Gegen jeden was dabei - Günter Leitenbauer - E-Book

Gegen jeden was dabei E-Book

Günter Leitenbauer

4,9

Beschreibung

Bitterböse, rabenschwarz und durchweg sehr komisch präsentieren sich die 36 Kurzgeschichten in diesem Buch. Vom verblüffenden Inhalt einer Damenhandtasche, erklärt von einer Frau, über einen ziemlich extrem verlaufenden Elternsprechtag in der Schule bis zum Alptraum eines Schriftstellers vor seiner ersten Dichterlesung - wohin man auch blickt, schräge Charaktere. Wer hier nicht lacht, sollte zum Arzt gehen. Und auch dazu gibt es in diesem Buch eine rabenschwarze Anleitung.

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Seitenzahl: 215

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Foto Titelseite: © Günter Leitenbauer

Die Kobra wurde im Reptilienzoo Nockalm mit freundlicher Unterstützung von Peter Zürcher (Inhaber) aufgenommen. Immer einen Besuch wert!

www.reptilienzoonockalm.at

Vorwort des Autors

„Alles Chimäre, aber mich unterhalt’s!“

Das sagte Nestroy schon vor vielen, vielen Jahren im Lumpazivagabundus – und er hatte Recht! Was kann schöner sein, als über frei erfundene Charaktere und Begebenheiten zu lachen? Leute, die durch irgend ein Ereignis in ihrem Leben in eine soziale Schieflage geraten sind und sich dort verfestigt haben? Also „Originale“, denn so nennt man diese Leute dann im Allgemeinen.

Die Geschichten in diesem Buch handeln von genau solchen, durchwegs frei erfundenen Typen (auch die Namen der Personen, Ähnlichkeiten sind wirklich rein zufällig und unbeabsichtigt) und sind alle sehr kurz und abgeschlossen. Damit ist dieses Buch der ideale Begleiter für sowieso jede Gelegenheit. Man hat es am Kindle oder als Druck in der Jackentasche (daher das kleine Format). Ist die Arbeit, die Schule, die Vorlesung, die Besprechung oder die Ehefrau (oder der Ehemann) einmal fad oder nervt sie gar, dann nimmt man diesen kleinen Helfer heraus, liest eine Geschichte – und ist wieder guter Dinge!

Oder man verkürzt sich damit die Wartezeit beim Arzt (dazu gibt es übrigens auch ein, zwei kurze Geschichten in diesem Buch, zu kurz für die üblichen Arztwartezeiten, fürchte ich! Das ganze Buch, nicht die Geschichten.)

An alle Ärzte: Legt euch bitte dieses Buch ins Wartezimmer. Lachen ist nämlich heilsam! Also nur wenn ihr wollt, dass eure Patienten gesund werden, natürlich! Was aber im Sinne einer langfristigen Kundenbindung erstrebenswert wäre. Die beste Cashcow ist ja nicht der tote Patient, sondern derjenige, der regelmäßig mit Kleinigkeiten zu euch kommt, nicht wahr?

Der Anwendungsmöglichkeiten sind viele denkbar für so einen Dekameron der Moderne (sorry lieber Giovanni Boccaccio)! Auch wenn es keine hundert Geschichten sind sondern nur drei Dutzend. Ich muss mir ja für eine Fortsetzung auch noch etwas aufheben, oder?

Die Erzählperspektive in der Ich-Form habe ich gewählt, weil man sich so besser in die Figuren hineinversetzen kann. Mir ist klar, dass es wieder welche geben wird, die alles für bare Münze nehmen werden. Leider bin ich nicht ansatzweise so cool wie manche der Figuren in diesem Büchlein, seufz!

Am Ende habe ich noch einen gutgemeinten Rat für euch: Zwei Fehler dürft ihr nämlich bitte nie machen, liebe Leser:

Erstens solltet ihr nie zu jemandem sagen: „Schau, der (die) in diesem Buch ist genau wie du!“ Das kann (und wird vermutlich auch) gehörig in die Hose oder ins Röckchen gehen, je nachdem ob ihr eine modern gekleidete Frau oder ein traditioneller Schotte seid.

Zweitens empfehle ich dringend, von einer Nachahmung abzusehen. Aus ganz ähnlichen Gründen. Das Buch ist übrigens definitiv politisch inkorrekt. Wütende Mails könnt ihr euch also sparen, ich weiß das auch so und ändern tut’s eh nichts! Und gegendert wird hier auch nicht!

Nehmt das Buch als das, was es ist und als was es gedacht war: Spaß und Zeitvertreib!

Dieses Werk wäre übrigens erstens viel weniger unterhaltsam aber dafür zweitens viel reicher an Fehlern, wenn mir nicht wieder, wie schon bei den Dumpfling-Romanen, meine Lektorin Doris Rettenegger so viele wertvolle Hinweise und Anregungen zu den Geschichten gegeben hätte. Herzlichen Dank, Doris!

Danke auch an alle jene, die mir absichtlich oder unabsichtlich Stoff für diese Geschichten geliefert haben. In den ganz wenigen Fällen, wo die Essays allzu nahe an der Realität waren, habe ich ihre Namen natürlich geändert.

Günter Leitenbauer, Juli 2016

Inhalt

Vorwort des Autors

Das Sporttagebuch

Elternsprechtag

Meine Handtasche

Urlaubserlebnisse

Vegane Eskalation

Wienausflug

Geh zum Homöopathen!

Zehe Sache!

Moderne Kunst

Weiberstammtisch

Beim Arzt

Drah Di net um!

Einschulung – ein Tatsachenbericht

Da bleibt dir der Mund offen!

Eh so derrisch!

Hashtag #missverstaendnis

Kalenderspruchtragödie

Raindrops

Pyjamagate

Alptraum eines Schreiberlings

Der Tag danach

Bedienung!

Das Entscheidungsspiel

Scoville

Der schöne Heinrich

Heimwerkerprofi

Parcouring

Rowdy-Gaudi

Öffi fahren

Samstagvormittag

Die Stellung

Zivi

Der (ein-)gebildete Kranke

Katzenjammer

Am Stock

Ich bin doch kein Pedant!

„Charaktere ohne Handlungen sind lahm, Handlungen ohne Charaktere blind.“

Hugo von Hofmannsthal

(1874 – 1929)

Das Sporttagebuch

Fünfzig! Das ist ein geiles Wort, wenn hinten „tausend“ dranhängt, vorne ein Plus ist und es den Kontostand beschreibt, aber nicht, wenn die alle dazu gratulieren kommen. Leute, die du seit zehn Jahren nicht gesehen hast, als wenn sie sich daran ergötzen würden, dass du jetzt auch zum Club der Halbtoten gehörst. Richtig scheiße wird es, wenn du nach dreimaligem Öffnen der Haustüre beim vierten Mal deine Söhne schicken musst, weil du der sportlichen Anstrengung, die dreiundzwanzig Schritte von der Couch bis zur Tür – ja, hab’s gezählt, braucht keiner zu lachen – nicht gewachsen bist.

Da kannst du nur froh sein, wenn du geschieden bist, denn nach so einem Abend samt drei Achterln Wein dann auch noch die Frau zufriedenzustellen, würde sowieso nur dein Krankenkassenkonto belasten und einen Arzt aus dem Wochenende reißen. Alter! Da muss was geschehen!

Das ist der Moment, wo in der Barbara Karlich Show – schau ich das jetzt echt? Mann! – die Lösung präsentiert wird. „Fit sein ist keine Frage des Alters!“ als Thema. Ja klar, wer ist im Alter auch fit? Die Frage stellt sich ja gar nicht. Also?

„Sport! Sie müssen Sport treiben!“

Okay, das meinte der Arzt bei der letzten Gesundenuntersuchung, die ich ja regelmäßig alle zehn bis zwanzig Jahre mache. „Ihre Kondition entspricht der eines Fünfzigjährigen!“, sagt er. Cool, oder? Du golfspielendes Opfer! Gut nur, dass ich mich nach fünfzehn Jahren immer noch an den Wortlaut erinnere. Bin also zumindest noch nicht dement!

Morgen fang ich mit Sport an. Und damit das alles seine Ordnung hat, wird peinlich genau Tagebuch geführt, wie sich das gehört!

Sporttagebuch

Sonntag, das Datum tut nichts zur Sache.

Wecker klingelt um Nullsechshundert. Hab‘ das blöde Ding seit Freitag immer noch nicht zurückgestellt, aber gut so, Frühsport ist am gesündesten. Und die Blase drückt sowieso. Beine raus geschwungen, aufs Klo gestolpert (warum ist das Gleichgewichtsgefühl nach dem Aufstehen immer wie nach einer halben Flasche Scotch? Ja, ja ist ja gut, aber die war doch schon gestern, die halbe Flasche), gepisst wie ein zwanzigjähriger Marine nach einer dreitägigen Sauftour, erste sportliche Betätigung: Hechtsprung zurück ins Bett. Das Laufen läuft mir nicht davon. Haben sowieso die Schlitzaugen erfunden, „Tscho ging“, das klingt ja schon so chinesisch.

Nullsechshundertzwei: Eingeschlafen. Träume vom Laufen. Ob das Kalorien verbrennt? In zweihundert Metern kommt das stark ansteigende Stück, aber ...

Nullsechshundertfünf: Die Weckwiederholung weggedrückt. Danke für die Rettung vor dem Bergstück.

Nullsechshundertsechs: Drehung nach links. Rechts kann ich sowieso nicht einschlafen. Da macht die Nase immer zu, seit ich mal im Rausch gegen den Türstock am Klo gestolpert bin.

Nullsechshundertzehn: Drehung nach rechts, Weckwiederholung weggedrückt. Zweimal noch, die App macht das eh nur fünfmal. Aufwand ist so geringer als beim Öffnen der Augen und deaktivieren, weil die scheiß Brille im Wohnzimmer liegt, vermutlich neben der leeren Scotchflasche. Hoffentlich! Also die Brille, wenn die Flasche nicht leer ist, wär‘ das super.

Nullsechshundertvierzehn: Warte mit der Hand über dem Handy darauf, dass das Ding gleich wieder „Good Day Sunshine“ von den Beatles spielt. Brauche dringend einen neuen Weckrufton. Das hält ja keiner aus. Nase schon wieder voll. Eine Minute kann lang sein, Hand wird schwer. Früher habe ich volle Maßkrüge eine Minute gestemmt, jetzt reichen schon zu lange Fingernägel, dass ich sie nicht mehr oben halten kann. Muss echt was tun!

Nullsechsfünfzehn: Endlich. Weckruf nach nullkommanulleiner Sekunde weggedrückt. McCartney brachte nichtmal das „Gu“ ganz raus. Reflexe sind also noch ok.

Nullsechsneunzehn: Siehe bei Nullsechsvierzehn.

Nullsechszwanzig: Den letzten Weckruf weggedrückt, noch schneller als vorhin. Dafür bin ich jetzt wach. Shit! Liege bis nullsiebendreiundzwanzig wach im Bett und wälze mich herum. Wenn man einschlafen will, klappt das sowieso nie. Ich weiß das seit Jahren und beweise mir immer wieder, dass es stimmt, indem ich versuche, mir das Gegenteil zu beweisen. Okay, scheiß drauf, raus aus den Federn und – hey, Sport hat Vorteile! Spart die Morgendusche, bei der das Wasser immer fast zwei Minuten braucht, um warm zu werden. Geduscht wird nach dem Sport, am besten vollbadmäßig.

Nullsiebenvierundzwanzig: Ab in die Laufdress. Wenn ich sie finde. Okay, Tennishose muss auch reichen. Reichen tät sie, aber nicht ganz um die Hüfte. Hat wohl irgend eine durchgeknallte Jippijaeeeh-Heimwerkermotte nachts im Kasten enger genäht. „Von uns kommt die Nadel, von dir der Schweiß!“. Ach, leckt mich!

Nullsiebenvierundvierzig: Endlich ein akzeptables Sportoutfit gefunden. Altes T-Shirt, Tennissocken, leider beim Hochziehen am Bund gerissen, sieht man aber nicht bei der langen Schlabberbaumwolljogginghose mit gnädigem Gummibund. Mieft ein wenig, naja, wurde lange nicht ausgeführt. Morgen wird eingekauft. Volle Adjustierung, damit das Laufen auch Spaß macht. Für heute muss das reichen.

Nullsiebenachtundvierzig. Am Weg zu den Laufschuhen über den Kühlschrank gefallen. Okay, eigentlich eher darüber hergefallen. Hab‘ ja mal gelesen, dass die Gefahr einer Unterzuckerung beim Laufen nicht unterschätzt werden sollte. Ich begegne diesem Gesundheitsrisiko mit drei Stück Geburtstagskuchen, Sacher mit Schlag (noch von gestern da) und einem Reparaturseiterl gegen den Kater. „Laufen Sie dem Kopfweh davon!“, hat meine Ex-Ärztin gesagt. Die verkehrt wohl in anderen Kreisen als ich. Sollte mal mit den beiden Johnnies einen Abend verbringen, Johnny Walker und Johnny Ohne, dann ist maximal Walken drin, von der Couch zum Klo und zurück, aber ohne Davonlaufen. Außer vor der Sauerei am Häusl, vielleicht.

Nullachthundert: Wer sagt‘s denn. Die abgelatschten Laufschuhe endlich mal zweckgebunden an den Füßen. Beschließe zum Fitnesscenter zu laufen, und zwar die ganze Strecke. Dort dann knallhartes Probetraining. Der Nachbar, der das Center hundert Meter von meinem Zuhause eröffnet hat, hat es mir schon lange mal angeboten. Der hat sogar am Sonntag offen, wahrscheinlich kommt er mit seinen aufgeblasenen Schultern nicht mehr durch die Tür, die angeberische Dumpfbacke.

Nullachthundertfünf: Am Ziel. Tür offen, klar. Ich trete ein, es riecht nach neuen Geräten. Dieser eigenartige Gummigeruch, ihr kennt das. Mein Nachbar ist allein und freut sich oder tut zumindest so, er geht mit mir zu einem Hometrainer. Alter, ich will Krafttraining machen, „Ja“, sagt er, „aber zuerst aufwärmen!“ Hab‘ ich doch schon, erkläre ich ihm, bin gelaufen bis eben. „Ok, meint er, dann Bauchmuskelübungen auf der Matte.“

Nullachthundertsieben: Hab‘ doch tatsächlich zwei Situps geschafft. Die Jogginghose ist gar nicht so blöd, da kann man sich dran hochziehen. „Noch zehn, dann Pause.“, meinte er, „Dann nochmal zwölf.“ Er geht raus, vermutlich rauchen, der heimtückische Pharisäer. Ich mach noch zwei Situps, dann stehe ich auf. Er kommt rein. „Klar, schon fertig, was dachtest du denn?“, antworte ich auf seine Frage. „Ok, Bankdrücken als nächstes.“ Das kenn ich. Das kann ich. Er stellt das Gewicht ein, legt sich hin, drückt ein paar Mal, sieht alles ganz easy aus. Ja, ja, klar, nicht reißen, ganz ruhig, weiß ich doch. Wir tauschen.

Nullachthundertdreizehn: „Alter, mach die Sperre raus, oder willst du mich verarschen?“ Was, da ist keine Sperre drin? Ich schau auf das Gewicht: 140! Der wollte mich wirklich verarschen. Er setzt es auf 100 zurück, ich schaffe drei Wiederholungen. Ist doch nicht schlecht für den Anfang, hundert Kilo, oder?

Nullachthundertneunzehn: Ich überlege, ob ich ihn umbringen soll, als er mir sagt, das seien keine Kilogramm sondern Pfund, entscheide mich mit einem Blick auf seinen Bizeps aber dafür, nochmal Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Weil Sonntag ist.

Nullachthundertzweiundzwanzig: Beinpresse. Er zeigt es wieder vor, wir tauschen, er löst den Hebel, ich sitze da, gefaltet wie ein japanisches Origami, und bin überrascht, wie weit man in meinem Alter noch die Beine anziehen aber dann nicht mehr ausstrecken kann. Ich drücke, was das Zeug hält, aber außer einem mächtigen Furz kommt dabei nicht viel raus. Das mit dem Begleitmaterial des Furzes verschweige ich euch.

Nullachthundertsechsundzwanzig: Er hat wohl doch etwas gerochen, weil er meint, er müsse jetzt leider weg, ob ich nicht morgen nochmal kommen wolle? Klar, Flachwichser, wenn du mir sagst, wie ich jetzt aus der Beinpresse komme, geht das in Ordnung!

Nullachthundertsiebenundzwanzig: Er hilft mir heraus, ich stehe auf. Zumindest war das der Plan. Mein Rücken beschließt aber, das mit dem Aufstehen vorerst auf Eis zu legen, beziehungsweise eher auf Schmerz. Er dreht mich in eine sitzende Position, und das erste Mal schwitze ich wirklich. Vor Aua. Veritabler Hexenschuss! Er ruft den Notarzt.

Nullachthundertsechsundvierzig: Die Rotkreuzflaschen haben für die zwei Kilometer vom Stützpunkt neunzehn Minuten gebraucht, der Zivildiener kaut noch an seiner Leberkäsesemmel, als er hereinkommt. Pech, Alter, der Appetit wird dir geruchstechnisch gleich vergehen. Ausstrecken und hinlegen klappt nicht, also setzen sie mich in diesen Tragerollstuhl und tragen mich die Treppe runter. Das erste Mal seit Jahren freue ich mich über mein minimales Übergewicht.

Nullachthundertachtundfünfzig: Wir fahren los. Das Unfallspital wird per Funk avisiert. Als wir dort ankommen, niese ich. Warum müssen die Scheißkerle auch mit offenen Fenstern fahren?

Nullneunhundertsiebzehn: Der Arzt haut mir reichlich unsanft irgend so ein Cortisonjaukerl in den Rücken. Alter, das tut beschissen weh! Warum er dazu eine Maske tragen muss, weiß ich nicht. Ob mich jemand abholen kann? Nein, geht schon. Das Zeug wirkt ja Wunder! Ich stehe auf, Schmerzen fast weg. Aber sie könnten mal lüften. Was? Ah ok, werden sie dann eh, wenn ich weg bin. Hatschüss!

Zehnnullelf: Keine Kohle in der Tasche, schon das zweite Taxi hat mich nach ein paar hundert Metern rausgeworfen. Waren beides Türken, meinten, ich stinke ihnen zu sehr. Wohl lange nicht mehr zuhause gewesen, in Anatolien, was? Und bei meinem Geruch jetzt wohl Heimweh bekommen? Kein Taxi mehr in Sicht, obwohl das die Hauptstraße ist. Haben wohl die Kollegen gewarnt, die beiden. Sieben Kilometer bis nach Hause, was tun?

Dreizehnfünfundvierzig: Ich steh‘ vor meiner Haustüre. Ich bin die ganze Strecke durchgelaufen, hab‘ geschwitzt wie eine Sau. Johnny Walker rinnt überall raus. Aus meinen Poren und unten aus der Jogginghose. Doppelt gebrannte Sonderedition quasi. Kein Wunder, dass einen sogar die besten Freunde verlassen wollen, wenn man so viel Sport treibt. Merke, dass ich den Haustürschlüssel im Spital vergessen habe.

Dreizehnsiebenundvierzig: Hab‘ glücklicherweise für solche Fälle eine Reserve in der Gartenhütte. Prost Johnny!

Elternsprechtag

Morgen ist der Elternsprechtag in der Mittelschule. Hasse ich! Freitagnachmittag, da haben alle Zeit zu haben. Okay, ich arbeite freitags normalerweise bis vier, habe also meine Söhne die Termine bei den Lehrern ab 16:30 eintragen lassen. Alle fünf Minuten ein Termin, so machen die das seit Jahren. Sind eh nur zwei – einmal die Biolehrerin, sozusagen zum Aufwärmen und beruhigen, weil ich da mal mit meinen Schlangen in ihrem Unterricht war und einen Stein im Brett habe, und dann die junge Deutschtussi, das wird sicher lustig. 16:55 Uhr Bio, 17:35 Uhr Deutsch. Das geht sich aus.

Noch schnell zwei Teller Knoblauchsuppe am Abend, die Germanistikkanaille soll ja was davon haben. Und nach dem Essen noch das Europacupsemifinale, wie immer ohne österreichische Beteiligung, also entspannt zum Zusehen, dann ab in die Heia.

Heute bestelle ich zum Mittagessen Cevapcici mit extra Zwiebeln, sozusagen als infanteristische Speerspitze mit der Knoblauchkavallerie in der Hinterhand. Überlege mir schon, welche Wörter mit „H“ ich verwenden könnte.

Sagte ich schon, dass ich Elternsprechtage hasse?

Fahre um 16:05 vom Büro nach Hause. Schnell in die Elternsprechtagekluft gesprungen. Die Lederjean mit den Nieten und den Riemen an der Seite, dazu das Shirt mit dem Totenkopf und den Nietengürtel mit der extragroßen Schnalle nicht vergessen. Nieten passen gut zu diesem Anlass, denke ich, haha. Springerstiefel mit der rasselnden Kette angezogen und die alte Lederjacke mit dem „Rumbling Rhino“ Emblem auf der Rückseite dazu. Bin ja in einer Bikertruppe. „Rumbling Rhinos“. Auf unseren Vespas haben wir Nashornhörner montiert. Echt geil. Meine Söhne weigern sich mitzukommen. Auch gut, das müssen sie eh nicht sehen. Andererseits – sie sollen was fürs Leben lernen, also rein mit ihnen ins Auto. Okay, okay, ich bin kompromissbereit und verzichte auf das Piratentuch. „Papa, lass uns 100 Meter vor der Schule raus, okay?“ Kommt nicht in Frage, ich geniere mich ja nicht für euch zwei kleine Spießer, sage ich.

Wir sind um 16:50 bei der Schule, kein Parkplatz, außer dem vom Direktor. Wenn der leer ist, ist der also schon zuhause, oder? Klar kann ich da stehenbleiben, Jungs. Sie schütteln den Kopf. Vierzehn Jahre und keine Nerven. Da waren wir anders. Wir fuhren mit den Autos der Lehrer spazieren, wenn die den Schlüssel stecken gelassen hatten.

Um 16:54 Uhr stehe ich vor der Tür der Biolehrerin. Vor mir sieben Leute. Typisch! Können es nicht erwarten, die Arschkriecher und sind alle viel zu früh da. Tür geht auf, ich will rein, krieg sofort verbal von einer Gucci-Mama eine vor den Latz gelispelt: „Ich bin die Nächste! Schauen Sie auf die Liste, Frau Huber hat etwas Verspätung, wir warten alle!“ Tatsache, die Tussi hat wirklich den Termin um 16:30. Hatte. Ich lasse meine Springerstiefelkette rasseln, sehe sie scharf an und ... sie geht einfach rein. Komisch, funktioniert sonst immer, dieser Drohgebärdenbluff. Ich sehe ihr nach. Vermutlich hat sie eine Bonbonniere für die Lehrerin in ihrer Markenhandtasche. Weiber! Na dann eben warten.

Sagte ich schon, dass ich Elternsprechtage hasse?

Ich schalte mir meine Elektrozigarette an und paffe gemütlich vor mich hin. Wenn schon warten, dann mit Stil. Das dauert keine zwei Lungenzüge, da hüstelt eine Louis-Vuitton-Alte. Ich frage sie, ob sie mal ziehen will? Nein, eh nur an der Zigarette! Sie dreht sich entrüstet um. Dauert wieder nicht lange, dann kommt auch schon der Direktor angetrabt. Also ist er doch da, das würde mich nur interessieren, wo der parkt. Mit dem bin ich vor einem Jahr schon mal aneinandergeraten, als nach meiner Scheidung einer meiner Jungs ein paar Fehlstunden hatte, weil er Asthma hat. Na gut, es waren 300 Fehlstunden, aber Asthma ist eben scheiße, wenn du eine Allergie auch noch hast. Der Rex – alle Direktoren fühlen sich ja als Könige, daher passt „Rex“ – hat mir einreden wollen, dass das psychosomatisch ist und mir eine Therapie empfohlen, damit ich mit der Scheidung besser zurechtkomme und meinen Frust nicht auf das Kind projiziere. Alter! Frust? Wohl noch nicht geschieden, Herr Seelsorger! (Ist ja ein katholisches Gymnasium). Hab‘ ihm dann noch geraten, einen Führungskurs zu besuchen, damit er die Pausenaufsicht endlich in den Griff kriegt und sich die Kleinen nicht mit den Stühlen in der Klasse die Schädel einschlagen, während seine Lehrer im Konferenzzimmer Kaffee in sich hineinschütten. Vermutlich mit Cognac, aber das kann ich schlecht beweisen, meinte ich. Seitdem mag er mich nicht mehr. Keine Kritikfähigkeit der Gute! Am Schulschluss schenkte ich ihm als Friedenszeichen eine Flasche Cognac und eine Packung Kaffee.

Wo sind eigentlich meine Söhne? Ah, die hauen sich gerade mit anderen Jungs die Sessel um die Ohren. Also alles in Ordnung, kein Grund sich Sorgen zu machen. Höchstens um die Stühle. Billiges Massenzeugs, das Ministerium muss sparen, damit sie sich die Kampagne für das Umtexten der Bundeshymne leisten können, die Schergen um die Frau Minister Hymnisch-Hosek.

Das mit dem Rauchen ginge hier gar nicht, meint der Rex. Ich seh mich um: „Raucht ja keiner, oder?“ Und erkläre ihm dann, dass das mein Inhalationsgerät ist, wegen Asthma und so. Da kriegt er einen hochroten Kopf und rauscht ab. Ich rufe ihm noch nach, dass das mit den Terminen schon besser klappt als im Vorjahr, da hätten wir um die Zeit 50 Minuten Verspätung gehabt, heuer nur 35. Gratulation! Geht doch, wenn man will!

Er mag mich jetzt sicher noch mehr als vorher. Ich hatte schon immer ein sehr einnehmendes Wesen.

Noch fünf Leute vor mir. Ich muss das reduzieren, sonst schaffe ich den Termin bei der Deutschtussi nicht. Ich geh also an die Obersupermami mit den Designerklamotten ran und hauche ihr aus zehn Zentimetern den Knoblauch ins Gesicht: „Ha, heute haben wir ja heftig Verzug. Herrlich! Hoffentlich haben alle hier keine Termihhhhne mehhhhhr!“ Sie hält sich die Hand vor den Mund und zwitschert in Richtung Toilette ab. Insgeheim hoffe ich, sie kotzt sich auf ihr Jil Sander Kostüm, die angepasste Spießernudel. Ja, der chinesische Knoblauch kann was! Gibt‘s beim Hofer, aber nicht immer. Scheiß auf die CO2 Bilanz, da kann der einheimische Knofel nicht mit!

Den nächsten Typen – neben mir der einzige Vater hier – kenne ich. Stellvertretender Vorsitzender des Arschkriechervereins, also offiziell Elternvertreter. Chefin ist dort natürlich eine Frau Doktor. So eine standesamtlich promovierte. Dem Schlipsträger pinkle ich jetzt auch mal ans Bein, indem ich ihm sage, was ich vom Einsammeln von Kohle für ein Weihnachtsgeschenk für die Frau Klassenvorstand halte. Die wird eh für ihren Job bezahlt, eigentlich sind die Kinder die Kunden und sie die Dienstleisterin, also soll besser SIE den Kindern was schenken, oder? „Ihr seid alle Hosenscheißer!“, reibe ich ihm aus zwei Zentimetern samt Knoblauchodeur um die Nase. Nur noch drei vor mir.

Sagte ich schon, dass ich Elternsprechtage hasse?

Hinter mir reden sie über mich. Aber das kümmert mich nicht, weil jetzt die Tür aufgeht, und ich mich einfach vordränge und reingehe. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s fortan ganz ungeniert, nicht wahr? Ich murmle ein „Dauert nur eine Minute!“, und ärgere mich drüber, dass ich mich gerade völlig unnötigerweise gerechtfertigt habe. Daran muss ich noch arbeiten!

Die Biolehrerin mag mich, deshalb verschone ich sie mit „H-Wörtern“. Ich kam damals mit meinen Schlangen in ihren Unterricht, sollte zehn Minuten die Tiere herzeigen und hab dann den Kindern eine ganze Stunde Fragen beantwortet und sie die Tiere anfassen lassen. Sie saß da und lächelte. Passt eh alles bei den beiden, sagt sie. Und ich: „Danke. Die Schleimerfraktion draußen ist eh schon unruhig, ich hau besser wieder ab, okay?“ Sie lacht, ich gehe. 17:30, perfekt. Ab in den zweiten Stock zur Deutschmadam.

Bin um 17:33 dort, na was sag ich euch? Acht Leute vor mir! Davon sechs mit Terminen vor meinem, zwei Streber mit Terminen nach meinem. Bin also quasi die Strebergrenze. Darüber muss ich dann auch mal nachdenken.

Ich beschließe, zu warten. Das Vergraulen stresst irgendwie. Da kommt auch schon wieder der Rex angetrabt, wenn man bei diesem Schleichgang von Traben reden kann. „Gehört jemandem das Fahrzeug mit der Nummer WL-123-HH?“, fragt er. Mir fällt auf, dass ich eigentlich eine coole Knoblauchautonummer habe. Keiner rührt sich. Bis auf die vorhin knoblauchtechnisch vertriebene Jil-Sander-Tante, die sieht jetzt ihre Stunde gekommen: „Das ist doch Ihr Wagen, oder?“, rächt sich die Petze bei mir. Der Rex sieht mich auffordernd an. „Nö, gehört mir nicht. Ist ein Firmenfahrzeug.“, antworte ich wahrheitsgemäß. Und dass der Parkplatz laut Grundbuchsauszug, Katastralnummer soundso der Schule gehört, also „mein Parkplatz“ aus Sicht des Direktors nicht zutrifft. Er sieht lustig aus mit offenem Mund, aber den Dreier sollte er sich mal richten lassen. Ob ich ihm meine Zahnärztin empfehlen soll?

Er hätte wegen mir jetzt 400 Meter entfernt parken müssen, zischt er mir aus der kleinen, unschönen Zahnlücke zwischen Zweier und Dreier zu. Ich antworte, ja, das ließe sich vermeiden, wenn man die Termine mit zehn Minuten Intervallen ansetzte statt mit fünf, dann wären nämlich nur halb so viele Eltern zur selben Zeit da. Und damit könnten die Lehrer ihre Zeit in der Schule auch gleich etwas näher an das Stundensoll heranbringen, oder? Ein anderer Vater grinst verhalten, dreht sich dabei aber feige um. Die restlichen Schleimermuttis entrüsten sich, dass ihre Kostüme nur so rascheln und zittern. So lange ihre Kinder in der Schule sind, loben die immer die Lehrer und kuschen, geschimpft wird erst danach. Ich mach‘ das lieber umgekehrt.

Sagte ich schon, dass ich Elternsprechtage samt Eltern hasse?

Ich freue mich jetzt aber auf die Deutschlehrerin. Der habe ich mal ein wenig in ihr Konzept gepinkelt, als ich ihre Schularbeitskorrektur korrigiert habe. Mein Sohn schrieb in einem Aufsatz in der ersten Klasse: „Der Hund biss den Mann ins Bein.“ Die Pflaume, frisch von der Uni, besserte es ihm aus in: „Der Hund biss den Mann im Bein.“ So ein Schwachsinn! „beißen“ war schon immer und ist noch immer transitiv. Ich strich also mit Grün durch, was sie mit Rot ausgebessert hatte und schrieb dazu: „Sie beißen ja auch in die Gurke und nicht in der Gurke, oder?“ Wobei ich natürlich nicht weiß, was die mit ihrem Pantoffelhelden zuhause macht. Jedenfalls bekam ich vom T-Rex eine Warnung, dass eine Schularbeit ein amtliches Dokument sei, wo man nicht herumkritzeln dürfe, was ich mit einem Mail beantwortete: „Es wäre schon allen sehr geholfen, wenn die Lehrer keinen Blödsinn hineinkritzeln würden.“

Wo sind die Jungs schon wieder? Ah, da vorne. Baggern beide die gleiche, hübsche Rothaarige aus der Parallelklasse an. Bin stolz auf meine Jungs, ja, ganz der Papa! Wenn ich ehrlich bin, diesbezüglich viel erfolgreicher als es der Papa je war.

Punkt Sechs Uhr, ich geh rein. Sie sieht mich und läuft rot an. „Heiß hier!“, sage ich, „da kriegt man ja sofort einen roten Kopf!“ Eigentlich ist die Kleine ja recht hübsch. Scheint ein wenig zugenommen zu haben, oder sie ist schwanger. Ich überlege, ob ich sie anbaggern soll, entscheide mich knoblauchtechnisch dann aber dagegen und frage sie nur, wann es so weit ist und ob sie schon weiß, was es wird?

Die restlichen vier Minuten fallen nicht viele Worte. Drei Minuten Sprachlosigkeit ihrerseits verhindern das. Die Jungs stehen auf einem Dreier (Hier passt der Dativ, „auf einen