Ich darf das, ich bin Jude - Oliver Polak - E-Book

Ich darf das, ich bin Jude E-Book

Oliver Polak

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Beschreibung

Mein Name ist Oliver Polak, ich bin dreißig Jahre alt – und ich bin Jude. Sie müssen trotzdem nur lachen, wenn es Ihnen gefällt.Aufgewachsen in der einzigen jüdischen Familie in Papenburg im Emsland, ist Oliver Polak nichts Komisches fremd. Jetzt ist er dreißig und blickt zum ersten Mal zurück: auf seine Jugend als Generation Eins nach der Stunde Null – irgendwo zwischen Thora und VIVA. Es geht um die beiden Freistunden während des Religionsunterrichts, die er mit den »beiden anderen Losern« (ein Moslem, ein Zeuge Jehovas) verbringt, um die gestrenge jüdische Lehre seiner herrischen Mutter und die daraus folgende Psychotherapie, seine doppelte Beschneidung, seine Jahre in einem orthodoxen jüdischen Internat in England, seinen überstandenen Hodentumor und darum, dass Juden und Jamaikaner eigentlich dasselbe sind.Oliver Polak erklärt, was er mit dem Papst und Alf gemeinsam hat, warum der Papenburger der Lachs unter den Emsländern ist, und ärgert sich, dass Hitler ausgerechnet nach Osnabrück keine Autobahn gebaut hat. Manchmal geht er dabei ein bisschen zu weit. Aber: Er darf das – er ist Jude!Der Autor hat übrigens eine Bitte: Lesen Sie dieses Buch nicht aus schlechtem Gewissen oder politischer Korrektheit. Kaufen Sie sich für diesen Zweck lieber ein zweites Exemplar.Darf man über so etwas lachen? Man muss! Denn Oliver Polak erzählt mit so viel Charme und Chuzpe von seinen ersten dreißig Jahren, dass man erfreut verkünden darf: Der jüdische Humor ist zurück in Deutschland.

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Seitenzahl: 210

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Oliver Polak / Jens Oliver Haas

Ich darf das, ich bin Jude

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Oliver Polak / Jens Oliver Haas

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Vorwort

Mein Konfessions-Los

Mama

Beschnitten oder am Stück?

Papa

Papenburg

1:0 für den Chanukka-Mann

Ich, Alf und die anderen TV-Juden

Elterliche Anziehungskraft

S-Klasse

Holsten Pilsener

Manege frei

Türken rein, Nazis raus

Kreiswehrersatzamt Meppen – oder: wie mein Vater mich gegen mein Vaterland verteidigte

Der Israeli verfolgt mich!

Hundert Prozent nix los

Jewish Man in England

Motorpsycho

Viva Colonia

Schmock around the clock

Ich hab noch einen Hoden in Berlin

Schindlers Lifte

Wie wär’s denn mal mit uns?

Team Telekom

Steffi

Der Zentralrat der Juden und so weiter …

Die 500-Euro-Frage

Ich kann nichts dafür!

Nachwort

Hinweis

Inhaltsverzeichnis

Für Wilhelm, Inna und Ilse

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Sie verzeihen, daß ich mich kurz vorstelle: Mein Name ist Oliver Polak, ich komme aus dem Emsland … und ich bin Jude. Sie müssen trotzdem nur amüsiert sein, wenn es Ihnen wirklich gefällt.

Bitte lesen Sie dieses Buch nicht aus schlechtem Gewissen oder politischer Korrektheit. Das wäre mir nicht recht. Kaufen Sie sich für diesen Zweck lieber ein zweites Exemplar. Das wäre in Ordnung.

Lassen Sie uns ganz unverkrampft miteinander umgehen. Ich meine: Wie lange ist diese dumme Geschichte jetzt her? Über 60 Jahre, oder? Treffen wir doch für die Dauer der Lektüre folgende Vereinbarung: Ich vergesse die Sache mit dem Holocaust – und Sie verzeihen uns Michel Friedman.

Fein! Dann können wir ja noch mal ganz von vorne anfangen. Also … ich bin Jude. Das ist eine sehr generelle Bezeichnung für einen Glauben, ein Volk oder eine Kultur. Was es nicht bedeutet, ist eine Nationalität. Bitte verwechseln Sie »Jude sein« nicht mit »Israeli sein«. Schließlich wohnt ja auch nicht jeder Katholik automatisch in Bayern. Wobei das ein interessanter Gedanke wäre. Oder, noch besser: Jede Stadt bekommt ein rein katholisches Viertel. Dann noch ein schöner Zaun … ach, nee, hatten wir schon …

Jude und Christ … das sind nur sehr grobe Begriffe für die Bandbreite an Abstufungen, die sie bieten. »Christ« … das geht vom geisteskranken, aber getauften Massenmörder ohne jegliche soziale Kompetenz bis hin zum Papst. Und »Jude« … das geht vom aschkenasischen Großrabbiner Israels bis … tja, bis runter zu mir. Meine letzte Synagoge habe ich vor Jahren von innen gesehen, und der Talmud ist für mich so transparent wie Windows Vista. Ich weiß ja nicht mal, warum bei einem Gottesdienst mindestens zehn Männer anwesend sein müssen. Elf wären doch viel logischer – damit man direkt hinterher ein Fußballmatch gegen die Katholiken spielen kann. Was man natürlich am Schabbat wieder nicht darf, weil da jegliche Anstrengung und Arbeit verboten ist. Aber das ist auch eines der wenigen Dinge, die ich über meine Religion genau weiß.

Aber wichtiger als diese technischen Glaubensbekenntnisse ist meine Gefühlslage. Als was fühle ich mich? Und da muß ich zugeben: Würde man mir die Optionen »Jude«, »Deutscher« oder »Komiker« anbieten, ich würde wohl den »Komiker« ankreuzen.

Was wahrscheinlich eine sehr jüdische Entscheidung ist.

Inhaltsverzeichnis

Mein Konfessions-Los

Als ich drei Jahre alt war, beschloß das Schicksal, daß es Zeit ist, mich langsam an die Probleme meiner kulturellen Zwitterposition heranzuführen. Ich fand mich also plötzlich im katholischen Kindergarten in der Wichernstraße wieder. Eine interessante Kombination: ein jüdisches Kleinkind in einem katholischen Kindergarten, der in einer Straße liegt, die nach einem evangelischen Theologen benannt wurde!

Wenn also irgendwann mal jemand nach der Gemeinsamkeit der biblischen Religionen suchen sollte: Das bin ich! Auf jeden Fall ist es eine Information, die in meiner Vita einen prominenten Platz hat. Sollte es bei den westlichen Religionen irgendwann zur Wiedervereinigung kommen, bin ich der perfekte Kandidat für einen Posten ganz oben. Zumal ich neulich gelesen habe, daß der Papst keinen Arbeitsvertrag hat und tatsächlich kein Gehalt bekommt. Perfekt! Das sind zwei Dinge, mit denen kaum jemand mehr Erfahrung hat als ich. Es ist ja nicht so, daß ich außer dem Hang zur Komik keine Begabungen hätte. Ich habe viele – ich bin nur noch auf der Suche danach. Und zwar im Ausschlußverfahren! Exakt acht berufliche Begabungen kann ich nämlich schon von der Liste der potentiellen Meilensteine auf dem Weg zur ersten Million streichen – was sich exakt mit der Anzahl an Dingen deckt, mit denen ich schon versucht habe, mein Geld zu verdienen.

Ich überlege immer, wann mir bewußt geworden ist, daß ich anders bin als die anderen Kinder. Ich glaube, das war bei der Einschulung in die katholische Grundschule in Papenburg. Wo ich natürlich als Jude vom Religionsunterricht befreit war. Juchhu! Zwei Freistunden pro Woche!

Ja, aber was nutzt das, wenn man die alleine absitzen muß?

Also hockte ich alleine auf dem Flur, zählte vor Langeweile die Jacken auf den Kleiderhaken (was im Winter etwas sinnvoller war als im Sommer) und wünschte mir sehnsüchtig einen zweiten religiösen Außenseiter. Nur bitte keine Zeugen Jehovas – die wollen nämlich immer nur über Jesus reden. Als würde ich den nicht kennen. Hallo!? Den haben wir umgebracht!

Was ich persönlich übrigens im nachhinein nicht korrekt finde – weil Jesus schon ein lässiger Typ war. Ich habe zum Beispiel gelesen, daß er einem Blinden das Augenlicht zurückgegeben hat. Finde ich toll! Noch besser hätte ich es allerdings gefunden, wenn er es ihm erst gar nicht weggenommen hätte.

Und dann konnte er noch Wasser in Wein verwandeln! Respekt! Wenn ich das könnte, wäre ich mit 33 nicht Messias, sondern Alkoholiker!

Aber bis dahin bleiben mir ja noch ein paar Jahre. Vielleicht bekomme ich das sogar alleine hin.

Inhaltsverzeichnis

Mama

Eine fehlende Vorhaut macht dich noch nicht zum Juden. Du könntest damit auch Moslem sein. Oder eine Phimose gehabt haben. Also diese angeborene Verengung, bei der man die Vorhaut so knapp trägt wie Mariah Carey ihre Röcke.

Wann ist man nun Jude? Wenn man Isaak Papierkragen oder Schlomo Goldkugel heißt? Wenn man ein schlechtes Gewissen hat, weil ein Neonazi behauptet, durch die KZ-Schornsteine wären die Juden mit schuld an der Erderwärmung?

Nein! Man ist Jude, wenn die Mutter Jüdin ist. Meine Mutter ist Jüdin. Und zwar so was von! Wie soll ich erklären, was es bedeutet, Sohn einer jüdischen Mutter zu sein? Vielleicht so: Ich habe mal gehört, daß der christliche Gott alles weiß, alles sieht und irgendwie immer da ist. Wenn das stimmt, dann ist er bei meiner Mutter in die Lehre gegangen.

Meine Mutter war immer da. Als Säugling findet man das auch noch völlig okay. Man kennt es ja nicht anders und sieht es auch bei allen Altersgenossen so. Aber spätestens im Kindergarten fängt es dann an zu nerven. Mir wurde bewußt, daß meine Mutter sich von anderen Müttern unterscheidet, als sie mich wie alle anderen Mamis in den Kindergarten brachte … dann aber blieb.

Ich ging davon aus, daß das spätestens mit der Pubertät nachlassen würde. Aber Pustekuchen! Meine Mutter hat sogar versucht, mit 42 noch mal das Abitur zu machen. Nur damit sie in der Schule neben mir sitzen konnte. Und als ich mit meiner Freundin zum ersten Mal alleine in den Urlaub fahren wollte, sagte sie:

»Oliver, das kannst du machen, wenn du 18 bist!«

»Mama, bitte! Ich bin 21!«

»Tja, mein Sohn, dann hast du deine Chance wohl verpaßt!«

Die jüdische Mutter kann man am besten so beschreiben: Sie kauft dir einen grünen Pullover und einen roten. Am nächsten Morgen kommst du die Treppe herunter, trägst den roten, und sie fragt dich direkt, ob dir der grüne nicht gefällt. Als Kind weiß man noch nicht, daß es dafür einen Fachbegriff gibt: Bindung durch Schuldbewußtsein.

Es dauerte lange, bis ich dieses Prinzip verstand. Und zwar durch eine Flasche Parfum für unglaubliche 89,90 Mark, die ich ihr mit 20 zum Geburtstag geschenkt hatte. Es war der Versuch, mich mit mühsam erspartem Geld von meinem ewig schlechten Gewissen freizukaufen. Aber mit solchen billigen und durchschaubaren Methoden kommt man meiner Mutter nicht bei. Sie bedankte sich herzlich – was bei ihr heißt, daß sie nicht nach mir schlug –, aber die nächsten fünf Jahre stand die Flasche unangetastet auf ihrer Kommode. Ein Mahnmal für meinen schlechten Geschmack und mein Unvermögen, ihr etwas zu schenken, das sie mochte. Jedes Geschenk, das ich ihr danach gemacht habe, wurde nach dem Auspacken erst mal auf die Kommode gestellt – neben die immer noch volle Flasche Parfum.

Mit 24 erwischte ich meine kleine Schwester dann beim Rauchen. Damit ich den Mund hielt, verriet mir meine Schwester ein Geheimnis: Meine Mutter hatte das Parfum am Tag nach ihrem Geburtstag in einen anderen Zerstäuber umgefüllt und schon lange aufgebraucht. In der Originalflasche war seit fünf Jahren nur Wasser.

Die zweite Spezialität meiner Mutter war und ist, mich vor anderen Leuten bloßzustellen und komplett zu entmündigen. Das fing mit meiner Geburt an, und ich bin mir sicher, sie wird einen Weg finden, diese Tradition über ihren Tod hinaus fortzuführen. Ich habe schon heute Angst vor ihrem Testament. Punkt eins wird wahrscheinlich sein, daß ich bei ihrer Beisetzung den grünen Pullover tragen muß. Sie denkt nämlich bis heute, daß ich den roten lieber mag.

Ich war in Papenburg das einzige Kind, das mit vier Jahren noch im Kinderwagen spazierengefahren wurde. Natürlich konnte ich schon prima laufen – aber das hinderte meine Mutter nicht daran, mich weiterhin wie einen Schwerstbehinderten durch die Stadt zu karren. Der Grund war natürlich, daß sie sich so nicht meinem Tempo anpassen mußte – außerdem war es für sie praktisch, weil sie die Einkäufe immer mit in meinen Wagen stellen konnte. Mobile Einkaufstaschen, auch abschätzig »Hakken-Porsche« genannt, waren ihr zu peinlich. Ob meine Kinderseele darunter litt, wie ein fußloser Molch herumgeschoben zu werden, war ihr egal. Abgesehen davon war es demütigend, zwischen Klopapier, Dosentomaten und Damenbinden zu sitzen. Ich wollte ja laufen! Aber es ist schwer, sich als Vierjähriger gegen meine Mutter durchzusetzen. Das schaffe ich nicht mal heute!

Da meine Eltern beide im Geschäft tätig waren, wurde ich öfter weggegeben, mal zu unserer Putzfrau nach Aschendorf (damals durfte man noch »Putzfrau« sagen, »Negerkuß« auch), mal zu meinem besten Freund Hannes nach Hause, oder ich spielte allein in unserer Wohnung mit Lego. Wenn man viel alleine zu Hause ist und nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die man braucht, fängt man entweder an, Sachen zu zerstören, oder man drängt sich einfach in den Mittelpunkt und versucht, Leute zu unterhalten – ob sie unterhalten werden wollen oder nicht.

Ich persönlich habe mich für die zweite Möglichkeit entschieden.

Die Oliver-Polak-Show hatte in der ersten Klasse der Grundschule Premiere. Die Kritiken waren auch durchweg positiv. Im ersten Zeugnis stand:

»Oliver ist mit Interesse bei allen Fächern dabei. Seine Einfälle sind oft unterrichtserheiternd und belebend.«

Das spornte mich natürlich an, und ich begann, mich zu spezialisieren, mich nur noch auf meine Kernbegabungen zu konzentrieren. Diese Bemühungen wurden erkannt und respektiert. Im zweiten Zeugnis hieß es schon:

»Oliver ist häufig nicht in der Lage, sich im Unterricht zu konzentrieren. Er lenkt seine Mitschüler oft ab und arbeitet dann auch nur sehr flüchtig.«

Etwas negativ formuliert, aber durchaus zutreffend, genau wie die Schlußfolgerung, die meine Lehrer aus der vielumjubelten 85er Grundschultournee zogen:

»Oliver hat die Bedeutung von Schule und schulischer Leistung noch immer nicht erfaßt.«

Nur meine Mutter machte sich Sorgen und spähte einen Kinderpsychologen in Oldenburg aus. Mir erzählte sie, daß wir zum Einkaufen fahren, aber als wir in Oldenburg ankamen, hielten wir nicht wie gewohnt bei der Fußgängerzone, sondern auf dem Parkplatz einer Arztpraxis.

Ich wurde an eine Maschine angeschlossen, meine Hände, meine Beine, meine Füße und vor allem mein Kopf. Ich hatte ungefähr hundert Strippen an meinem Körper und fragte mich, ob mein Vater überhaupt wußte, wo ich gerade war und daß Menschenversuche an mir durchgeführt wurden. Ich schaute zu der Zeit im ZDF die Serie »Patrik Pacard«, in der dem Titelhelden heimlich ein Chip eingesetzt worden war und er daraufhin von Gangstern gejagt wurde.

Vielleicht wollte meine Mutter mir auch so etwas einpflanzen lassen: einen Chip, mit dem sie mich steuern und kontrollieren konnte! Sie stammte schließlich aus St. Petersburg und konnte durchaus eine ehemalige KGB-Mitarbeiterin sein – oder sie arbeitete von Papenburg aus dem israelischen Geheimdienst Mossad zu. Ich war in den Fängen der jüdisch-russisch-israelischen Mütter-Mafia! Aber wenn mich das zum ZDF bringen sollte, war es mir egal.

Doch irgendwie brachte der Test keine Ergebnisse, ich bekam keinen Chip und das ZDF keinen Oliver Polak. Und meine Zeugnisse strotzten weiter vor Schlagworten wie »Klassenclown«, »Störfaktor« und »Aufmerksamkeitsdefizit«.

Es mußte also ein anderer Schuldiger gefunden werden. Und das war meine Klassenlehrerin, die öfter krank war. Meine Mutter hatte die Theorie, daß sie uns wegen ihrer häufigen Abwesenheit nicht gut genug unterrichten und beaufsichtigen konnte. In einem Moment war Frau Kämper noch eine Verbündete im Kampf gegen meine Bildungsresistenz – im nächsten Moment war sie Staatsfeind Nummer eins. Meine Mutter beschwerte sich beim Schuldirektor, setzte ein Schreiben an das Schulamt auf und sammelte Unterschriften, damit wir eine neue Klassenlehrerin bekämen. Ich weiß nicht, was sie sonst noch getan hat – vielleicht möchte ich es auch nicht wissen –, aber drei Monate später wurde Frau Kämper versetzt, und wir bekamen eine neue Klassenlehrerin.

Schade, ich mochte Frau Kämper sehr gern, denn sie war nicht so streng wie meine Mutter.

Das war für die Papenburger neu, daß die KGB-Techniken der psychologischen Kriegsführung eingesetzt wurden, um Pädagogen zu entmachten und zu versetzen. Ab diesem Moment kannte jeder Lehrer meine Mutter, und sie war auch nicht sonderlich beliebt. Dafür war sie gefürchtet, was ihr persönlich auch viel wichtiger war. Was sie sogar sehr genoß! Wenn ich irgendwo hinkam, hieß es nicht mehr:

»Schau mal, da kommt Oliver Polak!«

Nein, es hieß: »Schau mal, da kommt der Dings mit seiner Mutter!«

Denn sie kam immer mit, ob ich wollte oder nicht. Sie brachte mich hin, sie holte mich ab, neue Freunde wurden von ihr ausrecherchiert wie die Kommune 1 vom Verfassungsschutz. Andere Eltern wollten vielleicht mal wissen, was die Familie der Freunde beruflich machte – meine Mutter verlangte eine Art jüdischen Arier-Nachweis. Nur ausführlicher.

Aber sie tat das natürlich alles nur für mich – um mich auf das Leben vorzubereiten, das ich mir schon immer gewünscht hatte. Also das, das sie für mich vorgesehen hatte. Und dafür hatte sie drei strikte Verhaltensmaßregeln aufgestellt.

 

1. Du mußt ein jüdisches Mädchen heiraten

… aber die mußt du in Papenburg erst mal finden! Die einzige Jüdin in weitem Umkreis war meine Mutter – und die Beziehung war mir so schon eng genug. Also blieben mir nur heimliche Dates mit emsländischen Mädels vom Land. Und da hatte mich meine Mutter genau in die Ecke gedrückt, aus der ihren Zukunftsplänen keine Gefahr drohte. Emsländische Landschönheiten sind drall und fruchtbar, wie das Vieh, das sie hüten.

 

2. Du mußt Papenburg nach der Schule verlassen und in eine Großstadt ziehen.

… einer der wenigen Wünsche, die ich mit meiner Mutter teilen konnte. Sie kam aus der Weltmetropole St. Petersburg, und wenn sie dort im Urlaub war und nach Papenburg zurückkam, war es für sie so, als wenn man in einen Sarg zurückkehrte und den Deckel zumachte. Wir waren uns also einig, daß ich so schnell wie möglich wegmußte – nur über das »Wie« herrschte Uneinigkeit. Meine Mutter setzte auf Abitur mit anschließendem Studium, ich dagegen wollte Musiker, Clown oder Komiker werden – aber diese Ausbildungswege wurden vom Arbeitsamt Papenburg noch nicht angeboten.

 

3. Entweder du gehst aufs Gymnasium, oder du machst eine Ausbildung als Schweißer bei der Meyer Werft!

… gut, ich wollte ja auch aufs Gymnasium. Das Problem war nur, daß das niedersächsische Schulsystem vorsah, daß nicht die Mütter, sondern die Lehrkräfte festlegten, wer eine höhere Schule besuchte. Dazu gab es nach der sechsten Klasse ein Empfehlungsschreiben des Klassenlehrers, der die geeignete Schulform vorschlug. Darüber konnte man sich erst mal hinwegsetzen, wenn man aber die siebte Klasse nicht überstand, mußte man dieser Empfehlung folgen. Und genau damit begann mein Problem.

 

Mein damaliger Klassenleiter hieß Herr Diettrich, war zwei Meter groß, 120 Kilo schwer … und hielt so gar nichts von meinen akademischen Plänen. Vielleicht war er aber auch nur neidisch, weil meine Witze bei den emsländischen Mädels besser ankamen. Mit seinem Empfehlungsschreiben hätte ich jedenfalls nicht mal bei einer Delphinschule als Schwimmhilfe anfangen können. Er bezeichnete mich als »Härtefall«, diagnostizierte eine »beunruhigende Verhaltensauffälligkeit« und beendete sein grausames Plädoyer mit dem aufmunternden Satz:

»Es ist zu befürchten, daß Oliver nur mit viel Glück und Arbeit zu dem Schulabschluß auf der Hauptschule kommt.«

Die Wörter »und Arbeit« waren sogar nachträglich noch von Hand durchgestrichen worden.

Mit diesem Schreiben löste Herr Diettrich mit sofortiger Wirkung Frau Kämper von ihrem Posten als Staatsfeind Nummer eins ab. Als ich meiner Mutter das Zeugnis zum Lesen gab, bekam sie diesen speziellen Gesichtsausdruck, diese schmalen Lippen und diesen starren Blick, den ich zuletzt gesehen hatte, als ich ihr mit acht Jahren verkündete, daß ich nicht Geige spielen lernen würde. Ich spielte dann tatsächlich auch nur acht Jahre.

Ich weiß nicht genau, was aus Herrn Diettrich geworden ist, aber ich habe ihn, glaube ich, neulich vor Kaufhof in Berlin getroffen. Ich denke jedenfalls, daß er es war. Ich wüßte sonst nicht, warum mir ein zwei Meter großer Bettler meine 20 Cent nachwerfen sollte.

Das schlimmste an der Beurteilung von Herrn Diettrich war aber nicht mal die Wortwahl, sondern die Tatsache, daß er im Grunde gar nicht mal so falschlag.

Meine Mutter überlegte damals kurz zwei Alternativen für mich. Eigentlich wollte sie mit Hilfe der St. Petersburger Mafia niedersächsische Ministerpräsidentin werden und das Schulsystem in ein finanziell ausgerichtetes Modell umstellen, in dem sie mir von ihrem Gehalt als Landesmutter locker das Abitur bezahlen könnte. Sie ging dann aber doch nicht den einfachen Weg, sondern schickte mich auf ein christliches Internat in England. Dort sollte ich mich ein halbes Jahr profilieren und von unvoreingenommenen Lehrkräften, die meine wahren Qualifikationen erkennen konnten, eine Empfehlung für das Gymnasium ausgesprochen bekommen.

Natürlich war das doch der Versuch, sich die Zulassung zu kaufen – wer kann es sich schon leisten, seinen Sohn auf eine Privatschule im Ausland zu schicken?

Der Fehler war nur, es in England zu versuchen. Vielleicht hätten sich Franzosen, Österreicher oder Russen tatsächlich durch die finanziellen Zuwendungen meiner Eltern von meinen tatsächlichen Leistungen ablenken lassen. Das britische Elite-System nicht. Na ja … zumindest ließen sie sich auf einen Kompromiß ein und sprachen die Empfehlung für die Realschule aus.

In meinem gewohnten Optimismus betrachtete ich diesen Teilerfolg als großen Sieg und kehrte mit stolz erhobenem Kopf nach Papenburg zurück. Dort allerdings brauchte meine Mutter keine zehn Minuten, um mich wieder auf meinen angestammten Platz im Familienverbund einzugliedern: als der vom Schuldbewußtsein zerfressene Versager.

Manchmal weiß ich nicht, ob nicht die größte Enttäuschung für meine Mutter gewesen wäre, wenn ich es tatsächlich aufs Gymnasium geschafft hätte. So aber blieb ihr Weltbild weiter stimmig, und sie konnte die nächste Klippe vor mir aufbauen, an der ich zerschellen und als Wrack wieder in den heimischen Hafen gespült werden konnte: Über einen qualifizierten Realschulabschluß sollte ich nach der 10. Klasse doch noch den Weg aufs Gymnasium schaffen. Was heißt »ich« – natürlich waren es »wir«! Die Polak-Zwillinge aus Papenburg. Der jüdische Loser mit dem Hundeblick und seine russische Mutter mit dem Charme eines aus allen Rohren feuernden Panzerkreuzers.

Nur der Vollständigkeit halber: Auch dieser geniale Plan scheiterte natürlich an einer Kleinigkeit, die meine Mutter nicht bedacht hatte: an mir!

Inhaltsverzeichnis

Beschnitten oder am Stück?

Wir Juden … wir sind so ein bißchen die Jamaikaner Europas. Ja, wirklich! Deshalb habe ich auch nie verstanden, warum Jamaikaner cool sind und wir Juden so ein langweiliges Image haben: Diese komischen Zöpfchen – die findet man bei uns auch. Bei uns heißen sie Gebetslocken. Musikalisch sind wir den Karibik-Kiffern sowieso weit voraus. Ich sage nur: »Hawa, nagila hawa« oder »Hewenu shalom alechem« – das sind unvergessene Gassenhauser, die jeder mitsummen kann. Wo dagegen sind die jamaikanischen Volkslieder?

Natürlich fällt in solchen Diskussionen immer der Name Bob Marley. Aber ganz im Ernst: Das ist doch keine Volksmusik! Das ist jamaikanischer Schlager.

Und auf diesem Gebiet müssen wir die karibische Konkurrenz schon mal überhaupt nicht fürchten: Wer hat schon viermal den Grand Prix d’ Eurovision de la Chanson gewonnen? Richtig: die deutschen Juden. Einmal mit Nicole und dreimal mit Israel – Jamaika hat sich nicht mal qualifiziert!

Ende der Neunziger haben die Jungs aus Israel sogar einen Transvestiten hingeschickt: »Dana International«! Das ist cool!

Und was diesen lässigen Umgang von Jamaikanern mit Drogen betrifft, da wiederhole ich mich gerne und sage nur: Michel Friedman! Oder Amy Winehouse! Die beiden haben alleine das Bruttosozialprodukt von Kolumbien verdoppelt.

Aber wenn wir schon dabei sind, machen wir doch direkt mit den restlichen Vorurteilen weiter: Ja, Juden sind beschnitten. Das hat angeblich hygienische Gründe. Das mag auch sein – aber das betrifft nicht die Beschneidung an sich.

Man stellt sich das vielleicht so vor: Steriler OP, vier bildhübsche Lernschwestern, medizinisches Equipment für 14 Millionen Euro, Vollnarkose, Beatmungsgerät, der Chirurg hat 28 Semester an der Charité und der medizinischen Hochschule in Tel Aviv studiert, im Nebenraum stehen ein Hirnchirurg und drei Urologen für alle Notfälle bereit, Defibrillator und eiserne Lunge laufen warm, die Realtime-Internet-Verbindung zum Zentralrat der Juden in Deutschland steht!

Ja, schön wär’s gewesen. Bei mir hat es der Beschneider nach dem Gottesdienst mit der Papierschere gemacht!

Ich muß fairerweise dazu sagen, daß vorher und hinterher mit Wein gespült wurde. Eine Zeitlang gab es wohl auch mal medizinischen Alkohol – aber davon bekam unser Rabbiner immer Sodbrennen.

Was weiß man noch über Juden? Richtig: Wir dürfen kein Schweinefleisch essen. Aber wir Juden sind nicht nur sehr gläubig, sondern auch sehr erfinderisch: Ich habe es mir zum Beispiel angewöhnt, beim Metzger immer auf die Pute zu zeigen, wenn ich bestelle. Worauf der Metzger immer sagt:

»Das ist keine Pute, das ist Schwein!«

Christen sind schon ein komisches Völkchen. Mir doch egal, wie er seine Pute nennt.

Als ich noch bei meinen Eltern wohnte, wurden die Ernährungsrichtlinien allerdings peinlich genau beachtet. Deshalb gab es bei uns zu Hause immer nur Rinderwürstchen. Ich kann mich noch genau erinnern … das war so eine blaue Dose mit weißem Etikett. Dörffler-Würstchen hießen sie. Die gab es bei uns jahrelang. Meine Mutter sagte immer wieder, »Oliver, du sollst kein Schweinefleisch essen – nimm dir noch ein Dörffler-Würstchen!«.

Bis ich irgendwann mal das Etikett genau gelesen habe. Zutaten: Rindfleisch, Emulatoren, Konservierungsstoffe … und dann, drei Zeilen weiter ganz klein: Schweinefleisch.

Da gab es natürlich ein großes Gejammer, Krisensitzung, die ganze Familie ab zum Rabbiner und dann eine endlose Diskussion, wie man das wieder bereinigen kann.

Bei den Christen ist das einfach: Im schlimmsten Fall nimmt man an einem Kreuzzug teil und schlachtet ein paar Muselmanen ab. Aber wir Juden dürfen nicht auf Kreuzzüge, wir Juden dürfen überhaupt nie mit, wenn es lustig wird. Zum Beispiel katholisches Pfadfinderlager und Meßdiener-Freizeiten – immer ohne uns!

Gut … dafür gibt es auch relativ wenig schwule Juden.

Aber zurück zu unserem Dörffler-Würstchen-Fiasko: Was macht eine brave, fromme, jüdische Familie, die zwölf Jahre lang Schweinefleisch gegessen hat?

Meine Mutter und der Rabbiner haben sich darauf geeinigt, daß ich noch mal beschnitten werde. Einziger Kompromiß: Meine Mutter legt fest, wo, ich darf bestimmen, wann.

Und ich befürchte, aus der Nummer komme ich nicht mehr raus.

Inhaltsverzeichnis

Papa

Ich habe über 25 Jahre gebraucht, um meinen Vater zu verstehen. Zum Beispiel seine Hygieneneurosen: Er bestellt jedes Essen »ohne Petersilie«. Sogar Nachtisch. Weil Petersilie von Hand auf den Teller gelegt wird. Da kann man noch so oft diskutieren und erklären, daß die restlichen Zutaten bestimmt auch nicht mit dem Chirurgenhandschuh angefaßt werden. Er stellt sich das so vor, daß Essen gebraten, gegrillt oder gekocht wird, die Petersilie aber zum Schluß roh und von Hand gezupft und auf seinem klinisch reinen Essen plaziert wird wie ein Mäuseköttel auf einem OP-Tisch.

Deshalb hatte er auch früher immer einen Autoschlüssel in der rechten Hand, damit er den Leuten beim Begrüßen nur einen Finger geben mußte. Ich glaube, er hat überhaupt nur deshalb den Führerschein gemacht. Daher zeichnete sich ein großes Fiasko ab, als meine Mutter ihn zwang, seinen Führerschein zurückzugeben. Und das war nicht mal aus dem klassischen Kontrollwahn einer jüdischen Ehefrau heraus, sie war es nur leid, anhand der Anrufe zuordnen zu können, wo er gerade mit dem Auto war: »Guten Tag Frau Polak, es tut mir leid, Sie schon wieder damit zu belästigen – aber Ihr Mann ist mir gerade beim Ausparken vor Lidl an die Tür geschrammt … ja, ich konnte ihn genau erkennen, ich war so nah dran, daß er mir über den Fuß gefahren ist, nein, diesmal auf der rechten Seite … die linke haben wir vorgestern machen lassen.«

Bevor uns seine Versicherung kündigen konnte, haben wir uns auf einen Kompromiß geeinigt: Papa gibt das Autofahren auf und darf dafür immer den Hausschlüssel nehmen.

Seine Hygieneneurose hat noch mehr Facetten: Er hat immer kleine Sagrotantücher in Einmalpackungen dabei. Manchmal kann ich, wie bei Hänsel und Gretel mit den Brotkrumen, seine Wege in Papenburg an den leeren Sagrotanhüllen nachvollziehen.