Gruselkrimi Dreierband 3307 - W. A. Hary - E-Book

Gruselkrimi Dreierband 3307 E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: (399) Moronthor oder Schrei, wenn dich der Teufel holt (James Melvoin) Das Grauen steht Pate (W.A.Hary) Der Käfer-Gott (Alfred Bekker) Nebelschwaden hingen tief über der verwitterten Kirche von Dunbury. Das graue, windschiefe Gemäuer bildete das Zentrum der kleinen südenglischen Ortschaft. Um die Kirche herum befanden sich knorrige, grotesk verwachsene Bäume, deren Kronen die Gräber des örtlichen Friedhofs überspannten. Eine durchdringende feuchte Kühle herrschte an diesem Morgen. Das gesamte Gelände war mit Flatterband abgesperrt und ein einzelner uniformierter Polizist hielt Wache. Sein Name war Constable Kenneth Jones. Er stand noch ganz unter dem Eindruck des Grauens, das er hatte mit ansehen müssen. Jones war 45 und hatte Jahrzehnte Diensterfahrung hinter sich. Aber als der völlig verängstige Kirchendiener ihn gerufen und zu der furchtbar zugerichteten Leiche geführt hatte, war der Anblick selbst für Jones ein Schock gewesen. Ein Motorengeräusch drang durch den Nebel. Zwei Scheinwerfer tauchten als verwaschener Lichtflecken auf.

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W.A.Hary, James Melvoin, Alfred Bekker

Gruselkrimi Dreierband 3307

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Inhaltsverzeichnis

Gruselkrimi Dreierband 3307

Copyright

​Moronthor oder Schrei, wenn dich der Teufel holt

Das Grauen steht Pate

Der Käfer-Gott

Gruselkrimi Dreierband 3307

W.A.Hary, James Melvoin, Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Romane:

Moronthor oder Schrei, wenn dich der Teufel holt (James Melvoin)

Das Grauen steht Pate (W.A.Hary)

Der Käfer-Gott (Alfred Bekker)

Nebelschwaden hingen tief über der verwitterten Kirche von Dunbury. Das graue, windschiefe Gemäuer bildete das Zentrum der kleinen südenglischen Ortschaft. Um die Kirche herum befanden sich knorrige, grotesk verwachsene Bäume, deren Kronen die Gräber des örtlichen Friedhofs überspannten.

Eine durchdringende feuchte Kühle herrschte an diesem Morgen. Das gesamte Gelände war mit Flatterband abgesperrt und ein einzelner uniformierter Polizist hielt Wache. Sein Name war Constable Kenneth Jones.

Er stand noch ganz unter dem Eindruck des Grauens, das er hatte mit ansehen müssen. Jones war 45 und hatte Jahrzehnte Diensterfahrung hinter sich. Aber als der völlig verängstige Kirchendiener ihn gerufen und zu der furchtbar zugerichteten Leiche geführt hatte, war der Anblick selbst für Jones ein Schock gewesen.

Ein Motorengeräusch drang durch den Nebel.

Zwei Scheinwerfer tauchten als verwaschener Lichtflecken auf.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /

COVER W.ÖCKL

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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​Moronthor oder Schrei, wenn dich der Teufel holt

James Melvoin

Die Teufelstrommeln dröhnten.

Die Wände der viktorianischen Villa in Kensington waren perfekt schallisoliert. Wer an dem Prachtgebäude in dem Londoner Nobelstadtteil vorbeiging, ahnte nichts von dem satanistischen Gipfeltreffen, das gerade im Inneren stattfand. Teufelsanbeter und andere Dämonenknechte aus ganz Großbritannien hatten sich versammelt. Es war der Tag ihres jährlichen Gipfeltreffens. Nur die Hohepriester des Dunklen Kultes waren zu dieser Konferenz geladen worden.
Keiner von ihnen ahnte, dass viele von ihnen schon sehr bald zur Hölle fahren würden. Und zwar unfreiwillig…
***
Villa Satania, Old Queen Street, London
Als die Glocken des berühmten Big Ben Mitternacht schlugen, waren alle geladenen Gäste anwesend. Im flackernden Schein schwarzer Kerzen beäugten sich die zum Teil rivalisierenden Diener des Bösen gegenseitig.
Keiner fehlte.
Da gab es die Anhänger des altpersischen Ahriman mit ihren grässlichen Schlangenmasken. Als Kontrast zu ihnen eher unauffällig gekleidete Höllenknechte, die Handlanger der Großen Schlange. Sie hielten sich offenbar genauso gerne im Hintergrund wie ihre außerirdische Meisterin selbst.
Andere, vermummte, Dämonenknechte hatten sich dem Dienst des Wüstendämons Asasel verschrieben. Und es gab noch viele andere, deren Besessenheit nicht sofort deutlich wurde.
Gemeinsam war ihnen allen nur eines.
Die absolute Hingabe an das Böse.
Nackte Dienerinnen servierten Kelche roten Weinen, der mit Blut versetzt war. Die Dämonenknechte und Teufelsanbeter tranken schweigend, nach einem genau festgelegten Ritus.
Dann verstummten plötzlich die Trommeln. Totenstille senkte sich über den Versammlungssaal.
Ein bärtiger Alter mit Geiergesicht ergriff das Wort. Er trug ein schlichtes, kaftanähnliches schwarzes Gewand.
»Ich grüße Euch, die Ihr trotz aller Meinungsverschiedenheiten eins seid in Eurer Hingabe an die Mächte des Bösen, wie Sie auch im Einzelnen heißen mögen…«
Da wurde er von einer schneidenden weiblichen Stimme unterbrochen.
»Du hast es erfasst, Opa! Dämonenknechte seid ihr, allesamt! Und darum werdet ihr jetzt krepieren!«
Die Ereignisse überschlugen sich.
Die Diener des Bösen wandten sich zum Saaleingang. Wer wagte es, ihre Versammlung zu stören?
Eine junge, schlanke Frau stand in der offenen Saaltür. Doch im Gegensatz zu den Dienerinnen war sie nicht nackt. Vielmehr trug sie eine kakifarbene Uniform mit Lederkoppel und Schirmmütze. Ihr schwarzes Haar war im Nacken zu einem strengen Knoten zusammengebunden. Der Hautfarbe nach konnte sie aus Indien oder Pakistan stammen. Doch das interessierte die Satansanbeter momentan weniger.
Wichtiger waren die beiden Pistolen, von denen die Fremde jeweils eine in der linken und der rechten Faust hielt.
Und diese Waffen spuckten nun Feuer und Blei!
Das schöne Gesicht der Lady in Uniform war zu einer hassverzerrten Grimasse geworden. Ihre erste Kugel hackte in die Stirn des weißbärtigen Dämonenknechts, der gerade die Versammlung eröffnen wollte. Er kippte rückwärts weg. Noch bevor er auf den Boden aufschlug, war er tot.
Einige Satansdiener, die in der Nähe der Schützin gesessen hatten, sprangen von dem großen ovalen Tisch auf. Sie versuchten, die Frau anzuspringen. Das bekam ihnen schlecht.
Innerhalb weniger Sekunden feuerte die Frau sechs oder sieben Kugeln ab. Blutüberströmt sanken die Dämonenknechte zu Boden.
Breitbeinig stand die Killerin mitten in dem einzigen Ausgang des Saales. Was nun einsetzte, wurde später in den Polizeiakten als »Gemetzel« bezeichnet. Die anwesenden Höllendiener wurden entweder direkt durch Kugeln oder durch Querschläger getroffen. Der eine oder andere rief seine höllischen Herren um Hilfe an. Aber es nutzte überhaupt nichts.
Die Frau ging trotz ihres offensichtlichen Hasses systematisch und planvoll vor. Wenn sie eine Pistole leer geschossen hatte, wechselte sie in aller Ruhe das Magazin. Dann feuerte sie weiter. Und weiter. Und weiter.
Nun rächte es sich, dass die Villa Satania so perfekt schallisoliert war. Die Polizei konnte erst alarmiert werden, als eine der Dienerinnen Stunden später aus der Bewusstlosigkeit erwachte. Die Killerin hatte nämlich die Girls verschont und sie lediglich mit wohl dosierten Kolbenschlägen betäubt.
Die meisten Satansdiener hingegen waren tot.
Nur einige überlebten schwer verletzt. Einer von ihnen war der englische Satanist Andrew Gladstone. Er war es auch, der als Einziger die Killerin eindeutig identifizieren konnte. Er hatte nämlich früher schon einmal das zweifelhafte Vergnügen ihrer Bekanntschaft gemacht. [1]
Die Massenmörderin war niemand anders als Police Inspector Asha Devi von der India Demon Police!
***
Das Loireufer bei Château Aranaque, Frankreich
Professor Moronthor und seine Lebens- und Kampfgefährtin Nicandra Darrell nutzten das schöne Wetter für einen ausgiebigen Spaziergang. Die Sonne meinte es gut in diesen späten Augusttagen; die teilweise brütende Hitze der Juliwochen war einer gemäßigten Wärme gewichen. Der Wasserstand der Loire hatte sich wieder auf ein normales Maß eingepegelt.
Moronthor machte sich den Spaß, aus einfachen Wiesenblumen einen Blütenkranz zu flechten, den er Nicandra wie eine Krone aufsetzte.
Nicht mehr lange, und das Grün würde den bunten Herbstfarben und dann dem tristen Wintergrau weichen. Irgendwie, fand Moronthor, gingen die Jahreszeiten und Jahre immer schneller vorüber, je älter er wurde, ohne dabei zu altern. Seit Nicandra und er vom Wasser der Quelle des Lebens getrunken hatten, blieben sie biologisch auf dem Stand von damals, sie erkrankten nicht mehr - sie konnten ewig leben, wenn man sie ließ.
Wenn nicht irgendwelche Dämonen es schafften, sie umzubringen…
Aber die relative Unsterblichkeit brachte auch ihre Probleme mit sich. Schon jetzt wurden Moronthor und seine Gefährtin oft darauf angesprochen, dass sie sich ja überhaupt nicht veränderten und nach all den Jahren immer noch jung und frisch aussahen. Irgendwann musste jemand misstrauisch werden und Nachforschungen anstellen.
Dann half vermutlich nur noch ein Identitätswechsel.
Aber es war müßig, jetzt darüber nachzudenken. Die beiden Spaziergänger wollten sich einfach nur ein wenig entspannen und den Tag genießen, ohne auf die Zeit zu achten.
Die Erholung hatten sie sich redlich verdient, denn die vergangenen Wochen waren doch reichlich anstrengend gewesen.
Das erneute Auftauchen der rätselhaften Unsichtbaren, die Zerstörung des Meegh-Raumschiffs im unterirdischen Geheimlabor der Tendyke Industries… Moronthor begriff immer noch nicht richtig, wie es der Agentin der SIPPE DER EWIGEN gelungen war, die Hochsicherheitssperren zu durchdringen und ihren Sabotageakt durchzuführen. Auf jeden Eall hatte sie Robert Tendyke und Professor Moronthor damit einen bösen Schlag versetzt. Sie verfügten jetzt nur noch über zwei dieser gefährlichen Raumschiffe. Und eines davon wurde von den Experten der Tendyke Industries zerlegt, um seine Technik zu erforschen.
Weniger, um diese Raumschiffe irgendwann nachbauen zu können, sondern allgemein. Was an elektronischen Raffinessen in den Schiffen verbaut war, konnte der Tendyke Industries einen ähnlichen technologischen Vorsprung bringen wie vor Jahren die heimliche Zusammenarbeit mit der Dynastie.
Und vor ein paar Tagen erst mussten sie in Rom gegen Vampire vorgehen. Dabei war ein Vampir auf dem Plan erschienen, der sich Don Jaime deMoronthor nannte und dem Dämonenjäger gegenüber behauptete, sie seien Brüder!
Aber auf solche Verwandtschaft konnte Moronthor gern verzichten.
Er hatte schon Probleme genug. Mit einem alten Freund, der in Depressionen zu verfallen begann. Ted Ewigks langjährige Freundin Carlotta war spurlos verschwunden, hatte nur eine handschriftliche Nachricht hinterlassen, Ted möge nicht nach ihr suchen. Einen Grund für ihr Verschwinden nannte sie nicht, und Ted behauptete immer wieder, sie sei von Agenten der Dynastie entführt worden. Er ließ sich nicht davon abbringen.
Moronthor glaubte nicht an diese Theorie. Carlotta hatte sich schon längere Zeit recht merkwürdig verhalten. Ihr Verschwinden musste einen anderen Grund haben.
Moronthor seufzte.
»Ich habe ein ungutes Gefühl.«
Nicandra wandte ihr schönes Gesicht dem Dämonenjäger zu.
»Wieso denn, Cheri?«
»Ach, ich weiß auch nicht. Es läuft momentan alles zu verquer…«
Er wollte noch mehr sagen. Doch dann erblickte er den leblosen Körper.
Aus der größeren Entfernung hatte der Dämonenjäger zunächst geglaubt, dass ein Kleiderbündel an das Ufer der Loire gespült worden war. Doch während sie näher kamen, stellte sich heraus, dass dort offenbar ein Mensch lag!
Lebte er noch oder war er tot?
Moronthor und Nicandra eilten zu dem Körper hin. Die Dämonenjägerin ging neben ihm in die Knie. Vorsichtig drehte sie ihn auf den Rücken.
Der Mann lebte noch. Er trug abgeschabte, unmodische Kleidung. Seiner Hautfarbe nach zu urteilen konnte er aus dem Nahen Osten oder auch vom indischen Subkontinent stammen. Auf jeden Fall schien er ohnmächtig zu sein.
»Wie der arme Kerl wohl hierher gekommen ist?«, dachte Nicandra laut nach. Gleich darauf beantwortete sie ihre Frage selber. »Vielleicht ist er aus einem der Sammellager abgehauen, in die Frankreich seine abgelehnten Asylbewerber pfercht…«
»Kann sein«, sagte Moronthor geistesabwesend. Sein Misstrauen war erwacht. Etwas stimmte hier nicht. Aber was? Und dann fiel es ihm auf.
»Seine Kleidung ist knochentrocken«, bemerkte Moronthor. »Wenn er nicht im Wasser gewesen ist, dann frage ich mich, wieso er hier am Ufer…«
Der Dämonenjäger kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Plötzlich hörte er ein leises Sirren. Instinktiv drehte Moronthor den Kopf zur Seite. Keinen Moment zu früh.
Ein Totschläger sauste herab!
Der mit Leder überzogene Eisenknüppel verfehlte Moronthors Schädel um Haaresbreite. Stattdessen erwischte die Waffe ihn schmerzhaft an der Schulter.
Der Dämonenjäger wirbelte herum.
Zwei muskulöse Kerle hatten sich ihm lautlos von hinten genähert. Es mussten ausgebuffte Profis sein. Sonst hätte entweder der Professor oder seine Gefährtin sie unweigerlich bemerkt.
Merlins Stern gab kein Alarmsignal. Schwarzmagischen Ursprungs konnten die beiden Schufte also nicht sein. Doch das war irgendwie kein Trost. Denn nun nahmen sie den Dämonenjäger in die Mangel!
Natürlich wollte Nicandra ihrem Gefährten gegen den heimtückischen Angriff helfen. Doch sie musste sich nun selbst ihrer Haut wehren. Der vermeintlich Ohnmächtige schlug nämlich die Augen auf und packte Nicandra mit beiden Armen.
Die Dämonenjägerin beherrschte verschiedene Kampfsportarten und hatte sowohl genügend Mut als auch genug Kraft, um sich ihrer Haut wehren zu können.
Doch dieser Kerl war ihr leider überlegen.
Es musste sich um einen Meister des waffenlosen Kampfes handeln. Er schnellte halb vom Boden hoch, ließ Nicandras Schläge ins Leere gehen und drehte ihr in Windeseile den rechten Arm auf den Rücken.
Natürlich gab es diverse Griffe und Würfe, um sich auch aus dieser Lage zu befreien. Doch noch bevor Nicandra einen davon anbringen konnte, hatte der Angreifer einen Wattebausch aus seiner Jackentasche gezaubert.
Er presste ihn mit der freien Hand auf Nicandras Mund und Nase. Die Dämonenjägerin versuchte verzweifelt, den Kerl abzuschütteln. Doch von Sekunde zu Sekunde wurden ihre Bewegungen schwächer. Das Chloroform tat seine Wirkung. Schließlich erschlaffte Nicandras schlanker Körper. Ohnmächtig sank sie zu Boden…
Moronthor hatte inzwischen mit den beiden Angreifern alle Hände voll zu tun. Obwohl der Dämonenjäger schon oft genug gegen mehrere Feinde gleichzeitig gekämpft hatte, musste er sich eingestehen, dass er es jetzt mit besonders harten Brocken zu tun hatte.
Moronthor schickte einen der Kerle mit einem kräftigen Eausthieb zu Boden. Doch schon schnellte der Angreifer wie ein Stehaufmännchen wieder hoch. Inzwischen war es dem anderen gelungen, auf Moronthors Rücken zu springen!
Während der Dämonenjäger noch damit beschäftigt war, ihn abzuschütteln, konnte der von Moronthor zuerst Getroffene in aller Ruhe maßnehmen.
Und noch bevor Moronthor ausweichen konnte, krachte die Faust des Dunkelhäutigen gegen sein Kinn. Der Angreifer hatte genau auf den Punkt getroffen.
Bei Moronthor gingen die Lichter aus.
***
Der Palast von Ramesh Devi, New Delhi, Indien
Nicandra Darrell erwachte zwischen seidenen Laken.
Dem Chloroform hatte die Dämonenjägerin stechende Kopfschmerzen zu verdanken.
Bewirkt das Zeug vielleicht auch Halluzinationen?, fragte sich die Französin. Langsam richtete sie sich auf. Nicandra lag in einem weichen Bett. Draußen, vor dem nicht vergitterten Fenster, konnte sie Palmen und farbige exotische Blüten erkennen. Aber auch der Verkehrslärm einer modernen Großstadt war zu hören, allerdings weiter entfernt.
Nicandra schwang ihre langen, wohl geformten Beine aus dem Bett. Sie war nackt. Jemand musste sie gewaschen und mit duftenden Essenzen eingerieben haben. Das stellte sie fest, als sie diskret an sich schnupperte.
Aber wer tat so etwas? Wer chloroformierte und entführte sie, um sie dann im größten Luxus aufwachen zu lassen?
Als wären ihre Gedanken gelesen worden, öffnete sich eine mit reichen Schnitzereien versehene Tür.
Eine junge Frau trat ein. Sie trug einen gelbroten Sari, das traditionelle Frauengewand Indiens. Als sie Nicandra erblickte, faltete sie zum Gruß die Hände vor den Brüsten. Außerdem schenkte sie der Französin ein freundliches Lächeln, das diese nicht erwiderte.
»Wo bin ich hier?«
»In New Delhi, Memsahib.«
Das Lächeln der Inderin verschwand nicht. Sie sprach mit Nicandra in perfektem Französisch.
»Wie schön. Und was soll ich hier?«
»Das wird Ihnen mein Herr persönlich erläutern.«
»Und wer ist Ihr Herr?«
»Ramesh Devi«, entgegnete die Inderin schlicht.
Ramesh Devi!
Nun wurde Nicandra einiges klar. Während die Französin der einheimischen Dienerin in ein Ankleidezimmer folgte, sortierte sie ihre Gedanken.
Irgendjemand hatte ein dezentes Business-Kostüm, hochhackige Pumps und Seidenunterwäsche sowie eine Strumpfhose in Nicandras Größe besorgt.
Während die Französin diese Kleidung anlegte, ging sie noch einmal innerlich durch, was sie über Ramesh Devi wusste.
Er war einer der reichsten und mächtigsten Männer Indiens, vielleicht sogar der reichste und mächtigste überhaupt. Als Geschäftsmann und Politiker der nationalistischen BJP-Partei konnte er getrost als einer der inoffiziellen Herrscher des Landes angesehen werden.
Auf jeden Fall aber war er der Vater von Asha Devi, der rabiaten Inspektorin von der India Demon Police.
Moronthor und Nicandra hatten schon mehrere Fälle gemeinsam mit Asha Devi gelöst, wenn man das so nennen wollte. Denn normal Zusammenarbeiten konnte man mit der Inderin eigentlich nicht. Dafür war sie viel zu dominierend und egozentrisch. Wenn nicht alles nach Asha Devis Pfeife tanzte, dann rastete sie regelmäßig aus. Und das kam ziemlich häufig vor.
Doch trotz ihrer harschen Art konnte Asha Devi sehr mitfühlend sein, wenn es darum ging, die Opfer von Dämonen zu beschützen und ihnen Mut zu machen.
Im persönlichen Umgang war sie trotzdem eine furchtbare Kratzbürste. Jedenfalls sah Nicandra das so.
Und Asha Devis Vater hatte also Nicandra und vielleicht auch Moronthor in seinen Palast entführen lassen. Warum? Die Französin brannte darauf, diese Frage beantwortet zu bekommen.
Nachdem sie sich mit Kajal und einem Lippenstift noch flüchtig geschminkt und zu Ende angekleidet hatte, folgte sie der Dienerin.
Die Inderin führte Nicandra über eine breite Marmortreppe zu einer Teakholztür, vor der zwei Muskelmänner in Anzügen Wache hielten.
Nicandra erkannte in ihnen sofort die Kerle wieder, die Moronthor angegriffen hatten. Hämisch registrierte sie, dass die Visagen der beiden Inder ziemlich ramponiert waren.
Einer der Leibwächter öffnete die Tür.
Nicandra betrat ein Büro, das von den Ausmaßen her eher an einen kleinen Ballsaal erinnerte.
Hinter einem modernen Designerschreibtisch thronte Ramesh Devi. Obwohl Nicandra ihn erst einmal kurz persönlich gesehen hatte, erkannte sie ihn sofort wieder.
Der Inder hatte dieselbe haselnussfarbene Haut wie seine streitbare Tochter. Er war ungefähr sechzig Jahre alt. Der sorgfältig gepflegte Schnurrbart war noch pechschwarz, während sein Haupthaar ergraut war. Er trug es straff zurückgekämmt. Ramesh Devi war in einen silbergrauen Maßanzug westlichen Schnitts gekleidet.
Als er Nicandra erblickte, sprang er auf und ließ ein schmieriges Lächeln sehen.
»Miss Darrell! Welch eine Ehre, Sie in meinem bescheidenen Haus begrüßen zu dürfen!«
Er streckte der Französin seine Hand entgegen, doch Nicandra übersah sie geflissentlich.
»Ihre Schergen haben ja kräftig nachgeholfen, damit Sie mich hier begrüßen können!«
Der Millionär lachte laut, als ob Nicandra einen besonders guten Witz gemacht hätte.
»Sie müssen das verstehen, Miss Darrell! Ich weiß, dass Sie und der hochverehrte Herr Professor viel beschäftigte Menschen sind! Ich wollte sichergehen, dass Sie meiner Einladung auf jeden Fall unverzüglich Folge leisten!«
»Was haben Sie mit Moronthor gemacht?«, knurrte Nicandra.
»Was ich…? Aber, da kommt er ja schon!«
Wie auf Stichwort öffnete sich nun eine andere Tür. Der Dämonenjäger trat ein, begleitet von einem indischen Diener.
Beruhigt registrierte Nicandra, dass ihrem Lebengefährten nichts zu fehlen schien. Wenn man einmal von einem blauen Fleck am Kinn absah.
Sein muskulöser, durchtrainierter Körper steckte in einem weißen Anzug, mit dem dazu passenden unvermeidlichen knallroten Hemd.
Nicandra musste davon ausgehen, dass Ramesh Devi die Kleidung hatte besorgen lassen, genau wie ihre eigene. Immerhin konnte man davon ausgehen, dass er sich über den Dämonenjäger und seine Gefährtin informiert hatte. Anzüge dieser Art hatte der Professor schon vor langer Zeit vorzugsweise getragen.
Ramesh Devi streckte den Arm aus, als ob er Moronthor auf die Schulter klopfen wollte. Doch dieser vermied es, in die Nähe des Politikers zu kommen.
»Was soll diese Schmierenkomödie, Devi?«, rief der Dämonenjäger wütend. Dann durchquerte er den Raum und stellte sich direkt neben Nicandra.
»Ich stelle fest, dass Sie mich ebenfalls kennen«, sagte Ashas Vater geschmeichelt. »Nun, Prominenz hat eben ihren Preis. Ich sagte bereits zu Ihrer bezaubernden Begleiterin, dass ich dringend Ihre Hilfe brauche!«
»Und darum lassen Sie uns entführen?«
Nicandra antwortete an Stelle des Politikers.
»Ist doch logisch, Chef! Wir würden doch nicht freiwillig für diese type arbeiten, oder?«
»Die Type will ich überhört haben«, sagte Ramesh Devi jovial, »aber warten Sie erst einmal ab, worum es geht. Dann werden Sie Ihre Meinung gewiss ändern!«
Er machte eine einladende Handbewegung. Moronthor und Nicandra setzten sich auf zwei Besucherstühle. Sie hatten ihr Missfallen geäußert. Nun gab es keinen Grund mehr, stehen zu bleiben wie trotzige Kinder.
Ramesh Devi nahm ebenfalls wieder Platz. Als er das Wort ergriff, wirkte er plötzlich um Jahre gealtert.
»Meine Tochter Asha - sie steht unter Mordanklage.«
Moronthor verzichtete auf ironische Bemerkungen. Genau wie auch Nicandra spürte er, dass diese Sache sehr ernst war.
»Was ist geschehen, Devi?«
»Offenbar hat es in London eine Zusammenkunft von unterschiedlichen Teufelsanbetern gegeben. Plötzlich drang eine Frau in den Saal ein und eröffnete das Feuer aus zwei Pistolen. Das Ergebnis waren fünfzehn Tote und sieben schwer Verletzte.«
Moronthor und Nicandra wussten, dass Ramesh Devi ein harter Brocken war. Und trotzdem bemerkten sie, dass ihm das Weitersprechen nun schwer fiel.
»Einer der Überlebenden behauptet, die Täterin sei meine Tochter Asha gewesen. Lachhaft! Trotzdem sprechen alle Indizien gegen mein Kind.«
»Wieso?«, hakte Moronthor nach.
»Die Pistolen wurden in ihrer Wohnung gefunden. Außerdem ein Rückflugticket New Delhi - London. Darüber hinaus hat Asha für die Tatzeit kein Alibi. Hinzu kommt, dass die Täterin eine indische Polizeiuniform anhatte. Genau so eine, wie meine Asha sie trägt.«
»Was lässt Sie eigentlich annehmen, dass Asha nicht die Killerin ist?«, fragte Nicandra.
»Ganz einfach. Sie hat es geleugnet. Und eine Devi lügt nicht.«
Diese Logik mussten Moronthor und Nicandra erst einmal verdauen. Doch dann sagte der Dämonenjäger: »Es wäre immerhin möglich, dass einer von Ashas dämonischen Feinden dahinter steckt. Jemand, der ihr die Tat in die Schuhe schieben will, um sie auszuschalten. Die Indizienkette ist nämlich zu perfekt. Die Pistolen beispielsweise -wie soll Asha die beiden Tatwaffen im Flugzeug zurück nach New Delhi geschafft haben und damit durch die Sicherheitskontrolle gekommen sein? Und überhaupt, wer so eine Tat begeht, wirft die Waffen hinterher weg!«
»Das sehe ich auch so!« Ramesh Devi war offenbar mit dem Verlauf des Gesprächs hochzufrieden.
»Und wir sollen also Ashas Unschuld beweisen?«, schaltete Nicandra sich ein.
»Ja, das ist mein Wunsch.«
»Aber warum ausgerechnet wir?«
»Weil Sie die einzigen Freunde sind, die Asha auf dieser Welt hat«, entgegnete der mächtige Mann schlicht. »Jedenfalls ist das mein Eindruck.«
»Darf ich Sie etwas Persönliches fragen, Devi?«
»Aber selbstverständlich, Professor Moronthor.«
»Sie wollten doch Asha töten, als sie noch ein Kind war!«, sagte der Dämonenjäger hart. »Sie wollten Ihre Tochter den Göttern opfern, um sich bei ihnen einzuschmeicheln! Warum sind Sie jetzt plötzlich so um Asha besorgt?«
Ramesh Devis Gesicht wurde zu einer wütenden Fratze.
»Sie… verfluchter…«, begann er. Doch dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Er war eben ein Politiker. »Das ist lange her«, sagte er unverbindlich lächelnd. »Ich war noch jung, und junge Leute machen Fehler. Meine Asha ist doch eine hervorragende Polizeioffizierin geworden. Es wäre wirklich schade, wenn die Dämonenwelt mit einer solchen Intrige gegen sie durchkäme, nicht wahr?«
Ramesh Devi wusste genau, dass Moronthor und Nicandra die Höllenkräfte bekämpften, wo sie nur konnten. Der Inder hatte seine Worte so gewählt, dass es dén Dämonenjägern unmöglich war, abzulehnen.
Allerdings hätte Moronthor den Fall wohl auch dann näher unter die Lupe genommen, wenn er Asha Devi nicht persönlich gekannt hätte. Ein Massenmord an Teufelsanbetern musste das Interesse und die Neugier des Parapsychologen zwangsläufig erregen.
Moronthor wandte sich wieder Ashas Vater zu.
»Also gut, Devi. Miss Darrell und ich werden uns der Angelegenheit annehmen. Aber zuerst würde ich gerne mit Asha selbst sprechen, wenn es möglich ist. Um ihre Version der Geschichte zu hören. In welchem Gefängnis befindet sie sich?«
»In keinem Gefängnis«, sagte der Politiker. »Zum Glück konnte ich meine Verbindungen einsetzen. Wie Sie wissen, habe ich hier zu Lande einigen Einfluss…«
Das war noch ziemlich untertrieben ausgedrückt, wie Moronthor fand.
»Dann ist also Asha noch auf freiem Fuß?«
»Das leider auch nicht, verehrter Professor. Sehen Sie, ich konnte einige Amtsärzte dazu… hm… anregen, meiner Tochter eine vorübergehende geistige Verwirrung zu bescheinigen. Davon abgesehen, dass dieses Blutbad in London wirklich die Tat einer Wahnsinnigen sein muss.«
»Ich verstehe«, schaltete sich Nicandra ein. »Dann befindet sich Asha also in einer…«
»In einer Nervenklinik, ganz genau«, seufzte Devi senior.
***
Gandhi Mental Hospital, Kanpur, Indien
Die Nervenklinik erinnerte eher an ein Luxushotel als an ein Krankenhaus. Der weitläufige Gebäudekomplex war unmittelbar am Ufer des Ganges gelegen, inmitten eines üppig wuchernden Ziergartens. Nur die hohen, gesicherten Mauern erinnerten daran, dass hier nicht nur Verbrecher am Eindringen gehindert werden sollten. Sondern auch Insassen am Entkommen…
Moronthor und Nicandra waren in Ramesh Devis Rolls Royce dorthin verfrachtet worden. Während der Fahrt hatten sie genügend Zeit zum Reden. Die Trennscheibe zwischen ihnen und den beiden Leibwächtern vorne im Wagen war absolut schalldicht.
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass Ashas Vater uns als die einzigen Freunde seiner Tochter betrachtet, Chef. Als wir Asha das letzte Mal gesehen haben, hat sie gebrüllt und getobt. Und dann hat sie uns an den Kopf geknallt, dass sie uns nie wieder sehen will.« [2]
»Vielleicht ist das ja ihre Art, ihre Sympathie zu zeigen, Nici.«
»Sehr witzig!«
»Ich meine das durchaus ernst. So gut kenne ich Asha nicht. Aber dass sie einen kleinen Knacks hat, ist durchaus möglich. Überleg doch mal. Ihr eigener Vater will sie den Göttern opfern…«
»… und ihr Bruder ist ein Dämon«, ergänzte Nicandra. »Du hast Recht. Um solche Dinge wegstecken zu können, muss man schon ein ziemlich dickes Fell haben. Und Asha ist wohl viel sensibler, als es den Anschein hat. Ich frage mich allerdings inzwischen, ob sie den Massenmord an den Teufelsanbetern nicht wirklich auf dem Gewissen hat. In ihrem Hass auf Dämonen kann sie jedenfalls ziemlich blindwütig sein.«
Moronthor schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich nicht. Dafür ist Asha zu sehr Polizistin. Sie hätte die ganze Bande eingelocht, das ja. Wahrscheinlich wäre ihr dabei auch öfter mal die Hand ausgerutscht. Aber trotz allem waren es ja Menschen und keine Dämonen. Und dass Asha auf unbewaffnete Menschen schießt, glaube ich nicht. Noch nicht einmal, wenn es Dämonenknechte sind.«
»Ich bin gespannt, welche Version wir von Asha zu hören bekommen.«
Der Rolls Royce fuhr durch das bewachte Tor des Anstaltsgeländes. Ein Sicherheitsdienst in Fantasieuniformen sorgte offenbar dafür, dass sich keiner der Patienten in die Freiheit verirrte. Ansonsten sah man von weitem Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte in ihrer weißen Kluft geschäftig hin- und hereilen.
Die britische Nobelkarosse wurde vor dem Hauptgebäude geparkt. Einer von Ramesh Devis Männern führte Moronthor und Nicandra zu einem Arzt, der sich als Dr. Singh vorstellte. Unter dem offenen weißen Kittel trug er einen Geschäftsanzug. Er wirkte wie ein Mediziner, der in seiner Freizeit mit Aktien handelte. Oder wie ein Börsenspekulant, der in seinen Mußestunden Patienten therapierte. Je nachdem, wie herum man es sehen wollte.
Moronthor und Nicandra stellten sich vor.
»Ah, Herr Kollege!« Dr. Singh schüttelte Moronthors Hand. »Mister Devi hat mir schon telefonisch Ihren Besuch angekündigt. Sie sind Freunde von Mister Devi?«
Im Blick des Arztes flackerten Furcht und Respekt auf.
»Ja«, log Moronthor, um die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren. Er wollte jetzt endlich mit Asha sprechen.
»Ein interessanter Fall, die Tochter Ihres Freundes.« Dr. Singh rieb sich geschäftig die Hände. »Wenn Sie gestatten, gehe ich voran…«
Der Nervenarzt führte Moronthor und Nicandra über eine Marmortreppe in einen Seitenflügel der Klinik. Dabei redete er ununterbrochen.
»Miss Devi hat an die eigentliche Tat keine Erinnerung, was mich aber angesichts ihres Krankheitsbildes nicht wundert. Nach umfangreicher Diagnostik…«
»Welches Krankheitsbild haben Sie denn festgestellt?«, fragte Moronthor dazwischen.
»Akute Psychose!«, verkündete Dr. Singh gewichtig. »Die Patientin glaubt fest daran, dass es überall Dämonen gibt. Sowohl in unserer Welt als auch in irgendwelchen Paralleluniversen! Stellen Sie sich vor, sie hält sogar ihren eigenen Bruder für einen Dämon!«
»Das ist ja entsetzlich«, sagte Moronthor mit einer Ironie, die der indische Mediziner nicht verstehen konnte. »Ich hatte einmal einen Fall, wo sich der Patient einbildete, einen kleinen sprechenden Drachen als Hausgenossen zu haben…«
»Tragisch.« Dr. Singh nickte zustimmend. »Da ist eine langjährige medikamentöse Therapie notwendig.«
Nicandra blinzelte hinter Dr. Singhs Rücken ihrem Lebensgefährten schelmisch zu. Der Inder hielt vor einer Tür inne.
»Wir mussten Miss Devi leider ruhig stellen, weil sie zu erregt war. Wundem Sie sich also nicht, wenn sie einen etwas schläfrigen Eindruck macht.«
Er öffnete die Tür.
Der Raum wirkte eher wie ein gemütlich eingerichtetes Single-Apartment, nicht wie ein Krankenzimmer. Erst auf den zweiten Blick bemerkte man, dass die Bewohnerin hier gefangen gehalten wurde. Die Tür hatte innen keinen Griff. Und die Fenster ohnehin nicht. Eine summende Klimaanlage ließ die brüllende Hitze Zentralindiens draußen bleiben.
Asha Devi saß in einem bequemen Sessel am Fenster. Langsam drehte sie den Kopf.
Sie wirkte völlig anders als bei der letzten Begegnung mit Moronthor und Nicandra. Damals hatte sie ihre Uniform angehabt und wie eine Furie getobt. Doch nun hingen ihre Augenlider auf halbmast. Ihr langes, blauschwarzes Haar fiel ihr in Wellen auf die Schultern, was ihr ein überraschend feminines Aussehen verlieh. Üblicherweise trug sie nämlich ihre Haare zu einem strengen Knoten im Nacken zusammengebunden. Auch der lachsfarbene Seidenpyjama, mit dem sie bekleidet war, wirkte viel weicher als ihre von Wäschestärke brettharte Polizeiuniform.
»Doktor Singh!«, sagte sie mit matter Stimme. »Sind Sie immer noch nicht von den Dämonen gefressen worden? Wie geht es dem Pfleger, der mir die Beruhigungsspritze verpasst hat? Ich hoffe, sein Nasenbein ist nur angebrochen. Aber mit mir legt sich besser keiner an!« Erst jetzt bemerkte sie Moronthor und Nicandra. »Was wollen die denn hier? Raus aus meinem Kerker!«
»Ich habe die Patientin schon früher behandelt«, wandte sich Moronthor an Dr. Singh. »Ein schwieriger Fall, wie Sie schon treffend bemerkten, Herr Kollege. Dürften wir ungestört mit ihr reden?«
»Selbstverständlich.« Der indische Arzt lächelte verbindlich. »Klopfen Sie einfach an die Tür, wenn Sie fertig sind.«
Das tat er nun selbst, damit der draußen stehende Pfleger ihn herauslassen konnte. Dr. Singh schien nicht unglücklich darüber zu sein, nach draußen zu gelangen.
Asha Devi wandte sich nun an Moronthor und Nicandra.
»Ihr wollt wohl meinen Anblick so richtig auskosten? Das muss doch eine ungeheure Befriedigung für euch sein, mich hier in der Klapsmühle zu sehen! Asha Devi, ehemals erfolgreiche Inspektorin der India Demon Police, als geisteskranke Massenmörderin in diesem Goldenen Käfig! Na dann, viel Spaß!«
Trotzig verschränkte sie die Arme vor den Brüsten.
Moronthor runzelte die Stirn.
»Asha, wie kommst du eigentlich darauf, dass wir dir etwas Böses wollen? Im Gegenteil, wir sind gekommen, um dir zu helfen.«
»Ha!«
»Spar dir die Puste, Chef«, sagte Nicandra. »Hast du noch nicht gemerkt, dass Asha unsere Unterstützung nicht will?«
»Verdammt scharfsinnig, Darrell!«, keifte Asha Devi. »Ich brauche nämlich niemanden, kapierst du? Ich komme sehr gut alleine zurecht!«
»Und es stört dich nicht, dass du hier drinnen eingesperrt bist, obwohl du unschuldig bist?«, fragte Moronthor.
»Wie kommst du darauf, dass ich unschuldig bin?«
Asha blinzelte listig.
»Bist du es denn nicht?«
»Wer weiß, Moronthor? Die Beweislage spricht ja wohl gegen mich. Wer immer mich reinreiten wollte, hat es perfekt gemacht.«
»Lass uns gehen, Chef«, sagte Nicandra laut. »Asha hat aufgegeben, das ist doch eindeutig. Diesmal wird dann eben die Dämonenwelt den Sieg davontragen.«
Die Worte der Französin erzielten die gewünschte Wirkung. Es gelang ihr, Asha Devi aus der Reserve zu locken.
»Du spinnst wohl, Darrell! Denen willst du den Sieg überlassen? Weißt du nicht, dass die Menschheit keinen größeren Feind hat als die Dämonenwelt?«
»Doch, das weiß ich. Und gerade deshalb solltest du mit uns Zusammenarbeiten. Wir können da draußen nämlich deine Unschuld beweisen. Die Möglichkeit hast du hier in deinem Goldenen Käfig, wie du es nennst, nicht. Ich glaube nämlich, dass ein Dämon deine Gestalt angenommen hat, um dieses Massaker zu verüben.«
»Aber warum?« Asha wirkte nun nicht mehr schlecht gelaunt, sondern gespannt. Das betrachtete Moronthor zumindest schon einmal als Fortschritt.
»Warum? Ich schätze mal, du bist ziemlich gefürchtet in der Dämonenwelt. Wenn du aus dem Verkehr gezogen wirst, weil du im Gefängnis oder in der Nervenklinik einsitzt, ist das für die Dämonen schon mal ein enormer Vorteil.«
»Verdammt richtig!« Nun klang Asha Devi trotz Beruhigungsspritze schon wieder wie in alten Tagen. »Ich bin nämlich die Beste! Die Spitzenfrau von der India Demon Police! Ha, was für ein Triumph für die schwarzmagischen Bestien, wenn ich nicht mehr hinter ihnen her bin!«
Bevor sich Asha Devi weiter in Selbstbeweihräucherung ergehen konnte, kam Moronthor auf den Mordfall zurück.
»Du hast kein Alibi für die Tatzeit, nicht wahr? Was hast du in der Zeit getan, Asha?«
»Ich habe meditiert, Moronthor. Wie du weißt, bin ich ein Liebling der Götter. Ich halte öfter mal Zwiesprache mit ihnen, auch länger. Und da ich ein paar Tage Überstunden abbummeln musste, habe ich eben meditiert.«
»Und wo? In deiner Wohnung?«
»Spinnst du? Bei mir im Wohnblock leben ungefähr hundert Kinder, alle mit kräftigen Stimmbändern. Da ist jede Konzentration unmöglich. Nein, ich war in einem verlassenen Tempel, ungefähr dreißig Meilen südlich von New Delhi.«
»Dafür gibt es wohl keine Zeugen?«
Asha schüttelte den Kopf.
»Ich bin mit dem Überlandbus hingefahren. Von der nächsten Station muss man noch zehn Meilen bis zu dem Tempel laufen. Kann sein, dass sich der Busfahrer an mich erinnert. Kann aber auch nicht sein. Die verfluchte Blechkiste war total überfüllt.«
»Jedenfalls reicht das nicht aus, um zu beweisen, dass du nicht in London warst«, stellte Moronthor fest. »Sogar dein Pass ist am Tag des Blutbades auf dem Flughafen Heathrow abgestempelt worden.«
»Die verfluchten Dämonen haben eben an alles gedacht!«
»Nur nicht daran, dass dir jemand helfen könnte«, stellte Moronthor fest. »Nicandra und ich werden nach London fliegen, heute noch. Ich bin sicher, dass wir dort herausfinden, wer dich reinreiten wollte. Oder hast du selbst schon einen bestimmten Verdacht?«
»Was soll ich sagen?«, knurrte Asha. »Ich habe schon unzählige Dämonen vernichtet. Okay, viele von ihnen waren Kroppzeug. Aber einige dieser schwarzmagischen Prachtexemplare hatten auch mächtige Beschützer in ihrer dunklen Welt. Beschützer, die es mir so richtig heimzahlen wollen…«
»Wir werden jedenfalls deine Unschuld beweisen. Kopf hoch!«
Mit einem aufmunternden Lächeln verabschiedete sich Moronthor. Nicandra nickte Asha nur zu. Nach wie vor hatte sie Probleme mit der aufbrausenden und selbstgerechten Art der indischen Polizistin.
Moronthor klopfte an die Tür. Der Pfleger öffnete. Gleich darauf traten die beiden Dämonenjäger auf den Flur hinaus. Asha Devi war allein.
»Wie unendlich gnädig von euch«, sagte sie leise in Richtung Tür, »dass ihr mir helfen wollt. Aber ich brauche niemanden. Ich komme sehr gut alleine zurecht.«
***
Ein Abbruchhaus in White Chapel, London
Die Gegend war ziemlich heruntergekommen. Hier, unweit des Hafens, lebte nur, wer sich kein besseres Quartier leisten konnte. Die Wohnungen waren dunkel und feucht. Die nahe Trasse der modernen Dockland Railroad zeugte davon, dass auch die Tage dieses uralten Elendsviertels gezählt waren.
Wenn die Luxussanierer kamen, machten sie die Wohnungen hell und schön. Die ursprünglichen Bewohner würden sie sich jedoch nicht mehr leisten können. Doch bis es so weit war, hausten die Menschen weiterhin in Bruchbuden, in die kaum ein Lichtstrahl drang.
Manchen allerdings war gerade das sehr recht…
Der Bewohner des Hauses Nummer vier in der Naples Road hatte es sich am Fenster bequem gemacht. Er starrte in die Dunkelheit hinaus. Selbst hatte er kein Licht entzündet. Und das war auch gut so.
Denn ein einsamer Spaziergänger, der sich in die schmutzige Gasse bei den Docks verirrte, hätte sich sonst leicht zu Tode erschrecken können.
Denn das Wesen am Fenster war kein Mensch!
Auf den ersten Blick hatte sein Körper schon etwas Menschenähnliches an sich. Arme, Beine und Kopf wies er jedenfalls auf. Doch die Haut des Hausbewohners war von einem grünlichen Kupferton, außerdem schuppig. Die Hände glichen eher Klauen eines Raubtieres. Auf dem Rücken war ihm ein Paar Flügel angewachsen. Und schließlich ragten aus seinen Schläfen zwei Hörner hervor!
Es war eine höllische Bestie, die in di eser regnerischen Nacht an dem Fenster kauerte.
Scheinbar wartete der Unhold auf etwas. Doch lange musste er sich nicht mehr gedulden. Aus den Geräuschen des nächtlichen London filterte sein aufmerksames Gehör den Klang heraus, auf den er gewartet hatte.
Flügelschlagen!
Es vergingen noch ein paar weitere Minuten. Doch schließlich erschien ein Schatten in der Luft über den Hafenanlagen.
Der Teuflische schob das Fenster gänzlich nach oben und trat zur Seite. Gleich darauf glitt im Gleitflug ei-. ne zweite Gestalt in das Haus, die der ersten stark ähnelte.
Der Neuankömmling hatte sich geschickt durch das enge Fenster gedrängt. Nun schlug er einmal kurz mit seinen Schwingen, um sie zu sortieren.
Dann grüßte er den Wartenden ehrerbietig.
»Beim Geist von Calmac, ich bin zurück, o Meister!«
»Das sehe ich selber, Panah«, gab der wartende Dämon zurück. »Hast du bekommen, was ich dir aufgetragen habe?«
Wortlos öffnete der mit Panah Angesprochene eine Tasche, die er bei sich getragen hatte. Er holte ein paar Gegenstände heraus.
»Ein Dreihalskolben, ein Exsikkator, zwei Messkolben, ein Gebläsebrenner… ich habe alles bekommen.«
»Hast du auch nicht vergessen, menschliche Gestalt anzunehmen? Wir wollen kein Aufsehen erregen!«
Panah lachte teuflisch. »Natürlich nicht, o Meister! Als eine kleine, unbedarfte Studentin bin ich in die Läden marschiert und habe das Gewünschte gekauft. Doch gestattet Ihr mir eine Frage?«
»Du willst wahrscheinlich wissen, wozu ich den Krempel benötige.«
»Ja, o Meister.«
»Calmacs Geist weilt zwar immer noch unter uns«, begann der Oberdämon, »aber seit seinem Tod bin ich der Herrscher aller Erddämonen Britanniens. Oder zweifelst du daran?«
»Natürlich nicht, o Meister!«, beeilte sich Panah zu versichern. Kein Schwarzblütiger, der an seinem untoten Leben hing, sollte die Machtposition des mit Meister Angesprochenen in Frage stellen. In blutigen Rangkämpfen hatte es dieser verstanden, nach Calmacs Tod der neue Anführer der Erddämonen zu werden.
»Das will ich dir auch geraten haben. Du weißt doch, wer den großen Calmac vernichtet hat?«
Panah nickte hasserfüllt.
»Nicandra Darrell, die infame Gefährtin des verfluchten Moronthor! Ich wünschte, ich könnte diese beiden einmal in meine Krallen bekommen!«