Romy Schneider - Michael Töteberg - E-Book

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Michael Töteberg

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Beschreibung

Romy Schneider (1938–1982) brachte als «Sissi» eine ganze Nation zum Träumen. Die Deutschen verübelten es ihr, als sie sich von diesem Image befreite und nach Frankreich ging. Luchino Visconti und Orson Welles haben mit ihr gedreht, ihre Filmpartner waren Alain Delon, Yves Montand, Michel Piccoli. «Das schönste Geschenk, das uns die Deutschen seit Marlene Dietrich gemacht haben», schwärmten die Franzosen. Sinnlichkeit und erotische Ausstrahlung machten Romy Schneider zum Star des internationalen Kinos. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

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Seitenzahl: 220

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Michael Töteberg

Romy Schneider

 

 

 

Über dieses Buch

Romy Schneider (1938–1982) brachte als «Sissi» eine ganze Nation zum Träumen. Die Deutschen verübelten es ihr, als sie sich von diesem Image befreite und nach Frankreich ging. Luchino Visconti und Orson Welles haben mit ihr gedreht, ihre Filmpartner waren Alain Delon, Yves Montand, Michel Piccoli. «Das schönste Geschenk, das uns die Deutschen seit Marlene Dietrich gemacht haben», schwärmten die Franzosen. Sinnlichkeit und erotische Ausstrahlung machten Romy Schneider zum Star des internationalen Kinos.

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Vita

Michael Töteberg, geboren 1951 in Hamburg, wurde 1978 Lektor. Er war langjähriger Leiter der Medienagentur im Rowohlt Verlag.

Veröffentlichungen u.a.: «Fritz Lang» (1985, rowohlt monographie), «Federico Fellini» (1989, rowohlt monographie), «Filmstadt Hamburg» (1992, erw. 2016), «Rainer Werner Fassbinder» (2002, rowohlt monographie), «Mach’ dir ein paar schöne Stunden» (2008, mit Volker Reißmann). Herausgeber u. a. von «Das Ufa-Buch» (1992, mit Hans-Michael Bock), «Metzler Film Lexikon» (1995, erw. 2005), «Fatih Akin. Im Clinch. Die Geschichte meiner Filme» (2011, erw. 2019, mit Volker Behrens). Zahlreiche Editionen, u. a. der Essays, Interviews und Drehbücher von Rainer Werner Fassbinder (1984–1991) sowie der Filmbücher von Fatih Akin, Wolfgang Becker, Dani Levy, Peter Lilienthal, Edgar Reitz, Tom Tykwer und Wim Wenders. Redakteur der Zeitschrift «Text + Kritik» und Mitarbeiter am «Kritischen Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur» (KLG) sowie am Filmlexikon «CineGraph».

Ich verleihe mich zum Träumen

Ich bin 50 Filme, hat Romy Schneider gesagt.[1] Doch alle Biographen erzählen ihr Leben als Illustriertenroman, nicht als Teil der Filmgeschichte. Dabei ist dies ein Leben, das weitgehend im Kino stattgefunden hat. Vom bundesdeutschen Schnulzenkino zum europäischen Autorenfilm: Hineingeboren in die verlogene Operettenseligkeit der fünfziger Jahre, wurde sie als «Sissi» zur angehimmelten Märchenkaiserin der Nation. Alle drei Sissi-Filme kamen zu Weihnachten in die Kinos, und das Fernsehen hat dieses Festtagsritual an die nächsten Generationen weitergegeben. «Dauerpräsent wie Weihnachtsmusik», ist Sissi «fast schon Weltkulturerbe», stellte Michael «Bully» Herbig fest.[2] Die Deutschen verübelten es der jungen Schauspielerin, als sie sich vom Rollenklischee des süßen Mädels befreite. Ein Akt der Emanzipation, der eher wie eine Flucht anmutet: Aus der Umklammerung (und Ausbeutung) durch Eltern, Filmindustrie und Boulevardpresse ging sie nach Frankreich, wo sie eine zweite Karriere begann und zum einzigen deutschen Weltstar nach 1945 aufstieg.

Alles, was ich gelernt habe, habe ich durch den Film gelernt.[3] Ihre Lehrmeister waren Regisseure wie Fritz Kortner, Luchino Visconti, Orson Welles, Claude Sautet, ihre Filmpartner waren unter anderem Alain Delon, Yves Montand, Michel Piccoli, Richard Burton, Curd Jürgens, Audrey Hepburn, Jeanne Moreau. Konsequent brach sie mit dem lieblichen Sissi-Image und scheute dabei auch nicht vor Filmen zurück, die provozieren und schockieren wollten, blieb aber doch der Liebling des Kinopublikums und wurde zum Role-Model für den Typus der modernen, emanzipierten und zugleich von inneren Widersprüchen gebrochenen Frau. Erotische Ausstrahlung und selbstbestimmte Sexualität, Sehnsucht nach Geborgenheit und Verletzlichkeit, die weiblichen Facetten von Stärke und emotionaler Abhängigkeit – in ihren Filmrollen wie im Privatleben wirkte sie gleichermaßen gefestigt wie gefährdet. Ihr Unglück in der Liebe, die gescheiterten Beziehungen und die Schicksalsschläge: Darüber war das Publikum stets informiert, dieses Illustriertenwissen verschmolz mit ihrer Präsenz im Kino.

«Du wirst alle jungen Mädchen Europas zum Träumen bringen!», hatte Regisseur Ernst Marischka ihr vor den Dreharbeiten zu Sissi prophezeit. Romy Schneider erlebte schon früh, was es heißt, Filmstar zu sein: fremden Menschen eine Projektionsfläche für ihre Flucht aus dem Alltag zu bieten. «Ich verleihe mich zum Träumen» hieß treffend eine Ausstellung, die dem «Mythos Romy» galt. Ein Filmstar ist ein Produkt einer Industrie, die den Schauspieler als Teil des Production-Value ausbeutet. Die Identität von Leinwandrolle und realer Existenz ist eine Illusion, erkauft durch Manipulationen auf beiden Seiten: Der Film wird auf den Star zugeschnitten, das Privatleben ausgerichtet auf die öffentliche Erscheinung und somit dem Star-Image unterworfen. Der Film bemächtigt sich der Person, zugleich bemächtigt sich die Person des Films, denn ein Star ordnet sich nicht dem Film unter, sondern macht ihn sich zu Diensten.

Heutzutage, wo vorgebliche «Superstars» von den Medien ebenso schnell aufgebaut wie wieder vergessen werden, muss daran erinnert werden, dass die Faszination durch Stars seit Anbeginn zur Magie des Kinos gehört. Echte Stars verfügen über die Aura ihrer Persönlichkeit, wie der Filmtheoretiker Béla Balázs vor einem halben Jahrhundert erkannte: «Ihr Name, ihr Kostüm, ihre gesellschaftliche Stellung änderte sich in den verschiedenen Rollen, aber sie stellten immer denselben Menschen dar: sich selbst. Denn in ihrer Wirkung dominierte die körperliche Erscheinung. Sie tauchten als alte Bekannte in ihren neuen Filmen auf, und nicht sie nahmen das Antlitz der Rolle an, sondern umgekehrt: Die Rollen wurden ihnen von vornherein ‹auf den Leib geschrieben›. Denn das Publikum liebte nicht ihre schauspielerische Gestaltungskunst, sondern sie selbst, den Zauber ihrer Persönlichkeit. Freilich, auch die Fähigkeit, diese auszudrücken, ist Kunst.»[4]

Das deutsche Kino der fünfziger Jahre kopierte im provinziellen Maßstab das Starsystem der großen Hollywood-Studios, und Romy Schneider, das Kind von Filmschauspieler-Eltern, passte sich schnell an und spielte ihre Rolle. Ich habe mich daran gewöhnt, seit meinem 17. Lebensjahr wie eine Ware beliebig verkauft und verpackt zu werden. Ich glaube, das ist einfach der Preis einer Karriere, die mit 15 begonnen hat – in einem Alter, in dem man sich nicht zu wehren weiß und noch keine eigene Meinung hat.[5] Sie führte ein fremdbestimmtes Leben – und genoss es, denn sie selbst erlag der Illusion, Sissi zu sein. Ich war selig. Ich war die Prinzessin, nicht nur vor der Kamera. Ich war dauernd a Prinzessin, bekannte sie, ein gutes Jahrzehnt nach Sissi, rückblickend.[6] Sie drehte, stets in Hauptrollen, einen Film nach dem anderen, und betrachtet man diese typischen Fünfziger-Jahre-Produktionen in der Reihenfolge ihrer Entstehung, so sieht man der Verfertigung eines Stars zu.

Romy Schneider, die nie die Schauspielerei gelernt hat, eroberte in ihren frühen Rollen die Herzen des Kinopublikums durch ihre Frische und Natürlichkeit. Auch später, als sie längst die Scheinwirklichkeit der Traumfabrik durchschaute und bewusst ihre Rollen auswählte, war sie keine unnahbare Leinwandgöttin: Sie wurde nicht zur Ikone, sondern behielt ihre Lebendigkeit. «Ihr Spiel hatte deshalb immer etwas Unvorhersehbares, eine seltene Qualität. Der Ernstfall konnte eintreten, das Pathos in einem Witz kollabieren, die Koketterie so offensiv werden, dass Männer sich überrumpelt fühlten und schrumpften. Tränen konnten aus ihren Augen treten, sie konnte erstarren, abrupt stumm werden oder mit hinreißendem Übermut von Albereien davongetrieben werden.»[7]

«Ich gehe immer aufs Ganze. Ich führe eine Sache bis zum Ende. Ich verschwende mich. Ich liebe mit ganzem Herzen. So ist das.»

Romy Schneider

Sie ging nie ganz auf in der Inszenierung, deshalb wirkte sie selbst in belanglosen oder gar missglückten Filmen überzeugend. Bedeutende Regisseure haben mit ihr gedreht, doch es überwiegt die Durchschnittsware; «es gibt keine wirklich großen Filme mit ihr», meinte der «Spiegel» in seinem Nachruf.[8] Aber ihre Sinnlichkeit und Sensibilität verlieh selbst Leinwandschmonzetten eine Faszination jenseits der dargestellten Kinofiktion. Stars, schreibt Balázs, sind «die großen Lyriker der Mimik und der Gesten»[9].

Schauspieler können ihr Talent nur entfalten, wenn sie Gelegenheit dazu haben, sie sind abhängig davon, dass ihnen Spielflächen für ihre Kunst geboten werden. Jeder Schauspieler hat eine bestimmte Zeit, einen Lebensabschnitt, den er nutzen muss.[10] Romy Schneider war sich dessen bewusst, dass sie ihr Sissi-Image abstreifen musste, um ihre Persönlichkeit zu entwickeln: Ich war fast sieben Jahre lang Prinzessin. Aber dann wollt ich’s halt eines Tages nicht mehr sein.[11] Die deutsche Filmindustrie jener Jahre hatte ihr, obwohl sie mit damals hochgerühmten Regisseuren wie Helmut Käutner arbeitete, nichts zu bieten, was sie von der fatalen Festlegung auf das Rollenfach des bezaubernden, unschuldigen Mädchens befreit hätte. Man muss jedoch ergänzen: Auch Hollywood wusste nichts Rechtes mit ihrem Talent anzufangen. In ihrer Wahlheimat Frankreich interessierte sich die aufstrebende junge Garde der Nouvelle Vague nicht für sie; weder François Truffaut noch Jean-Luc Godard haben Schneider besetzt, die Arbeit mit Claude Chabrol blieb eine Ausnahme. Die einzige kontinuierliche und produktive Zusammenarbeit gelang ihr mit dem Regisseur Claude Sautet, hierzulande lange Zeit als «Edelkonfektionär» unterschätzt.[12]

Als in Deutschland Papas Kino zu Grabe getragen wurde, wurde dessen ehemaliges Idol gleich mitbeerdigt: Der neue deutsche Film hatte keine Verwendung für Romy Schneider. Volker Schlöndorff, dem Bruno Ganz als seine Partnerin in «Die Fälschung» Schneider vorschlug, entschied sich für Hanna Schygulla, zog die Fassbinder-Heroine dem einstigen Sissi-Star vor.[13] Fassbinder selbst hätte gern mit ihr gedreht, schließlich hatte er ihren einstigen Filmpartner wiederentdeckt. Karlheinz Böhm, mit dem sie ein Traumpaar bildete, berichtet, dass die Sissi-Filme auch für seine Karriere «eine vernichtende Wirkung» hatten: «Wirklich gute Angebote kamen nicht mehr.»[14] Dabei war seine Position besser: Zehn Jahre älter als Schneider, hatte er sich bereits als Schauspieler beweisen können. Trotzdem, auch er musste diesen Fluch in einem Akt von Exorzismus brechen, indem er durch einen bizarren Schocker – «Peeping Tom» («Augen der Angst», Regie: Michael Powell) – das Bild des Schnulzenkaisers für alle Zeit zerstörte. Erst durch die Begegnung mit Fassbinder fand er zu der Einstellung, diesen Abschnitt seines Lebens zu akzeptieren. Romy Schneider dagegen konnte nicht über ihren Schatten springen. Für sie blieb Sissi ein lebenslanges Trauma, das noch in ihren extremen Rollen, radikalen Grenzüberschreitungen, untergründig mitschwingt.

Mit meinem Privatleben Schlagzeilen zu machen, das habe ich nie gemocht – wirklich nicht.[15] Aber Stars führen eine öffentliche Existenz, und Schneider, die sich stets als Opfer der Presse sah, hat sich dem Interesse der Medien keineswegs entzogen, sondern es bereitwillig bedient. Das meiste, was über mich geschrieben wurde, sind Lügen – Lügen von unfähigen, dummen Journalisten.[16] Was sie nicht daran hinderte, Journalisten wie Oswalt Kolle anzurufen, damit sie in der nächsten Nummer der Illustrierten etwas zu schreiben hatten. «Romy bot ja zeit ihres Filmlebens die wunderschönsten Angriffsflächen», rechtfertigte sich der Journalist Will Tremper, der im «Stern» und in der «Bunten» über sie als «dumme Liese» herzog, ein paar Jahre später aber sie und Harry Meyen bei ihrem Urlaub in Saint-Tropez begleitete.[17] Seit ihrem ersten Film war «Romy» ein Lieblingsthema der Regenbogenpresse, und so naiv konnte sie gar nicht sein, dass sie sich immer über die Verdrehungen und Verleumdungen wunderte, sich bitter beklagte: Die haben ja nie geschrieben, was ich gesagt habe[18], es gleichzeitig aber ablehnte, bei Interviews ein Tonband mitlaufen zu lassen. Zwischen Publicity und Marktwert eines Stars besteht ein unmittelbarer Zusammenhang, wie sie ironisch glossierte: Wenn zum Beispiel im «Stern» was Gutes über mich steht, dann kommt bestimmt der Artur Brauner mit einer Rolle in «Kampf um Rom».[19] Die letzten Gespräche, geführt nach persönlichen Katastrophen und Schicksalsschlägen wie dem tragischen Tod ihres Sohnes, sind Lebensbeichten, die – so echt die Verzweiflung und Trauer auch ist – einen Hang zum Exhibitionismus verraten.

Romy Schneider inszenierte sich in der Öffentlichkeit, und die Geschichte dieses Filmstars lässt sich auch erzählen als eine Mediengeschichte der Bundesrepublik. Der Anfang ihrer Karriere ist zugleich die Hochzeit der Illustrierten; am Ende, mit dem legendär gewordenen Auftritt in «Je später der Abend», war sie im Zeitalter der TV-Talkshow angekommen. Schon mit ihrem ersten Film schaffte sie es aufs Titelbild der «Hör Zu!», es folgten unzählige Coverfotos und Bildreportagen: die Schauspielerin als Fotomodell. Hier wiederholte sich ihr ambivalentes Verhältnis zur Presse. So rief sie eines Abends die Fotografin Eva Sereny an, die sie erst kurz zuvor kennengelernt hatte: Ob sie Lust auf eine Fotosession habe? Mit Champagner und Piaf-Platten brachte sie sich in Stimmung, warf sich in Posen, räkelte sich, nur mit einem Schal bekleidet, auf dem Teppich. Anderntags fand sie die Aufnahme nicht gerade hässlich und notierte selbstzufrieden: Diese Fotos wollte die «ganze» Presse wieder drucken, aber sie habe es verboten.[20] Der «Stern» hielt sich natürlich nicht daran, später wurde daraus ein Fotobuch.

Das Leben Romy Schneiders war «eine europäische Marilyn-Monroe-Tragödie»[21] mit all den Zutaten, die das Publikum von solchen Biographien erwarten darf: Um ihre Kindheit betrogen, von der ehrgeizigen Mutter und dem bösen Stiefvater ins grelle Licht der Filmstudios gestoßen, herumgereicht in der Welt des Glamours, bevormundet und ausgenutzt. Dann der Ausbruch aus dem goldenen Käfig, verbunden mit einer wilden, romantischen Liebe zu einem virilen, bisexuellen Franzosen, einem Mann ohne Moral. Verwandlung, Abstreifen einer alten Haut, Liebe als Illusion – Schneider wird zu einer Identifikationsfigur, sie steht für Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit, kurz: Freiheit. Die Kehrseite waren Lebens- und Versagensängste, die sie mit Alkohol und Tabletten bekämpfte. Und mit zahlreichen Liebhabern, denn sie brauchte Anerkennung und Bestätigung. «Sie testete sehr gerne ihre Wirkung. Ob man sie gerne hat, ob man sie liebt, ob sie schön ist», berichtet Horst Buchholz, einer ihrer frühen Filmpartner.[22]

«Schauspieler müssen sanft behandelt werden, sie sind so leicht, so zerbrechlich», heißt es in dem Film L’Important c’est d’aimer (Nachtblende). Sie lieferte sich vor der Kamera ungeschützt selbst extremen Rollen aus, dafür bezahlte sie mit einer nur durch Psychopharmaka zu betäubenden Angst und Unsicherheit, die sie nie überwand. Sie war nicht nur eine leicht reizbare, unleidliche Person[23] mit einem kaum zu stillenden Liebes- und Schutzbedürfnis, sondern wie so viele Künstler manisch-depressiv. Bruno Ganz, mit dem sie 1972 eine Liaison hatte, war fasziniert von ihrer Lebenslust: «Sie hat immer gesagt: Ich möchte, dass jeder Tag ein Fest ist. Und hat dann auch alle Apotheken bemüht, damit das eintritt. Das war rührend und sehr bewegend, und es stand auf dünnen Beinchen, weil man gleichzeitig spüren konnte, wie gefährdet Romy war, wie schwankend. Hinter jeder Euphorie schaute schon das schreckliche Antlitz vom Absturz hervor, zumindest das Gegenteil von Freude.»[24]

«Romy war wie ein Kind», meinte der Regisseur Joseph Losey. «Sie ist losgerannt und hat keine Illusionen ausgelassen.»[25] Die Enttäuschungen, gerade in privaten Beziehungen, waren umso schmerzlicher. Das Publikum verfolgte genüsslich die in den Medien ausgebreiteten Dramen; es glaubte ein Anrecht darauf zu haben, denn das Leben eines Filmstars gehört der Allgemeinheit.

Der Mythos Romy ist ungebrochen, davon zeugen immer neue Ausstellungen, Bildbände und Biographien. Sie ist zu einer Romanfigur geworden – «Tage mit Romy» von Chantal Pelletier, «Ende einer Nacht» von Olaf Kraemer –, und ihr Leben wurde verfilmt, denn dieses Leben könnte kein Drehbuchautor besser erfinden – es ist, so der Schauspieler Hanns Zischler, «ein Filmstoff, der aus dem Kino extrahiert wurde»[26].

Ein anderes Indiz für ihre Popularität ist der Devotionalienhandel. Schneider pflegte ihre abgelegten Kleider freigebig an Freundinnen zu verschenken, sodass manches gute Stück Jahrzehnte später bei Auktionen wieder auftauchte. Ein Liebhaberstück wie das «Bettelarmband» erbrachte im Oktober 2008 knapp 30000 Euro. Für Fans, die nicht über solche Mittel verfügen, genügt ein Blick auf die Seite von eBay: Mehr als 1000 Artikel sind ständig im Angebot, Fotos und Filmplakate, Raritäten und Kuriositäten. Vorsicht geboten ist bei den in Umlauf befindlichen Autogrammen: Als zur Sissi-Zeit waschkörbeweise Autogrammwünsche befriedigt werden mussten, stellte ihr Stiefvater Hans Herbert Blatzheim kurzerhand einen Rentner ein, der gegen Stundenlohn Romys Unterschrift fälschte.[27]

Fragwürdig ist auch, was als «authentische Äußerungen und Selbstaussagen» in dem Buch «Ich, Romy» präsentiert wird, einer Collage von Artikeln, Interview-Auszügen, Zitaten aus Briefen ohne Quellenangabe oder einzelnen Sätzen aus Telefonaten. Diese Texte wurden meist redaktionell bearbeitet oder zumindest redigiert, wenn sie nicht gar gleich von Journalisten im Auftrag der PR-Abteilungen von Produktionsfirmen geschrieben wurden. Selbst das Jungmädchen-Tagebuch, das Schneider zwischen ihrer Internatszeit und der Premiere des ersten Sissi-Films führte, wurde 1955 in einer Illustrierten gedruckt und offenkundig geschönt. Vier Jahre später, als sie sich von der Familie löste, erklärte sie, dass meine bisher veröffentlichten Stellungnahmen immer frei erfunden waren, doch dies hat Journalisten und Biographen nicht gehindert, bis heute völlig unkritisch dieses Material zu übernehmen.[28]

«Was wollen die Leute eigentlich von mir? Ich bin eine Schauspielerin. Mehr nicht.»

Romy Schneider

Wer sich zum Träumen verleiht, darf sich über Vereinnahmung nicht beschweren. Es gibt wenig Möglichkeiten, sich vor Zudringlichkeiten zu schützen, wenn man ein Star ist.[29] Ihre private Misere betäubte sie durch Arbeit, doch dies allein erklärt nicht ihre zerrissene Existenz. Ich bin wohl recht unlebbar für mich selbst – und schon gar für andere, schrieb sie einem Journalisten und zitierte einen Satz des Schriftstellers Heinar Kipphardt: «Manchmal ist Ich sehr schwer.»[30] Sie träumte von Alltag, Mutterrolle und Familienleben, doch alle Versuche, dies in die Realität umzusetzen, machten nur ihr Defizit offenbar. Ich lebe vor der Kamera, erkannte sie. Der Film vermittelt mir die Intensität, die ich brauche.[31] Ein anderes Glück gab es nicht für Romy Schneider. Am Ende wusste sie: Ich kann nichts im Leben – aber alles auf der Leinwand.[32]

Mama, Papa, Film

Sie galten als Paradebeispiel eines Traumpaars, zwei Publikumslieblinge, die auch privat zueinandergefunden hatten: Magda Schneider und Wolf Albach-Retty. Sie kam aus einfachen Verhältnissen. Die Tochter eines Augsburger Installateurs hatte als Stenotypistin gearbeitet und nebenbei Gesangsunterricht genommen, denn ihr Traum war die Bühne. Sie schaffte den Sprung, arbeitete sich ehrgeizig und zielstrebig empor; zunächst an Stadttheatern in Augsburg und Ingolstadt, dann sah man sie in München und Wien in Operettenaufführungen, bis 1931 der Film sie entdeckte. Wolf Albach-Retty dagegen stammte aus einer berühmten, alten Schauspielerdynastie, seine Mutter Rosa, von Kaiser Franz Joseph zur Hofschauspielerin ernannt, gehörte dem Ensemble des Wiener Burgtheaters an. Als Nachwuchsdarsteller wurde ihr Sohn ebenfalls an die Burg engagiert, wirkte nebenbei in Stummfilmen mit, doch erst mit der Tonfilmoperette kam seine Stunde: Er verabschiedete sich von der Bühne und wandte sich dem Film zu. 1933 sah man Magda Schneider und Wolf Albach-Retty erstmals gemeinsam in einem Film: «Kind, ich freu mich auf Dein Kommen». Sie spielte eine patente Sekretärin, er den Neffen des Firmenchefs, das Happy End war so recht nach dem Geschmack der kleinen Ladenmädchen, die ins Kino gingen und einer der Ihren das große Liebesglück wünschten.

Konfektionsware aus der Traumfabrik, leichte Unterhaltung, schnell heruntergekurbelt und ohne künstlerischen Anspruch. Die Filmindustrie arbeitet mit Versatzstücken, dazu gehören auch Rollenklischees für bestimmte Darsteller. Magda Schneider spielte junge Frauen, die im Leben stehen; sie ist Stenotypistin, Warenhausangestellte, Garderobiere und immer wieder Sekretärin. «Mädchen im Vorzimmer» heißt dann auch einer ihrer Filme, ein anderer «Ein Mädel aus Wien», womit eine andere Seite aus ihrem Rollenrepertoire abgedeckt ist. Das alte Wien, walzerselig beschwingt und fern jeglicher historischen Realität, bildete die Kulisse für ein Filmgenre, das Willi Forst zu einem internationalen Markenzeichen entwickelte und an deren Erfolg zahlreiche österreichische und deutsche Produktionen anknüpften. Es schadete nichts, dass Magda Schneider keine Wienerin war, ihre herzige Mädchenart prädestinierte sie für diesen Filmtypus. Ihre Regisseure waren Routiniers wie E.W. Emo, Georg Jacoby und die Brüder Ernst und Hubert Marischka. Die Filme, am Fließband hergestellt, sind heute längst vergessen, schon während ihrer Uraufführung wurden sie nicht hoch bewertet: Keine der Produktionen wurde mit glanzvoller Premiere in Berlin gestartet oder von den Filmkritikern in der Presse groß herausgestellt. (Mit einer Ausnahme, die in den Kanon der Filmgeschichte eingegangen ist: In «Liebelei» von Max Ophüls spielte Magda Schneider, abweichend von ihrem Rollentyp, neben Gustaf Gründgens, Wolfgang Liebeneiner und Luise Ullrich. Doch diese Linie konnte sie nicht fortsetzen, und bald nach der Premiere musste Ophüls, der eigentlich Oppenheimer hieß, 1933 emigrieren.)

Wolf Albach-Retty verkörperte den charmanten Bonvivant österreichischer Prägung, einen Galan mit aristokratischem Hintergrund, leichtlebig, liebenswürdig und elegant, einen Filou mit ausgezeichneten Manieren. Auch er gehörte zu den vielbeschäftigten Darstellern: Zwischen 1931 und 1945 drehte er 23 österreichische und ebenso viele deutsche Filme. Die Paarung Schneider/Albach-Retty kam beim Publikum an, sodass Regisseure und Produzenten immer wieder auf diese Besetzung zurückgriffen. 1934 sah man sie in «G’schichten aus dem Wienerwald», 1935 in «Die Katz’ im Sack» und «Winternachtstraum», 1936 in «Rendezvous in Wien», «Die Puppenfee» und «Geheimnis eines alten Hauses».

Es kam, wie das Kinopublikum es wünschte. «Hatte der schöne Wolf laut Filmhandlung immer die Herzen von seinen Partnerinnen, u.a. von Lilian Harvey und Käthe von Nagy, gebrochen, so gelang ihm das bei Magda Schneider nicht nur auf der Leinwand, sondern auch im Leben.»[33] So steht es in Heft 4 der «Reihe der Filmschriften», einer am Kiosk vertriebenen illustrierten Broschüre, die in dieser Ausgabe sich dem Thema «Partner im Film – Partner fürs Leben» widmete. Ihre Heirat – das Hochzeitsfoto im Heft stammt von der Ufa – passte in die PR-Strategie. Magda Schneider gab sich nicht als Diva. Sie wird in dieser Homestory als bodenständig vorgestellt, lebt sie doch mit ihrem frisch angetrauten Gatten in Mariengrund, ihrem eigenen Haus in Schönau bei Berchtesgaden. «In den Bergen benutzt die Filmschauspielerin weder Lippenstift noch Puder oder Schminke. Sie kleidet sich wie ein Dirndl», erfährt das Kinopublikum, und auch Albach-Retty, «der den Frack so vorbildlich zu tragen versteht, steckt hier Tag für Tag in einer uralten Lederbüx». Ungetrübtes Glück, fernab der Filmstudios, suggeriert der Artikel, doch die unbeschwerte Familienidylle dürfte weitgehend eine Inszenierung für die Presse gewesen sein. Für ein Privatleben jenseits der Filmateliers nahmen sich die Eheleute kaum Zeit, da beiden stets die Karriere wichtiger war.

Nach der Eheschließung – auf die standesamtliche Trauung im Mai 1937 in Berlin folgte drei Monate später die kirchliche Zeremonie in Berchtesgaden – behielten sie ihre Namen bei und setzten ihre Filmarbeit fort. Als Stars der zweiten Reihe glaubten sie, kein Filmangebot auslassen zu dürfen. Auch die Babypause beschränkte Magda Schneider auf das Notwendigste: Noch im Mai 1938, sie ist im 5. Monat schwanger, steht sie vor der Kamera für «Die Frau am Scheideweg». Am 23. September wird Töchterchen Rosemarie in Wien geboren. Der Vater ist abwesend, er wollte die Dreharbeiten für «Der Hampelmann» nicht unterbrechen. Mitte Oktober Umzug nach Mariengrund, wo die Großeltern, Kinder- und Hausmädchen bereits warten. Nach fünf Tagen verabschiedet sich der Vater schon wieder: Dreharbeiten in Berlin zu dem Film «Hotel Sacher». Zwei Monate später musste auch die Mutter das Baby verlassen, um den inzwischen fertiggestellten Film bei einer Kinotournee vorzustellen. Das Kind war gerade ein halbes Jahr alt, da nahm Magda Schneider das nächste Engagement an. Im April/Mai 1939 drehte sie «Wer küsst Madeleine?», war dann kurz bei ihrem Baby, doch schon im Juli wieder wochenlang beschäftigt mit Dreharbeiten, diesmal in Tirol für den Film «Das Recht auf Liebe».

Den Vater bekam die kleine Rosemarie – benannt nach den Großmüttern Rosa (Albach-Retty) und Maria (Schneider) – noch seltener zu Gesicht. Er war ein Womanizer, der auch auf diesem Gebiet nichts ausließ, wofür Mama Rosa Verständnis hatte: «Die Damen haben es unserem Sohn zeitlebens leicht gemacht. Und er konnte schwer nein sagen.»[34] Der gutaussehende Frauenschwarm hatte, auch als Ehemann, zahlreiche Liebschaften und Affären. 1941 bekam Romy noch ein Brüderchen, Wolfdieter, doch für ein Familienleben, wie Magda Schneider es sich erhofft haben mag, war Wolf Albach-Retty offensichtlich nicht zu haben. 1942 standen sie noch einmal gemeinsam vor der Kamera, spielten als «Zwei glückliche Menschen» ein Liebespaar, doch ihre Ehe war längst zerrüttet. 1943 erfolgte die Trennung, im Februar 1945 die offizielle Scheidung. Die sporadischen Besuche des Vaters, der offenbar nur wenig mit seinen Kindern anzufangen wusste, von Romy trotzdem abgöttisch geliebt wurde, hörten ganz auf. «Ihr Pappi verschwand aus ihrem Leben, in dem er ohnehin nur Gastspielrollen gespielt hatte», schreibt Magda Schneider lakonisch knapp in ihrer Autobiographie.[35]Acht Jahre hat meine Mutter auf ihn gewartet und seine Ufa-Kostüme in den Schränken auf dem Dachboden gepflegt. Sie hat sich die Augen aus dem Kopf geheult.[36]

«Mein wirklicher Vater war wirklich kein Vater. Leider.»

Romy Schneider

Romy Schneider ist ein typisches Scheidungskind, aufgewachsen bei den Großeltern mütterlicherseits und betreut von wechselnden Kindermädchen. 1944 wurde sie eingeschult und besuchte zunächst die Dorfschule in Schönau. Der Obersalzberg, wo Adolf Hitler und ihn umgebende Nazi-Größen residierten, war nicht fern. «Ein paar von Romys Spielkameraden waren Kinder von hohen Parteifunktionären. Einmal wurde sie von Gerda Bormann, der Frau des Reichsleiters und Hitler-Sekretärs, zu einer Kinderjause eingeladen», erinnerte sich Großmutter Rosa.[37] Magda Schneider war 1941 – angeblich, nachdem sie sechsmal zuvor unter fadenscheinigen Gründen entsprechende Einladungen abgesagt hatte – bei einem Empfang des Führers auf dem Berghof. Filmaufnahmen zeigen sie im Gespräch mit Hitler, der die Schauspielerin früher, lange vor der Machtergreifung, im Münchner Theater gesehen und bewundert haben soll. Wolf Albach-Retty war 1933 Förderndes Mitglied der SS geworden, hatte 1937, noch vor dem «Anschluss» Österreichs, die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und war 1941 in die Partei eingetreten, wohl aus Karrieregründen.

Wolf Albach-Retty

1906 28. Mai: Geboren als Wolf Helmuth Albach in Wien

1924 Schauspielunterricht am Reinhardt-Seminar in Wien, abgeschlossen 1926

1927 Engagement am Wiener Burgtheater. Filmdebüt in dem österreichischen Stummfilm «Das grobe Hemd»

1932 In der Filmoperette «Zwei Herzen und ein Schlag» hat Wolf Albach-Retty als Partner von Lilian Harvey seinen ersten großen Filmerfolg. Er kehrt der Bühne den Rücken und wird in den folgenden Jahren zu einem vielbeschäftigten Darsteller, vor allem in musikalischen Lustspielen

1937 11. Mai: Heirat mit der Schauspielerin Magda Schneider. Aus der Ehe gehen die beiden Kinder Rosemarie (1938) und Wolfdieter (1941) hervor

1943 Das Ehepaar trennt sich und wird im Februar 1945 geschieden

1948 Heirat mit der Schauspielerin Trude Marlen. Erster Nachkriegsfilm: «Alles Lüge»

1960 Albach-Retty wird wieder Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater

1964 Im Februar erleidet er einen Herzinfarkt, von dem er sich nicht mehr erholt

1967 21. Februar: Gestorben in Wien

An antisemitischen Hetzfilmen und Nazi-Propagandastreifen haben Romy Schneiders Eltern nicht mitgewirkt, allerdings wurden ihnen, im Genre der seichten Unterhaltung zu Hause, solche Aufgaben auch nicht angetragen. Wolf Albach-Retty wurde später von den österreichischen Entnazifizierungsbehörden als «minderbelasteter Künstler» eingestuft, eine Kategorie, in die man sicher auch Magda Schneider einreihen kann. Mit ihrer Rolle im Film des «Dritten Reiches» haben sich beide nie auseinandergesetzt; im Gegenteil finden sich in Magda Schneiders Erinnerungen, die sie in Illustrierten und Boulevardblättern ab Ende der 1950er Jahre veröffentlichte, Äußerungen von erschreckender politischer Naivität. Die ungeklärten Verstrickungen ihrer Eltern mit dem nationalsozialistischen Regime belasteten Romy Schneider in ihren letzten Lebensjahren, nicht zuletzt, weil das Thema, wie in den meisten deutschen Familien, verschwiegen und verdrängt wurde.

Vom Krieg war in Mariengrund nichts zu spüren, aber nach dem Ende des Nazi-Regimes wurde es für die alleinstehende Magda Schneider schwer, die Familie durchzubringen und ihr eigenes kleines Anwesen zu halten. Alimente für seine beiden Kinder zahlte der Vater höchst unregelmäßig und nur auf Druck des von Magda Schneider eingeschalteten Rechtsanwalts. Bis zum Schluss hatte sie vor der Kamera gestanden: «Eines Tages» erlebte noch Ende Februar 1945 seine Uraufführung; «Ein Mann gehört ins Haus» war abgedreht und befand sich bei Kriegsende in der Postproduktion. Die Filmarbeit in den Nachkriegsjahren bruchlos fortzusetzen gelang ihr jedoch nicht.