Eins, zwei, drei - Erziehung ist doch (keine) Hexerei - Martina Meier - E-Book

Eins, zwei, drei - Erziehung ist doch (keine) Hexerei E-Book

Martina Meier

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Beschreibung

Kinder zu erziehen, ist nicht immer eine leichte Sache. Schließlich möchte man für den eigenen Nachwuchs ja nur das Beste. Da ist es doch toll, wenn man den ein oder anderen wohlmeinenden Erziehungstipp erhält. Immer sinnvoll? Mitnichten! Immer hilfreich? Ganz bestimmt nicht. Und wenn man dann noch Nachwuchs hat, der seinen so ganz eigenen Kopf hat, dann muss man als Eltern, Vater, Mutter ... schon mal gute Nerven haben. So wie Liza, die mit ihrer kleinen Marie einen ganz besonderen Fang gemacht hatte. An einem Samstagabend, ihr Mann war mit Freunden unterwegs, kam die damals gerade Zweieinhalbjährige mit Stift und Zettel ins Wohnzimmer. Legte beides vor Monika hin und sagte bestimmt: „Mama, mach mir mal eine Vorschreibung. Ich will endlich mal was lernen!“ Da halfen auch alle gut gemeinten Ratschläge aus dem Umfeld, das Kind ja nicht zu überfordern, beim besten Willen nichts mehr. Marie lernte ihre ersten Buchstaben und schrieb schon bald ihren Namen ...

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Eins, zwei, drei

Erziehung ist doch ... (keine) Hexerei

Martina Meier (Hrsg.)

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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - www.papierfresserchen.de

© 2023 – Herzsprung-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Bearbeitung: Cat creativ - www.cat-creativ.at

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2023.

Coverbild: © Elena Schweizer Adobe Stock lizenziert

ISBN: 978-3-99051-157-2 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-158-9- E-Book

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Inhalt

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Kartoffelkind

Die Tränchen sind für den Moment getrocknet und hinterlassen silbrig glänzende Spuren auf den roten Wangen des Kleinkindes. Auch sein Blick wird silbern und durchscheinend, die müden Augen hypnotisiert von den Bewegungen meiner Hände. Kartoffeln schälen. Eine nach der anderen. Ich sitze ganz rechts an der langen Seite des Tisches, neben mir, also vor Kopf, steht der hölzerne Kinderstuhl. Ich höre das tiefe Ausatmen. Nach der kurzen Stille ein gutes Anzeichen, dass der letzte Wutanfall vorübergeht. Ich beobachte nur aus dem Augenwinkel.

Das ist wie bei wilden Tieren, niemals provokant in die Augen schauen. Seit gestern Abend kein Fieber mehr, aber die Nase läuft und die Nacht war unruhig. Um uns herum Reste des verschmähten Frühstücks. Die Marmelade war doch nicht die richtige, die Enttäuschung schließlich auf beiden Seiten groß. Nichts geht mehr. Da habe ich die Schüssel geholt, den Schäler und das rote Messerchen und auch ein Stück alte Zeitung. Aus der Garage schließlich das Netz mit den Kartoffeln, immer noch begleitet von wütenden, verheulten Ausrufen aus dem Esszimmer. Nein, ich mache dir kein neues Brot!

Meine Oma hatte einen kühlen Kartoffelkeller. Da passten säckeweise Kartoffeln rein, noch braun, voll mit Erde. Die Kartoffeln von uns sind abgepackt, 2,5 Kilo, vorwiegend festkochend. Erde ist hier nicht mehr dran. Aber der Kartoffelschäler, der sieht genauso aus wie bei meiner Oma: bewegliche Klinge, kleine Spitze, um die Augen zu erwischen.

Ich bin bereits bei der siebten Kartoffel. Wir beide schauen schweigend zu, wie die Linien sich miteinander verbinden und die gelben Körper in die Schüssel hüpfen. Meine Oma hat fast täglich Kartoffeln geschält. Für Salzkartoffeln, Bratkartoffeln, Kartoffelpüree (mit wahnsinnig viel Butter) oder Stiftkartoffeln, die roh in die Pfanne wanderten und die ich geliebt habe.

Ihr Tisch, an dem wir gesessen und sie die Kartoffeln geschält hat, war etwas kleiner als unserer und mit einer Wachstischdecke versehen, darunter eine Bügelunterlage, denn er war nun einmal auch ihr Bügeltisch. Wir haben hier stundenlang gesessen, Mühle gespielt und Mikado, Rübenkrautbrote gegessen oder Rosinenstuten mit Butter. Und manchmal durften meine Schwester und ich Tischtennis auf dem Küchentisch spielen. Mitten in Omas Wohnküche mit dem alten Futonsofa. Hier habe ich immer gelegen, wenn ich krank war und nicht zur Schule oder in den Kindergarten konnte.

„Kann ich ein Stück?“, fragt das Kind unvermittelt und schaut mich kurz an. Dann ist sein Blick wieder auf die Kartoffel in meiner Hand gerichtet. Ich schneide ein dünnes Stück Kartoffel ab und reiche es ihm mit der rechten Hand, in welcher ich das Messerchen halte. Das Hümmeken.

„Das schmeckt noch nicht gut, die Kartoffeln müssen erst in den Ofen“, erkläre ich. Ich muss schmunzeln, als ich sehe, wie die kleine Zunge an dem Stückchen entlangfährt und es ausgiebig untersucht. Als Kind mochte ich den Geschmack roher Kartoffeln, zumindest kleiner Schnitze. Das Marmeladenbrot scheint vorerst vergessen. Wenn ich bei Oma geweint habe, dann eigentlich nur, weil ich Ärger bekommen hatte und sie mich getröstet hat. Mit Oma gestritten habe ich kaum. Ihre Wohnung im Obergeschoss war ein ruhiger Ort, einer mit klaren Abläufen und einer bollernden Heizung in der Küche.

Die kleinen Fingerchen fangen an, nach der offenen Dose mit Äpfeln und Kohlrabi-Stückchen auf dem Tisch zu greifen. Die Schüssel mit den Kartoffeln wird voller. Die nächste Kartoffel gleitet durch meine Hände in den Topf und mehr und mehr habe ich die Räume vor meinem inneren Auge und die Gerüche meiner Kindheit. Es riecht nach Caro-Kaffee in der Küche und nach der alten Holzanrichte. Ganz oben drauf, für Kinderhände nicht erreichbar, steht das große Glas mit den Eukalyptusbonbons. Nach denen hat sie immer gerochen. Ich sehe den kleinen Holzschemel vor dem Fenster mit dem eingelassenen Heizkörper, von wo aus wir Autos gezählt und auf Mamas Dienstschluss gewartet haben.

So langsam müsste es ausreichen für heute Mittag. Ganz genau weiß ich noch gar nicht, was es geben wird. Ich hoffe, dass noch ein Päckchen Quark und ein paar Kräuter in der Gefrierkombi zu finden sind. Ich merke, wie meine Schultern sich entspannt haben und meine Atmung fließt. Das Kind sitzt weiterhin müde, aber entspannt im Stühlchen, als ich Backpapier und Blech bemühe. Und während wir beide gemeinsam in unsere ganz eigenen Gedanken versunken dasitzen, sehe ich sie im Augenwinkel links von mir. Sie sitzt bei uns am Tisch, in einer ihrer bunten Kittelschürzen. Sie lächelt, als sie den kleinen Berg an Kartoffelschalen erblickt und lässt ihren Blick dann weiter schweifen, erst zu mir und dann zu ihrem Urenkel mit den klebrig-roten Wangen.

„Noch ein Kartoffelkind!“, entfährt es ihr leise und ich nehme die kleine, warme Hand rechts von mir in meine.

Julia Lohn,Jahrgang 1987, ist Lehrerin und wohnt mit Mann und Kind im nordrhein-westfälischen Soest.

*

Lügen erlaubt?

Vor Kurzem besuchte ich Sofie und Lothar. Wie immer ging es bei den Gesprächen ausschließlich um das verwöhnte und von den Eltern, vor allem aber den Großeltern verhätschelte Kind.

Sofie war ganz aus dem Häuschen, da sie festgestellt hatte, dass ihre elfjährige Tochter Sybille lügt. Sie fand das unmöglich, Lothar dagegen störte es nicht sonderlich. Er stopfte genüsslich seine Pfeife mit Tabak, stülpte sich seinen Kopfhörer über die Ohren und hörte im Radio die Fußball-Liveberichte aus den Stadien. Ich verzog mich mit Sofie in die Küche. Sie schenkte mir ein kühles Weißbier ein und bereitete das Abendessen vor.

„Stell dir vor“, sagte sie entrüstet, „ich habe Sybille schon mehrfach dabei ertappt, dass sie lügt. Vor einer Woche fragte ich sie, ob die Mathematik-Schulaufgabe schon von der Lehrerin korrigiert worden sei, und sie sagte Nein, die Arbeit werde erst nächste Woche herausgegeben, was nicht stimmte. Sie hatte eine Fünf geschrieben und wollte mir das entweder verheimlichen oder die Frist hinausschieben.“

Ich nahm einen kräftigen Schluck Bier, wischte mir den Schaum vom Mund und sagte: „Da müsste man die Ursachen bekämpfen. Vielleicht bist du etwas zu streng mit ihr. Könnte das der Grund dafür sein, dass sie lügt? Hättest du sie denn bestraft?“

„Begeistert bin ich natürlich nicht, wenn sie so schlechte Noten nach Hause bringt“, meinte Sofie in einem energischen Ton. Dann erzählte sie weiter: „Der Hammer kommt aber jetzt erst. Vor einiger Zeit feierten wir Geburtstag. Sybille durfte ausnahmsweise länger aufbleiben. Ich sagte ihr, sie müsse dann dafür am nächsten Tag bis zehn Uhr schlafen. Sie stand aber schon um sieben Uhr auf, was an sich nicht schlimm gewesen wäre. Lothar war im Garten und mähte den Rasen. Da hörte ich, wie Sybille das Fenster öffnete und zu ihm sagte: Papa, du sagst aber nicht der Mama, dass ich schon so früh aufgestanden bin. Und Lothar antwortete grinsend: Nein, ich sage nichts, ich schweige wie ein Grab. Lothar animierte sie sozusagen zum Lügen. Dann legte sich Sybille kurz vor zehn Uhr wieder ins Bett. Ich sollte annehmen, da ich auch erst um zehn Uhr aufstand, sie hätte ebenfalls bis zehn Uhr geschlafen.“ Sofie wartete nun auf meine Reaktion und sah mich erwartungsvoll an.

„Vielleicht wollte dir Sybille damit eine Freude machen, dass sie als Frühaufsteherin bis zehn Uhr im Bett bleibt“, meinte ich. „So schlimm finde ich das Ganze nicht. Für mich ist das eine harmlose Notlüge.“

Jetzt kam Lothar in die Küche, setzte sich zu mir an den Tisch und meldete: „Bayern hat 3:1 gewonnen.“

Sybille kam ebenfalls in die Küche, begrüßte mich, schnappte sich eine Banane und fragte: „Ist hier schon wieder dicke Luft?“ Dann verschwand sie, um Klavier zu üben.

Sofie unterrichtete Lothar über das, was wir in seiner Abwesenheit gesprochen hatten. Er schüttelte den Kopf und meinte: „Ich sehe das wesentlich anders als Sofie. Es kann passieren, dass ein Kleinkind, wenn es zu spät zum Kindergarten kommt, als Entschuldigung sagt, ein grüner Elefant habe vor der Eingangstür gestanden und es nicht hineingelassen. Kinder in diesem Alter können zwischen Fantasie und Lüge noch nicht unterscheiden. Die glauben sogar später selbst diese Fantasien. Kinder, die den Kindergarten besuchen, merken sehr schnell, dass man gewisse Vorteile hat, wenn man lügt, dass sich die Balken biegen. Diese Erkenntnis setzt sich dann in der Schule fort. Und im Berufsleben wird man heute täglich gezwungen zu lügen. Ein Außendienstler, der vom Kunden gefragt wird, ob das Produkt gut sei, kann dem Kunden doch nicht zum Produkt der Konkurrenz raten, sollte dies besser sein. Ich als Rechtsanwalt werde täglich mit Lügen konfrontiert. Es wird nirgends so viel gelogen wie in Zivilprozessen. Mir geht es da nicht anders. Wenn ich weiß, das Alibi meines Mandanten steht auf wackligen Beinen, dann werde ich zwar nicht unbedingt lügen, aber geschickt von der Sache ablenken, um den Brei herumreden und nicht näher darauf eingehen. Es gibt Fälle, da wurden Arbeitnehmer vom Arbeitgeber gefeuert, nur weil sie sich weigerten, vor Gericht einen falschen Eid zu schwören. Vor dem Arbeitsgericht hat der Arbeitnehmer so gut wie keine Chancen. Da steht dann Aussage gegen Aussage. So ist die momentane Rechtsprechung. Wer im Berufsleben Karriere machen will, darf nicht zimperlich sein, muss manchmal ein korruptes Schwein sein. Die Konkurrenz schläft nicht. Die Anständigen und Ehrlichen werden gerade in schlechten Zeiten die Dummen und Verlierer sein und auf der Strecke bleiben. Es gibt einen Bestseller von Ute Ehrhardt, der heißt Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin. Dieser Titel bringt es auf den Punkt, was ich meine. Die Geschichte mit den angeblichen Lügen von Sybille finde ich harmlos, nicht der Rede wert, ja einfach lächerlich. Für mich ist das nicht mal eine Notlüge. Sie wollte nur ablenken. Man kann natürlich aus jeder Mücke einen Elefanten machen.“

Sofie meinte: „Vielleicht sollte man unterscheiden zwischen Berufsleben, wo es manchmal nötig ist zu lügen, und dem Privatleben. Man kann doch zumindest zu Hause ehrlich bleiben.“

Lothars Stimme wurde jetzt lauter: „Wie soll denn ein elfjähriges Mädchen das unterscheiden. Es ist damit einfach überfordert.“

In diesem Moment kam Sybille fröhlich zur Tür hereingestürmt. Ihre Mutter sagte: „Sybille, du kannst hierbleiben, wir essen gleich.“ Das Gespräch war damit, ohne dass wir ein von uns allen akzeptiertes Ergebnis erzielt hätten, schlagartig beendet, und wir widmeten uns wesentlich unverfänglicheren Themen.

Hermann Bauer,geboren 1951, lebt in seiner Geburtsstadt München. Seit 1988 Veröffentlichungen von Kurzgeschichten, Reisereportagen, Märchen und Lyrik in Büchern, Anthologien, Zeitschriften, Zeitungen und Kalendern in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich und als Übersetzung in Vietnam. Seit 2014 schreibt er auch Theaterstücke. Tritt gelegentlich auch als Kabarettist und Gospelsänger auf. www.shen-bauer.de.

*

Max und Mama

Alles wird besser. Oder nicht?

Der fünfzehnjährige Max kommt von der Schule nach Hause und seine Mutter empfängt ihn fröhlich an der Haustür.

„Hallo mein Schatz, wie war es?“

Max sieht die Mutter genervt an und läuft an ihr vorbei. Dann streift er sich die Schuhe ab und wirft seinen schwarzen Rucksack in den Flur.

„Mäxchen, ich habe dir dein Lieblingsessen gekocht. Bratkartoffeln mit Würstchen!“

Max rennt immer zwei Stufen auf einmal nehmend nach oben und knallt die Badezimmertür.

„Geh ruhig erst mal auf Toilette, du hattest ja einen langen Tag. Ich tue dir das Essen schon mal auf!“

Max kommt in Jogginghose und Sweatshirt herunter, setzt sich widerwillig an den Küchentisch, fängt an, sich das Essen in den Mund zu schaufeln.

„Jetzt erzähl mal. Wie war es denn heute?“

„Wie immer.“

„Ist etwas passiert?“

„Nein. Was soll passiert sein?“

„Hast du Mathe zurück?“

„Nein.“

„War deine Englischlehrerin wieder krank?“

„Nein.“

„Hast du viel auf?“

„Nein.“

Max ist fertig und rennt wieder nach oben. Die Tür knallt. Die Mutter spült den Teller ab und macht die Kochplatte sauber. Draußen am Fenster geht eine junge Mutter vorbei, die einen Buggy schiebt. Der kleine Junge wirft seinen Schnuller auf den Gehweg. Mäxchens Mutter rennt heraus und hebt den Schnuller auf. Sie will ihn der jungen Mutter geben, läuft hinter ihr her und ruft: „Sie haben etwas verloren!“

Die junge Mutter dreht sich um. Sie sieht verheult und traurig aus, hat schwarze Ringe unter den Augen. Der Junge im Buggy schreit herum und will sich abschnallen. Die junge Mutter wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. „Vielen Dank!“, haucht sie. „Ich habe letzte Nacht kaum geschlafen. Und die Nacht davor auch nicht ...!“

Mäxchens Mutter sieht sie mitleidig an. „Es wird besser, es wird alles besser!“, sagt sie beruhigend.

Die junge Mutter lächelt dankbar und zieht weiter. Nachdenklich geht Mäxchens Mutter zurück ins Haus. „Wird es das wirklich?“, fragt sie sich leise.

Dörte Müller,geboren 1967, arbeitet als Lehrerin und unterrichtet Englisch, Deutsch und Kunst. In ihrer Freizeit schreibt sie gerne Kurzgeschichten. „Max und Mama“ ist eine Anthologie, in der die Autorin Dialoge zwischen Max und seiner Mutter gesammelt hat. Den obigen Dialog hat sie speziell für das vorliegende Projekt verfasst.

*

Kinderwut

Hänschen ein Kind

von eher zarter Gestalt,

zeigte dennoch schon

oft des Zornes Gewalt.

Wurde beim Einkaufen

das Naschen verboten,

warf er sich kurzerhand

im Laden auf den Boden.

Er strampelte mit Füßen,

was das Zeug nur hielt.

Laut schreiend, tobend

hat er Beachtung erzielt.

Sich rasch zu beruhigen

fiel ihm erst gar nicht ein,

denn er wollte Besitzer

der Gummibärchen sein.

Der Vater am Beruhigen,

die Ladenbesitzerin auch!

Klein-Hänschen lag noch

immer auf seinem Bauch.

Plötzlich hatte der Vater

eine wohl zündende Idee:

Er setzte diese zügig um,

denn sie tat ja nicht weh!

Papa ließt seinen Knirps

mit einem entnervten Blick

und dem Satz: „Das Kind

gehört mir nicht!“ zurück.

Das brachte in dem Kapitel

die überraschende Wende:

Weinend stand der Bub auf –

der Machtkampf war zu Ende.

Sieglinde Seilerwurde 1950 in Wolframs-Eschenbach, der Stadt des Minnesängers Wolfram von Eschenbach (Bayern), geboren und ist von Beruf Dipl. Verwaltungswirt (FH). Sie lebt mit ihrem Ehemann heute in Crailsheim (Baden-Württemberg). Seit ihrer Jugend schreibt sie Gedichte. Später kamen Aphorismen, Märchen und Prosatexte hinzu. Ferner fotografiert sie gerne. Gedichte, Geschichten und Märchen wurden in diversen Anthologien veröffentlicht.

*

Wie die böse Hexe böse wurde

Das Märchenland könnte ein Ort des Friedens sein, wären da nicht die böse Hexe und ihr Sohn Allessandro, die immer wieder Gemeinheiten aushecken. Die böse Hexe war nicht immer böse. Wollt ihr wissen, wie es dazu gekommen ist? Hier ihre Geschichte.

Vor langer Zeit regierte eine junge Herrscherin ein bis dahin größtenteils friedliches Land. Das Märchenland. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt war man es nicht gewöhnt, dass nur eine einzige Frau herrschte. Es gab immer Männer an der Seite einer Königin, die letztlich über alles entschieden. Prinzessinnen hatten in den bisherigen Verläufen auch kaum etwas zu sagen, stellten dumme Dinge an, waren unselbstständig und brauchten immer einen Retter. Man war es so gewohnt und hinterfragte nicht.

Doch da sich die Gewohnheiten der Menschen mit der Einführung der Frauenrechte änderten, änderten sich auch die Gewohnheiten der Märchenfiguren, denn die Märchenfiguren waren von der Fantasie der Menschen abhängig. So wie sich die Gewohnheiten der Menschen änderten, änderten sich auch die der Märchenfiguren.

Nun gab es die erste alleinstehende Herrscherin. Ihr Name war mit der Zeit weit über die Grenzen ihres eigenen Landes bekannt. Verachteten einige der Märchenfiguren sie am Anfang, so wurde sie mit der Zeit geschätzt. Was keiner der Märchenfiguren wusste: Sie wünschte sich eigentlich nichts sehnlicher als ein Kind, doch sie tat sich bei der Männerwahl schwer. Keiner passte. Der eine war der Königin zu dick, der nächste zu dumm, der nächste ungehobelt. Sie wollte die Hoffnung aufgeben, als sie während eines Ausrittes auf eine kleine Fee in Gefangenschaft stieß. Sie hieß Tinkerbell und wurde von Piraten gefangen gehalten. Tinkerbell war überaus dankbar für ihre Rettung und erfüllte der Königin ihren sehnlichsten Wunsch. Während ihr Königreich ein Fest zu einem überaus guten Erntejahr hielt, mischte sich die Königin verkleidet unter das Volk und feierte mit. Sie wollte einmal in ihrem Leben unbeschwert erleben, wie andere Märchenfiguren feierten.

Wie groß war ihre Freude das Hauptdorf nahe dem Schloss geschmückt vorzufinden, fremdartige Speisen probieren zu können und auf dem Markt Ware begutachten zu können, die von Händlern angeboten wurden. Die Märchenkönigin fühlte sich das erste Mal in ihrem Leben frei. So setzte sie sich in ein Wirtshaus, bestellte Wein und verlor in ihrem ersten Weinrausch das Zeitgefühl. Und genau in diesem Moment traf sie auf einen Mann, der sie verzauberte. Er brachte alle Tugenden mit, die sie bisher an zur Wahl stehenden Männern vermisst hatte. Angetrunken stahlen sich beide in ein Zimmer, das der Mann kurz entschlossen gemietet hatte, und gaben sich ganz ihren Gefühlen hin.

Leider entpuppte sich ihre erste Liebesnacht als weitere Enttäuschung. Der Mann war am nächsten Tag verschwunden. Die Königin wachte alleine in ihrem Bett auf und weinte bitterliche Tränen. Zurück im Schloss berichtete sie niemandem, außer ihrer einstigen Kinderfrau, von dem enttäuschenden Erlebnis. Diese wusste sie auch zu trösten.

Zum ungünstigsten Zeitpunkt, den sich die junge Königin vorstellen konnte, kam es zu der Geburt zweier Kinder. Die Geburt wurde gefeiert. Alle guten Märchenfiguren waren eingeladen. Unter den Gästen befanden sich die drei guten Feen. Sie wollten der Königin ihre Glückwünsche aussprechen und gaben den beiden Kindern Wünsche mit, so wie sie es bereits bei Dornröschen getan hatten.

Doch leider wurde die Feierlichkeit von einer weiteren Fee gestört. Sie war die dunkelste Fee, die es im ganzen Reich gab. Malecifent war ihr Name. Keine der anwesenden Märchenfiguren freute sich über ihr Erscheinen bei dem Fest, zu dem es friedlich zugehen sollte. Mitten in den Feierlichkeiten fegte ein schwarzer Wirbelsturm durch eines der offenen Fenster und nahm Gestalt an. Malecifent wirkte auf die anwesenden Märchenfiguren erhaben, jedoch so düster, dass sie augenblicklich in die äußersten Winkel des Saales flohen und die Fee alleine mit der Königin und den drei guten Feen zurückließen. Mit ihrem komplett schwarzen Look, ihrem langen, fledermausflügelartigen, kantigen Gewand, ihrem dunklen Make-up und dem gehörnten Kopfschmuck flößte sie sogar der tapferen Herrscherin für einen Augenblick einen Hauch von aufkommender Panik ein.

„Wie mir scheint“, lächelte Malecifent mit ihren kalten, smaragdgrünen Augen, „hat man vergessen, mich einzuladen. Eigentlich hat man alle Villains vergessen einzuladen. Ich komme in ihrem Namen, um dafür Vergeltung auszuüben.“

„Verschwinde! Du stehst nicht auf der Gästeliste und bist in der Tat nicht willkommen. Deine Vergeltung erspare uns. Wenn du nicht möchtest, dass meine Diener dich hinausjagen, solltest du zusehen, Land zu gewinnen, und das Schloss umgehend verlassen.“

Malecifent brach in Gelächter aus. „Wie wollen mich deine Diener denn verjagen? Und vor allem womit? Ich bin mit Magie ausgestattet. Keiner kann mir etwas anhaben. Nicht einmal die lächerlichen guten Feen.“

„Aber das ist doch unerhört“, meldete sich Fauna zu Wort. Sie wurde jedoch von der guten Fee namens Sonnenschein zurückgehalten.

„Das hatten wir doch bereits bei Dornröschen“, flüsterte sie Fauna zu. „Wir haben keine Chance gegen Malecifent.“

„In der Tat“, lachte Malecifent laut. „Und ihr habt all eure Wünsche ausgesprochen. Ich habe seit dem letzten Mal, als ich euch begegnet bin, dazugelernt. Seht zu, wie ich die beiden Kinder verfluche.“ Ehe irgendjemand einschreiten konnte, warf Malecifent eine Art Zauberpulver über die beiden Kinder. Sie wandte sich zuerst dem jüngeren Mädchen zu, das friedlich in der Wiege schlummerte. „Dir schenke ich Boshaftigkeit. Du sollst eines Tages für deine Taten bekannter sein als ich.“ Dann wandte sie sich an die ältere Prinzessin. „Und dir ... schenke ich.“ Malecifent überlegte fieberhaft. Dann lachte sie über sich selber. „Das ist mir noch nie passiert. Mir fällt kein passender böser Wunsch ein. Nun gut. Du sollst gütig sein und als Nachfolgerin über dieses Land herrschen. Jedoch wird dir zuteil, dass du unter der Grausamkeit deiner Schwester leiden wirst. Sie wird eifersüchtig auf dich sein und immer wieder versuchen, dir dein Land wegzunehmen.“ Die Worte der dunklen Fee wurden von einem furchtbaren Lärm übertönt, denn sie verwandelte sich wieder in einen Wirbelsturm, der durch das Fenster das Schloss verließ. Tränen kullerten über das Gesicht der alleinstehenden Königin.

„Das habt ihr nicht verdient, ihr beiden“, schluchzte sie. Aus Trauer über die Erscheinung der dunklen Fee und die dunklen Wünsche warf die Königin ihr Gefolge aus dem Saal heraus. Sie wollte alleine sein.

„Es tut uns leid“, entschuldigte sich Flora bei ihr. „Hätten wir mit dem letzten Wunsch gewartet, so wie bei Dornröschen, hätten wir etwas für die Kinder tun können. Aber wir haben nicht damit gerechnet, dass die dunkle Fee erneut so weit gehen würde.“

„Euch trifft keine Schuld“, wandte sich die Königin an Flora. „Ihr habt beide mit guten Wünschen versehen. Dass die dunkle Fee auch auftaucht, konnte keiner ahnen. Es ist leider so, wie es ist. Aber verzeihen werde ich es ihr nie. Ich werde nie wieder glücklich werden, weil ich unter dem Gewissen leiden werde, dass sich meine Kinder bekriegen werden.“

Die Auseinandersetzungen der beiden Prinzessinnen gingen bereits früh los. Sie fingen an, sich zu streiten, kaum dass sie das Kindesalter erreicht hatten. Die gute Prinzessin namens Marie bekam immer die Streiche ihrer jüngeren Schwester Jasmin ab. Einmal vertauschte Jasmin beim gemeinsamen Backen Zucker und Salz, kurz bevor Marie anfing, ihren Kuchen zu erstellen. Der Kuchen wurde nichts. Weihnachten stritten sie sich immer um die Geschenke.

„Das ist meines“, rief Jasmin, als ihre Mutter die Geschenke nach dem Weihnachtsessen verteilte.

„Stimmt ja gar nicht“, erwiderte Marie wütend. Jasmin schaffte es immer, sie aus der Reserve zu holen.

„Hört auf, zu streiten!“, schrie ihre Mutter. „Ihr raubt mir an manchen Tagen den letzten Nerv. Geht nun schlafen. Alle beide. Zur Strafe gibt es heute keine Geschenke. Die bekommt ihr, wenn ihr euch beruhigt und euch entschuldigt habt.“

Schmollend zogen sich die Prinzessinnen auf ihre Zimmer zurück. Unterwegs stritten sie sich so, dass sich die Palastwache die Ohren zuhielt, als die Prinzessinnen an ihr vorbeikamen.

„Das ist alles deine Schuld, Jasmin“, schrie Marie. „Wenn du nicht so gemein wärst, hätten wir heute Abend unsere Geschenke bekommen.“

„Und wenn schon, Marie. Ich möchte eh keine. Eigentlich ist es bereits unfair, dass du irgendwann das ganze Land regieren wirst. Nur weil du die Ältere von uns beiden bist. Und was bekomme ich? Nichts.“ Wütend schmiss Jasmin die Tür hinter sich zu.

Marie hingegen zog sich weinend zurück. Sie hielt die Grausamkeiten ihrer Schwester nicht mehr aus.

„Vielleicht kann die Oberfee der guten Feen helfen?“

Suchend blickte sich Marie in ihrem Zimmer um. Die Stimme kannte sie. Sie gehörte zu ihrer sprechenden Puppe Liliane. Liliane war wie eine Freundin für Marie und sah der blondhaarigen Prinzessin sogar ziemlich ähnlich. Im Grunde war sie das erste Geschenk der drei guten Feen für Marie gewesen. Marie erfuhr das zu ihrem achten Geburtstag von ihrer Mutter. Sie hatte sich schon immer gefragt, warum sie eine so tolle sprechende Puppe hatte und Jasmin nicht. Liliane war deswegen oft Gegenstand von Streitigkeiten.

„Jasmin hat dich doch wieder geärgert oder?“, erkundigte sich Liliane? Die Puppe hüpfte mit einem Satz auf das Bett hinauf und setzte sich neben Marie. Tröstend legte Liliane ihre Puppenhände auf Maries Schoß, die sich gleich viel besser fühlte.

„Ja, Jasmin hat mich wieder geärgert. Sie ist immer so gemein.“

„Die Oberfee ist zu einem Pokerabend eingeladen. Sie wird nächsten Freitag im Schloss sein. Such sie auf, wenn sie in ihrem Zimmer ist, und rede mit ihr. Erzähle ihr alles, was Jasmin angestellt hat und dass du nicht mehr weiter weißt. Vielleicht kann sie dir helfen?“

An dem besagten Pokerabend waren einige Königinnen und die Oberfee zu Gast im Schloss der alleinstehenden Königin. Sie genossen ihre Frauenabende und erzählten von ihren Alltagen, während sie eine Pokerrunde nach der nächsten spielten.

„Stellt euch vor“, erzählte Dornröschen. „Mein Mann hat mir einen Fernseher geschenkt. Was soll ich denn mit dem Gerät? Damit kann ich nicht einmal kochen.“

Die anderen Frauen kicherten. „Ich habe auch einen dieser neumodischen Fernseher erhalten“, erzählte Schneewittchen. „Ich kann damit auch nichts anfangen.“

„Ich brauche keinen“, berichtete die Oberfee. „In meinem Spiegelsaal entgeht mir doch ohnehin kaum etwas.“

„Mein Mann hat gestern versucht zu kochen“, erzählte Rapunzel. „Das war die reinste Katastrophe, sag ich euch. Die ganze Küche war vernebelt.“ Die Frauen lachten sich kaputt. Nach der letzten Runde verabschiedete man sich, um entweder den Heimweg anzutreten oder eines der Schlafgemächer aufzusuchen, die die Königin ihren Gästen angeboten hatte.

Die Oberfee wollte gerade ihr Schlafgemach betreten, als sie auf Prinzessin Marie stieß, die geduldig auf sie gewartet hatte. „Marie? Warum bist du noch wach? Solltest du nicht längst im Bett sein?“

„Ich möchte mit dir reden, Tante Merlinde. Unter vier Augen. Ich möchte nicht, dass Mutter davon mitbekommt.“

„Oh“, seufzte Merlinde. „Dann komm mit hinein. Ich höre dir zu. Wo liegt denn das Problem?“

Merlinde hörte sich alles geduldig an, was Marie berichtete. Irgendwann wurde sie leicht wütend. „Meiner Meinung nach ist Jasmin zu weit gegangen. Es war gut, dass du mich aufgesucht hast. Ich rede mit deiner Mutter.“

„Nein“, erwiderte Marie, „das geht nach hinten los. Nachher bekomme ich den Unmut meiner Schwester ab.“

„Keine Sorge“, lächelte Merlinde. „Wir finden eine Lösung für euer Problem. Versprochen.“

Die alleinstehende Königin war nicht gerade erfreut über das Gespräch mit Merlinde und die Informationen, die sie über Jasmin erhielt. Sie entschied sich, ein Internat für Jasmin zu suchen, da sie selber auch kaum mit Jasmin fertig wurde.

Darüber war Jasmin so wütend, dass sie sich vornahm, sich eines Tages an allen Märchenfiguren zu rächen. Und das war der Anfang der Entstehung der bösen Hexe, denn zu der wurde das böse Mädchen schließlich.

Vanessa Boecking:Autorin verschiedener Genres. Ihre Bücher: „Damian, der Zauberer“ und „Osiris, die Supermumie“.

*

Wenn ein Kind wüsste ...

Wenn ein Kind wüsste,

wie nah es doch einst seiner Mutter war,

neun Monate unter ihrem Herzen,

geborgen und geschützt vor jeder Gefahr.

Wenn ein Kind wüsste,

wie sich Eltern über sein Dasein freuen,

es als großes Geschenk betrachten

und den Schritt zur Familie nicht bereuen.

Wenn ein Kind wüsste,

wie sehr sich die Eltern um ihr Kind sorgen,

wenn es krank ist oder Probleme hat

und sie ihm ihr Denken und Gebet borgen.

Wenn ein Kind wüsste,

dass die Erziehung wirklich ist nicht leicht.

Man will es als Eltern richtig machen,

dass man das Beste für sein Kind erreicht.

Wenn ein Kind wüsste,

wie sehr man immer sein Wohl im Auge hat.

Erziehung findet zwischen liebender Nähe

und Setzen von notwendigen Grenzen statt.

Wenn ein Kind wüsste,

wie Eltern in der Pubertät an Grenzen stoßen,

da Pubertierende sie konfrontieren

und in manchen Familien Machtkämpfe tosen.

Als Eltern will man gewisse Werte,

bewusst an die Kinder und Enkel weitergeben,

denn man hat für sich selber festgestellt,

dass sie ein gutes Fundament sind fürs Leben.

Kinder brauchen liebende Nähe,

eine Struktur, Halt und immer Geborgenheit.

Im Übernehmen kleiner Arbeiten

sollen sie Verantwortung lernen mit der Zeit.

Wenn ein Kind wüsste,

wie tief und weit tatsächlich Mutterliebe reicht,

seelisch mit ihm verbunden,

sie auch vom erwachsenen Kind nicht weicht.

Eltern wollen ihrer Aufgabe gerecht werden,

doch ist Erziehung sicherlich kein Federlesen.

Sie haben eigene Erfahrungen gemacht,

waren sie doch auch selber ein Kind gewesen.

Sieglinde Seilerwurde 1950 in Wolframs-Eschenbach, der Stadt des Minnesängers Wolfram von Eschenbach (Bayern), geboren und ist von Beruf Dipl.

---ENDE DER LESEPROBE---