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HORROR 017 Buchausgabe: Geister sind auch nur Menschen W. A. Hary: »Wie denn das?« Anfang April fiel es Nick Dowling zum ersten Mal auf, dass mit seiner Frau Dorothy irgendetwas nicht stimmte. Er wusste es nicht recht zu deuten. Auf jeden Fall benahm sie sich merkwürdig. Sie erschien oft in Gedanken versunken, und wenn er sie dann ansprach, reagierte sie gar nicht. Manchmal musste er schreien, damit sie in die Wirklichkeit zurückfand. Und dann blickte sie sich verstört um und hatte richtig Schwierigkeiten, ihn zu erkennen. Nick Dowling machte sich deswegen schon Sorgen um seine Frau und begann, sie heimlich zu beobachten…
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Geister sind auch nur Menschen
W. A. Hary
Alleinige Urheberrechte: Wilfried A. Hary
Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de
ISSN 1614-3310
Diese Fassung:
© 2016 by HARY-PRODUCTION
Canadastr. 30
D-66482 Zweibrücken
Telefon: 06332-481150
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eMail: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.
Basierend auf dem gleichnamigen Geister-Krimi aus dem Jahr 1976-11
Coverhintergrund: Anistasius
Anfang April fiel es Nick Dowling zum ersten Mal auf, dass mit seiner Frau Dorothy irgendetwas nicht stimmte. Er wusste es nicht recht zu deuten. Auf jeden Fall benahm sie sich merkwürdig. Sie erschien oft in Gedanken versunken, und wenn er sie dann ansprach, reagierte sie gar nicht.
Manchmal musste er schreien, damit sie in die Wirklichkeit zurückfand. Und dann blickte sie sich verstört um und hatte richtig Schwierigkeiten, ihn zu erkennen. Nick Dowling machte sich deswegen schon Sorgen um seine Frau und begann, sie heimlich zu beobachten.
Dorothy war schwarzhaarig, hatte einen dunklen Teint, große, glutvolle Augen, in denen das Temperament blitzte. Eine richtige Hexe, hatte er gedacht, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Es hatte sich jedoch herausgestellt, dass Dorothy die Sanftmut in Person war. Sie sah fast aus wie eine Zigeunerin, obwohl ihre gesamten Vorfahren, soweit nachforschbar, allesamt aus dem kleinen Städtchen Kenwood stammten. Sie waren also waschechte Engländer gewesen.
Trotz ihrer Sanftheit hatte Dorothy in den fünf Jahren ihrer Ehe mit Nick stets ein gewisses Temperament gezeigt und war rundherum eine sehr lebensbejahende Person gewesen, die schon morgens in der Frühe mit einem Liedchen auf den Lippen aufstand.
Und jetzt diese Veränderung. Nick konnte es nicht begreifen. War Dorothy etwa krank?
Er versuchte, sie zum Arzt zu schicken, aber seine junge, hübsche Frau lehnte fast entrüstet ab. Sie fühle sich pudelwohl wie immer, und er brauche sich keine Sorgen zu machen.
In Nick Dowling keimte ein furchtbarer Verdacht. Erhärtet wurde dieser Verdacht durch den Umstand, dass die sonst so heißblütige Dorothy in der letzten Zeit jegliches Interesse am Sex verloren hatte. Für Nick war das ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein anderer Mann im Spiel war. Es würde alles erklären, auch Dorothys zeitweilige geistige Abwesenheit. Vielleicht hatte sie Gewissensbisse?
Nick Dowling war nun nicht einer von der Sorte, die rasend vor Eifersucht werden und alles kurz und klein schlagen, sondern er wollte sich einen Plan zurechtlegen, von dem er hoffte, dass er ihm Gewissheit bringen würde. Ja, Gewissheit, mehr wollte Nick vorläufig nicht. Er wollte wissen, woran er mit seiner Frau war. Wenn sich sein Verdacht bestätigte, würde es ihn wohl furchtbar treffen, aber lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Er nahm sich vor, Dorothy vor die Entscheidung zu stellen: Entweder der Nebenbuhler oder er. Ein Mittelweg war von vornherein ausgeschlossen.
Nick Dowling war von Beruf Ärztebesucher. Sein Weg zu diesem Beruf entsprach beinahe dem üblichen Klischee:
Medizinstudium abgebrochen, da seine Eltern durch einen tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren und somit kein Geld mehr vorhanden gewesen war, anschließende Suche nach einem geeigneten Job und endlich das Angebot einer pharmazeutischen Fabrik, als Vertreter zu fungieren. Nach einem gründlichen Vorbereitungskurs auf Kosten der Firma hatte man Nick Dowling auf die Menschheit und speziell auf die Ärzteschaft in Mittelengland losgelassen. Das war nun schon rund zehn Jahre her. Nick Dowling war durchschnittlich erfolgreich und hatte vor einem Vierteljahr das zweiunddreißigste Lebensjahr vollendet.
Es war Mitte April, als er es endlich an der Zeit fand, nicht mehr länger zu warten. Dorothys Zustand hatte inzwischen erschreckende Ausmaße angenommen. Ihr auch im Winter stets dunkler Teint erschien blaß und eingefallen. In ihre einstmals glutvollen Augen war ein eigenartiges Flackern getreten. Sie gab sich oft aggressiv und gereizt und vernachlässigte ihre Pflichten im Haushalt. Wenn Nick etwas zu ihr sagte, reagierte sie hysterisch, was ihn zur Zurückhaltung zwang.
Nachts wurde er manchmal wach und vermisste ihre Anwesenheit. Wenn er dann suchend durch das Haus streifte, fand er sie einmal im Keller, in eine Ecke kauernd, völlig durchgefroren und schmutzig, oder auf dem Speicher. Sie hatte oben alte, modrig riechende Matratzen ausgebreitet und lag darauf. Dabei hatte sie jedes Mal eine eigenartige Haltung eingenommen. Sie lag auf dem Rücken, nackt, die Beine gespreizt und die Arme ausgebreitet, als hätte man sie an ein Kreuz genagelt. Wenn Nick eintrat, nahm sie ihn erst gar nicht wahr. Ihre fiebrig glänzenden Augen waren zur Decke gerichtet. Ihre Lippen, aus denen jegliches Blut gewichen war, formten lautlose Worte. Am Kopfende war eine schwarze, brennende Kerze aufgestellt. Kleinere Kerzen befanden sich in der verlängerten Linie ihrer Hände und der Beine. Die Kerzen erinnerten an Phallussymbole, wenn auch nur entfernt. Sie waren von ungeschickter Hand verformt worden. Außer der dicken Kerze am Kopfende brannte keine.
Seltsam kam Nick vor, dass die ruhige Flamme, die senkrecht über dem kurzen Docht stand, völlig regungslos blieb, wenn er die Tür öffnete. Kein Luftzug vermochte sie zu beeinflussen.
Mehrmals hatte er seine Frau so gefunden. Apathisch hatte sie sich von ihm ins Schlafzimmer führen lassen.
Beim letzten Mal riss ihm die Geduld. Er zerrte sie wütend von den Matratzen hoch und fegte die modrigen Dinger mit Fußtritten in eine Ecke, dass der Staub aufwirbelte. Dann sammelte er die Kerzen ein, öffnete die Dachluke und warf sie in hohem Bogen hinaus.
Die Reaktion von Dorothy war erschreckend. Sie begann zu kreischen, dass Nick befürchtete, die gesamte Nachbarschaft würde zusammenlaufen. Dann drang sie wie eine Furie auf ihn ein. Dabei bewies sie eine unerhörte Kraft. Nick Dowling, der schon immer viel von Sport gehalten hatte und einen entsprechend gestählten Körper besaß, hatte alle Mühe, sich seiner Frau zu erwehren.
Schlagartig wurde sie ruhiger und wendete sich von ihm ab. Dabei ließ Nicks Aufmerksamkeit nach, was ihm beinahe zum Verhängnis wurde. In der Ecke nämlich lag ein altes verrostetes Beil, das durch die längst installierte Ölheizung nutzlos geworden war. Ehe sich Nick versah, ging Dorothy abermals auf ihn los. In ihren Augen brannte ein teuflisches Feuer, und sie schwang das Beil hoch über ihren Kopf. Buchstäblich im letzten Sekundenbruchteil konnte Nick den fürchterlichen Schlag abwehren.
Er verlor jegliche Rücksichtnahme. Da es ihm trotz aller Bemühungen nicht gelang, Dorothy das Beil zu entwinden, schlug er auf die Frau ein, bis sie wimmernd am Boden liegenblieb.
Nick Dowling war erschüttert über diesen Vorgang. Er konnte es einfach nicht fassen. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass er seine eigene Frau schlagen konnte, aber es war ihm einfach nichts anderes übriggeblieben. Dorothy hatte ihn umbringen wollen. Es war für Nick völlig unbegreiflich.
Letzte Nacht war es passiert. Nach dem Vorfall hatte sie sich widerstandslos ins Bett gelegt. Der Rest der Nacht, den Nick größtenteils schlaflos verbracht hatte, war ereignislos verlaufen.
Am Morgen erschien alles so, als sei nichts geschehen. Ja, Nick war sogar, als hätte sich Dorothy wieder etwas gefangen. Sie war merklich aufgetaut.
Etwas wunderte ihn sehr. Er wusste genau, dass er recht hart zugeschlagen hatte, aber Dorothys makelloser Körper zeigte keinerlei Wunden, nicht einmal ein blutunterlaufenes Mal. Er hatte darauf geachtet, als seine Frau nackt vom Duschen gekommen war.
Die beiden verloren kein Wort über die Ereignisse der letzten Nacht. Im Verlaufe des Frühstücks erwähnte Nick wie beiläufig, dass er eine weite Fahrt unternehmen müsste, um ein paar Ärzte außerhalb zu besuchen. Es seien alte Kunden, bei denen er sich schon viel zu lange nicht mehr hatte blicken lassen.
Dorothy registrierte es nur am Rande. Sie hatte weder Einwände noch Fragen. Dass sie überhaupt etwas mitbekommen hatte, erkannte Nick nur an der Tatsache, dass sie wortlos eine Tasche für ihn packte, in der das Notwendigste untergebracht war, was er für eine Übernachtung in einem Hotel benötigte.
Zum Abschied wollte er ihr einen Kuss geben, aber sie wandte das Gesicht ab und lächelte dabei unergründlich.
Nick sagte nichts und ging. An der Vorgartenpforte warf er noch einmal einen Blick zurück. Dorothy stand in der halboffenen Haustür. Ihr Gesicht war maskenhaft starr. Nick schauderte es aus ungewissen Gründen.
Er verließ den Vorgarten und ging links am Zaun entlang zum Garagentor. Wenig später fuhr er mit seinem Wagen davon. Diesmal, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass sein bisheriges Leben zu Ende war. Jemand hatte ihm Dorothy, seine junge Frau, genommen.
Einundzwanzig Jahre alt war sie gewesen, als er sie kennengelernt hatte. Bereits ein Jahr später hatten sie geheiratet. Mit den fünf Jahren Ehe kannte er seine Frau nun schon seit sechs Jahren. Sie war ihm noch nie so fremd erschienen, und er wusste, dass sie ihm längst nicht mehr gehörte.
Er hatte Angst davor, Gewissheit zu erlangen, doch war ihm klar, dass der gegenwärtige Zustand unerträglich war. Es konnte so nicht weitergehen.
Er gab Gas und hatte dabei das Gefühl, eine Krallenhand reiße ihm das Herz aus der Brust.
Die Tränen kamen ihm ganz von allein, und er hatte nicht die Kraft, sie zurückzuhalten.
Es war bereits dunkel, als er zurückkehrte. Gottlob stand das Haus, in dem er wohnte, nicht weit vom Ortsrand entfernt. So konnte er seinen Wagen außerhalb in einem Wäldchen unterstellen und zu Fuß weitergehen. Dabei achtete er darauf, dass er von niemandem erkannt wurde. Die Nachbarn hatten gesehen, dass er weggefahren war und nicht wie sonst schon vor Anbruch der Dunkelheit seine Arbeit beendet hatte. Es sollte niemand wissen, dass er unterwegs war, um seine Frau zu entlarven. Es wäre ihm mehr als peinlich gewesen.
Sobald ihm jemand entgegenkam, drückte er sich in den Schatten der Häuser. So erreichte er ungesehen das Grundstück, auf dem sein Haus stand. Ringsum zog sich ein halbhoher Jägerzaun auf einer niedrigen Mauer aus Waschbeton. Nick Dowling war stolz darauf, denn er hatte Mauer und Zaun selbst gemacht. Sein schmuckes Häuschen stand inmitten des Grundstücks, vielleicht zwanzig Yards von Nick entfernt. Die Garage berührte mit ihrer hintersten Kante fast die rechte Ecke des Hauses. Dort hatte Nick ein schmales Tor stilisiert. Oben befand sich ein Rundbogen aus kreuzförmig genagelten Latten, von Kletterpflanzen umrankt. Dahinter öffnete sich ein kleiner Hof. Ursprünglich sollte dieser einmal als Spielplatz für eventuelle Nachkommen dienen, doch hatte sich leider gezeigt, dass der gewünschte Nachwuchs ausblieb.
In Nick krampfte sich alles zusammen, als er wie ein Dieb um das Grundstück schlich.
Links davon befand sich ein Stück Brachgelände. Auf der anderen Seite hatte ein Nachbar gebaut. Nick hatte mit ihm ein gutes Verhältnis.
An der Trennlinie zwischen beiden Grundstücken überkletterte er den Jägerzaun. Eine hohe Weidenhecke verbarg jetzt die Sicht zum Nachbarn. Der Mond versteckte sich hinter einer dunklen Wolke. Es wurde so dunkel, dass man kaum die Hand vor den Augen sehen konnte. Sein Haus war nur noch ein Schatten, aber es brannte teilweise das Licht. Die Fensterläden waren noch nicht zugezogen. Die Fenster stachen deutlich aus diesem Schatten hervor und ließen ein wenig Licht nach draußen.
Nick beobachtete lauernd das Haus. Vor dem Tor hatte kein fremder Wagen geparkt. Irrte er sich? Gab es am Ende doch keinen Liebhaber?
Nick verdrängte die Gedanken daran. Er war hier, um sich zu vergewissern. Es hatte jetzt keinen Sinn, Überlegungen anzustellen.
Möglichst geräuschlos glitt er an der Weidenhecke vorbei, mit den Schatten der Nacht verwachsen. Vom Haus aus konnte man ihn unmöglich sehen. Da war der kleine Hof, mit Betonplatten ausgelegt. Er ahnte es mehr als dass er es sah. Der Stamm eines Baumes und eine brusthohe Buschformation, sorgfältig gepflanzt und gepflegt, bot ihm zusätzliche Deckung. Von hier aus konnte er an der Garage vorbei den Vorgarten überblicken.
Nick wusste, dass hinter dem erleuchteten Fenster hier an der Giebelseite die Küche lag. Er erkannte die Konturen seiner Frau.
Alles krampfte sich in ihm zusammen. Dorothy bewegte sich völlig ungezwungen, fühlte sich unbeobachtet. Sie hantierte herum und verließ die Küche schließlich.
Nick Dowling blickte auf seine Armbanduhr. Das Leuchtzifferblatt verriet ihm, dass es auf Mitternacht zuging. Noch immer war Dorothy allein. Hatte er sich wirklich geirrt oder hatte seine Frau den Braten gerochen?
Wieder kam Dorothy in die Küche zurück. Nick sah für Minuten nur ihren Kopf im Seitenprofil und ihre Schultern. Was sie tat, konnte er nicht erkennen.
Plötzlich warf sie den Kopf in den Nacken und begann zu lachen. Es war ein furchtbares, fast schaurig zu nennendes Lachen. Gleichzeitig vernahm Nick ein Rumoren. Er blickte nach oben. Wenn er sich nicht irrte, kam das Rumoren vom Dachstuhl.
Er runzelte die Stirn, aber da war das Geräusch auch schon wieder verebbt. Schlagartig hörte Dorothy zu lachen auf und hantierte weiter. Dann drehte sie sich abrupt um und verließ abermals die Küche.
Nick Dowling hätte einiges darum gegeben, hätte er sehen können, was seine Frau in der Küche um diese Zeit trieb. Er richtete sich auf und teilte die Zweige des Busches vor ihm, um seinen Lauerposten zu verlassen. Er wollte näher an das Fenster heran und versuchen, einen Blick nach innen zu erhaschen. Möglicherweise erwartete Dorothy späten Besuch und bereitete etwas vor?
In diesem Augenblick sagte jemand hinter Nick: „Stopp, Fremder, und keine Bewegung!“
Nick erstarrte wie zur sprichwörtlichen Salzsäule. Seine Nackenmuskeln spannten sich.
„Was suchen Sie hier?“
Eine Taschenlampe flammte auf, erfasste Nick mit ihrem hellen Schein.
„Los, umdrehen, ich will Sie von vorn sehen!“
Nicks Hände zuckten. Langsam wandte er sich um sich selbst, in das grelle Licht blinzelnd.
Ein überraschter Ausruf.
„Verdammt, das bist ja du, Nick!“
Endlich erkannte Nick Dowling die Stimme. Sie gehörte seinem Nachbarn Cy Slugger!
Es dauerte eine Weile, bis sich Slugger von seiner Überraschung erholt hatte. Er richtete den Strahl seiner Taschenlampe zu Boden, um Nick nicht länger zu blenden.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen, Nick? Was schleichst du hier durch die Nacht?“
Nick Dowling hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Er rang nach Worten, aber es wollte ihm nichts Passendes einfallen.
Cy Slugger schaltete seine Taschenlampe aus.
„Ich habe schon gedacht, ein Einbrecher hätte es auf dein Haus abgesehen. Da war ein dunkler Schatten, der über den Zaun kletterte. Ich war gerade dabei, ins Bett zu gehen, als ich es sah. Schließlich wähnte ich deine Frau allein zu Hause. Was hätte sie schon gegen einen Einbrecher tun können?“
Nick hörte ein leises Klicken. Dann raschelte es. Seine Augen weiteten sich.
Endlich war er fähig, etwas zu sagen.
„Sag mal, Cy, war das eine Waffe?“
„Natürlich. Meinst du, ich schleiche hier durch das Dunkel, um einen Einbrecher mit den bloßen Fäusten zu stellen?“
Nick bekam nachträglich noch weiche Knie.
„Verdammt, Cy, ich weiß gar nicht, wie ich es dir erklären soll.“
„Vielleicht brauchst du das gar nicht“, entgegnete der Nachbar geheimnisvoll.
„Wie — wie meinst du das?“
„Nun, man hat schließlich Augen im Kopf. Alter Junge, es geht mich zwar nichts an, aber deine junge Frau erscheint mir in letzter Zeit recht sonderbar. Sie grüßt niemanden mehr und...“
„Dann hast also auch du gemerkt, dass mit ihr etwas nicht stimmt?“
„Ich müsste blind sein, wenn ich das nicht gesehen hätte. Und du dachtest wohl, dass ein Liebhaber dahintersteckt, wie?“
Nicks Blicke suchten in der Finsternis den Schatten des Nachbarn.
„Ja“, gab er ein wenig kleinlaut zu. „Ich schäme mich fast, aber ich wollte endlich Gewissheit haben.“
„Das kann ich verstehen, alter Junge.“
„Cy, Mensch, ich kann dir gar nicht sagen, wie peinlich mir das alles ist. Kannst du mir etwas versprechen?“
„Du weißt, dass du auf mich zählen kannst.“
„Vergiss, dass du mich gesehen hast, hörst du? Es könnte schließlich sein, dass sich mein Verdacht nicht bestätigt. Es wäre unerträglich für mich, wenn man allerorts von meiner nächtlichen Exkursion erzählen würde.“
„Kann ich verstehen, Nick. Kein Sterbenswörtchen wird über meine Lippen kommen. Das verspreche ich dir.“
„Hör mal, hast du vielleicht gesehen, dass meine Frau während meiner Abwesenheit manchmal...?“ Nick sprach den Satz nicht zu Ende.
„Nein, Nick, tut mir leid. Meine Frau und ich wunderten uns auch über ihr Benehmen. Besuch hat sie aber meines Wissens nach nicht ein einziges Mal während deiner Abwesenheit empfangen.“
Nick atmete erleichtert auf.
„Na ja, vielleicht stellt sich jetzt nur heraus, wie dumm ich gewesen bin.“
„Ich hoffe für dich das Beste“, sagte der Nachbar und zog sich zurück.
Nick lauschte noch eine Weile auf das Rascheln auf der anderen Seite des Weidenzaunes. Er war sicher, dass Cy Slugger in den nächsten Minuten noch auf der Lauer liegen würde. Dazu kannte er den Mann schon zu gut. Slugger würde sich das Folgende nicht entgehen lassen, obwohl er gottlob nicht zu den Menschen gehörte, die hernach alles Gesehene ausposaunten.
Nick verschwendete keinen Gedanken mehr an den Nachbarn und richtete seinen Blick wieder nach vorn.
Dorothy war abermals in die Küche gekommen. Sie lief hin und her.
Nick verließ sein Versteck und ging auf leisen Sohlen zum Fenster hinüber. Da war Rumoren in der Küche. Das Fenster war in einer Höhe von etwa zweieinhalb Yards. Nicks Hände krallten sich um die Kante der Fensterbank. Ein Klimmzug, und sein Gesicht schob sich über den Rand.
Gleichzeitig damit schlug in der Ferne die Kirchturmuhr. Es war genau Mitternacht.
Bevor Nick Dowling etwas sehen konnte, erlosch das Licht in der Küche. Er hörte ein leises Kichern, dann einen unterdrückten Schrei. Die Fensterbank schien auf einmal elektrisch geladen zu sein. Nick musste sie loslassen.
Verstört blickte er hinauf. Da war wieder das Poltern auf dem Speicher, lauter als beim ersten Mal. Dorothy lachte gurrend. Stühle wurden gerückt.
Nick tastete sich an der Hausfassade entlang zum Durchgang zwischen Gebäude und Garage.