E-Book 331-340 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 331-340 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Glück - im zweiten Anlauf E-Book 2: Am See begegnete er der Liebe... E-Book 3: Plötzlich war es Liebe E-Book 4: Hat diese Liebe eine Chance? E-Book 5: Folge der Stimme des Herzens E-Book 6: Sturm der Gefühle E-Book 7: Willi Bruckners Heimkehr E-Book 8: Das Spiel mit dem Feuer E-Book 9: Jasmins Schrei nach Liebe E-Book 10: Marion flieht vor ihrer Vergangenheit

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Seitenzahl: 1195

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Inhalt

Glück - im zweiten Anlauf

Am See begegnete er der Liebe...

Plötzlich war es Liebe

Hat diese Liebe eine Chance?

Folge der Stimme des Herzens

Sturm der Gefühle

Willi Bruckners Heimkehr

Das Spiel mit dem Feuer

Jasmins Schrei nach Liebe

Marion flieht vor ihrer Vergangenheit

Der Bergpfarrer – Staffel 34 –

E-Book 331-340

Toni Waidacher

Glück - im zweiten Anlauf

Wenn die Liebe siegt...

Roman von Waidacher, Toni

Es war gegen siebzehn Uhr und Timo Lang war auf dem Nachhauseweg von der Arbeit. Er musste den Ort durchqueren, denn das Haus seiner Eltern, in dem er eine eigene Wohnung innehatte, lag am anderen Ende von St. Johann.

Langsam ließ Timo sein Auto durch St. Johann rollen. Das Autoradio lief. Timo pfiff das Lied mit, das gespielt wurde.

Bei einem Zebrastreifen musste er anhalten, eine kleine Gruppe von Männern und Frauen machten Anstalten, die Straße zu überqueren. Die Leute setzten sich in Bewegung.

Timo stutzte, denn am Ende der Gruppe ging eine schlanke, blonde Frau, die augenblicklich seine Aufmerksamkeit erregte. Es war die Frau aus Stuttgart, die er vor zwei Tagen auf dem Breitengasserhof gesehen hatte, bevor er Jana Mirlbacher und Oliver Breitengasser beobachtete und – fotografierte, als sie sich stürmisch küssten. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Es handelte sich tatsächlich um Nadine Heindl.

Nadine Heindl nahm ihre Umgebung kaum war, tief war sie in schmerzliche Gedanken versunken. Sie hatte Oliver zur Rede gestellt, und der hatte ihr offen ins Gesicht gesagt, dass er sich in Jana Mirlbacher verliebt hatte. Es war, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Für sie war eine Welt zusammengestürzt. Zu oft hatte er beteuert, dass sie die Frau seines Lebens war, die Frau, die er liebte. Nun, zwei Tage später, war der schlimmste Schmerz in ihr abgeklungen. Sie trug Wanderbekleidung und einen Rucksack auf ihrem Rücken. Sie war nach dem Mittagessen zu Fuß aufgebrochen, um die Umgebung von St. Johann zu erkunden. Die Einsamkeit auf abgelegenen Wanderwegen hatte ihr gutgetan. Sie hatte sich etwas beruhigen können und war zu dem Ergebnis gekommen, dass längst nicht alles verloren war. Nadine hatte sich vorgenommen, um ihre Liebe und ihr Glück zu kämpfen und nicht sang- und klanglos das Feld zu räumen.

Die Gruppe von Leuten hatte die Straße überquert. Timos gedankenvoller Blick folgte Nadine.

Als hinter ihm jemand ungeduldig hupte, wurde er aus seiner gedanklichen Versunkenheit gerissen und er fuhr an. Aber schon nach ein paar Metern stellte er sein Auto am Fahrbahnrand ab und stieg aus.

Nadine Heindl ging auf der anderen Straßenseite in Richtung Hotel.

Timo folgte ihr. Er wollte herausfinden, in welchem Verhältnis sie zu Oliver Breitengasser stand. Befürchten, entdeckt zu werden, musste er nicht, denn Nadine kannte ihn nicht. Falls sie dennoch auf ihn aufmerksam werden sollte, musste sie annehmen, dass er zufällig denselben Weg nahm wie sie.

Sie verschwand wenig später im Hotel.

Timo wartete kurze Zeit vor dem Eingang, dann folgte er ihr.

Hinter der Rezeption saß Susanne Reisinger. Von der fremden Frau war nichts zu sehen.

Susi Reisingers linke Braue hob sich ein wenig. »Timo, du? Was willst denn du hier?«

Tim ignorierte, dass ihm Susanne ausgesprochen reserviert begegnete. »Die Dame, die eben ins Hotel gekommen ist. Sie fährt ein Auto, das in Stuttgart zugelassen ist. Kannst du mir sagen, wie sie heißt? Vielleicht weißt du auch, ob sie aus einem besonderen Grund hier ist?«

»Warum interessierst du dich für sie?«, fragte Susi. »Willst du dich vielleicht gar an sie heranmachen?«

Timo winkte ab. »Ich hab’ beobachtet, wie sie sich mit dem Breitengasser Oliver gestritten hat. Es muss wegen der Jana gewesen sein. Der Oliver lebt und arbeitet doch auch in Stuttgart. Steht diese Frau etwa in einem engeren Verhältnis zu ihm?«

»Ich glaub’, ich weiß, was dich beschäftigt, Timo.« Jetzt schaute Susi den Burschen ernst an. »Die Gitti hat mir erzählt, dass du ihr einige Bilder aufs Handy geschickt hast, die Oliver und Jana zeigen, wie sie sich küssen. Du hast dazu einen nicht gerade freundlichen Kommentar verfasst. Meinst du net, dass das sehr niveaulos ist und dich die Jana und der Oliver dafür gerichtlich belangen können?«

Timos Mund verkniff sich ein wenig. »Die Bilder hab’ ich allen geschickt, deren Telefonnummer ich in meinem Handy gespeichert hab’. Jeder soll sehen, was die Jana für eine ist. Ihr scheint der halbe Breitengasserhof net zu reichen. Drum macht sie sich jetzt an den jungen Erben heran, um alles zu kriegen. Die hat’s faustdick hinter den Ohren. So ausgekocht muss man erst mal sein.«

Susis Miene hatte sich verschlossen. »Ich kenn’ Jana ganz gut«, versetzte sie. »Drum glaub’ ich net, dass sie irgendeine Taktik verfolgt. Obwohl die beiden sich wegen des gemeinsamen Erbes anfangs ziemlich heftig in den Haaren lagen, haben sie sich nun anscheinend zusammengerauft. Die Jana ist ein hübsches, liebenswertes Madel. Und der Oliver ist auch ein recht ansehnlicher Bursch’. Warum sollten sie sich net ineinander verlieben? Das ist doch das Natürlichste auf der Welt.«

»Verlieben, verlieben!«, äffte Timo Susanne nach. »Die Jana will sich den Hof unter den Nagel reißen. Den halben hat sie sich ja bereits erschlichen. Ihre Machenschaften stinken zum Himmel, und ich hab’ mir vorgenommen, ihr das Handwerk zu legen. Ich vermut’, dass die Jana der Frau, deren Namen ich von dir wissen will, den Oliver ausgespannt hat.«

Susanne maß Timo mit einem verächtlichen Blick. »Du machst die Jana doch nur schlecht, weil du net bei ihr hast landen können. Schämst du dich denn net, Timo? Die Gerüchte, die du über Jana in Umlauf gebracht hast, kursieren im ganzen Ort. So etwas nennt man üble Nachrede. Pass nur auf, dass der Schuss für dich net nach hinten losgeht.«

Timo zuckte unbeeindruckt die Schultern. »Wenn’s die Wahrheit ist, dann darf ich sie auch sagen. Und nun sei so gut und sag’ mir, wie die Frau aus Stuttgart heißt. Vielleicht weißt du ja auch, in welchem Verhältnis sie zu Oliver steht?«

»Ich weiß net, warum sie hier ist«, antwortete Susanne. »Und ihren Namen verrat’ ich dir net.« Sie beugte sich ein wenig nach vorn. »Datenschutz! Ich weiß net, ob dir dieser Begriff was sagt.«

»Aber geh, mir kannst du den Namen doch nennen. Ich würd’ auch niemand verraten, dass ich ihn von dir erfahren hab’.«

»Keine Chance«, war Susi nicht zu erweichen. »Du kannst ja vor der Tür draußen warten, bis die Dame aus Stuttgart wieder das Hotel verlässt. Dann kriegst du Gelegenheit, sie selber zu fragen. Ob das allerdings heut’ noch der Fall ist, das kann ich dir beim besten Willen net sagen.«

»Das ist doch lächerlich!«, erregte sich Timo. »Ich will ja nur ihren Namen …«

»Keine Chance, Timo. Ich kann dir aber einen Rat geben: Lass Jana und Oliver in Ruhe, sonst landest du …« Susis Zeigefinger stach auf Timo zu, »… wahrscheinlich in des Teufels Küche.«

Timos Gesicht verfinsterte sich. Dann knirschte er: »Mit dir red’ ich doch gar nimmer. Und deinen Datenschutz kannst du dir an den Hut stecken. Ich krieg’ auch ohne dich raus, was ich wissen will.« Ein letzter, wütender Blick in Susis Gesicht, dann machte Timo abrupt kehrt und verließ grußlos das Hotel.

*

Timo rief seine Mutter an. »Ich hab’ noch was zu erledigen, Mama«, sagte er, »und komm’ erst später nach Hause. Ihr braucht mit dem Abendessen net auf mich zu warten.«

»Was ist es denn Wichtiges, das du zu erledigen hast?«, fragte Anna Lang, Timos Mutter.

»Du musst net alles wissen, Mama«, knurrte Timo etwas genervt. »Ich bin siebenundzwanzig, und es gibt Dinge, die ich gern für mich behalten tät’.«

»So wie die Tatsache, dass du vorgestern blau gemacht hast, gell? Der Papa hat heut’ erfahren, dass du gar net in der Arbeit gewesen bist. Du hast dich am Morgen damit entschuldigt, dass dir net gut wär’. Mir hast du erzählt, dass dich der Vorarbeiter heimgeschickt hat, weil du dich net wohlgefühlt hast. Das war gelogen. Und heut’ Nachmittag hat mir die Fischer Margot erzählt, dass du ihrem Buben Bilder aufs Handy geschickt hast, die den Oliver und die Jana zeigen, wie sie sich küssen. Bub, Bub! Hat dir der Herr Pfarrer net gesagt …«

»Der hat mir nix zu sagen, Mama. Mir hat kein Mensch auf der Welt mehr was zu sagen. Ich bin nämlich mündig und weiß selber, was ich tun kann oder lassen muss. Also, du weißt Bescheid: Ich komm’ später. Wann ich komm’, kann ich dir noch net sagen.«

»Ist’s eine Frau, Bub? Oder spionierst wieder hinter der Jana und dem Oliver her? Das nimmt kein gutes Ende. Du reitest dich da in was hinein …«

»Ist schon gut, Mama. Damit du beruhigt bist: Es ist wegen einer Frau, aber net wegen der Jana. Dass ich einigen von meinen Bekannten die Knutschbilder von Jana und Oliver geschickt hab’ hat nur einen einzigen Grund: die Aufnahmen beweisen, dass sie sich tatsächlich dem Oliver an den Hals geschmissen hat, um auch die andere Hälfte des Hofes zu ergaunern.«

»Hast du dem Herrn Pfarrer und mir net versprochen, dass du das Gerücht aus der Welt schaffen willst und dich bei Jana und Oliver entschuldigst? Jetzt tust du genau das Gegenteil!«

»Was ich gesehen hab’, hab’ ich gesehen. Das kann auch der Pfarrer net ändern. Warum er an der Jana so einen Narren gefressen hat, weiß ich net. Vielleicht lässt er sich auch nur von ihrem hübschen Aussehen blenden.«

»Ich bitt’ dich, Bub, unterstell’ dem Herrn Pfarrer nix …«

»Hab’ ich gar net, Mama. Und jetzt muss ich aufhören. Pfüat di, Mama.«

Ehe seine Mutter noch etwas sagen konnte, beendete Timo das Gespräch und versenkte das Handy in der Hosentasche. Trotz beherrschte jeden Zug in seinem Gesicht. Jana sollte ihn nicht ungestraft abgewiesen haben. Und in Oliver sah er einen Nebenbuhler, den es galt, auszuschalten. »Mit Fingern wird man im Ort auf die beiden zeigen«, murmelte er vor sich hin. »Die werden in St. Johann keinen Fuß mehr auf die Erde kriegen.«

Timo drückte sich beim Eingang zum Biergarten herum. Da hatte er sowohl die Vordertür des Hotels als auch den Ausgang zum Garten im Auge.

An den Tischen unter den alten, ausladenden Bäumen hatten schon viele Gäste Platz genommen. Heidi Reisinger, die zweitälteste Tochter des Hotelinhabers, die den Biergarten führte, hatte alle Hände voll zu tun.

Timos Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.

Aber irgendwann, es war schon fast dunkel, erschien Nadine Heindl. Sie lenkte ihre Schritte auf einen der Tische zu und ließ sich nieder.

Timo konnte sie zum ersten Mal von vorne sehen. ›Donnerwetter‹, durchfuhr es ihn. ›Die sieht aber gut aus. So was Fesches sieht man net oft.‹ Er war regelrecht fasziniert von ihrer Erscheinung.

In der Tat: Nadine war wirklich eine sehr schöne Frau, deren Ausstrahlung sich wohl kaum ein Mann entziehen konnte. Ihr schmales, sonnengebräuntes, absolut symmetrisches Gesicht wurde von einer Flut blonder Haare eingerahmt. In diesem Gesicht passte einfach alles; das Kinn, der Mund, die Wangenpartie, die Nase, die Augen, die Stirn …

Auf diese Entfernung konnte er Nadines Augen nicht sehen, aber er war davon überzeugt, dass sie die Farbe eines unergründlichen Bergsees besaßen. Er war entzückt.

Jetzt ging Heidi zu ihr hin und nahm ihre Bestellung auf.

Als sie sich wieder entfernte, nahm Timo all seinen Mut zusammen, betrat den Biergarten und steuerte den Tisch mit Nadine an. Diese schien zu spüren, dass sie das Ziel des Burschen war, denn sie richtete ihr Augenmerk auf ihn, und für einen Moment begegneten sich sogar ihre Blicke.

Timo erreichte den Tisch. »Entschuldigen Sie bitte die Störung. Mein Name ist Timo Lang. Ich hätte Sie gern gesprochen.«

Nadines Brauen zuckten in die Höhe. Es verlieh ihrer Miene einen überheblichen Ausdruck. »Falls das ein Annäherungsversuch sein sollte, dann war Ihre Mühe umsonst. Ich habe kein …«

»Es geht um Oliver und Jana Mirlbacher.«

Nadine verschluckte sich fast. Ihr Blick wurde durchdringend. »Was ist mit den beiden?«

»Gestatten Sie, dass ich mich setze?«

»Bitte.« Nadine, deren Interesse erwacht war, vollführte eine einladende Handbewegung, und Timo ließ sich nieder.

»Ich hab’ vorgestern zufällig Ihren Streit mit Oliver auf dem Breitengasserhof mitbekommen. Danach ist das geschehen.« Er zog sein Handy aus der Tasche, tippte auf das Display und hielt es schließlich Nadine hin, sodass sie das Bild sehen konnte.

Nadine bekam große Augen, ihre Lippen begannen zu beben. »Das ist ja …« Ihre Stimme versagte. »Mir fehlen die Worte.«

»Das hab’ ich mir gedacht«, erklärte Timo. »Darum will ich mich mit Ihnen unterhalten, Frau – äh …«

»Heindl – Nadine Heindl.«

»Da auch ich mich betrogen fühle, sitzen wir in einem Boot. Ich meine damit, dass unsere Interessen dieselben sein dürften.« Erwartungsvoll musterte er Nadine.

Diese konnte ihren Blick nur mühsam von der Aufnahme loseisen. Schließlich aber schaute sie Timo ins Gesicht. Sie hatte tatsächlich tiefblaue, unergründliche Augen.

Timos Herz schlug schneller. »Werden Sie mit mir sprechen?«

Nadine nickte. »Ja.«

*

Es war die Zeit der Abenddämmerung. Jana und Oliver saßen in der Küche des Wohnhauses des Breitengasserhofs.

Das Vieh war versorgt, das Tagwerk der beiden vollbracht. Seit sie sich klar waren, dass sie sich liebten, gingen sie geradezu in der gemeinsamen Arbeit mit dem Vieh und dem ganzen Drumherum auf.

Jana hatte ein deftiges Abendessen zubereitet. Es gab Fleischpflanzerln mit Kartoffelsalat, dazu Gurkensalat mit fein gehackten Dillspitzen. Beide tranken dazu alkoholfreies Bier. Während des Essens redeten sie nicht viel. Sie waren beide müde. Was es für die Zukunft des Hofes zu besprechen gegeben hatte, war besprochen. Also widmeten sie sich dem Essen und genossen die Ruhe.

Die Blicke allerdings, die sie sich immer wieder zuwarfen, waren beredter als alle Worte der Welt. Es waren Blicke voll Wärme, Zuneigung und Liebe.

Nach einiger Zeit sagte Oliver: »Du bist net nur ein verdammt liebenswertes Geschöpf, Schatzl, du kannst auch hervorragend kochen. Und wenn es stimmt, dass Liebe durch den Magen geht, dann sieht unsere Zukunft rosig aus.«

Jana lächelte. »Schön, wenn’s dir schmeckt. Und ich bin schon gespannt, wie es um deine Koch- und Grillkünste steht.«

»Wenn die Saison losgeht, hält mich nix.«

»Ich nehm’ dich beim Wort«, schmunzelte Jana. Dann aber wurde sie ernst. »Was meinst du, Liebling? Ist Nadine in der Zwischenzeit abgereist?«

Oliver zuckte mit den Schultern. »Ich hab’ net den Hauch einer Ahnung. Das Beste wär’s. Wobei mich der Gedanke, dass sie jetzt sehr enttäuscht und traurig ist, net gerade froh stimmt. Schließlich waren wir einige Zeit zusammen, und wir haben uns mal sehr gemocht.«

»Ich kann dich verstehen«, murmelte Jana. »Und sie auch… Mir würd’s wahrscheinlich net viel besser gehen, befänd’ ich mich in ihrer Situation. Vielleicht solltest du noch einmal versuchen, mit ihr zu reden. Sie kann doch net auf dich böse sein, nur weil du der Stimme deines Herzens gefolgt bist. Kein Mensch kann von dir verlangen, dass du deine Gefühle unterdrückst.«

»Ich weiß net, ob sie überhaupt noch einmal mit mir reden möcht’.«

»Ich denk’ schon. Vielleicht wartet sie sogar darauf, dass du noch einmal mit ihr sprichst. Sie hat doch gesagt, dass du sie gegebenenfalls im Hotel erreichen kannst. Ich vermute sogar, dass sie immer noch hofft, dass du es dir anders überlegst und zu ihr zurückkehrst.«

»Nadine ist net gerade der geduldigste Mensch«, murmelte er. »Mag sein, dass sie eine Nacht und einen Tag gewartet hat. Aber dann, schätz’ ich, hat sie begriffen, dass ich es mir net anders überlegt hab’, und wird nach Stuttgart zurückgekehrt sein.«

»Besteht die Gefahr, dass du es dir doch noch anders überlegst?«, fragte Jana. Ihre Frage sollte spaßig klingen, ihr Blick jedoch blieb ernst. Tief in ihr war immer noch die Furcht, dass das alles nur ein Traum war, an dessen Ende ein böses Erwachen lauerte.

Oliver erhob sich, kam um den Tisch herum, fasste Jana zart unter das Kinn und hob ihr Gesicht etwas an. »Du musst keine Angst haben«, murmelte er, dann küsste er sie auf die Stirn. »Durch dich weiß ich erst, was echte Liebe ist. Selbst wenn ich es wollte, ich könnt’ gar net dagegen anschwimmen.«

»Mir ergeht es net anderes, Oliver«, erklärte Jana.

Und Oliver sah das Strahlen auf dem Grund ihrer Augen. Waren Sie das Fenster zu ihrem Innern? Wenn ja, dann war es das ungetrübte Glück, das aus ihnen leuchtete.

Oliver hauchte Jana noch einen Kuss auf die Lippen, dann kehrte er zu seinem Platz zurück. »Es ist so«, sagte er, und es klang sehr ernsthaft. »Ich liebe dich, und ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Und zwar hier, auf diesem Hof.«

In diesem Moment läutete es. Fragend schauten sich die beiden Verliebten an. Sie hatten kein Auto auf den Hof fahren hören. Wer immer auch vor der Tür stand, er war zu Fuß oder mit dem Fahrrad gekommen.

»Ich schau’ nach«, sagte Oliver, stand auf und verließ die Küche.

Gleich darauf hörte Jana Stimmen, und zwar Olivers Stimme und die einer Frau. Der Magen krampfte sich Jana zusammen, und der Name Nadine schoss ihr durch den Kopf. Der Hals wurde ihr plötzlich eng, und Angst griff nach ihrem Herzen.

Schritte waren zu hören, dann Olivers Stimme: »Bitte, treten S’ ein. Wir sind gerade beim Essen, und sollten Sie selbst noch nicht zu Abend gegessen haben, lade ich Sie gerne ein, mit uns zu speisen. Es gibt Fleischpflanzerln und Kartoffelsalat. Nix für die schlanke Linie, aber ausgesprochen lecker.«

Jana traute ihren Augen nicht, als Dr. Elena Wiesinger, die Tierärztin von St. Johann, die Küche betrat. Die Gattin des Hausarztes Toni Wiesinger war Anfang dreißig und sehr attraktiv. Sie zeigte ein sympathisches Lächeln, nickte Jana zu und sagte: »Grüß Gott, Jana. Wie ich sehe, haben Sie und der Oliver tatsächlich Frieden geschlossen. Ich hab’s erst net glauben wollen. Aber jetzt …«

»Guten Abend, Frau Doktor«, erwiderte Jana den Gruß der Ärztin. Erwartungsvoll-fragend fixierte sie die Tierärztin, besann sich aber sehr schnell auf ihre gute Erziehung und sagte: »Setzen S’ sich doch zu uns, Frau Doktor. Die Einladung zum Essen gilt natürlich. Ich würd’ mich freuen.«

»Sie brauchen mich net immer Frau Doktor zu nennen, Jana. Sagen S’ Elena zu mir. Meinetwegen können wir uns auch duzen. Das gilt auch für Sie, Herr Breitengasser.«

»Es ist für uns eine Ehre, Elena«, gab Oliver zu verstehen, und Jana nickte beipflichtend. »Darauf müssen wir nachher anstoßen.«

»Einverstanden«, lächelte Elena und setzte sich an den Tisch. »Schaut appetitlich aus«, erklärte sie. »Einer kleinen Portion wär’ ich net abgeneigt.«

Jana erhob sich sofort, holte einen Teller, ein Besteck und einer Serviette sowie ein Glas. »Bedienen S’ sich selbst, Frau … ich meine bedien’ dich selbst, Elena. Nimm dir, so viel du möchtest.«

»Danke.« Elena nahm sich eins der Fleischpflanzerln, die auf einem Teller lagen, der in der Tischmitte stand, sowie drei Löffel von dem Kartoffelsalat.

»Was möchtest denn gern trinken, Elena? Alkoholfreies Bier oder Wasser. Oder darf ich dir ein Glas Wein anbieten?«

»Schenk’ mir einen Schluck aus der Flasche da ein …« Elena wies auf die Bierflasche, die noch halb voll war. Nachdem die Tierärztin die ersten Bissen gegessen hatte, sagte sie: »Du bist eine hervorragende Köchin, Jana. Und das mein’ ich ehrlich.«

»Danke.«

»Ich bin zu euch gekommen, weil ich gehört hab’, dass ihr euch vertragt und der Hof net verkauft wird.«

»Spann’ uns net auf die Folter, Elena«, stieß Oliver hervor.

Die Tierärztin heftete ihren Blick auf Jana. »Ich hab’ von deiner Idee gehört, auf dem Anwesen einen Gnadenhof für alte, kranke und verwahrloste Tiere einzurichten, wollte mich aber aus der Sach’ raushalten, so lang net klar war, ob der Breitengasserhof in deinen Händen bleibt.«

»Ich bin fest entschlossen, diese Idee zu verwirklichen«, sagte Jana. »Bevor ich allerdings Tiere aufnehmen kann, müssen die Stallungen umgebaut werden. Das kostet Geld. Wir verfügen zwar über Ersparnisse, aber die reichen bei Weitem nicht. Darum muss ich zunächst mal zusehen, dass ich Spenden erhalte. Das erfordert, dass ich an die Öffentlichkeit gehe.« Jana zuckte mit den Schultern. »Es wird einige Zeit dauern, bis die Sache anlaufen kann.«

»Ich finde deine Idee genial, Jana, und ich möcht’ dich unterstützen. Mein Mann und ich haben beschlossen, dir sowohl finanziell unter die Arme zu greifen, als auch für euch zu werben. Außerdem werde ich deine Tiere unentgeltlich ärztlich versorgen. Vorausgesetzt, du möchtest das. Aufdrängen will ich mich nämlich net.«

Jana und Oliver waren verblüfft.

»Willst du das wirklich tun?«, ächzte Jana, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. Staunend und ungläubig zugleich war ihr Blick.

»Sonst wär’ ich ja net hier«, antwortete die Tierärztin lächelnd und schob sich ein Stück Fleischpflanzerl in den Mund. »Hm, wirklich lecker!«, murmelte sie. »Mein Vorschlag wäre, dass wir einen gemeinnützigen Verein gründen, das wäre sehr günstig für den Gnadenhof, denn es gibt eventuell auch Zuschüsse, die wir beantragen können.«

Oliver nickte beifällig. Eine gute Idee!

»Ich kann’s kaum glauben«, murmelte Jana ergriffen. »So viel Glück innerhalb weniger Tage …« Sie strich sich über die Augen. »Du glaubst gar net, Elena, wie glücklich mich dein Angebot macht. So etwas hab’ ich in meinen kühnsten Träumen net zu hoffen gewagt.«

»Ich glaub’, wir müssen jetzt wirklich einen trinken«, rief Oliver und sprang auf.

»Dagegen gibt’s nix einzuwenden«, schmunzelte Elena.

*

Eine halbe Stunde später verließ Dr. Elena Wiesinger den Hof wieder. Jana verabschiedete sie mit einer herzlichen Umarmung.

Oliver reichte ihr die Hand und drückte sie ganz fest. »Ich weiß gar net, wie ich dir danken soll, Elena«, sagte er. »Mit einer so großzügigen Unterstützung haben wir net gerechnet. Du machst die Jana glücklich, und wenn sie glücklich ist, bin ich es auch. Vielen, vielen Dank, Elena. Und bestell’ deinem Mann die besten Grüße von mir. Wir sind ja Kollegen. Vielleicht ergibt es sich, dass wir uns mal zusammensetzen und ein wenig fachsimpeln.«

»Dafür seh’ ich ganz gute Chancen«, antwortete die Tierärztin lächelnd.

Wenig später blickten Oliver und Jana der Tierärztin, die mit dem Fahrrad gekommen war, hinterher, als sie davon radelte. Sie hielten sich bei der Hand.

»Was hältst du davon, wenn wir noch ein paar Schritte gehen?«, fragte Oliver.

»Gern«, antwortete Jana und schmiegte sich an ihn. Sie hatte das Gefühl, ein wenig zu schweben …

*

Im Pfarrhaus läutete das Telefon. Sophie Tappert nahm das Gespäch an. »Pfarrhaus St. Johann, am Apparat Sophie Tappert.«

»Ich bin’s, Frau Tappert, die Anna Lang. Ich würd’ gern den Herrn Pfarrer sprechen.«

»Einen Augenblick, Frau Lang.«

Sophie trug das schnurlose Telefon auf die Terrasse, wo es sich Sebastian bequem gemacht hatte und in einem Buch las. Er saß an dem großen Tisch, auf dem ein Windlicht stand.

»Es ist die Frau Lang«, sagte Sophie Tappert und hielt dem Pfarrer das Telefon hin. Sebastian legte sein Buch zur Seite, nahm den Hörer und meldete sich.

»Grüaß Sie Gott, Hochwürden«, sagte Anna Lang.

»Guten Abend, Frau Lang«, erwiderte Sebastian den Gruß. »Wo brennt’s denn, weil S’ mich zu dieser späten Zeit noch anrufen?«

»Bitte, entschuldigen S’ die Störung, Hochwürden. Aber ich hab’ mir keinen Rat mehr gewusst. Es geht um den Timo. Sie haben ihn doch ins Gebet genommen und er hat versprochen, dass er das Gerücht, das er in die Welt gesetzt hat, berichtigt und sich bei der Jana und Oliver entschuldigt.«

»Ja, das hat er zugesagt. Hat er es sich etwa anders überlegt?«

»Er hat es sich net nur anders überlegt, Hochwürden. Er will jetzt sogar den Beweis erbringen, dass es kein Gerücht sondern Tatsache ist, dass sich die Jana an den Oliver ranmacht, um an den ganzen Hof zu kommen.«

»Die Jana und der Oliver lieben sich«, erklärte Sebastian. »Sie haben sich entschlossen, zusammenzubleiben, den Hof gemeinsam zu bewirtschaften und einen Gnadenhof zu gründen. Da sind keine niedrigen Beweggründe im Spiel. Der Oliver geht sogar so weit, dass er seinen Job bei der Klinik in Stuttgart aufgeben und sich hier nach einer Anstellung als Arzt umsehen möcht’.«

»Es freut mich für die Jana, wenn sie ihren Traum verwirklichen kann«, sagte Anna. »Ich befürcht’ aber, dass Timo das hintertreiben will. Wissen S’, Hochwürden, was er gemacht hat?«

»Sagen Sie’s mir, Frau Lang.«

»Er hat die beiden beobachtet, und als sie sich auf dem Hof des Breitengasseranwesens geküsst haben, hat er sie fotografiert. Diese Bilder hat er an alle seine Bekannten verschickt, mit einem irreführenden Kommentar. Der Timo hat geschrieben, dass die Jana sich dem Oliver an den Hals geschmissen hat, um sich auch die andere Hälfte des Hofes zu erschleichen. Der Fischer Margot ihrem Buben hat er sie auch aufs Handy geschickt. Die Margot hat’s mir erzählt.«

Sebastian war erschüttert. »Was macht dein Bub? Er hat die Jana und den Oliver bespitzelt und heimlich fotografiert? Und die Bilder verschickt er? Das … das ist ja unterste Schublade. Weiß der Timo denn net, dass das ein Straftatbestand ist?«

»Ich hab’s ihm gesagt, er aber meint, dass er alt genug sei, um zu wissen, was er darf und was net. Um die Jana und den Oliver zu belauschen und zu beobachten hat er sogar einen Tag von der Arbeit blau gemacht. Ich glaub’, der ist vor lauter Eifersucht nimmer Herr seiner Gedanken. Er ist nur noch auf Rache aus.«

»Ist Timo zu Hause?«

»Nein. Er hat mich angerufen und gesagt, dass er später heimkommt, weil er was Wichtiges zu erledigen hat. Was das ist, das hat er mir verschwiegen. Aber ich fürchte fast, dass es wieder mit Jana und Oliver zusammenhängt.«

»Man muss ihn doch per Handy erreichen können.«

»Gewiss, Hochwürden. Vielleicht reden Sie noch einmal mit dem Buben. Wenn es einem gelingt, ihn zur Vernunft zu bringen, dann sind Sie es. Auf mich hört er ja net, und auf seinen Vater schon gleich gar net. Er schaufelt sich sein eigenes Grab, wenn er net aufhört, die Jana schlecht zu machen. Denn irgendwann wird es dem Madel reichen und es zeigt den Timo an.«

»Das ist sicher net auszuschließen. Aber jetzt machen S’ sich mal keine allzu großen Sorgen, Frau Lang. Ich werd’ mit dem Timo reden und versuchen, ihn zur Raison zu bringen.«

»Vergelt’s Gott, Hochwürden. Ich hab’ doch gewusst, dass Sie mir helfen. Sie sind halt ein guter Mensch.«

»Sie müssen sich net bedanken, Frau Lang«, wehrte Sebastian ab. »Das ist doch selbstverständlich.«

»Ich weiß schon, Hochwürden. Sie sind nicht nur ein guter, sondern auch ein bescheidener Mensch. Trotzdem, vielen Dank. Nehmen S’ sich den Burschen anständig zur Brust. Er soll ruhig wissen, dass er weit über’s Ziel hinausgeschossen ist.«

»Das werd’ ich ihm klarmachen, Frau Lang«, erwiderte Sebastian mit Entschiedenheit im Tonfall. »Was der Timo treibt, geht net. Geben S’ mir doch bitte seine Handynummer, damit ich ihn gleich anrufen kann.«

»Einen Moment.«

Kurze Zeit verstrich, dann diktierte Anna dem Pfarrer die Handy­nummer. Danach verabschiedete sich Sebastian, beendete das Gespräch und wählte sofort Timos Nummer. Nach dem zweiten Klingelton meldete sich der Bursche.

»Servus, Timo«, grüßte der Pfarrer. »Ich bin’s, Pfarrer Trenker.«

»Sie, Herr Pfarrer? Woher haben Sie denn meine Handynummer?«

»Von deiner Mutter. Sie hat mich angerufen und mir von deinen neuesten Aktivitäten berichtet. Wie’s ausschaut, hast du net Wort gehalten.«

Timo räusperte sich, Sebastian konnte ihn sogar schlucken hören. »Ich hätt’ doch als Lügner dagestanden, Herr Pfarrer, und jeder im Ort hätt’ sich über mich lustig gemacht. Aber jetzt hab’ ich den Beweis für die Hinterhältigkeit der Jana.«

»Meinst du die Bilder, die du aufgenommen und an deine Bekannten verschickt hast?«

»Natürlich. Jeder im Ort weiß doch, dass der Oliver den Hof verkaufen wollt’. Die Jana hingegen hat sich geweigert, sie wollt ihn behalten. Die beiden haben sich gestritten wie Hund und Katz’. Bis die Jana auf die Idee gekommen ist, ihre Waffen als Frau einzusetzen. Und der Oliver ist auf ihre Reize hereingefallen. Jetzt frisst er ihr aus der Hand, und er hat sogar der Nadine, mit der er seit langer Zeit zusammen ist, den Laufpass gegeben. Ich möcht’ net wissen, was sich auf dem Breitengasserhof abspielt, wenn die Jana und der Oliver allein sind.«

»Mit dir geht die Fantasie durch, Bursch’!«, stieß der Bergpfarrer hervor. »Die beiden lieben sich, und sie haben vor, zu heiraten. Willst du denn net endlich akzeptieren, dass du bei der Jana keine Chance hast? Weißt du, was du treibst? Du begehst Rufmord. Deine Behauptungen sind erfunden und verleumderisch, und du verletzt die Persönlichkeitsrechte von Jana und Oliver, wenn du die Bilder, die du heimlich von ihnen aufgenommen hast, veröffentlichst.«

»Das seh ich anders, Herr Pfarrer. Die Bilder, die ich aufgenommen hab’, sind doch der Beweis, dass sich die Jana an den Oliver herangemacht hat. Ist doch klar! Sie hat sich schon Olivers Vater an den Hals geworfen. Der Reinhard hat ihr net umsonst den halben Hof vermacht. Und jetzt will s’ den Rest auch noch, und um ans Ziel zu kommen, ist ihr jedes Mittel recht.«

»Das denkst nur du. Jeder, der den Reinhard kannte, weiß, er liebte seine verstorbene Frau! Es ist offensichtlich, dass es net so gewesen sein kann, wie du es behauptest. Ich kann dir nur empfehlen, damit aufzuhören, Timo«, riet Sebastian. »Andernfalls stehst du irgendwann vor Gericht. Du hast vorhin den Namen Nadine erwähnt. Ist dir diese Frau näher bekannt?«

»Sie sitzt neben mir, Herr Pfarrer. Auch sie will net akzeptieren, dass sie der Oliver – einfach so – abserviert hat. Immerhin hat er ihr die Ehe versprochen.«

Ein herber Zug nistete sich in Sebastians Mundwinkeln ein. »Ihr schmiedet also gemeinsam Pläne«, stellte er fest. »Gütiger Gott, Timo, bist du dir dessen, was du tust, überhaupt bewusst?«

»Ich weiß genau, was ich tu’, Herr Pfarrer.«

»Ich bin eher vom Gegenteil überzeugt.«

»Ich steh’ jedenfalls net als einer da, der haltlose Gerüchte in die Welt setzt, die Fotos sind der Beweis.«

»Die Fotos beweisen lediglich, dass sich Oliver und Jana lieben. Unter Liebenden ist es üblich, dass sie sich küssen. Daran ist nichts Verwerfliches. Die Fotos sind aber auch der Beweis, dass du den beiden hinterher spioniert hast. Oliver und Jana können für ihre Liebe net verurteilt werden. Aber du, wenn du sie verleumdest und ihre Persönlichkeitsrechte verletzt.«

»Ich weiß schon, Sie wollen mir ein schlechtes Gewissen einreden. Das wird Ihnen net gelingen… Und jetzt entschuldigen S’ mich bitte. Ich bin net allein, und die Nadine wird schon ungeduldig.« Timo unterbrach einfach die Verbindung.

Sebastian ließ die Hand mit dem Hörer sinken. Was die Eifersucht mit einem Menschen anstellen konnte. Er schüttelte den Kopf, über soviel Unvernunft und Verblendung.

*

Der Abendwind war kühl und vertrieb die Schwüle des Tages, der Mond hing rund und prall über den Bergen im Südosten des Wachnertals und die Fledermäuse zogen lautlos ihre Bahnen auf der Jagd nach Beute. Hand in Hand schritten Oliver und Jana auf das Elternhaus der jungen Frau zu. Aus zwei Fenstern im Erdgeschoss fiel Licht.

Jana sperrte auf, machte Licht und ging, gefolgt von Oliver, ein Stück den Flur entlang, klopfte gegen eine Tür und trat ein.

Ihre Mutter saß vor dem Fernseher.

»Grüß dich, Mama. Ich hab’ den Oliver mitgebracht, damit du ihn endlich kennenlernst.«

»Das freut mich aber«, sagte Janas Mutter und schaltete den Fernseher aus. Als Oliver das Wohnzimmer betrat, lächelte sie und erhob sich. »Grüaß Ihnen, Oliver. Es ist sicherlich an die zehn Jahre her, seit ich Sie nimmer gesehen hab’. Sie sind ja ein richtig gestandenes Mannsbild geworden. Alle Achtung.«

Oliver reichte ihr lachend die Hand. »Ich war net oft zu Hause, seit ich damals nach München gegangen bin, um Medizin zu studieren«, erklärte er. »Und nach dem Studium hat’s mich nach Stuttgart verschlagen.«

»Setzt euch«, forderte Carola das Pärchen auf. »Möchtet ihr was trinken? Ein Glaserl Wein vielleicht.«

»Nein, vielen Dank«, lehnte Oliver ab. »Ich hab’ die Jana nur nach Hause begleitet, und bei dieser Gelegenheit wollt’ ich bei Ihnen Grüß Gott sagen, Frau Mirlbacher.«

»Fünf Minuten werden S’ doch Zeit haben, Herr Doktor.«

»Natürlich. Aber nennen S’ mich bitte net Herr Doktor. Sagen S’ einfach Oliver zu mir.«

»Gern, Oliver. Ich bin die Carola.«

Sie ließen sich nieder.

»Ich bin ja so froh, dass ihr beide euch zusammengerauft habt«, erklärte Carola. »Mir ist der Streit um die Zukunft des Breitengasserhofs regelrecht aufs Gemüt geschlagen.«

»Jana hat Ihnen sicher schon erzählt, dass wir unseren Streit net einfach nur so beigelegt haben«, sagte Oliver und nahm Janas Hand, drückte sie leicht und erntete dafür einen strahlenden Blick.

»Ihr habt euch ineinander verliebt«, sagte Carola. »Sie haben mein Madel zum glücklichsten Menschen auf der Welt gemacht, Oliver. Ich glaub’, es hat seine Zeit gedauert, bis sie ihr Glück überhaupt fassen hat können. Wenn sich auch jetzt noch ihr Traum von einem Gnadenhof erfüllt …«

»Er wird sich erfüllen, Mama«, rief Jana, dann erzählte sie ihrer Mutter von Dr. Elena Wiesingers großzügigem Hilfsangebot und der Idee, einen Förder-Verein zu gründen.

Carola fand die Idee großartig. »Ich bin überzeugt, dass dem Verein viele Mitglieder beitreten werden. Das Schicksal vernachlässigter Tiere liegt vielen Menschen am Herzen. Die werden das Projekt, das ihr auf die Beine stellen wollt, sicherlich gutheißen und vielleicht sogar unterstützen. Dass die Frau Doktor Wiesinger so spontan in die Sach’ eingestiegen ist, das ist schon bemerkenswert.«

»Ich bin ihr sehr dankbar dafür«, erklärte Jana. »Sie hat sich als Tierärztin im ganzen Tal einen Namen gemacht, und ihr Mann hat net nur Patienten aus St. Johann, sondern auch aus den Gemeinden Waldeck und Engelsbach. Auch er will uns unterstützen, indem er für uns Werbung macht. Wir werden ein Flugblatt herausgeben und es im ganzen Wachnertal unter die Leut’ bringen.«

»Deine Begeisterung kennt ja keine Grenzen«, freute sich Carola wegen der Euphorie, die Jana an den Tag legte. »Und irgendwann werden dann auch die bösen Gerüchte verstummen, die über dich in Umlauf sind, Madel.«

»Und wenn nicht, dann werden wir etwas dagegen unternehmen!«, erklärte Oliver mit Nachdruck. »Und wenn die Ersten eine Klage wegen übler Nachrede am Hals haben, werden die Anderen sicher ganz kleinlaut.«

Janas Mutter senkte den Blick; es sah aus, als wäre ihr ein unangenehmer Gedanke gekommen, den sie nicht aussprechen wollte. Unschlüssig starrte sie vor sich auf die Tischplatte.

»Was ist denn los, Mama? Was hast du?«, fragte Jana, der das jäh veränderte Verhalten ihrer Mutter nicht entging.

Entschlossen hob Carola den Blick, schaute erst Jana, dann Oliver an, und sagte mit fester Stimme: »Der Timo hat euch fotografiert, als ihr euch ziemlich leidenschaftlich geküsst habt. Die Bilder hat er an alle seine Bekannten mit der Bemerkung verschickt, dass sei der Beweis, dass du, Jana, dich dem Oliver an den Hals geworfen hast, um deine Pläne durchzusetzen. Die Annelies hat es mir erzählt. Ihre Tochter Melanie hat die Bilder von Timo auf ihr Handy erhalten.«

Ungläubig starrten Oliver und Jana deren Mutter an. Fassungslosigkeit prägte ihre Mienen. Jana war entsetzt.

»Damit ist er zu weit gegangen!«, brach es schließlich über Olivers Lippen, während Jana noch immer wie erstarrt dasaß. »Ich kenn’ die Melanie. Ich werd’ sie bitten, sich als Zeugin zur Verfügung zu stellen. Und dann erstatten wir Anzeige gegen Timo.« Seine Augen blitzten zornig.

Jetzt erlangte auch Jana ihre Fassung zurück. »Ja, wir zeigen ihn an«, pflichtete sie bei. »Anders ist dieser Kerl net zu bremsen. Der dreht doch völlig durch. Was will er damit überhaupt erreichen? Meint er, ich sag’ ja zu ihm, wenn er uns terrorisiert und überall schlecht macht?«

»Darum geht’s ihm nimmer«, brachte Oliver es auf den Punkt. »Du hast seine Gefühle zurückgewiesen, und er will sich nur noch rächen.« Olivers Stimme hob sich um eine Nuance. »Aber an uns wird er sich die Zähne ausbeißen. Am Ende wird er dastehen wie ein begossener Pudel und begreifen, dass er sich ein Eigentor geschossen hat.« Oliver erhob sich. »Der Tag war lang und anstrengend. Und morgen Früh müssen wir schon wieder ran. Die Kühe müssen gemolken werden, ich muss Frischfutter hereinholen, du musst dich um die Pferde und Kälber kümmern, und, und, und … Drum sollten wir uns schlafen legen.«

Auch Jana war aufgestanden. »Ich begleit’ dich hinaus, Schatz.«

Oliver lächelte matt. Ihm war nicht nach Lachen zumute, nachdem er von Timos neuester Aktion erfahren hatte. »Gute Nacht, Carola. Schlafen S’ gut.«

»Gute Nacht, Oliver.«

Oliver und Jana verließen das Wohnzimmer und gleich darauf traten sie ins Freie. Oliver nahm Jana in die Arme und küsste sie. »Auch dir eine gute Nacht, Liebling«, murmelte er. »Und mach’ dir net allzu viele Gedanken. Wir werden den Kerl zur Raison bringen. Er wird noch bitter bereuen, dass er sich zu derart gemeinen Aktionen hat hinreißen lassen. Du weißt doch: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Das wird auch dem Timo passieren.«

»Meine Liebe zu dir kann er net erschüttern«, versicherte Jana. »Was immer er noch plant…«

»Unsere Liebe, Schatz!«, flüsterte Oliver Jana zu. »Gegen solche Attacken sind wir ein Fels in der Brandung.«

Sie küssten sich ein weiteres Mal, innig und leidenschaftlich. Schließlich aber löste sich Oliver mit sanfter Gewalt von Jana und flüsterte zärtlich: »Bis morgen Früh, Schatz. Schlaf’ gut und träum’ schön.« Nach einem letzten Kuss wandte sich Oliver ab und entfernte sich mit ausholenden Schritten.

Jana schaute ihm hinterher, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. Dann kehrte sie ins Haus zurück. Die Anfeindungen durch Timo Lang machten ihr sehr zu schaffen. Dass er versuchte, sie als Erbschleicherin und Heuchlerin hinzustellen, zermürbte sie und nagte an ihren Nerven.

*

Als Oliver in der Nähe des Hotels eine schmale Seitenstraße passierte, trat ihm eine mittelgroße, schlanke Gestalt in den Weg.

Er hielt an. »Du, Nadine!«, entfuhr es Oliver. Deutlich war ihr schönes Gesicht im Licht einer Straßenlaterne zu erkennen. Ihr Haar glänzte wie reifer Weizen, ihre Augen reflektierten den Lichtschein.

Unvermittelt war in Oliver ein ungutes Gefühl. Nur wenige Schritte trennten ihn von der Frau, die er einmal zu lieben glaubte.

Sie kam langsam auf ihn zu. Dicht vor ihm blieb sie stehen. »Ich werde morgen Früh nach Stuttgart zurückkehren. Darauf zu warten, dass du kommst und mir sagst, dass die Geschichte mit der Jana ein Irrtum war, dürfte wohl vergeblich sein.«

»Das wäre es, Nadine. Ich liebe Jana.« Er zögerte ein wenig, fuhr aber schließlich fort: »Es ist mir jedoch viel daran gelegen, dass wir beide net im Bösen auseinandergehen. Ich kann mir vorstellen, dass du sehr enttäuscht bist. Aber ich kann net aus meiner Haut. Bei Jana empfinde ich etwas, das ich noch bei keinem anderen Menschen verspürt hab’. Ich kann’s net beschreiben. Es kann nur tief empfundene Liebe sein.«

»Ich werde mich damit abfinden, Oliver, denn ich kann es nicht erzwingen, dass du mich liebst. Ich wollte dir nur Bescheid sagen. Morgen Früh trennen sich unsere Wege endgültig. Vielleicht ist es falsch, wenn du in Stuttgart sämtliche Brücken hinter dir abbrichst. Aber du wirst wissen, was du tust.«

»Ich wünsche dir viel Glück, Nadine. Komm’ gut heim, und behalt’ mich net in allzu schlechter Erinnerung. Es sollte einfach net sein. Die Vorsehung hatte andere Pläne mit uns. Wir müssen es akzeptieren.«

»Darf ich dich zum Abschied umarmen?«

Oliver brachte es nicht übers Herz, nein zu sagen. Es widerstrebte ihm, aber er wollte Nadine, mit der er schließlich lange Zeit zusammen war, nicht vor den Kopf stoßen. In deutlich reserviertem Tonfall antwortete er: »Ich möchte, dass wir Freunde bleiben, Nadine, wir sollte net im Bösen auseinandergehen. Das wär mir schrecklich.«

»Mir ergeht es ähnlich. Also, auf gute Freundschaft, Oliver. So können wir uns, sollten wir uns zufällig wieder einmal treffen, in die Augen schauen.« Sie trat auf ihn zu, legte ihre Arme um seinen Nacken, zog seinen Kopf nach unten, und ehe er sich versah, klebten ihre Lippen an den seinen.

Er war dermaßen perplex, dass er für die Spanne mehrer Herzschläge nicht in der Lage war, zu reagieren. Er war wie erstarrt. Als der Bann aber von ihm abfiel, machte er sich abrupt, fast gewaltsam, frei und trat einen Schritt zurück. »Was soll das, Nadine? Was ziehst du ab? Auf diese Weise …«

»Ach, halt doch den Mund!«, schnitt sie ihm schroff das Wort ab. »Hast du wirklich geglaubt, ich strecke so ohne weiteres die Waffen?« Sie lachte schrill auf. »Du bist eben ein unverbesserlicher Narr. Wenn du denkst, dass ich zulasse, dass du mit dem kleinen Flittchen glücklich wirst, dann hast du dich in den Finger geschnitten.«

»Was wird hier gespielt?«, platzte es über Olivers Lippen. Ihm schwante Unheilvolles. »Was hast du eben inszeniert, Nadine? Hinter dem Kuss steckt doch eine böse Taktik. Was läuft hier…«

»Du hast auf das falsche Pferd gesetzt, Oliver!«, keifte Nadine. »Aber du bekommst die Quittung dafür. Und jetzt wünsche ich dir was …« Nadine wandte sich ab und eilte davon.

Gleich darauf bog sie zum Hotel ein und Oliver verlor sie aus den Augen.

Er stand vollkommen verdattert da, denn er konnte sich keinen rechten Reim auf Nadines Verhalten machen. Ihm war aber klar, dass sie nicht grundlos gebeten hatte, ihn ein letztes Mal umarmen zu dürfen. Düsteren Ahnungen stiegen in ihm hoch und ließen sich nicht verdrängen. Oliver spürte geradezu körperliches Unbehagen. Mit dem Gefühl, dass sich etwas anbahnte, das alles andere als erfreulich sein würde, setzte er sich wieder in Bewegung.

Einen Augenblick dachte er daran, noch einmal zu Jana zurückzukehren, um ihr von dem Vorfall zu erzählen. Dann aber sagte er sich, dass das bis zum kommenden Morgen Zeit hatte.

*

Als am Morgen, bei Sonnenaufgang Jana die Küche auf dem Breitengasserhof betrat, genügte Oliver ein Blick in ihr Gesicht, um ihm zu sagen, dass etwas nicht stimmte.

Seinen Gruß erwiderte sie nur ganz knapp, dabei vermied sie es, ihn anzusehen.

Oliver hätte sie liebend gern geküsst, aber angesichts ihrer Unterkühltheit unterließ er es. Er hatte Kaffee gekocht, doch Jana machte keine Anstalten, sich an den Tisch zu setzen, um eine Tasse zu trinken.

»Ich geh’ gleich in den Stall«, erklärte sie, »und melke die Kühe. Danach versorg’ ich die Kälber und die Pferde.« Sekundenlang hing nach diesen Worten ihr Blick voll Wehmut und Enttäuschung an seinem Gesicht, dann ging sie, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, und verließ die Küche.

Olivers hatte nicht versucht, Jana aufzuhalten. In ihm stieg eine Gewissheit auf. Ja, er wusste, weshalb Jana sich so verhielt. Es versetzte ihm einen Stich in der Brust, als ihm klar wurde, dass für sie eine Welt eingestürzt sein musste. ›Du musst Klarheit schaffen!’, durchfuhr es ihn. ›Dass sich Nadine für eine derartige Niederträchtigkeit hergibt, hätte ich niemals im Leben erwartet. Aber das wird Folgen haben!‹

Er folgte Jana hinaus in den Kuhstall. Sie war gerade dabei, in ihre grünen Gummistiefel zu schlüpfen. Oliver wartete, bis sie sie angezogen hatte und sich aufrichtete. »Was ist los?« Durchdringend fixierte er ihr Gesicht.

Wortlos holte Jana ihr Smartphone aus der Tasche und hielt es schließlich Oliver hin. Es zeigte ihn und Nadine, als sie ihn am vorangegangenen Abend gegen seinen Willen küsste.

»Erzähl’ mir jetzt nicht, dass das eine alte Aufnahme ist!«, stieß Jana hervor. »Sie stammt von gestern Abend. Diese Kleidung hast du getragen, und hinter euch kann man den Eingang des Hotels ›Zum Löwen‹ erkennen. Du hast wohl gedacht, du kannst mich mit deinen Liebesschwüren um den Finger wickeln? Dachtest du, dass ich irgendwann eingelullt bin und mich schließlich mit dem Verkauf des Hofes einverstanden erkläre?« Ihre Stimme wurde schroff. »Vergiss es, mein Lieber. Es war vergebliche Liebesmüh’.« Sie klickte das Bild weg und steckte das Handy wieder in die Tasche ihrer Arbeitshose.

»Ich kann das erklären«, sagte Oliver. Die kühle Reserviertheit, die von Jana ausging, traf ihn bis in seinen Kern. Es war, als hätte sie eine eisige Wand zwischen sich und ihm errichtet. Ihre Augen jedoch sprachen von Mutlosigkeit und Schmerz.

Jana schaute ihn wortlos an.

»Dieses Bild hat dir Timo geschickt, nicht wahr?«

Sie nickte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Das müsste dir eigentlich zu denken geben«, murmelte er. Dann berichtete er, was vorgefallen war, nachdem er am Abend Jana verlassen und sich ihm beim Hotel Nadine in den Weg gestellt hatte. »Sie hat mir Freundschaft und Akzeptanz vorgeheuchelt«, schloss er. »Und ich Dummkopf habe zugelassen, dass sie mich umarmt. Mir war nach ihrem Kuss sofort klar, dass das eine abgekartete Sache war. Ich wusste allerdings net, mit wem Nadine unter eine Decke steckt. Jetzt weiß ich’s.«

»Und das ist die Wahrheit?«, fragte Jana. Ihre Stimme wies einen hoffnungsvollen Unterton auf. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen.

»Ja. Nadine hat mir gedroht. Dass zwischen ihr und mir niemals mehr etwas sein kann, weiß sie. Aber sie gönnt mir net, dass ich mir dir glücklich werd’. Das hat sie mir ins Gesicht gesagt. Darum hat sie zusammen mit Timo, dieses lächerliche Schauspiel inszeniert. Sie hat mich regelrecht überrumpelt.«

Jana schniefte. »Aber – das ist ja an Gemeinheit kaum zu überbieten«, entrang es sich ihr schließlich. »Was will Timo denn noch alles tun, um einen Keil zwischen uns zu treiben?«

»Er wird keine Ruhe geben«, knirschte Oliver. »Daher wirst du ihn anzeigen müssen. Als er die heimlich fotografierten Bilder an seine Bekannten verschickte, hat er deine Persönlichkeitsrechte verletzt und hat dich verleumdet. Und auch ich werd’ Anzeige gegen ihn erstatten.«

»Ach, Oliver… Ich glaube dir…«, murmelte Jana bedrückt. »Eigentlich hätt’ ich wissen müssen, dass das wieder nur eine Hinterhältigkeit von Timo war. Es tut mir leid, dass ich so wenig Vertrauen zu dir gehabt hab’.«

»Ja, das hat mich auch ein bissel betroffen gemacht«, gestand er, dann lachte er auf und zog sie an seine Brust. »Aber das Vertrauen ist wieder hergestellt, und alles ist gut. Das könnten wir gern noch mit einem Kuss besiegeln.«

»Nichts lieber als das«, lachte sie befreit und glücklich, und dann küssten sie sich. Jana schlang ihre Arme um Olivers Nacken und hielt ihn fest, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.

*

Als Oliver und Jana den Kuhstall verließen, lag Olivers Arm um Janas Schultern, sie sprachen miteinander und lachten.

Ein Bild ungetrübter Einigkeit.

Timo Lang und Nadine Heindl, die in sicherer Entfernung in Timos Auto saßen und alles beobachteten, wechselten einen irritierten Blick.

»Was ist das denn?«, knurrte Timo. »Jana muss das Bild doch erhalten und auch angeschaut haben. Es kann ihr doch net egal sein, dass er eine andere Frau küsst.«

»Sie haben unser Spiel durchschaut«, war Nadine überzeugt und schaute Timo von der Seite an.

»Meinst du?«, fragte er.

»Ja. Wenn ich es mir richtig überlege, dann sind wir ausgesprochen stümperhaft und primitiv vorgegangen. Außerdem fühle ich mich ziemlich schäbig. So etwas ist nicht meine Art. Außerdem …« Nadine brach ab.

Timo schaute sie erstaunt an.

Sie strahlte etwas aus, das er nicht zu deuten vermochte, das ihn aber stutzig machte. »Warum redest du net weiter, Nadine?«

Sie dachte kurz nach, dann sagte sie: »Mir ist gerade etwas klar geworden. Es ist wie ein Alptraum, aus dem ich gerade erwache. Wir waren blind vor Eifersucht! Was haben wir da bloß getan? Erstens haben wir es nicht nötig, ein derartiges Schauspiel aufzuführen. So etwas Gemeines ist doch sonst gar nicht unsere Art! Und zweitens verstehe ich mich und meine Wut nicht mehr. Irgendwie ist es mir plötzlich egal, dass der Oliver eine andere liebt.« Ein seltsames Lächeln umspielte ihre Lippen.

Timos Augen weiteten sich ein wenig. Verblüffung spiegelte sich in seinen Zügen wider. »Versteh’ ich dich richtig?«, stieg es ächzend aus seiner Kehle. »Willst du damit zum Ausdruck bringen, dass du – dass dein Herz wieder frei ist, für …« Es wollte nicht über seine Lippen, denn er konnte es nicht glauben. Aber vielleicht durfte er es hoffen? Eine Frau wie Nadine und er! Er sah sich als derben Burschen, einigermaßen gut erzogen, aber als einen Menschen mit vielen Ecken und Kanten. Nadine aber war eine Person, die Bildung und Stil besaß und bei der einer wie er normalerweise keine Chance hatte.

»Genau das will ich zum Ausdruck bringen«, versetzte Nadine und sah ihn nun ernsthaft an.

»Aber … Ich … Das – das kann ich ja kaum glauben.« Es überstieg sein Begriffsvermögen. »Ist das wirklich so?«, brach es über seine Lippen. »Das wäre zu schön, um …«

»Es ist so! Das Leben geht weiter, auch ohne Oliver. Langsam begreife ich, dass mein Herz jetzt auch wieder frei ist. Du bist jetzt auch wieder frei! Wir haben versucht, mit unseren Enttäuschungen und verletzten Gefühlen zurecht zu kommen und haben den falschen Weg gewählt. Wir haben uns für eine Rachenaktion zusammengetan, obwohl wir doch die Sehnsucht nach Liebe und Nähe in uns trugen. Bei Oliver war ich der Meinung, dass er der richtige Mann für mich war. Jetzt erkenne ich, dass wir uns zwar sehr gemocht, aber nicht geliebt haben. Wir, du und ich, kennen uns zwar kaum, aber es hat gereicht, um zu spüren, dass du ein Mensch bist, der mir nahe stehen könnte.«

Timo atmete seufzend durch. Sein Herz schlug bis zum Hals hinauf, in seinem Kopf wirbelten die Gedanken, aber nur ein einziger nahm Formen an. ›Sie hat so recht!‹

Er drehte sich ihr zu, seine Hände legten sich um ihre zarten Hände. »Ich muss dir auch etwas gestehen, Nadine. Ich hab’, vom ersten Moment an, nachdem ich dich gesehen hab’, ein besonderes Gefühl verspürt. Ich war total von dir fasziniert. Aber ich hätt’ mich nie getraut, es dir zu sagen. Und ich war auch noch net so weit, es stimmt, meine verletzten Gefühle haben auch mich blockiert und in die falsche Richtung geführt.«

Ihre Blicke versanken ineinander. »Ich hätte dir eher begegnen sollen«, lächelte Nadine. »Aber vielleicht ist ja noch net zu spät?«

Er schluckte. Was er noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte, wurde gerade Wirklichkeit. Er jubelte innerlich. »Nein, es ist net zu spät – wir sind doch gerade erst am Anfang. Oder was meinst du?«

»Ich hoffe, es ist so«, flüsterte Nadine und strahlte ihn mit ihren blauen Augen, die ihn von Anfang an verzaubert hatten, an.

Timo beugte sich zu ihr hinüber und zog sie gleichzeitig ein wenig an sich heran. Ihre Lippen fanden sich zu einem ersten zarten Kuss, dann sahen sie sich an. Sie schienen die Welt um sich herum vergessen zu haben, Zeit und Raum spielte keine Rolle mehr für sie. Es gab nur sie beide und ihre Gefühle, und die Hoffnung, dass es diesmal der richtige Weg war, den sie gemeinsam gehen wollten.

*

Max Trenker staunte nicht schlecht, als um halb zwölf Uhr Oliver Breitengasser, Jana Mirlbacher und Melanie Seegerer, eine vierundzwanzigjährige Frau mit rötlichen Haaren und einem sommersprossigen Gesicht, das Polizeirevier betraten. Er kannte die drei sehr gut, wenn auch seine letzte Begegnung mit Oliver einige Zeit zurücklag. Nachdem er ihren Gruß erwidert hatte, musterte er sie fragend.

»Jana und ich möchten Anzeige gegen Timo Lang erstatten«, erklärte Oliver Breitengasser. »Es geht um üble Nachrede, Verleumdung und Verletzung unserer Persönlichkeitsrechte.«

Max pfiff zwischen den Zähnen. »Das ist ja allerhand. Aber setzt euch doch. Und dann erzählt mir detailliert, was ihr dem Timo vorwerft.« Er schaute Melanie Seegerer an, die sich offensichtlich nicht gerade wohl fühlte in ihrer Haut. »Willst du auch Anzeige erstatten, Melanie?«

»Nein. Ich will die Aussage der beiden bezeugen.« Melanie nahm ihr Smartphone zur Hand. »Da drauf ist der Beweis für das, was sie dem Timo vorwerfen.«

»Na schön«, brummte Max Trenker. »Dann schießt mal los.«

Oliver und Jana berichteten abwechselnd. Zuletzt ließ Jana Max das Bild sehen, das Oliver und Nadine beim Küssen zeigte, und Melanie Seegerer führte dem Polizisten mehrere Aufnahmen vor, die ihr Timo aufs Handy geschickt hatte und auf denen Oliver und Jana abgebildet waren, als sie sich küssten.

Max las auch den gemeinen Kommentar, den Timo dazu verfasst hatte. »Welcher Teufel da den Timo wohl geritten hat«, murmelte Max. »Er hätt’ sich doch denken können, dass ihr euch das auf die Dauer net bieten lasst. Ist ihm denn in deinem Zorn auf dich, Jana, alles wurscht? Nimmt er selbst eine empfindliche Strafe in Kauf, wenn er dir nur schaden kann?«

»Das schaut ganz so aus«, antwortete Jana. Sie war nicht glücklich darüber, dass sie Anzeige erstattete. Aber Timo ließ ihr mit seinen gehässigen Aktivitäten keine andere Wahl. Sie wollte mit Oliver auf dem Breitengasserhof glücklich sein. Solange aber Timo Lang seine Giftpfeile gegen sie abschoss, würde ein Schatten auf ihrer Liebe liegen.

»Das sind ziemlich schwere Vorwürfe, die ihr gegen den Timo Lang erhebt«, sagte Max. »Aber wenn alles so ist, wie ihr es mir eben beschrieben habt, dann muss der Bursch’ mit einer saftigen Strafe rechnen. Nun ja, ich nehm’ dann mal die Anzeige auf.«

*

Als Max eine Dreiviertelstunde später zum Mittagessen im Pfarrhaus erschien, empfing ihn sein Bruder: »Du bist heut’ eine Viertelstund’ später dran als normal. Was hat dich denn aufgehalten?«

»Dienst geht vor Hunger«, erwiderte Max schmunzelnd, wurde dann aber schlagartig ernst. »Die Jana Mirlbacher und der Oliver Breitengasser haben gegen Timo Lang Anzeige erstattet.«

»Es geht sicherlich um die Kommentare zu den Fotos von Jana und Oliver, die er an seinen gesamten Bekanntenkreis verschickt hat«, sagte der Bergpfarrer seufzend.

»Du weißt Bescheid?«, fragte Max ziemlich verwundert.

»Timos Mutter hat es mir erzählt«, antwortete Sebastian. »Sie macht sich große Sorgen wegen ihrem Buben. Er wird nur noch von der Eifersucht und dem Gedanken an Rache geleitet. Ich vermute auch, dass er das erste Gerücht, die Jana habe sich dem Reinhard an den Hals geworfen, damit er sie in seinem Testament bedenkt, in Umlauf gebracht hat.«

»Das schließe ich, nach allem, was ich jetzt weiß, auch nimmer aus«, erklärte Max. »Nun ja, ich werde mir den Burschen mal vorknöpfen, und dann muss ich die Anzeigen an die Staatsanwaltschaft in Garmisch weiterleiten. Sobald sie dort vorliegt, bin ich nicht mehr der Herr des Geschehens.«

»Dem Timo ist wohl net mehr zu helfen«, murmelte Sebastian. »In diesen Schlamassel hat er sich selbst hineingeritten, nun muss er die Suppe auch auslöffeln, die er sich eingebrockt hat.«

»Hast du was Neues zu berichten, Bruderherz?«, fragte Max. Das Thema Timo Lang war für ihn, zumindest für den Moment, erledigt.

Sebastian nickte. »Für vierzehn Uhr bin ich zu einer Gesprächsrunde beim Bürgermeister eingeladen. Es geht um den Protest der Geschäftsleute am Achsteinsee gegen die Brauerei. Du weißt schon, nach der Flugblattaktion des Fischers haben sie es mit der Angst bekommen, dass die Deininger-Bräu ihre Existenz am See gefährden könnte. Nun will man eine Lösung finden, die sowohl den Bedürfnissen Stangassingers und der Geschäftleute als auch denen von Jürgen und Paul Deininger gerecht wird.«

»Und wieso bist du dazu eingeladen?«

»Ich soll dem Bürgermeister Schützenhilfe leisten. Er steht zwischen den Feuern. Und du kennst doch unseren guten Markus. Wenn’s brenzlig wird, überlässt er gerne anderen das Feld. Er wird einen schweren Stand haben, allein schon wegen der Versäumnisse des Gemeinderats bei der Baugenehmigung. Es wurden verschiedene Dinge net bedacht, und nun fürchtet der Markus Regressansprüche von Seiten der Deiningers, wenn jetzt plötzlich irgendwelche Auflagen auf den Deiningers zukommen.«

Jetzt trug Frau Tappert das Essen auf. Da Freitag war, gab es Fischfilet im Gemüsebett. Sie hatte die Teller der Brüder bereits in der Küche gefüllt und stellte nun vor jeden der beiden einen hin.

»Das sieht ja appetitlich aus«, lobte Sebastian.

»Und ebenso gut, wie es aussieht, duftet es«, fügte Max hinzu. Er sog den Duft des Essens ein und lächelte begeistert.

»Danke«, sagte Sophie. »Einen guten Appetit.«

Sebastian und Max bedankten sich, Sophie verließ das Esszimmer, und die Brüder machten sich über das Essen her.

»Vorzüglich«, lobte Max dazwischen einmal.

Mit einem Nicken pflichtete Sebastian ihm bei. Nach einer Weile des Schweigens ergriff Sebastian noch einmal das Wort: »Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass die Geschäftleute und der Stangassinger von Jürgen Deininger fordern, dass er Brunnen graben lässt, die die Brauerei mit Wasser versorgen. Es ist dem Fischer gelungen, die Geschäftsleute in Panik zu versetzen, und die Gemeinde wird Partei ergreifen müssen.«

»Hat Markus schon angedeutet, auf wessen Seite er sich stellen wird?«, fragte Max.

»Als es um den Lärm und die Schmutzbelastung im Ortskern ging, stellte er sich auf die Seite der Laden-, und Lokalbesitzer.«

Wieder konzentrierten sie sich auf das leckere Essen.

Max schüttelte den Kopf und meinte: »Wär’ ich an Stelle Jürgen Deiningers, würd’ mir die Lust am Bau der Brauerei vergehen. Ich glaub’, ich würd’ hinschmeißen.«

»Dazu hat er schon viel zu viel Geld investiert«, versetzte Sebastian. »Auszuschließen ist’s jedoch net, dass er darauf pfeift und aufgibt. Dann, schätz’ ich, bin ich gefordert. Deshalb hat Markus mich wohl auch zur Gesprächsrunde geholt. Er will, dass ich Jürgen und Paul im Falle des Falles besänftige und überzeuge, die Flinte net einfach ins Korn zu werfen, sondern noch einmal ein paar tausend Euro in die Hand zu nehmen und Brunnen graben zu lassen.«

»Er ist kein Dummer, unser verehrter Bürgermeister«, murmelte Max. »Auf diese Weise spannt er dich vor seinen Karren und hofft, dass du erreichst, was er net durchsetzten kann. Kurz gesagt: Bruckner will sich vor der Verantwortung drücken.«

»So ist er halt, der Markus«, seufzte Sebastian. Dann sah er seinen Bruder forschend an. Das erste Thema beschäftigte ihn immer noch. »Meinst du net, dass Oliver und Jana ihre Anzeigen zurückziehen, wenn der Timo dafür sorgt, dass die Bilder von den Handys seiner Bekannten verschwinden und er sich bei den beiden entschuldigt?«

»Du willst net, dass er bestraft wird?«

»Ich will, dass sich in St. Johann die erhitzten Gemüter wieder beruhigen. Die ganze Aufregung führt zu nix Gutem. Und wenn Timo Einsicht zeigt, hat er auch eine zweite Chance verdient.«

»Ich kann dich verstehen«, murmelte Max nachdenklich. »Ich werd’ mir den Burschen vorknöpfen, und dann schauen wir weiter.« Er grinste. »Vielleicht kann ich dazu beitragen, dass die Welt in St. Johann so friedlich bleibt, wie wir sie uns wünschen.«

»Streng dich an«, versetzte Sebastian.

*

Punkt vierzehn Uhr waren sämtliche Teilnehmer an der Gesprächsrunde im kleinen Sitzungssaal des Rathauses anwesend. Nach der wortreichen Begrüßung durch den Bürgermeister ergriff der Fischer vom Achsteinsee das Wort.

»Meine sehr verehrten Herren«, begann Jakob Stangassinger, »ich muss wohl net extra ausführen, weshalb wir hier sitzen. Ich hab’ in dieser Angelegenheit mit den Ladenbesitzern und Lokalbetreibern eine Interessengemeinschaft gebildet.«

»Ja, es ist bekannt, worum es Ihnen geht, Herr Stangassinger«, sagte Markus Bruckner.

»Drum spar’ ich mir, es zu wiederholen, Herr Bürgermeister. Sie wissen, dass eine große Zahl Betroffener dieselben Befürchtungen hegen wie ich. Und ich hab’ keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass wir uns an die Staatskanzlei wenden, wenn wir hier auf Granit beißen sollten.«

»Jetzt fahren S’ nur net gleich das große Geschütz auf, Herr Stangassinger«, versuchte Bruckner den Fischer zu besänftigen.

»Ihre sogenannten Befürchtungen, mit denen Sie Ihre Mitstreiter aufgehetzt haben, entbehren jeder Grundlage!«, erregte sich Paul Deininger.

»Das ist Ihre Auffassung!«, blaffte Stangassinger. »Natürlich sagen Sie das. Es ginge ja gegen ihre Interessen, wenn ich recht hätte.«

»Ich bitte Sie, meine Herren«, rief Bruckner. »Wir wollen doch nicht schon zu Beginn des Gesprächs die Pferde scheu machen. Tragen S’ Ihre Forderung vor, Herr Stangassinger, und begründen S’ ihre Befürchtungen. Danach können Herr Deininger und sein Sohn argumentieren, und dann können wir zur Diskussion übergehen. Einverstanden, die Herren?«

Kollektives Nicken war die Antwort.

Stangassinger stemmte sich am Tisch in die Höhe. Er wollte stehen, wenn er seine Einwände gegen die Wasserentnahme aus dem Achsteinsee durch die Brauerei vortrug. Sein trotziger Blick streifte die Gesichter der Anwesenden. Dann legte er los – alle Befürchtungen und Sorgen, die er in seinem Flyer schon zum Ausdruck gebracht hatte, wiederholte er. Und zuletzt stellte er seine Forderung: »Die Deininger-Bräu muss selbst für ihr Wasser sorgen, indem sie Brunnen graben lässt. Andernfalls muss von behördlicher Seite die Anordnung erfolgen, dass der Bau eingestellt wird, damit die Brauerei niemals die Produktion aufnehmen kann.«

Nach diesen Worten herrschte für kurze Zeit betroffenes Schweigen.

»Ist Ihnen überhaupt klar, was Sie fordern?«, fragte Jürgen Deininger.

»Natürlich«, versetzte Stangassinger. »Es müssen Brunnen her – oder es läuft nix! Der Schutz des Achsteinsees geht vor.«

»Bringen Sie ein Gutachten, das eine Gefährdung des Wassers oder des Wasserstands beweist, dann werden wir uns Maßnahmen überlegen!«, rief Paul Deininger. »Solange Sie lediglich mit Vermutungen oder mit unklaren Befürchtungen kommen, besteht für uns keine Veranlassung, auch nur einen Finger zu rühren.«

Stangassingers Blick hatte sich noch mehr verfinstert. »Ich habe befürchtet, dass Sie auf stur schalten. Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als mich an das zuständige Ministerium in München zu wenden. Es sei denn, die Gemeinde St. Johann kann eine akzeptable Lösung bieten.«

Jetzt fühlte sich der Bürgermeister angesprochen, er räusperte sich. »Die Frage, ob durch den Bau der Brauerei das Wasser im Achsteinsee gefährdet ist, hat sich beim Genehmigungsverfahren nie gestellt. Dass ist, meiner Meinung nach, auch eher unwahrscheinlich. Aber wir wollen in unserem schönen St. Johann keinen Ärger. Die Frage, ob der Betrieb der Brauerei ein echtes Problem für den Achsteinsee bringt, würde Gutachten erforderlich machen, die allerdings viel, sehr viel Geld kosten. Daher bin ich für eine unstreitige Einigung.«

»Das heißt?«, schnappte Paul Deininger, der weit weniger Geduld aufzubringen schien, als sein Vater.