Hänschen Klein killt allein! - Axel Schade - E-Book

Hänschen Klein killt allein! E-Book

Axel Schade

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Beschreibung

KHK Ronny Mittler wird Leiter von PETS (Polizeieinsatzteam Spezialfälle). Die neu formierte Einheit untersucht Cold Case Fälle. Die Straftaten wurden teilweise vor Jahrzehnten verübt. Cold Case Ermittlungen sind neue polizeiliche Untersuchungen dieser Verbrechen. Es handelt sich um Schwerkriminalität, wie Tötungsdelikte, Banküberfälle, Vergewaltigungen oder Langzeitvermisstenfälle. Bei den Recherchen werden sämtliche Mittel der forensischen Beweisführung genutzt. Die ersten Fälle für die Spezialisten sind die Morde an einem Zwillingspaar. Flugbegleiterin Gitta verliert 1989 in München bei einem Brandanschlag ihr Leben. Frachtpilot Georg stirbt 1999 in Frankfurt durch eine Autobombe. Gibt es einen Zusammenhang, obwohl die Attentate 10 Jahre auseinander liegen? Welche Wahrheit verbirgt sich hinter den Bluttaten? Ein Foto von 1976 und ein halb verbranntes Handtuch liefern Indizien. Sie führen die Ermittler auf die Spur eines Doppelmords in Düsseldorf, wo ein Ehepaar 2004 bei einer Gasexplosion umkommt. Sie waren mit Gitta und Georg befreundet. Ein weiterer Mord im Bekanntenkreis der Zwillinge führt das PETS Team in ein Gewölbe unter einem Bahndamm in der Stadt Siegen. Am Ende der Aufklärung stehen 9 Tote und ein Serienmörder.

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Seitenzahl: 230

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Pressekonferenz.
Nun ist’s kein Hänschen mehr!
Der Froschmann!
Verwirrte Mitmenschen!
Willkommen bei PETS!
Cold Case.
Setzen wir das Puzzle zusammen.
Momentaufnahme der Vergangenheit.
Schatzräuber!
Schatz!
Fallbesprechung.
Analyse.
Fahndung.
Flugangst.
In Siegen.
Kuschelherbert.
Der Schrein.
Ein Notebook voller Überraschungen.
Spieglein, Spieglein an der Wand.
Verhör.
Pause.
Fortsetzung des Verhörs.
Da kommt noch was!
Was zu berichten bleibt.
Liebe LeserInnen.

Impressum neobooks

Hänschen Klein killt allein!

Pressekonferenz.

Die Blicke der Pressevertreter richten sich auf den Herrn, der hinter das Rednerpult tritt. Er ist von kleiner Gestalt und modischem Äußeren. Seine Kleidung ist bunt. Rote Hose, gelbes Hemd und grasgrüne Sneaker, verleihen dem Mittvierziger jugendliches Aussehen. Eine Besonderheit an ihm sticht sofort ins Auge, ein bis zu den Hüften reichender Zopf! Durch dezentes Räuspern versichert er sich, dass die Lautsprecheranlage eingeschaltet ist. Anscheinend ist er im Umgang damit geübt. Anfänger fallen zum Leidwesen des Auditoriums durch Klopfen auf das Mikrofon auf.

„Guten Morgen. Willkommen zur ersten Presseerklärung des Polizeieinsatzteams Spezialfälle, kurz PETS. Mein Name ist Heiner Hütte. Ich arbeite als Psychologe im Team und begrüße Sie heute in der Funktion des Pressesprechers der Abteilung. Einleitend erklärende Worte zur neu formierten Sonderabteilung. Wir untersuchen sogenannte Cold Case Fälle. Dabei handelt es sich um jahrzehntelang ungeklärte Kriminalfälle. Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland Tausende! Die Strafverfolgungsbehörden schlossen die Fallakten, was für Hinterbliebene schmerzhaft ist. Ungewissheit lässt zahlreiche Menschen verzweifeln, da keine Ermittlungen mehr ablaufen. Die Erfahrung lehrt, für diesen Personenkreis ist Aufklärung hilfreich, explizit die Gesundheit betreffend. PETS arbeitet daran, solche Todesfälle aufzuklären. Hierfür arbeiten Fachleute diverser Wissensgebiete unter einem Dach zusammen. Wir schauen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf Todesdelikte und nutzen hierbei neue Beweis- und Ermittlungstechniken. Um dem Täter nahezukommen, versetzen wir uns in ihn hinein. Wir erkunden, wie er denkt, wollen ihn verstehen, ihn lesen, um daraus Schlüsse zu ziehen. Diese Ermittlungen führen spezialisierte Fachleute, die gleichzeitig begabte Talente anleiten. Betrachten Sie PETS wie eine Spezialeinheit der Polizei mit Schulungscharakter. Ich zitiere den Leiter, Kriminalhauptkommissar Ronny Mittler. Er prägte folgenden Lehrsatz: Wir dürfen nicht bloß nach links, rechts und auf das offensichtlich vor uns Liegende sehen. Wir schauen überdies hoch, runter, aber vor allem hinter die Kulissen! Das sind wir den Opfern schuldig!“

Heiner Hütte sieht sich um. Die Versammlung hängt an seinen Lippen. „Ich setze Sie jetzt über Ergebnisse unserer aktuellen Investigation in Kenntnis. Wir Sonderermittler wurden mit zwei Mordanschlägen konfrontiert, die 10 Jahre auseinanderliegen. Der Erste geschah 1989 in München, der zweite 1999 in Frankfurt. Bei den Ermordeten handelt es sich um die Zwillinge Gitta und Georg Gross, gebürtig aus der Stadt Siegen. Mit der Aufarbeitung der Anschläge auf das Geschwisterpaar begann die Ermittlungsarbeit. Bei den Untersuchungen ermittelten wir weitere Todesfälle, die dem Tatverdächtigen Hans Klein zuzuordnen sind. Die Fragestellung, die sich im Verlauf der Recherchen stellte, lautete: Aus welchem Grund wurde er zum Mörder? Am Ende zählen wir acht Menschen, die er ab dem Jahr 1981 tötete. Dazu gehören drei Personen, deren Ableben zuvor als Suizid, Unfall und natürlicher Tod eingestuft waren. Unter diesen Ermordeten ist die Mutter des Täters, die er 2006 mit einem Kissen erstickte.“

Nun ist’s kein Hänschen mehr!

Sonntag. 23. Juli 2006. 23 Uhr. Hans hebt das Kissen, um nachzusehen, wie es Mama geht. Aufgerissene Augen starren ihn an. Sie spiegeln blankes Entsetzen. Der Mund steht offen. Ihr letzter Schrei verhallte ungehört. Panik begleitete die Alte in den Tod. Ihr Gesichtsausdruck ist angstverzerrt. „Das kann ich nicht so lassen!“, ist er überzeugt und drückt ihr den Unterkiefer zu. Er schließt die Augenlider, formt Mamas Lippen. Schlaff hängt faltige Haut von den Wangenknochen. Hans modelliert die Gesichtszüge der Verstorbenen, bis sie wie eine Schlafende aussieht.

Er betrachtet sein Werk. Kontrolliert. Begutachtet ihr Antlitz von allen Seiten. Das Ergebnis lässt ihn zufrieden lächeln. Die alte Gewitterziege schaut aus, wie wenn Gevatter Tod sie im Schlaf holte. „So ist es recht!“

Erneut Musterung. „Die Körperhaltung stimmt nicht. Da muss ich nachbessern.“ Er bettet sie. Richtet ihre Beine. Platziert ihren linken Arm neben den Körper. Den anderen legt er auf den Bauch. Im Todeskampf strampelte Mama das Deckbett weg. Er hebt es vom Boden auf, deckt sie zu. Glatt liegt es über ihr. Kontrolle. „Sieht falsch aus!“ Er produziert Falten hinein, lässt einen Fuß unbedeckt. Nachprüfung. Hans findet keinen Mangel in der Inszenierung. Mutter ist im Schlaf gestorben. Danach schaut es aus!

Er greift das Kissen, trägt es in sein Zimmer, wirft es aufs Bett. Froh gestimmt pfeift er „Hänschen klein“, seine liebste Melodie, streckt sich, dehnt den Oberkörper, gähnt herzhaft, legt sich hin, zieht die Bettdecke bis zum Kinn, schließt die Augen, schläft zufrieden ein.

In der Frühe richtet er sich im Badezimmer für den Tag her. Tiefes Wohlbehagen erfüllt ihn. Sein Herz pocht vom Glücksgefühl im Viervierteltakt. Er ist frei!

„Doch nun ist’s kein Hänschen mehr“, jubelt er dem Spiegelbild ins Antlitz, „Nein! Ein großer Hans ist er!“

Frohgestimmt singt er das Volkslied auf dem Weg in die Küche. Summend setzt er Wasser für Frühstückseier auf. Kocht Kaffee. Deckt für zwei! Ein Frühstücksbrettchen für Mama. Eins für mich. Messer. Brot. Eierbecher. Löffel. Tassen. Zucker. Milch.

Kontrolle! Ein Blick über den Tisch. Es muss aussehen, als sei alles in bester Ordnung. Nichts darf Misstrauen erwecken, wenn sie kommen, der Doktor, die Herren vom Bestattungsinstitut. Sie sollen den Eindruck gewinnen, ein guter Sohn richtete für sich und seine betagte Mutter den Frühstückstisch.

Kontrolle ist wichtig! Hänschen kontrolliert immer! Doppelt! Dreifach! Bis es perfekt ist! Nichts fehlt, außer Mama. „Alles gut!“

Er greift zum Telefon. Wählt die Nummer vom Hausarzt. „Holken“, meldet der sich schlaftrunken. „Guten Morgen, Herr Doktor. Hier spricht Hans Klein. Entschuldigen Sie die frühe Störung. Können Sie bitte kommen? Ich befürchte, Mama ist tot.“

Der Froschmann!

18. Juli 1981. Lässt es die Witterung zu, mäht Ralf Schindler samstags die Wiese seines Waldgrundstücks. Am heutigen Sommertag scheint die Sonne, wie er sich um 9 Uhr auf den Weg dorthin begibt. Dreißig Minuten später lenkt er den Mercedes 280 SE von der Landstraße in den Waldweg. Auf ihm rumpelt er bis zur Grundstückseinfahrt. Schindler steigt aus. Öffnet das Vorhängeschloss. Hängt die Eisenkette aus. Schiebt das Rolltor zur Seite. Parkt das Auto auf dem geschotterten Stellplatz neben der Hütte. Vor dem Gebäude hält er inne, schließt die Augen. Atmet durch die Nase ein. Frische Luft füllt seine Lungenflügel. Sein breiter Brustkorb hebt und senkt sich. Ralf Schindler lauscht den Klängen des Waldes. Vogelgesang. Das Klopfen eines Spechts. Sanftes Rauschen des Windes. Blätter rascheln in den Baumwipfeln. Das Waldorchester spielt eine zu Herzen gehende Melodie. An diesem friedvollen Ort ist er kein gestresster Unternehmer, sondern ausschließlich Mensch.

Er betritt die Veranda. Kramt den Schlüsselbund aus der Hosentasche. Schließt das Schloss der schweren Holztür auf. Großvater zimmerte sie mit eigenen Händen. Ebenso den Großteil des Blockhauses. Die Familie nennt das Gebäude Hütte, dabei handelt es sich um ein zweistöckiges Haus. Opa war Waldbesitzer mit Unternehmergeist, er gründete ein Sägewerk. Im Laufe der Zeit vergrößerte sich der Betrieb um Zimmerei mit Brennholzhandel. Obwohl Ralf Schindler im September erst das 21-zigste Lebensjahr erreicht, leitet er das Unternehmen. Das Geschäft übernahm er vor elf Monaten nach dem überraschenden Tod seines Vaters. Es läuft schlecht. Er ist verschuldet. Hohe Verbindlichkeiten belasten ihn, was ihm Sorgen bereitet. Heute will er nicht daran denken, sondern Rasen mähen. Es soll ordentlich aussehen. Ab 15 Uhr erwartet er Partygäste zum Grillen. Die Clique trifft sich zum Feiern. Ihm ist danach, das Tanzbein zu schwingen. Er will trinken, Spaß haben, nackt im Teich schwimmen. Hoffentlich nicht ohne Begleitung. Mal sehen, wie es sich entwickelt. Wie der Alkohol auf die Mädels wirkt. Wozu sie bereit sind. Voller Vorfreude reibt er die schwieligen Handflächen aneinander, zieht Arbeitskleidung an, holt den Rasenmäher aus dem Geräteschuppen, kontrolliert den Benzinstand, füllt nach, startet den Motor. Drei Stunden später stirbt Ralf Schindler einen qualvollen Tod.

Am Abend zuvor verlässt Hans Klein gegen 20 Uhr sein Zimmer. Er steigt die Treppe zum Untergeschoss hinab, öffnet die Wohnzimmertür, streckt den Kopf hinein, sagt: „Ich gehe aus, Mama.“„Wo willst Du hin?“, keift sie. „Weg.“ „Du bist ja nur noch auf Achse! An mich denkst Du kein bisschen!“ „Doch Mama.“ „Ich kann hier versauern, während der feine Herr es sich gut gehen lässt. Deine Mutter kann sehen, wo sie bleibt. Hauptsache, Dir geht es gut!“ „So ist es doch überhaupt nicht!“ „Das sind ja ganz neue Töne. Rennst Du wieder dem Weibsbild hinterher? Die Hexe macht Dich völlig verrückt! Seit Du der nachläufst, machst Du nichts mehr im Haushalt. Alles hängt an mir!“ „Mama, ich bin die ganze Woche arbeiten. Da werde ich am Wochenende wohl etwas unternehmen dürfen?“ „Am Freitagabend? Ach so ist das heutzutage? Das hat es bei uns früher nicht gegeben! Wohin willst Du denn, bitteschön? Darf man das mal erfahren?“ „Ich mache einen Ausflug.“ „Ha! Da lach ich aber! Wer es glaubt, wird selig! Das Hexenweib steckt dahinter! Da wette ich drauf!“ „Sie hat einen Namen.“ „Ja. Miststück, heißt sie!“ „Ich gehe jetzt.“ „Und was ist mit dem Garten? Wer mäht den Rasen?“ „Es ist 20 Uhr. Da mähe ich doch nicht mehr!“ „Denk nicht, ich erledige Deine Aufgaben. Du wohnst schließlich unter meinem Dach, das merke Dir.“ „Ich mähe morgen. Wenn ich zurück bin!“ „Die Fenster musst Du auch putzen!“

Er zieht die Haustür hinter sich ins Schloss, geht zu seinem kleinen Wohnmobil, steigt ein, startet den Motor, fährt los. Sein Ziel ist ein Waldparkplatz. Manchmal suchen ihn ortskundige Liebespaare zu einem Schäferstündchen auf. Heute nicht. Menschenleer präsentiert er sich. Hans lenkt den Mitsubishi L 300 rückwärts in eine Parklücke. Hier steht er oft. Schmiedet Pläne. Erkundet die Gegend.

Das Wohnmobil kaufte er im April 1980, um mit Schatz Ausflugsfahrten zu unternehmen. Zuvor fuhr er einen VW Golf, ein solides Wägelchen, um darin zu übernachten, taugte er jedoch nicht.

Begleitete Silvia ihn zu Tauchseminaren, schliefen sie in einem kleinen Zelt, was meistens unangenehm war! Kochen war ein Albtraum, die sanitären Verhältnisse miserabel. Hinzu gesellten sich Widrigkeiten wie Regen, Kälte, Hitze, Mücken, Rückenschmerzen. Kurz gesagt, war diese Form des Kampieren kein Vergnügen, sondern notwendiges Übel. Daraus entstand die Idee, das Wohnmobil zu kaufen. Manche aus der Clique lachten! Welcher 22-Jährige fährt ein solches Unikum? Schatz hielt zu ihm! Sie erkannte die Vorteile des Gefährts und während eines zweiwöchigen Urlaubs an der Nordsee gab sie dem L 300 einen Namen. Mit roter Farbe lackierte sie ihn quer über den Alkoven. Kuschelherbert.

Morgengrauen. Hans zieht den Taucheranzug an. Schultert die Sauerstoffflasche. Heute verbindet er sein Hobby mit dem Nützlichen. Leichtfüßig bewegt er sich durch den Wald. Dem ausgekundschafteten Weg folgend, gelangt er zum Maschendrahtzaun, in den er vor vier Wochen einen Durchschlupf schnitt. Die Manipulation blieb unentdeckt. Er biegt den Draht nach oben. Schlüpft durch die Öffnung. Läuft zur hinteren Schmalseite des Weihers. Verbirgt sich im Gebüsch. Von hier blickt er zum gegenüberliegenden Sprungbrett und über den Großteil des Anwesens. Vor dem Versteck schwimmen Seerosen auf dem Wasser. Diese Verbündeten verbergen ihn, gleitet er später hinein. Hans ist überzeugt, Vorbereitung bis ins Kleinste und ständige Kontrolle des eigenen Handelns sind von elementarer Bedeutung! Wieder und wieder kontrollieren! Das ist die Grundvoraussetzung für problemloses Gelingen. Es gibt Sicherheit. Das ist seine Philosophie!

Nass geschwitzt steht Ralf Schindler am Uferrand. Er zieht sich aus. Gummistiefel. Strümpfe. Arbeitshose. Hemd. Unterhemd. Unterhose. Sein Gesicht ist braun gebrannt. Ebenso die Arme bis zu den Ellenbogen, die Beine von den Füßen bis zu den Knien. Der Rest des Körpers ist leuchtend weiß. Es schaut aus, als habe ein Riese ihn in Nutella getunkt.

Nackt steigt er aufs Sprungbrett. Bedauerlicherweise schätzt er seine Außenwirkung falsch ein. Er lebt im Irrglauben, sich der Öffentlichkeit im Adamskostüm präsentieren zu können. Ralf ist übergewichtig. Sein Bauch hängt herab wie ein Mehlsack. Die speckigen Beine gleichen Marmorsäulen. Die Pobacken sind gewaltig. Ihm ist es egal. Das Grundstück ist schwer einsehbar. Falls jemand einen Blick riskiert, geht es ihm am dicken Arsch vorbei!

Mit geringer Grazie bringt er das Sprungbrett ins Schwingen, schnellt in die Höhe, ruft wie ein Zehnjähriger „Arschbombe“ und klatscht wie ein Stein ins Wasser. Eine Fontäne erhebt sich. Prustend erscheint sein Kopf an der Wasseroberfläche. Mit kraftvollen Zügen schwimmt er zum Seerosenufer. Dort Wende, vom Rand abstoßen, gleiten. In dieser Sekunde durchzuckt ihn Entsetzen! Kräftige Arme umschlingen seine Oberschenkel! Für einen Moment setzt vor Schreck sein Herzschlag aus. Er schreit panisch. Schluckt Wasser. Hustet. Prustet. Zappelt. Schlägt um sich. Wird hinab gezogen. Kämpft dagegen an. Versucht, das Gewicht loszuwerden. Tritt. Strampelt. Unternimmt alles, um an die Luft zu kommen. Erfolglos. Der Angreifer lässt sich nicht abschütteln, hält ihn auf dem Gewässergrund fest. Er ist nicht imstande, sich aus der Umklammerung zu befreien. Der Froschmann hängt an ihm. Erbarmungslos. Bleischwer. Kaltblütig. Ralfs Kräfte schwinden rasant. Ihm wird schwarz vor Augen. Das Letzte, woran er denkt, ist ein Schraubstock.

Um 15 Uhr treffen Gäste auf dem Waldgrundstück ein. Georg, seine Zwillingsschwester Gitta, Karin mit ihrem Freund Uwe. Der Fünfte der Gruppe heißt Klaus.

„Ralf!“, ruft Uwe. Er erhält keine Antwort. „Ralf!“, wiederholt er. „Der hockt auf dem Klo“, spekuliert Klaus. „Nein, die faule Bazille drückt sich vorm Tragen!“, ist Georg überzeugt.

Sie entladen den Kofferraum. Holzkohle. Eine Kiste Bier. Kühltasche. „Wir bringen das Fleisch in den Kühlschrank.“ Gitta und Karin spazieren zum Blockhaus. Georg öffnet mit einem Feuerzeug drei Bierflaschen. Sie stoßen an. „Pfui Spinne, ist die Brühe warm!“, schimpft Uwe. Er spuckt aus. „Stellen wir die Kiste zum Kühlen ins Wasser.“ Klaus und Georg tragen das Bier, Uwe die Grillkohle. Wo sie den Weg über die Wiese hinuntergehen, zeigt Uwe zum Weiher. „Guckt, wer da ist!“, lacht er, „Da spielt einer toter Mann!“ „Den faltigen Hintern erkenne ich auf hundert Meter Entfernung.“ Klaus kichert. „Wie immer nackig, die Sau!“

Reglos treibt ihr Gastgeber bäuchlings im Wasser.

„Ey Schindler! Komm raus. Schmeiß den Grill an. Du hast genug geplanscht!“, ruft Georg amüsiert und pfeift auf den Fingern. Sie lachen, sind bester Stimmung. „Rührt sich nicht, der Affe. Die Nummer zog er schon mal durch, um Silvia zu verarschen. Sie sprang rein und er begrapschte ihre Titten“, plaudert Georg. „Nicht Dein Ernst!“, reklamiert Klaus, „Im Leben nicht!“ „Doch! Sicher! Volle Granate! Er erzählte es mir!“ „Glaube ich nicht. Von wegen Silvia an die Möpse gelangt! Das hätte er gerne. Du darfst ihm nicht alles abkaufen, was er labert! Schindler der Schwindler! Weißt Du doch.“

Uwe tritt neben die beiden. „Irgendwas ist faul. Der bewegt sich nicht.“ Georg ruft: „Ralf! Kannst aufhören mit dem Blödsinn! Wir fallen nicht darauf rein und Titten gibt es hier nicht!“ Er lacht und bückt sich nach einem Stein, den er in Richtung des im Wasser treibenden Körpers wirft. Keine Reaktion.

„Also, ich weiß nicht. Wenn jetzt doch was mit ihm ist?“, murmelt Uwe. „Schau halt nach. Aber ich hab Dich gewarnt. Schindler der Schwindler! Mit Sicherheit liegt ein Gartenschlauch im Gebüsch versteckt, durch den er atmet. Kaum bist Du bei ihm, jagt er Dir einen Schreck ein.“

An diesem Sommertag fiel das Grillen aus.

Verwirrte Mitmenschen!

39 Jahre nach Ralf Schindlers Tod schaut Kriminalhauptkommissar Ronny Mittler aus seinem Bürofenster in Norden, Ostfriesland, auf den Parkplatz des Reviers. Drei Autos fahren auf den Hof. Zwei Audis eskortieren eine Mercedes Limousine der S-Klasse. Die Kolonne stoppt vor dem Hintereingang. Vier Männer in schwarzen Anzügen steigen aus. Trotz bedeckten Himmels tragen sie Sonnenbrillen. Sie eilen zum Benz, beziehen Aufstellung an den Längsseiten des Fahrzeugs, behalten dabei die Umgebung im Auge. Ein Anzugträger öffnet die hintere rechte Wagentür. Ein Herr steigt aus, verschwindet zügig im Gebäude. „Dreht das ZDF wieder einen Ostfriesenkrimi?“, fragt Mittler, obwohl er allein im Zimmer ist. Der Kaktus auf dem Fensterbrett antwortet nicht.

46 Minuten später klopft es hektisch an seine Bürotür. Polizeidirektor Arends stürmt in den Raum, knallt die Tür hinter sich zu. Schweiß steht ihm auf der Stirn, er ist aufgewühlt. Auf die Schreibtischplatte gestützt, nuschelt er: „Ronny! Wir haben hohen Besuch im Haus. Unangekündigt! Du ahnst nicht, wer! Der Innenminister! Er möchte Dich sprechen! Persönlich! Unter vier Augen! In einer speziellen Angelegenheit. Alles genehmigt! Im Voraus!“ Er stößt die Informationen, die für Mittler keinen Sinn ergeben, in kurzen Sätzen aus, da klopft es erneut. „Ich verschwinde!“ Polizeidirektor Arens reißt die Tür auf, drängt sich durch eine im Gang stehende Gruppe. „Verzeihung. Darf ich?“

Eine Person löst sich aus der Versammlung, tritt ins Zimmer, schließt gemächlich die Tür. Lächelnd wendet er sich an den Hauptkommissar. „Herr Mittler. Wie erfreulich, Sie kennenzulernen. Ich hörte viel Gutes über Sie.“, behauptet er mit fester Stimme und reicht die rechte Hand zur Begrüßung. Sein Händedruck zeugt von Selbstbewusstsein.

„Minister Müller! Wie komme ich in den Genuss ihres Besuchs?“ Der KHK gerät nicht oft aus dem Konzept, dies ist einer jener spärlich gesäten Momente.

„Gestatten Sie?“, fragt der Politiker, auf einen Stuhl zeigend. „Bitte. Nehmen Sie Platz. Was darf ich anbieten? Kaffee? Tee?“ „Danke der Nachfrage. Ich nahm bereits bei ihrem Herrn Direktor eine Erfrischung zu mir. Ich möchte lieber gleich zur Sache kommen. Meine Zeit ist eng bemessen, Sie verstehen?“ „Selbstverständlich, Herr Minister.“

„Nun denn.“, hebt er an, „Wie Sie wissen, gibt es in unserem Land verwirrte Mitmenschen!“ Er zählt Beispiele auf. „Eine 28-jährige Mutter aus Solingen ertränkt ihre fünf Kinder, weil sich ihr Ehemann von ihr trennt. Ein Corona Maskengegner erschießt in Idar - Oberstein einen Tankstellenmitarbeiter. In Berlin überschüttet man Obdachlose mit Benzin und zündet sie an. In Höxter lockt ein Ehepaar per Kontaktanzeigen Frauen an, um sie zu foltern. Pädophile missbrauchen in eintausend Fällen Kinder auf einem Campingplatz in Lügde. Diese Aufzählung ist eine Auswahl Verbrechen, die Deutschland in den letzten Jahren beschäftigten. Herr Mittler, ich ersuche Sie um fachlichen Beistand.“

„Wie darf ich das verstehen?“ „Wir möchten Sie anwerben.“ „Wen meinen Sie mit wir?“ „Die Regierung.“ „Wozu brauchen Sie mich?“ „Zur Ermittlung in speziellen Angelegenheiten sowie als Ausbilder begabter Kriminalisten.“ „Um was für Vorkommnisse handelt es sich?“ „Die Aufgaben sind vielfältig. Einsatzfelder sind in erster Linie unaufgeklärte Kriminalfälle, Cold Case genannt. Wir bedürfen zur Aufklärung Personen, mit Ihrem Riecher!“ Unvoreingenommen antwortet der Hauptkommissar: „Ich bin überzeugt, viele Kollegen besitzen die notwendige Kompetenz zur Lösung schwieriger Fälle.“ Der Minister nickt. „Sicher. Die gibt es. Jedoch benötigen nicht wenige dieser Spezialisten ein passendes Umfeld, um Begabungen nutzbringend anzuwenden. Seien wir ehrlich. Zu häufig gehen talentierte Kriminalisten im bürokratischen Räderwerk verloren. Das gilt es zu verhindern. Darum sind fantasiebegabte Ermittler mit Führungsqualität gefordert, Talente aufzuspüren, um sie zu fördern. Kompetente Ausbilder wie Sie, die begabte Leute erkennen und weiterentwickeln. Ich bin überzeugt, Ihnen fallen Namen von KollegInnen ein, die Sie bei dieser Aufgabe an Ihrer Seite haben möchten.“ Vier Personen schießen dem KHK sofort in den Sinn.

Innenminister Müller erklärt: „Uns schwebt eine neue Generation Ermittler vor. Zukunftsorientiert aufgestellt. Ausgerüstet mit modernster Technik. Unbürokratisch. Schnell. Effizient.“ „Was wäre meine Aufgabe?“, fragt Mittler. „Eine frische Denkweise der Fahndung zu etablieren. Grob umrissen, der Aufbau eines Schulungszentrums. Ein Ort, an dem Sie aktiv mit Kriminalisten echte Fälle lösen. Learning by Doing, wie es der Brite ausdrückt.“ „Wenn ich es recht begreife, arbeite ich mit einem Team, das ich, während der Recherche in einem Kriminalfall gleichzeitig anleite?“ „Genauso stellen wir uns die Struktur vor, ja! Beginnend mit der Zusammenstellung einer innovationsfreudigen Besatzung aus Fachleuten, die in Zukunft Personal ausbildet. Schneeballprinzip, verstehen Sie? Wir denken an den Aufbau einer Spezialeinheit, die sich an Ihren und den Ideen ihrer Mitarbeiter orientiert.“ „Klingt reizvoll, gebe ich zu!“ „Ich bin überzeugt, Sie sind der Richtige für diese Aufgabe.“ „Hat das Projekt einen Namen?“ „Polizeieinsatzteam Spezialfälle, kurz PETS. Eine interdisziplinär arbeitende, autarke Einheit. Mit Gerichtsmedizin, Spurensicherung, Labor und so weiter. Alles unter einem Dach. Eine Polizeischule, die ermittelt und Nachwuchs ausbildet.“

„Woher kommen die Aufträge? Wie ist Ihre Vorstellung?“ „Es soll wie folgt ablaufen. Ich stelle Ihnen Fälle vor. Sie entscheiden, welche Causa Sie übernehmen. Sie sind kein Befehlsempfänger. Niemand redet rein. Ich verspreche, Langeweile kommt nicht auf!“ „Wer ist die übergeordnete Behörde?“ „Das Innenministerium. Mit mir als Ansprechpartner, sprich Vorgesetzten. Ich ziehe Fäden, öffne Türen, schaffe Kontakte, besorge Genehmigungen, kümmere mich um Bürokratie.“ „Niedersachsen ist das Einsatzgebiet?“ „Nein. Das gesamte Bundesgebiet. Unter Umständen das benachbarte Ausland. Darüber entscheiden wir im Einzelfall.“

„Wieso ich?“ „Weil Sie sich als Kriminalist einen Namen machten. Wir haben Ihre Fälle analysiert. Sie sind außerordentlich kompetent für die Aufgabe.“ Mittler grübelt, abgeneigt ist er nicht. „Angenommen, ich sage zu. Wie sehen die Rahmenbedingungen aus?“ „Sie sprechen zur Verfügung stehende Mittel an?“ „Ja.“ „Das Budget ist hoch, glauben Sie mir.“ „Wo wäre mein Standort?“ „Ihr Stützpunkt ist in Ostfriesland.“ „Was ist mit MitarbeiterInnen?“ „Sie wählen aus, wer dabei ist!“ „Technische Ausstattung?“ „Was Sie anfordern, bekommen Sie. Unbürokratisch. Umgehend. Ich versichere, benötigen Sie einen Hubschrauber, erhalten Sie einen. Brauchen Sie zwei, wird es genehmigt. Bei einem Flugzeugträger dauert es eventuell drei Tage, bis er lieferbar ist!“ Er lacht über seinen Scherz. „Habe ich Bedenkzeit?“, erkundigt sich Mittler. „Haben Sie Interesse?“ „Ja! Es reizt mich!“

Sieben Monate nach diesem Gespräch, nimmt PETS den Dienst auf.

Willkommen bei PETS!

Frühmorgens übernehmen Oberkommissarin Lena Schösteen und Kommissarin Merle Jörgisdottir ein neues Dienstfahrzeug. Äußerlich ist der VW Passat nicht als Polizeiwagen erkennbar. Die technische Abteilung installierte polizeispezifische Instrumente. Der Werkstattleiter weist sie in die Bedienung ein. Das Auto ist mit Digitalfunk nebst einem Signalgeber zum Öffnen eines automatischen Tores ausgerüstet. Im Anschluss an die Unterweisung fahren sie nach Norden – Westermarsch zur Einweihung der PETS Dienststelle.

„Klasse Ledersitze! Spitzenmäßig!“, freut sich Merle putzmunter, „Ein schickes Wägelchen. Wie der riecht! Lecker!“, brabbelt sie in Plauderstimmung, „Neue Autos haben so einen speziellen Duft. Wieso gibt es den eigentlich nicht als Deo?“ „Keine Ahnung!“, lacht ihre Kollegin und empfiehlt: „Setz es auf Deine Ideenliste, was Du zum Patent anmelden willst.“

Lena steuert den Wagen in die Straße, der zu ihrer zukünftigen Arbeitsstelle führt. Einst war es ein holpriger Feldweg. In der Gegenwart ist er ausgebaut und geteert. Sie nähern sich einem weiß lackierten Metalltor.

„Sesam öffne Dich!“, flötet die Oberkommissarin gut aufgelegt und drückt einen Knopf am Armaturenbrett. Das Tor rollt zur Seite und gibt die Zufahrt frei. Dabei dreht sich rot blinkend eine Rundumleuchte, während gleichzeitig ein Warnton erklingt. „Der Signalgeber zur automatischen Toröffnung funktioniert“, stellt Lena fest. „Ein Elektriktrick!“, witzelt Kollegin Merle, die das Anwesen erstmals nach dessen Umbau wiedersieht. Zwischenzeitlich weilte sie zwecks Weiterbildung zur IT Forensikerin fünf Monate außerhalb Ostfrieslands. Bei ihrem letzten Besuch endete der Pfad vor einem morschen Holzgatter, von wo aus sie auf die verwahrloste Scheune des Gehöftes blickte. Sie erinnert sich an die schmuddelige Fassade mit dem windschiefen Scheunentor. Davor war ein gepflasterter Platz, der einer holprigen Stolperfalle glich. Mittlerweile ist er wellenlos und von Blumenbeeten umrahmt. Es gibt Autostellplätze inklusive Stromladesäulen. Seit dem Bau im Jahr 1901 befand sich das Haus im Besitz von Onno Kill. Der geisteskranke Kannibale gründete den Nachtwolf Kult. Er baute unterirdische Geheimverliese, um ungestört sadistische Gelüste auszuleben. Seine Nachfahren verfeinerten die Anlage in den folgenden Jahrzehnten. Das Anwesen entpuppte sich als riesige Mausefalle, mit der Besonderheit, nicht Mäuse, sondern Menschen gerieten als Opfer in Gefangenschaft. Sie verloren auf grauenhafte Art ihr Leben. Untersuchungen im Fall eines fingierten Suizids brachten die Kommissare auf die Spur des Kultes. Ronny Mittler und Lena Schösteen kamen während der Ermittlungsarbeit in höchste Lebensgefahr, aus der Kommissarin Merle Jörgisdottir sie im letzten Augenblick rettete. Weil sich für das Anwesen aufgrund seiner schauderhaften Vergangenheit kein Käufer fand, entschloss sich Onnos Nachfahrin, die inhaftierte Ulrike Kill, es dem Land abzutreten. Man baute es zum Hauptquartier der neu gegründeten Spezialeinheit PETS um.

Lena parkt neben einem Lieferwagen mit der Aufschrift: BOOTSHAUS – Norddeichs urige Hafenkneipe! Inhaberin: Lolita „Lola“ Andersson. „Was macht Lola hier?“, fragt Merle mit Fingerzeig auf den silbergrauen Kastenwagen. „Catering. Sie erhielt den Auftrag, die Dienststelle mit Essen und Getränken zu versorgen.“ „Aha, Vitamin B! Den Job hast Du ihr zugeschanzt, oder?“ „Ehrlich gesagt müsste ich eingeschnappt sein, weil Du das von mir denkst.“ „Sorry. War nicht gemeint, wie es sich anhörte.“ „Glaub ich Dir. Ich habe in der Tat nichts damit zu tun. Ronny meinte, aufgrund was Angestellte in der Dienststelle von unserer Arbeit mitbekommen, wäre es von Vorteil Lola zu engagieren, da sie die Klappe halten kann!“

„Ergibt Sinn!“, kommentiert Merle knapp, steigt aus, bestaunt die restaurierte Fassade und pfeift anerkennend durch die Zähne. „Guck Dir die alte Bude an! Wie herausgeputzt sie dasteht. Respekt! Selbst der Garten schaut super aus. Nicht wiederzuerkennen! Hättest Du gedacht, wir kehren eines Tages hierher zurück?“ „Nicht wirklich!“, antwortet Lena grinsend und fragt: „Erinnerst Du Dich, wie ich herumgesponnen habe, wo wir damals zum ersten Mal hier waren?“ „Klar, weiß ich das noch!“, kichert Merle.

Bei ihren Recherchen im Nachtwolf Fall gebar Lena den Einfall, dass sich das Gelände prima für einen Altersruhesitz in Form einer Wohngemeinschaft für Kollegen eignet. Merle verspottete sie daraufhin. Nun sagt sie: „Voller Hochachtung verneige ich mich vor Deinen hellseherischen Fähigkeiten. Ab sofort nenne ich Dich Prophetin. Wenn Du keinen Spaß mehr daran hast, Mördern nachzujagen, kannst Du Dich als Wahrsagerin selbstständig machen. Mit einem Zelt auf dem Marktplatz. Das macht was her, sag ich Dir. Nein, ein alter Bauwagen ist besser! Da regnet es nicht rein. Ich schenk Dir eine Glaskugel zur Eröffnung. Ich seh es direkt vor mir. Eine Leuchtreklame mit roter Laufschrift! Madame Schösteen, Weissagungen aller Art. Riskieren Sie einen Blick in die Zukunft! 5 Euro.“ Lachend denkt Lena, die Gute ist wieder in ihrem Element! Sie besitzt das Zeug zur Komikerin. Sie fasst ihre Kollegin am Arm und bittet: „Warte einen Moment. Ich möchte Dir etwas sagen, bevor wir ins Haus gehen.“ „Das klingt ja feierlich“, wundert sich Merle, „Du machst mir aber jetzt keinen Antrag? Was sollen Deine Lola und mein Max davon halten?“, albert sie. „Sei einen Augenblick ernst.“ „Okay. Was willst Du? Sprich ins Reine!“ „Wenn Du beim Nachtwolf Fall nicht so furchtlos reagiert hättest, wer weiß, ob ich heute mit Dir hier wär. Also danke dafür!“ Eine Träne der Rührung rollt über ihre Wange. Merle umarmt ihre Vorgesetzte, die längst ihre beste Freundin ist. „Kein Ding Schwester. Würdest Du für mich genauso machen und jetzt Schluss mit den Fisimatenten!“

Sie drückt den Klingelknopf. Drinnen hallen dezent Gongschläge. Lola öffnet. „Moin Merle, hallo meine Liebe. Bitte eintreten“, grüßt sie gut gelaunt. „Dich hier anzutreffen, habe ich nicht erwartet!“, kommentiert Merle die Anwesenheit von Lenas Lebensgefährtin. „Das bleibt nicht die einzige Überraschung für sie“, flüstert Lolita ihrer Partnerin ins Ohr.

Merle sieht sich um. Ein Wanddurchbruch verbindet das ehemalige Wohnzimmer mit dem Esszimmer. Durch diese Veränderung entstand ein Besprechungsraum, der reichlich Platz bietet. Der Raum wirkt freundlich und hell. Menschen stehen in Gruppen zusammen. Kriminalhauptkommissar Mittler unterhält sich mit vier Herren. „Innenminister Müller, Landrat Deinen, Polizeichef Arends“, zählt Merle auf und wispert: „Wer sind die anderen?“ „Links von Ronny steht Staatsanwalt Karl Spiegel. Der Herr mit Vollbart ist Gerichtspräsident Thomas Lenz.“ Die zweite Gruppe umringt den Gerichtsmediziner und Chef der Spurensicherung, Dr. Albert Meyer. Er unterhält sich mit den Kollegen Olaf Dombrowski, Keno Janssen sowie Azubi Ramon Bergrose. Eine Frau und ein weiterer Mann stehen dabei, die Lena und Merle unbekannt sind. Sie ist schlank, um die 40 Jahre alt, 1,60 m, ihr schwarzes Haar trägt sie lang. Der Mann ist ebenso von geringer Körpergröße. Er fällt durch modische Erscheinung auf. Grüne Jeans, gelbes Hemd, rote Baseballkappe, ein bis zu den Hüften reichender Zopf.