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Ein Baby ist mein Herzenswunsch: Dr. Florian Winter Arztroman 6 von Horst Weymar Hübner Eine körperlich behinderte junge Frau und ihr glühender Kinderwunsch – Dr. Florian Winter steht vor einer großen Herausforderung. Zudem muss er sich mit den Schattenseiten seiner Beliebtheit herumschlagen, denn durch seine konsequente Haltung und seine intelligente Autorität hat er sich offenbar Feinde gemacht und jemand versucht ihn zu „stalken“. Als sei dies nicht genug, hat er sich auch noch mit der rätselhaften „Kanülen-Affäre“ zu beschäftigen. Aber während des aufreibenden Klinikalltages gibt es für den sympathischen Gynäkologen auch immer wieder wunderbare Lichtblicke …
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Ein Baby ist mein Herzenswunsch: Dr. Florian Winter Arztroman 6
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von Horst Weymar Hübner
Eine körperlich behinderte junge Frau und ihr glühender Kinderwunsch – Dr. Florian Winter steht vor einer großen Herausforderung. Zudem muss er sich mit den Schattenseiten seiner Beliebtheit herumschlagen, denn durch seine konsequente Haltung und seine intelligente Autorität hat er sich offenbar Feinde gemacht und jemand versucht ihn zu „stalken“. Als sei dies nicht genug, hat er sich auch noch mit der rätselhaften „Kanülen-Affäre“ zu beschäftigen. Aber während des aufreibenden Klinikalltages gibt es für den sympathischen Gynäkologen auch immer wieder wunderbare Lichtblicke …
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Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Alles rund um Belletristik!
„Dann bleib doch meinetwegen ein Krüppel!“, schrie Peter Ockenfels seine junge Frau an. Ungeachtet der Tränen, die ihr in die Augen schossen, brüllte er drohend weiter: „Aber ich komme schon noch zu einem Kind, es gibt Mittel und Wege! Wenn nicht von dir, dann eben von einer anderen. Führen wir denn überhaupt eine Ehe?“
„Peter!“ Heide Ockenfels war leichenblass. Aber er hörte gar nicht. Er stürmte hinaus und warf die Tür zu, dass das Haus dröhnte.
Aufschluchzend barg sie das Gesicht in ihren Händen.
O Gott, wie das weh tat!
Ein Krüppel, der zu nichts nütze war! Der keine Kinder haben konnte! Der keine Ehe führte!
Und sie liebte ihn doch so sehr.
Ein Kind von einer anderen, hatte er gesagt! Die Angst schnürte ihr fast die Kehle zu.
Vom ersten Tag der Ehe an hatte sie befürchtet, dass sie ihn verlieren könnte, dass er sich einer anderen zuwenden würde. Einer gesunden jungen Frau.
Eigentlich schon viel früher. Jeden Tag hatte sie gebangt, ob er auch kam, um sie abzuholen. Oder ob er anrief und eine fade Entschuldigung fand.
Die ständige Angst, dass es aus war, bevor es begonnen hatte, war zermürbend und entsetzlich gewesen.
Doch er hatte sie nie spüren lassen, dass sie nicht so war wie die anderen Mädchen. Peter hatte einfach so getan, als ob sie kerngesund sei.
Wie dankbar war sie ihm deswegen gewesen.
Mit seinem Ungestüm und seinem Drang zu Lausbübereien hatte er sie mitgerissen, hatte er sie nie empfinden lassen, dass sie nicht vollwertig war.
Und sie hatten sich im Grunde genommen auch beide nie ernsthaft Gedanken darüber gemacht, dass sie nie vollwertig sein konnte.
Sie selber hatte dieses Wissen verdrängt.
Und Peter hatte vielleicht gehofft, dass es sich geben würde. Einige Äußerungen von ihm hatte sie so verstanden.
Vielleicht hatte er Mädchen nebenbei gehabt. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Es war ihr auch gleichgültig.
Zudem hatte er nie davon gesprochen.
Ob er in den zwei Jahren, die sie nun verheiratet waren, Seitensprünge gemacht hatte?
Daran glaubte sie nicht.
Und wenn schon! Sie musste einen Preis zahlen für das bisschen Glück an seiner Seite.
Vor einem Jahr hatte sie zum ersten Male davon gesprochen, dass sie vielleicht doch ein Kind adoptieren sollten. Oh, da war sie schön bei ihm angekommen.
Peter hatte überhaupt nichts davon wissen wollen.
Es werde sich schon geben, hatte er gesagt. Sie müsse halt nur den Willen und die Kraft haben.
An jenem Tag hatte ihr wahrer Leidensweg begonnen.
Peter hatte die Ansicht ihres Hausarztes und der Spezialisten, bei denen sie Jahr um Jahr in Behandlung gewesen war, einfach nicht wahrhaben wollen.
Irgendwie war es ihm gelungen, die Anschrift und den Namen einer Kapazität für Orthopädie in Erfahrung zu bringen. Wochenlang hatte er auf sie eingeredet, bis sie schließlich zugestimmt hatte, sich nach Freiburg zu Professor Tietz in Behandlung zu geben.
Noch immer erschauerte sie, wenn sie sich an diese Zeit erinnerte.
Diese qualvollen Untersuchungen, diese Schmerzen bei der Anwendung aller möglichen Geräte und Apparaturen! Diese dumpfe Gewissheit, dass es doch nichts nützt!
Zweimal war sie drauf und dran gewesen, aus dem Fenster der Klinik zu springen.
Aber das Personal hatte es geahnt. Man hatte ihr die Krücken weggenommen. Die bekam sie nur, wenn sie zur Behandlung bestellt war.
Die wochenlange Quälerei hatte nichts gebracht. Jedenfalls keine Besserung.
Sie hatte nur gespürt, dass ihr Peter etwas entfremdet war, als er sie heimholte.
Bald danach hatte er davon zu sprechen begonnen, dass die Medizin ja täglich Fortschritte mache und dass ihr Fall ja wohl nicht aussichtslos sein könne. Da hätte zum Beispiel ein Professor Mertens in Erlangen einen sagenhaften Ruf, der Mann habe schon vielen Patienten geholfen.
Sie hatte verstanden. Gehorsam hatte sie sich nach Erlangen bringen lassen. Und erst dort war ihr der Verdacht gekommen, dass Peter sie vielleicht von daheim weg haben wollte! Dass vielleicht bereits eine andere Frau bei ihm aus und ein ging.
Aber dann hatte er täglich angerufen, hatte sie besänftigt und ihre Ungeduld gedämpft. Und jedes Wochenende war er den weiten Weg mit dem Auto angereist und hatte sie besucht.
Ohne ein böses Wort zu sagen! Ohne zu resignieren!
Wenn er ihre Verzagtheit bemerkt hatte, hatte er ihr Mut gemacht. Aber den hatte sie nicht mehr.
Professor Mertens hatte sie operieren wollen. Beidseitig!
Seit dem Klinikaufenthalt in Freiburg, seit jenen Wochen, in denen man ihr immer wieder irrsinnige Schmerzen zugefügt hatte, empfand sie jedoch panische Angst vor Geräten. Und erst recht vor einem chirurgischen Messer.
Der Professor hatte ihr lang und breit erläutert, was mit ihr geschehen würde. Die Oberschenkel aufschneiden, die Hüftgelenke ausschälen, durch Kunststoffgelenke oder Stahlgelenke ersetzen! Wenn ihr Körper die Implantate annahm, sei nach einer angemessenen Heilungszeit ihr Problem gelöst und sie gesund.
Wenn!
Der Professor hatte gemeint, das sei natürlich eine Sache mit drei dicken Fragezeichen, und garantieren könne er für einen Erfolg, vor allem für einen dauerhaften, schon gar nicht.
Da hatte sie regelrecht durchgedreht und Peter beschworen, sie sofort aus der Klinik wegzuholen.
Keinem Argument war sie zugänglich gewesen. Im Nachhinein hatte sie es begriffen.
Aber deswegen war sie noch lange nicht bereit, sich ans Messer zu liefern und zerschneiden zu lassen!
Nach dem Erlanger Zwischenspiel hatte es einen Riss zwischen ihr und Peter gegeben.
Zwar umsorgte und versorgte er sie nach wie vor mit großer Aufmerksamkeit und Aufopferung. Aber sie merkte doch, dass es nur mehr eine Versorgung war.
Er hatte wohl auch resigniert.
Seitdem bangte sie davor, dass er ihr eröffnen würde, sich von ihr scheiden zu lassen. Weil er eine gesunde Frau haben wollte. Und Kinder, die sie ihm so nicht schenken konnte.
Diese entsetzliche Ungewissheit, wann er es ihr sagen würde, hatte zum Schluss schon derart bedrohliche Formen angenommen, dass sie schon zusammenfuhr und zu zittern begann, wenn sie ihn heimkommen hörte.
Und dann reagierte sie ungerecht und wurde streitsüchtig. Sie wusste es, und sie konnte es dennoch nicht ändern.
Peter hatte ihr eine Zugehfrau besorgt, die die Hausarbeit erledigte und kochte. Schon wenn er sich erkundigte, ob die Frau dagewesen sei und was sie zusammen gemacht hätten, war sie kratzbürstig.
Gestern war es schließlich passiert. Er hatte wieder einen Namen und eine Anschrift mitgebracht. Von noch einem Professor. Sogar hier aus der Stadt. Und Frauenarzt obendrein.
Sie war außer sich gewesen, dass er ihr schon wieder diese Tortur der Untersuchungen und versuchten Behandlungen zumuten wollte. Wieso überhaupt bei einem Frauenarzt?
In der Nacht, in der sie kein Auge zubekommen hatte, waren ihre Gedanken immer nur um diesen einen Punkt gekreist.
Tietz und Mertens hatten ihr doch genau erklärt, dass sie so keine Kinder haben durfte. Und gar nicht bekommen konnte. Weil es einfach nicht ging.
Peter kannte die Befunde. Immer wieder hatte er sie gelesen, hatten sie gemeinsam darüber gesprochen und gestritten.
Und nun verlangte er, dass sie doch zu einem Frauenarzt ging!
Als ob es daran läge!
Der Krach hatte dann auch heute Morgen beim Aufstehen begonnen. Peter hatte aber entgegen aller Gewohnheit nicht Geduld geübt, diesmal war er wütend geworden und hatte ihr den Zettel mit dem Namen und der Anschrift auf den Tisch geknallt, nachdem er sie zu ihrem Spezialstuhl getragen hatte.
Der Zettel lag noch immer da.
Aber Peter war fort.
Und er hatte ihr klipp und klar gesagt, was sie war: ein Krüppel! Ein nutzloser Mensch!
Sie weinte hemmungslos und hörte nicht einmal den Schlüssel im Schloss der Wohnungstür gehen, als Frau Maibach kam, die Zugehfrau.
„Ach Göttchen, nee, was ist denn jetzt passiert?“
Erst beim Klang der vertrauten Stimme hob Heide Ockenfels den Kopf.
Frau Maibach schlug fast die Hände über dem Kopf zusammen beim Anblick des tränenüberströmten Gesichtes. Sie war einer jener mütterlichen und dennoch resoluten Typen, die allein schon durch ihre Erscheinung verraten, dass sie immer ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer Mitmenschen haben und meist auch gleich eine Patentlösung wissen.
Für ihre dralle Breite war Frau Maibach in der Körperlänge etwas zu kurz geraten. Das focht sie aber nicht an. Sie hatte sich beizeiten ein dickes Fell zugelegt.
Vergeblich wartete sie darauf, dass ihr Heide Ockenfels eine Erklärung für den traurigen Morgen gab.
„Nun, dann warten wir halt“, meinte die Zugehfrau in grenzenloser Geduld und begann mit dem Abräumen des Frühstückstisches.
Es war unausweichlich, dass ihr der Zettel in die Finger geriet.
Sie las, begriff und nickte. „Jetzt sollen Sie sich von einem Frauenarzt behandeln lassen? Das wäre endlich mal was anderes. Sie, von dem habe ich schon gehört, der ist bekannt. Die Frau Petry, von der ich Ihnen schon erzählt habe, also die war voriges Jahr bei ihm in der Klinik, und die ist reinweg begeistert von ihm. Irgend so ’ne Operation unten rum, na, Sie wissen schon. Vorsorge und so. Und die sagt, das sei nicht so ein beknackter Professor, wie sie haufenweise in den Unikliniken rumlaufen, von denen kennt sie nämlich ein paar, da kann sie ein Lied von singen. Nee, ein richtiger netter Mensch ist dieser Winter.“
Heide Ockenfels ließ den Wortschwall wie einen Sturzbach über sich ergehen. Wenn Frau Maibach in Fahrt war, gab es nur ein Mittel, sich zu wehren – nämlich Zuhören.
Bedingt durch ihre Leibesfülle kam die gute Seele nämlich sehr schnell hinter Atem. Und mit der Luft gingen ihr dann auch die Worte aus.
Dieser Zustand war schon fast erreicht. Frau Maibach knisterte unschlüssig mit dem Notizzettel und blickte dann zum Telefon. „Haben Sie schon angerufen? Oder sollen wir das jetzt machen?“
Bevor sie Zustimmung oder Ablehnung erntete, walzte sie schon breitfüßig ins Nebenzimmer, wo das Telefon mit der langen Anschlussschnur seinen Stammplatz hatte.
Auflehnung wallte in Heide Ockenfels hoch, genau wie gestern der Zorn, als Peter von diesem Professor Winter zu reden angefangen hatte.
„Lassen Sie! Ich will nicht! Nicht schon wieder diese Quälereien! Es bringt doch nichts.“
Frau Maibach wandte sich in der Tür zum Nebenzimmer um. „Wenn Sie aber gar nichts tun, bringt’s doch auch nichts. Sie gehen langsam vor die Hunde, ich sehe das doch.“
Wieder stürzten die Tränen aus den Augen von Heide Ockenfels. „Ein Kind will er“, schluchzte sie. „Notfalls von einer anderen, hat er gesagt.“
„Was denn? Was denn?“, meinte die Zugehfrau verstört. „Das gibt’s doch gar nicht!“
„Und ein Krüppel bin ich. Das hat er auch gesagt!“ Heide Ockenfels stemmte sich aus dem Spezialstuhl hoch.
Durch die fast lebenslange Krankheit war sie gezwungen, die Hinsetz- und Aufstehbewegungen fast nur durch die Kraft der Arme zu regulieren. Dadurch hatte sie extrem kräftige Ober- und Unterarmmuskeln bekommen, und der Druck ihrer Hände hätte glattweg auch einen Schwerstarbeiter die Hand- und Fingergelenke brechen können.
Mit einem wilden, energischen Ruck stand sie auf den Füßen.
Dann trippelte sie mit seltsam steifen kleinen Schritten vom Tisch weg, ohne die Krücken zu Hilfe zu nehmen.
„Bin ich ein Krüppel?“, fragte sie ihre Zugehfrau. „Bin ich nutzlos? Gehöre ich zum alten Eisen?“ Die letzten Worte schrie sie heraus. Und mit den Worten die ganze Qual ihrer Seele.
Frau Maibach ließ sich im nächst erreichbaren Sessel so heftig nieder, dass das Sitzmöbel empört knackte.
„Göttchen, nee, das hätte er nun nicht sagen dürfen! Nee, nee, Frau Ockenfels, das sind Sie nicht! Sie sind bloß ein bisschen krank, und Sie sind noch nicht in die Hände vom richtigen Doktor gekommen. Jetzt rufen wir aber gleich an! Wissen Sie nämlich, dass Sie seit Erlangen zum ersten Male wieder ohne die Stöcke rumlaufen?“
Frau Maibach sah die Dinge etwas unkompliziert. Aber gerade die banale Feststellung, dass Heide Ockenfels seit vielen Wochen erstmals wieder ohne Krücken auskam, war ein überzeugendes Argument.
Vielleicht hatte die letzte Behandlung in Erlangen doch etwas gebracht. Auch ohne so eine entsetzliche Operation. Einfach durch die vielen Medikamente, durch die gymnastischen Übungen und die Bewegungstherapie. Heide Ockenfels klammerte sich an diese Hoffnung.
Hatte nicht auch der Professor Tietz in Freiburg gesagt, manchmal kämen in der Medizin Wunder vor, bloß seien sie halt zu selten, um sie verlässlich einplanen zu können?
Die schlichte Feststellung, dass sie ein paar Schritte ohne Krücken geschafft hatte, befeuerte ihren Willen derart, dass sie Frau Maibach zwei Stunden lang bei der Hausarbeit zur Hand ging. Gänzlich ohne die Hilfsmittel, die sie immer im Leben begleitet hatten, soweit sie zurückdenken konnte.
Danach aber war sie völlig erschöpft und verspürte bösartige Stiche in den Hüftgelenken, so dass sie sich von Frau Maibach auf das Sofa helfen lassen mussten.
Dennoch blickte sie triumphierend und zuversichtlich.
„Ich bin kein Krüppel“, murmelte sie. „Das soll Peter nie wieder sagen können. Ich bin es nicht!“
Die Zugehfrau beobachtete sie von der Tür aus. In aller Ruhe kümmerte sich Frau Maibach dann um den Abwasch, setzte das Mittagessen auf und machte das Schlafzimmer fertig.
Nur nicht drängen, sagte sie sich.
So eine junge schöne Frau, und die will sich einfach hängen lassen und drauf warten, bis ihr Mann mit einer anderen daherkommt! Das gibt’s ja gar nicht! Dem groben Kerl müsste mal jemand gehörig den Kopf waschen. Der weiß ja gar nicht, wie gut er dran ist mit seinen gesunden Knochen!
Frau Maibach ließ die Dinge reifen, bis es Zeit zum Mittagessen war. Sie hatte ein Gespür dafür, wann es Zeit war, ein herzhaftes Wort zu sagen oder besser den Mund zu halten.
Bevor sie die Teller auf den Tisch stellte, schaute sie ins Wohnzimmer.
Die Krücken standen unbenutzt in der Ecke.
Die junge Frau aber hatte sich aus eigener Kraft vom Sofa erhoben, hatte das Telefon auf den Tisch gestellt und hielt den Hörer am Ohr. Und auf dem Tisch lag der Zettel mit dem Namen und der Anschrift von diesem Professor Winter.
Frau Maibach nickte und zog sich in die Küche zurück. So war die Sache in Ordnung! Wäre ja gelacht, wenn die junge Frau sich einfach zurückzog wie eine Schnecke in ihr Haus. Wenn es mit dem Gehen doch plötzlich so gut klappte, vielleicht konnte sie dann auch ein Baby bekommen.
Der Anruf erreichte Professor Florian Winter mitten in der Ordinationszeit. Renate Angern, seine Sprechstundenhilfe, hatte das Gespräch hereingestellt, was einigermaßen ungewöhnlich war. Während der Untersuchungen schätzte er keine Störungen.
Am anderen Ende meldete sich die Unfallchirurgie. Man gab den Hörer weiter, und endlich war der Oberarzt der Chirurgie dran, Doktor Albert Rose, ein guter Freund von ihm.
„Tag, Florian, ich bin hier unten in der Notaufnahme, wir haben da einen Fall hereinbekommen, den du dir unbedingt ansehen solltest.“ Professor Winter blickte hinter der Patientin her, die auf dem Weg zum Paravent war, um sich dahinter zu entkleiden. „Das ist jetzt sehr ungünstig, Albert“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Ich halte Sprechstunde, und im Wartezimmer sitzen noch vorbestellte Patienten. Kann nicht jemand von der Station ...?“
„Ich weiß ja, dass du ein vielbeschäftigter Mensch bist, Florian“, unterbrach ihn der Oberarzt etwas drängend. „Wenn es nicht so außergewöhnlich wäre, hätte ich dich auch verschont. Außerdem sind deine Mitarbeiter im Kreißsaal, im OP und auf Station. Gewissermaßen unabkömmlich. Für zehn Minuten, ja? Länger dauert es nicht.“
„Und was liegt an?“
„Wir brauchen den definitiven Befund eines Spezialisten, Florian, weil wir sonst nicht weiterkommen. Wir wollen nichts verderben.“
Professor Winter zögerte, dann entschied er sich. Wegen einer Lappalie rief Albert Rose ja nicht an. „Gut, ich komme sofort runter.“
„Ich danke dir.“
Professor Winter legte den Hörer auf und starrte den Apparat an. Dann hob er den Kopf. „Frau Kleinert, wenn Sie bitte mit dem Entkleiden warten möchten! Man hat mich gerade zu einem Notfall gerufen. Nehmen Sie doch bitte noch einmal im Wartezimmer Platz.“
Die Patientin war nicht gerade begeistert, aber sie kam hinter dem Paravent hervor, knöpfte die Jacke zu und ging ins Vorzimmer.
Professor Winter folgte ihr auf dem Fuß und wandte sich an Renate Angern: „Frau Kleinert dann bitte gleich noch mal zu mir. Ich bin unten in der Notaufnahme.“ Sprach’s und war mit wehendem Kittel draußen.
Die Aufzüge waren natürlich in Dauerbetrieb und eine Kabine gerade nicht verfügbar. Es war jetzt Besuchszeit.
Er nahm die Treppe und langte etwas außer Atem unten an.
Vor der Notaufnahme der Unfallchirurgie stand grinsendes Personal. Er entdeckte sogar einen Pfleger von Station 3b, der mit einer Patientin im Rollstuhl unterwegs war, am Morgen bei der Visite hatte er eine nochmalige Röntgenuntersuchung der Frau angeordnet.