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Wer spricht in diesem Buch? Die fast noch jugendliche, die junge, die reife und die alt werdende Autorin. Alles ist miteinander verbunden, geordnet, dabei eine zeitliche Chronologie nicht erwünscht. Ein Kaleidoskop zieht unsere Augen und unser Unterbewusstes immer in Bann. Das tun auch diese kaleidoskopartig kombinierten Geschichten, Gedichte, Märchen und großen Gesänge. Schamanische Reisen, erlebt und unmittelbar wiedergegeben, entführen uns in eine unbekannte, aber fast vertraut werdende Sphäre. Mal wortgewaltig, mal wortwitzig und –schöpferisch: eine reiche innere Welt, die Verletzungen, Fluchten, Reinigungen erkennen lassen und ein Einfinden in der sich selbst gestalteten Welt. Wie mit dem Zauberstab wird immer wieder eine neue Tür mit dem nächsten Kaleidoskop-Bild geöffnet.
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Seitenzahl: 85
Veröffentlichungsjahr: 2024
Hier bin ich
Isabella Ben Charrada
Autobiografisches Kaleidoskop
© 2024 Isabella Ben Charrada
Bondenwald 17
22453 Hamburg
Umschlag und Grafiken: Irina Naruga
Unter Verwendung von: ©andrio/123rf.com
Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
Softcover
978-3-384-13390-8
Hardcover
978-3-384-13391-5
E-Book
978-3-384-13392-2
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors.
Von Isabella Ben Charrada bisher erschienen:
„Leben weben“, ein lyrisches Memoir, 2022
„Die Stadt der Brillenmacher“, Novelle, 2021
„Body Talkies – Gedichte“, Buch und CD, 2016
„Lauffeuer“, Lyrik, CD, 2003
Kurzgeschichten in „So nah und doch so fern – Die Geschichten mit den Eltern“
Hrsg. Herrad Schenk, 1985, Rowohlt
Lyrik in „Der Ernst des Lebens – Verständigungstexte“, 1982,
Suhrkamp
Hrsg. Ruth-Esther Geiger und Hartmut Klenke
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Retro
Erinnern
Kaleidoskop 1: Märchen – erfundene und wiedergefundene
Ein Märchen
Familienfeier
Der goldene Apfel vom Lebensbaum
Die kleine Auster
Eine Posse: Der Trauerkloß
Kaleidoskop 2: Mythen aller Art
Meine Schöpfungsgeschichte
Familienmythen
YEMAYÁ
Kaleidoskop 3: Erinnern und Momentaufnahmen
Bei Oma
Wohnungen meiner Kindheit
Schreiben und Lesen
Rote Tinte
Kaleidoskop 4: Tür auf zu inneren Bildern
Meine Füße
In der Wüste
Hausputz
Prinzessin "Weiß nicht wie"
Kaleidoskop 5: Stimmungsbilder
Ein Spaziergang am Meer
Ein Arbeitstag
Ich erzähl mir eine Geschichte
Mein Friedhof I
Mein Friedhof II
Mein Friedhof III
Mein Friedhof IV
Mein Friedhof V
Mein Friedhof VI
Magical footsteps
Lebenslinien
Cover
Titelblatt
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Lebenslinien
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Kaleidoskop:
Durch ein Rohr mit einem Prisma am anderen Ende schaust du ins Licht. Durch Drehen wechseln die Bilder – immer wieder ist Neues, sind fantastische Gebilde zu sehen.
Retro
Mit acht Jahren fing ich an zu schreiben, Nacherzählungen von Schulfunksendungen, kurze Geschichten, Gereimtes. Leider ist davon nichts erhalten. Ich schrieb aus Einsamkeit und um den Druck diffuser Gefühle zu überwinden. Alles Geschriebene meiner Frankreich- und Tunesienzeit hat mir mein damaliger Mann gestohlen.
Die hier versammelten Texte habe ich bis auf einige Änderungen und Überarbeitungen in Form, Rechtschreibung und Zeichensetzung wie im Original beibehalten. Meine Rückschau ins innere Kaleidoskop lässt erfundene und wiedergefundene Märchen auftauchen, wie auch Mythen aller Art, Erinnerungen und Momentaufnahmen, notierte innere Reisen und Stimmungsbilder.
Im Rückblick erscheint mir vieles wie in Dunkelheiten Lichtblicke finden, wie in Nachtlandschaften, Schneisen mal mit altmodischen Laternen, grellen Taschenlampen oder kurzzeitigem Flutlicht erhellen, dann wieder flimmernder Sonnenschein – Leitmotive und Leidmotive.
Heute bedeutet mir Schreiben Verständigung mit mir selbst und mit einem imaginären Gegenüber, autobiografisches Geflatter einfangen, Sichtweisen erweitern, neue innere Bilder entdecken und Brücken zur Welt betreten. Ob sie mich tragen?
2023
Erinnern
Ich gehe auf eine Reise.
Mit leichtem Gepäck.
Fahrpläne habe ich nicht gesucht, nur mein ungefähres Reiseziel bestimmt – einen Lebensabschnitt, eventuell eine Jahreszahl. Nun sitze ich im Zug.
Er donnert durch einen langen Tunnel, dem Vergangenen entgegen.
An den Tunnelwänden erleuchten lange Neonröhren ab und an die Dunkelheit. Ehe ich erkennen kann, was das Helle mir enthüllt, sind wir schon weiter. Dunkel – hell – dunkel – hell.
Wer überhaupt ist der Zugführer? Ich nicht!
„Hey, das geht mir zu schnell!“ schreie ich.
Das Tempo wird gedrosselt.
Im grellen Neonlicht tauchen Szenerien aus meinen Lebenszeiten auf.
„Erinnern – meine Güte, das artet ja in Arbeit aus!“ spottet eine dumpfe Stimme in mir – oder im Abteil?
„Wozu erinnern?“ fragt eine andere provokativ.
„Weil ich etwas aus meinem Leben erzählen, mich mitteilen, teilen möchte – was ich gelernt habe, auch meine Freude am Lernen.“ „Das klingt reichlich hochtrabend“, zischt eine weitere Stimme. Dunkel – hell – dunkel – hell.
Flüchtiges. Momentaufnahmen. Déjà vu. Ein kenn-ich nicht.
Mal im Schritttempo. --- Mal blitzschnell vorbei.
Mal wie durchs Fernglas – Abbilder – ferne Land- und Stadtschaften.
Mal mittendrin – riechen, fühlen, freuen, kalt und Gänsehaut. Mal heimelig bekannt. Mal Vorfreude. Mal ratlos.
Dann wieder düstere Wüsten oder silbrige Mondlandschaften.
Kaleidoskopgeschüttelt.
Und im Dunkeln die Frage:
Werde ich je wiederfinden, was ich schon erlebte? Was ich jetzt erzählen möchte? Erstmal mir selber?
Gibt der Tunnel Konkretes frei?
2023
Märchen – erfundene und wiedergefundene
Kaleidoskop
Ein Märchen
„Heute ist Großmutters Geburtstag“, sagte die Mutter am Telefon, „kommst du?“ Rotkäppchen nuschelte in den Hörer „Ja, zum Kaffee“, und dachte an früher, an die Gedichte, die sie aufsagen musste, an Kuchenbacken, Tischdecken, an … „Hoffentlich hat sie nicht wieder ihre Rederitis“, drang die Stimmer der Mutter zu ihr. Das wird ja wieder alles viel zu viel für sie. Und gestern hat sie schon wieder in die große Bodenvase gemacht, dabei ist das Klo doch nebenan!“ – „Weißt du“, unterbrach Rotkäppchen, „ich kann ja mit Omi ein bisschen in den Park fahren, dann kannst du in Ruhe alles vorbereiten.“ – „Nein, nein, das ist doch zu anstrengend für sie.“ – „Ach Mutti, ein bisschen frische Luft. Ich komm dann gleich.“
Rotkäppchen legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Dann ging sie zum bösen Wolf, der im Erdgeschoß wohnte. Da konnte er sich im Garten Ziegen halten. „Kannst du mir den Käfer leihen?“ fragte Rotkäppchen vorsichtig. Der böse Wolf knurrte nur, warf ihr dann aber doch den Wagenschlüssel zu. „Heute Abend brauch` ich ihn wieder!“ drohte er. „Ist gut“, trällerte Rotkäppchen und hüpfte auf einem Bein hinaus.
Die Mutter kam mit wirrem Haar und verfleckter Schürze an die Tür, als Rotkäppchen klingelte.
„Nein, nein, es ist besser, wenn sie noch ein Stündchen schläft. Sie redet schon wieder wirre“, wehrte die Mutter ab, als Rotkäppchen Großmutters Mantel hervorholte. Aber da stand Großmutter schon in der Tür, ein Tuch umgebunden, den Knoten unterm Kinn schön ordentlich und gleich zweimal.
„Aber bind ihr wenigstens das Kopftuch vernünftig zu“, sagte die Mutter und kniff den Mund zusammen.
„Er ist ein großer Herr, und alle müssen ihm gehorchen“, verkündete Großmutter im schummrigen Flur. „Aber wann er kommt, das weiß man nicht.“
Die Mutter warf Rotkäppchen einen „Na-siehste-Blick“ zu, und Rotkäppchen zog Großmutter schnell den Mantel über. Ja, das ging ganz schnell. Großmutter verhedderte sich nicht einmal im Ärmelfutter wie sonst.
„Na ja“, sagte die Mutter, „aber pass auf!“
Als Großmutter im Wagen saß, schaute sie gleich ins Handschuhfach. „Schön liederlich“, stellte sie zufrieden fest, und Rotkäppchen musste lachen. Dann fing Großmutter zu singen an.
Im Park ging die Großmutter so schnell, dass Rotkäppchen fast nicht mitkam. Plötzlich schwenkte sie hin zu einem Blumenbeet und pflückte ruhig eine Rose nach der anderen. Rotkäppchen drehte sich erschrocken um. War der Parkwächter in Sicht? „Ach, der wird schon nicht kommen. Und wenn, dem wieseln wir schon davon“, beruhigte Großmutter, band dann aber doch vorsorglich ihr Kopftuch ab und legte es über die Rosen. Spähte auch schon nach dem nächsten Beet. Fing wieder lauthals zu singen an, entdeckte ein alte Dame auf einer Bank. „Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?“ fragte Großmutter und lächelte die Dame an. „Aber bitte.“
Großmutter streckte die Beine lang und schlüpfte aus ihren Schuhen. „Ah, das tut gut. Die sind immer so eingesperrt“, seufzte sie und schaute auf ihre Füße. Die Dame rückte etwas ab und nestelte an ihrem Hut. Großmutter ordnete die Rosen in ihrem Schoß, wickelte sie gut ins Tuch, zog dann wieder ihre Schuhe an und sagte zu Rotkäppchen: „Wer rastet, der rostet.“ Und schon war sie aufgestanden.
Nun wurde es Rotkäppchen aber doch zu mulmig, und sie fragte Großmutter, ob sie nicht mal die neue Blume in ihrem Zimmer sehen wolle. „Ach ja, ich war schon so lange nicht bei dir. Da gibt´s ja so viel zu sehen“, freute sich Großmutter und kam auch gleich mit zum Auto.
Sie wurschtelte wieder im Handschuhfach und besah alles ganz genau. „Na, die war ja ganz verbiestert“, kicherte Großmutter dann, „die mit ihrem neumodischen Hut.“ Rotkäppchen musste grinsen, fuhr los und kurvte und kurvte.
Im Hausflur trafen sie auf den bösen Wolf, der grad seine Wohnungstür aufschloss. „Guten Tag“, sagte Großmutter fröhlich, ging dann auf ihn zu und zog die Rosen unter ihrem Kopftuch hervor, hielt sie dem bösen Wolf unter die Nase. „Das riecht fein, nicht?“ Der böse Wolf guckte verdutzt, und Großmutter meinte dann energisch: „Die sind für Sie. Ein bisschen Freude muss der Mensch doch haben.“ Der böse Wolf lächelte schief, nahm dann aber doch die Rosen an, schnupperte. „Ja, die riechen wirklich gut.“ Er machte seine Tür auf und wollte samt Rosen verschwinden.
Aber Großmutter fragte: „Darf man mal reinkommen?“