Herbsttagsgedanken - Veronika Beci - E-Book

Herbsttagsgedanken E-Book

Veronika Beci

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Beschreibung

Eine alternde frau hängt an einem Herbsttag ihren Gedanken nach. In ihrem Gedankenflug vermischt sich profaner Alltag mit ihrer Lebens- und Liebesgeschihcte. es ist eine einfache, stille Geschichte, die, weil sie schlicht und in Sprüngen erzählt wird, tief berührt. Ehrlich, undramatisch und humorvoll berichtet die Heldin im 'Zickzack ihrer GEdanken' (M. Frisch) auch tragische Erinnerungen. Der Autorin ist durch ihre Beschreibung ein Mosaik der Zeitläufte vom Ende des Weltkriegs bis in die Geegnwart gelungen, die nicht kritischer Seitenhiebe entbehrt.

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EPUB
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Seitenzahl: 100

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Veronika Beci

Herbsttagsgedanken

Erzählung

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Aufstehen

Frühstück

Post

Das Fenster

Der Tee

Mittag

Das Kind

Nachmittag

Anmerkungen

Autorin

Impressum neobooks

Aufstehen

Wach!

Gott sei Dank, es war nur ein Traum - ich bin wach. Mein Zimmer. Ich bin in meinem Zimmer.

Es ist schon hell? Wieviel… halb acht!

Kalt. Er ist schon weg. Kalt. Mag nicht aufstehen. Ich nehme meine Decke und seine dazu.

Soll ich lesen? Es ist wohlig, erst noch etwas im Bett zu lesen, ehe man aufstehen muss.

Nein, Kaffee. Zunächst einmal Kaffee. Aber ich will doch nicht. Ich kann nicht. Es ist zu kalt.

Blau-grauer Himmel. Zögerliches Sonnenlicht, ein schwaches und kraftloses Licht. Wird es ein schöner Tag werden? Oder kommt gleich der Regen? Dieses Jahr war es oft diesig im September und Oktober.

Die Augen wieder zu! Die Augenlider sind noch so schwer. Ich bin sehr müde. Meine Beine und arme fühlen sich bleiern an.

Das Kissen ist weich. Warm. Wäre ich doch noch klein! Ein Kind, ein Säugling! Ich möchte mich einwickeln und einlullen lassen. Keine Sorgen. Keine Kälte. Wohlbehagen. Fallenlassen. Einschlafen.

Wach! Die Uhr! Acht. Jetzt wird es aber Zeit. Weg mit den Decken. Aufstehen. Die Schultern sind sehr steif. Frösteln. Auf mit dir, altes Haus! Die Knie sind steif. Ich brauche Luft. Das Fenster muss ich dringend putzen.

Wie herrlich ist die kalte Luft. Ich habe die Dusche gar nicht mehr nötig, denn die Herbstluft wischt mir feucht durchs Gesicht. Wie schön, diese Welt! Grau-blau. Eine Sonne, zu der man unbeschadet aufsehen kann. Sie gleißt nicht, noch brennt und blendet sie. Oben ist alles klar und hell. Da, über den Baumwipfeln hängen noch verblassende rosa Wolkenstreifen. Erstaunlich, diese pastellfarbenen Federchen und darunter braune und dunkelgrüne Kronen und Stämme, um die herum es rauchig tanzt. Nebel. Hunderte kleine Feuer, die qualmen. Der Qualm zieht hin und her, reißt auf, verflüchtigt sich, ballt sich wieder. Wissen die Leute, wie grünlich der Herbst ist! Das Tannendickicht im Park auf der anderen Straßenseite, unsere Eibenhecke, das Stückchen englischer Rasen mit den Buchsbaumkugeln. Es riecht nach Feuchte, nach Moder, nach Erde. Es reißt einem die Brust auf und macht frei. Ich atme Kraft, ich habe Kraft. Die Welt ist schön. Ich muss das nur denken, wie schön die Welt ist.

Vergiss nicht zu danken. Wem denn danken? Der Natur? Oder doch einem Gott? Dem Gott?

Mir wird kalt.

Die Sachen nehmen und unter die warme Dusche. – Er hat die Heizung wieder nicht angestellt.

Warmes Wasser! Lange möchte ich hier stehen und zusehen, wie es auf mich regnet, an mir herabrauscht, sich zu meinem Füßen verschlängelt und davonfließt. Es hat seinen eigenen Geruch, das Wasser. Es riecht nach Stein. Ganz leicht nach bemoostem Stein. Ich sehe mich, wie in einem von Felsen umgebenen Waldteich stehe und bade. Von den Felsen herab perlt das warme Wasser einer heißen Quelle. Weidenzweige hängen tief herab und treiben mit ihren Spitzen auf dem Wasser. Manchmal löst sich ein Blatt, trudelt eilig ein Stück zur Teichmitte hin und ruht dann dort. Schön, auf dem Wasser zu schlafen. Gelbgrünes Blättchen, dem Wasser still hingegeben und dem, was darunter ist an Schwärze und Tiefe. Die Bäume rauschen. In den Kronen blinkt das Sonnenlicht hundertfältig wieder. Seltsame Blumen wachsen am Ufer des kleinen Teichs. Blüten, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Wie riesige Lilien mit goldsprühenden Staubblättern. Wenn eine Brise sie streift, schütteln sie mit Glockenklang ihre Blütenblätter.

Ich entspanne. Kälte und Steifheit fallen von mir ab. Die Glieder dehnen sich, als würde der Körper das Wasser aufsaugen, sich mit dem Lebendigen aufpumpen. Mir wird wärmer und wärmer. Ich male ein Herzchen an die grau benebelte Glastür der Dusche. Dann einen Baum und dann noch eine Sonne.

Nicht wegwischen. Soll er es doch beim nächsten Mal lesen, wenn er duscht und sich die Türe wieder beschlägt. Eine Geheimbotschaft, die plötzlich sichtbar wird.

Mist, jetzt ist die Shampoo Flasche heruntergefallen. Das teure Shampoo, ausgerechnet. Ein Drittel voll ist sie noch. Glück gehabt. Wenn ich mir mal was gönne, wird es mir gleich vom Schicksal missgönnt. Ich glaube, egal woran ich im Leben einmal Freude hatte, mir leistete oder ich tat, sie wurde mir sofort wieder von irgendwem, durch irgendwas verdorben. Das hat mich längst gelehrt, mich über nichts mehr von Herzen zu freuen. Wie ein Stoiker äußere ich mich nur noch verhalten und nehme nichts mehr beglückt an. So bin ich vor dem Verlust der Freude gewappnet und sie ist durch nichts zu trüben. Ich behalte lieber alles für mich.

Abtrocknen. Hat er wieder das größere Badetuch genommen? Das kuscheligere, in das der gesamte Körper wohlig hineingehüllt werden kann? Sauerei. Bleibt mir nur das blaue Tuch, das schon Fäden zieht. Ich muss wirklich und wahrhaftig einmal neue Badetücher besorgen. Nur nicht heute, liebe Leute.

O Gott, wer ist diese alte Frau in dem Spiegel? Warum war ich so blöd, den Dunst von dem Spiegelglas zu wischen. Ich zwinkere der Alten zu. Ich lächele sie künstlich an. Mein Lächeln gefriert zur Maske. Sieht aus wie eine Irre aus einem Horrorfilm. Wenn ich jetzt den Kopf wegdrehe, bliebt das Spiegelgesicht bestimmt stumpf stehen, dreht sich nicht spiegelgleich. „Schaust du mich an aus dem Kristall...“ Annette von Droste Hülshoff. Was einem in der Schule eingebläut wurde, vergisst man nicht leicht. Kinder werden wohl immer mit den Dichter*innen aus ihrem Landstrich groß. Ist logisch. Bin froh, es wenigstens mit einer dichtenden Frau zu tun zu haben. Düsseldorfer Kinder können auch von Glück sagen, die haben den göttlichen Heine. Am meisten beneide ich die Schulkinder in Prag. Kafka.

Hallo? Wo bin ich wieder? Ich bin beim Zähneputzen, stehe nicht mehr vor der achten Klasse Deutschunterricht. Die Zeiten sind vorbei. Rente, Andrea, Rente. Du bist Rentnerin, schon vergessen? Ja, sieh‘ dich doch an! Graue Haare, Tränensäcke, Furchen rechts und links der Nase, leichter Ansatz eines Doppelkinns, erschlaffte Wangenpartie. Straff war einmal. Weiter nach unten gucke ich lieber nicht. Ich fühle, wie die Schwerkraft ihr Werk tut. Das muss ich nicht noch sehen.

Armer Stefan. Der muss durch den Anblick durch, aber ich ja auch durch seinen. Die kahle Stelle auf den Schädel – Pater Stefan -, die faltig gewordenen Burstmuskeln, das Bierbäuchlein, die hautschlagenden Oberschenkel.

Liebe ist doch was Wunderbares! Hahaha! Na, sieh mal an, die Alte im Spiegel kann wieder lachen.

Verflucht, ich habe keine Creme mehr für die Augen. Muss es heute halt die normale Tagescreme tun. Abdecken oder nicht abdecken? – Ach, scheiß drauf. Ich schminke mich heute nicht. Keine Lust dazu, wofür denn auch. Ich mag die Horror-Alte, irgendwie. Die ist wenigstens ehrlich. Schminken ist eh nur Show für andere, für geistige Flachwichser (Entschuldigung! Ausdruck gelernt von den Achtklässlern), die die Wahrheit nicht ertragen und die Wirklichkeit nicht respektieren können.

Da lacht sie wieder, die alte Hexe, diesmal schallend. Ist doch eine Nette.

Anziehen.

Das Gute am Alleinsein ist, dass ich vom Badezimmer zur Garderobe tigern kann, wie Gott mich schuf.

Geschaffen hat er mich als Baby, wenn überhaupt. Das würde bedeuten, dass sich jeder Mensch mit zunehmendem alter von Gott entfernt. Na, demnach bin ich schon sehr weit weg von der Gottesnähe. -

Wieso finde ich den anderen grünen Socken nicht? – Das macht mich unlustig. Lässt mich auf mein Bett niedersinken.

Mir ist als sänke ich in einen Berg Schnee. Er türmt sich rund um mich hoch auf. Ich spüre plötzlich seine Kälte. Wenn der Wind sich bläht, stieben kleine weiße Flocken von den Schneewehen empor und tänzeln ein wenig durch die Luft. Hinter den schwebenden feinen Sternchen wird der Himmel dunkelblau. Er verwandelt sich in eine einzige blaue Fläche. Wolkenlos. Regungslos. Die Flocken fliegen zu tanzenden Kreisen zusammen, formieren sich, wie in einem Kaleidoskop gedreht, zu immer neuen, anderen Kreisen.

Mir ist kalt und auch ein wenig schwindlig; ich ziehe mich rasch weiter an. – Wo ist die bescheuerte Socke hin? Ich warf sie gestern hinter das Nachtschränkchen. Ach, sie ist weit nach hinten gerutscht, als hätte sie jemand absichtlich weit nach hinten geschoben, damit ich jetzt hier knien darf, unwürdig auf dem Fußboden, und unter all dem staubigen Gekröse nach der Socke haschen muss! Sicher hat ein Poltergeist seine schemenhaften Hände im Spiel! Es ist mir ohnehin oft so, als sähe ich im Augenwinkel eine übernatürliche Anwesenheit. Da ist ein Wesen, das mich belauscht. Im Moment lacht es sich vermutlich krank über meine zusammengebuckelte Stellung vor dem Nachttisch.

Ich mach es wie immer in solchen Fällen, denn Angst kenne ich nicht und Angriff ist die beste Verteidigung. Ich frage laut: „Kann ich dir behilflich sein? Willst du ins Licht?“ - - Absolute Stille. Absolut Realität. Kein übersinnlicher Zirkus. Alles ist normal und das einzige Lebendige hier im Schlafzimmer sind ich, die sich gerade eine leicht verstaubte Socke über den Fuß zieht, und die Pfannenkuchenpflanze auf der Fensterbank, die mit ihren runden Satellitenblättern aufmerksam das Tageslicht anpeilt. Dass ihr auch bloß kein Strahl des noch freundlichen Oktobertages entgeht, denn die Strahlen werden spärlicher und bald schon werden die Tage um sie her kürzer. und das auch noch an einem Nordfenster!

Sie scheint sich aber wohlzufühlen und Wasser hat sie auch noch, mein kleines Abschiedsgeschenk der 8c. Ich habe in der 8c nur Bio unterrichtet, aber es scheint ihnen gefallen zu haben. Mittlerweile sind sie die 9c, seit August, um genau zu sein. Und seit August bin ich nicht mehr dabei, erst noch Resturlaub, und dann, Septemberkind, fließender Übergang ins Rentenzeitalter.

Was mache ich denn da? Bin reflexartig an meinen Schreibtisch in unserem kleinen Büro gehuscht und packe das Biobuch in meine Büchertasche… Meine Güte, bin ich gestört! Der Gedanke an die 8c hat mich ins alte Muster der Morgenhandlungen fallen lassen. Tasche packen. Bücher einsortieren. War einmal.

Den Schreibtisch habe ich noch nicht aufgeräumt. Stefan ist deswegen schon angepisst.

„Kannst d‘ mal langsam aufräumen, sieht verboten aus, all diese Papiere, Zettel, Bücher und der Kram. Das hatten wir ein ganzes Leben lang. Brauchst d‘ doch gar nicht mehr“, hatte er gesagt. Wir hatten aneinander gekuschelt auf dem Sofa gesessen, jeder ein Gläschen Rotwein in der Hand, und uns mal wieder einen Film über die Schwestern Brontë angesehen. Die ideale Zeit, heikle Themen anzusprechen.

„Ich kann nicht, hui, von hier auf jetzt umschalten“, hatte ich erwidert. Branwell Brontë saß derweil auf seinem Nachttopf und schrieb, während er pinkelte, einen Bettelbrief um ein Paar Pennys für ein Gläschen heißen Toddy.

„Von hier auf jetzt. Du bist lustig. Du weißt doch schon seit Jahren, wann du in Rente gehst. Dass du dir überhaupt noch die Mühe mit allem Vorbereiten und dem Kram gemacht hast! Ich hätte nur die alten Sachen abgespult und gut wär‘.“

„So eine Lehrerin bin ich aber nicht. Das tue ich den Kindern nie an.“ „Warst du nicht und tatest du nicht an. Vergangenheitsform. Deine Schulzeit ist vorbei, Dre. – Du warst eine gute Lehrerin, hast dir stets Mühe gegeben, alles okay, aber es ist vorbei, Darling.“ Ich hatte schlucken müssen, Tränen runterwürgen. „Ja, ja. Ich mach‘ es, sobald ich mich durchringen kann, okay?“

„Du könntest auf dem Schreibtisch deine schönen Tiermodelle aufstellen, Die Insekten hinter Glas und so, die Stadien der Frösche, die dir dein Rektor geschenkt hat – ist ja ein richtiges Kunstwerk. – Du solltest doch auch nix wegschmeißen, Das bleibt dein Büro, da bleibt dein Schreibtisch…“

„…aber er soll nicht mehr nach Arbeit aussehen.“ Branwell lag tot auf seinem blutbefleckten Kissen, hingerafft von Alkohol und Tuberkulose in verhängnisvoller, absolut tödlicher Mischung. „Exactly“, hatte Stefan seufzend geantwortet. „Alles klar, ich sitze in Zukunft nur noch zum schöngeistigen Zweck, dem seltenen Verfassen von Briefen und für die Steuererklärung am Schreibtisch“, hatte ich etwas spitz bemerkt. Stefan hatte gegrinst, sein jungenhaftes breites Stefan-Grinsen, in das ich mich seinerzeit verliebt hatte. „Ach, komm, tu nicht so dramatisch. Wie ich dich kenne, wirst du sowieso viel am Schreibtisch sitzen. Wirst du immer tun. Also.“ Im Film wurde gerade angemerkt, dass Emily Brontë ihrem Bruder ein halbes Jahr später nachstarb.