HORROR 019 Buchausgabe: Im Banne des Teufelsmoors - W. A. Hary - E-Book

HORROR 019 Buchausgabe: Im Banne des Teufelsmoors E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

HORROR 019 Buchausgabe: Im Banne des Teufelsmoors W. A. Hary: »Es war im Sommer 1975!« John Reicher schaute auf seine Armbanduhr. Sein Herz pochte wie der sprichwörtliche Dampfhammer. Jeden Augenblick musste die Pause zu Ende sein. Was würde geschehen, wenn er...? Er versuchte, nicht an das zu denken, was er vorhatte, und trat ans Fenster. Der Schulsaal lag im Erdgeschoss. John Reicher öffnete einen der Fensterflügel. Das vorher gedämpfte Lachen und Schreien der Kinder drang ungehindert zu ihm herein. Er lächelte. Es war ein irgendwie glückliches, wenn auch ein wenig entsagungsvolles Lächeln. Als müsste er von alledem Abschied nehmen…

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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HORROR 019:

Im Banne des Teufelsmoors

W. A. Hary

Impressum:

Alleinige Urheberrechte: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3310

Diese Fassung:

© 2016 by HARY-PRODUCTION

Canadastr. 30

D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: [email protected]

 Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

Basierend auf dem gleichnamigen Geister-Krimi aus dem Jahr 1975-1

 Coverhintergrund: Anistasius

1

John Reicher schaute auf seine Armbanduhr. Sein Herz pochte wie der sprichwörtliche Dampfhammer. Jeden Augenblick musste die Pause zu Ende sein. Was würde geschehen, wenn er...?

Er versuchte, nicht an das zu denken, was er vorhatte, und trat ans Fenster. Der Schulsaal lag im Erdgeschoss. John Reicher öffnete einen der Fensterflügel. Das vorher gedämpfte Lachen und Schreien der Kinder drang ungehindert zu ihm herein. Er lächelte. Es war ein irgendwie glückliches, wenn auch ein wenig entsagungsvolles Lächeln. Als müsste er von alledem Abschied nehmen.

„Unsinn!“, knurrte er ärgerlich und schloss den Fensterflügel wieder. Der Spiegel über dem Spülbecken in der Ecke zeigte das Gesicht eines Endvierzigers. Es war hager und sonnengebräunt. Kein Wunder, denn heute war der erste Tag nach den großen Ferien. Er hatte seinen Urlaub in vollen Zügen genossen - wenigstens zu Beginn. Als er dann allerdings jene Entdeckung gemacht hatte...

„Ich hätte nicht so neugierig sein sollen“, murmelte er kopfschüttelnd. Aber jetzt war es zu spät. Er würde die Herausforderung annehmen. Warum er gerade zu den Kindern sprechen würde, wusste er selbst nicht genau zu sagen. Vielleicht deshalb, weil sie ihm so viel bedeuteten? Vielleicht aber auch, weil er hier keine persönlichen Freunde hatte. Oder auch nur, weil er - Angst hatte, Angst vor dem, was folgen würde, wenn er es aussprach. Oh, es gab viele Möglichkeiten der Reaktion. Die Leute hier in Schottland waren sehr abergläubisch, wenn auch im Laufe der Jahrzehnte viele Fremde hergekommen waren, um die alten Überlieferungen in Frage zu stellen. Ein bedeutender Rest des alten Irrglaubens war tief in den einfachen Menschen verwurzelt. Ja, das war bestimmt das Motiv für seinen Entschluss: Von den Kindern drohte ihm bestimmt keine Gefahr.

Das Schrillen der Schulglocke riss John Reicher aus seinen Gedanken. Die Kinder stellten sich nach Klassen getrennt auf und wurden, wie gewöhnlich, von der Aufsicht zur Ruhe und Disziplin ermahnt.

Die hereinstürmenden Achtjährigen stellten sich lärmend neben ihre Plätze hinter den Zweierbänkchen.

„Setzen“, befahl der Lehrer. Er begann, unruhig auf und ab gehen. Das Flüstern verstummte. Die Knirpse spürten, dass irgendetwas in der Luft lag. Neugierig blickten sie einander an. Einige begannen, in ihrem Gewissen zu forschen.

John Reicher blieb abrupt stehen.

„Wie lange bin ich bei euch?“, fragte er unvermittelt

„Zwei Jahre“, gab der stets etwas vorlaute Klassensprecher Auskunft. Reicher achtete nicht auf ihn. Er schaute über seine Schüler hinweg zur hinteren Wand, die vollplakatiert mit Kinderzeichnungen war. Eine schien seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er löste seinen Blick nicht mehr davon.

„Zwei Jahre“, murmelte er vor sich hin. „Das dritte Jahr beginnt heute.“ Er schüttelte den Kopf und strich sich wie verwirrt über die Stirn. Dann hob er seine Stimme: „In der letzten Stunde des heutigen Unterrichts will ich euch etwas beweisen.“

Reicher ging zu seinem Schreibtisch und zog eine zerknitterte, zu einem schmalen Zylinder gerollte Landkarte hervor. Sorgfältig breitete er die Karte auseinander und hängte sie vor die Tafel. Dreißig Augenpaare beobachteten ihn aufmerksam bei seiner Tätigkeit. Nur das Rascheln des Papiers und der aus irgendeinem Grund beschleunigte Atem des Lehrers störte die Stille.

John Reicher holte tief Luft und wandte sich seinen Schülern wieder zu.

„Wie ihr wisst, stamme ich aus London. Die seltsamen Geschichten, die sich eure Eltern hier erzählen, haben mich anfangs amüsiert.

Wie alle anderen, die hier fremd sind, habe ich manchmal sogar meine Witze darüber gemacht. In den zwei Jahren, in denen ich euch nun schon unterrichte, hat sich das geändert. Ich bin nachdenklich geworden. Vor etwa zehn Tagen endlich fasste ich den Entschluss, mit dem ganzen Aberglauben endgültig aufzuräumen. Ich wende mich dabei zuerst an euch, denn ihr seid die Basis.“

Er machte eine kleine Kunstpause. Keiner der Jungen reagierte auf seine Worte. Einige waren jedoch recht blass geworden: Er hatte ein Tabu berührt!

John Reicher ballte die Fäuste. Er schob die letzten Bedenken beiseite. Nein, diese Kinder, von der Atmosphäre des Irrglaubens bereits vergiftet, sollten eine Chance haben. Er würde ihnen beweisen, dass ihre Eltern unrecht hatten.

Mit den Knöcheln klopfte er gegen einen Punkt der Karte. Ein paar der Achtjährigen fuhren erschrocken zusammen.

„Das hier erkannte ich als das Kernstück aller Ängste der hiesigen Bevölkerung. Ich schaute es mir persönlich an.“ Er klopfte sich an die Brust. „Wie Ihr seht, bin ich noch am Leben. Ich stehe hier und berichte euch...“

Einer der Schüler sprang mit einem gurgelnden Laut auf. Das schmale Gesicht war weiß wie eine Wand, die rotgeränderten Augen flackerten.

John Reicher nickte verständnisvoll und deutete auf die Tür. Der Junge rannte hinaus.

Reicher tat, als hätte es den Zwischenfall gar nicht gegeben.

„Wie Ihr alle seht, ist die Karte vollständig, außer diesem einen Gebiet.“ Er umkreiste es mit dem Zeigefinger. „Ist es nicht sehr verwunderlich, dass es mitten in Schottland, mitten in der Zivilisation, mitten in Europa ein Fleckchen Erde gibt, das gänzlich unerforscht ist?“

Wieder ballte er die Fäuste.

„Ich muss mich verbessern: Nein, es ist nicht unerforscht. Im Gegenteil. Crowlsbury, der Ort, der hart an seinem Rand liegt, der Ort, in dem wir alle wohnen, hat schon alte Karten gesehen, auf denen es keinen weißen Fleck gegeben hat. Diese Karten wurden verbrannt. Warum? Ich frage euch, warum?“

Die Kinder blickten ihn starr an.

„Ich will es euch sagen: Weil man Angst hat!“

Er unterdrückte gewaltsam seine Erregung.

„Es heißt, dass man jenen Ort nicht mehr lebendig verlässt. - Ich aber kam heil zu euch zurück. Es heißt, wenn man überlebt, darf man mit keinem Wort erwähnen, was man gesehen hat. Der sofortige Tod würde einen sonst ereilen. Das gilt auch für den, der den Namen dieses Gebietes nennt. - Ich werde es trotzdem tun!“

„Nein!“ Sechs der Jungen schrien es wie auf ein Kommando. Sie waren von ihren Plätzen aufgesprungen. In ihren Augen war mehr als nur Furcht und Entsetzen zu lesen. In ihnen stand das nackte Grauen.

„Wer es nicht hören will, für den ist die Stunde zu Ende!“, sagte er.

Acht Jungen gingen. Der Rest betrachtete ihn schweigend. In Reicher nagten die Zweifel. Er war sich der Richtigkeit seines Tuns so sicher gewesen, doch jetzt? Sollte er es nicht doch lieber lassen?

Nein, es gab kein Zurück mehr für ihn! Er durfte nicht kneifen. Das würde das Gift des Irrglaubens nur noch gefährlicher machen.

„Ich will es euch sagen“, flüsterte er tonlos. Seine Faust drückte gegen die Karte. „Dieses Gebiet ist das... TEUFELSMOOR!“

Nun war es endlich ausgesprochen. John Reicher fühlte sich unsagbar erleichtert.

Die einundzwanzig Schüler, die geblieben waren, erhoben sich wie ein Mann. Ihre Augen waren seltsam starr. Langsam hoben sie ihre Hände. Es war gespenstisch anzusehen. Sie bewegten sich absolut synchron zueinander.

John Reicher runzelte die Stirn. War der Schock für sie nun doch zu groß gewesen?

Wieder kamen ihm Bedenken. Aber jetzt war es wohl zu spät dazu.

Die Kinder machten einen Schritt vor, dann noch einen und einen dritten. Im perfekten Gleichschritt marschierten sie auf John Reicher zu.

Die Absätze der Jungen knallten auf die derben Dielen.

Tapp... tapp... tapp...

Die erste Reihe hatte Reicher erreicht. Die kleinen Hände waren bleich und kalt. Sie packten nach ihm, rissen an seinen Kleidern.

Ein leiser, vielstimmiger Laut brach über schmale, blutleere Lippen, schwoll langsam an. Die kleinen Gesichter waren wie Masken. Die Augen wie glühende Kohlen.

John Reicher riss sich mit einem Angstschrei los. Seine Jacke zerfetzte.

Der seltsame Ton aus ihren Kehlen wurde lauter und lauter. Es schien, als brauchte keines der Kinder mehr zu atmen, denn der Laut kam unaufhörlich und wurde keinen Moment lang auch nur durch einen einzigen Atemzug unterbrochen.

Reicher rannte auf die Tür zu.

Sie verstellten ihm den Weg, rückten unaufhaltsam näher.

„Mein Gott, ich kann sie doch nicht einfach überrennen“, murmelte er. Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er begriff nicht, was hier geschah.

Der Ton, der aus einundzwanzig Mündern kam, wurde zu einem ohrenbetäubenden Singsang, der schaurig von den Wänden widerhallte.

„Es muss doch draußen zu hören sein!“, ächzte John Reicher. „Hilfe“, stöhnte er und zog sich in die Ecke zurück. „Hilfe!“

Sein Schrei konnte die vom Teufel besessenen Kinder nicht übertönen. Die Front war heran. Dutzende von Händen griffen gleichzeitig nach dem schreienden Lehrer. Er vergaß seine Skrupel gegenüber den Achtjährigen. Er wehrte sich. Er wollte überleben.

Aber es war zu spät. Er hatte keine Chance mehr.

Kleine, spitze Fingernägel bohrten sich in sein Fleisch. Er spürte rasende Schmerzen durch seinen Körper wogen... Dann brachen seine heiseren Hilferufe ab.

*

Die einundzwanzig Kinder starrten regungslos auf den verstümmelten Leichnam John Reichers. Mit einem Ruck wandten sie sich ab und kehrten mit marionettenhaften Bewegungen zu ihren Plätzen zurück. Dort blieben sie ruhig sitzen, bis die Schulglocke die Stille durchbrach.

Sie packten ihre Schreibhefte und Schreibstifte in ihre Ranzen und gingen zur Tür. Keiner der Jungen schaute dabei auch nur ein einziges Mal nach dem toten Lehrer.

Im Flur blieben sie einen Augenblick lang verwirrt stehen.

Klassenzimmer öffneten sich. Kinder strömten heraus.

Es schien, als erwachten Reichers Schüler aus einem Traum. Sie schauten sich an, lachten plötzlich. Dann schlossen sie sich den anderen an und gingen fröhlich nach Hause - als hätte es diesen furchtbaren Vorfall niemals gegeben.

Nur Direktor Hardy, der zufällig zum Fenster hinaussah, erkannte das Blut an ihren Kleidern und Händen.

Er erschrak.

Als die Kinder seinen Blicken entschwunden waren, wandte er sich vom Fenster ab. War das wirklich Blut gewesen, was er gesehen hatte? Das fragte er sich zweifelnd.

Er schalt sich einen Narren.

„Eine absurde Idee!“, sagte er amüsiert zu sich selbst und schüttelte den Kopf.

In diesem Augenblick schaute einer der Lehrer herein.

„Was ist los?“, fragte er verwundert, als er die Verwirrtheit seines Direktors sah.

„Ich habe gerade... Ach was, nichts ist.“ Bruce Hardy winkte ärgerlich ab.

Lehrer Robert Cabot bedachte ihn mit einem seltsamen Blick. „Ich wollte nach John Reicher fragen. Hast du ihn nicht gesehen?“ Cabot und Reicher wohnten in demselben Haus auf der anderen Seite des kleinen Ortes und gingen meistens zusammen heim.

„Tut mir leid, Robert, aber ich habe ihn nirgendwo...“ Der Schuldirektor hielt unwillkürlich inne.

Cabot wandte sich wieder zum Gehen.

„Moment noch, Robert!“, rief ihn Hardy zurück.

„Was ist?“

Der Schuldirektor kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Robert Cabot war gemeinsam mit ihm auf dem Seminar gewesen. Sie hatten nach außen hin ein gutes Verhältnis zueinander, aber der Schein trügte. Cabot neidete ihm seinen Direktorposten. Sollte ihm Hardy wirklich etwas von seiner eigenartigen Beobachtung erzählen?

Bevor er es sich reiflich genug überlegt hatte, rutschte es ihm auch schon heraus: „Seine Schüler waren blutverschmiert!“

Nachdem er es ausgesprochen hatte, hätte sich Bruce Hardy am liebsten selbst eine auf den Mund gehauen.

„Wie war das?“, war Cabot endlich fähig, ungläubig zu fragen. Seine Augen waren vor Schreck geweitet. Es war nicht sicher, was ihn mehr irritierte: Den Inhalt dieser Mitteilung seines Direktors oder die Tatsache, dass dieser so etwas überhaupt ausgesprochen hatte.

„Ach was!“, fuhr ihn Hardy ungehalten an. „Das war natürlich kein Blut. Wahrscheinlich war es Farbe. Ich habe Reicher schon hundert Mal gesagt, er solle darauf achten, dass sich die Jungen nach der Zeichenstunde die Hände waschen.“ Es klang wenig überzeugend.

„Besteht eigentlich ein Grund dazu, mich so anzuschreien?“, erkundigte sich Cabot leicht befremdet. Er hatte seine Überraschung überwunden. „Wo befindet sich John nun?“

Direktor Hardy war völlig durcheinander. Er wusste nicht, wie er sich aus der - wie er meinte - peinlichen Situation retten konnte. Er schob seinen ehemaligen Studienfreund beiseite und steuerte auf Reichers Klassenzimmer zu. Es war der einzige Raum, dessen Tür geschlossen war.

Hardy klopfte an. Keine Antwort.

„Sag mal, was soll das Ganze eigentlich?“, fragte Robert Cabot kopfschüttelnd. Er war seinem Direktor unwillkürlich gefolgt. „Erst erzählst du mir, Johns Schüler wären blutverschmiert gewesen“, er lauschte den Worten nach und schüttelte abermals den Kopf, „dann faselst du etwas von Zeichenstunde und Hände waschen, um anschließend...“ Er kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn er hatte auf den Boden gesehen. Eine dickflüssige, rote Masse sickerte unter der Tür hindurch, hinter der Reichers Klassenzimmer lag. Cabot wusste sofort, was das für eine Flüssigkeit war, brachte aber keinen Ton über seine Lippen.

Sie brauchten viel Überwindung, die Tür zu öffnen. Sie taten es schließlich gemeinsam, als benötigte man die Kraft von zwei ausgewachsenen Männern, diese normale, unverschlossene Tür aufzumachen.

Der verstümmelte Leichnam lag in der Ecke, drei Meter vom Eingang entfernt.

Hardy und Cabot hatten beide den Krieg in vorderster Front erlebt. Ein so furchtbarer Anblick war ihnen dennoch bis heute erspart geblieben.

*

Schritte ließen sie herumfahren. Ein Fremder erschien in der Türöffnung.

„Man sagte mir, dass ich hier Mr. John Reicher finde“, sagte er mit einem jungenhaften Lachen.

Bruce Hardy wollte ihn hinausdrängen, um ihm den furchtbaren Anblick zu ersparen.

Es war zu spät. Die Augen des Fremden weiteten sich, als er erst das Blut und dann die Leiche erblickte.

„Was - was geht hier vor?“, stammelte er entsetzt.

„Wer sind Sie und was wollten Sie von John Reicher?“, fragte Hardy scharf. Er tat es nicht, weil ihn die Antwort sonderlich interessierte, sondern nur, um irgendetwas zu tun, was das Grauen in ihm verdrängte.

„Ich - ich komme aus London“, antwortete der Fremde wie unter einem Zwang. Er konnte seinen Blick nicht von dem Toten lösen. „Ich kenne John von früher und - und wollte ihn - besuchen.“

Hardy packte ihn am Rockaufschlag und schüttelte ihn.

„Sie waren es!“, schrie er außer sich. „Sie blutrünstiges Ungeheuer!“

Der andere war unfähig, sich zu wehren.

„Mensch, komm zu dir“, rief Cabot und riss den Direktor zurück. „Der Mann hat ebenso wenig mit dem Verbrechen zu tun wie wir!“

Hardy schüttelte verstört den Kopf. „Es - es tut mir leid, dass ich die Nerven verloren habe.“ Er richtete sich plötzlich auf. „Wir müssen die Polizei benachrichtigen!“ Mit hölzernen Schritten ging er hinaus.

Cabot starrte ihm nach.

„Ich wollte nur John Reicher besuchen“, stammelte der Fremde.

Cabot deutete auf die Leiche.

„Das war er“, sagte er tonlos. Dann sah er sich um. „Was ist hier vorgefallen?“ Das Klassenzimmer wirkte ansonsten ganz normal - wie sonst üblich. Nichts deutete darauf hin, wie es zu dem scheußlichen Verbrechen gekommen war, oder wer als Täter hätte gelten können. Da erkannte er die Karte. Jemand hatte sie heruntergerissen. Sie lag am Boden. Cabot ging hin und beugte sich darüber.

Der weiße Fleck auf der Karte war rot verschmiert. Es schien fast so, als blute das Papier an dieser Stelle.

Robert Cabot dämmerte etwas. Er erinnerte sich, dass Reicher vor zehn Tagen plötzlich verschwunden war. Als er wieder auftauchte, hatte er sich irgendwie verändert. Jedenfalls war es Cabot so vorgekommen. Er hatte Reicher sogar darauf angesprochen. Die Antwort war dieser ihm jedoch schuldig geblieben.

„Sie kannten ihn?“, wandte sich Robert Cabot an den Fremden.

„Ich kann es immer noch nicht fassen.“ Der Mann brauchte es nicht extra zu betonen. Man sah es ihm an. „Ich wollte in Schottland meinen Urlaub verbringen und befinde mich hier auf der Durchreise.“

„Wer sind Sie eigentlich?“

„Ich heiße Cliff Rambo!“

„Eigenartiger Name!“

„So, finden Sie?“, gab Cliff Rambo eingeschnappt zurück. Damals wusste er noch nichts von einem gleichnamigen Film von und mit dem Action-Experten Stallone. „Und wie heißen Sie?“

„Robert Cabot!“

„Auch nicht gerade besser!“, behauptete Cliff Rambo und konnte nicht den Blick von den grausamen Verstümmelungen an der Leiche lösen. Er fühlte sich wie in einem Alptraum. Was für eine absolut abartige Situation... Hier stand er tatenlos herum und unterhielt sich mit jemandem über eigenartig klingende Namen. - Angesichts dessen, was da vor ihren Füßen lag...

Während der Unterhaltung hatte sich Cabot dem Schreibtisch von John Reicher gewidmet. Er hoffte, unter den Unterlagen seines Kollegen einen Hinweis zu finden.

Vergeblich.

„Ein eigenartiger Zufall außerdem“, sagte er und öffnete das Seitenteil.

„Was denn?“

„Dass Sie ausgerechnet jetzt hier auftauchen...“

„Eigenartig? Ich würde eher grauenvoll sagen.“ Cliff Rambo schluckte schwer. „Sie sind auch kein Schotte?“

Robert Cabot konnte nicht antworten. Er hatte etwas entdeckt, was ihm die Sprache verschlug: ein laufendes Tonbandgerät! Er schaltete es aus.

Rambo hörte das knackende Geräusch und kam neugierig näher.

Cabot stellte das Gerät auf den Schreibtisch und ließ es zurücklaufen.

„Was - was ist das?“, fragte Rambo völlig begriffsstutzig.

„Ein akustischer Zeuge, wenn ich nicht irre!“, entgegnete Cabot grimmig. Er zögerte kurz und gönnte Rambo einen Seitenblick. Dann drückte er auf Wiedergabe.

„Was Sie jetzt hören, müssen Sie unter allen Umständen für sich behalten!“

„Wie meinen Sie das?“

„Hören Sie selbst!“

Die Stimme Reichers drang aus dem Gerät. Sie erzählte von dem Fluch, dem er letztlich dann selbst zum Opfer fiel: Die beiden lauschenden Männer wurden Zeugen des grausigen Mordes.

„Verdammt!“, entfuhr es Cabot, „ich verstehe nicht, wieso niemand etwas gehört hat.“

„Das möchte ich allerdings auch gern wissen!“, sagte jemand von der Tür her. Es war Sergeant Olson, der Leiter der hiesigen Polizeidienststelle. Zwei Konstabler und Direktor Hardy begleiteten ihn.

Hardy hatte sich noch immer nicht von seinem Schock erholt. Cabot und Rambo erging es nicht anders. Sie hatten sich durch ihr eher belangloses Gespräch nur ablenken wollen. - Und jetzt, nachdem sie das Tonband gehört hatten, erging es ihnen eher noch schlechter als vorher.

James Olson stampfte zornig herein und schaltete den Rekorder ab. Er war gut über sechs Fuß groß und wog mindestens zweihundertvierzig Pfund.

„Wieso schnüffeln Sie hier herum?“, grollte er.

„Sie sollten sich besser um die Leiche kümmern!“, konterte Robert Cabot mit schneidender Stimme.

Der Sergeant warf sie daraufhin alle hinaus.

2

„Ich verstehe überhaupt nichts mehr“, bekannte Rambo draußen, vor der Tür zum Klassenzimmer, verwirrt. „Es sieht ja fast so aus, als hätten die Schüler...“

Cabot nickte verdrießlich.

„Es sieht nicht nur so aus, Mr. Rambo, es ist wohl auch so!“

---ENDE DER LESEPROBE---