Invasion - Sascha Raubal - E-Book

Invasion E-Book

Sascha Raubal

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die mörderische Fahrt übers Meer ist überstanden, und die Freunde machen sich auf, Städte wie auch Clans vor dem Angriff Tirus zu warnen. Doch schnell müssen sie erkennen, dass es sowohl für Kuvunja als auch für Sawan bereits zu spät ist. Beide Städte sind fest in der Hand des Erhabenen. Die Bewohner erleiden Schreckliches: Frauen sind Freiwild, und Männer werden ins Heer gezwungen, um die weiteren Städte zu erobern. Jeglicher Widerstand wird mit brutaler Gewalt gebrochen. Die Zeit wird immer knapper. Während Loris mit einem Teil der Gruppe nach Or zieht, machen sich MIkail und der Rest auf den Weg nach Wolnosch. Nur mit der Unterstützung der Freien können sie noch auf einen Sieg hoffen. Doch diese Hoffnung, müssen sie feststellen, steht auf tönernen Füßen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 295

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sascha Raubal

Die Abartigen 11 – Invasion

In dieser Serie bereits erschienen:

Band 1 – Karawane nach Cood

Band 2 – Der Prozess

Band 3 – Die Freien

Band 4 – Kampf um Or

Band 5 – Flüchtlinge

Band 6 – Neuland

Band 7 – Die Stimme Gottes

Band 8 – Waldland in Flammen

Band 9 – Donnerechsen

Band 10 – Todesklippen

Inhaltswarnung:

Ein weiteres Mal zeigen Tiru und seine Krieger, dass sie vor nichts zurückschrecken. Wie immer gehe ich nicht in Details, aber schön ist es trotzdem nicht. Es werden Vergewaltigungen angesprochen, und tote Kinder kommen vor.

Sascha Raubal

DIE ABARTIGEN

BAND 11

INVASION

Fantasy

Die Abartigen 11 – Invasion

1. Auflage 2025

© 2025 Sascha Raubal

Escherstr. 21, 82390 Eberfing

eMail: [email protected]

ISBN: 978-3-384-53171-1

Covergestaltung und Innenteilillustrationen:

Markus Gerwinski (http://www.markus.gerwinski.de)

Druck und Distribution im Auftrag :

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Bibliografische Information der Deutschen

Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Danke

Der Autor

Das größte Verbrechen

Leseprobe Band 12

1

Eine Woche waren sie nun schon unterwegs, jeden Tag Stunden auf den Pferden. Selbst Damir, Mette und Tonio, die im Reiten kaum geübt waren, hatten sich bereits auf dem Weg von Tasik-Hutan in den Süden daran gewöhnt und saßen inzwischen ganz entspannt in den leichten, dünnen Sätteln der Freien.

Vorneweg ritten die drei aus Felors Clan, der Mikail und seine Freunde im letzten Moment von dem Felsen gerettet hatte. Mit Schaudern dachte er immer noch daran, wie Ludovik in den Trümmern seines Bootes von der Strömung hinaus aus Meer gezogen worden war. Der Fischer hatte sein Leben gegeben, um die Fremden auf die andere Seite der Großen Wand zu bringen, die das Waldland vom Land der Städter und der Freien trennte. Noch heute stand Mikail das Bild des Mannes vor Augen, dem Tod geweiht und trotzdem ein glückliches Lächeln im Gesicht. Er hatte sich gewünscht, draußen auf dem Ozean den Tod zu finden. Im Leben hatte er keinen Sinn mehr gesehen, nachdem seine Tochter von Tiru beim Großen Opfer ermordet worden war.

Mit letzter Kraft hatten sie es zu dieser Lücke zwischen den zwei hoch aus dem Wasser ragenden Felsen geschafft und den einen davon erklommen, bevor das Gefährt endgültig auseinandergebrochen und mit seinem Besitzer davongetrieben und gesunken war. Doch dort oben hatten sie ohne Nahrung und vor allem ohne Trinkwasser festgesessen, Jekarina am Rande des Todes. Eine scharfe Felskante hatte ihr den Unterschenkel auf ganzer Länge tief aufgerissen, sie hatte viel Blut verloren und nichts, womit ihr Körper den Verlust hätte ersetzen können. Die beiden Schnellen der Gruppe, Mette und Kossula, waren losgelaufen, Hilfe zu holen. Zum Glück hatte zufällig noch ein Clan am Meer gelagert. Ohne ihn hätten sie alle ihr Leben auf dem Felsen ausgehaucht.

Jekarina war schnell genesen und fühlte sich so stark und unbesiegbar wie eh und je. Sie stieg regelmäßig für eine Weile ab und lief neben ihrem Tier her. Man hatte ihr zwar den kräftigsten Hengst des Clans gegeben, doch auch der hatte am Gewicht der Riesin ganz schön zu schleppen. Da ihr Bein nun schon recht gut verheilt war, hielt Tonio es sogar für gut, dass sie immer wieder ein paar Kilometer marschierte. »Fördert die Durchblutung«, hatte er gesagt.

Auch im Moment ging sie strammen Schrittes zwischen ihrem Hengst auf der einen Seite und der braven Stute mit dem Kräuterkundigen auf der anderen. Die Pferde der Freien waren nicht besonders groß, auf Tonio traf dasselbe zu, und so überragte sie ihn noch ein ganzes Stück. Die zwei verbrachten oft Zeit miteinander, manchmal angeregt plaudernd, manchmal schweigend die Gesellschaft des anderen genießend. Mikail fand es faszinierend, wie langsam die Vertrautheit zwischen den beiden wuchs. Jedem war klar, dass sie mehr als nur freundschaftliche Zuneigung füreinander empfanden, und er hatte auch nicht den Eindruck, dass sie irgendetwas vor dem Rest der Gruppe verbargen. Sie ließen sich einfach nur sehr viel Zeit und – so schien es – genossen diese Langsamkeit sogar.

»Fragst du dich auch, wann sie sich das erste Mal küssen?« Loris sprach leise genug, dass das Pärchen es nicht mitbekam. Er ritt bereits seit dem Aufbruch im Morgengrauen neben Mikail her, und das, wie diesem eben auffiel, in ebenso schweigsamem Genuss der Gesellschaft des alten Freundes.

»Ich finde das wunderbar«, antwortete er genauso leise. »Die beiden sind einerseits so grundverschieden, Jekarina groß, laut und handfest, Tonio klein und schmächtig und immer der Ruhige, Ausgleichende. Andererseits haben sie ihr großes Herz gemeinsam und ihren klugen Verstand, vor allem, wenn es um Menschen geht. Du hättest Jekarina hören sollen, als es um die Flüchtlinge aus dem Waldland ging, die in Wolnosch aufgetaucht sind. Sie hat dem Großen Rat ordentlich ins Gewissen geredet.«

»Ach, ich habe sie selbst erlebt, drüben im Westen. Große Fäuste, aber ein noch viel größeres Herz.« Loris lachte. »Die ganze Zeit hat sie sich Sorgen um dich gemacht, als wärest du ihr Sohn.«

Ehe Mikail antworten konnte, hob Loris schon abwehrend die Hände. »Ich weiß, ich weiß. Sie hat dich und Tabo praktisch adoptiert, nachdem ihr beiden ihr das Leben gerettet habt. Die Geschichte habe ich inzwischen mindestens dreimal gehört.«

»Erzähl das bloß nicht meinen Eltern«, gab Mikail grinsend zurück. »Die werden sonst eifersüchtig.«

»Haarklein erzähle ich es ihnen.« Loris schaute völlig ernst drein. »Und sie werden sich freuen, das weißt du. Was glaubst du denn, wie froh sie sind, wenn sie hören, dass es dir gut geht? Ich werde ihnen von deinen Abenteuern berichten, von dem, was du in diesem Jahr alles geleistet hast, und dass du mit deiner Puschpika glücklich bist.«

»Was denkst du, was Lia dazu sagen wird?«

»Auch sie wird sich freuen. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Vorwürfe sie sich gemacht hat, dass sie nicht mit dir gegangen ist, als sie doch noch die Gelegenheit dazu hatte. Aber sie war gleichzeitig auch erleichtert, dass du Anschluss gefunden hast. Und, dass es da junge Mädchen gibt, die bestimmt froh über einen wie dich wären.«

Junge Mädchen, die froh über ihn wären? Ja, eines hatte es gegeben. Joti hätte ihn gern genommen … und war dann gestorben, als sie Lia das Leben rettete. Mikail musste sich abwenden und eine Träne wegwischen, als er an sie dachte.

»Du trauerst ihr doch nicht immer noch nach?«

»Lia? Nein. Ich hab sie sehr geliebt, aber sie wird sicher bald einen anständigen Kerl finden, der sie so liebt, wie sie’s verdient. Oder hat sie den schon?«

»Nicht, als ich von da weg bin. Aber das ist ja inzwischen eine Weile her.«

Ja, eine ganz schöne Weile. Loris war am Ende der letzten Regenzeit aus Or geflohen, und nun begann die nächste. In den Bergen regnete es sicher längst, nur bis in den Süden schafften es die Wolken noch nicht so ganz, verdampften unter der heißen Sonne. Lange würde es aber nicht mehr dauern. Mikail war nicht scharf darauf, in der Regenzeit zu reisen, doch das hatte er nun schon zur Genüge bei den Freien erlebt, um sich nicht mehr viel daraus zu machen. Wichtig war, dass sie Tiru zuvorkamen, der ein Heer von drei- bis viertausend Mann den Felsrutsch hinauf geführt und vermutlich bereits mit der Eroberung der Städte begonnen hatte. Kuvunja war nicht weit vom Felsrutsch entfernt, wahrscheinlich hatte der Größenwahnsinnige mit dem Goldgebiss es schon jetzt unter seine Kontrolle gebracht. Niemand in den Städten rechnete damit, dass plötzlich Bewaffnete auftauchen und einen Krieg beginnen würden. Krieg – etwas geradezu Unvorstellbares. Doch Tiru, der Erhabene, selbsternannte Stimme eines Gottes, den er erfunden hatte, kannte keine Gnade. Er wollte herrschen, jeden unter seinen Willen zwingen, denn in seinem kaputten Weltbild konnte es nur so Frieden geben. Einen Frieden, der mit Unterdrückung und Grausamkeit erzwungen wurde. Und eine Handvoll Leute war aufgebrochen, das zu verhindern. Mikail grinste in sich hinein. Sie selbst waren schon auch ein wenig irre.

»Ich hoffe, sie ist glücklich«, nahm er den Faden wieder auf. »Wenn du in Or ankommst, sag deiner Schwester, ich wünsche ihr nur das Beste. Sie soll jemanden finden, der sie liebt und glücklich macht.«

»Das sag ich ihr gerne.«

»Und sag deiner Mitena auch was von mir, ja?«

»Was?«

»Sie soll sich von dir nur ja nicht auf der Nase rumtanzen lassen.«

»Idiot!«

»Danke, gleichfalls.«

Sie lachten so laut, dass ihre Führer sich verwundert zu ihnen umdrehten. Tichon, ein sehniger Mann um die vierzig, ließ sich ein wenig zurückfallen, bis er mit Mikail und Loris auf einer Höhe war. »Na? Was habt ihr denn für einen Spaß?«

»Ach, wir frotzeln uns nur gegenseitig ein bisschen.«

»Aha. Na fein.«

»Was meint ihr, wann wir den Clan treffen?«, nutzte Mikail die Gelegenheit.

Tichon richtete sich kurz im Sattel auf und spähte voraus. »Am Horizont sieht man schon den Waldrand. Der Lagerplatz kann nicht mehr weit sein. Später Nachmittag, früher Abend, sowas um den Dreh. Dann sehen wir, ob jemand da ist. Laut Planung müsste Rams Clan dort lagern. Sie hatten vor, uns dort abzulösen, wo ihr uns getroffen habt.«

Das war wirklich eine geniale Sache. Die Clans der Freien planten ihre Reisen für ein ganzes Jahr im Voraus, sodass immer ungefähr bekannt war, wer wann wo lagerte.

»Ich bin gespannt, ob sie schon von dem Heer wissen«, überlegte Mikail laut.

Tichon schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ein Heer. Sowas kennen wir gar nicht. Menschen mit Waffen, die nur dafür da sind, gegen andere zu kämpfen. Auf was für einen Schwachsinn manche Leute kommen.«

»Ich weiß. Als die Flüchtlinge uns erzählt haben, wie es im Waldland zugeht, haben wir es auch erst für übertrieben gehalten. Aber inzwischen habe ich es mit eigenen Augen gesehen. Die Geschichten von den Ahnen fand ich als Kind immer schwer zu glauben. Dass jemand so dumm sein könnte, wollte mir gar nicht ins Hirn. Wie gesagt, jetzt weiß ich es besser.«

»Und diesen Wahnsinn will er nun auch hierher bringen.«

»Leider ja. Im Waldland hat er erst mal verloren, aber der Kerl ist gerissen. Er wird sich die Städte unterwerfen und ganz sicher nicht damit zufrieden sein. Früher oder später stößt er auf die Freien, dann seid ihr auch dran. Und danach hat er so viele Krieger, dass er sich das Waldland zurückholen kann.«

»Aber keiner von uns würde bei so einem Blödsinn mitmachen! Wir greifen doch nicht andere Menschen an, soweit kommt’s noch.«

»Wenn man dir damit droht, sonst deine ganze Familie, sogar den Rest deines Clans umzubringen, dann tust du das. Wetten?«

»Mhm.« Tichon starrte eine Weile schweigend vor sich hin. »Wir können nur hoffen, dass wir diesen Mörder noch rechtzeitig aufhalten.«

»Deshalb sind wir ja unterwegs. Wenn die Freien jetzt den alten Groll vergessen und den Städten beistehen, haben wir eine Chance. Ansonsten gehen wir alle unter, und unsere Nachkommen werden mit Lügen und brutaler Gewalt gefügig gehalten.«

Tichon nickte stumm und drückte seinem Gaul die Fersen in die Seite. Schnell holte er wieder zu seinen Clansleuten auf, die weiterhin runde zwanzig Meter vorausritten.

Wie erwartet stießen sie ein gutes Stück vor der Abenddämmerung auf die Zelte des Clans. Dessen Anführer Ram war ein alter Mann mit einem starken Buckel, buschigen Augenbrauen und langem, dünnem Haar. Misstrauisch musterte er die Fremden, während Tichon sie alle vorstellte.

»Mikail«, sagte er dann nachdenklich. »Ja, den Namen habe ich schon gehört. Der Städter, der ein Freier werden will.« Sein Blick wanderte zu Jekarina. »Und dich kennen inzwischen wohl auch die meisten Clans.« Dann musterte er den Rest der Reisegruppe. »Städter bringst du zu uns ins Lager. Das wirst du mir erklären müssen. Und Leute von jenseits des Großen Bruchs. Sieh mal an, da lebt also wer.«

»Ja, da lebt wer«, übernahm Mikail das Wort. »Ihr solltet schon von den Flüchtlingen gehört haben, die in der letzten Regenzeit von dort gekommen sind. Und leider ist derjenige, der dort drüben bis vor kurzem alle beherrscht hat und vor dem sie geflohen sind, jetzt hier auf dieser Seite. Er will sich die Städte unterwerfen und wird auch vor den Freien nicht Halt machen.«

Der alte Mann sah ihn überrascht an. »Ach. Der war das?«

»Wer war was?«

»Wir haben gehört, dass eine Menge seltsame Leute aufgetaucht sind. Sehr viele angeblich. Sollen schon in Kuvunja sein.«

Also war Tiru tatsächlich bereits so weit gekommen.

»In Kuvunja? Weißt du Genaueres?«

»Nein. Wir sind auf der Ostseite des Odonla entlanggezogen. Aber ein Clan, der bei Sawan Aussetzungswache gehalten hat, ist erst vor zwei Tagen recht nah bei uns vorbeigekommen. Ein paar von uns haben einige von ihnen getroffen und erfahren, dass haufenweise Fremde bei Kuvunja aufgetaucht sind. Sind wohl aus dem Norden gekommen und lagern angeblich überall im Wald. Da ist der Clan lieber abgezogen, das war ihnen zu heikel. Ist verdammt ärgerlich, denn jetzt hält da keiner mehr Wache.«

Ärgerlich war noch sehr milde ausgedrückt. Wenn niemand Aussetzungswache hielt, bedeutete das, dass ausgesetzte Kinder nicht mehr gerettet wurden. Das waren geradezu schockierende Neuigkeiten.

»So weit ist er also schon«, kommentierte Loris die Information düster.

»Wann sind die Fremden aufgetaucht?«, fragte Mikail.

Ram legte die runzlige Stirn in noch mehr Falten. »Schätze, das müsste so zwei Wochen her sein. Der Clan hat etwas südwestlich von Sawan gelagert und ist ums Delta gezogen. Das dauert ein paar Tage. Ja, ich denke, sie haben sich vor zwei Wochen aus dem Staub gemacht. Da sind diese Fremden plötzlich überall im Wald rumgelaufen.«

Mikail rechnete kurz nach. Wenn er sich nicht verzählt hatte, waren seit seinem Besuch am Felsrutsch dreißig Tage vergangen, also fünf Wochen. Da hatten sich eben die letzten Krieger bereit gemacht, um nach oben gebracht zu werden. Das Heer konnte problemlos am folgenden Tag aufgebrochen sein. Und wie er nach Kuvunja kam, das wusste Tiru auch ohne die Karte, die Mikail ihm gezeichnet hatte und die nach wie vor im Palast von Tasik-Hutan lag. Dann hätte er drei Wochen für den Weg gehabt. Überhaupt kein Problem.

»Ahnenverdammter Mist!«, schimpfte er. »Es hat viel zu lange gedauert, bis wir endlich hergekommen sind. Tiru musste sich nicht mal sonderlich beeilen. Wenn er schon vor zwei Wochen Kuvunja erreicht hat …«

»… dann ist er inzwischen vermutlich schon in Sawan«, ergänzte Damir. »Schöne Scheiße.«

»Sollten wir dann lieber gleich weiter nach Or?«, schlug Mette vor. »Wir müssen auf jeden Fall vor Tiru da sein.«

»Nein«, widersprach Mikail. »Wir müssen wissen, wie es in Sawan und Kuvunja aussieht.«

»Und ich will nach ein paar Leuten sehen«, ergänzte Damir. »Wir … ich habe Freunde in Kuvunja.«

»Ja«, stimmte Loris zu. »Ein paar von Dunjas Angestellten haben uns bei der Flucht geholfen, Abel und einige andere haben schon damals ziemlich offen gegen Tirus Priester und dessen Unsinn aufbegehrt. Wir sollten nachsehen, wie es ihnen geht.«

»Ich wäre ja dafür, unsere Aufgabe schnell zu erledigen«, erklärte Kossula. »Diese beiden Städte sind bereits verloren, wir haben alles in unserer Macht Stehende zu tun, dass es nicht noch mehr werden. Persönliche Freundschaften müssen hintanstehen.«

»Unser mitfühlendes Herzchen mal wieder«, knurrte Jekarina. »So ein Heer ist – das wissen wir doch nun wirklich – wesentlich langsamer als ein paar Reiter. Außerdem wird Tiru einige Zeit brauchen, die Städte vollständig unter seine Kontrolle zu bringen. Er kann nicht einfach mal da hinmarschieren, eine Rede schwingen und danach gleich weiterziehen. Die ganze Verwaltung muss ausgetauscht, Gegner ausfindig gemacht und eingesperrt werden. Oder umgebracht, wie ich das Miststück kenne. Ich denke auch, wir sollten uns einen Überblick verschaffen, bevor wir weiterreisen.«

»Und wenn ihr euch beeilt, kommt ihr noch vor dem neuen Wasser über die Flüsse«, ergänzte Ram. »Noch führen Odonla und Odorun Niedrigwasser. Mit den Pferden kommt ihr da problemlos rüber. In etwa drei Wochen erreicht das Wasser aus den Bergen die Gegend, dann wird’s um einiges schwieriger.«

»Da hat er recht«, bestätigte Jekarina mit einem Blick nach Norden auf die von der untergehenden Sonne rötlich gefärbten Wolken. »In den Bergen hat schon die Regenzeit begonnen. Wir sollten sehen, dass wir die Flüsse rechtzeitig queren.«

»Aber heute seid ihr Gäste des Clans«, bestimmte Ram. »Ich möchte genau wissen, was das alles zu bedeuten hat und welche Gefahr uns droht.« Er bedeutete ein paar neugierig herumstehenden Jugendlichen, die Pferde der Reisenden zu versorgen, und winkte denen, ihm zu folgen.

2

»Nicht gut.«

»Gar nicht gut.«

»Reichlich beschissen.«

Woher nur kamen Loris diese Kommentare bekannt vor? Er meinte fast, wieder auf der Mauer von Or zu stehen und entsetzt den Donnerechsen zuzusehen. Stattdessen saßen sie jetzt hinter ein paar Büschen und beobachteten die Umgebung von Sawan. Aber er musste den anderen zustimmen, es sah wirklich mies aus. Rund um die Stadt lagerten Tirus Krieger, man hatte rücksichtslos Weiden und Felder plattgetrampelt, um die Zelte dort zu errichten, und Bäume gefällt für Tiergatter und Feuerholz.

Neben den kleinen Pferden des Waldlandes grasten die weit größeren der Städter, die man also einfach beschlagnahmt hatte. Weiter entfernt erspähten sie sogar Gendos, und vorhin hatte Kossula darauf bestanden, das Fauchen eines Tigers gehört zu haben.

Loris konnte nicht einmal schätzen, wie viele Kämpfer das waren. Tausende, so viel war klar. Schon im Waldland hatten sie Tirus Heer auf drei- bis viertausend Mann geschätzt. Und wenn Loris sich einige der Gestalten dort zwischen den Zelten ansah, hatte man nun auch die kräftigeren Männer Kuvunjas ins Heer gezwungen. Sie trugen seltsame Imitationen der üblichen Wächterkleidung, vermutlich schnell zusammengenäht, und sahen alles andere als glücklich aus. Mit denen aus Sawan würde es wohl ebenso laufen.

»Wenn er diese Massen nach Or bringt, brauchen wir uns keinen Illusionen hinzugeben«, murmelte er erschüttert. »Die werden sich von den Mauern nicht mal einen Tag aufhalten lassen. Da ist doch niemand darauf eingerichtet, gegen Menschen zu kämpfen, schon gar nicht gegen Schnelle, Starke und andere Veränderte.«

»Ich dachte, darauf wollen wir sie vorbereiten?«, fragte Kossula erstaunt.

»Ja, wollen wir. Aber ich frage mich gerade, ob das was bringt.«

»Wenn man aufgibt, hat man schon verloren«, knurrte Jekarina. »Kommt weg, die Lauscher könnten uns hören.«

Sie zogen sich ebenso leise zurück, wie sie sich angeschlichen hatten. Erst, als sie nach einer halben Stunde Fußmarsch bei den Pferden angelangt waren, sprachen sie wieder.

»Das sind ein paar Tausend Mann«, informierte Kossula den Rest der Gruppe, der dort gewartet hatte. »Sie haben Leute aus den Städten ins Heer gepresst. Wie viele, denkt ihr, können sie da gefunden haben?«

Loris sah Damir an. »Was schätzt du? Ich vermute, er nimmt alles ab sechzehn, siebzehn und bis vielleicht Mitte vierzig, was einigermaßen kämpfen kann.«

»Denke ich auch«, stimmte der zu. »Und nur Männer. Frauen würde er nur nehmen, wenn es Geseg… – äh – Veränderte wären. Tja, wie viele werden es sein? Kuvunja hat rund achttausend Einwohner, die Hälfte Männer, also viertausend. Im passenden Alter dürften es knapp zweitausend sein, nicht alle davon kräftig genug zum Kämpfen. Anderthalb? Höchstens. Und nochmal dasselbe aus Sawan.«

»Weitere dreitausend also«, rechnete Loris. »Dann sind wir bei siebentausend Kämpfern, allerdings mehr als die Hälfte nicht verändert. Schon im Heer aus dem Süden waren auch Unwürdige.«

»In Or sind nur Unveränderte«, gab Mikail zu bedenken. »Und unter seinen sechstausend Einwohnern sind bestenfalls dreitausend, die kämpfen können. Frauen eingerechnet.«

»Deshalb werden wir ja zu Hilfe kommen«, erklärte Jekarina. »Es war doch von Anfang an klar, dass Or selbst mit Loris’ neuen Waffen keine Chance gegen dieses Heer hat.« Sie sah ihn aus ihren drei Metern Höhe beruhigend an. »Keine Sorge, wir lassen euch nicht im Stich. Es wird sein wie damals, als wir Mikail in Tasik-Hutan zu Hilfe kamen. Tiru wird denken, er muss nur die Stadtmauern von Or überwinden, und dann fallen wir ihm in den Rücken. Wenn er versucht, durch die kleinen Schluchten zu gehen, sind wir schon da und versalzen ihm die Suppe. Wir kümmern uns darum, dass alle Clans bereitstehen, die schnell genug bei Or sein können. Das sind sicher ein Dutzend, wenn nicht mehr.«

Loris konnte nur hoffen, dass Jekarina und Mikail diesen Großen Rat der Freien überzeugten. Wobei sie vorhatten, jeden Clan, den sie vielleicht unterwegs antrafen, direkt loszuschicken. Womöglich hatte Or doch noch eine Chance.

»Ich will jetzt nach Kuvunja«, erklärte Damir. »Ich muss sehen, wie es den Leuten da geht.«

Darauf bestand er schon die ganze Zeit, und Loris konnte es ihm nicht verdenken. Natürlich wollte Damir wissen, wie es seinen Freunden ging.

»Also dann«, sagte Jekarina und schwang sich auf ihr Pferd. »Du weißt hoffentlich, wo die Straße zwischen Sawan und Kuvunja langführt? Ich möchte auf Abstand bleiben, sonst laufen wir Tirus Leuten direkt in die Arme.«

Damir wusste es natürlich nicht. Er hatte seinen Heimatort ja bis zur Flucht mit Loris und Dunja nie verlassen. Aber Tichon kannte sich zum Glück in der Gegend aus und führte sie durch den Wald.

Die Gefahr, der Straße zu nahe zu kommen, bestand allerdings nicht. Zuerst mussten sie nämlich direkt nach Westen, um eine Nachricht an Tasik-Hutan zu schicken. Es dauerte zwei Tage, bis sie den Großen Bruch erreichten und hinab auf das Waldland sahen.

»Und wo ist jetzt der Fluss?«, fragte Damir.

»Ein Stück weiter nördlich«, antwortete Tonio. »Schau, da hinten sieht man, dass die Bäume etwas höher und dichter sind. Weil sie dort mehr Wasser haben. Lasst uns dorthin gehen.«

Keine Stunde später blickten sie erneut an der Hunderte Meter hohen Felswand hinab. Diesmal war das schillernde Band eines schmalen Flusses deutlich zwischen den grünen Wipfeln auszumachen. Es schlängelte sich bis hierher nah an der Wand entlang, bog dann aber nach Südwesten ab, um viele Kilometer weiter in den Großen See zu münden, an dessen Ufer die Hauptstadt des Waldlandes lag. Viel Wasser führte der Odorun, der diesen Fluss hier speiste, derzeit offenbar nicht.

»Na schön«, meinte Kossula. »Die Biegung hätten wir dann also erreicht. Und jetzt?«

»Suchen«, gab Jekarina trocken zurück und wanderte langsam die Kante entlang. Mikail hielt sich wie üblich lieber ein Stück vom Abgrund entfernt. Trotzdem entdeckte er als Erster die Markierungen.

»Da!«, rief er und deutete auf das Blätterdach. »Ein gelber Stoffstreifen.«

Tatsache! In den obersten Ästen eines Waldriesen hatte jemand ein breites gelbes Band gespannt.

»Und da sollen wir jetzt die Botschaft runterwerfen?« Kossula kratzte sich am Kopf. »Irgendwie blödsinnig, das Ding kann ja im Baum hängenbleiben.«

»Da ist noch einer!«, rief in diesem Moment Mette. »Ein blauer diesmal.«

»Und da hinten wieder ein gelber«, ergänzte Jekarina.

Nach kurzer Zeit war klar, dass die bunten Streifen zu einem Halbkreis angeordnet waren.

»Dann dürfte das Ziel wohl in der Mitte liegen, auf die sie alle hindeuten«, schloss Tonio.

Er lag richtig. Sie machten den Punkt ausfindig, auf den die Markierungen hinwiesen und der das Zentrum eines Kreises darstellte, dessen eine Hälfte aus den Stoffstreifen bestand. Dort fanden sie eine kleine Lichtung direkt an der Felswand, auf der ein großes, selbst aus dieser Höhe gut erkennbares Tuch lag, halb blau, halb gelb. Unverkennbar die Zielmarke.

»Klasse Idee«, kommentierte Tichon den Aufbau. »Da unten warten dann die Boten?«

»So ist es gedacht, ja«, bestätigte Mikail und holte das Schreibzeug aus der Satteltasche. Felors Clan hatte ihm Tusche, Griffel und mehrere Stücke weichen Leders mitgegeben – seine aus Tasik-Hutan mitgenommene Ausrüstung war ja mit dem Boot gesunken –, und nun breitete er eines davon aus und begann, seine Botschaft zu schreiben. Loris blickte ihm dabei über die Schulter.

Liebe Freunde, liebste Puschpika,

wir haben es alle geschafft. Jekarina wurde während der Reise verletzt, ist aber wieder ganz gesund. Tirus Heer liegt in Sawan, wir reisen nach Kuvunja, um zu sehen, wie es dort steht. Danach weiter nach Or und Wolnosch. Melden uns sobald möglich, wird sicher lange dauern.

Mikail

Mehr passte auf das Leder in der großen Schrift des Griffels nicht drauf.

»Und jetzt?«, fragte Loris seinen Freund.

»Wickeln wir es um einen Stein und werfen es möglichst zielgenau auf den Stoff.«

»Warte mal«, warf Damir ein. »Lass uns erst mal sichergehen, dass da unten auch wirklich wer ist.«

Er nahm einige faustgroße Steine und ließ den ersten in sanftem Bogen hinabfallen. Loris blickte dem Wurfgeschoss hinterher, bis es zu klein wurde, und richtete seine Augen dann auf das Tuch. Hatte es sich bewegt? Vielleicht. Tat sich da unten was? Eher nicht.

Damir ließ einen weiteren Brocken folgen, doch auch diesmal blieb alles ruhig. »Da ist keiner.«

»Womöglich schlafen sie nur?«

»Die haben nicht zu schlafen«, widersprach Kossula. »Sie haben Wache, da muss immer mindestens einer aufpassen. Erst recht am hellen Tag.«

»Ich probier’s noch mal.« Damir sandte einen weiteren Stein in die Tiefe. Wieder blieb alles ruhig. »Scheiße«, schimpfte er. »Entweder pennen sie, oder da stimmt was nicht.«

Mikail, den um einen Stein gewickelten und mit Fäden verschnürten Brief in der Hand, sah geradezu erschüttert aus. »Das darf doch wohl nicht wahr sein. Wir müssen Puschpika doch Bescheid geben!«

»Sollen wir es später noch mal versuchen?«, fragte Mette.

»Wir können doch nicht ewig warten, bis sich da unten mal jemand zeigt. Wir müssen weiter.«

»Also lassen wir es bleiben?«

Mikail war sichtlich hin- und hergerissen. Loris verstand ihn nur zu gut. Daheim saß Puschpika und wartete sehnlichst auf ein Lebenszeichen. Unweigerlich musste er selbst nun an Mitena denken. Sie würde wohl kaum noch damit rechnen, dass er zurückkehrte – oder sich auch nur meldete. Ob sie ihn wohl wiederhaben wollte, wenn er doch auftauchte? Er konnte es nur hoffen.

»Womöglich sind sie ja wirklich nur gerade unaufmerksam«, überlegte Loris laut. »Kann ja sein. Die sitzen seit Wochen da und warten drauf, dass vielleicht unter Umständen möglicherweise irgendwann mal was zu ihnen runterkommt, das nicht nur einfach so aus der Wand gefallen ist. Da werden sie doch nicht bei jedem Steinchen aufspringen.«

Mikail sah ihn nachdenklich an. »Du hast recht. Steine dürften öfter mal aus der Wand fallen.« Er zögerte noch einen Moment, dann hielt er Damir seine Botschaft hin. »Hier. Wirf so gut du kannst.«

Damir nahm das Bündel entgegen, überlegte einen Moment und brach dann den frischen Zweig einer nahestehenden Buche ab. Er schob ihn in die Verschnürung. »Sowas kommt bestimmt sonst nicht da runtergeplumpst.« Dann schickte er die Nachricht auf die Reise.

Gebannt verfolgten alle den Flug des Briefes. Trotz des flatternden Laubes war die Entfernung irgendwann zu groß, um dieses winzige Ding noch sicher erkennen zu können. Schließlich schien sich das Tuch dort unten ein wenig zu bewegen.

»Treffer«, kommentierte Damir das Geschehen und wandte sich ab. Auch die anderen drehten sich um und gingen auf die geduldig wartenden Pferde zu. Nur Loris nahm sich die Zeit, den kleinen blaugelben Flecken in der Tiefe noch eine Weile zu beobachten. Und so war er es, der den Freudenschrei ausstieß. »Da ist wer!«, rief er aufgeregt. Unten liefen gleich drei winzige Gestalten auf das Tuch, hielten an und blickten nach oben. Loris winkte mit beiden Armen. Und die Gestalten winkten zurück.

Einen Moment später trat Jekarina neben ihn und schaute hinab. »Ha!«, rief sie, »er hat recht. Da ist wer.«

»Und was tun sie?«, fragte Mikail aufgeregt.

»Ich würde sagen, sie halten irgendwas hoch.«

»Die Nachricht?«

»Was sonst?«

Einer der Leute da unten hatte sich wirklich gebückt und etwas aufgehoben, was er nun hochreckte. Die Botschaft war angekommen. Loris nahm Mikail in den Arm und drückte ihn fest. »Jetzt erfährt sie, dass du in Ordnung bist.«

Seinem Freund standen tatsächlich Tränen in den Augen, als er nickte. »Ja. Jetzt erfährt sie es.«

Zwei weitere Tage später lagen sie wieder hinter Büschen, diesmal bei Kuvunja, und Damir blickte fassungslos auf das, was von den Hanffeldern und Gemüseäckern übrig war, die die Stadt einst umgeben hatten.

»Alles plattgemacht«, ächzte er. »Alles einfach weg.«

»Sie werden vorher geerntet haben«, versuchte Loris, ihn zu beruhigen. »Gegen Ende der Trockenzeit wird der Hanf doch geschnitten, oder?«

»Kann schon sein. Sieht aber nicht so aus. Da liegen überall große Stängel, in den Boden getrampelt. Siehst du das nicht?«

Natürlich sah Loris das, er war ja nicht blind. Er fragte sich nur, ob sie momentan nicht größere Probleme hatten als niedergetrampelte Hanffelder. Dunja war tot, ihrem Geschäft konnte es also nicht mehr schaden. Damir hatte sich daran ja nie beteiligt. Allerdings wäre es grausam gewesen, ihm das jetzt unter die Nase zu reiben. Ob er nun im Anbau mitgearbeitet hatte oder nicht, der Hanf war Teil seiner Heimat gewesen.

»Dafür sehe ich wenigstens keine Massen an Kriegern«, merkte Kossula an. »Ein paar hab ich entdeckt, aber was Tiru dagelassen hat, ist wohl größtenteils in der Stadt. Und der Rest lagert bei Sawan.«

»Ja. In der Stadt. Wo sie meine Freunde drangsalieren.« Damir ballte die Fäuste. »Ich muss wissen, was da vorgeht. Wie es Abel geht und Liping und Dunjas Leuten. Jordis wollte das Geschäft für sie führen, aber diese Irren erlauben Frauen ja nichts. Ich muss nach ihnen sehen.«

»Du willst da reinmarschieren?« Kossula schüttelte missbilligend den Kopf. »Man könnte dich erkennen.«

»Wer denn? Die paar Wächter, die uns an der Felswand geschnappt und nach Tasik-Hutan gebracht haben? Irgendwelche Wärter aus dem Kerker?« Damir lachte sarkastisch auf. »Komm, das ist doch mehr als unwahrscheinlich.«

»Trotzdem müssen wir vorsichtig sein«, stimmte Loris Kossula zu. »Zumindest dürfen wir nicht am hellen Tag da reingehen. Es gibt doch diese kleine Pforte, durch die wir damals aus der Stadt geflohen sind. Ist die nachts verschlossen?«

»Im Prinzip ja, aber nur gegen Tiere. Man kann sie von außen öffnen.«

»Na also. Sie liegt doch nicht weit von eurem Lagerhaus entfernt. Soweit ich das noch im Kopf habe, schlafen Jordis und die anderen da, oder?«

»Das haben sie früher. Wer weiß, was jetzt mit ihnen ist.«

»Werden wir rausfinden. Heute Nacht.«

Damir ließ sich darauf ein, bis zur Dunkelheit zu warten. Dann jedoch schlichen sie sich zu der Tür in der Palisadenwand. Außer Damir und Loris kamen auch Mette und Tichon mit. Keiner von beiden hatte äußere Auffälligkeiten, sodass sie als Bewohner von Kuvunja durchgehen mochten, wenn ihnen jemand begegnete, Tichon war aber praktischerweise Lauscher und konnte sie so rechtzeitig warnen, sollten ihnen Wachtrupps in die Quere kommen. Kossula blieb lieber zurück, zu bekannt war er vor allem bei den Priestern, und auch Mikail und Jekarina hätte man allzu leicht erkannt.

Schon am Waldrand entdeckten sie das erste Problem: Ohne den weit übermannshoch stehenden Hanf gab es für einige Hundert Meter keinerlei Deckung. Sie mussten über eine völlig freie Fläche zur Stadtmauer gelangen, und oben auf der Mauer aus dicken Stämmen patrouillierten Wachen. Der Regenstern stand bereits am Himmel und spendete so viel Licht, dass jeder, der den Schutz des Waldes verließ, bestens zu sehen war.

»Und jetzt?«, fragte Damir leise.

»Sei mal still!« Tichon bedeutete auch den anderen, ruhig zu sein, und lauschte sichtlich angestrengt. Bald zog sich ein Lächeln über sein Gesicht.

»Das da oben sind nur Leute ohne Veränderungen. Niemand mit Nachtsicht, keine Lauscher. Die hat Tiru alle mitgenommen, weil er sie im Kampf braucht.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte Loris.

»Zwei von denen haben sich eben drüber unterhalten. Sie sind froh, dass Tiru sie dagelassen hat, weil sie Unwürdige sind. Das bedeutet doch, dass sie keine Besonderheiten haben, oder?«

Loris nickte.

»Na eben. Der eine hat gesagt, dass die paar Starken, die er den Lehrern – das sind diese Quasselköpfe, ne? Genau – die er denen als Unterstützung dagelassen hat, sich sowieso nur mit den Frauen beschäftigen und ihnen als Unwürdigen die ganze Wache lassen.«

»Na, vielen Dank für die Info.« Damir grinste. »Das heißt, wir haben es mit ganz normalen Menschen zu tun?«

»Sind wir keine normalen Menschen?«, kam es säuerlich von Tichon zurück.

»Du weißt, was ich meine.«

Loris biss die Zähne zusammen. Mehr als das war von Damir nicht zu erwarten. Schon gar keine Entschuldigung.

»Tut mir leid«, übernahm er selbst es, sehr leise, sodass nur Tichon es hören würde. »Er ist kein sehr angenehmer Mensch.«

Der Freie wandte sich ihm zu und nickte leicht.

»Also was tun wir jetzt?«, fragte Damir ungeduldig.

»Ich könnte versuchen, die Wachen abzulenken«, bot Tichon an. »Ihr versteckt euch hier und wartet. Ich gehe ein Stück da rüber und mache irgendwas, um die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Dann rennt zuerst Mette los und öffnet die Tür. Ihr zwei folgt so dicht auf wie möglich und rein mit euch.«

»Tja nun«, überlegte Loris. »Recht viel anderes wird uns nicht übrigbleiben, was?«

»Ich denke, es müsste funktionieren. Die beiden, die ich belauscht habe, klangen nämlich so, als sollten sie vor allem dafür sorgen, dass niemand aus der Stadt ausbricht. Dass jemand freiwillig da reinkommt, damit rechnen sie wohl eher nicht.«

»Was aber wiederum bedeutet, dass wir nicht in Sicherheit sind, sobald wir durch die Tür kommen«, wandte Damir ein. »Denn dann werden sie besonders aufmerksam auf den Streifen innerhalb der Mauer schauen. Und die Tür, durch die wir gehen wollen, ist ja kein Geheimnis. Sie wird selten benutzt, das ist alles.«

»Da ist was dran«, gab Tichon zu. »Was dann?«

»Vielleicht sollten wir Kossula holen?«, schlug Damir vor. »Rein in die Stadt, rauf auf die Mauer und die Wachen erledigen, bevor sie Laut geben können. Er ist schnell und stark, für ihn ist das ein Leichtes.«

»Dann haben wir kaum Zeit«, wandte Loris ein. »Die werden entweder irgendwann von selbst wieder wach, oder jemand findet sie. Und schon suchen sie in der ganzen Stadt nach dem Täter.«

»Hmm … guter Punkt«, gab Damir zu. »Abstechen nutzt nix, wenn die Ablösung kommt.«

»Abstechen?« Tichon sah ihn entgeistert an. »Bist du wahnsinnig? Das ist Mord.«

»Es sind Feinde«, konterte Damir trocken. »Wenn wir sie jetzt töten, können sie später keinen Ärger mehr machen.«

»Schluss damit!«, fuhr Loris dazwischen. »Hier wird niemand abgestochen. Wir brauchen eine andere Lösung.« Ein Augenrollen zu Tichon bedeutete diesem, was er von Damirs Sprüchen hielt, doch eine längere Diskussion darüber mussten sie nun wirklich nicht führen.

»Also was dann?«, fragte Damir. »Ich geh hier nicht weg, ohne zu wissen, wie es meinen Leuten geht.«

Loris dachte nach. »Wie ist das eigentlich mit dem Fluss?«

»Was?«

»Na, der führt doch zurzeit wenig Wasser, oder?«

»Ja. Und?«

»Er fließt unter der Mauer durch in die Stadt. Ist diese Lücke irgendwie versperrt?«

»Nur in der großen Dürre. Da wird eine Platte aus dicken Bohlen eingesetzt, mit Eisen verstärkt, damit nichts durchkommt. Jetzt müsste da offen sein.«

»Dann werden sie doch sicher diesen Durchschlupf bewachen«, wandte Mette ein.

»Ja«, gab Loris zu, »aber wenige Meter vor der Mauer führt eine Brücke über den Odorun. Unter der können wir einen Zwischenhalt einlegen und uns verstecken, bis die Luft rein ist. Und vor allem können wir uns in dem Flussbett bewegen, das uns einigermaßen vor Blicken abschirmt.«

»Klingt sinnig«, stimmte Damir zu. »In Kuvunja ist das Wasser sowieso in eine tiefe Rinne gezwängt. Da können wir erst recht ungesehen durch.«

»Aber das ist doch ein perfekter Fluchtweg«, widersprach Mette. »Den werden sie dann besonders gut im Auge behalten.«

»Im Gegenteil«, erklärte Damir. »Selbst jetzt am Ende der Trockenzeit führt der Odorun genug Wasser, um die Rinne mindestens einen Meter hoch zu füllen. Gegen diese Strömung kommt man nicht an. Sie hat steile Wände, es ist praktisch unmöglich, da entlang zu gehen. Als Fluchtweg völlig ungeeignet. Wir müssten uns auf dem Weg nach drinnen im Wasser treiben lassen, denn laufen geht da nicht mehr.«

»Und wie kommen wir dann wieder raus? Ich hab keine Lust, die Große Wand runterzustürzen.«