Wünsch dich ins Märchen Wunderland Band 5 - Martina Meier - E-Book

Wünsch dich ins Märchen Wunderland Band 5 E-Book

Martina Meier

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Märchen aus 1001 Nacht, von Hexen und Feen, von guten Mächten und bösen Vorahnungen. Von Verwünschungen und Verwandlungen. Märchen, die Herz und Seele berühren, sind Geschichten, die uns träumen lassen. Die uns in andere Welten und in alte Zeiten versetzen. Fern ab von unserer Realität und doch nicht realitätsfern. Denn in jedem Märchen steckt ein Stück Wahrheit. Lassen Sie sich entführen ins Märchen-Wunderland ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



o

Wünsch dich ins Märchen-Wunderland

Märchen für Herz und Seele im Jahresreigen

Band 5

Martina Meier (Hrsg.)

o

Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - www.papierfresserchen.de

© 2023 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2022.

Herstellung und Lektorat: CAT creativ - www.cat-creativ.at

Illustrationen und Cover: © Elena Schweitzer

ISBN: 978-3-99051-143-5 - Taschenbuch farbig

ISBN: 978-3-99051-144-2 - Taschenbuch schwarz-weiß

ISBN: 978-3-99051-091-9 - E-Book

*

Inhalt

Januar

Das Sternenkind

Paul und der kleine Flamingo

Das rasende Herz

Ausflug in die Unendlichkeit

Engelsglück

Die drei Kinder der alten Frau

Leise rieselt der Schnee

Michael und der Schneemann

Februar

Der Harlekin und der Regenbogen

Der alte Schlüssel

Der Wurm am Haken

Eine kleine Maus

März

Von dem Hasen und dem Bären

Das Küken, das nicht schlüpfen wollte

Die Suche des Drachen

Die Blume, die nicht im Frühling blühen wollte

April

Die Zauberedelsteine

Alina und der weiße Hirsch

Rotkäppchen 2.0

Ich hätt’ so gerne eine Frau

Mia und der Baum des Lebens

Meine Fantasiereise

Papas Geschichte

Ein außergewöhnlicher Tag

Die Wunderheilerin

Bäume

Woanders ist es auch nicht besser

Eine ganz besondere Freundschaft

Mai

Neila aus den Wolken

Der verlorene Bruder

Das Seifenkistenrennen

Das Märchen vom Vergissmeinnicht

Juni

Der Fisch Silberglanz

Sven und die Nacht

Das Geschenk des Ozeans

Mr. Silver

Juli

Das Schaf und der Fuchs

Die verlorene Krone

Ein kleiner Sonnenschein

Die Puderzuckerfee

Die Drachen vom Hühnerhof

Das Märchen vom traurigen Puck

August

Das Abenteuer der drei Meerjungfrauen

Besuch bei den Meermädchen

Der Kraken der Unruhe

Kornflimmern

September

Wüste trifft auf Liebe

Märchenland meets Vanessa Boecking

Das neue Postprojekt – ein modernes Märchen

Youma, die Beschützerin

Drei Tage Segen

Oktober

Reisen mit der Pusteblume

Santosh

Lucia

Bradni geht auf große Reise

Eine fabelhafte Runde

November

Die Macht der Dunkelheit

Welch Durcheinander in meiner Märchenbibliothek

Das Blaue vom Himmel

Amelias Auge

Ein Schlüssel zum Schneewunder

Drei Meerjungfrauen, drei Edelsteine

Dezember

Das Schloss des Schneekönigs

Das Märchen vom Mond

Der Stern

Das Segelschiff hinter der Nebelwand

Die Königstochter, die ein Knabe war

Weihnachten im Kuhstall

Gefallene Sterne

Die Freundschaft

Alia und die Sterne

Wie die Sterne an den Himmel kamen

Sternenschauer

Das Märchen von der Winterfee

Sternenkind

Die Sternenfischerin

*

Die Autorinnen und Autoren

Sieglinde Seiler, Mira Hellmann, Bianca Beumann, Nadin Kadner, Claudia Gers, Annabel Stenger, Luna Day, Dieter Geißler, Simone Lamolla, Andreas Rucks, Nicole Gabrys, Juliane Barth, Wolfgang Rödig, Christian Reinöhl, Florence Marie Stawinoga, Edda Gutsche, Sabrina Baierl, Herbert Glaser, Hans Peter Flückiger, Friederike Barth, Cansu Gökkaya, Tim Tensfeld, Sonja Haas, Ingrid Baumgart-Fütterer, Carola Marion Menzel, Leonie Francke, Gabriele Lengemann, Rudolf Trink, Gerald Marten, Dani Karl-Lorenz, Volker Liebelt, Selma Ruß, Annabel Händel, Cindy Paver, Helga Licher, Carina Isabel Menzel, Maximilian Mann, Monika Schlößer, Alexandra Richter, Dörte Müller, Ingrid Klute, Rebekka Tünker, Désirée Braun, Vanessa Böcking, Katja Heimberg, Hannelore Futschek, Kornelia Kirchhoff, Simon Käßheimer, Adrian Schwarzenberger, Katja Lippert, Britta Dreyer, Oliver Fahn, Richard Oppong, Jonas Müller, Christina Reinemann, Catamilla Bunk, Letizia Ramadani, Stephanie Hope, Beccy Charlatan, Christa Blenk, Achim Stößer, Jasmin Uz, Jonathan Lidl, Kristina Plenter, Bianca Buchmann, Florian Geiger, Ann-Kathleen Lyssy, Lina Sommerfeld, Chloé Key, Sarah Sophie Vierheller

*

Januar

*

Das Sternenkind

Jahraus, jahrein legt sich am Ende eines Tages das Dunkel der Nacht auf die Erde. Wenn wir zum Nachthimmel blicken und nicht gerade Regenwolken die Sicht verdecken, können wir neben dem Mond unzählige Sterne sehen, die uns ihr schönes Funkeln in der Nacht schicken und unseren Schlaf bewachen.

Leider können wir nicht alle Sterne mit unseren Augen sehen, die am Himmel stehen. Uns ist nur der Blick zu den der Erde am nächsten stehenden Sternen vergönnt. Doch gibt es große Teleskope, die viel weiter in das Weltall sehen können als wir, dorthin, wo tagtäglich neue Sterne geboren werden.

Eines Tages hatte wieder ein kleines Sternenkind zu leben begonnen. Wie das möglich ist, wissen die Menschen noch nicht. Es geschieht! Der kleine Stern hatte von seinem Schöpfer einen schönen Platz inmitten aller Sterne erhalten. Mit neugierigen Augen schaute er sich in seiner nächsten Umgebung um. Sein Nachbarstern verriet ihm, dass die Sternengruppe, die er bestaunte, einem Wagen mit Deichsel ähnelt und deshalb der Große Wagen genannt wurde. Auch entdeckte er noch einen viel kleineren Wagen am Himmelszelt, zu dem die Menschen Kleiner Wagen oder Kleiner Bär sagten, wie er hörte. Warum gerade Bär konnten sich die Sterne nicht erklären, denn wie ein Bär sah das Sternengebilde nicht aus.

Der Blick des Sternenkindes schweifte am Himmelszelt entlang. Weil es so viel zu sehen gab, hatte es viele Fragen. Ein Stern fiel ihm auf, der viel größer als die anderen war und schon bei Beginn der Dämmerung besonders hell leuchtete. Wie es erfuhr, war das die Venus, die auch Abendstern genannt wurde.

Das Sternenkind war eine ganze Zeit lang mit den Sternen beschäftigt, bis ihm ganz weit weg eine blau-weiße Kugel auffiel. Erde nannten die Sterne dieses Gebilde, von dem sie nur sehr wenig wussten.

Wenn es Nacht wurde, leuchtete das Sternenkind Tag für Tag am Himmel. Fiel sein Blick auf die Erde, machte es sich immer öfter Gedanken, wie es dort wohl aussah, und bekam Lust, die Erde zu sehen. Aber wie sollte es das nur anstellen? Es hatte doch seinen festen Platz und seine Aufgabe am Himmelszelt.

Eines Tages zischte es plötzlich laut, sodass das Sternenkind fürchterlich erschrak. Ganz nah an ihm flog eine glühende Sternschnuppe vorbei Richtung Erde. Das Sternenkind schaute der Sternschnuppe nach, bis diese in der Nähe der Erde verschwand. Es folgerte daraus, dass die Sternschnuppe die Erde ganz nah sehen konnte, und wurde neidisch. Das wollte es auch. Darum bat es den lieben Gott, es in eine Sternschnuppe zu verwandeln, damit es die Erde ebenfalls aus der Nähe betrachten könnte. Der liebe Gott hörte sich geduldig den Wunsch des kleinen Sternenkindes an.

Nach einer Denkpause sagte er zu ihm: „Liebes Sternenkind! Dass du die Erde gerne aus der Nähe sehen möchtest, kann ich mir gut vorstellen. Doch nicht alles, was meine Geschöpfe möchten, kann ihnen erfüllt werden. Wäre alles machbar und erfüllbar, hätte niemand mehr Träume. Auch die Träume sind meine Geschöpfe, die ihre Berechtigung haben und geträumt werden möchten. Das ist nicht nur bei den Sternen so, sondern auch bei den Menschen. Manche von ihnen schauen am Abend zu den Sternen empor und möchten diese sicher auch einmal von der Nähe sehen. Doch diese Möglichkeit habe ich für die Menschen nicht vorgesehen. Dir als Sternschnuppe kann ich den Wunsch erfüllen, die Erde aus der Nähe zu betrachten. Aber möchtest du das auch dann noch, wenn ich dir sage, dass du als Sternschnuppe nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hast? Du würdest die Erde zwar sehr nah sehen, vielleicht sogar auf ihr landen, aber gleichzeitig würdest Du verglühen. Das würde deinen Tod bedeuten!“

Das Sternenkind wurde ganz still und nachdenklich … Nein, sterben wollte es noch nicht, wo es doch gerade erst geboren worden war. Gott gab ihm die Zeit, sich gut zu überlegen, ob es seinen Wunsch dennoch erfüllt haben wollte.

Es dauerte nicht lange, bis das Sternenkind dem lieben Gott die Antwort überbrachte. Gründlich hatte es nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass es von seinem großen Wunsch Abschied nehmen wollte. Ein wenig traurig war es schon darüber, jedoch überzeugt davon, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Nur so konnte es sich noch länger seines Lebens erfreuen und der Erde sein helles Funkeln schicken. Den Zeitpunkt, wann es zur Sternschnuppe würde, wollte es dem lieben Gott überlassen. Dieser freute sich über den Sinneswandel seines Sternenkindes.

Noch heute strahlt es am Nachthimmel und schenkt der Erde sein Licht.

Sieglinde Seiler wurde 1950 in Wolframs-Eschenbach, der Stadt des Minnesängers Wolfram von Eschenbach (Bayern), geboren und ist von Beruf Dipl. Verwaltungswirt (FH). Sie lebt mit ihrem Ehemann heute in Crailsheim (Baden-Württemberg). Seit ihrer Jugend schreibt sie Gedichte. Später kamen Aphorismen, Märchen und Prosatexte hinzu. Ferner fotografiert sie gerne. Gedichte, Geschichten und Märchen wurden in diversen Anthologien veröffentlicht.

*

Paul und der kleine Flamingo

Vor vielen, vielen Jahren lebte einmal ein kleiner Junge namens Paul in einem versteckten Dorf am Nordpol. Er wohnte mit seiner Schwester Anouk und seinen Eltern in einem kleinen Holzhaus. Jeden Abend lag Paul in seinem Bett und konnte nicht schlafen. Er dreht sich von links nach rechts und von rechts nach links. Er zählte Schafe, lauschte der Stille und dem Knacken des Eises in der Ferne, las Bücher über warme Länder, in denen es Elefanten gab, hörte Musik und kuschelte mit seinem Lieblingskuscheltier Mimi. Aber nichts von alledem wollte helfen. Pauls Eltern waren mittlerweile genauso verzweifelt wie er selbst, denn auch sie versuchten alles nur erdenklich Mögliche. Sogar beim Dorfschamanen waren sie gewesen, um Paul zu helfen. Jedoch ohne Erfolg.

Eines Abends, als Paul wieder schlaflos in seinem Bett lag und gerade begonnen hatte, die Holzbretter an seiner Zimmerwand zu zählen, hört er ein Klopfen an seinem Fenster. Es klang, als würde jemand mit einem Schnabel ganz aufgeregt gegen das Glas pochen. Paul zog sich die dicke Daunenbettdecke bis zur Nase und überlegte, was zu tun sei. Er schielte auf seinen großen Rasselwecker. Halb zehn. Wer klopft denn um die Uhrzeit und bei der Kälte an das Fenster mitten in der Dunkelheit?

Das Klopfen wurde immer eindringlicher. Paul gab sich einen Ruck, atmete tief ein und aus und sammelte all seinen Mut zusammen. Er schlug die Bettdecke beiseite und schlüpfte in seine warmen blauen Fellhausschuhe. Vorsichtig näherte er sich dem Fenster und spähte in die Dunkelheit. Niemand war zu sehen. Nichts war zu hören. Als er sich gerade wieder umdrehen wollte, um sich wieder in sein Bett zu legen, ertönte erneut das Klopfen. Paul runzelte die Stirn.

„Wer ist denn da?“

Stille.

Dann ertönte eine piepsige Stimme von draußen. „Bitte lass mich rein. Ich friere so sehr.“

Paul war verunsichert. „Und wer bist du genau? Ich darf keine Fremden ins Haus lassen.“

„Ich heiße Flamingu. Ich bin, na ja, eine Art Pinguin-Flamingo. Ich wollte hier Urlaub machen, aber im Reiseprospekt stand nirgendwo, dass es hier viel kälter ist als am Südpol. Sonst hätte ich mir einen Schal eingepackt oder hätte einfach Tante Abla in Afrika besucht.“

Paul verstand nur noch Bahnhof. Rasch öffnete er das Fenster und herein kam ein rosafarbener Pinguin gewatschelt. Mit einem Plumps landete er auf dem Holzboden und sah sich neugierig um. Paul schloss das Fenster und schüttelte verwundert den Kopf.

Flamingu legte den Kopf schief und beobachtete den immer noch fassungslosen kleinen Jungen im dunkelblauenblauen Fleeceschlafanzug. „Vermutlich kommen nicht allzu häufig Pinguine an den Nordpol“, dachte sich Flamingu und überlegte, wie er das Eis zwischen sich und dem Jungen brechen konnte.

„Gemütlich hast du’s hier. Wie heißt du?“

„Ich heiße Paul. Warum bist du rosa und warum bist du hier?“

Flamingu wurde ein wenig rot um den orangefarbenen Schnabel herum. Er räusperte sich ein paar Mal verlegen.

„Meine Mama ist ein Flamingo und mein Papa ein Pinguin. Deswegen bin ich ein rosafarbener Pinguin. Bisher habe ich am Südpol gewohnt und bin immer nur in Afrika im Urlaub gewesen. Ich wollte gerne noch mehr von der Welt sehen und hatte im Reisebüro ein Prospekt vom Nordpol gefunden.“ Flamingus Blick blieb an Pauls Bett hängen. „Du sag mal, ich bin schrecklich müde und noch ganz durchgefroren. Wollen wir uns nicht zusammen in dein Bett legen?“

Pauls Mund klappte vor Erstaunen auf. „Aber da liegen schon ich und meine Kuscheltierkatze Mimi und außerdem kann ich eh nicht schlafen.“

Flamingu flatterte kurz vor Verwunderung mit seinen Flügeln. Ein paar kleine rosa Federn stoben in die Luft. Paul musste kichern.

„Warum kannst du denn nicht schlafen?“

Paul zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Konnte ich noch nie. Wir haben schon alles versucht. Sport, Musik, Kräutertee. Hilft alles nichts.“

Flamingu verzog verächtlich das Gesicht. „Igitt. Kräutertee. Ist ja kein Wunder, das du dann nicht schläfst. Mama hat mir immer eine warme Milch gemacht, als ich klein war. Habt ihr Milch im Haus? Soll ich dir eine warme Milch zubereiten? Darf ich dann mit in deinem Bett schlafen?“

Paul seufzte. Dann nickte er. „Auf einen Versuch mehr oder weniger kommt es jetzt nicht mehr an“, dachte er sich. Er bedeutete Flamingu, ihm leise zu folgen.

Auf Zehenspitzen huschten die beiden in die Küche. Paul kramte so leise wie nur irgendwie möglich den Milchtopf aus dem Küchenschrank und stellte ihn sachte auf den Ofen. Das Letzte, was er wollte, war, dass seine Mutter ihn spätabends in der Küche beim Milchkochen mit einem rosanen Pinguin erwischte. Am Ende müsste er noch einmal Zähne putzen und darauf hatte er nun wirklich keine Lust.

Paul schüttete nach Flamingus Anleitung die Milch in den Topf. Flamingu suchte inzwischen zwei große, pastellblaue Tassen aus dem Schrank. Die würden gut zu Pauls Schlafanzug passen, meinte er.

Wenige Minuten später saßen Paul und Flamingu mit ihren Tassen in Pauls Bett und lächelten zufrieden. Paul trank die ersten Schlucke seiner warmen Milch. Er zog seine Kuscheltierkatze Mimi näher an sich heran und spürte eine wohlige Wärme in sich aufsteigen. Paul gähnte. Eine bleierne Müdigkeit überkam ihn.

Flamingu lächelte zufrieden und nahm Paul die Milchtasse ab. „Und, wirst du müde?“

Paul nickte schläfrig und kuschelte sich in seine Decke ein. Flamingu stellte die Tassen beiseite und löschte das Licht. „Gute Nacht, Paul.“

„Gute Nacht, Flamingu.“ Innerhalb weniger Sekunden war Paul tief und fest eingeschlafen.

Am nächsten Morgen stellte Paul seinen Eltern Flamingu vor und erzählte von dem Geheimnis mit der Milch. Seine Eltern waren begeistert von der Idee, da nun endlich der Bann der schlaflosen Nächte gebrochen war.

Von nun an trank Paul jeden Abend vor dem Zubettgehen eine warme Milch und schlief jede Nacht wie ein Stein. Flamingu verbrachte noch ein paar Tage bei Paul und sah sich das Dorf, die Umgebung und vor allem das viele Eis an. Natürlich durfte er die ganze Zeit über bei Paul im Bett schlafen und mit der Familie zusammen abends eine warme Milch trinken. Er bekam als Dank für seine Hilfe von Pauls Eltern eine extra warme Jacke geschenkt. Sie war bestickt mit den traditionellen Farben und Perlen des Dorfes.

Paul und Flamingu wurden gute Freunde und versprachen sich einander nie zu vergessen und sich immer gegenseitig zu besuchen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann trinken sie noch heute zusammen eine warme Tasse Milch.

Mira Hellmannwurde 1994 in Nordrhein-Westfalen geboren, wuchs aber in einem kleinen Dorf in Sachsen auf. Sie besuchte das Gymnasium und schrieb dort ihr erstes Buch „Irgendwo da draußen.“ Dieses wurde 2013 veröffentlicht. Während Mira Hellmann fleißig studierte und sich anschließend in die Arbeitswelt stürzte, schrieb sie ihr erstes Kinderbuch „Acht Gutenacht-Geschichten“, erschienen in Papierfresserchens MTM-Verlag. Für die Kurzgeschichte „Der verliebte Igel und die kleine Eule“ aus diesem Buch gewann die Autorin 2016 den „Nachwuchspreis Literatur im Erzgebirge.“ 2019 wurde mit „Welt der Schnecken“ ihr drittes Buch veröffentlicht.

*

Das rasende Herz

An einem grauen Wintertag schaut ein Mädchen in die Ferne der rauen, schottischen Landschaft. Die Felsformationen wirken trotz der klirrenden Kälte beruhigend auf das regelmäßig schlagende Herz in seiner Brust. Dieser Ort hat etwas Magisches, es ist förmlich greifbar, kribbelt auf seiner kühlen Haut. Das eben noch ruhige Herz beginnt zu rasen. Es spürt bereits die Dinge, die das Mädchen nicht sehen und begreifen kann. Der Kopf sieht nur das, was sich tatsächlich abspielt.

Diesen inneren Zwiespalt kennt das Mädchen bereits. Wie oft schon waren sich sein Herz und sein Kopf uneins. Doch worauf soll man hören? Das Herz neigt zu leidenschaftlichen Entscheidungen, wagt sich in tiefe Schluchten, in denen Gefahren lauern könnten. Der Kopf hingegen sendet sofort Warnungen aus und lässt das Mädchen innehalten. Er urteilt nach Fakten, Erlebnissen und Erfahrungen. Wie viele Abenteuer hat es wohl dadurch schon verpasst? Vielleicht sind ihm aber auch schlimme Erfahrungen erspart geblieben. Dieser Kampf tobt schon so lange in ihm. Traurig und ratlos starrt es in die Landschaft.

Plötzlich taucht ein Irrlicht auf. Es flackert hell über dem gefrorenen Boden. Das Mädchen fühlt, dass es ihm folgen soll. Doch da kommt sein Kopf ins Spiel.

„Was ist, wenn etwas Schlimmes auf mich lauert?“

Das rasende Herz in seiner Brust und dieses einzigartige Gefühl, dass da etwas Besonderes warten könnte, lässt das Mädchen loslaufen. Die Angst verschwindet und es folgt dem Irrlicht weiter in die grauen Berge hinein.

Als es an einem Steinkreis auf einer großen Lichtung ankommt, hält es inne. Die Nacht ist bereits hereingebrochen und der Vollmond taucht die Umgebung in ein blasses Licht. Um den Steinkreis herum leuchten Hunderte kleine Irrlichter. Der Wind zieht auf und wirbelt um die großen, massiven Steine. Die Farben der Steine variieren und scheinen von einem magischen Schimmer umgeben zu sein. Kann das wirklich ein Tor zur Anderswelt sein? Die Anderswelt, die es nur aus Erzählungen kennt? Eine Welt der Geister und Feen. Es erscheint ein Schatten, der sich rasch verdichtet.

Die Gestalt einer wunderschönen Frau mit schwarzem Haar und freundlichen Augen erscheint. Sie hat zarte Flügel und scheint über dem Boden zu schweben. Es ist eine Fee. „Komm näher, ich habe schon lange auf dich gewartet.“

Mit wackligen Beinen geht das Mädchen in den Kreis.

„Dein Kopf und dein Herz sind nicht im Einklang. Du kannst erst wahrhaft glücklich sein, wenn du dich deiner Angst vor Verletzungen stellst und deine tiefen Gefühle zulässt.“ Die Fee hebt beide Hände und schaut lächelnd zum Mond.

Wie von Zauberhand strahlt der Himmelskörper und ein Wirbel hellen Lichtes trifft auf die Erde. Das Mädchen wird in das Mondlicht getaucht und fällt in einen tiefen Schlaf. Aus seiner Brust tritt das Herz und verwandelt sich in einen Löwen. Neben ihm erscheint ein Steinbock, der Kopf des Mädchens. Beide Tiere sind besonders auf ihre eigene Art.

Der treue, willensstarke Steinbock hat viel Durchhaltevermögen und ist stets besonnen. Ein verlässlicher Partner. Aber durch seine schweigsame und zurückhaltende Art kommt es öfter zu Irrtümern. Wenn er nicht lernt, sich denen zu öffnen, die ihn lieben möchten, kann sein Herz nicht wahrhaft aufblühen.

Der temperamentvolle Löwe zeigt sich warmherzig. Er lässt sich von Wagemut leiten, trifft leidenschaftlich Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Doch seine Impulsivität und sein einnehmendes Wesen lassen ihn oft das große Ganze aus den Augen verlieren. Er muss lernen, geduldiger zu sein, weil die schönen Dinge Zeit und Raum brauchen, um gedeihen zu können.

Die Fee sieht erst liebevoll auf das schlafende Mädchen und dann auf die beiden. „Am Ende der Ebene findet ihr eine Höhle. In ihr gedeihen viele Pflanzen. Eine schöner als die andere. Die Auswahl ist beträchtlich, aber nur eine wird die richtige sein, die das Mädchen erwachen lässt. Nur gemeinsam werdet ihr sehen und fühlen können, welche es ist. Wählt besonnen, übt euch in Geduld und bewältigt die Herausforderungen gemeinsam.“

Die beiden stolzen Tiere begeben sich auf den Weg. Der Steinbock verschafft sich einen Überblick. Will schauen, ob man von einem höheren Punkt bereits etwas erkennen kann. Der Löwe hingegen will loslaufen, seinem Bauchgefühl vertrauen und sich von seinem Instinkt leiten lassen. Beide sind stur und wollen nicht nachgeben. Der Löwe scheut sich davor, dem unnahbaren Steinbock zu vertrauen. Durch die kühle Art ängstigt sich der Löwe davor, dem Steinbock sein Herz zu offenbaren. Dem Steinbock hingegen fällt es schwer, den Emotionen und der Intuition des Löwen zu vertrauen, da diese nicht logisch scheinen. Es fehlen Fakten und Tatsachen.

Doch dann erinnern sich beide an die Worte der Fee. Sie erkennen, dass Gefühl und der Verstand untrennbar verbunden sind. Mit dieser Einsicht gehen beide einen Schritt aufeinander zu. Der Löwe begibt sich neben den Steinbock und beide schauen nach Anzeichen der Höhle. Während der Steinbock strategisch das Gelände überschaut, vertraut der Löwe auf sein Gefühl und lässt seinen Blick schweifen.

In der Ferne erkennt er einen Felsen. Dieser scheint halb Herz, halb Kopf zu sein, in der Mitte ist eine schmale Öffnung. Das muss die Höhle sein. Der Steinbock vergewissert sich und beginnt dem Löwen zu vertrauen. Gemeinsam laufen sie zur Höhle.

Diese wird vom tränenden Herz umrankt. Im Inneren befindet sich ein Ufer. Der hintere Teil der Höhle ist durch das Wasser abgetrennt. Nur sehr kleine schmale Steine führen hindurch. Der Löwe läuft bereits zum Ufer, will kühn ins Wasser laufen. Der Steinbock stoppt ihn rechtzeitig. Nicht aus bösem Willen, sondern weil er innegehalten hat und im Wasser die drohende Gefahr erkannte. Seerosen, wohin das Auge reicht. Wunderschön, aber unter Wasser lauert die Gefahr. Der Löwe kann sich in den langen Stielen verfangen und ertrinken. Also bietet der Steinbock an, das Gewässer allein zu überqueren, da er auf den kleinen Steinen Halt finden wird.

Im Löwen lauert die Angst aufgrund des fehlenden Vertrauens. Die zurückhaltende Art lässt den Löwen an der Verbundenheit zweifeln. Der Löwe hat aber keine Wahl, wenn er das Mädchen retten will. Angekommen im Blumenmeer hat der Steinbock den Löwen fast vergessen und beginnt nach der richtigen Pflanze zu suchen. Er prüft erfolgsorientiert Fakten. Ist es die schönste? Die mit der größten Heilkraft?

Der Löwe am anderen Ufer beobachtet das Geschehen und spürt, dass der Steinbock nicht auf sein Herz, sondern nur auf seinen Verstand hört. Er weiß auch, dass der Bock wahrscheinlich zu stur ist, um den Argumenten des Löwen zu folgen. In sich gekehrt wägt der Löwe ab und stellt sich seinem inneren Schmerz. Sein großes Herz trifft trotz der schwierigen Umstände die Entscheidung, weiter gemeinsam zu gehen. Die Verbundenheit, die er fühlt, ist echt, unerwartet aber voller ehrlicher Liebe.

„Steinbock halte inne. Es ist nicht nur die Logik, die uns ans Ziel führt. Bedenke den Einklang aus Gefühlen und wohlüberlegten Entscheidungen.“

„Es ist das Gänseblümchen“, sagt der Löwe leise, immer noch etwas ängstlich, sein Herz ganz zu offenbaren.

„Wie kannst du dir so sicher sein?“, fragt der Steinbock.

„Das Gänseblümchen steht für die Liebe.“

In dem Moment fühlt der Steinbock sein Herz und die vergrabenen Gefühle. Es ist das Gänseblümchen, das spürt er.

Gemeinsam bringen sie es zur Fee. Diese lächelt und sagt: „Manchmal sollten wir aufhören zu zweifeln,und Vertrauen haben, dass alles gut wird. Nur wenn Herz und Verstand im Einklang sind, kann der Mensch glücklich sein. Eine stets ehrliche Verbundenheit zweier Menschen die auf Nähe, Liebe, Vertrauen, Anziehung und Respekt der Gegenseiten Gefühle basiert, wird uns im Laufe des Lebens mehr zurückgeben, als der größte geschäftliche Erfolg.“

Löwe und Steinbock lösen sich auf und kehren als Herz und Kopf in das Mädchen zurück. Von nun an lebte es glücklich bis ans Ende seiner Tage.

Nadin Kadnerist 35 Jahre alt und lebt in Werder an der Havel. Zu diesem Märchen hat sie ein ganz besonderer Mensch inspiriert. Es ist manchmal nicht ganz einfach, Kopf und Herz zusammenzubringen. Aber gerade das sollten alle für ein positives zwischenmenschliches Miteinander lernen.

*

Ausflug in die Unendlichkeit

„Hast du dich mal gefragt, ob es wirklich Karma gibt?“, fragte Joy ihre engste Freundin. Die beiden saßen nicht weit entfernt von dem Waisenhaus, in dem sie untergebracht waren, an einem Waldesrand. Wie so oft hatten sie sich mitten in der Nacht herausgeschlichen.

„Ich weiß nicht, aber ich glaube gerne dran. Denn das hieße, dass all den bösen Menschen endlich Gerechtigkeit widerfahren würde.“

Joy schaute zu ihrer Freundin, sie sprachen nicht oft über ihre Vergangenheit, doch wussten beide, dass sie eine hatten. Die Verbitterung Cecilias Stimme ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken fahren. Die blond gelockte Schönheit schaute hinauf in den Nachthimmel, angelehnt an einen Baum.

Sehnsüchtig schaute Joy nun auch hinauf. Wünschte sich weit fort in eine Welt, die besser zu ihr passte. Aus einem Impuls heraus fing sie an, den Baum zu erklimmen. Die Blätter raschelten, als würden sie ihr Vorhaben befürworten und sie anfeuern. Ast um Ast erkämpfte sie sich ihren Weg hinauf. Einfach nur, um den Sternen ein klein bisschen näher zu kommen.

„Joy!“, rief Cecilia besorgt herauf. „Was ist denn in dich gefahren!“

„Ach was, Sisi, mir passiert nichts“, rief Joy herunter aus der Baumkrone.

Der Wind spielte mit ihren Haaren und sie blickte in den Himmel. Da zog eine Sternschnuppe am Nachthimmel entlang. Joy wünschte sich etwas – und da fiel ihr etwas auf. Sie streckte die Hand danach aus und spürte, wie sie etwas an Halt verlor.

Plötzlich umgab sie ein gleißendes, hellblaues Licht, doch sie machte sich nicht weiter Gedanken darüber. Nun musste sie die Augen schließen, das Licht war so grell, sie dachte, sie würde jeden Moment erblinden. Schützend hielt sie ihre Hände vors Gesicht, als sie plötzlich etwas Weiches unter sich spürte. Es war warm, doch sie roch nicht mehr die frische Sommernachtsbrise. Vorsichtig öffnete sie die Augen.

Überall war die Umgebung nun in Pastellfarben gehüllt und unter ihr war irgendwas Weiches, ja, als säße sie auf einer riesigen Zuckerwatte. Die war leicht rosa und so flauschig. Sie lud einen ein, sich nach hinten sinken zu lassen und die Augen für einen Moment zu schließen. Joy ließ sich zurückfallen und die Zuckerwatte federte. Blumenduft lag in der Luft und irgendwo entfernt, dachte sie, höre jemanden singen. Ganz leise und hoch, doch wunderschön. Sie blickte hinauf in ein helles Blau, es schien sanft und weich, und sie hätte nie gedacht, dass sich eine Farbe so anfühlen könnte.

Sie liebte es zu schreiben – Gedichte, die schafften es, dass sie sich wie in einer fantastischen Geschichte fühlte oder dass sie in der romantischen Vergangenheit schwelgen konnte. Gerade hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, dass ein Ort so schön wie die Lyrik sein konnte. Romantisierende Worte malten das Bild dazu, die Melodie sogar der Duft. Hier konnte man die Unendlichkeit verbringen.

Langsam fielen Joys Augen zu. Doch da, plötzlich, ganz sanft, streifte eine Stimme an ihr Ohr. „Na, na, du bist doch noch viel zu jung, um hier zu sein.“ Joy wurde aus ihrem Traum gerissen und erblickte eine Frau in einem blauen Kleid. Die hatte die gleichen wunderschönen Locken wie Cecilia und die gleichen roten, vollen, geschwungenen Lippen. „Cecilia?“, fragte Joy verschlafen.

Ein zartes Lächeln schmückte nun die Lippen der Frau. „Du hattest eine Frage, mein Kind?“ Joy fiel fast aus diesem Traum – oder was immer das hier auch war –, als sie die strahlend weißen Flügel bemerkte. Sie drehte ihren Kopf hin und her, als sie bemerkte, dass ihre Füße nicht das weiche Etwas um sie herum berührten. Ganz kleine, ja, schon fast lachhafte Flügelchen schmückten nun ihren Rücken. Sie erschrak fast zu Tode. „Du darfst mir eine Frage stellen, bevor ich dich zurückschicke“, wiederholte die Frau in diesem Moment.

„Aber ich habe viel zu viele Fragen“, antwortete Joy.

„Dann gestehe ich dir drei Fragen zu, weil du so ein gutes Kind bist, aber nur, wenn du versprichst, dies für dich zu behalten.“

Joy nickte und stellte ihre erste Frage: „Wo bin ich hier?“

„Du bist in der Unendlichkeit, wo alles so ist, wie man es sich wünscht.“

Dann kam die zweite Frage; „Wer bist du?“

Da schmunzelte die Frau. „Ich bin ein Schutzengel. Ich behüte alle Menschen und Tiere, insbesondere diejenigen, die ich vor der Unendlichkeit geliebt habe. Ich liebe die Welt. Doch noch mehr liebte ich meine Tochter.“ Joy wusste nun, wer die Frau war, und auch, warum Cecilia nie über sie sprach.

„Gibt es Karma und Gerechtigkeit?“

Wieder huschte ein kleines Lachen über die Lippen der Frau, als hätte Joy etwas unwahrscheinlich Lustiges gesagt. „Natürlich, sonst wärst du nicht hier. Gib acht auf sie für mich.“

„Wie meinst du das?“, fragte Joy verwirrt.

Die Frau schüttelte lachend den Kopf. „16 Jahre ist viel zu jung. Ich hoffe, ich sehe dich nicht so bald wieder in der Unendlichkeit. Sieh es als Ausflug in ein Land der Märchen an und glaub nicht zu sehr daran. Hol dir jetzt deine Belohnung“, meinte die Frau lachend.

Joy war nun verwirrter als vor ihren Fragen und den Antworten. Es hatte sich ein riesiger Knoten in ihrem Kopf gebildet. Sie wollte gerade den Mund öffnen, da wurde plötzlich alles dunkel. Sie war erst panisch, denn sie sah und fühlte nichts mehr. Doch dann war sie urplötzlich eingehüllt in Cecilias Parfum, fühlte ein flauschiges Eichhörnchen, das sie vor dem Fall in die Tiefe bewahrt hatte, in ihrer Hand und das feuchte Gras im Rücken. Langsam öffnete sie die Augen.

„Joy! Joy! Endlich! Ich dachte schon, du wärst tot! Wir schleichen uns nie wieder raus“, rief ihr eine verweinte Cecilia entgegen. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“, warf sie ihr dann an den Kopf.

Joy öffnete langsam die Hände und das Eichhörnchen entfloh ihrem Griff. Cecilia warf ihr einen vorwurfsvollen Blick entgegen. Joy schmunzelte und versuchte, sich aufzusetzen, stöhnte jedoch vor Schmerzen auf. Besorgnis huschte über das vor Tränen gerötete Gesicht. Langsam streckte Joy die Hand aus, um die Tränen wegzuwischen.

„Ich dachte, ich hätte dich verloren. Ich hätte mir das nie verzeihen können“, gab die sonst so distanzierte kühle Cecilia zu.

Joy lächelte sie an und plötzlich spürte sie die Wärme von Cecilias Lippen auf den ihren. Ihr Sternschnuppenwunsch war in Erfüllung gegangen. Dieser Moment könnte ewig dauern, wenn es nach Joy ging. Die Belohnung? Ein weiterer Ausflug in die Unendlichkeit, doch dies hier war ihr um ein Tausendfaches lieber. Und vielleicht leben die beiden noch heute in der Unendlichkeit zusammen.

Bianca Beumann, 16 Jahre alt, geht noch zur Schule. Ihr großer Wunsch war immer, Karriere als Schriftstellerin zu machen.

*

Engelsglück

Es war einmal ein Mädchen, das eines Morgens in einem Raum aufwachte. Es fühlte sich so müde, als hätte es seit Jahrhunderten nicht mehr geschlafen. Dabei zeigten die Spuren neben ihm auf dem Boden etwas ganz anderes. Es sah so aus, als hätte jemand es hierhergeschleppt. Erst jetzt nahm das Mädchen über sich auch die Stimmen wahr. Wo war sie? Und noch viel wichtiger: Warum war sie hier?

Vorsichtig bewegte das Mädchen sein Bein, doch es schmerzte. Etwas widerstand in ihm, kaltes Blut floss durch die Adern. Stunde um Stunde verging, ohne dass irgendetwas passierte. Dann hörte es ganz plötzlich ein Klopfen. Es kam immer näher. Das Mädchen beugte sich zu der einen Seite, als schösse ein Blitz durch die Wand. Doch der Blitz bestand mehr als nur aus Licht – es war ein Brocken aus massivem Fels. Es hörte nur noch seinen eigenen Schrei, bevor alles dunkel wurde.

Das Mädchen wachte in einem Raum auf, nicht viel heller als der vorherige. Das Letzte, an das es sich erinnern konnte, war das spärliche Licht, das durch die Ritzen in den Mauern drang. Es hob den Blick. Auf einem Tisch vor ihm stand ein großes Glas voller grüner Flüssigkeit. Das Mädchen richtete sich mit der letzten Kraft auf, ging zum Tisch und leerte den Krug in einem Zug. Es musste sich schütteln – und es ätzte ihr beinahe den Hals weg. Die Flüssigkeit brannte fürchterlich, als wolle sie es töten. Ein Rauch umgab das Mädchen, doch es war sich sicher, dass das nicht der Tod sein konnte. Und ganz plötzlich tauchte es inmitten dieses Rauches wieder auf. Aber jetzt war es grüne Haut, die seine vier Beine bedeckte. Und mit dem Aussehen eines Drachens kamen auch Erinnerungen wieder: Zehn Jahre würde es dauern, bis dieses Aussehen sich wieder löste! So lange würde das Mädchen von den Menschen angestarrt und eingefangen werden. Es breitete die Flügel aus, denn es wollte die zehn Jahre nicht in dem dunklen Raum verbringen. Daher flog es los, bis es einen Ausgang gefunden hatte, und wurde auch nicht langsamer, ehe der große Nadelbaumwald sich vor ihm erstreckte.

„Es ist schön, zu fliegen, aber was sollen nur die Vögel denken, wenn sie mich fliegen sehen? Was sollen die Marienkäfer über mich erzählen, wenn sie sehen, wie viel Feuer ich speien kann? Und was glauben die Schmetterlinge, wenn sie meine hässliche Drachenhaut neben ihren wunderbaren Flügeln sehen? Ich wünscht, ich wär’ ein Engel am Himmel, der singt, tanzt, lacht, fliegt und so holden ist!“, dachte es. Es schmerzte dem Mädchen das eiserne Drachenherz. Wäre es doch bloß nicht in die Höhle der Drachen eingedrungen, dann hätte es sich niemals verwandelt!

Von hier oben konnte das Mädchen die Dörfer der Menschen erkennen – winzig wie von kleinen Püppchen. Mutter und Vater mussten ihre Tochter sehr vermissen. Dabei flog sie über ihnen und wartete nur darauf, von ihrem bösen Fluch befreit zu werden.

So traf das Mädchen nach kurzer Zeit auf eine Höhle aus tiefen, weißen Wolken gemacht. Mit seinen scharfen Krallen kratzte es an der Tür. Dabei vergaß es, dass es eine sehr tiefe Stimme bekommen hatte, und knurrte: „Öffnet mir die Tür!“

Ein alter Herr öffnete und trotz seines entsetzlichen Anblicks schreckte er nicht zurück. „Was führt dich hierher?“, krächzte er mit heiserer Stimme.

Das Mädchen knurrte, ohne es wirklich zu wollen, und spuckte dabei sogar einiges an Feuer. Dann hörte es hinter dem alten Herrn ein leises Kichern, süß und doch ziemlich frech hörte es sich an, als besäße er einige Enkeltöchter. Der Drache dachte sich nichts dabei und presste nur die fletschenden Zähne unter einem fleischigen Grinsen hervor.

„Kommen Sie herein!“, bat der Herr.

Trampelnd musste das Mädchen sich ducken, um nicht gegen den Türrahmen zu stoßen. Es war ein schlichtes Kämmerlein, in dem unzählige kleine Zwerge umhersprangen oder auf Möbeln herumturnten. Kaum hatte der Drache das Kämmerlein betreten, hüpfte ein freudiger kleiner Zwerg auf ihn zu. Er lächelte erneut ein Zähne entblößendes Grinsen und der Zwerg sprang gleich darauf auf seinen Rücken. Der Drache lachte, dabei rauchte es aus dem Drachenmund. Der alte Herr stimmte mit ein und so erhob er sich. Das Kichern des Zwerges verbreitete sich über den ganzen Himmel. Es fühlte sich frei an, das Kribbeln von Aufregung im Magen.

Bis vor wenigen Stunden noch hatte das Mädchen nicht einmal an Drachen geglaubt, ehe es sich schließlich in einen verwandelt hatte. Und jetzt saß auf seinem schuppigen Rücken ein Zwerg, der sich an seinen Flügeln festhielt?

Ruck! Was war denn das? Das Mädchen erschrak und bremste seinen Gleitflug. Doch etwas Ähnliches wie Wind war keineswegs aufgezogen. „Alles in Ordnung?“, fragte es das Männlein.

Ein leises Kichern, noch frecher als zuvor.

Es ruckte mit dem Kopf. Doch bevor es auch nur das breite Grinsen voller Gift sehen konnte, schlug ihm eine kleine Faust gegen die Stirn. Es war wie ein dicker Stein, der sie in Ohnmacht schickte wie eine Taube einen Brief. Das Mädchen wollte schreien, aber es kam nicht einmal ein wenig Feuer aus ihrem Maul. Es fiel. Immer tiefer und noch tiefer, als wäre es noch nicht genug. Über sich sah es den Zwerg noch winziger.

Und auf einmal wurde ihm klar, warum es sich gerade im freien Fall befand. Ein letztes Mal schaffte der Drache doch noch ein wütendes Knurren und spie ein bisschen Rauch. Der Zwerg ließ sein leises Kichern hören. Das Mädchen lag hilflos in der Luft. Es fiel buchstäblich aus allen Wolken. Unter ihm waren scharfe Felsen, die seinen Rücken aufschneiden würden. Die Erde zog es wie ein riesiger Magnet nach unten, so, als riefe eine Stimme den Drachen.

Kein Mensch war weit und breit zu sehen, der dem Mädchen helfen konnte. In der Luft überschlug es sich mehrmals und bei jedem Blick nach oben in die Wolken schrumpfte der Zwerg. Am liebsten hätte es ihn schwarz gebrannt mit seinem Feuer, das es seit seiner Verwandlung speien konnte. Hoffentlich fielen Gedanken ihm nicht zum Urteil.

Was nun? Es war das Ende. Ein für alle Mal. So viel Glück konnte man nicht haben. Vielleicht war der Drachenkörper nur der Übergang aus dem Leben in den Tod gewesen. Es schloss die Augen und betete zu Gott, doch es wurde schwieriger, je weiter es sich entfernte. Auf einmal spürte es ein warmes Leuchten an seinen Extremitäten und anstatt weiter zu fallen, wurde es plötzlich vom Wind getragen. Jetzt traute es sich auch, die Augen zu öffnen. Um zu fliegen, breitete das Mädchen aber nicht seine Drachenflügel aus, nein, diese hatten eine ganz andere Farbe und Form bekommen. Es wollte seinen Augen nicht trauen. Träumte es das alles nur? Jetzt waren es goldene in herzähnlicher Form.

„Ich habe Engelsflügel, ich bin ein Engel! Ich kann das kaum glauben!“ Es war doch noch nicht alles vorbei! Der Wind trug es wie eine Seifenblase durch die Lüfte. So frei hatte es sich noch nie zuvor gefühlt. Das Mädchen trug ein weißes Kleid, wunderschön mit goldenen Sternchen, die mit ihm zusammen vom Himmel heruntergeregnet waren, nachdem der Zwerg es am Drachenflügel verletzt hatte.

Es zog Kreise wie die Zugvögel und kicherte dabei, aber ein deutlich schöneres Lachen als das des Zwergs. Der würde Augen machen, wenn sie sich wiedersahen. Es erklomm die Wolken wie eine Treppe. Schon bald sah es die Wolke, von der es heruntergefallen war. Jetzt würde das Mädchen es dem kleinen Wicht zeigen, so ging man nicht mit Drachen um! Lächelnd strich es noch einmal über sein Kleid und die Flügel. Kaum zu glauben, was man alles im Leben sein konnte!

Seine goldenen Flügel trugen das starke und tapfere Drachenmädchen noch sehr weit. Und wenn es bis heute nicht gestorben ist, weil es so viele Leben lebte, dann lebt es noch heute!

Annabel Stenger, 13 Jahre, schreibt Geschichten, seitdem sie acht Jahre alt ist.

*

Die drei Kinder der alten Frau

Es war einmal im tiefsten Januar, da saß eine alte Frau auf einem Baumstumpf im Wald und weinte bitterlich. Das sah eine junge, hübsche Frau, die zufällig des Weges kam. Mit wohlklingender Stimme fragte sie: „Was macht dich denn so traurig, Mütterlein?“

Die alte Frau hob ihren Kopf, sah die junge Schönheit und vertraute ihr an: „Ich weine um mein Leben. Das wird nun bald vorbei sein und ich bin schrecklich einsam. Wie sehr bereue ich es, dass ich nie geheiratet und Kinder in die Welt gesetzt habe. Ich habe solche Sehnsucht danach.“

Da veränderte sich die Gestalt der jungen Frau plötzlich, sie bekam eine gebückte Haltung, die Nase und das Kinn wuchsen und die Augen nahmen einen bösartigen Glanz an. Die alte Frau erkannte in ihrem Gegenüber eine Hexe!

Diese aber sprach: „So so, du möchtest also eine zweite Chance auf dein Leben? Diesen Wunsch kann ich dir gewähren. Aber ich verlange eine Gegenleistung, nur eine ganz geringe.“

Die Alte guckte hoffnungsvoll, aber auch misstrauisch zu der Hexe auf, wohlwissend, dass ein Hexenzauber auch seine Kehrseiten hatte.

„Was verlangst du dafür?“, fragte sie leise.

„Wenn du Kinder gebären wirst, so schenke ich dir deine Söhne, solltest du aber eine Tochter bekommen, so wird sie mir gehören!“, antwortete die Hexe.

Schweren Herzens willigte die Alte ein, so sehr wünschte sie sich eine Familie. Die Hexe sprach ihren Zauber und sogleich verwandelte sich die schrumpelige alte Frau in eine zauberhafte junge Dame mit langem, blond gelocktem Haar und einem fröhlichen Gesicht. Verzückt über ihre neue Jugend drehte sie sich im Kreis und lachte überglücklich.

Da sprach die Hexe: „Nun höre genau zu, das ist sehr wichtig. Solltest du irgendwann einmal einen Sohn bekommen, so stelle eine Kerze in dein Fenster und sage die Worte: Rumkadei, rumkadamm, im Wieglein liegt ein Sohnemann. Wird dein Kind allerdings ein Mädchen sein, so stelle eine Rose ins Fenster und spreche: Rumkadamm, Rumkadei, es ist ein Mädchen, komm herbei!“

Die nun junge Frau versprach, den Angaben Folge zu leisten, und rannte verzückt zum Markt ins nächste Dorf. Mit ihrem hübschen Antlitz und dem strahlenden Lachen blieb sie nicht lange unbemerkt. Bald schon versammelte sich eine Horde junger Männer um sie. Einer von ihnen gefiel ihr sehr, so lernten sich die zwei näher kennen und lieben. Bald schon wurde Hochzeit gefeiert und sie zogen gemeinsam in sein schönes Haus am Waldrand. Die Frau konnte ihr Glück kaum fassen. Vervollständigt wurde es noch, als sie bemerkte, dass sie ein Kind erwartete. Hin und wieder schlich sich ein nagendes Angstgefühl in ihre Seele. Was, wenn ihr Kind ein Mädchen wäre? Würde die Hexe es holen kommen? Zu ihrem Glück gebar sie einen gesunden, kleinen Sohn.

Wie versprochen stellte sie die Kerze ins Fenster und sprach die Worte: „Rumkadei, rumkadamm, im Wieglein liegt ein Sohnemann.“

Nichts geschah und so nannte sie ihren Sohn Primus und sie waren eine zufriedene, liebende Familie. Schon bald wurde sie erneut schwanger und auch ihr zweites Kind war ein Junge. Wieder stellte sie eine Kerze ins Fenster und sprach die Worte: „Rumkadei, rumkadamm, im Wieglein liegt ein Sohnemann.“ Ihren zweiten Sohn nannte sie Secundus. Beide Kinder entwickelten sich zu gesunden, starken Jungen.

Nach einiger Zeit merkte die Mutter, dass sie wieder ein Kind unter dem Herzen trug. Als die Geburt vorüber war, blickte sie in das Antlitz eines kleinen Mädchens. Sogleich wuchs ihre Liebe ins Unermessliche, auch wenn die Angst die Freude trübte. Sie konnte ihr kleines Töchterchen nicht weggeben. So stellte sie wieder eine Kerze ins Fenster und sprach die Worte: „Rumkadei, rumkadamm, im Wieglein liegt ein Sohnemann“, wohlwissend, dass sie die Unwahrheit sprach. Die Lüge machte ihr Herz schwer, aber es half nichts. Sie konnte ihre Tochter nicht fortgeben. Die Eltern nannten ihre Tochter Tertia. Die Mutter versuchte, das Mädchen vor den Blicken der Menschen zu verbergen, und bedrängte es, zu Hause zu bleiben. Doch Tertia wurde ein fröhliches, wildes Mädchen, das sich nicht einsperren lassen wollte.

Eines Tages spielte die Kleine im Wald, als die Hexe plötzlich vor ihr auftauchte. „Nanu, wer bist denn du?“

Das Mädchen sagte seinen Namen und zeigte auf das Haus, in dem es wohnte und auf seine zwei Brüder, die davor Holz hackten, da wurde der Hexe klar, dass sie belogen worden war.

Ihr Zorn war fürchterlich, sie kreischte und schwarze Rauchwolken umspielten sie. Die Hexe packte das Mädchen am Arm, an dem sich nun eine magische, graue Kette bildete, die Tertia an die Hexe fesselte.

Die Eltern und die zwei Brüder kamen angelaufen und stürzten sich auf die Hexe. Diese aber lachte nur finster.

„Du hast mich belogen! Dafür wirst du bestraft!“ Mit einem Wedeln ihrer Hände verwandelte sie die Mutter wieder in eine alte Frau und entfachte ein fürchterliches Feuer, das das schöne Haus der Familie niederbrannte. Dann entschwand sie lachend mit Tertia an der Kette in einer geheimnisvollen schwarzen Nebelwolke.

Die nun wieder alte Frau weinte bitterlich. Stockend erklärte sie ihrer geschockten Familie den Zauber, den sie einst mit der Hexe eingegangen war. Doch die Liebe in ihrer Familie war groß. Der Ehemann hatte nicht nur ihr junges, schönes Antlitz geliebt, sondern auch ihre Weisheit, ihr freundliches Wesen und ihre Seele. So nahm er sie und die zwei Söhne in die Arme und verzieh ihr. Gemeinsam machten sie sich auf die Suche nach der Hexe, um ihre Tochter wieder zurückzuholen.

Nach vielen Wochen der verzweifelten Suche kamen sie an einer kleinen Lichtung an. Dort stand ein prächtiges Haus, umringt von einer Mauer. Primus und Secundus kletterten auf die Mauer und spähten auf die andere Seite. Zunächst sahen sie nur das große Haus, dann öffnete sich die Tür. Heraus kam eine Frau, jung und schön, von einem magischen Glimmen umringt. Sie zog an einer schimmernden Kette ein kleines, schmutziges Bündel hinterher. Mit Schrecken erkannten die Brüder in der schönen Frau die Hexe und in dem schmutzigen Bündel ihre kleine Schwester. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst, ganz grau im verkniffenen Gesichtchen, dürr und schwach.

Die beiden Brüder wollten sich sofort zornig auf die Hexe stürzen, doch sie hörten ihre Mutter rufen, sie hereinzulassen. So sprangen die beiden von der Mauer und öffneten von der anderen Seite das Tor. Ihr Vater und ihre alte Mutter durchquerten die Mauer, erkannten ihr armes Kind und schrien geschockt auf.

„Fort mit euch“, kreischte die Hexe und warf Feuerbälle nach der Familie. Diese aber wich geschickt aus, griffen sich Mistgabeln und Äxte, die sie im Hof liegen sahen, und rannten auf die Hexe zu.

„Ihr könnt mir nichts anhaben!“, zeterte die Zauberin in Erwartung, eine Axt auf sich herabsausen zu sehen. „Wer seid ihr schon, ihr einfachen Leute!“

„Eine Familie!“, rief die alte Mutter. „Familienbande lassen alle Ketten zerbrechen!“ Und anstatt die Waffen gegen die Hexe zu richten, schlugen alle vier auf die Kette ein, die Tertia an die Magierin kettete.

Mit einem lauten Krachen zerbarst die Kette und das kleine Mädchen war frei! Da nun die magische Verbindung zerstört war, kam die Lebensenergie in das kleine Mädchen zurück, die Hexe aber verlor zusehends an Kraft. Ihre Schönheit verging und zurück kam ihr spitznasiges Hexengesicht. Primus und Secundus prügelten mit ihren Waffen auf die Zauberin ein, bis diese fluchend und schimpfend das Weite suchte.

Die Familie aber kehrte nach Hause zurück. Gemeinsam bauten sie ihr Haus wieder auf und verlebten die letzten Jahre der alten Mutter in ruhiger, glücklicher Zufriedenheit.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Claudia Gers,Jahrgang 1982, ist Diplom-Biologin, verheiratet und Mutter von zwei wunderbaren Töchtern. In ihrer (sehr geringen) Freizeit schreibt sie Kurzgeschichten und Kinderbücher.

*

Leise rieselt der Schnee

Fröhlich fliegt Yuki über das Land. Ihr Zauber lässt den Schnee auf Wiesen, Straßen und Dächer rieseln. Es ist Januar und zudem Wochenende. Sie weiß, dass es die Kinder daher besonders freut, darum dreht sie eine Extrarunde, um für sie mehr von der weißen Pracht zu verteilen.

Gerade schwebt sie über eine Wiese und sieht schon fröhliche Kinder, die eine Schneeballschlacht machen oder mit einem Schlitten den Berg heruntersausen. Sie setzt sich in eine Baumkrone und beobachtet die jungen Menschen bei ihrem Tun. Ihr Lachen lässt Yuki zufrieden schmunzeln. Da erblickt die Schneefee ein kleines Mädchen, das am Rand steht. Es beobachtet die anderen Kinder und hat seine Mundwinkel nach unten gezogen.

Yuki versteht nicht, warum es dort steht und nicht mitspielt. Vorsichtig und flink fliegt sie hinter das Mädchen und einen Busch und verwandelt sich in ihre menschliche Form. Achtsam nähert sich die Fee dem Kind. „Hallo, warum spielst du nicht mit den anderen“, fragt sie gleich.

Das Mädchen schreit vor Schreck auf. „Wo kommst du denn her?“, fragt es mit weit geöffneten Augen und hält seine Hand auf die Brust.

„Von dort“, antwortet Yuki und zeigt auf den Busch und die Häuser dahinter. „Und warum spielst du nicht mit den anderen?“

„Ich kenne sie nicht und ...“ Das Mädchen wendet sein Gesicht dem Schnee zu.

„Und?“

„Ich trau mich nicht.“

Yuki sieht zu den anderen Kindern. Sie will dem Mädchen helfen, schließlich hat sie ja extra mehr Flocken gezaubert, sodass die Kinder zusammen Spaß haben. Yuki lächelte die Kleine an. „Ich bin Yuki, das bedeutet Schnee, und ich liebe ihn. Du auch?“

Zögerlich nickt das Mädchen. „Ich heiße Emma. Ja, tue ich auch, aber allein macht es keinen Spaß.“

Yuki reicht Emma die Hand. „Dann spielen wir.“

„Und was sollen wir machen?“

„Schneefeen“, sagt sie strahlend und legt sich auf den Boden. Mit den Armen schiebt sie den Schnee hoch und runter.

„Das sind doch Engel“, meint Emma kichernd.

„Also von Schneeengeln hab ich noch nie was gehört.“

„Aber von Schneefeen?“

„Klar, was denkst du, woher der Schnee kommt?“

Emma zuckt mit den Schultern.

„Schneefeen fliegen über Berge und Täler und verteilen die Schneeflocken.“

Das Mädchen lächelt. „Das klingt toll. Dann mache ich jetzt auch eine Schneefee.“ Kaum hat Emma das ausgesprochen, liegt sie schon im kühlen Nass und rudert mit den Armen. Yuki steht auf, geht ein paar Schritte zur Seite und macht noch eine Schneefee. Emma und Yuki lachen und haben Spaß.

„Was macht ihr da?“, fragt auf einmal ein kleiner Junge.

Emma sieht zu Yuki, die das Kind anlächelt. „Schneefeen und Emma ist eine richtige Meisterin darin.“

„Ich will auch“, ruft er strahlend aus und legt sich hin.

So entstehen viele Schneefeen und immer mehr Kinder machen mit. Fast die ganze Wiese ist nun mit den Feen gezeichnet. Lachen ist von überall zu hören.

„Oh, ist der schön“, sagt Emma laut.

Ein Mädchen hat einen Schneemann mit Flügeln gebaut. „Wollen wir einen zusammen machen?“, fragt es nun.

„Ja.“

Yuki freut sich, dass Emma Anschluss gefunden hat und sie jetzt auch über den Schnee glücklich ist. Langsam zieht sie sich zurück und beobachtet wieder die Kinder. Die größeren haben eine Schneeballschlacht begonnen, die kleinen machen weitere Schneefeen, liegend und stehend.

„Das ist das Schönste“, seufzt Yuki. Sie versteckt sich wieder, wird klein und fliegt noch mal über die Wiese. Emma und ihre neue Freundin stehen da und versuchen, die Flocken mit dem Mund zu fangen. Glücklich kann Yuki jetzt ins Feenreich fliegen.

Luna Day lebt mit ihrer Familie in Augsburg.

*

Michael und der Schneemann

Traurig stand Michael am Fenster und schaute in den Garten. Kein Schnee war zu sehen, obwohl es noch Winter war. Aber dieser Winter war kein Winter. Er war viel zu warm, sodass wenig Schnee gefallen war. Das machte Michael sehr traurig. Zu Weihnachten hatte er einen neuen Schlitten bekommen. Darüber war er sehr erfreut. Aber damit gefahren, nein, das war er noch nicht. Es gab zu wenig Schnee. Nun wurde es bald Frühling. Michael schaute in den Himmel. Eine Mondsichel und ein paar helle Sterne waren in der Dämmerung zu sehen. Er guckte zum Mond hinauf und wünschte sich, es solle schneien. Er wollte so gerne seinen Schlitten testen.

Nach dem Abendessen ging er ins Bad, duschte sich, zog sich einen frischen Schlafanzug an. Im Bett blätterte er noch ein wenig in seinem Bilderbuch. Seine Mutter kam ins Zimmer, sagte ihm eine gute Nacht, gab ihm einen Kuss und machte das Licht aus. Der Tag war sehr anstrengend gewesen, sodass er sofort einschlief.

Am nächsten Morgen wachte Michael auf. Er reckte und streckte alle Glieder seines Körpers, ehe er aus dem Bett stieg. Dann ging er zum Fenster und zog die Vorhänge zur Seite. Was sah er da? Es hatte geschneit. Die ganze Wiese war mit einem Schneeteppich bedeckt. Schnell lief er in die Küche, wo seine Mutter den Frühstückstisch bereits gedeckt hatte. Mit einem „Guten Morgen“ schickte sie den Jungen ins Bad. Er war noch im Schlafanzug und nicht gewaschen.

Nachdem sich Michael angezogen hatte, setzte er sich eilig an den Tisch zum Frühstücken. Er wollte so schnell wie möglich aus dem Haus, um mit seinem Schlitten zu fahren.

Nach dem Frühstück zog er sich warme Kleidung an und ging in den Garten. Aber was er dort sah, machte ihn wieder traurig. Ja, geschneit hatte es, aber da war so wenig Schnee, dass er mit dem Schlitten nicht fahren konnte. Der Schnee hatte gerade einmal den Rasen dünn überzogen. Mit hängendem Kopf schlurfte Michael durch den Garten. Mit seinen Stiefeln hinterließ er eine Schleifspur. Dadurch bildete sich ein kleiner Schneehaufen. Da es Michael langweilig war, dachte er bei sich, er könne einen Minischneemann bauen.

Aus dem Schuppen holte er sich seinen Schneeschieber. Mit ihm schob er das bisschen Schnee zu einem kleinen Berg zusammen. Daraus wollte er sich den Schneemann bauen. Mit seinen Händen formte er zuerst eine große Schneekugel. Na ja, groß war sie nicht. Aber da er für den kalten Kerl drei Kugeln benötigte, war es eben die größte.

Diese setzte er übereinander. Rechts und links bekam er noch Arme. In einen steckte er ihm einen Stock. Dunkele Steine waren Augen, Mund und Mantelknöpfe. Auf den Kopf setzte er ihm einen bunten Pappbecher als Hut. Von seiner Mutter ließ er sich eine kleine Mohrrübe für die Nase geben.

---ENDE DER LESEPROBE---