4,99 €
„Auf der Flucht vor seinen Widersachern heuert der abgehalfterte Söldner Arto Hyffar auf dem Raumschiff der faszinierenden Leto an. Er wird zum unfreiwilligen Verbündeten der unberechenbaren, von grausamen Dämonen gepeinigten Amazone und zieht in den Kampf gegen einen lebensfeindlichen Kult, der die Völker der Galaxis in ewige Finsternis zu stürzen droht. Doch in diesem Kampf kann er nur bestehen, wenn er sich dem namenlosen Schrecken stellt, der in seinem eigenen Inneren lauert. Es sind einsame, verzweifelte und besessene Einzelkämpfer, die das Personal dieser Space Opera bilden. Auf der Suche nach Erlösung und dabei stets den Abgrund vor Augen, der sie eines Tages unweigerlich verschlingen wird, bahnen sie sich ihren Weg durch ein chaotisches, feindseliges Universum, das von skrupellosen Handelsfürsten, korrupten Ordnungsmächten und okkulten Religionen beherrscht wird. Daraus entspinnt sich ein archetypisches Drama, das durch seinen lakonischen Erzählstil und seine melancholische Grundstimmung einen düsteren Charme entfaltet. Wer „Star Wars“ zu familientauglich und „Guardians of the Galaxy“ eine Spur zu albern findet, könnte an diesem Sci-Fi-Noir also durchaus Gefallen finden.“
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2020
Inhaltsverzeichnis
ERWACHEN
KAPITEL 1: PLANET DER VERLIERER
KAPITEL 2: DRÖHNENDES LABYRINTH
KAPITEL 3: STADT DER FREUDEN
KAPITEL 4: STURZ IN DIE RANDZONE
KAPITEL 5: DIE WAHNSINNIGE KÖNIGIN
KAPITEL 6: GRABSTEINMOND
KAPITEL 7: DER VULKANTEMPEL
KAPITEL 8: VERSCHWÖRUNG DER LIEBENDEN
Impressum
EISENSCHÖN
© Peter Scheerer 2018
Illustration:123rf / Tithi Luadthong
Draußen unter dem Fenster waren zwei Fuhrwerke zusammengestoßen. Kisten und Fässer polterten aufs Pflaster und zerbrachen, das Blöken der Zugtiere hallte von den Mauern wider und die Fuhrleute beschimpften einander im schrillen Stakkato der Bergnomaden.
Der Lärm scheuchte grausame Schatten auf, die mit klatschenden Lederschwingen meinen Geist durchstöberten. Im Erwachen streifte mich das Echo einer intensiven Anwesenheit, vertraut und beunruhigend zugleich. Ich schnellte von meinem Lager hoch und riss die Lider über meinen brennenden Augäpfeln auseinander.
Wer bist du?, fragte ich lautlos ins explodierende Licht hinein.
Am unteren Ende der Gasse duckte sich eine Reihe von Imbissbuden unter die Arkaden der lückenlos aneinander gedrängten Steinhäuser. Der Geruch von ranzigem Fett und verdorbenem Fleisch stieg einem schon von weitem in die Nase. Aber mir war egal, was ich heute in meinen Magen stopfen würde. Diesbezüglich war ich noch nie wählerisch gewesen.
Der schmächtige Kerl von der Grillbude verschränkte die Arme vor der Brust und versteckte die Hände in den Ärmeln seines Kaftans, als ich über den Straßenschmutz aus Holzspänen, Essensresten und dem getrockneten Kot von Lasttieren auf ihn zustapfte. Normalerweise hätte er jetzt bereits mein Essen vom Grill genommen, um es mir mit einem herablassenden Grinsen zu präsentieren.
»He, wo bleibt mein Spieß?«
Ich stützte mich mit beiden Händen auf den wackligen Tisch und beugte mich weit vor – teils, um ihn einzuschüchtern, teils, weil ich nicht auf der Höhe war an diesem Morgen, der eigentlich ein früher Nachmittag war. Nachmittag nach Moroco-Zeit, die einem durch die Hände rann wie der allgegenwärtige weiße Staub, der von den ausgetrockneten Ebenen jenseits der Klimakuppel herangeweht wurde.
Der Händler musterte mich anmaßend. Er hatte einen stattlichen Mann vor sich, mit struppigem Bart, wirrem Haar und dem Widerschein abfackelnder Welten in den Augen. Nichts davon schien ihn an diesem Tag zu beeindrucken.
»Erst bezahlst du deine Schulden«, sagte er.
»Was bildest du dir ein?«, ging ich auf ihn los, »von mir hast du noch jedes Mal dein Geld bekommen!«
Er zuckte mit den Achseln. »Heute ist Zahltag. Oder dein Bauch bleibt leer.«
Ich packte den Mistkerl am Kragen. »Du rückst jetzt eine Portion von deinem stinkenden Fraß raus, oder du drehst dich gleich selbst über dem Grill!«
»Ganz wie du meinst. Allerdings bezahle ich regelmäßig meine Schutzgelder, du verstehst.«
Das konnte er erzählen, wem er wollte, aber bei mir war die Luft raus. Ich ließ ihn los und betrachtete das brutzelnde Fleisch, das sich vor den elektrisch aufgeheizten Gittern drehte. Mein Magen knurrte und in meinem Kopf wüteten die Nachwehen einer Überdosis Slugg, mit der ich die letzte Nacht besiegelt hatte. Nicht, dass ich total abgebrannt gewesen wäre – aber ich musste mich auch noch waschen, meinen Blättervorrat aufbessern und der einen oder anderen Hure einen Krug Bier spendieren können.
»Das wird schon reichen.«
Eine Münze sprang auf den Tisch und landete zwischen undefinierbaren, von gelbem Gewürzbrei verklebten Fladen, auf denen sich schillernde Insekten tummelten. Ich drehte mich um und überlegte, wem die knarzende Stimme und das hagere, dunkle Gesicht mit den wasserblauen Augen wohl gehören mochten.
»Dzar? Bist du das?«
Der Beduinenmischling war mir schon lange nicht mehr über den Weg gelaufen. Ein Kleinganove, der sich als Gelegenheitszuhälter und Buchmacher durchschlug. Und mich hin und wieder mit Slugg und Weibern versorgt hatte.
»Erstaunst mich«, schnarrte er, ohne die Lippen zu bewegen. »Hätte wetten können, du erkennst mich nicht mehr. So wie du aussiehst, erkennst du nicht mal dich selbst, wenn du in den Spiegel schaust.«
»Meinst du, ich kann nicht mehr selbst bezahlen?« Ich wühlte in den Taschen meiner abgewetzten Lederhose und klingelte mit meinen wenigen verbliebenen Münzen.
»Doch, natürlich kannst du.« Dzar gab dem Händler einen Wink und ließ sich einen Fleischspieß aushändigen. Er fingerte das vorderste Stück herunter und schob es in den Mund, bevor er den Spieß an mich weiterreichte. »Will nur verhindern, dass du noch mehr Schwierigkeiten bekommst.«
»Nächstes Mal zerquetsche ich das Bürschlein.« Ich konnte kaum sprechen, weil der Speichel in meinem Mund zusammenströmte.
Dzar zupfte an meinem Ärmel und dirigierte mich die Gasse hinauf. »Hat sich rumgesprochen, dass du Ärger angefangen hast.«
Ich riss mit den Zähnen ein Stück Fleisch ab und blinzelte kauend in die Sonne, die sich als verwaschener greller Fleck durch das rissige Dach der Klimakuppel abzeichnete. Stimmt, da war etwas gewesen. Irgendeine dumme Rempelei. Wahrscheinlich hatte es nicht einmal Tote gegeben.
»Ach das«, knurrte ich mit vollem Mund. »Das war doch nichts.«
»Hoffnungsvoller Anwärter auf den höchsten Posten einer angesehenen Sippe. Liegt im Exotenhospiz. Arme und Beine gebrochen, Schädel eingedrückt…«
»Der Kürbiskopf hat mich angepöbelt, verdammt!«
»Kapierst es wirklich nicht, was?« Dzar schüttelte in geheuchelter Fassungslosigkeit den Kopf, dass ihm die Bommel seines Fez ums Gesicht wirbelten. »Sippenehre geht ihnen über alles. Bist schon so gut wie tot.«
»Und warum lebe ich dann noch? Weil sie Angst vor mir haben! Ich habe Städte und Kontinente in Asche verwandelt! Ganze Welten zertrümmert! Ich bin eine unbezwingbare Kampfmaschine, und das wissen sie.«
»Das war einmal, Söldner. Schau dich an. Ein Wrack bist du sonst nichts.«
Ich winkte schroff ab, der Spieß rutschte mir aus den Fingern und landete im Dreck. Fasziniert starrte ich hin, weil das Fleisch in der gefilterten Sonne so schön glänzte. Ein dicker brauner Wurm schob sich aus einem Loch im Boden und angelte mit seinen Polypenärmchen danach. Er zuckte blitzschnell zurück, als ich mich aus meiner Starre löste und nach meiner Mahlzeit bückte.
Dzar bohrte mit einem knochigen Finger in der Nase und betrachtete kritisch das Ergebnis. »Hier interessiert sich keiner für deine Heldentaten. Schon gar nicht die f’Fnorl á Daan. Bist nur ein Niemand unter vielen.«
»Wenn mir die Kürbisköpfe auf die krumme Tour kommen, werde ich ihnen ordentlich einheizen. So lange, bis sie es kapiert haben.«
Er zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst. Lass dir vielleicht eine Warnung zukommen, wenn sich die Sache zuspitzt.«
»Mach dich nicht so wichtig«, polterte ich, während ich mein Essen vom Schmutz befreite. »Ich brauche keine Ratschläge! Ich weiß, was in dieser Miststadt läuft!«
Doch Dzar war bereits im Gewühl unter den Arkaden verschwunden. Eine groß gewachsene Semihumanoide in einem getigerten Sarong schlängelte sich an mir vorbei, missbilligte mein gestammeltes Selbstgespräch mit einem Hochziehen ihrer bogenförmigen Augenbrauen. Sie war ziemlich schön, auf ihre Art. Ich schwor mir, dass ich mich näher mit ihr beschäftigen würde, wenn sie mir nächstes Mal in die Quere kam.
Im nächsten Moment hatte ich sie bereits wieder vergessen.
* * *
Das Bett war eine Handbreit zu kurz für meine Beine. Es war auf die Körpermaße der verhältnismäßig klein geratenen Einheimischen zugeschnitten, denn Außenweltler stiegen in Herbergen wie dieser nur ab, wenn ihnen aus den üblichen obskuren Gründen nichts anderes übrig blieb. Und wenn sie erst einmal auf diesem Niveau angekommen waren, stellten sie keine gehobenen Ansprüche mehr. Abgesehen davon war ich auch für einen Menschen ziemlich groß. Das hatte nichts mit Welt 2.4 zu tun, das war schon vorher so gewesen. Jedenfalls zu der Zeit, an die ich mich erinnern konnte.
Ich beobachtete die Insekten, die an der Decke ihre Bahnen zogen. Wenn zwei der schwarzen Krümel einander in die Quere gerieten, kam es meist zu einem Kampf, der sich fast völlig geräuschlos abspielte, bis auf das gelegentliche Schwirren horniger Flügel oder das Knacken eines winzigen Panzers. Manchmal verloren die Kontrahenten den Halt und fielen senkrecht zu Boden oder aufs Bett, wo ihre Auseinandersetzung weiterging, bis einer den anderen aufgefressen hatte. Oder das Scharmützel entschied sich noch an der Decke und die ungenießbaren Teile des Verlierers rieselten nacheinander herunter. Im Moment herrschte allerdings Waffenruhe: Die glänzenden schwarzen Punkte strebten auf entfernten Kursen ihren unbekannten Zielen zu.
Ich wälzte mich auf die Seite und äugte zu dem kleinen Fenster hinüber, das wie ein Schacht in die Mauer eingelassen war. Goldene Spätnachmittagssonne verwandelte mein Zimmerchen in das Innere eines Bernsteins. Die spärliche Einrichtung – ein Bett, ein winziger Tisch und ein Schemel, den ich lediglich zum Stiefel anziehen benutzte – wirkten seltsam veredelt in diesem Licht. Wie eine symbolische Komposition, konserviert für eine ferne Ewigkeit. Wenn ich nur lange genug auf dem Bett ausharrte, würde ich vielleicht mit dieser Komposition verschmelzen. Manchmal glaubte ich, dass das längst geschehen war.
Die verzauberte Stimmung löste sich auf, das goldene Licht wich dem Grau der Dämmerung. Schnarrende Händlerstimmen und die Rufe der Fuhrleute, die ihre schwerfälligen Karren durch die Gassen manövrieren, drangen zu mir herauf. Bald würde sich das aufreizende Geschnatter der Huren hinzufügen, und das Grölen der Zecher und abgeblitzten Freier würde das Spektakel im Morgengrauen beschließen.
Die Tage und Nächte waren kurz auf Moroco, als solle sich das Schicksal all der hoffnungslosen Kreaturen, die hier gestrandet waren, beschleunigen. Doch ich lebte nach dem Rhythmus der Entwurzelten, quer zum Wechsel der Tageszeiten. Ich schlief, aß, kaute Blätter und wanderte umher, wann immer mir danach war. Lebte in die geraffte Zeit hinein ohne jede Aussicht, diese Welt jemals wieder zu verlassen. Von Anfang an hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, von hier wegzugehen. Zum Sterben taugte so ein Pissoir am Rande des Universums genauso gut wie jeder andere Ort.
Das Blatt, das ich nach dem Essen gekaut hatte, entfaltete seine Wirkung. Ich driftete in einen seichten Schlaf hinüber und begann sofort zu träumen. Ich trug meine alte Uniform, die mich als Meister des Dritten Ranges auswies. Sie fühlte sich sauber und steif an, wie frisch gereinigt. Über mir wölbte sich das runde, mit verspielten Reliefs verzierte Dach eines kleinen Lusttempels, der den Mittelpunkt eines prächtigen Gartens bildete. Zwischen den blühenden Büschen glitzerten quirlige Brunnenfontänen, die silbrigen Wolken erhabener Baumkronen wogten in einem sanften, lauen Wind. Unhörbare Musik schwang mit dem milden Licht, das die Luft erfüllte. Ich fühlte mich gelöst und heiter, und voller Erwartung machte ich mich auf, den Garten zu erkunden. Ich trat zwischen den zierlichen Säulen des Tempels hervor und tastete das flimmernde Laub mit meinen Blicken ab.
Magnetisch angezogen von dem finsteren Wald, der den Garten auf allen Seiten wie eine Mauer umgab, überquerte ich den federnden Rasen und drang in ein struppiges Dickicht aus Farnen und Luftwurzeln ein. Schwarze Vögel flatterten auf und streiften mich mit den Flügelspitzen. Das Gestrüpp wurde immer dichter, aber ein wilder Drang trieb mich weiter voran. Ich setzte über verfaulende Baumstämme hinweg und durchwatete sumpfige schwarze Gewässer. Der Wald schien mich ersticken zu wollen mit seiner schweren Luft und der braunen Dämmerung, die wie ein morsches Leichentuch zwischen den uralten Stämmen hing. Bei jedem Schritt saugte der modrige Boden die Kraft aus mir heraus.
Erschöpft taumelte ich gegen einen Baum und krallte meine Finger in die zerbröckelnde Rinde. Die Zeit war ins Stocken geraten und umschloss mich wie ein Klumpen Harz. Heimtückische Schlingpflanzen senkten sich aus den Baumkronen herab und schnappten mit schmatzenden Blütenkelchen nach mir. Der Wald zog sich wie ein riesiger schwarzer Sack um mich zusammen. Seine Luftwurzeln würden unter meine Haut dringen und sich mit meinen Adern vernetzen, um seine gärenden Säfte mit meinem Blut zu vermengen. Ich würde eins sein mit diesem besinnungslosen Organismus, mich vollständig im Geflecht seiner fremdartigen Innereien auflösen.
Ein konvulsivisches Zucken durchlief die bösartig wuchernde Vegetation, ließ sie wie unter Krämpfen vor mir zurückweichen und einen düsteren Schlund formen, der in eine dröhnende Maschinenwelt mündete. Schatten von Sepia leckten aus dem Dunkel der Schächte und Nischen, die in die hämmernde Sphäre schnitten. Harte Schritte formten sich aus dem Getöse und näherten sich mir zielstrebig. Eine schlanke Silhouette durchstieß wirbelnde schwefelgelbe Wolken aus zischenden Ventilen, trieb einen verzerrten, unsteten Schatten vor sich her. Ein Paar glänzender Stiefel, das über ölverschmierte Roste stapfte…
Zitternd erwartete ich die erlösende Begegnung.
Eisiger Wind kam auf und verdichtete sich zu einem Geflecht schwarzer, nach mir züngelnder Tentakel, die mich ans Zwielicht der Traumoberfläche empor scheuchten. Die metallische Tiefe, die mich gerade noch verschlingen wollte, würgte mich hervor wie eine ungenießbare Beute und spuckte mich aufs Bett zurück. Meine Besuchszeit war abgelaufen.
Die Fäuste an meine Schläfen gepresst versuchte ich, den Traum zurückzuzwingen, aber die Bilder hatten ihre Substanz aufgebraucht. Ich blieb liegen, in kalten Schweiß getaucht, und hielt die pochenden Augen geschlossen. Der Traum verfolgte mich schon so lange, dass ich nicht mehr wusste, wann es damit angefangen hatte. Er impfte mich mit einer tollwütigen Sehnsucht, die mich zerreißen wollte, aber ich hatte keine Ahnung, worauf diese Sehnsucht gerichtet war. Sie kannte keinen Ort, hatte keinen Namen.
* * *
Dunkelheit, als ich die Augen aufschlug. Über mir knirschte der Panzer eines Käfers. Ich richtete mich mit einem wehleidigen Stöhnen auf. Der Traum war wie eine Klinge in mein stumpfes Halbleben gefahren und hatte mich auch dieses Mal schmerzerfüllt und gedemütigt zurückgelassen. Was ich jetzt brauchte, waren ein Kopf voll Bier, die Adern voller Slugg und eine zähe Hure, an der ich mich abreagieren konnte.
Draußen vermischten sich die Geräusche der Nacht zu einem stimulierenden Gebräu. Der Sumpf am Grund der Stadt rief nach mir.
Ein flüchtiger Gedanke streifte Dzar und seine verwaschenen Drohungen. Nichts als das wichtigtuerische Geschwätz eines schäbigen Kleinganoven. Die Kürbisköpfe hätten mich in Streifen schneiden können, während ich in meinen Traum verstrickt gewesen war. Doch sie hatten wichtigeres im Sinn, als an einem Gescheiterten wie mir Rache zu nehmen.
Dennoch ließ ich das Licht ausgeschaltet, als ich Stiefel und Weste anzog. Meiner Benommenheit zum Trotz überprüfte ich den Inhalt meiner Kriegerjacke, der meinen gesamten Besitz darstellte: eine zerbröselnde Lage Slugg und das zerfledderte Buch, das ich seit einer Ewigkeit mit mir herumschleppte, ohne dass ich mehr als ein paar Absätze darin gelesen hatte. Es hieß Mysterium des Opfers und handelte von den obskuren Ritualen einer fremden Spezies. Obwohl ich nicht das Geringste damit anfangen konnte, war ich noch nie auf die Idee gekommen, mich davon zu trennen.
Zuletzt tastete ich mich durch das kleine, jedoch wirkungsvolle Waffenarsenal, das ich aus meiner Zeit als Kopfgeldjäger herübergerettet hatte. Alles war noch da: Fadenkapsel, Spinne, die beiden kurzläufigen Pistolen und noch einige andere Überraschungen, mit denen meine Feinde rechnen mussten. Vielleicht gab ich eine lächerliche Erscheinung ab, aber ich war immer noch unberechenbar und gefährlich.
Raus aus dem Zimmer und die Wendeltreppe hinabgepoltert. Auf der Straße schlug ich eine willkürliche Richtung ein und ließ mich vom trägen Strom der Nachtgestalten mitziehen, immer tiefer in den porösen Unterleib der verdorbenen alten Stadt hinein. Das Gedränge, die Stimmen und die ständig wechselnde Musik umspülten mich wie eine warme Brandung. Wann immer mir ein Ausschank in die Quere kam, genehmigte ich mir einen Krug Bier oder einen Becher von dem aufputschenden Schnaps, den die Beduinen aus den Hormondrüsen eines sechsbeinigen Wüstenreptils gewannen.
Auf diese Weise ging der größte Teil meiner Geldreserve dahin. Früher oder später würde ich mir einen von diesen geilen Taugenichtsen vorknöpfen müssen, die mit den Taschen voller Mammon die Stadt durchkämmten auf der Suche nach einem extravaganten Stimulans oder einer jungen Nutte. Nein, ich würde ihn nicht umbringen. Ich tötete nur noch, um mich meiner Haut zu wehren. Die Zeiten hatten sich geändert.
Ich war bereit für den vorläufigen Höhepunkt der Nacht und schob ein Blatt in den Mund. Drückte es mit der Zunge an den Gaumen, bis mein Speichel die holzige Oberfläche aufgeweicht hatte. Ein Rinnsal aus bitterem Saft sickerte meinen Rachen hinab. Als sich die Schleimhäute pelzig anfühlten, begann ich zu kauen.
Slugg war die billigste Droge des Universums. Auf dem Hinterwäldlerplaneten, von dem es stammte, hatten sie nie gewusst wohin mit dem Unkraut. Bis die Raumfahrer gekommen waren, die Händler und Missionare und Soldaten. Ein Jahr später kannte es die halbe Galaxis. Sein Name, eine idiomatische Verballhornung des Wortes schlucken, war so einfach wie seine Wirkung: Man kaute es, schluckte den Saft runter – und hörte auf, sich zu spüren.
In der Umgebung des Westtors traf ich auf eine Gruppe Huren. Unproportionierte Geschöpfe mit schweren Beinen, großen Brüsten und derben, bisweilen tierhaften Gesichtszügen. Die Vermischung der unterschiedlichen Humanoidenvölker hat sich nur in seltenen Fällen bewährt.
Ich schlenderte an der schlampigen Reihe grell aufgetakelter Kreaturen entlang, ohne mir ihre Angebote anzuhören. Manche boten mir Titten oder Schenkel zum Reinkneifen an, andere sprangen vor mich hin und versuchten, mir an den Bizeps oder zwischen die Beine zu fassen. Das Slugg hatte mich vorerst friedlich gestimmt, ich beließ es bei einem gemurmelten Kraftausdruck und trottete weiter.
Im Halbdunkel eines Torbogens sprach mich ein geschlechtsloses Stimmchen an.
»Du suchst wohl nach was Besonderem?«
Ein kleines dürres Weib, in einen knöchellangen Umhang gehüllt. Asymmetrische Schlitzaugen mit senkrechten Pupillen lauerten unter einem strubbeligen schwarzen Haarschopf, der zur Hälfte von einer schlabbrigen Kapuze bedeckt wurde.
»Du hast nicht, was ich suche«, knurrte ich und ging weiter.
»Wonach suchst du dann? Nach der Wahrheit? Nach dir selbst? Oder nach der letzten, der endgültigen Erfahrung…?«
»Fall tot um«, sagte ich.
»Warte!« Das Stimmchen klang nun drängend. »Warte doch! Ich kenne dich!«
»Kann sein. Bin schließlich lange genug hier.«
»Nein, nicht von hier. Von Sparta! Der Ordenstempel! Ein klarer blauer Tag mit einem kalten Ostwind. Auf dem Platz unter der Flamme exerzieren die Novizen… du wurdest zum Ersten Ritter gerufen… wegen einer geheimen Mission…«
Mein Puls beschleunigte sich, während die Bilder zurückkehrten: Der glasig schimmernde Exerzierplatz mit seinen rot eingefassten geometrischen Flächen, eingebettet zwischen schmucklose monumentale Bauwerke. Fahnen in den Ordensfarben knattern im Wind. Das Fauchen der Heiligen Flamme auf ihrem alles überragenden Turm. Der dumpfe Gong, der über den Platz hallt und zur inneren Einkehr aufruft.
Flamme der Besonnenheit, lass mich an deinem kalten Glanz teilhaben und schenke mir die Fähigkeit zu unterscheiden, wann Unerbittlichkeit und wann Gnade von mir gefordert ist…
Die sechste Meditation des Ordens.
Ich war nun doch stehen geblieben. Das seltsame Weiblein tänzelte mit grotesken Hüpfern auf mich zu, verharrte jedoch in respektvollem Abstand.
»Sie haben mir meinen Körper gestohlen, meine Kraft und mein Mannestum, aber mein Gedächtnis habe ich behalten dürfen… Novamondo, die abtrünnige Brigade! Zum ersten Mal wurden Ordensritter ausgesandt, um gegen ihresgleichen zu kämpfen. Du warst der Anführer des Strafkommandos, vom Ersten Ritter höchstselbst auserwählt! Warte, gleich fällt er mir ein, dein Name…«
»Was redest du da? Du kannst das alles nicht wissen, du nicht!«
»Ich war persönlich anwesend, als dir der Auftrag erteilt wurde. Ich war der Adjutant des Ersten Ritters.«
Ein kahler Raum, von Tageslicht durchflutet und doch wie unter Schatten begraben. Das ledrige alte Gesicht des Ersten, der mit überkreuzten Beinen auf dem grob gewebten Teppich hockt, eine Wasserpfeife raucht und mit gedämpfter Stimme die Grundzüge der Mission erläutert. Seitlich hinter ihm die kerzengerade Gestalt seines Adjutanten, mit versteinerten Zügen und die Protokolltafel in den bleichen Händen.
»Das kannst unmöglich du gewesen sein!«
»Natürlich bin ich das gewesen! Ich war ein ansehnlicher Bursche, wie geschaffen für den Orden. Bis ich auf meinem ersten eigenen Kommando den Gesetzlosen von Shaabá in die Hände fiel. Diejenigen von uns, die sie am Leben ließen, manipulierten sie zu ihrem Vergnügen. Ihre Bioklempner sind sehr geschickt, sieh mich an! Sieh nur, was sie mit mir angestellt haben! Und es ist nicht rückgängig zu machen. Dafür haben diese Teufel ebenfalls gesorgt.«
»Was ist aus Sparta geworden?«
»Zu Staub zerfallen. Zerstört von einer Allianz aus Randzonengesindel.«
Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wandte mich ab, von Scham und Trauer überschwemmt, aber das Weib hielt mich am Ärmel fest.
»Fass mich nicht an!«, zischte ich. »Und wenn du einmal der Erste Ritter persönlich gewesen bist!«
»Lass es gut sein, Söldner. Wir wollen nicht in unserer toten Vergangenheit wühlen. Lass mich dir einfach nur ein Angebot machen. Ich hab ein paar Schlampen laufen. Hättest du nicht gedacht, was? Um es kurz zu machen – eines meiner Küken ist sozusagen vom rechten Weg abgekommen. Ich suche nach einem starken, verrückten Kerl, der es wieder gerade biegt. Was hältst du davon?«
»Nichts.«
»Was stellst du dich so an. Wenn du nicht auch irgendwann mal deine Unschuld verloren hättest, würdest du nicht wie ein Bandit durch diese verfluchte Stadt schleichen. Los, folge mir!«
Das krümelige Wesen verschwand in einem Spalt zwischen zwei klotzförmigen Häusern mit dunklen Schießschartenfenstern. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich ihm schließlich doch folgte. Vielleicht wollte ich ihm den Hals umdrehen, weil es mich an den Orden mit seinen heiligen Grundsätzen erinnert hatte. An meine selbstlosen Heldentaten im Dienste irgendwelcher Unterdrücker oder Unterdrückten, die ich trotz meiner kläglichen Zukunftsaussichten wahrscheinlich allesamt überlebt hatte. Ich schämte mich für das, was ich einmal gewesen war, und mehr noch dafür, was aus mir geworden war. Aber die unerwartete Konfrontation mit dem Untergegangenen enthielt einen Beigeschmack von Erlösung, dem ich nicht widerstehen konnte.
Das kleine Gespenst huschte vor mir her, seine Füße scharrten in der Dunkelheit über die Pflastersteine. Die Gasse endete an einem polygonen Hof mit einem winzigen ummauerten Brunnen in der Mitte. Steile Treppen, zwischen fensterlose Sandsteinmauern gezwängt und so schmal, dass sie einen kräftigen Mann die Schultern einziehen ließen, verloren sich nach allen Seiten in der Nacht. Aus der Höhe spendete eine einsame Fackel schmutzig-goldenes Licht.
»Sie ist irre geworden«, ertönte das Stimmchen meines früheren Ordensbruders. »Will es jedem umsonst machen, um Liebe zu säen. Nur weil so ein Verrückter vor ihren Augen einem anderen Verrückten die Eingeweide herausgeschnitten hat. Also gut, hab ich zu ihr gesagt, wenn du es unbedingt umsonst machen willst, dann such ich einen für dich aus. Einen, der diese zimperliche Empfindsamkeit aus dir herausvögelt!«
Ich starrte in die Nacht, während sich die Lichtverstärker meiner biooptimierten Netzhäute nachjuistierten. Auf einer der Treppen sah ich eine Gestalt kauern. Ein Geflecht strähniger Haare und ein Paar langer, kräftiger Schenkel, die weiß durch den Schlitz eines ausgefransten Sarongs schimmerten.
»Sie gehört dir. Aber lass noch was von ihr übrig, verstanden? Ich muss schließlich auch von was leben.«
Ich schob mich an dem gnomenhaften Weib vorbei und ging auf die Nutte zu. Sie war sehr jung und mindestens so voll wie ich. Ihre riesigen Augen wurden von überdimensionalen Wimpernimplantaten gesäumt. Die Ohrgehänge, die bis auf ihre Schultern baumelten, waren billiger Blechkram.
Auf meine ungeduldige Handbewegung hin richtete sie sich wankend auf. Ich griff ihr durch den Seitenschlitz unter den Rock und grub meine Finger in ihren Hintern. Ihr Fleisch fühlte sich einigermaßen fest an, ich grunzte zufrieden.
»Er hat ihm den Bauch aufgeschnitten«, murmelte sie. »Von hier bis hier oben.« Sie beschrieb mit dem Zeigefinger eine Linie von ihrem Schoß bis zur Magengrube. »Es ist ganz schnell gegangen.«
»So was kommt hier dauernd vor. Los, gehen wir!«
Sie hängte sich bei mir ein und ließ sich die Treppe hinaufschleppen.
»Viel Spaß, Kumpel!«, rief uns der ehemalige Adjutant nach. »Wir alten Haudegen müssen schließlich zusammenhalten!«
Ich blickte zurück, konnte ihn aber nirgends entdecken. Zwei Atemzüge später hatte ich ihn vergessen.
»Es ist so schnell gegangen«, jammerte das Mädchen. »Und dann war überall Blut…«
Ich hörte nicht zu. Wichtig war nur, dass der Traum in dieser Nacht nicht zurückkehren würde.
Doch ich hatte noch andere Träume.
* * *
Eine Welt aus Rauch und Trümmern. Blaue Schwaden ziehen durchs Gerippe der ausgeglühten Stadt. Die junge Partisanin hat ihr Magazin leer gefeuert, jetzt hetze ich sie spielerisch durch die menschenleere Ruinenlandschaft. Ihr Atem bildet eine zerfetzte Kapitulationsfahne in der trüben Luft. Als ich sie eingeholt habe, schlägt sie mit der Waffe nach mir. Die Reaktion, mit der ich den Hieb abwehre, und die Kraft, mit der ich ihr das Gewehr entwinde und den Kolben in meiner Faust zermalme, kaufen ihr den letzten Schneid ab. Erst als ich in der zerbombten Bibliothek meine aufgestauten Begierden an ihrem mageren rotbraunen Körper stillen will, beginnt sie wieder, sich zu wehren. Mein erster verstörter Reflex ist, sie zu töten, doch ich finde Gefallen an der ungleichen Rauferei.
Als ich mit ihr fertig bin, fessle ich sie und bereite mir aus meiner Jacke ein spartanisches Lager. Ich bin stolz auf meine erste Beute. Ich werde sie am Leben lassen und an die Truppe weiterreichen. Meine verbliebenen Männer halten mich immer noch für einen Anhänger überkommener Ideale von Askese und Disziplin. Höchste Zeit, ihnen das Gegenteil zu beweisen, wenn ich meine Autorität nicht verlieren will.
Der Geschützdonner, der aus der Ferne wummert, sorgt für ein wohliges Hinübergleiten in den Schlaf. Später fahre ich hoch aus einem dieser Träume, an die ich mich zu jener Zeit noch nicht erinnern kann. Die Partisanin starrt mich voller Entsetzen an, ich muss mich schrecklich gebärdet haben. Ich bin komplett durcheinander, knie vor ihr nieder und krümme mich schluchzend über den angekokelten Büchern auf dem Boden.
»Komm mit mir! Geh fort mit mir!«, bettle ich.
Sie weicht vor mir zurück, so weit es ihre Fesseln erlauben. »Du musst total verrückt sein! Wie stellst du dir das vor? Du bist mein Feind, ein Feind meines Volkes!«
»Du bist jetzt meine Frau«, sage ich zu ihr. »Ich will, dass du mit mir kommst!«
Sie lacht rau, es klingt fast übermütig. »Und wenn ich mit dir käme, wohin würdest du mit mir gehen? Wohin, du Irrer?«
Wie in Trance verworrene Erklärungen und Rechtfertigungen ausstoßend, löse ich ihre Fesseln und schicke sie ins verwüstete Niemandsland hinaus.
»Lauf!«, rufe ich ihr nach, als sie durch die Ruinen davon stolpert, ihre Kleidungsstücke an den Körper gepresst. »Sie dürfen dich nicht erwischen! Sie sind verrückt geworden! Sie sind Bestien!«
* * *
Ich öffnete die Augen auf und bereute es sofort. Weißes Licht strahlte durchs Fenster herein und stach glühende Lanzen in meine Pupillen. In meinen Zähnen und Schädelknochen pochte stumpfer Schmerz. Ein wenig Slugg hätte Abhilfe geschaffen, aber ich war zu träge, um in meinen weit verstreuten Klamotten danach zu suchen. Außerdem musste ich mir meinen winzigen Vorrat sorgfältig einteilen.
Neben mir lag die junge Nutte auf dem Bauch, den lehmfarbigen Körper halb mit einem schmutzigen Laken bedeckt. Zusammenhanglose Bildfetzen aneinander reibender Leiber, von denen einer möglicherweise mir gehörte, trudelten vorbei.
Ich betrachtete die Kratzer und Bissspuren an meinen Armen und auf meiner Brust. Zog das Laken weg und studierte die blauen Flecken auf der Haut des Mädchens. Ich hatte ihr bestimmt nichts geschenkt, aber sie schien ein besonders strapazierfähiges Exemplar zu sein.
Sie grunzte im Schlaf, als ich sie auf den Rücken rollte. Zwischen ihren runden, teigigen Brüste prangte ein großes blutendes Herz, ganz plastisch und detailgetreu dargestellt, mit den tropfenden Stummeln von Schlagadern daran und von einer gezahnten Harpune aufgespießt. Ich zeichnete die Umrisse der holografischen Tätowierung mit dem Finger nach und versuchte mich zu erinnern, ob sie in der Nacht auch schon da gewesen war. Lustlos an einem ihrer Nippel herumfummelnd, fasste ich den Entschluss, es ihr ein weiteres Mal zu besorgen.
Lust verspürte ich nicht, denn innerlich war ich im Grunde völlig betäubt. Das war schon eine ganze Weile so und würde sich wahrscheinlich nicht mehr ändern. Ich war kaputt, verbraucht, eine Ruine. Doch mein Körper würde weitervögeln, wenn meine Nerven und Sinne längst ausgebrannt waren. Er würde nicht erschlaffen, nicht fett werden und nur sehr langsam altern. Und er war nahezu unverwundbar. Die Bioklempner von Welt 2.4 hatten ganze Arbeit geleistet. Ich war eines ihrer gelungensten Werke, hatten sie mir versichert. Und das, obwohl ich mir viele technische Spielereien erst gar nicht hatte aufdrängen lassen.
Die Nutte schlug die Augen auf und schaute mich verkatert an. »Hast du immer noch nicht genug?«
Ich brummte etwas Unfreundliches und ließ meine belanglosen Stöße verebben.
»Mach ruhig weiter«, forderte sie mich auf. »Aber ich werd einfach so liegen bleiben. Mir tut jetzt noch alles weh.«
Ich rollte mich von ihr herunter, stieg aus dem Bett und schleppte mich zum Fenster, durch das chaotischer Lärm eindrang. Direkt vor der Herberge fand ein Hahnenkampf statt. Es wurde in einem halben dutzend Dialekte durcheinandergeschrien, Münzen klingelten hell auf dem Pflaster.
»Sie haben ihn eiskalt abgeschlachtet«, sagte das Mädchen vom Bett her. »Ich glaube, er war nett. Auf einmal hat er da gelegen. Alles war voll Blut.«
Unten in der Gasse gingen stumm und verbissen die Viecher aufeinander los. Gefiederte kleine Ungeheuer mit speziell gezüchteten Krallen und Schnäbeln. Nach allen Seiten stoben Federn in die Luft.
»Du bist ‘n komischer Typ. Fickst wie ein Tier, aber gefallen tut es dir nicht. Das soll mal jemand kapieren.«
»Ich hab dich nicht mitgenommen, damit du was kapierst.«
»Ach, es geht mich nichts an.« Sie deckte sich zu und rollte sich zu einer unförmigen Wurst zusammen. »Kann ich bleiben, bis ich ausgeschlafen habe?«
»Von mir aus.«
»Könnte auch ein bisschen länger bleiben, wenn du magst«, murmelte sie in das Kissen. »Hab’s nicht eilig, da wieder hinzugehen, wo ich…«
Der Rest des Satzes ging in einem unartikulierten Gebrabbel unter.
Ich betrachtete ihre üppigen Formen unter dem Laken, das Geflecht ihrer Haare auf dem Kissen. Sie begann leise zu schnarchen. Vielleicht würde ich sie fragen, ob sie mit mir fortgehen wollte. Irgendwann fragte ich das jede Nutte. Manche lachten mich aus, andere stiegen begeistert darauf ein und fingen an, Pläne zu schmieden. Am nächsten Morgen wollten sie nichts mehr davon wissen.
Wohin, du Irrer?
Ein sanftes Klopfen an der Tür. Ich erwartete keinen Besuch. Niemand besucht einen Niemand.
Nach dem dritten Klopfen zog ich meine Hose an und schlurfte durchs Zimmer. Den kleinen Burschen, der vor mir in dem schiefwinkligen Korridor stand, hatte ich noch nie gesehen. Ein halbmenschlicher Bastard mit einem stumpfnasigen, gefleckten Krötengesicht und glanzlosen Fischaugen.
»Ich reinkommen?«
»Nein«, sagte ich mit träger Gereiztheit, aber da hatte sich der Kleine auf seinen Watschelfüßen bereits an mir vorbeigedrängt.
»Meine Freunde sehr böse«, eröffnete er mir mit flacher, keuchender Stimme. »Sie wollen Genugtuung.«
Ich starrte ihn feindselig an. »Was quatschst du da für einen Scheiß?«
Mein Besucher nickte eifrig. »Scheiß, ja ja, genau. Zuviel Sluggslugg, Gehirn ausgebrannt, aber keine Ausreden jetzt. Du hast dich schlecht benommen. Sehr schlecht. So geht das nicht. Meine Freunde, sie erwarten Genugtuung.«
Die f’Fnorl hatten meinen Auftritt in dem Kellerloch unten am Kanal also doch nicht vergessen. Dabei hatte ich nicht mal was gegen die Kürbisköpfe. Aber der arrogante Scheißkerl hatte einfach nicht aus dem Weg gehen wollen, als ich auf die langbeinige Hure am anderen Ende des Kellers zugesteuert war. Hatte versucht, mich vor seiner Meute lächerlich zu machen, und ich hatte ihn ein wenig geschubst. Und ihm die eine oder andere Gerade verpasst. Die Kräfte, die sie mir auf Welt 2.4 verpasst hatten, waren im Vollrausch nicht leicht zu kontrollieren.
»Sag ihnen, sie sollen zur Hölle fahren«, fuhr ich den Froschmann an. »Der Schwachkopf soll froh sein, dass der noch lebt.«
»Dein Ernst?« Der Kleine blickte unentwegt zu mir auf. Sein Glotzen machte mich nervös. »Das soll ich ihnen sagen?«
»Ja, verdammt! Oder erzähl ihnen einfach irgendwas. Und jetzt raus mit dir!«
Mein Besucher zog seinen lippenlosen Mund in die Breite und entblößte zwei braune Zahnreihen. Seine Fischaugen blieben ausdruckslos. Er ließ etwas Flaches, Silberglänzendes aus seinem Ärmel gleiten und hielt es mir unter die Nase.
»Du weißt, was das ist?«
»Steck das wieder ein, oder ich reiß dir den Kopf ab.«
»Deinen rechten Arm, Artohyffa. Sonst nichts. Sehr nett diesmal, meine Freunde. Ich lasse es dir da, kannst es selber machen. Später ich komme wieder vorbei und hole ihn ab. Deinen Arm. Brauchst ihn nicht mehr. Du bist am Ende, Artohyffa. Ein Verlierer.«
Ich machte eine drohende Bewegung auf ihn zu. Er wich in Richtung Tür aus. Unten auf der Straße schwoll der Lärm um den Hahnenkampf an.
»Es ist ein guter Handel! Sehr gerecht! Normalerweise sie sind strenger!«
Die Nutte gähnte, fluchte leise und setzte sich auf. Blinzelte verschlafen und zog das Laken vor den Körper, als sie bemerkte, dass noch jemand da war.
»Könnt ihr euch nicht leiser unterhalten?«
Der Kleine wandte sich dem Bett zu und vollführte einen albernen Knicks. »Nur eine Meinungsverschiedenheit unter Freunden, junge Dame.«
Ihr Gesicht verwandelte sich in eine angsterfüllte Grimasse. »Das ist er! Er hat es getan! Pass auf, er ist GEFÄHRLICH!«
Der Froschmann nickte mir zu. »Hast du gehört? Sie sagt, pass auf. Also pass gut auf jetzt!«
Mit einer geschmeidigen Drehung seines zierlichen Handgelenks schleuderte er den silbrigen Gegenstand durchs Zimmer. Die Nutte öffnete den Mund zu einem Schrei, als die Spinne mit einem schmatzenden Geräusch in ihren Brustkorb eindrang und die klingenbewehrten Tentakel spreizte. Ein Geräusch, als würde Stoff zerreißen und gleichzeitig ein Bündel nasser Säcke zu Boden fallen. Eine rote Eruption schwappte über ihren Körper, ergoss sich übers Bett und spritzte an die Wand.
Mein Jagdtrieb erwachte mit kurzer Verzögerung. An der Treppe holte ich den Krötenmann ein. Ich packte ihn am Hals und beförderte ihn ins Zimmer zurück. Der Kleine strampelte mit den Beinen und krächzte unverständliches Zeug in einer fremden Sprache. Seine schlammgrünen Händchen patschten gegen meine Arme. Das Ungesicht des kleinen Mörders zeigte auch jetzt keinen Ausdruck.
Mit einem entschlossenen Ruck knickte ich seinen knotigen Hals um, dann stieß ich seinen Körper durchs Fenster und beugte mich vor, um seinen Flug zu beobachten. Vier Stockwerke tiefer schlug er aufs Pflaster, Federn segelten unter seiner Tunika hervor. Der Hahnenkampf war beendet. Zwei dutzend sonnenverbrannter Gesichter blickten stumm zu mir auf.
Mit mechanischer Präzision zog ich mich innerhalb weniger Sekunden an. Es war ein instinktiver Reflex, der mich zur Flucht zwang, anstatt es auf ein Kräftemessen mit dem aufgestachelten Mob und der korrupten Ordnungsmiliz ankommen zu lassen. Wie von einem unsichtbaren Räderwerk gesteuert, organisierte ich meinen Abgang.
Bevor ich das Zimmer verließ, warf ich einen letzten Blick auf das Bett. Das Mädchen starrte aus toten Augen ins Leere, immer noch den stummen Schrei auf den Lippen. Aus dem Chaos seiner verwüsteten Organe ragte steil ein gekrümmtes Tentakel des Mordinstruments hervor, winkte mir in einer ersterbenden Bewegung wie zum Abschied zu. Als ich durch die Tür trat, hatte ich ein Gefühl, als würde ein Teil von mir zurückbleiben, um die bei der Toten Wache zu halten.
Ich rannte die unbeleuchtete Hintertreppe hinab, während eine kleine Armee von Stiefeln und Sandalen die Herberge von der Straßenseite her erstürmte. Wie mein eigener Schatten huschte ich durch einen schmalen Durchgang auf die dunkle Gasse hinaus.
* * *
Ich folgte den gewundenen Pfaden, die wie Erosionsfalten die Stadt zerschnitten, in abwärts führender Richtung. Nach einer halben Stunde blickte ich, eine ungeordnete Front alter Speicherhallen im Rücken, auf die gewaltigen Dünen, die jenseits eines schnurgerade verlaufenden Kanals aus der weißen Wüste emporwuchsen. Hoch über mir endete die Kuppel, die ganz Boville überspannte und das unwirtliche Wüstenklima fernhalten sollte. Ihre mächtigen Träger stachen wie die Finger einer Titanenhand aus dem dunstigen Land. Ein rötlicher Schimmer auf ihrer Wölbung kündigte die Abenddämmerung an.
Ich wandte mich stadtauswärts und kam an mehreren Dschunken vorbei, die in die spiegelnde Oberfläche des Kanals eingegossen schienen. Bis auf ein klappriges Fuhrwerk, das mir gemächlich entgegenzuckelte, war das diesseitige Ufer leer. Auf der anderen Seite schleppte ein Ochsengespann einen Frachtkahn, der von goldenen Getreidehalden ins Wasser gedrückt wurde, zu einer Anlegestelle. Alles schien seinen gewohnten Lauf zu nehmen. Dennoch vergewisserte ich mich, dass ich nicht beobachtet wurde, ehe ich eine der Spelunken am Ufer des Kanals betrat.
Der Sandfisch war ein verschwiegener Ort, der so gut wie nie von Exoten besucht wurde. Ich setzte mich an einen Fensterplatz und schaute mich in dem niedrigen, verqualmten Raum um. Die anderen Gäste, eine Hand voll schwermütiger Matrosen und zwei verwelkte Prostituierte, beachteten mich nicht. Ein Gebilde aus übereinander getürmten Speckwülsten kam um den Tresen herum auf mich zu. Ich bestellte ein Bier, den Blick auf die dreckige, zersprungene Tischplatte aus rotem Presssandstein gerichtet. Die Matrosen, ausgetrocknete Gestalten mit trüben Augen, stimmten eine eintönige Melodie an, die mehr gebrummt als gesungen wurde. Moroco-Melancholie.
Das Bier kam in einem Krug mit abgesplittertem Rand. Mit einem kräftigen Schluck nahm ich dem Drang, ein Blatt zu kauen, die Spitze. Wohlige Ignoranz konnte ich jetzt genauso wenig brauchen wie manische Selbstüberschätzung. Nur eine ausgeklügelte Strategie konnte mir weiterhelfen.
Aber welche? Auf Dauer würde es mir nicht möglich sein, den f’Fnorl aus dem Weg zu gehen, schließlich gehörte ihnen die halbe Stadt. Sie konnten eine ganze Armee froschäugiger Killer auf mich ansetzen, ohne selbst in Erscheinung treten zu müssen. Auch Menschen stellten eine Gefahr für mich dar, denn es gab keine Solidarität der Rassen auf Moroco. Hier wimmelte es von niedrigen Existenzen, die für ein paar Münzen oder eine Prise ihrer Lieblingsdroge raubten, folterten und mordeten.
Das Rascheln von Gewändern drang in meine Gedanken. Dzar ließ sich mir gegenüber auf einen Stuhl gleiten und musterte mich bedeutungsvoll.
»Glaubst du mir nun?«, fragte er mit gedämpfter Stimme. »Die verstehen keinen Spaß, wenn es um ihre Ehre geht. Hoffe, du hast es dem kleinen Miststück tüchtig besorgt. Bevor ihr der Knirps das letzte Ding verpasst hat.«
»Du bist anscheinend über alles informiert«, erwiderte ich. »Bestimmt weißt du auch, was die Kürbisköpfe als nächstes vorhaben.«
Dzar rollte mit seinen hellblauen Wüstenhimmelaugen. »Woher soll ich das wissen? f’Fnorl sind unberechenbar. Aber nicht unfair. Wollten dir eine Chance geben, die Sache auf gütliche Weise beizulegen. Hast sie in den Wind geschlagen. Könnte auch sagen: aus dem Fenster geworfen.«
»Sie wollten, dass ich mir den Arm abschneide!«
»Leise, Freund, leise – kann dir sagen: Hättest drauf eingehen sollen. Ist deine Entscheidung. Arm ab, alles gut. Arm dran, Kopf in der Schlinge. So ist das.«
»Dann sag mir, wie ich meinen Kopf da wieder herausbekomme.«
Er grunzte verächtlich. »Unmöglich, wenn du auf Moroco bleibst. Kürbisköpfe haben überall ihre Finger drin.«
»Also die Welt verlassen? Ich würde es nicht mal bis zum Raumhafen schaffen. Nein, ich werde kämpfen.«
»Denk erst gar nicht dran. Kämpfen, pah!«
Ich blickte durch das halbrunde Fenster auf den Kanal hinaus, der im letzten Licht des Tages wie flüssiges Silber leuchtete. Eine bewährte Deponie für Leichen aller Art, derer es sich auf unspektakuläre Weise zu entledigen galt.
»O ja, der Kanal«, seufzte Dzar, als hätte er meine Gedanken erraten. »Nicht schwer, dort zu enden. Musst dich nur mit den richtigen Leuten anlegen.«
»Erspar mir dein Gesabber. Was kannst du für mich tun?«
Er zog den Kopf in den Kragen seines Ponchos und legte seine Stirn in Falten. »Großes Risiko, dir zu helfen…«
»Wenn dir sonst nichts dazu einfällt, dann hau wieder ab.«
»Nicht so heftig, Alter. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit. Lass mich überlegen.«
Ich ließ ihn überlegen. Er sah sich verstohlen um, beugte sich über den Tisch und flüsterte: »Der Freund eines Freundes von mir erwartet heute Nacht Besuch von draußen. Illegales Geschäft, verbotene Ware… Kunde wird sie persönlich in Empfang nehmen. Hat beiläufiges Interesse geäußert an ausrangierten Söldnern, die sich anheuern lassen…«
»Weiter«, forderte ich ihn auf. »Das klingt gut.«
»Nix weiter. Das war alles.«
»Damit kann ich nichts anfangen. Ich brauche einen direkten Kontakt zu diesem Freund deines Freundes.«
»Angelegenheit ist zu kitzlig. Würde sich schnell rumsprechen, wer den Kontakt eingefädelt hat.«
»Dann werde ich mich selbst darum kümmern. Wer ist dieser Außenweltler? Woher kommt er und was treibt er?«
»Weiß nur, dass er nicht lange bleiben wird. Nur wenige Stunden. Wenn du Glück hast, verlässt du noch heute Nacht den Planeten.«
»Wo findet das Treffen statt?«
»Kleiner Markt am Westtor.«
»Woran erkenne ich den Mann?«
Dzar grinste vieldeutig. »Ist eine Frau.«
»Eine Frau, na gut. Wie heißt sie? Wie sieht sie aus?«
»Weiß niemand. Musst auf deine Intuition vertrauen.«
Dzar stand abrupt auf und blickte mit schlecht gespielter Gehetztheit um sich. »Großes gelbes Zelt am Rand des Marktes, Nordseite. Muss jetzt weiter. Darf mich nicht länger mit dir sehen lassen.«
Er wirbelte in seinem Poncho auf den Ausgang zu. Im nächsten Augenblick war er zur Tür raus.
Dzar war ein übles Subjekt, aber in den Zeiten unserer gemeinsamen Unternehmungen hatte er sich als loyaler Partner erwiesen. Was nicht ausschloss, dass er seinen alten Kumpel kalt lächelnd an die f’Fnorl verkaufen würde, wenn es ihm einen Vorteil brachte. Aber die Kürbisköpfe mit ihren guten Beziehungen waren nicht auf solche Mätzchen angewiesen.
Ich trank den Krug aus und legte mein letztes Geld auf den Tisch. Musste mich beeilen, wenn ich vor Einbruch der Dunkelheit am Westtor sein wollte. Meine Chancen standen gut, falls die Außenweltlerin wirklich einen Mietsoldaten suchte. Wahrscheinlich war ich gerade das einzige nüchterne Exemplar meiner Zunft auf diesem Planeten.
* * *
In der Zwischenzeit hatte der Frachtkahn angelegt und die ersten Matrosen gingen an Land, wo sie bereits von den Huren erwartet wurden. Eine Batterie Scheinwerfer riss weiße Löcher in die rostrote Dämmerung, die rauen Stimmen der Hafenarbeiter schallten übers Wasser.
Ich verspürte eine elektrisierende Spannung, die sich um mich herum verdichtete. Das Gewicht der Waffen zerrte beruhigend an meiner Jacke. Alle meine Sinne waren hellwach. Die Unerschütterlichkeit, die mich einst zu einem der angesehensten Krieger des Ordens gemacht hatte, war zurückgekehrt. Nur dass ich jetzt nicht für fremde Herren ins Feld zog, sondern für mein eigenes Überleben, das früher immer der heiligen Sache untergeordnet gewesen war.
Mit festen Schritten bog ich in eine der Gassen ein, die sich zur Altstadt hinaufwanden. Durch den schmucklosen Doppelbogen des Westtors gelangte ich auf den Marktplatz mit seinem groben Gewebe aus Stimmen, dissonanter Musik und geräuschvoller Betriebsamkeit. Die Luft war schwer von den unterschiedlichsten Gerüchen. Grelle Holos flimmerten unter dem ausgezahnten Stück Himmel, das sich zwischen den verschachtelten Fassaden spannte. Menschen und Exoten wimmelten auf den engen Bahnen zwischen den Ständen und Zelten, vor denen Händler, Schlepper und Wahrsager durcheinander krakeelten. Aquamarinäugige Nomaden bahnten ihren Lasttieren verschlungene Wege durchs Gewühl, farbenprächtig aufgeputzte Nutten aller Preisklassen strichen um potenzielle Freier herum.
Es war mir auf einmal unverständlich, wie ich das vulgäre Gedränge so lange ertragen hatte. Boville war ein Konzentrat des Verdorbenen, durchzogen von einem Netzwerk aus Bestechung, Intrigen und perversen Obsessionen. Die ganze Stadt war ein schwammiger Sumpf, und der Westtormarkt war eine seiner tiefsten Stellen. Fremdländische Seeleute verschacherten hier Drogen und Diebesgut, alte Weiber und merkwürdige Greise priesen die Zauberamulette und Götzenbilder blasphemischer Kulte und verbotener Religionen, und lichtscheue Außenweltler benutzten den Markt als Umschlagplatz für ihre illegalen Mitbringsel von abgelegenen Kolonien.
Ich erinnerte mich an einen leprösen Randzonenbastard, der mir hier einmal ein kleines Mädchen mit verstümmelten Gliedmaßen und zugenähten Augen angeboten hatte. »Shn’Yyrt-Aufbereitung«, hatte mir der Unhold verschwörerisch zugeraunt. Ich war mit dem Messer auf ihn losgegangen, doch meine Kumpane hatten mich aus dem winzigen, mit abscheulichen Talismanen dekorierten Zelt gezerrt und mir zur Beruhigung ein paar Blätter zwischen die Zähne geschoben. Ich war nie dahinter gekommen, warum mich die Sache aus der Fassung gebracht hatte. Während meiner Zeit beim Orden war mir hundertmal Schlimmeres unter die Augen gekommen, ohne dass es mich auch nur im geringsten beeindruckt hätte.
Eine Patrouille der Ordnungsmiliz hatte sich um einen Getränkespender versammelt und musterte die Menge durch den Dampf aus ihren Trinkbechern. Ich ging den drei groß gewachsenen Burschen mit ihren blau schimmernden Helmimplantaten aus dem Weg – die f’Fnorl kamen immer zuerst mit der Administration ins Geschäft, wenn sie sich auf einer Welt breit machten. Auch auf die Kürbisköpfe selbst musste ich nun verstärkt achten, da sie sich mit Vorliebe auf Märkten herumtrieben. Doch es war weit und breit keiner von ihnen zu sehen. Als hätten sie sich alle miteinander an einen geheimen Ort zurückgezogen, um Kriegsrat zu halten.
Hinter den Reihen der Buden und Verschläge duckte sich ein großes, gelbes Zelt unter einen Mauervorsprung. Davor schritt ein schwarzbärtiger Hüne mit einer mächtigen Kanone am Gürtel auf und ab. Seine demonstrative Gelassenheit stand im Widerspruch zu dem lauernden Ausdruck seiner Schlitzaugen. Ich war an der richtigen Adresse, jetzt musste ich nur noch Geduld aufbringen.
Ich trat an einen Verkaufsstand und nahm die kleinen Schnitzereien in die Hand, deren Vorzüge mir ein zahnloses Weib in penetrantem Singsang beschrieb. Ich verstand nicht ein Viertel davon. Es ging um magische Kräfte, die angeblich in dem Plunder steckten, um Liebeszauber und um das Bannen von Feinden. Ich ließ sie faseln und behielt das gelbe Zelt im Auge, während die Milizpatrouille auf die andere Seite des Platzes abwanderte und in einer Gasse verschwand.
Sie ist schon da, sagte eine warme, angenehme Stimme in meinem Kopf. Sie weiß, dass du sie suchst…
Der Scanner musste ganz in meiner Nähe sein, so klar und deutlich waren die ungesprochenen Worte. Ich hatte mir auf 2.4 keinen Scanblocker installieren lassen, weil ein guter Telepath auf eine Abschirmung noch schneller aufmerksam wurde, als auf ein ganzes Meer aus verdächtigen Gedanken. Doch jetzt konnte ein x-beliebiger Scanner, der wusste, wonach er zu suchen hat, meine Pläne durchkreuzen.
Sie ist bereits in dem Zelt. Aber es sind andere auf dem Weg hierher, die dir nicht wohl gesonnen sind.
Ich blickte das runzlige alte Weib an, das unermüdlich auf mich einplapperte. Bist du das?
Ja, ich bin es. Sei unbesorgt, ich verrate dich nicht. Ich hasse die Kürbisköpfe, sie sind ein übles Pack und saugen uns ehrbare Händler schamlos aus…
Am liebsten wäre ich sofort in das gelbe Zelt gestürmt und hätte der Außenwelterin meine Aufwartung gemacht. Doch wenn ich einen zuverlässigen Eindruck machen wollte, musste ich besonnen auftreten. Zumindest würde ich nicht lange auf sie warten müssen, denn ein illegales Geschäft wurde in der Regel so schnell wie möglich abgewickelt.
Mögen deine Götter dich beschützen, Einsamer! Ich muss jetzt fort…
Ich fuhr zu dem alten Marktweib herum, aber der Stand war verwaist. Die Atmosphäre über dem Platz zog sich zusammen, vibrierende Unruhe schwärmte aus wie ein Insektenschwarm. Die Holos erloschen und überall wurden Läden zugeklappt, als stünde ein schweres Unwetter bevor.
Wie Schatten wuchsen die dürren Gestalten meiner Feinde aus dem Boden. Es waren elf – die im Hintergrund Verborgenen nicht mitgerechnet. Offiziell galten f’Fnorl á Daan als Semihumanoide, aber das war eher Teil eines Arrangements, das ihren Stämmen die Expansion auf menschendominierten Welten erleichtern sollte. Sie hatten weder Haare noch sichtbare Nasen und Ohren, und ihre Münder liefen in kurzen, biegsamen Rüsseln aus. Aus ihren schwieligen Köpfen funkelten winzige, weit auseinander stehende Augen. Abgesehen von ihrem Körperbau war wenig Menschliches an ihnen.
»Höre, ehrloser Menschenwurm: Die Stunde des Gerichts ist angebrochen!«
Ein großes und ziemlich kräftig gebautes Exemplar raschelte Effekt heischend mit seinem wallenden, rot gefütterten Umhang. Seine Stimme klang voll und hatte Druck, der Bursche musste einen hervorragenden Kehlkopfklempner haben.
»Ich bin On san Dahg, oberster Patriarch des vierten Zweiges der gerühmten Sippe der Bansal Dagh!«, fuhr er in feierlichem Pathos fort. »Bekenne, dass du wiederholt und in anmaßender Weise das Ansehen meiner Familie beschmutzt hast!«
»Dieser Wichtigtuer hat mich angestänkert«, antwortete ich. »Und ich lasse mich von niemandem herumstoßen.«
»Wie hast du meinen prachtvollen Neffen genannt?«
»Wichtigtuer. Hurenbock. Ein stinkender Haufen Käferscheiße. Such dir aus, was dir am besten gefällt.«
Der f’Fnorl stieß geräuschvoll einen schillernden Schleimbatzen durch seinen Rüssel aus. Das machten sie immer, wenn sie in Rage gerieten, weil es ihre Sekretdrüsen anregte.
»Du lässt also keine Einsicht erkennen. Das ist traurig. In unserer verehrungswürdigen Kultur legt man großen Wert darauf, dass man den Weg zu seinen Ahnen im Bewusstsein seiner Verfehlungen antritt. Doch wir wollen es nun rasch zu Ende bringen. Nagg dan s’Loj!«
Das bedeutete so viel wie Das Recht geschehe und war die offizielle Einleitung zu meiner Hinrichtung. Die Kürbismänner ließen ihre Krummsäbel mit choreografischer Präzision durch die Luft wirbeln. Anscheinend sollte ich, des abschreckenden Effekts wegen, in Scheiben geschnitten werden.
»Wir beide sind Angehörige von zivilisierten Völkern«, sagte ich und ließ einen winzigen Gegenstand aus dem Ärmel in meine hohle Hand purzeln. »Wir sind in der Lage, uns über den Graben unserer Meinungsverschiedenheiten hinweg zu verständigen. Ich bin bereit, mit euch zu verhandeln.«
»Verhandeln?«, dröhnte On san Dahg, empört über die Unterbrechung des Rituals. »Willst du uns jetzt doch noch deinen Arm anbieten? Dafür ist es zu spät! Wir holen uns deinen Arm! Beide Arme! Deine Beine! Deinen Kopf! Und deine verschrumpelten Humanoidengenitalien!«
Ich schleuderte die Fadenkapsel nach ihm. Der monomolekulare Strang entrollte sich im Flug, wickelte sich um den Arm des Kürbismannes und trennte ihn an der Schulter ab. Sein Kopf wäre mir lieber gewesen.
Der Verstümmelte glotzte auf seine herrenlose Extremität, die mit dem Säbel sinnlose Scharten ins Funken sprühende Pflaster ritzte. Ich fischte die Spinne aus meiner Jacke warf sie nach einem anderen f’Fnorl, der etwa fünf Schritte rechts von ihm Position bezogen hatte. Der Exot ging hinter einem Mast in Deckung, an dem die Wimpel einer Händlerfamilie in der Abendluft zitterten. Mit einem präzisen Klirren ließ die Spinne ihre Gliedmaßen um den Mast zuschnappen. Sie rutschte ein Stück daran herunter und sprang dem Exoten an den Hals. Sein dickflüssiges braunes Blut besudelte die Zeltplanen und Verkaufstische.
Die Aliens rührten sich nicht von der Stelle. Mein kleiner Präventivschlag hatte sie aus dem Konzept gebracht. Ich flankte über den Verkaufsstand mit den Penis-Götzen und kauerte mich dahinter zusammen. Eine bescheidene Deckung: Meine Gegner würden nicht zögern, mich in meinem Versteck mit ihren Feuerwaffen zu rösten. Zwar neigten sie zur Detailverliebtheit, was ihre traditionellen Gepflogenheiten betraf, doch als Händlervolk hatten sie auch einen ausgeprägten Sinn fürs Pragmatische.
Ich prüfte die zwei bulligen kleinen Pistolen, mit denen ich den restlichen Kampf bestreiten würde. Ihre blinkenden Leuchtanzeigen verrieten, dass ausreichend Energie in ihnen steckte, um mich tagelang mit den Exoten zu schießen.
»Deine billigen Tricks werden dir nicht helfen!« Das humangeformte Sprachorgan des verwundeten Anführers übersteuerte scheppernd. »Wir werden dich bei lebendigem Leib braten und dein Fleisch an die Schlammlurche im Kanal verfüttern!«
Durch das zustimmende Fiepen im f’Fnorl-Idiom, das der Ankündigung folgte, war das Klicken von Entsicherungsbügeln zu hören. Es blieb keine Zeit für eine der Konzentrationsübungen, die ich früher vor einem Feuertanz angewendet hatte. Ich schnellte aus meiner Deckung hervor und wirbelte um meine Längsachse, die Fäuste mit den Pistolen seitlich ausgestreckt und die Abzüge durchgedrückt. Zelte und Buden gingen in Flammen auf, mindestens drei der Exoten verwandelten sich in knisternde Fackeln. Als vorläufigen Abschluss meiner Darbietung drehte ich einige Pirouetten in der Luft, die Arme vor der Brust gekreuzt und ununterbrochen weiter feuernd, während eine Menge schlecht gezielter Schüsse auf mich abgegeben wurden und für allgemeine Verwüstung sorgten. Ich kam federnd auf und nutzte die verbliebene Schwungkraft für eine Reihe dramatischee Überschläge, immer noch aus beiden Rohren schießend. So etwas hatten sie bestimmt noch nicht oft gesehen.
Ich kam dicht vor einem reglos dastehenden Kürbismann auf die Beine, jagte ihm zwei Ladungen in den Leib. Er prallte mit aufloderndem Umhang in eine Zeltplane, riss eine Stützstrebe um und versank unter dem Elektronikschrott, der von einem einstürzenden Regal auf ihn nieder regnete.
Ein halb gegurgeltes, halb gepfiffenes Kommando hallte über den Markt und die Angehörigen des vierten Zweigs der Bansal Dagh verschmolzen mit der Nacht. Aus den brennenden Zelten stiegen prasselnde Funkenkaskaden auf. Flackernder Lichtschein tanzte über die Fassaden, die den Platz wie Gefängnismauern umgaben. Von den schwelenden Leichen der getöteten Kürbismänner breitete sich der Gestank von verschmortem Eiweiß aus.
»Hierher, Söldner!«
Unter dem Verkaufstisch einer verlassenen Schnapsbude hockte eine pummelige Hure und gab mir unbeholfene Handzeichen. Ich hastete zu ihr hinüber und richtete eine Pistolenmündung auf ihre Kehle.
Sie schob mit einer zitternden Hand die Pistole zur Seite und deutete auf eine der Gassen, die in die untere Stadt hinabführten. »Da entlang, schnell. Dieser Weg ist noch unbewacht! Aber nicht mehr lange…«
»Wer schickt dich?«
»Meine Herrin Aderis…«
Aderis – Adjutant des Ersten Ritters. Sehr originell. In einem Anflug von Übermut, ausgelöst durch meinen kleinen Sieg und die unverhoffte Hilfe, wollte ich die Hure auf die Wange küssen, aber sie wich vor mir zurück und streckte erneut den Arm aus.
»Beeile dich, dir bleibt nicht mehr viel Zeit!«
* * *
Die Gasse war eng, feucht und dunkel wie ein Grab. Die Lichtverstärker meiner Augen pegelten sich im oberen Infrarotbereich ein. Ich schlich eine Weile an verschimmelten, glitschigen Mauern entlang, ehe die Gasse in eine steil abwärts führende Treppe überging, an deren Fuß sich eine kleine Steinbrücke über einen träge schwappenden Abwasserkanal wölbte.
Ich drückte mich an eine Wand und lauschte in die Dunkelheit. Es war mörderisch still, die ganze Stadt schien den Atem anzuhalten.
Auch wenn sie mit einem berauschten, lächerlichen Opfer gerechnet hatten und nicht mit einer kampfbereiten Ein-Mann-Armee, würden die Kürbisköpfe nicht aufgeben. Bestimmt forderten sie von verwandten oder anderweitig verpflichteten Sippen Unterstützung an. Doch gab es keine Truppe mehr, die mir in derartiger Bedrängnis den Rücken frei halten würde. Ich war allein, auf mich selbst gestellt, dem Untergang preisgegeben.
Als wäre ein Vorhang zerrissen, sah ich das dröhnende Inferno aus meinem Traum vor mir. Mein persönliches Jenseits. Und die Silhouette, die sich mit knallenden Stiefelabsätzen über die Gitterroste näherte – mein Todesengel, der auf dem Weg war, um mich zu holen.
Ich spannte mich und rannte los. Mit wenigen Sätzen hatte ich die Brücke erreicht. Die Sensoren meldeten Bewegungen in den Schatten auf der anderen Seite. Als der erste Schuss auf mich abgegeben wurde, schwang ich mich bereits der Länge nach über die gemauerte Brüstung. Im nächsten Moment war ich in die stinkende Brühe des Kanals eingetaucht.
Ich durchpflügte eine brackige Dunkelheit, die immer wieder von zuckenden Blitzen aufgerissen wurde – wirkungslose Einzelschüsse, die weit hinter mir ins Wasser fuhren. Undefinierbares Zeug streifte meinen Körper, verschlungener Unrat angelte aus dem schlammigen Grund nach mir. Meine Netzhäute spielten verrückt und produzierten schemenhafte Bilder, die lautlos an mir vorüberzogen: dampfende Wälder, kältestarrende Felswüsten und skelettierte Städte – Eindrücke aus einer zerronnenen Vergangenheit.
Über mir war ein heller Fleck erschienen, der sich langsam ausdehnte. Noch während ich versuchte, das Phänomen meiner Innenwelt oder meiner tatsächlichen Wahrnehmung zuzuordnen, prallte ich mit dem Kopf an einen Widerstand. Ich ertastete ein massives Eisengitter, das mir den Weg versperrte. Die Sauerstoffspeicher meiner modifizierten Erythrozyten würden es mir erlauben, noch eine Stunde unter Wasser zu verbringen. Aber ich musste wissen, was oben los war. Meine Beine versanken bis zu den Knien im Schlamm, als ich mich aufrichtete und das Gesicht durch die Oberfläche schob.
Der Fleck wächst zu dem runden Ausschnitt eines bleiernen Himmels heran, gehalten von den schrägen Wänden eines Bombentrichters. Der stetige warme Regen hat am Grund des Kraters einen grünen Tümpel entstehen lassen, in dem ich fast komplett untergetaucht bin, um mich gegen die Wärmedetektoren und Bioscanner des Feindes zu schützen. Nur mein dreckverschmiertes Gesicht durchstößt die Oberfläche – ein lauerndes Reptil auf Beutefang. Flackernde Lichterscheinungen jagen über meinen kleinen Himmel, gefolgt von dumpfen Explosionen, welche die Wände meines Verstecks erschüttern und kleine Schuttlawinen daran herabrieseln lassen…
Über mir befand sich ein kurzer Mauervorsprung, der für den Moment ausreichend Deckung bot. Ich sondierte die Umgebung: Am linken Ufer wurde der Kanal von verschachteltem Mauerwerk gesäumt, in dem sich zweifellos der Feind eingenistet hatte. Am rechten Ufer trat die Bebauung zurück und bildete einen freien Platz mit einem Tor an der Rückseite. Auf der Brücke, etwa zweihundert Schritte von mir entfernt, debattierten etliche f’Fnorl in ihrer tschilpenden Sprache. Gleich würden sie ihre Waffen auf das Wasser richten und Dauerfeuer geben. Ich jedenfalls hätte es so gemacht. Innerhalb einer Minute würde der kleine Kanal auf seiner ganzen Länge kochen. Auch ein Welt 2.4-Körper hielt das nicht lange aus.
Wohl hätte ich die Exoten bequem von der Brücke herunterholen können. Und damit meine Position an diejenigen verraten, die in der Dunkelheit der Gemäuer lauerten. Ich musste mit einem Blitzstart das Tor erreichen, das vermutlich auf eine Straße führte. Von dort empfing ich zwar schwache Bio-Signale, aber mit einem rasanten Überraschungsmanöver konnte es klappen. Blieben noch die Schützen auf der linken Seite des Kanals. Denen zu entgehen erforderte ganz bestimmte physische Aktionen, die ich vielleicht nicht mehr zustande brachte. Mit einer Zirkusnummer wie oben auf dem Markt würde ich sie dieses Mal nicht überrumpeln können.
Während die Zeit zu einem trägen Rinnsal verkümmert, versetzt mich die Vorstellung in Panik, die graue Himmelsscheibe könne sich wie ein Deckel über den Krater senken und ihn verschließen. Am liebsten würde ich aus meinem Versteck springen und auf die von Granateneinschlägen umgepflügte Ebene hinausrennen – aber dort ziehen immer noch die feindlichen Truppen vorüber, denen ich in den Rücken fallen will. In stummer Konzentration bete ich so lange die sieben Meditationen herunter, bis sich die Worte in meinem Kopf verselbständigen…
Lautlos watete ich unter dem Mauervorsprung hervor, um mich auf den schmalen Sims zu ziehen, der den Kanal säumte. Mitten in der Bewegung erstarrte ich. Vor meinen Augen ragte ein Paar dünner Beine in schuppigen Echsenlederbreeches in die Höhe. Die flimmernde Mündung eines langläufigen Plasmakarabiners war auf meine Stirn gerichtet.
»Bleib wo du bist, Menschenwurm! Akzeptiere dein Schicksal mit Würde!«
Der f’Fnorl fixierte mich aus winzigen Augen, die wie ferne Gestirne in seinem dunklen Gesicht leuchteten. Seine humangeformte Stimme klang blechern und nicht annähernd so menschlich wie die von On sal Dagh.
Von der Brücke ertönte ein fauchendes Geräusch. Sie hatten damit angefangen, den Kanal aufzuheizen. Ich ließ die Hände mit den Pistolen unter Wasser, die Regler waren an beiden Waffen voll aufgedreht. Ich würde das Kanalufer mitsamt diesem Exoten wegpusten und dann versuchen, das Tor zu erreichen. So oder ähnlich würde ich es schaffen.
Zwei weitere Kürbismänner kamen mit schussbereiten Karabinern näher und postierten sich in einem für mich strategisch ungünstigen Winkel. Ich würde sie nicht alle drei erwischen können, bevor mich einer von ihnen drankriegte. Der Feind hatte dazugelernt.
»Ich habe euch eine Kostprobe meiner Fähigkeiten gegeben«, sagte ich. »Denkst du nicht auch, dass ich euch sehr nützlich sein könnte?«
»Nützlich? Du?« Der Kürbismann spuckte knapp an meinem Kopf vorbei ins Wasser. »Nachdem du unseren halben Clan ausradiert hast?«
Die Waffenmündung senkte sich auf meine Nasenwurzel, während sich der Kanal rasch erhitzte. Mir blieben vielleicht noch zehn Sekunden, höchstens zwanzig, dann musste ich hier raus. Doch sie würden mich in die kochende Brühe zurücktreiben. Vielleicht konnte ich einige von ihnen mitnehmen, aber das würde an meinem Schicksal nichts mehr ändern.
Eine Bewegung am Rand des Trichters lässt mich meine endlose Litanei unterbrechen. Eine geduckte Gestalt in einem grauen Kampfanzug späht zu mir herunter. Weitere Soldaten kommen hinzu und richten ihre Waffen auf mich. Ich feuere den Karabiner ab, sehe zerfetzte Körper durch die sprühende Gischt wirbeln, aber das wird mich nicht retten können. Gleich wird etwas Bösartiges, Todbringendes vom Himmel fallen und in meinem Krater detonieren, ohne auch nur ein Molekül von mir und meiner Ausrüstung übrig zu lassen…
Ein Stern explodierte vor meinen Augen und ich hielt mich für tot. Dann stellte ich fest, dass der f’Fnorl keinen Kopf mehr hatte. Aus seinem Hals sprühte bläuliches Funkengewitter, seine Waffe flog in hohem Bogen davon und schlug irgendwo in der Nacht auf. Zwei weitere Explosionen folgten dicht aufeinander und die beiden anderen Kürbismänner verwandelten sich in flammende Statuen.
Eine wüste Schießerei brach aus, die Leuchtbahnen der Projektile zeichnen kurzlebige Gitter in die Luft. Ich warf mich herum, riss die Pistolen aus dem Wasser und deckte die gegenüberliegende Kanalseite mit einem Feuerregen ein, der große Brocken aus den Mauern riss. Auch hinter mir wurde wieder geschossen, aber offensichtlich nicht auf mich. Es schien, als hätte ich unerwartete Rückendeckung bekommen.
Das Gefecht ebbte allmählich ab. Grelle Pfiffe und das Trappeln von Füßen verrieten, dass die Exoten auf dem Rückzug waren. Drüben am Tor knallte es noch einige Male, dann herrschte Stille.
Ich kletterte aus dem Wasser und richtete mich auf. Eine warme Brühe schwappte in meinen Stiefeln, triefte aus meinen Haaren und aus meiner Kleidung.
Aus dem Dunkel unter dem Torbogen trat eine große, schlanke Frau, in jeder Hand eine Pistole mit glühenden Kontrolllichtern. Ihr Gang war geschmeidig und kraftvoll und ihre Haltung drückte souveräne Unabhängigkeit aus, aber auch die Unerbittlichkeit eines Raubtiers. Ihr dichtes, helles Haar strömte weit über ihre Schultern hinab. Schimmernde Metallreifen umschlossen ihre Oberarme und Handgelenke. Ihre langen, muskulösen Beine steckten in engen Stiefeln, die fast bis zu den Leisten reichten und seitlich über Streifen von blasser Haut geschnürt waren. Um ihr Becken war eine knapp sitzende Konstruktion aus Metall und Leder gewunden, die an einen Keuschheitsgürtel erinnerte.