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Alexander Russ war sein ganzes Leben als Musiker unterwegs, in jungen Jahren Gründer der Rockgruppe "Ice" , mit der man ganz nah`am Durchbruch war. Die LP "Opus1" war zeitweise in den Sammlercharts auf Platz 2 und kostete 1000 DM. Danach eröffnete er das Sinus-Tonstudio und gründete nach dieser Zeit die Gruppe "Foxx", von der auch glaubliche und unglaubliche Geschichten zu lesen sind. Das bedeutenste und erfolgreichste Projekt war das mit seiner Frau Gabriele, das Duo Bellevue, mit dam sie desöfteren im öffentlich- rechtlichen Rundfunk und Fernsehen zu Gast waren. Darauf folgte das Schlager-Kabarett "Revue Bellevue", mit dem man unzählige Theater- und Kulturbühnen in ganz Deutschland bespielte, bis eine Hirnblutung den Ganzen ein Ende setzte. Das Buch beschreibt seinen oft steinigen Lebensweg als Musiker bis zum plötzlichen Ende durch eine Hirnblutung im Oktober 2019.
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Seitenzahl: 186
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Ganz nah´dran
Lebensweg eines Musikers
Autor: Alexander Ruß, 55566 Daubach, Deutschland
Covergestaltung: Gabriele Ruß
Gemaltes Bild von Gabriele Ruß
Lektoren: Urte und Wolfram Mai
Zweite überarbeitete Auflage, Januar 2021
ISBN: 9783753445960
Ich kenne Alexander nunmehr über 30 Jahre, und seit 24 Jahren führen wir eine aufregende Künstlerehe.
Die erste Begegnung fand bei einer Rockveranstaltung in Bad Kreuznach statt, die Alexander als Veranstalter dort organisierte.
Man hatte mir vorher gesagt, er würde ganz echt die Figuren der Augsburger Puppenkiste imitieren, und so sprach ich ihn direkt darauf an.
Trotz der Stresssituation, in der er sich befand, stellte er sich vor mich und parodierte die „Mama Wutz“.
Ha-ha, das gefiel mir umwerfend gut, und ich hatte ihn direkt in mein Herz geschlossen. Dann sah ich mir die Rockbands an und ganz besonders den Auftritt der Gruppe „Foxx“ mit Alexander am Schlagzeug.
Ich hatte in meinem Leben nie viel mit Rockmusik am Hut, meine Welt waren eher die Liedermacher und die Welt der Chansons, aber auch die Schlager, mit denen ich als Kind aufgewachsen bin.
Damals hätte ich nie gedacht, dass wir von diesem Musikstil einmal hauptberuflich leben werden, und dass die Fähigkeit von Alexander, so humorvoll zu sein und andere zu parodieren, erheblich dazu beitragen würde.
Immer gab es etwas zu lachen, wenn er wieder mal loslegte. Beim Treff in der Kneipe mit Freunden zog er schnell die Aufmerksamkeit auf sich und brachte einen Klops nach dem anderen.
Die Auftritte von „Foxx“ wurden mit der Zeit immer weniger, und man wollte die Band erweitern zur „Foxx-Danceband“. Bei dieser Truppe war ich das erste Mal als Sängerin mit dabei.
Doch irgendwie gab es stets Unmut zwischen den Band-mitgliedern, und die Gruppe löste sich letztendlich auf.
Zuerst startete Alexander mit dem Gitarristen der Band ein neues Projekt.
Es entstand das „Gitarrenduo AVALON“.
Mit klassischen und anderen gefälligen Melodien spielten sie zum Brunch und zu anderen zur Musik passenden Festlichkeiten.
Doch nach einiger Zeit, der Erfolg ließ doch zu lange auf sich warten, trennte man sich wieder.
Alexander hatte mich gefragt, ob ich Lust dazu hätte, ein Trio mit dem Sänger aus meiner damaligen Band „District“ und mir zu gründen.
So entstand das Trio „Sommerwind“ mit dreistimmigem Gesang und drei Gitarren.
Der erste Auftritt wäre in einem Weingut gewesen, aber unser Sänger sagte ab und zog eine Geburtstagsfeier in seiner Familie vor. Wir mussten einen Ersatz engagieren, um den Auftritt durchzuziehen.
Dieser Sänger musste zuerst einmal 2 Flaschen Wein trinken, um in Stimmung zu kommen, und so haben wir uns danach entschieden, nur zu zweit zu bleiben.
Unser „Duo Bellevue“ war geboren.
Mittlerweile hatten wir uns schon ineinander verliebt und zogen nach Gutenberg in eine kleine, dunkle Keller-wohnung.
Dort nahmen wir unsere erste CD „Unser kleines Wunschkonzert“ auf einer 4-Spur-Teac-Bandmaschine auf.
Nun ging es richtig los. Dank des fleißigen und gekonnten Managements von Alexander wurden die Auftritte immer mehr, und wir schafften den Sprung ins TV.
Nach einer anstehenden Mieterhöhung sagte Alexander, wir bauen ein Haus, die Abzahlung für den Kredit ist billiger als die Miete in dieser Spelunke. Er war schon immer ein Mann der Tat, besonders wenn ihm mal wieder der Geduldsfaden riss.
Lass uns ein günstiges Grundstück auf dem Land suchen - und los ging´s. In Daubach wurden wir sesshaft, heirateten und nahmen fünf weitere CDs auf.
Die finanzielle Erlösung kam dann mit drei eigenen Shows, die wir gemeinsam erarbeiteten - „Himbeereis und flotter Käfer“, „Shake Hands“ und „Retrofieber“.
Mit handgemachter Musik, zweistimmigem Gesang, Gedichten, Geschichten, Filmen und Parodien bespielten wir Bühnen in ganz Deutschland.
Eine wirklich schöne Zeit, in die ich gerne zurückblicke. Nun, nach der fast lebensvernichtenden Gehirnblutung von Alexander ist alles anders, aber trotzdem trauern wir beide dieser Zeit nicht nach.
Es wird einen neuen Weg geben, den wir gehen werden. Ich bin so glücklich, dass wir noch zusammen sein können, und wünsche meinem Liebsten nur das Beste.
Und toi-toi-toi – auf dass viele Leser von Deinen Worten so begeistert sind wie nach unseren Konzerten.
Bin froh, dass Du noch da bist,
Deine Gabriele
Bad Kreuznach in den 50er Jahren. Meine Eltern wohnten in der Mannheimer Straße 148, einer Dienstwohnung der Städtischen Sparkasse, in der mein Vater Direktor war.
Er hatte sich vom kleinen Lehrling ganz hochgearbeitet, und sein Arbeitsplatz war direkt im Hauptsitz unter der Wohnung.
Die Mannheimer Straße war zu dieser Zeit noch keine Fußgängerzone, und reger Omnibus- und leichter Autoverkehr sorgten für eine sehr belebte Innenstadt, die den Geschäften von Jahr zu Jahr höhere Umsätze bescherten.
Meine Mutter stammte aus Köln. Sie lebte dort mit ihrem Vater, ihre zwei älteren Schwestern waren schon erwachsen und hatten ihre eigenen Lebenswege eingeschlagen. Sie flüchtete mit ihm während des Krieges, gerade noch bevor der übermächtige Bombenangriff alles niederriss und zerstörte, in das noch ruhige und nicht lebensgefährliche Bad Kreuznach, wo sie in dieser schwierigen Zeit in der Sparkasse als Schreibkraft arbeitete und somit meinen Vater kennenlernte.
Mamas Vater, Herr Graf, war ein pensionierter Direktor einer Großbank, der auf meinen Vater eifersüchtig herunterblickte und als jemanden sah, der ihm seine geliebte Tochter einfach wegnehmen wollte.
Er bezeichnete ihn oft als „Portokassen-Jüngling“, weil er die kleine Sparkasse, in der er arbeitete, überhaupt nicht ernst nahm. In seinem Beisein sprach er oft englisch, um ihm die Bildungsunterschiede immer wieder vor Augen zu führen. Er wusste natürlich, dass mein Vater nichts von seinen Ausführungen verstehen würde, und es befriedigte ihn, auf diese Art zu zeigen, dass er ihm intellektuell überlegen war.
„This man is my enemy“ waren oft seine Worte, mit denen er seinen Unmut ausdrückte und seine Abneigung gegen ihn nochmal bekräftigte.
Wenn er gefragt wurde, ob er als „Herr Direktor“ oder als „Herr Graf“ angesprochen werden wollte, antwortete er großzügig: Sie können mich ruhig mit „Herr Graf“ ansprechen. Das war bescheidener, klang aber sehr viel besser.
Mein Vater stammte aus einer kinderreichen Schuhmacherfamilie vom Kreuznacher Holzmarkt, in der ein sehr strenger und cholerischer Vater das Regiment führte. Wenn eines seiner Kinder etwas anstellte, mussten alle danach mit einer Abreibung rechnen, und bei eventuell aufkommenden Widerreden schrie er:
„Un wenn ich saan, es Wasser leeft de Berch enuff, dann leefts enuff!!“
Soweit etwas zu meinem Umfeld, in das ich um 2 Uhr, am 31.03.1954 in der Weinkauffstraße in Bad Kreuznach hineingeboren wurde.
Mit einem Schrei erblickte ich als neuer Erdenbürger das Licht der Welt, zwei Jahre nach meinem Bruder Manuel und drei Jahre vor meiner Schwester Kornelia. Die Geburt war schnell und problemlos, verriet mir meine Mutter später. Man gab mir den Namen Alexander und von meiner Patentante Paula noch die männliche Variante Paul hinzu. Und dann noch Georg.
Warum auch immer - es gab keinen näheren Verwandten, der so hieß, und auch meine Mutter konnte mir Jahre später diese Frage nicht beantworten. Ob es damals schon eine unterbewusste Fügung war, mir zwei Vornamen von Mitgliedern einer Musikgruppe zu geben, die 1963, also 9 Jahre später zu Weltruhm kommen sollten – THE BEATLES?
Um es gleich vorwegzunehmen – ich war kein Fan der Beatles oder der Rolling Stones – nein, ich liebte sie beide und noch viele andere Bands und Einzelinterpreten.
Meiner Ansicht nach geht es eingefleischten Fans, die nur einem Künstler verfallen sind, nicht um die Musik, sondern eher um die Person. Deswegen gibt es ja auch heutzutage viele Stars, die gar nichts machen, außer einfach da zu sein. Aber die werden oftmals viel mehr verehrt als ein Künstler, der kreativ ist und Tag und Nacht auf einen neuen Kuss der Muse wartet.
So far, so good. Bis zu meinem 10. Lebensjahr hatten wir keinen Fernseher zu Hause, und unser Familienleben gestaltete sich nicht durch die Zapperei mit der Fernbedienung von Vorabend-Soap zu Vorabend-Soap, sondern wir saßen noch zusammen und haben von den Erlebnissen des Tages erzählt, ein Brettspiel gespielt oder die Frankfurter Schlagerbörse mit Hans Verres am Radio verfolgt.
Ich war übrigens eins der Kinder, für die das Spiel „Mensch-ärgere-dich-nicht“ ein verdammt rotes Tuch sein konnte, wenn die Würfel nicht so fielen wie sie sollten.
Ich erinnere mich noch sehr gut an Situationen, in denen ich die Beherrschung verlor und die gesamten Spiel-püppchen wieder auf dem Boden zusammensuchen musste, die vorher unsanft von meiner Hand mit einer schnellen Wischbewegung vom Spielbrett entfernt wurden.
Das hatte Tante Krick des öfteren live miterleben dürfen. Wir nannten sie so, obwohl sie keine richtige Tante war, sondern unsere Haushälterin. Sie hat nach meiner Geburt begonnen, bei uns zu arbeiten und hatte mich fast wie ein eigenes Kind in ihr Herz geschlossen. Ich habe dieses Gefühl erwidert, und sie war für mich fast wie meine eigene Mutter. Manuel hat sie immer nur geärgert, und es entstand keine Gefühlsbindung, auch nicht später zu meiner Schwester. Bei Tante Krick war ich sehr oft übers Wochenende zu Besuch, weil sie in einem Dorf lebte und mir dieses Landleben sehr gut gefiel.
Ich spielte nicht nur Mensch-ärgere-dich-nicht, sondern imitierte schon als Kind Gitarre und Schlagzeug mit dem Mund und zappelte währenddessen auf dem Stuhl herum.
Dabei wurde Tante Krick regelmäßig so nervös, dass es jedes mal aus ihr herausplatzte:
„Jez bleib doch emohl ruich hogge, machsch jo alle Leit verrickt.
“Ich erinnere mich noch ganz genau daran, als ich das erste Mal mit den Pfennigen, die ich in den Küchenschrank- Schubladen fand, in den kleinen Lebensmittelladen zu Herrn Ingebrand ging und Bonbons kaufen wollte. Er fragte mich: „Mit oder ohne“ - ich stand auf dem Schlauch und wusste nicht, was das bedeutet.
Er erklärte es mir – in Papierchen eingepackt kostet ein Bonbon 2 Pfennig, ohne ein Papierchen nur einen Pfennig. Ich wollte natürlich viel für wenig Geld, also die billigen.
Die waren dann in einem Glas, und er griff dann mit seiner Hand hinein, holte sie heraus und zählte sie ab.
Die übriggebliebenen Bonbons legte er dann ins Glas zurück. Man muss dazu anmerken, dass der gute Mann sich davor nie die Hände gewaschen hatte, das war zu dieser Zeit völlig ungewöhnlich.
Dreck macht Speck, sagte man, und die Leute waren auch nicht kränker als heute in der klinisch sauberen Zeit. Auf jeden Fall waren die Himbeer- und Zitronenbonbons so groß, dass man für einen Groschen eine volle Dreieckstüte mitnehmen konnte.
Mit dieser Wundertüte voll guter Laune setzte ich mich oft vors Radio und hörte die Musik, die man zu der Zeit Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre sendete.
Die Highlights waren Radio Luxemburg mit seiner Hitparade und die Frankfurter Schlagerbörse. Diese zwei Sendungen hörte ich sowohl bei Tante Krick als auch zu Hause.
Mit meiner Mutter
Mein Bruder Manuel fand die Frankfurter Schlagerbörse einfach nur nichtssagend und saudoof, denn ihm gefiel nur klassische Musik, und Schlager waren nicht der Rede wert. Er fing schon mit sieben Jahren an, Klavier zu lernen, und übte ständig mit andauernder Begeisterung. Mit seinem Talent brachte er es soweit, klassische Stücke mit hohem Schwierigkeitsgrad problemlos in sein persönliches Repertoire zu integrieren.
Ich weiß noch, wie uns unsere Mutter jeden Sonntag in den Kindergottesdienst schickte. Sie gab jedem von uns einen Groschen mit, der für die Kollekte gedacht war. Wir schwänzten mit Vergnügen oftmals die für uns so langweilige und zeitverschwendende Veranstaltung und warfen unsere 10 Pfennig dafür lieber in einen Kaugummiautomaten, um dann unsere kleinen Abenteuer beim Herumstreifen in der Stadt zu erleben. Das kam natürlich schon bald raus, und unsere schöne Freiheit am Sonntagmorgen war ab dann Geschichte.
Aber zurück zur Schlankfurter Fragebörse, so nannte mein damaliger Freund Bernhard die Sendung manchmal. Mir, meiner Schwester und meiner Mutter brachten diese frühen 60er-Jahre-Hits jede Menge Spaß, und der Mitsingfaktor war sehr groß.
Ich wuchs also auf mit dem lachenden Vagabunden von Fred Bertelmann, den meiner Meinung nach sehr musikalischen und jazzigen Schlagern von Catharina Valente und Bill Ramsey, und nicht zu vergessen die rock`n-rolligen Feger von Peter Kraus und Light-Badboy Ted Herolt.
Die amerikanischen Originale wie Elvis Presley, Little Richard, Bill Haley und so viele andere waren auf unserem schönen Grundig-Röhrenradio eigentlich nie zu hören, obwohl wir als Kinder sehr oft am Suchrad drehten, alleine um das tolle grün leuchtende Auge zu sehen, welches die Genauigkeit der Sendereinstellung anzeigte.
Meistens drehte man so schnell am Rad, dass keine Sprache oder Musik aus dem Lautsprecher kam, sondern nur ein undefinierbares Gewurschtel an Geräuschen das Wohnzimmer ausfüllten. Das war aber dann der Moment, in dem meine Mutter das Spiel mit Ansage beendete, ehe das arme Radio unter der nicht allzu zarten Behandlung Schaden erlitt.
Fast alle Leute in unserer Gegend hörten Südwestfunk oder den Hessischen Rundfunk, und für Rock´n-Roll war die Zeit in unserer Provinz einfach noch nicht reif.
Ich erinnere mich noch daran, dass wir einmal eine Stimmkarte ausfüllten und nach Frankfurt zur Schlagerbörse schickten, um ganz gespannt die nächste Sendung zu verfolgen - in der Hoffnung, mein favorisiertes Lied würde gewinnen. Es hieß: „Kleiner Sheriff“. Nein, es gewann leider nicht, und ich habe es bis heute trotz sehr vieler Recherche nirgends wieder entdecken können. Wirklich schade, ich hätte es so gerne nochmal gehört.
Eine kleine Geschichte von Tante Krick fällt mir noch ein.
Ihr gefiel „Hohe Tannen“ so gut, dass sie sich dazu entschied, die Single und einen Plattenspieler zu kaufen. So einen ganz einfachen, an dem man nur zwei Kabel anschließen musste. Eins für den Netzstrom und eins für den Lautsprecher, der im Deckel untergebracht war. Sie war ganz glücklich damit, und nach ca.14 Tagen klingelte unser schwarzes Telefon.
Tante Krick jammerte: „Alexander, du musch emo vorbeikomme, die Mussik spielt nit mehr.“
Ich fuhr also mit dem nächsten Bus zu ihr und sah die Bescherung. Die Nadel am Tonarm war hineingedrückt und somit ein Abspielen der Platte unmöglich.
Wie ist denn das passiert, fragte ich. Sie sagte, ihr wäre aufgefallen, dass der Tonarm sich immer weiter hin zur Mitte bewegt, je länger die Musik der Platte läuft. „ Do ist bestimmt ebbes kaputt. Mei Bruder hot nohgeguckt un hot gesiehn, dass do unne so e spitz Ding wegsteht. Das hot er ringedrickt, un seitdem spielt die Mussik nit mehr“.
Ich habe ihr erklärt, dass das die Nadel ist, die durch die Rillen laufen muss und so die Platte „abtastet“.
Ich ließ mir von ihr eine Nagelpfeile geben und bog die Nadel vorsichtig zurück.
Hurra – es funktionierte wieder und Tante Krick haute noch den Satz raus: „Ei Alexander, du gibsch noch emol e Dokter“. Ihre einfache und herzliche Art konnte mich immer sehr aufbauen.
Es gingen unzählige Frankfurter Schlagerbörsen an Donnerstag-Abenden vorüber, und ich wippte schon morgens beim Frühstück zu meinem eigenen Gesang zu den Hits, die immer in meinem Kopf dafür sorgten, dass ich mich nicht auf andere Sachen konzentrierte, besonders in der Schule.
Nein, die Schule machte mir überhaupt keinen Spaß und ich verstand nicht, wie jemand sich was durchlas und es dann im Kopf behielt. Bei mir war das ganz anders – ich las es mir durch und vergaß es gleich wieder, dafür wurde mein Kopf erneut von einer der vielen bekannten Melodien in Besitz genommen. Bei einer Arbeit im Fach Geschichte hing ich also immer in den Seilen, da ich immer nur in Umrissen ein durchgenommenes Thema erläutern konnte. Ich konnte einfach nichts behalten, was mich nicht interessierte.
Am meisten liebte ich die Gitarren und das Schlagzeug. Ich liebte es förmlich, die Zunge im Rhythmus der Lieder schnalzen zu lassen. Tschk, tschk. - das war die Snaredrum, wie ich erst viel später herausfand; am Anfang dachte ich immer, es sei die Rhythmusgitarre.
Das Jahr 1963 war da. Wir hörten wie gewohnt donnerstagabends die Frankfurter Schlagerbörse. Es wurde ein Lied vorgestellt, dass von einer englischen Band namens „The Beatles“ vorgetragen wurde.
Da passierte in und mit mir etwas, was mich ungeheuer ergriff und mich nicht mehr losließ. - Der Song hieß: „She Loves You“.
Alles war von nun an anders. Der Sound, die Energie, die Melodie – eine neue musikalische Ära brach an. Der Titel landete natürlich auf dem ersten Platz und ich musste unbedingt diese Platte haben.
Ich ging mit meiner Mutter in den ersten von zwei Plattenläden in unserer Kleinstadt Bad Kreuznach.
Ich hätte gerne „She Loves You“ von den Beatles, sagte ich.
Die Verkäuferin: „Die ist schon ausverkauft, wir kommen mit den Bestellungen nicht nach, und der Großhandel sagt, dass es noch bis zu einer Woche dauern kann, bis Nachschub kommt. Übrigens haben wir gehört, dass auch unsere Konkurrenz ganz ausverkauft ist.“
Wir gingen also wirklich sehr traurig nach Hause, und die Ungeduld, diesen Song in Dauerschleife zu hören, wurde zur Geduldsprobe. Es gab ja damals überhaupt keine Gelegenheit, diesen Superhit irgendwo zu hören.
Die Radiosender weigerten sich oftmals, solche Songs zu spielen. Die normalen Stammhörer hätten sich dagegen aufgelehnt und mit Beschwerdebriefen den Sender traktiert. Na ja, in meinem Kopf hatte ich ihn ja wenigstens, aber auf Platte in einer anständigen Lautstärke wäre die absolute Erfüllung.
Nach einer Woche wurde ich erlöst, und ich hatte meine erste Beatles-Platte. Ich musste immer abwarten, bis meine Mutter nicht zu Hause war, damit ich diesen Hit mit dem entsprechenden Dampf hören konnte. „Mach den Blödsinn leiser“ rief mein Bruder – er übte wieder mal und liebte eben nur klassische Musik.
Auf der Plattenhülle konnte man endlich sehen, wie die vier Musiker aus England aussahen, von denen man hörte, dass nach einem Konzert in Hamburg die Bühne zersägt wurde, und die kleinen Einzelstückchen verkauft wurden wie warme Semmeln.
Die nächsten Weihnachten standen an, und ich wollte als Geschenk unbedingt eine Gitarre haben. Es konnte doch nicht so schwer sein, den ein oder andern Song nachzuspielen. Das war es auch eigentlich nicht, nur hat mir das damals keiner erklärt. Ich kam zu einem Gitarrenlehrer und fragte ihn, ob er mir einige Lieder beibringen könnte, worauf er sagte, dass man dazu das Instrument von der Pike auf und nach Noten lernen müsse. Er würde mir das gerne zeigen.
Der Unterricht wurde so derart langweilig, dass ich nach zwei Monaten die Lust verlor, da nach dem stupiden Notenspiel weder eine schöne Melodie, geschweige denn ein mir bekanntes Lied aus dem Instrument erklang.
Eigentlich bin ich bis heute ein bisschen sauer auf diesen unfähigen Lehrer, denn er hat mir mit seinem unsinnigen Notengetue meine Begeisterung gestohlen.
Wer das also hier liest, dem sei gesagt, dass man wirklich keinerlei Noten braucht, um auf einer Gitarre Lieder zu begleiten.
Ich stelle mal einfach in den Raum, dass viele Musikschulen die Schüler über Jahre binden wollen, um jede Menge Geld abzuzocken – und am Ende einem einst begeisterten Schüler einzureden, er wäre zum üben zu faul oder gar unmusikalisch. Blödmänner!!
Ich habe in meinem späteren Musikerleben sehr viele studierte Kollegen kennengelernt, die völlig gefühllos und überheblich-rechthaberisch die einfachsten Songs regel-recht versauten. Lassen sie einmal einen „Klassischen“ ein Blues-Solo improvisieren – da rollen sich alle Fußnägel auf einmal hoch.
Die meisten Hits bestehen eben nur aus drei bis vier Harmonien, also Gitarrengriffen, und mit ein wenig Rhythmusgefühl kann man die eben in ein paar Wochen klimpern.
Was der älteren Generation gar nicht gefiel, war für mich der Eintritt in eine neue Welt. Der äußere Eindruck der Vier war in allem auf mich zugeschnitten – die langen Haare, die Klamotten, ja, das ganze Erscheinungsbild versprach viel von Freiheit, Toleranz und ein Leben, was es wert ist zu leben.
Im Gegensatz zu dem verstockten, obrigkeitshörigen Gefasel einer Generation, deren Leben nur aus dem Anbeten und in den Arsch kriechen ihres Chefs bestand, gepaart mit extrem geistlosen Sprüchen wie:
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“.
Alle dachten damals, die Musik der Langhaarigen wäre eine einmalige Sache und keiner hatte im Traum daran gedacht, dass diese geniale Band ein neues Zeitalter einläuten würde.
Es blieben nicht die Einzigen, denn schon bald folgten Gruppen wie die Rolling Stones, die Who, die Kinks, die Animals, die Troggs und hunderte andere, die alle einen eigenen Stil kreierten und die den deutschen Schlagern auch in Deutschland den Rang abliefen und sogar die Gesellschaft, und vor allen Dingen die Jugend spalteten. Die einen waren konservativ und hörten deutschen Schlager, und die anderen hörten englischsprachige Popmusik. Ich gehörte mit meiner endlich durchgesetzten Langhaarfrisur zur zweiten Gruppe, hatte aber auch ein Ohr für den deutschen Schlager, wenn er nicht zu seicht war. Also Roy Black oder gar Heintje waren rote Tücher, das absolute No-Go.
Ich wurde nach der fünften Klasse der Volksschule ins Gymnasium gesteckt, was ich eigentlich gar nicht wollte. Ich musste dort noch mehr lernen und meine schöne und damals schon heiß geliebte Freizeit opfern, in der man so genüsslich die Seele baumeln und seinen Träumen nachhängen konnte. Jetzt hieß es, den Familienstolz aufrecht zu erhalten, denn ein Junge aus einer besseren Familie muss eben die höhere Schule besuchen.
Ich kam in die erste Klasse, die Sexta, und stellte mich eigentlich ganz gut an, mit meinen 10 Jahren. Die zweite Klasse, die Quinta, bewerkstelligte ich auch noch zufriedenstellend, aber in der dritten, der Quarta, baute ich richtig ab.
Ich war in Gedanken nur noch bei der Musik und den vielen tollen Bands. Ich hatte überhaupt keine Antenne mehr für irgendwelche Römer, Germanen, Trapeze oder französische Vokabeln. Ich kam mir vor wie in einem Gefängnis, und man verlangte von mir ein Leben, für das ich meiner Meinung nach auf keinen Fall bestimmt war. Stress pur.
Für ein Leben als Arzt, Rechtsanwalt, Beamter oder sonst irgendwas gab es Leute, die sich besser anpassen konnten. Ich war dafür einfach nicht gemacht.
Einige Beatmusik-Begeisterte, so nannte man den Musikstil damals, fingen an, Bands zu gründen und diese Musik begeisterungsfähigen jungen Menschen vorzu-spielen, was zur Folge hatte, dass Beatgruppen wie Pilze aus dem Boden sprießten und in Sälen und Hallen auftraten.
Die gesamte „Young Generation“, besonders in den Großstädten, hatte ihre eigene Musik und lehnte sich gegen die spießige und oft auch noch Nazi-infizierte ältere Generation auf. Die Alten ließen ihre Kinder einfach nicht ihr Leben leben. Wie oft hab ich gehört: „Lass dir zuerst mal die Haare schneiden“. Generationenkonflikt!
Wenn man sich manchmal aus Verzweiflung ausjammerte, hieß es nur: „Wenn du erwachsen bist, dann kommt der Ernst des Lebens, das wird noch viel schlimmer, genieße also jetzt die schöne Zeit deiner Jugend“.
Demnach müsste das Erwachsensein ja der absolute Horror sein. Wollte ich so was überhaupt erleben? - Nein, nein, und nochmals nein.
Der Ernst des Lebens war nicht für mich bestimmt, ich wollte mir die kurze Zeit, die ich auf der Erde zubringen durfte (oder musste), nicht mit unsinnigen Lebens-weisheiten von irgendwelchen intoleranten, nicht akzeptablen Schwätzern bestimmen lassen. Ich dachte, solange diese alten und verhärteten Denkweisen nicht endlich geändert werden, erdulden und erleiden Millionen armer Seelen ein ganzes Leben nur im Muss. Wenn das das wahre Leben sein soll, dann wäre man am liebsten gar nicht geboren worden.
Aber es gab auch für mich schöne und interessante Momente.
Zwischen dem Gymnasium an der Stadtmauer und meinem Zuhause lag die „Felsengrotte“, eine Lokalität, in der diese Beatgruppen auftraten. Normalerweise war tagsüber dort geschlossen, aber zu dieser Zeit gab es in ganz Deutschland den Trend „Dauerbeat“. Das heißt, es gab jede Woche neue Weltrekorde, in denen sich die Bands gegenseitig mit unzähligen Stunden pausenloser Spielzeit übertrafen.
Die ersten Stunden konnte man zusammen musizieren, aber irgendwann musste einer nach dem anderen mal eine Runde schlafen. Der Auftritt durfte ja nicht unterbrochen werden, und so kam es unweigerlich, dass immer ein Musiker fehlte und auch die Instrumente gewechselt werden mussten. So trommelte dann auch mal ein Keyboarder, oder der Drummer musste den Bass zupfen. Ich habe den Unsinn nie verstanden, denn Musik ist kein Sport, in dem es einen Stärksten oder Schnellsten gibt. Wahrscheinlich hat ein windiger Wirt die Idee gehabt und auch einen tollen Umsatz, denn so etwas war in dieser Zeit sehr spektakulär und zog jede Menge Menschen in diese Beatkeller. Man wollte sehen, wie eine Band dem ganzen schlaflosen und Gesundheit raubenden Stress gewachsen war und wie müde sich ein einst so treibender Beat jetzt anhört.