, um die Mittagszeit, als Sarah Schubert die Pension betrat. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, und war mit einem leichten Sommerdirndl, das bis zu den Knien reichte, bekleidet. Ihr Gesicht, ihre Arme und die Waden waren von der Sonne gebräunt. Es war keine Frage, dass sie sich viel im Freien bewegte.

Alina, die Geräusche im Flur hörte, verließ die Küche, um nachzusehen. Sie sah Sarah und ein untrügliches Gefühl ließ sie ahnen, wenn sie vor sich hatte. »Guten Tag«, grüßte Alina. »Zu wem möchten S’ denn?«

Sarahs Gesicht bestach nicht so sehr durch seine Regelmäßigkeit. Es war nicht ausgesprochen schön, aber auch nicht hässlich. Alina fand: Die blauen Augen, die das Antlitz beherrschten, verliehen ihm etwas Anziehendes.

»Zum Tobias. Ich hab’ im Ort was erledigen müssen und hab’ mir gedacht, ich schau mal vorbei.« Sarah sah ihr direkt ins Gesicht. »Ich weiß net, ob der Alfred oder der Tobias mit dir schon über mich geredet haben. Ich bin die Sarah, die Freundin vom Tobias. Und du bist sicher die neue Hauswirtschafterin, von der mir der Toby erzählt hat.«

Jetzt lächelte Alina, ging auf Sarah zu und reichte ihr die Hand. »Du hast recht. Mein Name ist Alina. Der Alfred hat mir schon von dir erzählt. Es freut mich, dich kennenzulernen.«

Auch Sarah zeigte ein Lächeln. »Wenn ich ehrlich bin, dann ist es net nur der Toby, der mich hergetrieben hat. Ich war neugierig auf dich. Du kommst aus Innsbruck, net wahr? Bist du in Österreich geboren, oder hat’s dich lediglich dorthin verschlagen?«

»Ich stamm’ aus Salzburg, hab’ aber schon seit fünf Jahren in Innsbruck gelebt.«

»Was hat dich denn dorthin gezogen?« Sarahs blaue Augen begannen zu strahlen. »War es etwa gar die Liebe?«

»Nein. Ich hab’ mich damals bei einem 4-Sterne-Hotel in Innsbruck beworben. Du musst wissen, ich bin von Beruf Hotelkauffrau.«

»Aber in Salzburg oder in der Näh’ hätt’s doch sicher auch Hotels gegeben, in denen du arbeiten hättest können.«

»Ich war damals zwanzig und wollt’ was von der Welt sehen. Also bin ich nach Innsbruck gegangen – und dort bin ich auch hängen geblieben.«

»Und jetzt hat’s dir wohl nimmer gefallen in Innsbruck?«

»Die Arbeit ist mir zu stressig geworden. Eine Freundin hat mir dann den Tipp gegeben, dass hier die Stelle einer Hauswirtschafterin zu besetzen sei. Sie hat mir St. Johann überdies als geradezu paradiesisches Platzl beschrieben, und so bin ich halt schließlich hier gelandet.«

»Hast du denn keinen Freund? Du bist doch in einem Alter, in dem fast keine Frau mehr Single ist. Wenn du einen Freund hast, dann ist der sicher net erbaut davon, dass du nach St. Johann gegangen bist.«

Alina glaubte einen erwartungsvollen, fast lauernden Ausdruck in Sarahs Augen wahrnehmen zu können. ›Aha‹, dachte sie, ›daher weht der Wind. Das Madel hat Angst, dass ich ihrem Tobias den Kopf verdrehen könnt’. Was das anbetrifft, könnt’ ich die Sarah beruhigen. Nach dem Lennard bin ich geheilt …‹ »Ich hab’ keinen Freund«, antwortete Alina ausweichend.

»Der Tobias und ich gehen schon länger als zwei Jahre, es werden schon bald drei Jahre, miteinander«, gab Sarah zu verstehen. »Eines Tages werden wir ganz sicher heiraten. Wir lieben uns nämlich.«

»Das freut mich für dich, und natürlich auch für den Tobias. Ihr passt ja auch recht gut zusammen, find’ ich. Den Beruf des Landwirts könnt’ er ja erlernen.«

»Net nötig«, versetzte Sarah. »Unseren Hof erbt nämlich mal mein älterer Bruder.«

»Na, dann wird der Tobias sicherlich irgendwann die Pension weiterführen, wenn sein Vater mal nimmer mag. Dann führt ihr beide den Familienbetrieb weiter.«

»Wir können uns schon jetzt was Eigenes aufbauen, denn ich bekomm’ eine hohe Abfindung, wenn mein Bruder den Hof übernimmt.« Sarahs Miene nahm einen schmerzlichen Ausdruck an. »Aber davon will der Toby nix wissen. Er hat da seinen Stolz. Wenn’s allerdings mal so weit ist, wird er sicherlich auch net nein sagen …«

Auf der Treppe erklangen Schritte, und gleich darauf erschien Tobias. Auf halber Treppe hielt er an. »Ich hab’ mich also net getäuscht, als ich meinte, deine Stimme gehört zu haben, Sarah. Grüß di. Du kommst zu einer sehr ungewöhnlichen Zeit.« Er stieg weiter die Treppe hinunter.

»Ich hab’ im Ort war erledigen müssen«, erklärte Sarah. »Ich komm’ doch net etwa ungelegen?« Ein scharfer Blick streifte Alina, dann fixierte sie wieder Tobias.

Der hielt einen Schritt vor ihr an. »Als wir gestern Abend miteinander telefoniert haben, hast du mir gar net gesagt, dass du heut’ im Ort bist.«

»Daran hab’ ich halt net gedacht. Willst mir kein Busserl zur Begrüßung geben?« Herausfordernd schaute Sarah den Burschen an.

Tobias hingegen verriet mit keinem Wimpernzucken, was hinter seiner Stirn vorging.

Irgendwie fühlte sich Alina peinlich berührt, nickte Sarah zu, machte kehrt und ging zurück in die Küche. Hinter sich drückte sie die Tür zu, lehnte sich kurz dagegen und schloss die Augen.

Sie glaubte nicht, dass Sarah im Ort was zu erledigen gehabt hatte. Tobias’ Freundin war ausschließlich aus dem einen Grund gekommen, nämlich um sie, die neue Hauswirtschafterin, in Augenschein zu nehmen. »Du brauchst keine Angst zu haben, Madel«, murmelte sie für sich. »Ich bin net nach St. Johann gekommen, um mir einen Kerl zu angeln. Ich bin hier, weil ich vor einem Angehörigen dieser Spezies geflohen bin.«

Draußen, im Flur, hatte Tobias seine Freundin flüchtig geküsst, er hörte die Küchentür klappen, trat einen halben Schritt zurück und schaute Sarah durchdringend an. »Dich hat ausschließlich die Neugier hergetrieben. Dass du im Ort was zu erledigen hattest, stimmt doch net. Befürchtest du, dass ich mich in die Alina verguck’?«

»Na ja, sie ist recht hübsch, und sicher ist sie auch umgänglich. Und du bist ja schließlich auch kein Kostverächter.«

»Geh’, was du schon wieder denkst. Die Alina hat noch kein einziges Mal versucht, mir schöne Augen zu machen. Die geht in ihrer Arbeit hier auf. Du musst dir also nix denken dabei, dass ich mit ihr und dem Papa unter einem Dach leb’.«

»Ich hab’ halt Angst, dass du vielleicht doch irgendwann einmal ein anderes Madel anlachst, Toby. Ich würd’ das net verkraften. Ich liebe dich doch. Mich tröstet halt immer wieder der Gedanke, dass du schon lang nimmer bei mir wärst, wenn du für mich net dieselben Gefühle übrig hättest wie ich für dich. Denkst du, ich weiß net, dass dir viele Madeln hier in St. Johann schöne Augen machen. Du bräuchtest nur zuzugreifen. Dass du es noch net getan hast, sagt mir, dass ich dir net gleichgültig bin.«

»Bist du auch net, Sarah, wirklich net«, sagte Tobias. »Darüber haben wir uns doch schon so oft unterhalten«, fügte er hinzu. »Ich bin halt net der Typ, der seine Gefühle zur Schau trägt. Das heißt aber net, dass ich keine Gefühle hab’.«

»Und warum tust du dann nix, um unser Verhältnis zu festigen? Du sagst doch selbst, dass ich dir net gleichgültig bin. Warum verloben wir uns net? Ich hab’ dir doch schon tausendmal gesagt, dass ich deine Frau werden möcht’. Aber du weichst dann immer aus.«

»Warum sollen wir das überstürzen? Vor allem du bist noch sehr jung, Sarah. Meinst du net, dass deine Gefühle für mich mehr eine Art Schwärmerei sind? Irgendwann willst möglicherweise gar nix mehr von mir wissen. Weiß man’s denn? Dir braucht nur der Richtige über’n Weg zu laufen. Dann würdest du es bereuen, dich in jungen Jahren schon gebunden zu haben.«

»Was ich für dich empfinde, ist net die Schwärmerei eines Teenagers, Toby. Ich liebe dich, und es wird nie einen anderen Mann für mich geben. Du willst dich net binden! Das ist der Grund. Denn du hast Angst, du könntest irgendetwas versäumen, wenn du dich mit mir verlobst, was ja nichts anderes als ein Heiratsversprechen wär’. Sei doch wenigstens so ehrlich und gib’s zu.«

»Ich gebe zu, ich fühl’ mich net reif für eine feste Bindung, Sarah«, murmelte Tobias. »Es ist …« Er brach ab, wich ihrem Blick aus und wirkte ausgesprochen verlegen.

»Du liebst mich net!«, kam es, wie aus der Pistole geschossen, von Sarah.

»Das ist’s net, wirklich net. Du bist ein sauberes, sympathisches Madel und ich hab’ dich sehr, sehr gern. Aber im Ort munkeln schon ein paar Leut’, dass ich hauptsächlich hinter deiner Mitgift her wär’. Und sobald wir uns verloben würden, täten sich alle das Maul über mich zerreißen. Davor fürcht’ ich mich, und darum halt’ ich mich zurück.«

»Um die Klatschmäuler solltest du dich net kümmern, Toby. Wichtig ist doch, was wir füreinander empfinden! Aus meinen Gefühlen für dich hab’ ich nie ein Geheimnis gemacht. Bei dir bin ich mir net so sicher. Mal denk’ ich, dass du in mich ebenso verliebt bist, dann gibst du mir wieder das Gefühl, dass wir gute Freunde sind – mehr net.«

»Ich hab’ dich gern, Sarah, aber ich bin noch net so weit, dass ich mich binden möcht’. Irgendwie hab’ ich Angst davor, dass ich net durchhalt’. Bitte akzeptier das doch. Ich kann halt net aus meiner Haut, und als einer, der sich ins gemachte Nest setzt, will ich auch net gelten. Ich möcht’ erst selber was erreichen. Und wenn ich erreicht hab’, was ich mir vorstell’, dann werd’ ich auch keine Scheu mehr haben, die Frau, die ich lieb’, zu fragen, ob sie die Meinige werden will.«

»Werd’ diese Frau dann ich sein?«

»Ich will net ausschließen, dass wir zwei zusammengehören.«

»Du weichst mir aus, Toby.« Mit einer Mischung aus Betroffenheit und Verzweiflung starrte Sarah den großgewachsenen Burschen an. »Du weißt genau, dass meine Eltern nix gegen dich haben. Die haben noch net mal andeutungsweise verlauten lassen, dass sie dich für einen halten, der nur hinter meinem Geld her ist. Du hast doch auch was vorzuweisen. Die Pension …«

»… gehört meinem Vater. Ich hab’ zwar ein paar Euro gespart, aber das ist viel zu wenig, um etwas auf die Beine zu stellen, das mich dir ebenbürtig machen würd’. Lass’ mir Zeit, Sarah. So, wie wir im Moment miteinander umgehen, ist das doch vollkommen in Ordnung.«

»Das ist mir zu wenig, Toby. Aber ich lass’ net locker. Und irgendwann kommt der Tag, an dem du alle Bedenken über Bord wirfst und mich fragst, ob ich deine Frau werden möcht’.«

»Wenn’s so weit ist, werd’ ich net hinter’m Berg damit halten, Sarah. Mein Wort drauf.«

»Du musst dir nur immer vor Augen führen, dass ich dich liebe, Toby. Manchmal bedaure ich es, dass ich kein armes Madel bin. Wär’ das der Fall, hättest sicherlich keine Hemmungen, zu meinen Eltern zu gehen und um meine Hand anzuhalten.«

»Du bist aber kein armes Madel«, versetzte Tobias, und ein Lächeln spielte um seine Lippen. »Komm her, Sarah, und lass’ dich umarmen.«

In dem Moment, als er sie in die Arme nahm, kam Alina wieder aus der Küche.

»Oh«, entfuhr es ihr, »entschuldigt bitte. Ich wollt’ net stören.« Schnell stieg sie die Treppe empor.

Sarah lag in Tobias’ Armen und blickte Alina mit dem Ausdruck des unverhohlenen Triumphes hinterher. Und als ihr Tobias einen Kuss auf den Mund hauchte, war sie sich für den Moment seiner Gefühle für sie wieder vollkommen sicher.

*

Pünktlich mit dem Zwölf-Uhr-Läuten kam Max Trenker ins Pfarrhaus zum Mittagessen.

Sophie Tappert öffnete ihm die Tür und ließ ihn ein. »Grüß Gott, liebe Frau Tappert«, sagte Max und schnupperte. »Was haben S’ uns denn heut’ Gutes gekocht, Frau Tappert?«

»Nach was riecht’s denn?«, kam Sophies Gegenfrage.

»Lassen S’ mich raten. Es riecht nach – nach – Hackbraten. Ja, ich bin mir ganz sicher. Es gibt Hackbraten.«

»Richtig. Es gibt einen ›Falschen Hasen‹. Dazu servier’ ich Ihnen und Ihrem Bruder einen Kartoffelsalat, in den ich eine fein gehobelte Gemüsegurke gemischt hab’.«

»Diesen Kartoffel-Gurkensalat machen S’ ja net zum ersten Mal, Frau Tappert. Mir schmeckt er vorzüglich. Der Salat wird auch in München, auf dem Viktualienmarkt, zum Wiener Schnitzel serviert.«

»Ich weiß. Hochwürden schmeckt er auch. Wär’s net so, würd’ ich ihn nimmer zubereiten. Gehen S’ nur schon ins Esszimmer, Max. Ihr Bruder kommt auch gleich.«

Max hatte sich kaum am Esstisch niedergelassen, da erschien auch schon Sebastian.

Sophie Tappert trug das Essen auf und der Duft des gebratenen Hackfleischs machte sich im Esszimmer breit. Schließlich saßen die Brüder vor den vollen Tellern und machten sich hungrig über den appetitlich hergerichteten ›Falschen Hasen‹ und den Kartoffelsalat her.

»Der Birner Xaver hat seine Anzeige gegen den Faderlbauern zurückgezogen«, erzählte Max. »Ist aber auch Zeit geworden, dass die beiden ihren dummen Streit beigelegt haben. Das Schlimme an der ganzen Sach’ ist, dass der Fabian und die Claudi erst verunglücken mussten, bis ihre Väter eingesehen haben, dass sie ihre Gehässigkeiten auf deren Rücken ausgetragen haben.«

»Ich war dabei, als sie sich die Hand gegeben und Frieden geschlossen haben«, sagte Sebastian. »Ich denk’, da passiert nix mehr. Nur gut, dass die Verletzungen der jungen Leut’ net allzu gravierend sind. Die beiden hätten tot sein können. Hast du deine Ermittlungen schon abgeschlossen? Kann man sich ein ungefähres Bild vom Unfallhergang machen?«

»Ich hab’ mit dem Fabian gesprochen. Ein Tier, vielleicht ein Fuchs oder Hase, das völlig überraschend aus den Büschen am Straßenrand gelaufen ist, hat ihn erschreckt. Den Rest hab’ ich aus den Spuren am Unfallort entnehmen können. Er ist aufs Bankett geraten, das ist weggebrochen, und dann ist’s den Steilhang hinuntergegangen. Das Auto hat einen Totalschaden. Dass Fabian und die Claudi so glimpflich davongekommen sind, war großes Glück.«

»Das kann man wohl sagen.«

»Gibt’s was Neues in Sachen Sommerrodelbahn?«, wechselte Max das Thema.

»Nachdem ich mit dem Heribert Lebegern im Biergarten gesprochen hab’, ist da nix mehr gekommen. Von Bruckners Seite und auch von Seiten des Unternehmers – absolute Funkstille. Der Lebegern soll ja in der Zwischenzeit nach München zurückgekehrt sein. Ich denk’ mal, dass dieser Mann eine harte Nuss werden wird, die net so leicht zu knacken ist. Er sieht aus wie der liebe Onkel von nebenan, ist in Wirklichkeit aber nur aus Härte, Ehrgeiz und Kompromisslosigkeit zusammengesetzt. Der geht über Leichen.«

»Das hast du vom Gregg Powell zunächst auch angenommen«, gab Max zu bedenken. »Aber nachdem du ihm auf einer Radtour vor Augen geführt hast, was durch die Umsetzung seiner Pläne zerstört werden würde, hat er dir regelrecht aus der Hand gefressen.«

»Dass er diesen Sinneswandel durchgemacht hat, war zu einem Gutteil seiner Verlobten, der Corinna Steiner, zu verdanken. Die hat sich ziemlich bald auf meine Seite geschlagen, und so konnten wir den Engländer – hm, überzeugen. Er hat sich für Corinna entschieden.«

»In den Augen unseres Bürgermeisters ist Powell ein Abtrünniger, der ihm in den Rücken gefallen ist.«

Sebastian lachte auf, dann nahm er wieder einen Happen von dem Hackbraten.

Auch Max kaute begeistert und sicherte sich dabei schon eine weitere Scheibe des leckeren Mittagsgerichts.