Ella Löwenstein - Ein Fluss der Fantasie - Gesa Schwartz - E-Book

Ella Löwenstein - Ein Fluss der Fantasie E-Book

Gesa Schwartz

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Beschreibung

Tanzender Schnee – so riecht Magie für Ella Löwenstein. Aber damit nicht genug: Sie kann außerdem magische Wesen sehen! Denn sie ist eine Feenflüsterin. Und die Geschöpfe der Anderwelt brauchen ihre Hilfe …

Was ist nur mit dem Wasser los? Bei Ella zu Hause jagt ein rätselhafter Vorfall den nächsten: Die Wasserhähne tropfen aus ungeklärter Ursache, der Gartenteich verfärbt sich seltsam und dann wird auch noch Kobold Kasimir in der Dusche von einem Schlammregen getroffen. Für Ella ist sofort klar: Hier muss Magie im Spiel sein! Zusammen mit Kasimir versucht sie, den Ereignissen auf den Grund zu gehen. Und ehe sie es sich versehen, sind sie mittendrin in einem gefährlichen Abenteuer, das sie in das geheimnisvolle Reich der Nixen führt ...

Alle Bände der Ella Löwenstein -Reihe:
Ella Löwenstein – Eine Welt voller Wunder (Band 1)
Ella Löwenstein – Ein Meer aus Magie (Band 2)
Ella Löwenstein – Ein Wald der Wünsche (Band 3)
Ella Löwenstein – Ein Fluss der Fantasie (Band 4)
Ella Löwenstein – Ein Feenreich aus Farben (Band 5)

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Seitenzahl: 161

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© 2023 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München (www.ava-international.de).

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagbild: Bente Schlick (www.benteschlick.com)

Vignetten: Cathy Ionescu

Umschlaggestaltung: Maria Proctor, Würzburg

ah · Herstellung: bo

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-29976-7V001

www.cbj-verlag.de

Eine morgendliche Überraschung

»Ella! Wach auf!«

Schlaftrunken öffnete Ella Löwenstein ein Auge – und im selben Moment bohrte sich ein kleiner haariger Finger in ihr rechtes Nasenloch. Sofort war Ella hellwach.

»Igitt!« Sie fuhr in die Höhe und sah gerade noch, wie ein fliederfarbener Kobold kopfüber von ihrer Bettdecke purzelte. Dann musste sie niesen, gleich drei Mal hintereinander. »Verdammt, Kasimir! Das ist die schlimmste Art, geweckt zu werden, die ich mir vorstellen kann!«

»Du übertreibst.« Kasimir tauchte mit zerzauster Mähne neben ihrem Bett auf. »Anders bist du eben nicht wach zu kriegen. Das nächste Mal kann ich es mit Krötenschleim versuchen. Der ist eiskalt, wenn man ihn sich ins Gesicht klatscht. Soll aber ein schönes Hautbild machen.«

Ella schnaubte und sah auf die Uhr. »Es ist Wochenende! Warum weckst du mich überhaupt mitten in der Nacht?«

»Es ist gleich sechs Uhr morgens. Und es ist ein Notfall. Dein Vater randaliert im Bad und …«

Ein Fluch tönte über den Flur, gefolgt von lautem Scheppern. Ella stand auf und ging mit Kasimir auf der Schulter ins Bad. Als Feenflüsterin konnte sie Anderwesen wie den Kobold sehen, aber ihr Vater würde ihn nicht bemerken.

»Ihr Menschen macht komische Sachen«, murmelte Kasimir bei dem Anblick, der sich ihnen bot.

Ella konnte nicht widersprechen. Ihr Vater lag in dem kleinen Badezimmer quer auf dem Boden, sein Kopf steckte im Schrank unter dem Waschbecken, und er versuchte, einen Schraubenschlüssel aus dem Werkzeugkoffer neben sich zu angeln, was ihm aber nicht gelang, weil der Handtuchhalter umgekippt war und jetzt den Koffer blockierte.

»Was machst du denn da?«, fragte Ella.

Ihr Vater fuhr erschrocken hoch und stieß sich den Kopf am Schrank. Mit ziemlich zerknirschtem Gesicht kam er zum Vorschein. »Der Wasserhahn tropft. Und ich kriege ihn nicht repariert. Warum muss das ausgerechnet jetzt passieren, wenn deine Mutter nicht da ist?«

Es war kein Geheimnis, dass Ellas Mutter besser mit Werkzeugen umgehen konnte als ihr Vater. Dafür machte er die beste Pizza der Welt. Aber das half ihm nun auch nicht weiter. Denn Ellas Mutter war auf einer Tagung für Landschaftsarchitekten und kam erst am Abend zurück. Und jetzt sah Ella es auch: Der Wasserhahn tropfte nicht nur. Er plätscherte vor sich hin, mitten hinein in einen Putzeimer.

»Ich könnte dir helfen«, schlug sie vor. »Zusammen kriegen wir das bestimmt hin.«

Ihr Vater lächelte. »Das ist lieb von dir, aber ich habe wirklich genug von dem blöden Hahn. Ich rufe Kalle an. Der weiß sicher, was zu tun ist.«

Kalle und Ellas Vater spielten in der gleichen Band und außerdem war Kalle Klempner.

»Gute Idee«, meinte Ella. »Sag ihm, dass er seine Ukulele mitbringen soll. Ich wollte immer schon ausprobieren, ob ich auf ihr spielen kann.«

Ihr Vater nickte zerstreut. »Vielleicht kann Kalle mir auch erklären, wieso das Wasser so eine komische Farbe hat.«

Ella beugte sich über den Putzeimer. Tatsächlich sah das Wasser darin seltsam braun aus. »Lecker«, murmelte sie.

»Ich hoffe, dass das nicht an den alten Leitungen liegt«, sagte ihr Vater. »Sonst müssen wir uns vorerst mit dem Gießkannenwasser die Zähne putzen.« Er sah auf die Uhr. »Ich fahre eben zu Kalle. Um die Zeit geht er noch nicht ans Telefon. Bis gleich!«

Er wuschelte Ella durch die Haare und lief die Treppe hinab. Gleich darauf hörte sie, wie er mit dem kleinen roten Auto davonfuhr.

»Was für ein Morgen.« Ella schaute noch mal in den Eimer. »Ich weiß echt nicht, ob ich mich mit der Brühe waschen will.«

»Menschen!« Kasimir schnaubte verächtlich und sprang auf den Duschknauf. »Ihr stellt euch wirklich bei jeder Kleinigkeit an. Koboldfinger in Nase – ein Riesentrara! Bisschen braunes Wasser – ein Weltuntergang! Dabei ist das Wasser da nur etwas eisenhaltig. Das macht gar nichts!«

Ella hob eine Augenbraue. »Und du kennst dich damit aus?«

»Selbstverständlich.« Kasimir fing mit seinen morgendlichen Sportübungen an und joggte auf der Stelle. »Wasser ist mein Element. Und alles, was entfernt damit zu tun hat. Früher habe ich regelmäßig Schlammbäder genommen! Ich kann dir sagen, das war …«

Da rutschte er auf dem Duschknauf aus. Der drehte sich, ein merkwürdiges Ächzen ging durch die Rohre. Kasimir, der in letzter Sekunde das Gleichgewicht gehalten hatte, schaute mit großen Augen zur Brause hoch – und da schoss eine Ladung tiefbrauner Schlamm heraus, traf Kasimir und katapultierte ihn in die Duschwanne. Mit einem klatschenden Geräusch landete er auf dem Allerwertesten und kreischte, während das ekligste Wasser der Welt auf seinen Kopf lief.

Schnell drehte Ella die Dusche ab, konnte sich bei Kasimirs Anblick aber ein Grinsen nicht verkneifen. Er sah aus wie ein niedliches Schlammmonster mit Kulleraugen und ziemlich wütendem Gesicht.

»Wie war das noch?«, fragte sie kichernd. »Wir Menschen stellen uns an?«

Kasimir öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und verschluckte prompt eine Ladung Schlamm. Hustend kam er auf die Beine. Er hinterließ braune Fußspuren und fuchtelte so wild herum, dass Schlammspritzer durchs ganze Bad flogen. Ella schnappte sich die Gießkanne vom Fenstersims und goss Kasimir kurzerhand eine Ladung Blumenwasser über den Kopf.

»Puuurrrzzzd«, machte er und spuckte einen Schlammrest aus. »Wi! Der! Lich!«

»Dabei bist du Schlammbäder doch gewohnt.« Ella legte ihm ein Handtuch um den Körper.

»Die hatten aber die richtige Temperatur.«

»Verstehe.« Ella grinste und rubbelte Kasimir ab, bis er aussah wie ein fliederfarbenes Küken. »Hm«, sagte sie dann. »Du riechst nach Schlamm.«

Empört schnupperte Kasimir ebenfalls. »Stimmt«, gab er zu. »Und ich rieche noch was anderes.«

Er tapste zu einem seiner matschigen Fußabdrücke, die dem Gießkannenwasser entkommen waren, und sog die Luft ein. Sein Gesicht verfinsterte sich, und ehe er etwas sagen konnte, roch Ella es auch: tanzenden Schnee.

Ella und Kasimir sahen sich an. Das war kein gewöhnlicher Schlamm, so viel war klar.

In ihm steckte Magie.

Die Nixe im Gartenteich

»Raketenwürmer?« Kasimir sah Ella erwartungsvoll an.

Ella hockte auf ihrem Bett, während er vor der Balkontür auf und ab ging. »Keine Ahnung, was das sein soll.«

»Die spielen in einem eurer Filme mit!« Kasimirs Augen wurden vor Begeisterung kreisrund. Er liebte die Filme der Menschen. »Ist zwar uralt, aber absolut grandios und …«

»Ich glaube nicht, dass schauspielernde Raketenwürmer in unseren Rohren stecken.«

»Hm.« Kasimir setzte seine Denkrunde fort. »Hast wahrscheinlich recht.«

Ella betrachtete ihre Fingerkuppen. Die waren schrumpelig wie Rosinen, denn Ella hatte den magischen Schlamm weggeputzt, der sein Bestes gegeben hatte, das Bad explosionsartig bis in die hinterste Nische kennenzulernen. Immerhin durfte ihr Vater nicht wissen, dass bei dieser Sache mit dem Wasserhahn Magie im Spiel war. Oberon, der Herrscher der Anderwelt, legte großen Wert darauf, dass die gewöhnlichen Menschen nichts von eben dieser Welt mit all ihren Kreaturen erfuhren. Und bei einer riesigen Ladung Schlamm in seinem Badezimmer wäre ihr Vater sicher misstrauisch geworden. Aber so waren er und Kalle nach einer kurzen Besichtigung des Wasserhahns gleich weiter in den Baumarkt gefahren. Ella sah sie vor sich: den begeisterten Kalle, der zu jeder Schraube eine Geschichte erzählte, und ihren ahnungslosen Vater. Das konnte dauern. Lange genug vielleicht, bis Kasimir und sie herausgefunden hatten, wie magischer Schlamm in ihre Wasserrohre kam.

»Hexerei?«, mutmaßte Ella, doch Kasimir wischte abfällig durch die Luft.

»Glaub mir, man merkt es, wenn eine Hexe am Werk war. Jedenfalls ich merke es.« Grübelnd kratzte er sich das Kinn, dann hellte sich seine Miene auf. »Ich hab’s! Schlammgeister!«

»Gibt es die wirklich?«

»Keine Ahnung. Aber es könnte sie geben, oder etwa nicht? Kleine niedliche matschige Klumpen auf zwei Beinen mit Kulleraugen und …«

»Also sehen sie so aus wie du, wenn du zufällig eine Ladung Schlamm abbekommst?«

»Ich bin nicht niedlich, alles klar?« Kasimir stemmte ärgerlich die Hände in die Hüfte und sah dabei unglaublich niedlich aus. Dann kehrte seine Begeisterung zurück. »Die Schlammgeister hätten natürlich Hornbrillen auf. Keine Ahnung, wofür sie die brauchen, aber ich stelle es mir süß vor, so einen kleinen Matschkerl mit Brille und …«

Ella sah ihn an. »Dir ist schon klar, dass wir dringend rausfinden müssen, was hier los ist, oder?«

Kasimir seufzte. »Sicher.« Er setzte seine Denkermiene auf. »Vielleicht hat Herbert was damit zu tun.«

»Der Anführer der Moorkobolde? Was sollte der Schwarze Reiter in unseren Wasserrohren suchen?«

»Ärger, wie immer. Aber wahrscheinlich würde er sich nicht so nah an euch Menschen rantrauen. Er ist eben nicht so mutig wie ich.«

Ella schnupperte. »Also, was den Geruch betrifft, bist du ihm gerade ebenbürtig. Du müffelst immer noch ganz schön.«

»Das nächste Mal springe ich auf deinen Arm«, knurrte Kasimir, öffnete die Balkontür und tapste zu dem Heidestrauch, in dem er wohnte. »Aber erst, wenn ich so richtig schön eingesaut bin!«

Damit verschwand er in seinem Strauch. Ella ging seufzend auf den Balkon und schaute in den verwilderten Garten hinab. Herr Lilienthal, der Miniaturriese, schlief wohl noch, denn seine Fensterläden im Apfelbaum waren geschlossen. Die Feen hingegen sausten bereits munter durch die Luft und kicherten, als sie Ella sahen. Sofort schossen sie zu ihr herab, zerzausten ihre Haare und schwirrten wieder davon, um einander mit Beeren zu bewerfen. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten die Feen sich von Ella ferngehalten wie die meisten Anderwesen, als herausgekommen war, dass sie eine Feenflüsterin war. Aber mittlerweile hatten sie so manches Abenteuer zusammen erlebt, und Ella war froh, inzwischen mit allen Bewohnern des wilden Gartens bekannt und mit einigen sogar befreundet zu sein. Mit einer Ausnahme allerdings.

Sie schaute zum Teich hinüber. Darin wohnte die Nixe Leonore Wellensang, und sie war das einzige Anderwesen in diesem Garten, das immer noch Distanz zu Ella wahrte. Wenn ihre Blicke sich zufällig begegneten, tauchte Leonore sofort ab. Bis heute hatte Ella nicht mit ihr gesprochen, selbst ihren Namen hatte sie nur durch Herrn Lilienthal erfahren, der versehentlich einmal mit seinem Flugzeug, der Traurigen Gertrud, in Leonores Teich gelandet war. Es war offensichtlich, dass die Nixe nichts mit Ella zu tun haben wollte, und manchmal dachte Ella, dass das vielleicht auch besser so war. Immerhin waren Nixen nicht ungefährlich, wenn man den düsteren anderweltlichen Liedern glauben konnte, die Kasimir so gern sang. Nicht selten sollen die Nixen ihre betörenden Stimmen benutzt haben, um Menschen in ihre Gewässer zu locken. Ein Frösteln überkam Ella bei dem Gedanken. Und gleichzeitig wünschte sie sich, Leonore kennenzulernen … und die Wahrheit hinter all den Liedern herauszufinden.

Ella beugte sich ein wenig vor und zog die Brauen zusammen. Der Teich kam ihr an diesem Morgen seltsam ruhig vor. Und bildete sie sich das ein oder hatte das Wasser tatsächlich eine ungesunde grüne Farbe angenommen?

»Ich hätte gleich draufkommen können«, sagte Kasimir, der vor ihr auf die Brüstung hüpfte. Er roch nicht mehr nach Schlamm, aber dafür nach einer undefinierbaren Mischung aus Schokolade und Minze, die Ella in den Augen brannte. »War ja klar, dass es an ihr liegt!«

Ella rückte etwas von ihm weg. »An wem?«

»Na, an Leonore Wellensang natürlich! Nixen sind Geschöpfe des Wassers, falls es dir noch nicht aufgefallen ist. Sie sind magisch. Und sie können das Wasser beeinflussen. Vielleicht will sie uns verzaubern.«

»Und wieso sollte sie das tun?«

Kasimir zuckte die Achseln. »Weil sie merkwürdig ist? Sie hat noch nie mit dir gesprochen, obwohl du eine Feenflüsterin bist und sie in deinem Gartenteich wohnt. Und sie taucht immer ab, wenn sich einer von uns auch nur nähert.«

»Vielleicht hat sie was gegen niedliche Fellbüschel mit Kulleraugen auf zwei Beinen«, sagte Ella grinsend. »Immerhin redet sie mit dir auch nicht. Eigentlich spricht sie mit niemandem, es sei denn, sie ist dazu gezwungen.«

»Dafür singt sie einigermaßen schön. Aber der Gesang einer Nixe ist gefährlich, das weiß ja jeder. Bringt einen um den Verstand und so weiter.«

»Schon klar. Deswegen sitzt du auch in Vollmondnächten immer in deinem Heidestrauch und hörst ihr heimlich zu.«

Kasimir straffte die Schultern. »Unsinn«, murmelte er, aber Ella hätte schwören können, dass sein fliederfarbenes Fell sich im Gesicht ein wenig rot färbte.

»Ich habe eine Idee«, sagte sie. »Setz dir doch das nächste Mal eine Hornbrille auf wie deine Schlammgeister. Vielleicht wird sie dann zutraulicher, weil sie dich süß findet.«

»Süß!« Kasimir schüttelte sich. »Ich glaube jedenfalls, dass Leonore Wellensang mit dem Zauberschlamm was zu tun hat. Sie ist nun mal eine Nixe. Und Nixen tun bösartige Dinge, weil es ihnen Spaß macht.«

Ella warf ihm einen Seitenblick zu. »Wie meine Gummibärchen auffressen?«

»Das habe ich für dich getan«, entgegnete Kasimir prompt. »Zu viel Zucker ist ungesund für euch Menschen.«

»Und für euch Kobolde nicht?«

»Aber nein. Wir bekommen davon nur seidenweiches Fell. Fühl mal!«

Ella musste lachen. »Sei froh, dass du keine Marionette namens Pinocchio bist. Dann würde deine Nase schon bis ins Gummibärenland reichen. Wir sollten Leonore einfach fragen. Sie wird uns schon sagen, ob sie etwas mit der Sache zu tun hat.«

»Ich rede nicht mit ihr! Kobolde und Nixen haben nichts füreinander übrig. Nixen haben kalte Fischschwänze und unheimliche Stimmen und …«

Ein Platschen ließ Kasimir zusammenzucken. Leonore Wellensang war im Teich aufgetaucht. Doch sie wirkte seltsam mitgenommen. Ihre sonst meerblauen Haare erschienen fast schwarz, ihr Gesicht war totenbleich, und ihre Augen sahen aus wie zwei dunkle Seen. Und als sie jetzt Ellas Blick begegnete, tauchte sie nicht ab wie sonst. Sie hob den Arm und winkte.

Mitten in Ellas Erstaunen hinein fing der Teich an zu brodeln, als hätte ein Riese ein Feuer darunter entzündet. Leonore Wellensang schrie auf und streckte verzweifelt die Hand nach Ella aus.

»Schnell«, rief Ella. »Wir müssen ihr helfen!«

Kasimir zögerte keine Sekunde. Mit einem Satz war er auf Ellas Schulter und sie rannte die Treppe hinunter in den Garten.

Kalt wie Marmor

Der Teich war nun pechschwarz. Das Wasser hatte aufgehört zu blubbern und sah jetzt aus wie ein unheimlicher dunkler Spiegel. Und davor im Gras lag Leonore Wellensang, umschwirrt von besorgten Feen.

»Sie ist bewusstlos«, rief Kasimir. »Sie muss sich aus eigener Kraft an Land gezogen haben!«

Ella fiel neben Leonore auf die Knie. Noch nie zuvor hatte sie die Nixe aus solcher Nähe gesehen. Ihr Fischschwanz schillerte im Schein der Morgensonne, ihr blaues Haar war mit kleinen Muscheln und Fäden aus Seegras geschmückt. Um den Hals trug sie eine Kette mit einem silbernen Stein, und sie sah wunderschön aus – auf den ersten Blick. Ihre Fingernägel aber waren schwarz und scharf, und Ella musste wieder an die düsteren Lieder denken, die Kasimir ihr von den Nixen vorgesungen hatte.

Da sog Leonore die Luft ein, und zu Ellas Entsetzen zogen sich feine Risse über ihre Haut wie bei trockener Erde, wenn es zu lange nicht geregnet hatte. Die Feen riefen erschrocken durcheinander.

»Sie muss zurück ins Wasser«, sagte Ella atemlos.

Kasimir warf dem Teich einen Blick zu. Gerade segelte ein Laubblatt hinein – und verkohlte, noch ehe es die Oberfläche erreichte. »In dieses Wasser wohl kaum.«

Ella lief zur Regentonne und schöpfte etwas Wasser vom Boden. »Die Tonne ist fast leer!« Vorsichtig goss sie die Flüssigkeit über Leonores Hand, und tatsächlich wurden die Risse etwas blasser. Eilig pflückten die Feen Löwenzahnblätter und ließen Tautropfen über Leonores Arme rieseln. Auch hier verblassten die Risse ein wenig.

»Ich habe eine Idee«, flüsterte Kasimir. »Wir brauchen Regen!«

Ehe Ella wusste, was er vorhatte, sprang er auf den Apfelbaum zu, riss die Tür auf und verschwand im Inneren. Kurz darauf tauchte er wieder auf, im Schlepptau einen kleinen Mann im feinen Anzug, kaum größer als er selbst.

»Herr Lilienthal!«, rief Ella erleichtert. Der Miniaturriese hatte unzählige Flugapparate gebaut und war für seine ausgeklügelten Erfindungen bekannt. Sicher hatte er eine Idee, wie man Leonore helfen konnte.

Er schnallte sich seinen tragbaren Propeller auf den Rücken, und so schnell wie eine ziemlich gut gekleidete Hornisse sauste er auf Ella zu. »Platz da!«, rief er und landete mit einem beeindruckenden Looping. Rasch klatschte er in die Hände, und sein Fluggerät hörte auf, sich zu drehen. Etwas zerzaust lief er zu Leonore hinüber. Als hätte die Nixe seine Anwesenheit gespürt, atmete sie beruhigt aus – und nicht wieder ein.

»Schnell!«, kreischte Kasimir. »Du musst etwas tun!«

Herr Lilienthal zog einen Bilderrahmen aus seiner Tasche. Darin schwebte eine kleine graue Regenwolke. Behutsam ließ der Miniaturriese sie frei und pustete sie geradewegs über Leonore. Unter seinem Atemzug wuchs die Wolke, bis sie fast so groß war wie die Nixe. Und dann, mit einem sanften Rauschen, ließ sie es regnen.

Kasimir krallte sich aufgeregt in Ellas Ärmel. Herr Lilienthal stand gespannt da, und selbst die Feen verharrten in der Luft, ohne auch nur einen Ton von sich zu geben. Sie alle starrten auf Leonore Wellensang, die dalag, als wäre sie tot. Die Regentropfen zerplatzten auf ihrer Haut, und eine tiefe Traurigkeit zog Ellas Herz zusammen. Unwillkürlich nahm sie Leonores Hand. Sie war kalt wie Marmor, und wieder gingen Ella die finsteren Lieder durch den Kopf. Aber gleichzeitig erinnerte sie sich nun daran, wie wunderschön Leonore in Vollmondnächten sang und wie oft ihre Stimme Ella getröstet hatte, selbst damals schon, als sie noch nicht gewusst hatte, dass sie eine Feenflüsterin war. Erst kürzlich hatte Ella eine Grippe gehabt, und nichts hatte ihr so gutgetan wie Leonores Gesang, der sie selbst in ihren Fieberträumen erreicht hatte.

Ella holte tief Luft. Eins war sicher: Leonore brauchte ihre Hilfe. Und Ella würde sie nicht im Stich lassen. Sie strich über die Hand der Nixe, und auf einmal spürte sie ein sachtes Kribbeln an den Fingern.

»Sieh nur«, flüsterte Kasimir.

Herr Lilienthal kam näher, dicht gefolgt von den Feen, und da sahen sie, wie der Regen auf Leonores Haut anfing zu schimmern. Er überzog die Risse wie ein heilender Zauber und ließ sie verschwinden. Und Leonore holte Atem.

»Herr Lilienthal!«, rief Ella begeistert. »Du bist genial!«

»He«, murrte Kasimir. »Eigentlich war das meine Idee.«

Herr Lilienthal lächelte auf seine bescheidene Art. »Kasimir hat recht. Aber es ist mir eine Freude, dass ich helfen konnte.«

Da öffnete Leonore Wellensang die Augen. Wie aus einem Traum erwacht sah sie sich um – und fuhr erschrocken zurück, als sie Ella und die anderen so dicht vor sich sitzen sah.

»Keine Angst«, sagte Ella behutsam. »Wir wollen dir helfen.«

Leonore schaute sie an, die großen tiefblauen Augen weit aufgerissen. Kurz glaubte Ella, sie würde sich losreißen und einfach in den Teich zurückspringen, so ängstlich sah sie aus. Aber dann blickte Leonore auf Ellas Hand, die noch immer die ihre umfasst hielt. Und ein vorsichtiges Lächeln huschte auf ihre Lippen.

Mythen und Legenden