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Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 91: Franzi und der Mann aus der Fremde E-Book 92: Liebe gegen jede Vernunft E-Book 93: Glück und Leid auf dem Brennerhof E-Book 94: Zuflucht in St. Johann E-Book 95: Darf ich nur von Liebe träumen? E-Book 96: Wenn die Heimat ruft E-Book 97: Junges Glück – noch voller Hoffnung E-Book 98: Ich glaube an die Liebe E-Book 99: Von der Liebe vergessen E-Book 100: Von der Liebe vergessen E-Book 1: Franzi und der Mann aus der Fremde E-Book 2: Liebe gegen jede Vernunft E-Book 3: Glück und Leid auf dem Brennerhof E-Book 4: Zuflucht in St. Johann E-Book 5: Darf ich nur von Liebe träumen? E-Book 6: Wenn die Heimat ruft E-Book 7: Junges Glück – noch voller Hoffnung E-Book 8: Ich glaube an die Liebe E-Book 9: Von der Liebe vergessen E-Book 10: Geh' nicht am Glück vorbei

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Inhalt

Franzi und der Mann aus der Fremde

Liebe gegen jede Vernunft

Glück und Leid auf dem Brennerhof

Zuflucht in St. Johann

Darf ich nur von Liebe träumen?

Wenn die Heimat ruft

Junges Glück – noch voller Hoffnung

Ich glaube an die Liebe

Von der Liebe vergessen

Geh’ nicht am Glück vorbei

Der Bergpfarrer – Staffel 10 –

E-Book 91-100

Toni Waidacher

Franzi und der Mann aus der Fremde

Sepp Reisinger schaute dem großen, schlanken Mann lächelnd entgegen.

»Mr. Browninger? Welcome to St. Johann«, begrüßte der Hotelier den Gast.

Der Amerikaner erwiderte das Lächeln.

»Danke sehr. Aber Sie können Deutsch mit mir sprechen«, erwiderte er mit einem leichten Akzent.

»Hatten Sie einen guten Flug?« erkundigte sich Sepp, während er nach dem Schlüssel für die Edelweißsuite griff.

»O ja, wenn auch ein wenig lang. Dafür hat mich aber die Fahrt mit dem Auto hierher entschädigt. Eine wunderschöne Gegend, Ihre bayerische Heimat.«

Der Besitzer des Hotels ›Zum Löwen‹ drückte auf die Klingel, die auf der Rezeption stand. Sekunden später erschien der Hausbursche.

»Das Gepäck von Herrn Browninger«, wies der Chef den Angestellten an.

Der Gast übergab die Autoschlüssel dem Burschen und folgte dem Hotelier die Treppe hinauf.

»Sehr schön«, nickte er, nachdem Sepp die Suite aufgeschlossen und ihn hatte eintreten lassen.

Tony Browninger schaute sich um. Genauso hatte er sich das Hotel vorgestellt. Schon von außen hatte es so ausgesehen, wie er die typischen Häuser dieser Region aus dem Fernsehen kannte.

»Wenn Sie einen Wunsch haben«, sagte Sepp. »Die Rezeption ist bis Mitternacht besetzt.«

Der Gast nickte.

»Ich glaube, jetzt möchte ich mich erst mal ein wenig von der Reise ausruhen«, antwortete er. »Und heute abend im Restaurant essen. Wenn Sie mir bitte einen Tisch reservieren würden.«

»Aber freilich«, nickte der Wirt dienstbeflissen. »Um wieviel Uhr?«

Der Amerikaner nannte eine Zeit und drückte dem Hausburschen, der gerade mit dem Koffer und der Reisetasche hereingekommen war, ein Trinkgeld in die Hand.

Als er allein war, trat Tony

Browninger an das Fenster und öffnete es. Tief sog er die frische Bergluft ein, die hereinströmte, und ließ seinen Blick zu den Gipfeln hinüberwandern.

›Himmelsspitz‹ und ›Wintermaid‹, wußte er ihre Namen aus den Reiseunterlagen, die er sich vor seinem Abflug aus Chicago zusammengestellt hatte. Der andere Berg, den er auf der Fahrt gesehen hatte, mußte der Kogler sein, dessen andere Seite schon zu Österreich gehörte.

Er schloß das Fenster wieder und zog die Gardine vor.

Zu der geräumigen Suite gehörten ein Schlaf- und ein Wohnraum sowie ein großes Badezimmer mit Dusche und Wanne. Sogar einen Whirlpool gab es. Das Hotel schien, was den Komfort betraf, auf dem modernsten Stand zu sein.

Tony erfrischte sich und legte sich dann auf das Bett. Nur ein wenig wollte er die Augen schließen, einen Moment nachdenken, die vielen Eindrücke verarbeiten und überlegen, wie er seine Mission, die ihn über Tausende von Kilometern hierhergeführt hatte, vorantreiben konnte.

Doch dann forderte sein strapazierter Körper seinen Tribut, und der Schlaf übermannte ihn. Als Tony später wieder erwachte, hatte er doch länger geschlafen, als er es beabsichtigt hatte. Draußen wurde es schon dämmrig, und sein Magen gab ihm deutlich zu verstehen, daß es schon Stunden her war, daß er etwas gegessen hatte.

Das letzte war das Frühstück auf dem Nachtflug von Amerika nach Deutschland. In Frankfurt hatte er noch einmal umsteigen müssen. Dabei war die Zeit so knapp gewesen, weil der Flieger aus den Staaten verspätet angekommen war und er seinen Anschluß nicht verpassen wollte. Auf dem kurzen Inlandsflug hatte er nur einen Kaffee getrunken, doch jetzt wurde es Zeit, daß er etwas Richtiges zu sich nahm.

Rasch ging er unter die Dusche und ließ das Wasser abwechselnd heiß und kalt über seinen Körper laufen. Das regte den Blutkreislauf an und weckte die Lebensgeister.

Für die Abendgarderobe wählte er eine leichte, graue Hose zu einem weißen Hemd. Schwarze Slipper und ein dunkelblaues Jackett vervollständigten seinen Anzug. Auf eine Krawatte verzichtete er. Tony Browninger trug nur selten eine, und wenn es wirklich sein mußte, dann sah er zu, daß er sie möglichst bald wieder los wurde.

Bevor er die Suite verließ, hörte er noch die Mailbox seines Handys ab. Bisher war er nicht dazu gekommen. Während des Fluges hatte er das Mobiltelefon ausgeschaltet, und in Deutschland angekommen, war noch keine Zeit dafür gewesen.

Außer ein paar Nachrichten von Freunden, die wissen wollten, wo er steckte, war nichts Wichtiges darauf. Die Fragen zu beantworten hatte jedoch Zeit. Tony freute sich jetzt schon auf die Gesichter, die Barbara und Harold machen würden, wenn er ihnen erzählte, daß er in ›good old germany‹ war.

Von der Hotelhalle führte eine Tür zum Restaurant. Dort wurde der Gast von einer Haustochter begrüßt und an den reservierten Tisch geleitet. Das Restaurant war gut besucht, und der Amerikaner schloß daraus, daß das Essen besser sein müßte, als in einer einfachen Wirtschaft.

Davon konnte er sich bald darauf überzeugen. Eine gebratene Mandelforelle mit Butterkartoffeln und Salat schmeckte vorzüglich. Dazu ein spritziger Weißwein, obwohl Tony ansonsten einen Roten vorzog.

Die aufmerksame Bedienung schien auf der Hotelfachschule gut aufgepaßt zu haben. Ohne danach gefragt worden zu sein, stellte sie einen Krug mit Eiswasser auf den Tisch. Sie wußte, daß das in Amerika zum Essen dazugehörte.

Tony ließ sich Zeit, genoß den frischen Fisch und schaute sich dabei um. Die Mehrzahl der Gäste schien Touristen zu sein, aber auch Einheimische kamen zum Essen herein, wie er unschwer an der leutseligen Begrüßung durch den Wirt feststellen konnte.

Sepp Reisinger war zwischendurch an seinen Tisch gekommen und hatte sich erkundigt, ob Tony zufrieden sei. Der Gast konnte das nur bestätigen und richtete ein Kompliment an den Küchenchef aus.

»Das wird meine Frau freuen«, sagte der Hotelier. »Hier kocht nämlich die Chefin.«

»Und das ganz vorzüglich«, setzte Tony hinzu.

Auf einen Nachtisch verzichtete er, aber dafür trank er zwei Tassen Kaffee und blätterte dabei in den ausliegenden Zeitungen. Besonders die regionalen Blätter interessierten ihn, aber die Namen, nach denen er suchte, kamen nicht darin vor.

Na ja, ich bin ja gerade erst angekommen, dachte er und winkte nach der Bedienung, ich werde es langsam angehen lassen.

Er ließ sich die Rechnung auf das Zimmer schreiben und gab ein Trinkgeld. Dann verabschiedete er sich durch ein Kopfnicken von Sepp Reisinger und ging in die Suite hinauf.

Tony Browninger war immer noch nicht ausgeschlafen, was bei der Zeitverschiebung von beinahe zehn Stunden auch kein Wunder war. Und das mußte erst einmal nachgeholt werden.

*

»Ja, Franzi, grüß dich«, sagte Sebastian Trenker zu der jungen Frau, die ihren Kopf durch die Tür der Sakristei gesteckt hatte. »Bist’ mal wieder nach Haus’ gekommen.«

Franziska Obermoser lächelte.

»Wo sonst könnt’ ich meine Ferien verbringen als daheim, Hochwürden?« fragte sie. »So ganz ohne die Berge geht’s eben doch net.«

Der Bergpfarrer reichte ihr die Hand.

»Schön, daß du gleich vorbeischaust. Wie geht’s denn so in Frankfurt?«

Franzi lebte seit zwei Jahren in der hessischen Metropole. Geboren und aufgewachsen war sie in St. Johann. Ihr Vater war Rechtsanwalt und führte die Kanzlei nach dem Tode seines Vaters alleine weiter. Die Tochter hatte mit der Juristerei indes wenig am Hut und mochte der Familientradition nicht folgen. Schon das Studium war ihrer Meinung nach zu trocken, mit all den Paragraphen und Gesetzen. Franzi zog es vor, eine Ausbildung zur Computerfachfrau zu machen. Schon immer hatte sie sich dafür interessiert, und inzwischen war die Vierundzwanzigjährige Teilhaberin einer Firma, die Softwareprogramme entwickelte und damit führend auf dem europäischen Markt war.

»Gut«, antwortete sie auf die Frage des Geistlichen. »In der Firma könnt’s wirklich net besser steh’n.«

»Das freut mich zu hören«, sagte Sebastian. »Wie lang’ wirst’ denn bleiben?«

»Drei Wochen hab’ ich mir freigenommen«, erklärte die junge Frau.

»Prima, da kannst’ ja mal wieder mit aufsteigen.«

Franzi lachte über das ganze Gesicht.

»Deswegen bin ich hergekommen«, erwiderte sie.

Der gute Hirte von St. Johann war gerade damit beschäftigt gewesen, den Bestand der Kerzen zu überprüfen, als Franzi Obermoser hereinschneite. Eigentlich war das die Aufgabe des Mesners, aber Alois Kammeier lag mit einem Bandscheibenvorfall im Bett.

»Ach, der Ärmste«, bedauerte Franzi den Kranken. »Hoffentlich wird er bald wieder gesund.«

»Na ja, von mir aus soll er sich richtig auskurieren«, meinte Sebastian. »Dumm ist nur, daß es mir einfach net gelingen will, einen Ersatz zu finden. Die Frau Klinger, die hin und wieder einspringt, ist allein überfordert, auch wenn die Frau Tappert kräftig mithilft.«

Elisabeth Klinger gehörte nicht nur dem Kirchenvorstand an, sie war auch sonst eine der Frauen, die sich immer sehr stark in der Gemeinde engagierten. Aber mit den vielfältigen Arbeiten, die ein Mesner zu versehen hatte, kam sie natürlich nicht zurecht. Allein die hausmeisterlichen Aufgaben erforderten viel handwerkliches Geschick.

»Aber da kann ich doch aushelfen«, bot Franzi spontan an.

Sebastian freute sich über das Angebot, allerdings kamen ihm Zweifel, ob er es wirklich annehmen sollte.

»Das ist lieb von dir«, sagte er. »Aber schließlich bist du hier, um Ferien zu machen. Bestimmt hast du den Urlaub auch nötig.«

»Ach wo.« Sie schüttelte den Kopf. »Es stimmt schon, daß es manchmal ganz schön anstrengend ist, aber es wird schon geh’n. Außerdem müßt’ ich ja net jeden Tag herkommen. Ich sprech’ mich mit der Frau Klinger immer ab, welche Arbeiten sie machen möchte, den Rest übernehm’ ich dann selbst.«

»Also, dann bedank’ ich mich schon mal«, sagte der Geistliche. »Und für die Bergtour finden wir bestimmt einen Termin.«

Er geleitete Franzi zur Tür.

»Wie geht’s eigentlich dem jungen Mann, den du das letzte Mal mitgebracht hast? Robert war, glaub’ ich, sein Name.«

Das Mienenspiel der jungen Frau sprach Bände.

»Robert Wichmann, ja, Hochwürden«, sagte Franzi Obermoser. »So heißt er. Wie’s ihm geht? Das letzte Mal, als ich ihn geseh’n hab’, da hing eine Blondine an seinem Arm…«

»Oh«, entfuhr es Sebastian, »da hätt’ ich wohl besser net gefragt…«

»Schon gut«, winkte sie ab. »Inzwischen bin ich darüber hinweg.«

Sie reichte ihm die Hand.

»Also, dann werd’ ich gleich mal die Frau Klinger besuchen und mit ihr beratschlagen, wie wir die Arbeit aufteilen. Grüßen S’ den Herrn Kammeier schön, wenn S’ ihn besuchen. Gute Besserung.«

»Danke, Franzi, ich richt’s ihm aus.«

Er schaute ihr hinterher.

Schade, dachte Sebastian, daß solche Frauen immer an den Falschen gerieten. Aber bestimmt würde Franzi eines Tages schon noch der richtige Mann über den Weg laufen.

*

Tony Browninger gähnte und reckte sich. Dann warf er die Bettdecke zurück und sprang auf.

Herrlich hatte er geschlafen, und das acht Stunden am Stück. Nicht ein einziges Mal war er aufgewacht, statt dessen hatte er einen wunderbaren Traum gehabt, in dem eine bestimmte Frau eine große Rolle spielte.

Allerdings, jetzt im Schein der Morgensonne betrachtet, die durch den Vorhang in die Suite lugte, sah die Angelegenheit schon wieder anders aus. Julie Summers und Tony hatten eine sehr lange und intensive Beziehung gehabt, die doch immer wieder an dem extravaganten Lebensstil der jungen Dame zu scheitern drohte. Julie kam aus einem reichen Elternhaus, ihr Vater war Besitzer des größten Schlachthofes von Chicago und verwöhnte seine einzige Tochter nicht nur mit einem eigenen Auto. Julie besaß, neben einem prallgefüllten Bankkonto, auch ein Haus in bester Lage der Stadt, ein weiteres malerisch am Michigansee gelegen –?natürlich gehörte ein PS-starkes Motorboot dazu – und ein Privatflugzeug, das jedoch die meiste Zeit im Hangar stand. Zwar wurde es immer startbereit gehalten, und der Pilot war jederzeit abrufbereit, falls es Julie Summers in den Sinn kam, einen Abstecher nach New York, San Francisco oder sonstwohin zu machen, aber wirklich gebraucht wurde es eigentlich nicht.

Nicht, daß Tony Browninger etwas gegen Geld gehabt hätte. Er stammte selbst aus einer begüterten Familie. Aber er fand es einfach unmoralisch, wie Julie mit ihrem Vermögen umging. Eine Million mal eben zu verprassen war gewiß leicht, wenn man solche Wünsche hatte, wie Julie sie sich erfüllte. Doch wieviel Gutes konnte man mit soviel Geld tun!

In Tonys Familie war es einfach selbstverständlich, daß man das, was man sich erarbeitet hatte, dafür gebrauchte, sich das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Aber genauso selbstverständlich war es, andere, die es weniger gut getroffen hatten, daran teilhaben zu lassen. Schon der Großvater hatte nach dieser Maxime gehandelt und sie an den Sohn und Enkel weitergegeben. Jährlich wurden namhafte Beträge für wohltätige Zwecke gespendet, eine Armenküche unterhalten und zu Weihnachten machte sich Tony Browninger einen Spaß daraus, als Santa Claus verkleidet Waisenkinder zu besuchen und die Kinder mit Geschenken zu überraschen.

In der Familie Summers hatte er solch ein soziales Engagement nie bemerkt, und immer häufiger war es darüber mit Julie zum Streit gekommen. Das letzte Mal war es so schlimm gewesen, daß sie sich getrennt hatten.

Der junge Amerikaner seufzte.

Über dieses Problem konnte er nachdenken, wenn er wieder zu Hause war. Jetzt befand er sich in Deutschland und hatte eine andere Aufgabe zu erledigen.

Doch vor allem hatte er erst einmal Hunger!

Rasch kleidete er sich an und ging zum Frühstück hinunter, das in einem nett eingerichteten Raum serviert wurde. Hatte der Gast eines der üblichen Frühstücksbüffets erwartet, so sah er sich im Löwen getäuscht. Eine junge Bedienung brachte ihm eine Karte, aus der er auswählen konnte. Es freute ihn zu lesen, daß es auch Spezialitäten aus seiner Heimat gab, gebackene Eier mit Speck und Tomaten etwa, oder ein kleines Frühstücksgericht, aus Truthahnbrust, mit Mais und geschmorter Banane.

Tony entschied sich indes für ein deutsches Frühstück, wie es auch oft zu Hause gegessen wurde, mit Kaffee, Semmeln, Butter und Konfitüre. Dazu etwas Aufschnitt und Käse, und ein gekochtes Ei.

Besonders auf den Käse war er gespannt. Großvater hatte immer von dem Bergkäse aus der Heimat geschwärmt, den zu essen ihm jedoch nie wieder vergönnt gewesen war. Jetzt saß der Enkel in einem deutschen Hotel am Tisch und probierte eine Scheibe von diesem immer wieder beschworenen Genuß, und Tony mußte zugeben, daß Großvater nicht übertrieben hatte. Auch daheim gab es schmackhafte Käsesorten, doch solch einen wie diesen hatte er noch nie gegessen!

»Sagen Sie«, wandte er sich an die Haustochter. »Dieser Käse, woher beziehen Sie den? Der schmeckt ja ganz ausgezeichnet.«

Liesl Berghammer lächelte, der Frühstücksgast war ihr gleich aufgefallen, als er hereingekommen war. Außerdem hatte schon die Kollegin, die gestern abend im Restaurant bedient hatte, von dem jungen Amerikaner geschwärmt.

Liesl mußte ihr recht geben – Mr. Browninger sah einfach unverschämt gut aus!

Schlank von der Gestalt her, die dunklen Haare zurückgekämmt, das markante Gesicht, mit den freundlichen Augen leicht gebräunt. Dazu der dezente Duft seines Rasierwassers – alles in allem, ein Mann von Welt.

»Den bekommen wir direkt von der Sennerei«, erklärte Liesl eifrig.

Tony wußte, was eine Sennerei ist. Großvater hatte oft davon erzählt.

»Ach, da machen sie den Käse von der Milch, die sie zuvor gemolken haben.«

»Richtig«, nickte das Madel.

»Das interessiert mich«, sagte der Amerikaner. »Ob man da wohl zuschauen könnte, wie das gemacht wird?«

»Freilich. Bestimmt sogar. Allerdings…«

Die Bedienung schaute skeptisch.

»Ja?«

»Also, es ist schon eine ziemliche Tour zu den Almhütten hinauf. Die Kanderer, zum Beispiel, von der dieser Käse kommt, liegt auf gut zweitausend Metern Höhe. Da müßten S’ schon recht früh aufbrechen, wenn S’ da hinauf wollen.«

»Na ja, ich bin ja noch ein Weilchen da«, meinte Tony. »Vielleicht überlege ich es mir mal.«

Er bedankte sich für die freundliche Auskunft und frühstückte in Ruhe zu Ende. Dann las er in einer Zeitung, die das heutige Datum hatte, und trank dabei seinen Kaffee. Schließlich stand er auf, ging in die Suite hinauf und überlegte sein weiteres Vorgehen.

Niemand außer seinem Vater wußte, wo er sich aufhielt. Und schon gar nicht kannte irgend jemand den Grund seines Aufenthalts in St. Johann.

Nun, drüben in den Staaten war es egal, ob jemand davon erfuhr. Es würde kaum einen interessieren. Aber hier in diesem kleinen Dorf in den bayerischen Alpen gab es gewiß ein paar Leute, denen ganz anders werden würde, wenn sie erfuhren, wer Tony Browninger war und warum er sich hier aufhielt…

*

Franzi trank ihren Kaffee aus.

»So, Frau Klinger, jetzt muß ich aber los«, sagte sie und schob sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn. »Wir haben ja soweit alles besprochen. Ich werd’ mich am Samstagabend um den Altarschmuck kümmern.«

»Ist gut, Kind«, nickte Elisabeth Klinger. »Und vorher treffen wir uns dann mit der Frau Tappert, um sauberzumachen.«

Sie brachte die Besucherin an die Tür.

»Ich find’s toll von dir, daß du dich bereit erklärt hast, mir zu helfen. Allein ist’s schon ein bissel viel. Auch wenn ich ehrlicherweise zugeben muß, daß die meiste Arbeit sowieso an der Sophie hängenbleibt. Aber ich tu’ mein Möglichstes.«

»Ich weiß«, antwortete Franzi. »Und Hochwürden weiß es erst recht. Mir macht’s ohnehin Freude, wenn ich da ein bissel was tun kann. Schließlich geht’s ja um uns’re Kirche.«

»Ach, Kind«, freute sich die ältere Frau, »wie schön, daß dir der Sinn für die Heimat in der Fremde net abhanden gekommen ist.«

Die junge Frau lächelte.

»Also, dann bis morgen«, verabschiedete sie sich und ging durch die Gartenpforte.

Franzi schaute auf die Uhr. Jetzt mußte ihre Mutter wohl fertig sein beim Friseur. Am Morgen hatten sie ausgemacht, in die Kreisstadt zu fahren und einen Bummel zu machen. Es war lange her, daß Mutter und Tochter so etwas unternommen hatten. Zuletzt vor einem halben Jahr, als Birgit Obermoser Franzi in deren neuer Heimat besucht hatte.

Die hübsche junge Frau trug ein Dirndl. Immer wenn sie die Eltern besuchte, kleidete sich Franzi so, wie sie es früher immer getan hatte, als sie noch zu Hause wohnte. Die blonden Haare fielen locker auf die Schultern, das feine Gesicht brauchte keine Schminke, und als einzigen Schmuck trug sie ein goldenes Kettchen, mit einem Medaillon daran.

Wenn man es öffnete, sah man eine winzige Fotografie der Trägerin. Auf der Deckelseite hatte es bis vor kurzem noch die eines jungen Mannes gegeben. Allerdings hatte Franzi sie vor ein paar Wochen wieder entfernt…

Der Gedanke an Robert Wichmann erinnerte sie auch an den Tanzabend im Löwen. Es war das letzte Mal gewesen, daß sie zusammen ausgegangen waren. Danach hatte es nur noch Lug und Betrug in ihrer Beziehung gegeben.

Franzi wußte nicht, ob sie die Segnungen der modernen Kommunikationstechnik wirklich als solche ansehen oder verfluchen sollte. Deutlich hörte sie noch die säuselnde Stimme der Frau, die auf die Mailbox des Handys gesprochen hatte, das eigentlich ihr, Franzi, gehörte. Indes war die Botschaft nicht an sie gerichtet und ein Irrtum ausgeschlossen, denn ›Robby‹, wie sie ihn liebevoll genannt hatte, gab zu, die Nummer der Handys dummerweise vertauscht zu haben, so daß die Anruferin eben auf jenem Gerät landete, das nicht das seine war.

Franzi war so in Gedanken versunken, daß sie gar nicht bemerkte, wie ein Mann aus der Hoteltür trat und sie musterte. Erst, als er sie ansprach, wurde sie aufmerksam.

»Entschuldigen Sie«, sagte der Amerikaner zu ihr und deutete auf ihr Trachtenkleid. »Sie sehen ganz so aus, als ob Sie aus der Gegend stammen.«

»Das ist richtig«, schmunzelte sie. »Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?«

»Ich hoffe. Wissen Sie, ich möchte zu einem Bauernhof fahren, der einer Familie Brauninger gehört. Können Sie mir zufällig sagen, wie ich dahinkomme.«

»Zum Brauningerhof möchten S’?« sagte Franzi überrascht. »Das ist gar net so schwer.«

Während sie ihm den Weg beschrieb, sah sie den Mann verstohlen an. Amerikaner, vermutete sie, sein Akzent verriet ihn.

»Ach, das ist sehr freundlich von Ihnen. Vielen Dank.«

Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und ging zum Parkplatz des Hotels. Franzi konnte den Blick nicht von ihm lassen.

Wer war dieser gutaussehende Mann? Und was wollte er auf dem Brauningerhof?

Am liebsten wäre sie hinterhergelaufen und hätte ihn gefragt. Aber das ging natürlich nicht. Außerdem wartete bestimmt schon ihre Mutter auf sie.

Aber wenn sie aus der Stadt zurück waren, würde sie Kathie anrufen, die Tochter des Brauningerbauern. Die Freundin konnte ihr bestimmt sagen, was der fremde Mann gewollt hatte.

Aufgeregt ging sie zu dem kleinen Einkaufszentrum, in dem sich neben Kaufmann, Bäckerei und anderen kleinen Geschäften auch ein Friseursalon befand. Die Glocke über der Ladentür schellte, als Franzi eintrat. Sie begrüßte Hilde Hoffmann, die Besitzerin, und Andrea Reichert, die junge Friseurin, die Franzis Mutter gerade aus dem Stuhl half und deren Kragen mit einer Bürste säuberte.

»Grüß dich, auch mal wieder im Lande?« Andrea winkte ihr zu.

Die junge dunkelhaarige Frau gehörte zu der ›Dreierbande‹, wie sich Franzi und ihre beiden Freundinnen genannt hatten, damals.

Himmel, wie lang’ war das schon her!

»Na du«, begrüßten sie sich und umarmten einander.

Andrea lächelte.

»Wie schaut’s aus? Morgen abend, im Löwen?«

»Freilich«, erwiderte Franzi. »Glaubt’s etwa, das würd’ ich mir entgeh’n lassen?«

»Ich hab’ schon gehört, daß du wieder solo bist…«

Die Urlauberin zuckte die Schultern.

»Was soll’s«, meinte sie leichthin. »So sind’s eben, die Männer. Und du?«

Andrea verdrehte die Augen.

»Frag’ bloß net.«

»Also, wie immer«, lachte Franzi.

Ihre Mutter hatte bezahlt.

»Du, ich muß jetzt«, sagte Franzi zu der Freundin. »Aber wir telefonieren noch, wegen morgen abend. Und die Kathie muß unbedingt auch dabeisein.«

Birgit Obermoser lächelte, als sie den Friseursalon verließen.

»Na, da sind ja die drei Richtigen wieder zusammen«, frotzelte sie. »Die armen Burschen tun mir jetzt schon leid!«

*

Den Weg zu dem Berghof, den er besuchen wollte, hätte Tony Browninger auch ohne die Auskunft gefunden. Der Leihwagen, der in München am Flughafen auf ihn gewartet hatte, verfügte über ein modernes Navigationssystem, das den Fahrer sicher an jedes eingegebene Ziel brachte. Allerdings war der Amerikaner von dem Anblick der jungen Frau so fasziniert gewesen, daß er sie einfach unter irgendeinem Vorwand ansprechen mußte.

Auf der Fahrt zum Brauningerhof ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf, und angekommen dachte Tony, daß, sollte seine Mission scheitern, sein Herkommen vielleicht doch zu etwas gut gewesen war –, wenn es ihm gelang, die Bekanntschaft mit der Frau zu vertiefen. Der Hotelbesitzer hatte erzählt, daß morgen abend ein Tanzvergnügen stattfand, und Tony konnte sich vorstellen, die unbekannte Schöne dort wiederzusehen.

Der Braunigerhof lag gut zehn Kilometer außerhalb des Dorfes. Der Mann aus Übersee fuhr über eine kurvige Bergstraße. Die Landschaft ringsherum gefiel ihm, er fühlte sich irgendwie heimisch.

Die Stimme des Blutes?

Vielleicht, überlegte Tony, immerhin war er der Nachkomme eines deutschen Einwanderers. Und Blut ist nun mal dicker als Wasser.

Während der Fahrt überlegte er, was er anfangen würde, wenn er den Hof seiner Vorfahren erreicht hatte.

Sich dem jetzigen Besitzer vorstellen?

»Hallo, ich bin Tony Browninger, aus Amerika, und mit euch verwandt.«

Er schmunzelte, als er sich die verblüfften Gesichter vorstellte, die die Leute hier machen würden. Nein, das ging wohl nicht. Überhaupt mußte er erst einmal feststellen, ob der Hof noch im Besitz der Familie war, derentwegen er die weite Reise auf sich genommen hatte.

Vielleicht war es das Beste, zunächst nichts über sich zu verraten und sich nur als interessierten Touristen auszugeben.

Der Hof lag wie an den Berg geschmiegt. Tony erkannte ihn sofort wieder. Hunderte Male hatten er und sein Großvater das Album durchgeblättert, in dem die Fotos die Schiffsreise von Bremerhaven nach New York mitgemacht hatten.

Und genauso oft hatte er den düsteren und zugleich sehnsuchtsvollen Blick in den Augen des alten Mannes gesehen. Thomas Browninger sehnte sich nach der Heimat, und doch sollte er sie nie wiedersehen. Auf dem Sterbebett mußte sein Enkel ihm versprechen, eines Tages nach Deutschland zu reisen und dafür zu sorgen, daß man das Unrecht, das ihm angetan wurde, wiedergutmachte.

Tony hielt den Wagen an der Straße an und stieg aus. Sein Blick schweifte über das Anwesen. Zweihundert Jahre war der Hof alt. Wie oft hatte sein Großvater von ihm erzählt. Wie es im Haus aussah, wo Stall und Scheune waren, der Anbau, in dem Thomas und sein Bruder immer gespielt hatten, der Garten mit dem Hühnerhof. Tony war davon überzeugt, er könne sich überall im Schlaf zurechtfinden, so genau hatte ihm der alte Mann alles geschildert.

Nachdem Thomas Browninger beerdigt worden war, fragte sich Tony oft, warum sein Großvater ausgerechnet ihn auserkoren hatte, den Racheengel zu spielen. Sein Vater, Thomas Browninger jr., konnte ihm auf diese Frage keine Antwort geben.

»Mir gegenüber hat Grandpa nie über die alten Geschichten geredet«, sagte er.

Und es klang beinahe wie eine Entschuldigung.

Vielleicht, überlegte Tony, wollte Großvater erst noch ein paar Jahre ins Land gehen lassen, bevor das alles dann aufgedeckt werden sollte.

Der junge Amerikaner war ein paar Schritte gegangen, als ein Hund laut bellend vom Hof gelaufen kam und auf ihn zuhielt. Das Tier setzte sich zwei Schritte vor dem Mann hin und schaute ihn aus braunen Augen an. Tony war stehengeblieben. Er bückte sich.

»Hey, du bist doch bestimmt ein ganz Braver«, spach er beruhigend auf den Mischling ein.

Der Hund wedelte mit dem Schwanz und kam näher. Tony strich ihm über den Kopf, was dem Tier zu gefallen schien. Es rieb seine Schnauze an der Hand des Menschen und gab einen zufriedenen Knurrlaut von sich.

Plötzlich ertönte ein scharfer Pfiff, und der Hund schoß auf den Hof zurück.

Der Besucher hatte sich wieder aufgerichtet. Als er weiterging, sah er eine junge Frau.

»Grüß Gott«, nickte sie ihm zu. »Hat der Hasso Sie belästigt?«

»Du liebe Güte, nein«, versicherte er. »Er war ganz lieb.«

Die Frau, sie mochte wohl ein, zwei Jahre jünger sein als er, hielt einen Korb mit Gemüsen in der Hand. Offenbar hatte sie gerade im Garten geerntet und dort das Bellen des Hundes gehört.

»Eigentlich tut er auch niemandem etwas«, sagte sie. »Dabei sollte er auf den Hof aufpassen, aber er spielt viel lieber.«

Der Amerikaner lächelte.

»Na ja, in dieser friedlichen Gegend ist ein Wachhund doch wohl nicht notwendig.«

»Sagen S’ das net. Es kommen ja auch viele Fremde her.«

Ihr Blick wurde fragend.

»Und was führt Sie hierher, Herr…?« wollte sie wissen.

»Sagen Sie einfach Tony«, antwortete er schnell.

Seinen Nachnamen zu nennen, erschien ihm noch zu früh. Wie leicht hätte sie ihre Schlüsse ziehen können, wenn ihr die Namensgleichheit auffiel.

»Ich bin Kathie«, sagte sie und streckte ihm die Hand hin. »Eigentlich Katharina, aber bei uns ist’s so üblich, daß es abgekürzt wird. Woher kommen Sie, Tony?«

»Aus Amerika«, erklärte er.

»Ach, dann sind S’ ein Tourist«, nickte sie. »Ich hab’s mir gleich gedacht. Sie sprechen zwar sehr gut deutsch, aber Ihre Stimme verrät Sie doch.«

Sie lachten beide.

»Sind S’ vielleicht auf der Suche nach einem Zimmer?« erkundigte sich die Bauerstochter. »Sie müssen wissen, wir vermieten nämlich auch.«

»Tatsächlich?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein. Ich wohne unten, im Dorf. Aber vielen Dank, für das Angebot. Wenn ich es vorher gewußt hätte, dann…«

Dann hätte er ganz bestimmt hier ein Zimmer gemietet!

Kathie Brauninger bezog indes seine vielsagende Antwort auf sich. Und sie mußte zugeben, daß dieser Tony einer von der Sorte Männer war, die einem net jeden Tag über den Weg liefen. Umwerfend gut schaute er aus, Manieren hatte er offenbar auch, und wenn sie sich seine Kleidung ansah, dann gehörte er nicht gerade zu den Zeitgenossen, die wenig Wert auf ihr äußeres Aussehen legten. Die legere Hose, das dunkelblaue Polohemd, die braunen Ledermokassins – das alles saß wie angegossen an ihm, und außerdem umgab ihn das außergewöhnliche Flair des weitgereisten Mannes, der sich überall auf der Welt zurechtfand. Er hatte eine angenehme Stimme und wußte sich auszudrücken.

Also genau der richtige Mann, um sich zu verlieben!

»Ja, schade«, sagte Kathie. »Aber vielleicht möchten S’ sich mal ein Zimmer anschau’n? Falls Sie wieder mal im Wachnertal Urlaub machen.«

»Sehr gerne«, antwortete er und überlegte, in was für einem Verwandtschaftsverhältnis er mit dieser hübschen jungen Dame eigentlich stand.

Daß sie eine Brauninger war, schien festzustehen. Das Schild an der Einfahrt des Hofes trug jedenfalls diesen Namen.

Tony ging davon aus, daß es die Enkelin des Anton Brauninger, Großvaters Bruder, war. Also seine Cousine.

Während sie ins Haus gingen, beobachtete er sie, um festzustellen, ob es gewisse Ähnlichkeiten mit seinem Großvater gab. Oft vererbte sich so etwas ja über Generationen. Er selber hatte mit Thomas Browninger Senior überhaupt nichts gemein, sondern glich im Aussehen seiner Mutter.

*

Im Bauernhaus hörte er jemanden in der Küche rumoren.

»Uns’re Magd«, erklärte Kathie. »Die Edda ist schon seit über zwanzig Jahren bei uns.«

Sie öffnete die Küchentür und rief hinein: »Ich bin’s nur, mit einem Besucher. Ich zeig’ ihm ein paar Zimmer. Bist’ so lieb und kochst Kaffee?«

Tony hörte einen zustimmenden Laut, dann deutete Kathie die Treppe hinauf.

»Wir haben oben drei Kammern als Fremdenzimmer hergerichtet«, erzählte sie. »Uns’re Familie bewohnt die unteren Räume.«

»Lohnt sich das denn überhaupt, Zimmer zu vermieten?«

»Jetzt in der Saison durchaus«, nickte sie. »Wir sind immer gut belegt, und das bissel Mehrarbeit macht sich schon bezahlt.«

Tony schaute sich in der Diele um. Sie schien immer noch so auszusehen wie an dem Tag, an dem sein Großvater sein Elternhaus verlassen hatte. Der Amerikaner erkannte die Möbel, die alte Standuhr, nach den oft gehörten Beschreibungen.

Er ging hinter Kathie Brauninger die Treppe hinauf. Auf dem Flur hingen Bilder an den Wänden, die alpenländische Motive zeigten. Berge mit schneebedeckten Gipfeln, Almwiesen mit grasenden Kühen, Bauern bei der Arbeit auf dem Feld. Die Wände waren hell gestrichen, an den Fenstern gab es keine Gardinen, sondern nur Vorhänge, die das Sonnenlicht hereinließen. Alles war hell und freundlich.

Die junge Frau öffnete eine Tür und ließ ihn eintreten. Das Zimmer war nicht sehr groß, verfügte aber doch über genügend Platz für einen Urlauber, der preiswert übernachten wollte und keine großen Ansprüche stellte. Das große Bett sah einladend und gemütlich aus.

»Ja, das war mal früher mein Zimmer«, erklärte die Bauerstochter. »Jetzt wohn’ ich, wie gesagt, unten.«

»Haben Sie im Moment keine Gäste?« erkundigte sich Tony.

»Heut’ kommen zwei an«, sagte Kathie. »Die bleiben für zwei Wochen. Das ist natürlich angenehmer als Leute, die nur für ein, zwei Nächte mieten. Aber natürlich sagen wir da net ab, wenn’s grad’ paßt.«

Der Amerikaner nickte verstehend.

»Wirklich sehr schön.«

Sie ließ ihn auch noch einen Blick in die beiden anderen Zimmer werfen und bot ihm dann Kaffee an.

»Sehr gerne, Kathie. Vielen Dank.«

Edda hatte in der Diele gedeckt. Kaffeekanne, zwei Tassen, Milch und Zucker standen bereit. Dazu ein Teller mit Kuchen.

»Den müssen S’ probieren«, sagte seine Gastgeberin. »Ich hab’ ihn selbst gebacken.«

Tony schmunzelte. Es handelte sich um einen Marmorkuchen, und von genau dem hatte sein Großvater immer geschwärmt.

Leider waren die Versuche, diesen Kuchen in der neuen Heimat nachzubacken, stets fehlgeschlagen. Wahrscheinlich lag es an dem Rezept. Später, erinnerte sich der Besucher, war es seinem Vater gelungen, einen deutschen Bäcker ausfindig zu machen, der sich in der Nähe von Chicago angesiedelt hatte. Seit diesem Tag gab es im Hause der Familie Browninger Brot und Gebäck, das nach der Heimat des Auswanderers schmeckte.

»Sehr lecker«, lobte Tony, nachdem er abgebissen hatte. »Genau die richtige Mischung aus hellem und dunklem Teig.«

Kathie freute sich offensichtlich darüber, daß es ihm schmeckte. Sie strahlte ihn an, und auf ihrem Gesicht zeichneten sich hektische rote Flecken ab.

»Ihre Eltern arbeiten wohl auf dem Feld?« fragte er.

»Vater und ein Knecht«, nickte sie. »Mutter ist vor zwei Jahren gestorben.«

»Oh, das tut mir leid. War sie krank?«

Kathie zuckte die Schultern.

»Na ja, so richtig gesund ist sie eigentlich nie gewesen. Ich kann mich jedenfalls net erinnern, daß sie mal net eine Krankheit auskuriert hätt’. Sie starb, kurz nachdem mein Großvater von uns gegangen ist.«

Tony trank nachdenklich einen Schluck Kaffee.

Schade, dachte er, den hätte ich gerne einmal kennengelernt, und meinen Onkel auch.

Was war er wohl für ein Mensch? Wußte er, daß er zu unrecht Herr auf dem Hof war, der eigentlich dem Bruder seines Vaters zugestanden hätte?

Aber der junge Amerikaner wollte den ersten Kontakt mit dieser Familie nicht über Gebühr ausdehnen. Es war gewiß nicht das letzte Mal, daß er hiersein würde. Dann allerdings war es fraglich, ob er wieder mit so offenen Armen empfangen wurde wie jetzt.

Immerhin hatte er ein paar Informationen erhalten. Jetzt mußte er darüber nachdenken, was er damit anfangen wollte. Außerdem gab es noch einen Namen. Den des Mannes, der damals in die Machenschaften verstrickt war. Auch darum würde er sich noch kümmern müssen. Aber das alles hatte noch Zeit. Großvater hatte sein ganzes Leben auf die Stunde der Vergeltung gewartet. Nun kam es auf ein paar Tage mehr oder weniger auch nicht an.

Tony Browninger erhob sich.

»Vielen Dank für den Kaffee und den Kuchen«, sagte er. »Es war sehr nett bei Ihnen.«

Kathie brachte ihn zur Tür.

»Wie lang’ bleiben S’ denn, bevor Sie wieder nach Amerika zurückfliegen?« fragte sie.

»Ach, darüber hab’ ich mir noch gar keine Gedanken gemacht«, erwiderte er.

Die Bauerstochter lächelte.

»Vielleicht sieht man sich ja mal wieder«, meinte sie.

Tony reichte ihr die Hand.

»Vielleicht…«

Während er den Hof verließ und zu seinem Wagen ging, blieb Kathie stehen und schaute ihm hinterher. Ihr Herz klopfte bis zum Hals hinauf.

Also, mit dem konnte keiner der Burschen, die sie kannte, mithalten!

*

Franzi und die beiden älteren Frauen betrachteten zufrieden ihr Werk. Gleich nach dem Frühstück hatten sie damit begonnen, in der Kirche sauberzumachen. Staub wurde gewischt, der Boden gefegt, die Heiligenfiguren und Meßgefäße poliert.

»So, jetzt muß ich mich aber an das Mittagessen machen«, sagte Sophie Tappert, während sie Besen, Handfeger und Kehrblech zusammenräumte.

»Hochwürden läßt ausrichten, daß ihr natürlich dazu eingeladen seid.«

Elisabeth Klinger nickte.

»Das ist nett. Was hast’ denn Gutes vorbereitet?«

Die Haushälterin schmunzelte verschmitzt.

»Laßt euch überraschen. Du kommst doch auch, Franzi?«

Das Madel hatte gerade überprüft, ob auf dem Altar wieder alles an seinem Platz stand.

»Sehr gern’. Und nachher hol’ ich die Blumen ab. Morgen nach der Messe wird der kleine Maximillian Bachmann getauft. Mal schau’n, ob ich ein paar blaue Blümchen bekommen kann.«

»Das wär’ schön«, stimmten die beiden Frauen zu.

Während Franzi und Frau Klinger sich um den Rest kümmerten – draußen vor der Kirche mußte noch geharkt werden –, ging Sophie Tappert zum Pfarrhaus hinüber. In der Küche wartete schon ein großer Topf mit Brühe. Auf dem Tisch stand ein Korb mit Gemüsen aus dem Pfarrgarten.

An Samstagen gab es oft Eintopf. Nicht nur, daß der Geistliche gerne Suppe aß, es war auch eine schnelle Sache, sie zu kochen, wenn alles vorbereitet war. Meistens blieb an diesem Tag nicht viel Zeit für aufwendige Küchenarbeit, zumal abends oft Gäste eingeladen waren.

Schon am Vortag hatte Sophie Tappert die Brühe angesetzt. Mit Markknochen und Wurzelgemüsen. In einer schweren Eisenpfanne angeröstete Zwiebeln, die nicht geschält worden waren, gaben ihr eine kräftige, appetitliche Farbe. Die Haushälterin nahm das Suppengemüse, das sie mit Küchengarn zusammengebunden und in den Topf gehängt hatte, heraus. Die Knochen kamen auf einen Teller. Es waren richtige Röhren mit einem großen Markanteil.

Sophie Tappert arbeitete rasch und sicher. In Windeseile waren die frischen Gemüse geputzt und geschnitten. Sie kamen mit geschälten und kleingewürfelten Kartoffeln in die Brühe zurück, die schon leise auf dem Herd simmerte.

Aus dem Knochenmark stellte die Haushälterin mit etwas geriebenem Semmelbrot, Gewürzen und Ei kleine Klößchen her, die später als Einlage in die Suppe kamen.

Während alles gar zog, hatte Sophie schnell einen Teig aus Eiern, Mehl und Muskat gerührt. Gekonnt rieb sie die Spätzle von einem Holzbrett in kochendes Salzwasser, um sie, wenn sie oben schwammen, mit einer Schaumkelle wieder herauszunehmen und in kaltem Wasser abzuschrecken. Nachdem sie auf einem Sieb abgetropft waren, kamen auch sie in den Eintopf, dessen Duft durch die Küche zog. Noch einmal abgeschmeckt, dann war alles fertig.

Draußen ging die Tür, und Pfarrer Trenker kam herein.

»Der Max und die Claudia sind auch gleich da«, sagte er. »Wie viele sind wir denn?«

»Sechs«, antwortete seine Haushälterin.

Der Geistliche nickte und ging in das Eßzimmer, um den Tisch zu decken. Sophie Tappert räumte unterdessen in der Küche auf. Nichts war ihr verhaßter als ein unaufgeräumter Arbeitsplatz. Nicht nur, daß man sich dann gar nicht mehr zurechtfand, wenn nicht gleich alles wieder an seinem Platz stand, es war außerdem eine Frage der Hygiene.

Kurz darauf trafen der Bruder des Geistlichen und seine Freundin ein. Im Schlepptau betraten Franzi und Frau Klinger das Pfarrhaus.

»So, meine Lieben, herein mit euch«, begrüßte Sebastian sie. »Nehmt Platz.«

Sophie Tappert hatte frischgehackte Kräuter über die deftige Suppe gestreut. Es duftete köstlich.

»Ich möcht’ mich noch mal für eure Hilfe bedanken«, sagte der Bergpfarrer nach dem Tischgebet. »Und jetzt greift zu.«

Die Unterhaltung drehte sich um den armen Mesner, dessen Bandscheibe immer noch keine Anzeichen einer Besserung zeigte.

»Hoffentlich muß er net operiert werden«, meinte Claudia Bachinger. »Mein Chefredakteur hatte mal das gleiche Problem. Der Arme hat über ein Vierteljahr net arbeiten können.«

»Na, das fehlte noch!« stieß Sebastian einen Stoßseufzer aus.

Eine Weile drehte sich das Gespräch noch um dieses Thema, dann kam man auf andere Dinge zu sprechen. Am Abend war Tanz im Löwen, und der Italienurlaub von Claudia und Max stand bevor.

Die Journalistin, die in Garmisch-Partenkirchen bei der Zeitung arbeitete, hatte gestern ihren letzten Arbeitstag gehabt. Max würde erst am nächsten Wochenende seinen Urlaub antreten können, und dann wollten die beiden nach Venedig reisen, dann ein paar Tage in der Toskana genießen und schießlich einen Abstecher nach Rom machen, in die Ewige Stadt.

Ein vollgepacktes Programm also.

»Aber vorher machen wir eine Bergtour«, versprach der gute Hirte von St. Johann. »Die Franzi möcht’ auch mit aufsteigen.«

Franzi Obermoser hatte sich hin und wieder an der Unterhaltung beteiligt, sie nickte begeistert. Doch in Gedanken war sie ganz woanders.

*

Als sie am Freitag mit ihrer Mutter in die Stadt gefahren war, hatte sie immer wieder an den attraktiven Mann denken müssen, der sie vor dem Hotel angesprochen und nach dem Weg zum Brauningerhof gefragt hatte.

Natürlich fragte sie sich, was er dort wollte.

Ein Fremdenzimmer wohl kaum, offenbar wohnte er ja im Löwen. Aber, daß er irgendein Interesse an dem Hof haben mußte, lag auf der Hand. Er hatte sich ja eindeutig danach erkundigt.

Ihre Mutter, der sie von der Begegnung erzählt hatte, konnte sich auch keinen Reim darauf machen, und Franzi konnte es vor Ungeduld kaum abwarten, bis sie ihre Einkäufe gemacht hatte.

Aber erst einmal wurde es ein schöner Vormittag. Sie bummelten durch die Geschäfte, schauten hier und da, probierten das eine oder andere Kleidungsstück und suchten ein Geschenk für Franzis Vater. Einfach nur so, ohne daß er Geburtstag gehabt hätte oder aus sonst einem besonderen Grund.

Zum Mittag aßen sie in einem kleinen Lokal. Hans Obermoser war zu ihnen gestoßen, anschließend bummelten die beiden Frauen weiter und steuerten noch ein Eiscafé an. Nach Cappuccino und Früchtebecher – ohne Sahne! – fuhren sie nach St. Johann zurück. Nachdem sie die Einkaufstüten hereingeschleppt hatte, ging Franzi auf ihr Zimmer und nahm ihr Handy aus der Reisetasche. Sie hatte es bewußt noch nicht ausgepackt. Während ihres Urlaubs wollte sie einfach nicht ständig erreichbar sein, und wenn es in der Firma wirklich etwas Dringendes gab, dann hatte ihr Teilhaber immer noch die Telefonnummer der Eltern.

Franzi hatte es sich auf dem Bett bequem gemacht. In ihrem Zimmer hatte sich nicht viel verändert, selbst die alten Kinder- und Jugendbücher standen immer noch in dem Regal. Neben ihr auf dem Bett saß ihre alte Puppe.

»Kathie, ich bin’s, Franzi«, sagte sie, als die Freundin sich gemeldet hat.

»Hallo, das ist aber schön, daß du anrufst«, freute sich die Bauers-tochter. »Bist’ auf Urlaub da?«

»Ja, und morgen abend müssen wir uns unbedingt seh’n. Ich hab’ schon mit der Andrea gesprochen. Du kommst doch noch in den Löwen?«

»Na, ganz bestimmt! Das ist doch ein Grund zum Feiern, wenn die alte ›Dreierbande‹ mal wieder zusammen ist.«

»Sag’ mal«, kam Franzi auf den eigentlichen Grund ihres Anrufes zu sprechen, »war heut’ morgen jemand bei euch auf dem Hof? Ein Fremder, mein’ ich…«

»Ja. Wieso, kennst’ den Toni etwa?« fragte Kathie zu ihrer Verblüffung zurück.

»Ja, das heißt nein…, also eigentlich doch«, stammelte sie verwirrt.

»Ja, was denn nun? Kennst’ ihn oder net?«

»Also, persönlich net«, antwortete Franzi. »Aber heut’ morgen hat mich jemand vor dem Hotel angesprochen und nach dem Weg zu eurem Hof gefragt.«

»So ein umwerfend aussehender Mann, der Deutsch mit einem niedlichen Akzent spricht?«

»Genau der.«

»Dann war’s der Tony.«

»Wieso nennst du ihn bei seinem Vornamen? Wer ist der Mann überhaupt?«

»Keine Ahnung. Ein Tourist eben. Er hat erzählt, daß er aus Amerika kommt, und gesagt, ich soll’ ihn einfach Tony nennen.«

»Dann kanntest’ ihn vorher also gar net?«

»Nein, absolut net.«

»Ja, aber was wollte er denn bei euch?«

»Was weiß ich? Ein paar Zimmer hat er sich angeschaut, und dann haben wir zusammen Kaffee getrunken.«

Franzi war irritiert. Sie hatte angenommen, daß dieser Tony einen bestimmten Grund hatte, den Brauningerhof aufzusuchen.

Irgendwas stimmt da net, kam ihr ein Verdacht.

»Weißt du seinen Nachnamen?« fragte sie.

Die Freundin mußte verneinen.

»Aber ein himmlischer Typ ist er, net wahr?« schwärmte die Bauerstochter. »Du, wenn der morgen abend zum Tanzen kommt, dann forder’ ich ihn auf. Ich glaub’, daß ich ihm net ganz unsympathisch bin…«

Franzi spürte einen Anflug von Eifersucht. Sympathisch fand sie diesen Tony aus Amerika auch, aber das war eine andere Sache. Jetzt interessierte sie, was das Geheimnis um ihn war, das sich so plötzlich gezeigt hatte.

Denn daß diesen Mann ein Geheimnis umgab, lag klar auf der Hand.

Als der Vater aus der Kanzlei nach Hause kam, hatten Mutter und Tochter den Abendbrottisch gedeckt, Kerzen brannten auf dem Tisch, leise Musik erklang aus der Anlage, und auf dem Platz des Hausherrn lag das Geschenk.

»Nanu«, staunte der Rechtsanwalt, »womit hab’ ich denn das verdient?«

Franzi stand hinter seinem Stuhl. Sie legte ihre Arme um ihn.

»Weil du der beste Paps von der Welt bist«, antwortete sie und gab ihm einen Kuß auf die Wange.

»Oder weil die Mama das Konto geplündert hat bei euren Einkäufen?« fragte Hans Obermoser augenzwinkernd.

»Also, Hans, wirklich!« sagte seine Frau empört. »Du weißt doch, wie sparsam ich mit dem Geld umgeh’.«

»Mama, Papa macht doch nur Spaß«, lachte die Tochter hell auf und setzte sich an den Tisch.

Ihr Vater hatte das Päckchen ausgepackt und freute sich über eine neue Krawatte mit einem geschmackvollen Muster und eine Flasche von seinem bevorzugten Aftershave.

»Vielen Dank, ihr beiden. Das ist wirklich lieb von euch.«

Er blickte Frau und Tochter an.

»Und was gibt’s sonst Neues?« erkundigte er sich.

Hätte Franzi bereits am Vormittag erfahren, was Kathie ihr erzählt hatte, so hätte sie ihren Vater schon beim Mittagessen darauf angesprochen. Jetzt erzählte sie von dem geheimnisvollen Mann.

»Aus Amerika, sagst du? Und er hat gezielt nach dem Hof der Brauningers gefragt?«

Der Anwalt runzelte die Stirn.

»Das ist wirklich sehr merkwürdig. Zu schade, daß du seinen Nachnamen net weißt. Vielleicht hätt’ uns das ja weitergeholfen.«

»Vielleicht erfahr’ ich ihn ja morgen auf dem Tanzabend«, meinte Franzi.

Ihr Vater nickte zwar, wirkte indes irgendwie geistesabwesend. Weder Frau noch Tochter ahnten, daß der Rechtsanwalt durch die Geschichte, die er gerade gehört hatte, an eine Sache erinnert wurde, auf die er nach dem Tode seines Vaters gestoßen war.

Ewald Obermoser war der Gründer der Anwaltskanzlei, die sein Sohn jetzt fortführte. Als Hans den Nachlaß des Vaters regelte, hatte er in dessen Schreibtisch ein seltsames Dokument entdeckt, das im hinteren Fach unter einem Stapel anderer Papiere fast versteckt lag.

Sechs Jahre war das jetzt her. Der Ordner, in dem sich das Dokument befunden hatte, war mit den anderen Sachen in einen Pappkarton gewandert, der nun auf dem Dachboden des Hauses stand, in dem sich die Kanzlei befand.

Damals hatte Hans Obermoser damit nichts anfangen können. Doch durch Franzis Erzählung und das Auftauchen des jungen Amerikaners war es durchaus möglich, einen Zusammenhang herzustellen.

Mit einem Mal hatte der Anwalt keinen rechten Appetit mehr. Wie ein Hellsichtiger sah er eine Katastrophe voraus, die auch ihn und den guten Ruf der Kanzlei nicht verschonen würde, wenn tatsächlich etwas an der Sache dran war.

Aber war es wirklich möglich, daß so eine alte Geschichte nach mehr als siebzig Jahren wieder ans Tageslicht kam?

Lieber Himmel, das war doch alles längst dunkle Vergangenheit, und die sollte doch besser ruhen!

Franzi blieb es nicht verborgen, daß ihr Vater plötzlich so merkwürdig verändert war. Aber er wehrte ab. Wollte keine Frage beantworten und gab sich überhaupt so, als schlage er sich mit einem Problem herum, das einen Mandanten von ihm betraf, mit der Angelegenheit um den Amerikaner aber nichts zu tun habe.

Um so gespannter war sie, ob sie diesen Tony auf dem Tanzabend sehen würde.

*

Tony Browninger saß zur selben Zeit in seinem Hotelzimmer und telefonierte. Als Juniorpartner der Firma, die der Großvater gegründet hatte, und die jetzt von Thomas Browninger jr. geleitet wurde, hatte auch dessen Sohn einen Großteil der Verantwortung zu tragen. Zwar wußte Tony, daß die Geschäfte bei seinem Vater in guten Händen waren, aber bestimmte Dinge wurden immer gemeinsam besprochen.

Die Browning Holding besaß Aktienanteile verschiedener Unternehmen, die allesamt in der amerikanischen Lebensmittelindustrie angesiedelt waren. Tony rückte nach dem Tode des Firmengründers in den Vorstand der Holding auf.

»Und«, erkundigte sich sein Vater, nachdem die geschäftlichen Dinge besprochen waren, »wie weit bist du in der alten Angelegenheit?«

»Ich habe einen Besuch auf dem Hof gemacht«, erklärte der Sohn. »Und dabei eine junge Dame kennengelernt. Sie heißt Kathie und ist wohl meine Cousine. Ihre Mutter lebt nicht mehr, Großvaters Bruder ist auch bereits verstorben. Aber das hatten wir ja schon vermutet. Jetzt ist der Sohn Besitzer des Hofes. Aber der war nicht zu Hause.«

Vor dem Telefongespräch hatte Tony sich eine Flasche Mineralwasser aus der Minibar seiner Suite genommen. Er trank einen Schluck.

»Du, es scheint sich fast gar nichts verändert zu haben«, fuhr er fort. »Okay, die landwirtschaftlichen Maschinen sind natürlich nicht mehr die alten, aber drinnen im Haus ist immer noch alles so, wie Großvater es beschrieben hat. Allerdings werden jetzt auch Zimmer an Urlaubsgäste vermietet.«

»Was hast du denn für einen Eindruck von deiner Cousine?« wollte sein Vater wissen.

»Oh, sie scheint nett zu sein.«

Der junge Amerikaner schmunzelte vor sich hin.

»Ich glaube, sie hat sogar versucht, mit mir zu flirten…«

Thomas Browninger lachte.

»Laß dir bloß nicht einfallen, was mit ihr anzufangen«, sagte er. »Und auch mit keinem anderen Mädchen. Julie kratzt dir die Augen aus, wenn du mit einer anderen nach Hause kommst.«

»Keine Sorge«, erwiderte der Sohn. »Das ist nicht meine Absicht. Was allerdings Julie Summers betrifft, da machst du dir völlig unberechtigt Sorgen. Ich vermu te mal, die Sache hat sich irgendwie erledigt.«

»Da bin ich anderer Meinung«, antwortete sein Vater zu Tonys Erstaunen. »Gestern abend ist sie nämlich bei uns gewesen und wollte wissen, wo du eigentlich steckst.«

Tony durchfuhr ein siedenheißer Schreck.

»Du hast ihr doch hoffentlich nichts gesagt?«

»Keine Sorge. Ich habe ihr erzählt, daß du in geschäftlichen Angelegenheiten nach Europa fliegen mußtest. Und das war ja nicht mal gelogen. Sie wollte noch wissen, wann du zurückkommst, aber da konnte ich ihr ja keine Auskunft geben. Ich habe ihr gesagt, daß es ein paar Wochen dauern kann. Allerdings…«

»Ja…?«

»Sie wundert sich, warum sie dich nicht auf deinem Mobiltelefon erreichen kann, und wollte wissen, ob es drüben in Europa nicht funktioniert. Ich habe sie in dem Glauben gelassen…«

»Na, dann bin ich ja beruhigt«, atmete Tony erleichtert auf.

In gewisser Weise war er in einem Zwiespalt.

Julie war eine hinreißende Frau. Hübsch, intelligent und leidenschaftlich. Wenn es da nicht immer wieder diese Unstimmigkeiten mit ihr gäbe, dann hätte alles wunderbar zwischen ihnen sein können. Tony hatte sie einmal sehr geliebt, doch diese Liebe war spürbar abgekühlt. Jetzt allerdings, Tausende von Kilometern entfernt von ihr, spürte er doch so etwas wie Sehnsucht.

Dennoch, er war hier und hatte eine Aufgabe zu erledigen, und da mußten Gefühle hintangestellt werden. Vielleicht dachte er anders, wenn er wieder in Amerika war.

»Wirst du noch einmal zu dem Hof fahren?« erkundigte sich sein Vater.

»Bestimmt sogar«, antwortete Tony. »Ich will ja meinen Onkel kennenlernen, das heißt, eigentlich ist er ja mein Großonkel, so heißt das wohl, und dein Cousin. Himmel, sind das komplizierte Verwandtschaftsverhältnisse!«

»Stimmt«, meinte Thomas Browninger. »Hast du eine Ahnung, wie mein Cousin mit Vornamen heißt?«

»Nein, aber das bekomme ich noch heraus. Morgen ist hier ein Tanzabend im Hotel. Bestimmt treffe ich da die Kathie, und ihren Vater vielleicht auch.«

»Was ist denn mit dem anderen Mann, diesem Anwalt?« forschte Thomas nach.

»Darum kümmere ich mich am Montag. Die Kanzlei ist in der Stadt, ein paar Kilometer von hier.«

»Gut, aber sei vorsichtig. Niemand soll etwas merken, bevor die Bombe platzt.«

»Keine Sorge, Vater, ich habe alles im Griff.«

»Gut, mein Junge. Ich bin stolz auf dich.«

»Danke, Dad, ich melde mich wieder.«

»Okay, bis bald. Liebe Grüße von Mom.«

»Grüß zurück.«

Tony beendete die Verbindung und lehnte sich nachdenklich zurück.

Ja, er würde morgen abend zu diesem Fest gehen. Vielleicht war auch dieses hübsche Fräulein da, das er heute morgen vor dem Hotel angesprochen hatte…

Tony erinnerte sich lebhaft an das hübsche Gesicht und die tadellose Figur, und an Julie verschwendete er keinen Gedanken mehr.

*

Franzi und ihre beiden Freundinnen waren in ausgelassener Stimmung, als sie den Saal des Hotels betraten. Schon vor zwei Stunden hatten sie sich im Haus der Obermosers getroffen, geplaudert und letzte Hand angelegt. Jetzt strahlten die drei in Vorfreude auf den kommenden Abend.

Wie früher saßen sie an dem Tisch, der nahe der Blaskapelle stand. Die ›Wachnertaler Bu’am‹ spielten schon, was das Zeug hielt, und die Saaltöchter hatten alle Hände voll zu tun, die Wünsche der Gäste nach Bier, Wein und anderen Getränken zu erfüllen.

Wie immer, wenn Franzi auf Urlaub nach Hause kam und alte Bekannte wiedertraf, mußte sie erzählen, wie es ihr in Frankfurt ging, was das Geschäft macht, und auch an diesem Abend blieben die Fragen nach Robert nicht aus.

Die hübsche junge Frau, die selbstverständlich ein Dirndl angezogen hatte, tat indes die Fragen mit einer Handbewegung ab. An den Herrn wollte sie lieber nicht mehr erinnert werden. Statt dessen schaute sie sich immer wieder um, ob Tony aus Amerika irgendwo auftauchte.

Der geheimnisvolle Mann war natürlich auch Gegenstand ihrer Unterhaltung gewesen, als die drei Freundinnen in Franzis Zimmer saßen. Katja, die Tony bisher nur vom Hörensagen kannte, war besonders gespannt darauf zu sehen, was für ein Bild von Mann er war, wie Kathie sich schwärmerisch ausdrückte.

Allerdings ließ er sich bis jetzt nicht blicken. Aber viele andere Burschen, die die ›Dreierbande‹ noch von früher kannten, forderten die Madln zum Tanzen auf, und die Stimmung unter ihnen konnte nicht besser sein.

Schließlich betrat ein Mann den Saal, bei dessen Auftauchen viele Leute erstaunt aufblickten. Es kam nicht oft vor, daß Pfarrer Trenker an dem Tanzvergnügen teilnahm, doch hin und wieder ließ er sich blicken.

Sebastian hatte grüßend in die Runde gewunken und sich dann an den Tisch gesetzt, der den Honoratioren des Dorfes vorbehalten war. Er stand in der Nähe der Tür und somit weit genug von der Musik entfernt, so daß man sich unterhalten konnte, ohne schreien zu müssen.

»Also, das laß ich mir aber net nehmen«, sagte Claudia, als der Kapellmeister das Zeichen zur Damenwahl gab, und forderte den Geistlichen auf. »Wann hab’ ich schon mal das Vergnügen, mit dir tanzen zu dürfen!«

Früher hatte der Gang des guten Hirten von St. Johann auf die Tanzfläche noch einiges Erstaunen hervorgerufen. Inzwischen hatten sich die Leute daran gewöhnt, daß ihr Seelsorger sich unbekümmert solch einem Vergnügen hingab. Und nicht wenige mußten zugeben, daß Sebastian ein sehr guter Tänzer war.

Indes hatte es auch einen Grund, warum der Bergpfarrer an diesem Abend hergekommen war. Ein Gespräch, das er mit Franzi Obermoser am Nachmittag führte, hatte ihn nachdenklich gemacht. Sebastian war während des Mittagessens im Pfarrhaus die nachdenkliche Stimmung aufgefallen, in der sich das Madl befand. Während die anderen dabei waren, wollte er es nicht darauf ansprechen, aber als er und Franzi dann in Vorbereitung auf die Abendmesse in der Kirche zusammentrafen, fragte Sebastian sie doch, ob es da etwas gäbe, das sie beschäftigte.

Nach kurzem Zögern hatte Franzi genickt.

»Gestern morgen hat mich vor dem Hotel ein Mann angesprochen und sich nach dem Weg zum Brauningerhof erkundigt«, erzählte sie.

Der Geistliche hörte sich die ganze Geschichte schweigend an, nickte nur ab und zu.

»Und du glaubst, dieser Tony führt etwas im Schilde?« fragte er, nachdem Franzis Erzählung zu Ende war.

»Ich weiß net«, antwortete sie. »Aber etwas stimmt da net. Er fragte gezielt nach dem Hof, aber eigentlich hat er gar nix dort gewollt. Scheinbar jedenfalls. Die Kathie ist ganz aus dem Häuschen, und als ich meinem Vater die ganze Geschichte erzählte, da wird er blaß um die Nase, als habe er eben sein eigenes Todesurteil vernommen. Und dann tut er auch noch so, als ob’s irgendwas mit einem Mandanten zu tun hat, weswegen er plötzlich so nachdenklich ist. Aber das kann er mir net weismachen. Dazu kenn’ ich ihn viel zu gut.«

Sebastian wußte nicht, was er mit dieser Geschichte anfangen sollte. Zu vage war das, was Franzi vorbringen konnte. Das Auftauchen dieses Amerikaners mußte doch nicht unbedingt irgendwelche mysteriösen Gründe haben. Vielleicht hatte er von dem Brauningerhof in einem Prospekt gelesen und war neugierig geworden. Es mochte doch durchaus sein, daß er jetzt in einem Hotel logierte, aber für einen anderen Urlaub ein Fremdenzimmer auf einem Bauernhof in Betracht zog.

Allerdings war da auch die Reaktion Hans Obermosers. Sie war zu augenscheinlich in dem Moment gewesen, als seine Tochter über den Amerikaner gesprochen hatte.

Gab es einen Zusammenhang zwischen dem Anwalt, dem Brauningerhof und diesem Tony? Und wenn ja, welchen?

Während Franzi den Blumenschmuck arrangierte, dachte der Seelsorger darüber nach. Ihm war nicht bekannt, daß es irgendwelche Verbindungen zwischen der Kanzlei Obermoser und dem Bauern Brauninger gab. Und schon gar nicht, ob diese bis nach Amerika hinüberreichten.

Aber wenn, dann würde er, Sebastian, es herausfinden. Und aus diesem Grund nahm er sich vor, auf das Tanzvergnügen zu gehen. Wenn Franzis Vermutung zutraf, dann würde der Urlauber aus Übersee dort auch anzutreffen sein.

*

Tony Browninger betrachtete sich im Spiegel. Er hoffte, daß die modische Jeans, das Polohemd und das leichte Jackett die angemessene Bekleidung für einen solchen Abend waren. Es war wohl nicht anzunehmen, daß die Menschen sich zu diesem Anlaß besonders festlich anzogen, und deshalb wollte er auf einen dunklen Anzug und Krawatte verzichten.

Die letzten Stunden waren ohne besondere Ereignisse oder Erkenntnisse vergangen. Nachdem er am Tag zuvor mit seinem Vater telefoniert hatte, war er zum Abendessen ins Restaurant gegangen und hatte den Abend dann auf seinem Zimmer verbracht. Nach dem Frühstück am Samstagmorgen war er ein wenig durch das Dorf spaziert, hatte sich später in den Leihwagen gesetzt und ein wenig die Gegend erkundigt.

Großvater hatte oft erzählt, wie schön es in seiner Heimat sei, und Tony stellte fest, daß es keine allein von Heimweh geprägte Schwärmerei gewesen war. Die Gegend war wirklich wunderschön.

Die majestätischen Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln, die saftigen Wiesen mit duftenden Blumen und Wildkräutern, vereinzelte Bauernhöfe –, genauso hatte Thomas Browninger Senior das immer wieder beschrieben, und jetzt wünschte sein Enkel, daß der alte Mann wenigstens noch einmal einen Blick auf all das hätte werfen können. Doch das war ihm nicht vergönnt gewesen. Vertrieben aus dem Elternhaus, mußte er sich in der Fremde eine neue Heimat aufbauen, ohne die alte je vergessen zu können.

Als Tony den Saal des Hotels betrat, schlug ihm eine Welle aus Geruch nach Bier, Rauch und lauter Musik entgegen. An die dreihundert Leute mochten hier wohl ausgelassen feiern, und die Stimmung schien auf dem Höhepunkt.

Der junge Amerikaner hatte diesmal in der Wirtsstube eine Kleinigkeit zu Abend gegessen. Dort war das Essen zwar einfacher und preiswerter, deshalb aber nicht schlechter. Im Gegenteil, Tony konnte behaupten, selbst zu Hause, wo das ›barbecue‹ ja erfunden worden war, kein zarteres Grillsteak vorgesetzt bekommen zu haben als hier.

Sepp Reisinger hatte ihm auf Anraten des Wirtes einen Platz an einem Tisch reserviert. Da der Andrang immer sehr groß war, hatte Sepp es sich zur Regel gemacht, seine Hotelgäste, die stets an diesem Abend teilnahmen, an einen Tisch zu setzen, an dem die Bedienungen sie im Auge hatten und auf Wünsche schnell reagieren konnten.

Tony bekam einen Stuhl neben zwei älteren Ehepaaren, die aus Norddeutschland stammten und zusammen hierher in den Urlaub gefahren waren. Daneben hielten sich ein Mann und eine Frau verliebt an den Händen. Sie waren auf Hochzeitsreise und hatten nur Augen und Ohren für sich. Am anderen Ende des Tisches saß eine Gruppe junger Burschen, die ein zünftiges ›Männerwochenende‹ im Wachnertal verbringen wollten.

Einen ganzen Maßkrug zu trinken, war dem jungen Amerikaner zuviel. Tony bestellte ein Viertel Rotwein und schaute sich um.

Was erwartete er eigentlich von diesem Abend?

Diese Frage hatte er sich gestellt, als er sich umzog.

Kathie Brauninger und ihrem Vater zu begegnen? Oder jener hübschen, unbekannten Frau, die ihn zugegebenermaßen mehr beschäftigte, als es ihm lieb war?

Die Beziehung mit Julie Summers stand auf der Kippe; wenn es nach ihm ginge, dann gäbe es auch keine Fortsetzung. Aber, wie es schien, ließ sie nicht locker. Und er war froh, daß er jetzt zumindest von ihren Anrufen verschont blieb.

Daß er sich in die unbekannte Schöne verliebt hatte, schob er weit von sich. Aber jetzt merkte er doch, daß er hoffte, ihr wieder zu begegnen.

Die beiden Ehepaare zogen ihn ins Gespräch. Sie hatten mitbekommen, daß er Ausländer war, und fragten, woher Tony stammte. Der eine Mann erzählte begeistert, einmal in New York gewesen zu sein.

Die Unterhaltung lenkte den Amerikaner für einen Moment davon ab, seinen Blick suchend über die Tanzenden gleiten zu lassen, und so merkte er nicht, daß ein Augenpaar auf ihn gerichtet war, das ihn fixierte.

Hans und Birgit Obermoser saßen zwei Tische entfernt. Der Anwalt hatte keine Ahnung, wie der Mann aussah, um den sich seit gestern abend seine Gedanken drehten. Aber nach Franzis Schilderung könnte es der junge Bursche da drüben sein.

Ob ich ihn mal anspreche?

Der Anwalt wollte schon aufstehen und hinübergehen, doch dann verwarf er diese Idee schon wieder.

Was sollte er ihn fragen? Sind Sie der Mann aus Amerika, der hergekommen ist, alte Geschichten aufzurühren und mit Dreck um sich zu werfen?

Der Gedanke erschien ihm lächerlich. Vielleicht hatte dieser Tony ja gar nichts damit zu tun. Und wenn doch, wer wußte denn, ob der Name Obermoser in dieser Sache überhaupt irgendeine Rolle spielte? Schließlich hatte sein Vater ja als Notar nur ein Dokument beurkundet, von dessen wahrheitsgemäßem Inhalt er überzeugt gewesen war.

Dennoch wurden wieder Zweifel wach. So überzeugt konnte Vater nicht gewesen sein, überlegte Hans Obermoser.

Warum sonst hätte er dieses merkwürdige Schreiben hinterlassen sollen, in dem er einige Fragen stellte?

Fragen, die bis heute unbeantwortet geblieben waren.

Und vielleicht war jetzt die Zeit gekommen, diese Antworten zu erfahren…

*

Franzi hatte mit einem jungen Burschen getanzt, der sie nun wieder an ihren Tisch zurückbrachte. Das Madl nickte dem Tänzer zu und wollte sich gerade setzen, als Andrea die Freundin anstieß und mit dem Kopf an einen Tisch auf der anderen Seite des Saales deutete.

»Ist er das?«

Franzi schaute hinüber, und gleichzeitig schlug ihr Herz schneller.

Natürlich saß dort der Amerikaner!

Sie nickte hastig und sah sich nach Kathie um. Die tanzte mit einem Burschen, der sie schon den ganzen Abend mit Beschlag belegt hatte. Xaver Dehninger hieß er und arbeitete auf dem Tannenhof. Andrea wußte zu berichten, daß der Knecht schon lange ein Auge auf die hübsche Bauerstochter geworfen hatte. Indes stünde er nicht allein da. Es gab eine Menge junger Burschen, die der Kathie den Hof machten, was angesichts des Erbes, das ihr als einziges Kind einmal zufallen würde, kein Wunder war.

Franzi überlegte. Damenwahl war erst gewesen, sollte sie trotzdem hinübergehen und ihn auffordern?

Warum net, dachte sie und zwängte sich durch die Tanzenden. Dieser Tony sah noch besser aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Er war in eine Unterhaltung verwickelt und schaute überrascht auf, als sie sich zu ihm beugte.

»Darf ich um den nächsten Tanz bitten?« fragte Franzi.

Tony lächelte, als er sie erkannte.

»Hallo, das ist aber eine Überraschung«, erwiderte er und stand auf. »Es ist mir ein Vergnügen.«

Franzi wußte nicht, was sie fühlte, als sie neben ihm auf die Tanzfläche ging.

Aufregung, Neugier, Erwartung –, es war eine Mischung aus allem. Tony hatte seinen Arm um sie gelegt und führte. Den langsamen Walzer beherrschte er ausgezeichnet.

»Haben S’ den Weg zum Brauningerhof gefunden?« erkundigte sie sich.

Der Amerikaner nickte.

»Dank Ihrer genauen Beschreibung war das kein Problem. Ich heiße übrigens Tony.«

Ich weiß – hätte sie beinahe geantwortet, biß sich aber im letzten Moment auf die Zunge.