Federico Fellini - Michael Töteberg - E-Book

Federico Fellini E-Book

Michael Töteberg

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Federico Fellini war ein Zauberkünstler des Kinos, ein Magier und Visionär – seine Filme leben von Phantasie und Imagination. In Filmen wie «La Strada», «La dolce Vita» oder «Amarcord» schuf er unvergessliche Bilder von suggestiver Kraft. Fünfmal mit dem Oscar ausgezeichnet, ließ er sich nie vom Kinokommerz vereinnahmen. Zu seinen Bewunderern gehören François Truffaut, Orson Welles, Martin Scorsese und Rainer Werner Fassbinder – «wir alle, die wir Filme machen, haben von Fellini gelernt», bekennt Woody Allen. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 210

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Michael Töteberg

Federico Fellini

Über dieses Buch

Federico Fellini (1920-1993) war ein Zauberkünstler des Kinos, ein Magier und Visionär – seine Filme leben von Phantasie und Imagination. In Filmen wie «La Strada», «La dolce Vita» oder «Amarcord» schuf er unvergessliche Bilder von suggestiver Kraft. Fünfmal mit dem Oscar ausgezeichnet, ließ er sich nie vom Kinokommerz vereinnahmen. Zu seinen Bewunderern gehören François Truffaut, Orson Welles, Martin Scorsese und Rainer Werner Fassbinder – «wir alle, die wir Filme machen, haben von Fellini gelernt», bekennt Woody Allen.

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Vita

Michael Töteberg, geboren 1951 in Hamburg, wurde 1978 Lektor. Er war langjähriger Leiter der Medienagentur im Rowohlt Verlag. Veröffentlichungen u. a.: «Fritz Lang» (1985, rowohlt monographie), «Fellini» (1989, rowohlt monographie), «Filmstadt Hamburg» (1992, erw. 2016), «Mach' dir ein paar schöne Stunden» (2008, mit Volker Reißmann), «Romy Schneider» (2009, rowohlt monographie). Herausgeber u. a. von «Das Ufa-Buch» (1992, mit Hans-Michael Bock), «Metzler Film Lexikon» (1995, erw. 2005), «Fatih Akin. Im Clinch. Die Geschichte meiner Filme» (2011, erw. 2019, mit Volker Behrens). Zahlreiche Editionen, u. a. der Essays, Interviews und Drehbücher von Rainer Werner Fassbinder (1984-1991) sowie der Filmbücher von Fatih Akin, Wolfgang Becker, Dani Levy, Peter Lilienthal, Edgar Reitz, Tom Tykwer und Wim Wenders. Redakteur der Zeitschrift «Text + Kritik» und Mitarbeiter am «Kritischen Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur» (KLG) sowie am Filmlexikon «CineGraph».

«Ich bin ein Film»

Federico Fellini war ein Zauberkünstler des Kinos, ein Magier, der sein Publikum verführen will, mit ihm auf die Reise zu gehen. Er bringe die Leute zum Bahnhof, hat Fellini einmal gesagt, aber er setze sie nicht in einen bestimmten Zug. Seine Filme leben weniger von Handlung und Aussage denn von Phantasie und Imagination. Er führt den Zuschauer in das verschlungene Labyrinth der Erinnerungen und Träume, der großen Emotionen und der alltäglichen Ängste. Fellini hat Bilder und Symbole von suggestiver Kraft geschaffen, deren Bedeutung nicht eindeutig vorgegeben ist und die jeder Betrachter mit seiner eigenen Interpretation füllen kann. Ob die Reise ein Erlebnis wird, hängt nicht zuletzt auch von seiner inneren Bereitschaft ab. Wer etwas sehen will, muss die Augen offen halten. Und zu sehen gibt es Einiges: Fellini-Filme sind immer auch grandiose Spektakel, deren Poesie an die Anfänge der Filmkunst erinnern, an jene Zeit, als das Kino noch ein Jahrmarktsphänomen war.[1] In früheren Zeiten, so Fellini, wäre er Zirkusdirektor geworden.

An einen Zirkus fühlten sich auch manche Journalisten erinnert, die mit Erstaunen und Verwunderung die Entstehung eines Fellini-Films aus der Nähe beobachtet haben. Der Maestro mietete sich ein Büro an und ließ eine Kleinanzeige in die Zeitung setzen: «Federico Fellini ist bereit, alle zu empfangen, die ihn besuchen wollen.» In den folgenden Wochen herrschte großer Trubel: Möchtegern-Schauspieler und Leute von der Straße, skurrile Typen und zwielichtige Gestalten, Mütter, die ihre Töchter zu Filmstars machen, Studenten, die sich als Komparsen ein Zubrot verdienen wollen, sie alle bevölkerten das Büro. Fellini ließ jeden vor, er empfand dieses Tollhaus als ein höchst stimulierendes Ambiente. Ich sehe mir alle aufmerksam an, stehle mir irgend etwas von der Persönlichkeit eines jeden Besuchers.[2] Während der Regisseur nach ausdrucksstarken Gesichtern suchte, die die menschliche Landschaft[3] des neuen Films bestimmen könnten, entwarf er in rasch hingeworfenen Skizzen Charaktere, Szenarien und das Dekor. Fellini dachte in Bildern. Seine Notizbücher enthalten nicht ausformulierte Filmideen, sondern Karikaturen und Zeichnungen: dickbusige Frauen mit prallen Hintern, eitle Gecken in grotesken Posen, liebevoll gezeichnete Monster und satirisch verfremdete Bürgerfratzen. Drehbücher mit ausgefeiltem Dialog und durchdachter Dramaturgie verabscheute Fellini; er verließ sich ganz auf seine Filmvision, die langsam Gestalt annahm. Für ihn sei ein Drehbuch nicht mehr als ein sorgfältig gepackter Koffer[4], inliegend eine vage Reiseroute mit vielen Möglichkeiten für spontane Ausflüge und Abstecher in unbekannte Gegenden.

Mit Beginn der eigentlichen Dreharbeiten nahm das Projekt keineswegs klare Konturen an. Die Schauspieler sprachen Nonsens-Texte, Fellini ließ sie Gebete oder Zahlenreihen aufsagen – alle seine Filme wurden nachträglich synchronisiert, die Dialoge erst später hinzugefügt. Auf Fragen aus dem Team, worum es in diesem Film geht, in welchem Kontext die eben gedrehte Szene steht, gab der Regisseur nur allgemeine oder ausweichende Antworten. Keiner könne von einer Reise erzählen, bevor er sie unternommen habe; wüsste man vorher genau, was einen erwarte, würde man sich gar nicht erst auf den Weg machen. So wurden die Dreharbeiten zu einem Abenteuer. Fellini schaffte sich eine Atmosphäre, die ihn inspirierte, die letztlich auf alle Beteiligten animierend wirkte.

Doch der Eindruck, hier werde improvisiert, täuschte. Die Produktion eines Films (und besonders die eines Fellini-Films) ist ein kostenintensives Unternehmen, und schon aus ökonomischen Gründen musste alles mit geradezu mathematischer Präzision organisiert sein, umso mehr, da das Imaginäre und das Unbekannte in Rechnung zu stellen war.[5] Nur für Außenstehende wirkten die Dreharbeiten chaotisch; in Wahrheit wurde nichts dem Zufall überlassen. Wenn die Kamera lief, wusste Fellini genau, was er wollte, bestimmte sogar Beleuchtung und Bildausschnitt. Ich bin der ganze Film, und der Film besitzt mich.[6] Bei der Herstellung eines Films fühle er sich wie ein Kind, das die Welt durch die eigenen Handlungen entdeckt. Wobei zu ergänzen ist: Dieses Kind spielte mit ernster Hingabe, es kannte und beherrschte die Regeln und überraschte gerade deshalb durch immer neue und verblüffende Varianten.

So viel Freiheit im kreativen Prozess kann sich nur leisten, wer seine Kunst auf festen Grund gebaut hat. Filmen ist das Spiel meines eigenen Lebens[7], hat Fellini gesagt, und selbst wenn er literarische Vorlagen verfilmte, eignete er sie sich auf unnachahmliche Weise an, machte sie zu seinen persönlichen Stoffen. Fellini in Selbstzeugnissen darstellen zu wollen, hieße: Filmszenen zitieren. Alles andere ist sekundär. Was Fellini allgemein für den Künstler postulierte, galt auch für ihn selbst: Sein ganzes Gerede außerhalb seiner Arbeit bedeutet nichts.[8] Fellini war ein Medien-Star, er gab gern und oft Interviews. Aus Büchern und Zeitungsartikeln ließe sich leicht ein Digest zusammenstellen, Fellini hatte auch schon daran gedacht: Ich würde den Journalisten, die übrigens immer das gleiche fragen, dann einfach sagen: «Sie finden die Antwort unter Nr. 2005.»[9] (Es gilt übrigens auch die Antwort Nr. 2005a, denn Fellini hatte keine Scheu, sich zu widersprechen und anderntags das genaue Gegenteil zu behaupten.) Der Mann liebte Mystifikation und Camouflage, er provozierte und narrte seine Gesprächspartner; das ist vergnüglich zu lesen, doch die witzigen und gescheiten Statements des Regisseurs führen nicht ins Zentrum seiner Kunst. Die wahren Bekenntnisse hat er auf Zelluloid gebannt, und hierzu verweigerte Fellini die Aussage.

Er war auf seine Weise – anders als und doch vergleichbar mit Jean-Luc Godard, Andrej Tarkowskij oder Rainer Werner Fassbinder – ein Vertreter des Autorenfilms: Die Geschichten, die er in seinen Filmen erzählt, sind durch seine Person beglaubigt. In Wirklichkeit stellt man sich aber doch selbst vors Objektiv.[10] Vor uns wird ein filmisches Tagebuch aufgeblättert, überaus persönlich gehalten, und doch erfahren wir hier mehr von der politischen und sozialen Realität als in vielen Sachbüchern oder zeitgeschichtlichen Darstellungen. Fellini erzählt von einer Kindheit in der Provinz, dem durch Katholizismus und Faschismus geprägten Milieu repressiver Erziehung, von den Verklemmungen der Pubertät und der Lebensgier junger Menschen, von der Doppelmoral der italienischen Gesellschaft, von Männerängsten, Obsessionen und Projektionen, von den Problemen des Älterwerdens. Themen und Motive werden häufig wiederaufgenommen und neu durchgespielt; Zitate und Verweise verstärken den Eindruck, dass jedes neue Fellini-Werk nur eine weitere Episode zu jenem Film ist, den dieses Leben darstellt. Szenen und Gestalten aus der romagnolischen Heimat, Freunde und Kumpane aus Kindertagen, Käuze und Originale, jene skurrilen Figuren des Kleinstadtlebens, die in der Erinnerung immer mehr groteske oder rätselhafte Züge annehmen, kaum mehr überprüfbare Geschichten, das ist der Fundus, aus dem der Filmregisseur immer wieder schöpfte. Als Gegenwelt tritt die frühe Faszination durch Zirkus, Kino und Varieté hinzu, eine fremde, exotische Welt zu Gast im vertrauten Ort, die ferne Verheißung eines anderen, abenteuerlichen Lebens.

Die Filme fügen sich zu einer imaginären Biographie, bei der Fiktion und Fakten nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Müßig erscheint es, dem Beispiel amerikanischer Journalisten zu folgen und vor Ort zu recherchieren, dort nach den realen Vorbildern der fiktiven Gestalten zu suchen. Solche Ermittlungen fördern nichts über den Wahrheitsgehalt der Erzählungen Fellinis zutage. Alles und nichts in meinem Werk ist autobiographisch[11], wehrte Fellini allzu aufdringliche Frager ab. Ich habe mir alles selber erfunden: eine Kindheit, eine Persönlichkeit, Sehnsüchte, Träume, Erinnerungen, um sie erzählen zu können.[12] Das war nicht bloß Koketterie, es war auch eine Schutzbehauptung. Wer derart Intimes der Öffentlichkeit preisgibt, muss in ein raffiniert inszeniertes Verwirrspiel flüchten, sobald er außerhalb seiner Kunst spricht.

Der Filmschöpfer Fellini hat – auf seinem Gebiet nur vergleichbar mit Ingmar Bergman – bewusst von der Psychoanalyse gelernt. Die Lektüre der Schriften Carl Gustav Jungs war ihm eine Offenbarung: Es war, als täte sich ein unbekanntes Panorama auf, als entdeckte ich neue Perspektiven, aus denen man das Leben betrachten kann, die Möglichkeit, seine Erfahrungen mutiger und in größerem Umfang zu nutzen, viele Energien und Materialien wiederzugewinnen, die unter den Trümmern von Ängsten, unbewußt Gebliebenem, unbeachteten Wunden begraben waren.[13] Doch sollte man den Einfluss Jungs nicht überschätzen. Fellini nannte ihn einen älteren Bruder, einen Reisegefährten[14]; eines Reiseleiters, ohne dessen Erklärungen man ratlos vor den Sehenswürdigkeiten stehen würde, bedarf es jedoch nicht. Anhand Jung’scher Kategorien kann man Fellinis Schaffen interpretieren, aber dies ist kein notwendiger Schlüssel zum Verständnis des Werks. Fellini betrieb nicht filmend Psychoanalyse; schon gar nicht verstand er die künstlerische Arbeit als Selbsttherapie. Sein erklärtes Ziel war es, meine verborgenen Seiten ins Leben, nicht notwendigerweise ins Bewußtsein zu bringen[15], wie es der Sinn einer Analyse ist. Was den Schweizer Tiefenpsychologen und den italienischen Filmregisseur verbindet, ist derselbe Impetus: «Alles, was im Unbewussten liegt, will Ereignis werden, und auch die Persönlichkeit will sich aus ihren unbewussten Bedingungen entfalten und sich als Ganzheit erleben.»[16] Wenn Jung davon spricht, «den Mythus meines Lebens zu erzählen», so hat Fellini dies im Film verwirklicht.

Die Lektüre Jungs gab ihm den Mut, die Reise in unsere inneren Dimensionen[17] zu wagen und seine Erlebnisse in surrealistischen Bildern zu formulieren. Der Psychoanalytiker will, wie jeder Arzt, heilen. Ein Künstler, auch wenn Autobiographisches sein Thema ist, spricht nicht allein von sich selbst, sondern bringt Strömungen des kollektiven Unbewussten zum Ausdruck. Fellini ist ein typischer Vertreter der Moderne; er ist, wie Jung über James Joyce schreibt, ein «Meister in der Fragmentierung ästhetischer Inhalte und der Anhäufung genialer Trümmer»[18]. Die Scherben wieder zusammenzufügen, das ist nicht seine Aufgabe. Ich bin kein «therapeutischer» Autor, ich biete in meinen Filmen weder Lösungen noch Methoden an.[19]

Filmkritiker mochte er nicht, weil sie mich zu genau definieren wollen[20]. Erläuterungen und Selbstinterpretationen lehnte er kategorisch ab. Ein Zauberkünstler lässt sich nicht gern in die Karten sehen. Baedeker, genaue Steckbriefe, Lesehilfen, Glossare, Symbolverzeichnisse, Kodizille, analytische und bibliographische Register, das sei, spottete Fellini, die Aufgabe all derer, welche sich als Studenten, Forscher, Wissenschaftler, Systematiker, als Lehrer oder aus Langeweile mit der Kunst befassen[21]. Die Ikonographie Fellinis zu untersuchen, mag scharfsinnigen Exegeten überlassen bleiben, und der Versuch, das Schaffen Fellinis auf eine Formel zu bringen, soll hier gar nicht erst versucht werden. Nehmen wir stattdessen die Einladung an und begleiten den Filmkünstler auf seiner Reise, erlauben uns aber, dabei auch nach links und rechts zu schauen – Fellini ist seinen Weg gegangen, doch es gab Brüche, Krisen, Entwicklungen, die in engem Kontext mit politisch-sozialen Bewegungen zu sehen sind oder von der sich wandelnden Filmindustrie bestimmt wurden. Seine Unabhängigkeit und Persönlichkeit hat Fellini wahren können, aber er ist nicht stehen geblieben: Ein Reisender verändert sich, nimmt von jeder Station etwas mit. Aufbrüche und Abschiede, neues Terrain – dieses Buch will einen Blick auf die zurückgelegte Wegstrecke werfen.

Spießer, Clowns und Müßiggänger

«Wir sprachen immer von Wegfahren. dass man einmal raus müßte aus der Enge.» Mit diesen Worten leitet der Erzähler in I Vitelloni die Schlusssequenz ein. Die Jugendlichen in dem Provinzstädtchen, sie vertreiben sich die Zeit mit kindischen Streichen und abgeschmackten Späßen und warten doch nur darauf, dass sich irgendwie ihr Leben ändert, sie herausführt in die große Welt. Sie werden darüber alt werden und in der Provinz versauern. Nur einer, Moraldo, verlässt eines Morgens die Stadt, in der er aufgewachsen ist. Auf dem Bahnsteig trifft er einen kleinen Jungen, mit dem er sich vor ein paar Tagen angefreundet hat: Wenn Moraldo von seinen nächtlichen Streifzügen zurückkehrte, war der Junge auf dem Weg zur Arbeit, ein rechtes Gegenstück zu den jugendlichen Müßiggängern. Nun will er wissen, wohin die Reise gehen soll. Moraldo weiß es nicht; er will einfach weg. Verwundert fragt ihn der Junge: «Glaubst du, es ist irgendwoanders besser als bei uns?» Moraldo: «Ich weiß nicht. Vielleicht nicht besser. Aber anders.»

Auch Fellini hat sich auf den Weg gemacht, ist dem Kleinstadtleben entflohen. Geboren wurde er am 20. Januar 1920 in Rimini als Sohn des Handelsvertreters Urbano Fellini und seiner Frau Ida. Die Eltern hatten gewünscht, er möge Arzt oder Rechtsanwalt werden, doch es hielt ihn nicht in der Heimatstadt. Noch vor dem Schulabschluss suchte er in Florenz die Redaktion der Wochenzeitung «Il 420» auf, legte Skizzen und Glossen vor und bewarb sich als Mitarbeiter. Florenz wurde nur eine kurze Zwischenstation; 1938 ging er nach Rom. Ich war sehr bleich und romantisch. Mein Hemd war immer schmutzig und mein Haar lang. Ich arbeitete als Sekretär bei «Il Popolo di Roma», machte die Post auf und erledigte Botengänge.[22] Ein gutes Dutzend Blätter, darunter «Cine Illustrato» und «La Signorina Grandi Firme», belieferte er mit Karikaturen und Humoresken, schrieb Sketche und Varietélieder, Werbetexte und Kurzhörspiele fürs Radio. Eine feste Anstellung mit gesichertem Einkommen hatte er nicht: Er musste sich mühsam durchschlagen, wohnte in billigen Hotels und Pensionen. Mein Rom war damals die kleine Kasbah von möblierten Zimmern rings um den Hauptbahnhof, wo ich mich in der Menge von verschreckten Zuwanderern aus der Provinz, Nutten, Gaunern und chinesischen Krawattenverkäufern verlor. Die Nähe des Bahnhofs schuf eine Illusion von Heimatlichkeit und bewirkte, dass ich mich nicht so fern von Rimini fühlte.[23] Den Zug in Richtung Heimat bestieg er jedoch nicht. Erst viele Jahre später, als berühmter Mann, kehrte er in den Geburtsort zurück.

Auf den Bildern, die er den Eltern nach Hause schickte, gibt er sich ganz als Dandy: ein Bohemien, der süffisant lächelt oder melancholisch in die Kamera blickt. Ungezwungen, leichtlebig soll es aussehen, doch die Fotos zeigen vor allem angestrengte Selbstdarstellung. Der zwanzigjährige Fellini nimmt – auf einer Karte, an die Mutter adressiert – eine sorgfältig stilisierte Pose ein: die Augenbrauen kritisch hochgezogen, kaut er auf einem Stift, vor sich die Feder und ein bemaltes Blatt Papier.

In der Erinnerung sind diese Jahre für Fellini nur noch Anlass für Anekdoten und Erzählungen von skurrilen Käuzen in muffigen Redaktionsstuben. Aus heutiger Sicht war es eine Zeit unbeschwerter Jugend, als ich mit teilnehmender, aber unverantwortlicher Neugierde in den Tag hineinlebte und eine vielleicht ernstere und engagiertere Einstellung immer wieder auf morgen verschob[24]. Seine journalistischen Arbeiten nennt er kleine Schulaufsätze; die damals entstandenen Geschichten und Zeichnungen hat er nie wieder drucken lassen. Als Lehrzeit lässt er diese Jahre nur insofern gelten, als er hier Disziplin, kollektives Arbeiten, Professionalität kennengelernt habe. Fellini macht seine Rolle kleiner, als sie in Wahrheit ist. Ein Blick in die Jahrgänge 1939 bis 1942 der Zeitschrift «Marc’ Aurelio» lohnt durchaus: Fast 700 Artikel, mehr als 2000 Seiten in dreieinhalb Jahren, hat er darin veröffentlicht.[25]

Das humoristische Blatt, das vierzehntägig erschien und zeitweilig eine Auflage von einer halben Million Exemplare erreichte, zeichnete sich durch subtile Spitzen gegen das faschistische Regime aus. Es gab öfter Konflikte mit der Zensur, und einmal wurde auch Fellini zur Behörde zitiert: Er hatte sich eine kleine Rubrik ausgedacht mit fingierten Briefen, die ein junges Mädchen seinem Verlobten an die Front schrieb. Der Zensor befand, diese Briefe wirkten nicht aufbauend, sondern demoralisierend; die Rubrik musste nach drei Folgen eingestellt werden. «Marc’ Aurelio» war jedoch, unter Mussolini wäre dies auch nicht möglich gewesen, kein scharf oppositionelles Satire-Organ, sondern in erster Linie ein populäres Witzblatt, das mit absurden Späßen und derbem Humor die Leser zum Lachen bringen wollte. Fellini, zeitlebens fasziniert von Comics, einer Art Urform des Films, zeichnete Bildergeschichten und Cartoons, Konterfeis von Kleinbürgern, Aufschneidern und Halbstarken, kurz den Helden des Alltags. Außerdem füllte er (unter dem Kürzel Federico) das Blatt mit mehreren Fortsetzungsgeschichten gleichzeitig – an Einfällen mangelte es ihm offenbar nicht. Die Bandbreite von Themen und Milieus wird bereits an den Titeln deutlich: Terzaner, Erste Liebe, Jungverheiratete, Du aber hörst mir zu, Lichter der Großstadt und Der Schriftsteller Pampelmuse. Ihren Reiz gewinnen die Geschichten durch die Mittel der Komik: die groteske Übertreibung, die Verkehrung aller Logik und die Verletzung des guten Geschmacks, den Witz der Wiederholung, den running gag. Kolportagehafte Züge und schematische Intrigen überwiegen; um psychologische Glaubwürdigkeit bemühte sich der Autor gar nicht erst. Die Qualitäten des Erzählers liegen auf anderem Gebiet: scharfe Beobachtungsgabe, die Fähigkeit, eine Figur mit wenigen Strichen treffend zu charakterisieren. Die Protagonisten werden als Typen porträtiert, meist genügt ein einziges Attribut. Da gibt es den fahläugigen Säufer, die Dame mit dem violetten Haar, einen schwitznackigen Kommandeur und den Kontrolleur mit hakenförmigen Händen, eine Dame von Welt, Wimpern wie Spinnweben und viele andere, etwa hundert Figuren, eine Galerie von Fellini-Gestalten, wie sie auch seine Filme bevölkern.

Zum Umkreis der Zeitschrift gehörten Dichter, Literaten und Publizisten. Mit Tommaso Landolfi und Alberto Savinio freundete sich Fellini an; den Schauspieler Aldo Fabrizi, den Maler Giorgio De Chirico lernte er kennen. Eine ganze Reihe von Filmregisseuren und Drehbuchautoren, zum Beispiel Ettore Scola und Bernardino Zapponi, ist durch die Schule des «Marc’ Aurelio» gegangen. Fellinis ersten Kontakt zur italienischen Traumfabrik Cinecittà stellte Stefano Vanzina her, der seine Humoresken im Blatt mit Steno zeichnete und dieses Kürzel dann zu seinem Künstlernamen machte. In den fünfziger Jahren inszenierte er ebenso vergnügliche wie intelligent gemachte Filmlustspiele, in denen der Komiker Totò die Hauptrolle spielte; heute ist Steno dem breiten Publikum nur noch als routinierter Regisseur von Western-Persiflagen mit Bud Spencer bekannt. 1939 schrieb er das Drehbuch zu Mario Mattolis Film «Lo vedi come sei?» (deutscher Verleihtitel: «Reingefallen») und sorgte dafür, dass Fellini als Gag-Schreiber engagiert wurde.

Solche Aufträge – im Vorspann wird sein Name nicht genannt – nahm der Journalist gern an: Beim Film wurde gut bezahlt, weit mehr als das übliche Zeilenhonorar bei der Zeitung. Und es gab Vorschüsse bei Vertragsabschluss, eine erste Drehbuchrate bei Abnahme des Treatments: die zweite Zahlung war dann schon problematischer …[26] Viele Projekte kamen über das Anfangsstadium nicht hinaus, wurden nie realisiert. Trotzdem war Fellini bald ein gefragter Mann in Cinecittà: ein vielbeschäftigter Drehbuchautor und Ideenlieferant, immer gern als Co-Autor hinzugezogen. Ein Dialog musste umgeschrieben werden, eine dünne Story sollte durch Situationskomik angereichert, einem Star eine maßgeschneiderte Rolle verpasst werden – leicht verdientes Geld, fand Fellini. Die Arbeit nahm er nicht sonderlich ernst: Als Drehbuchautor hatte ich es sehr schön; ich war für rein gar nichts verantwortlich, auch weil alles, was man geschrieben hatte, von anderen wieder und wieder umgearbeitet wurde.[27]

Bis zu zehn Autoren waren manchmal an einem Skript beteiligt. Doch ganz so sorglos und ohne echtes Engagement, wie Fellini es heute darstellt, wird der junge Filmautor kaum die Cineastenwelt erobert haben. Der Autodidakt, der nie eine Filmhochschule besucht hat, absolvierte in diesen Jahren einen unsystematischen, gleichwohl ergiebigen Schnellkurs: Er lernte die Dramaturgie des Kinos kennen, filmische Erzählweisen und die Sprache der Bilder, den Aufbau einer Sequenz und die Beachtung von Szenenanschlüssen, dazu alle technischen Aspekte des Filmhandwerks und den Studiobetrieb.

Cinecittà, damals wie heute eines der modernsten und größten Filmstudios der Welt, war erst 1937 eingeweiht worden. Der italienische Faschismus hatte Macht und Magie des Kinos, Wert und Wirksamkeit der Filmbilder erkannt und forcierte den Aufbau einer nationalen Filmindustrie. Jedoch wurden nur wenige ausgesprochene Propagandastreifen gedreht; stärker noch als im nationalsozialistischen Deutschland setzte man auf scheinbar unpolitische Unterhaltungsfilme, die von der Wirklichkeit des Kriegs ablenken sollten. Weil diese Spielfilme meist in der gehobenen Gesellschaft angesiedelt waren, spricht man von der «Ära der weißen Telefone»; die gewöhnlich schwarzen Telefonapparate tauchen in diesen Filmen nicht auf, ein luxuriöses Ambiente kennzeichnete die Produkte der Traumfabrik.

Vittorio Mussolini, der Sohn des Duce, herrschte über Cinecittà und war auch Herausgeber der Zeitschrift «Cinema». Trotzdem fand eine völlige Gleichschaltung wie im Dritten Reich nicht statt. Mitten im Faschismus regte sich Widerstand – «Cinema» veröffentlichte 1943 ein Manifest, dessen erste Forderung lautete: «Nieder mit der naiven und manierierten Konventionalität, die den größten Teil unserer Produktion beherrscht»[28] –, bereitete sich der Neorealismus vor. Soziale Probleme wurden in eindrucksvollen Filmen gestaltet: Vittorio De Sica inszenierte «I bambini ci guarda», Luchino Visconti «Ossessione» («Besessenheit», von der Zensur verboten). Daneben gab es viele hierzulande unbekannte Filme, ohne großen Anspruch und von zweitrangigen Regisseuren in Szene gesetzt, die sich jedoch deutlich absetzten vom staatlich geförderten Illusionskino. Sie spielten im Kleine-Leute-Milieu und verknüpften in bester Volksstück-Tradition Liebe und soziale Konflikte. Dem Zimmermädchen werden im Bus 500 Lire gestohlen; das Geld gehört ihrer Herrin und war für die Miete bestimmt. Rosella wird entlassen. Der Busschaffner Cesare und sein Freund Bruno, der Fahrer, nehmen sich des Mädchens an, beide verlieben sich in sie («Avanti c’è posto», 1942). Ein traditionsbewusster römischer Kutscher verbietet seiner Tochter den Umgang mit einem Busfahrer. Eine Kabarettsängerin beschuldigt den Kutscher, ihr einen Brillanten gestohlen zu haben – zu Unrecht, wie sich vor Gericht herausstellt. Nach dem Freispruch hat der überglückliche Mann keine Einwände mehr gegen die Liebe seiner Tochter («L’ultima carrozzella», 1943). Peppino, Fischverkäufer auf dem Markt, erntet den Spott seiner Kollegen, als er sich in eine mondäne Dame verliebt. Schließlich kommt er zur Besinnung und heiratet eine Blumenverkäuferin («Campo dei Fiori», 1943). In allen drei Filmen spielte Aldo Fabrizi die Hauptrolle; von ihm stammte meist auch die Idee, und zusammen mit Fellini schrieb er das Drehbuch. In weiteren Rollen sah man Anna Magnani und Peppino De Filippo. Theoretisch vorweggenommen wurde der Neorealismus – selbst der Begriff wurde bereits 1943 geprägt – in den Zeitschriften «Cinema» und «Bianco e nero», doch Stil und Eigenart haben sich «aus der spontanen Schöpfung der Darsteller entwickelt. Besonders sind hier Anna Magnani und Aldo Fabrizi zu erwähnen», urteilt Roberto Rossellini rückblickend und nennt in diesem Zusammenhang auch den Film «Campo dei Fiori».[29]

Federico Fellini, eher aus instinktiver Ablehnung denn aus politischer Einsicht Gegner des Faschismus, konnte sich durchmogeln: Mit Hilfe falscher Atteste und Chuzpe drückte er sich vor dem Militärdienst. Als freier Autor bemühte er sich um die einträgliche Mehrfachverwertung von Themen und Stoffen. Eine Fortsetzungsgeschichte aus «Marc’ Aurelio» verwandelte er für den Rundfunk in eine Hörspiel-Serie. Anschließend wollte er die Erlebnisse des jungen Paares Cico e Pallina auch für einen Film verwenden und ließ sich deshalb ein Foto der Sprecherin geben: Giulietta Masina. Sie war gerade zwanzig, studierte Literaturwissenschaft und wirkte nebenbei in der Theatergruppe der Universität mit. Man traf sich und sprach über den Film, verabredete sich erneut, um weitere Einzelheiten zu besprechen – nach acht Monaten war das Filmprojekt zwar gestorben, aber es wurde geheiratet. Die Weltpolitik nahm darauf keine Rücksicht: Die Alliierten waren am 10. Juli 1943 in Sizilien gelandet; die faschistische Herrschaft brach zusammen, und der Duce wurde gestürzt. Die neue Regierung willigte in einen Waffenstillstand ein. Daraufhin besetzten deutsche Truppen Rom; die italienische Wehrmacht wurde entwaffnet und Mussolini zum Präsidenten eines Marionetten-Regimes ernannt. Im Sommer 1944 bekam das Ehepaar Fellini einen Sohn, der nach wenigen Wochen starb. Am 4. Juni befreiten die Amerikaner Rom. Hier war der Krieg zu Ende, doch im Norden Italiens ging der Kampf weiter.

Zusammen mit ehemaligen Kollegen von «Marc’ Aurelio» eröffnete Fellini den Funny Face Shop, einen gutgehenden Laden, vor allem von amerikanischen Soldaten frequentiert. Ein Schnellzeichner fertigte Porträts an; sie sollten ein bisschen witzig sein, wurden von den Betroffenen jedoch oft als Karikatur empfunden: Es soll häufig Streit und Prügeleien gegeben haben, sodass die in der Nähe postierte Military Police eingreifen musste. Abenteuerliche Geschichten weiß Fellini aus dieser Zeit zu berichten, und stets betont er, nie im Leben habe er, relativ gesehen, so viel Geld verdient. Derlei Anekdoten verdecken, dass es eine schwierige Zeit für ihn gewesen sein muss. Nach Anfangserfolgen bei Presse, Rundfunk und Film gab es plötzlich keine Arbeit mehr für den jungen Autor. Deutsche Truppen hatten am 25. Juli 1943 Cinecittà requiriert, was bedeutete: völliger Abbruch aller Filmarbeit. Mehrere Hallen wurden von Bomben zerstört. Nach dem Abzug der Deutschen beherbergte Cinecittà obdachlose Flüchtlinge; erst 1947 konnte der Studiobetrieb wiederaufgenommen werden.

Eines Tages tauchte Rossellini im Funny Face Shop auf. Fellini sollte helfen, den Schauspieler Aldo Fabrizi für einen Film zu gewinnen, Thema: die Geschichte des von Faschisten ermordeten Pfarrers Don Morosini. Aus dem geplanten Kurzfilm wurde ein Spielfilm, der erste konsequent neorealistische Film: «Rom, offene Stadt». Geschildert werden drei Tage im März 1944, Verfolgung und Terror der Gestapo, das Klima der Angst und Unsicherheit, die Aktionen der Resistenza und der kollektive Widerstand. Die Geschichte des katholischen Geistlichen wurde zu einer von vielen Episoden. Der Film löst sich von einer konventionellen Dramaturgie und entwirft ein breites Panorama: Der eigentliche Held des Films ist die ganze Stadt. Immer wieder beobachtet die Kamera Menschen am Rande des Geschehens, wird in kurzen Momentaufnahmen das Leben auf der Straße erfasst. Dokumentarischer Stil und Spielfilm gingen hier eine neuartige Verbindung ein.