Kampf um Or - Sascha Raubal - E-Book

Kampf um Or E-Book

Sascha Raubal

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Beschreibung

Bei den Freien in Sicherheit, kommt Mikail doch nicht zur Ruhe. Die Gefahr, die seiner Heimat droht, geht ihm nicht aus dem Kopf. Für die riesigen Echsen sind auch die hohen Stadtmauern kein Hindernis. Von Sorge getrieben macht er sich auf den gefährlichen Weg durchs Gebirge, um Or zu warnen und ein Blutbad zu verhindern. Dort wird die Lage immer ernster. Während mehr und mehr Echsen vor der Stadt auftauchen, ersinnen Loris und seine Mitstreiter ständig neue Methoden, um die Stadt gegen die unbesiegbar scheinenden Tiere zu verteidigen. Doch schon ein einziger Fehler kann in die Katastrophe führen.

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EPUB
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Seitenzahl: 326

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Sascha Raubal

Die Abartigen 4 – Kampf um Or

In dieser Serie bereits erschienen:

Band 1 – Karawane nach Cood

Band 2 – Der Prozess

Band 3 – Die Freien

Inhaltswarnung:

In diesem Buch wird gelebt und gestorben – mit allem, was dazugehört.

Sascha Raubal

DIE ABARTIGEN

BAND 4

KAMPF UM OR

Fantasy

Die Abartigen 4 – Kampf um Or

1. Auflage 2023

© 2023 Sascha Raubal

ISBN: 978-3-347-93884-7

Covergestaltung und Innenteilillustrationen:

Markus Gerwinski (http://www.markus.gerwinski.de)

Für das Cover wurde ein Bild genutzt von:

Diego Delso, delso.photo, License CC-BY-SA

Druck und Distribution im Auftrag :

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Bibliografische Information der Deutschen

Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Danke

Der Autor

Flüchtlinge

Vom selben Autor

Die Kurt-Reihe

Leseprobe Band 5

Kampf um Or

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Leseprobe Band 5

Kampf um Or

Cover

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»Willkommen im Berglager!« Jekarina breitete die mächtigen Arme aus und glich dabei mit ihren knapp drei Metern Höhe und etwa derselben Spannweite beinahe einer kleinen Windmühle.

Mikail ging aufrecht unter ihrem gestreckten Arm hindurch und staunte. Das sah ja wirklich beeindruckend aus. Ein großes Plateau von sicher mehr als zwei Kilometern Durchmesser ragte wie ein Anbau aus einer gigantischen, grauen Felswand hervor. An drei Seiten fiel der Stein senkrecht ab, ein-, zweihundert Meter tief, an der vierten stieg er noch viel weiter empor. Von dort stürzte ein Wasserfall aus der Höhe hinab, gehüllt in eine Gischtwolke. Sie waren noch einige Kilometer entfernt, doch man konnte schon Zäune und mehrere Bauten auf dem Plateau erkennen, das außerdem von einem satten Grün überzogen war.

Im ersten Moment war dagegen nicht auszumachen, wie man die große Ebene überhaupt erreichen sollte, dann jedoch erkannte er auf der rechten Seite eine Art breiten Sims, der anscheinend an der Steilwand entlangführte.

Ein dünner Rauchfaden stieg an einer Stelle auf.

»Sieh an«, sagte Laia, die mit ihnen zusammen an der Spitze marschierte, um mit ihren extrem guten Ohren rechtzeitig auf Gefahren aufmerksam zu werden, »die Meldereiter sind wohl schon da.«

»Meldereiter?«, fragte Mikail neugierig. »Du meinst den Voraustrupp?«

»Nein«, erwiderte sie kopfschüttelnd und ging wieder los. Jekarina und Mikail nahmen ihre Wanderung ebenfalls wieder auf. »Unser Voraustrupp ist noch nicht ganz da. Siehst du da hinten?« Laia zeigte auf einen Felsgrat weiter rechts. »Da reiten sie.« Tatsächlich, das Grüppchen von fünf Reitern bewegte sich dort auf den Strich zu, der an der Steilwand entlang zum Plateau führte und wohl den einzigen Zugang darstellte.

»Die Meldereiter«, erklärte Laia, »reisen in jeder Trockenzeit von Lagerplatz zu Lagerplatz, um die neuesten Informationen zu sammeln und zwischen den Clans weiterzugeben. Zwar laufen die verschiedenen Clans einander auch so mal über den Weg, aber auf diese Weise ist sichergestellt, dass sich wichtige Nachrichten ausreichend schnell verbreiten. Wir müssen zum Beispiel unbedingt unsere Erfahrungen mit den Echsen mitteilen und hören, ob und wo noch andere auf diese Tiere gestoßen sind.«

Ah, das klang sinnvoll. »Die Städte tauschen solche Informationen mit Brieftauben aus«, erklärte Mikail. »Als wir nach der Begegnung mit den neuen Wölfen nach Or zurückgekommen sind, wurden sofort Tauben mit allem, was wir über die Viecher herausbekommen haben, in diverse Nachbarstädte geschickt. Und die werden das wiederum weiterverbreitet haben.«

»Ja, das könnt ihr in den Städten schon so machen«, antwortete Laia. »Bei uns funktioniert das nicht. Brieftauben sind ja ganz besonders standorttreu und kehren immer wieder an ihren vertrauten Schlafplatz zurück. Darauf basiert das ganze System. Wir aber wechseln ständig unsere Lagerplätze, zumindest alle zwei bis drei Monate, daher ist das für uns vollkommen unbrauchbar.«

Auch wieder wahr. »Und woher wissen dann die Meldereiter, wo sie euch finden?«

»Ganz einfach«, übernahm nun Jekarina die Erklärung. »Jeder Clan hat einen gewissen Reiseplan. Die Route von einer Trockenzeit bis zur nächsten ist ziemlich genau festgelegt. Diese Pläne sorgen auch dafür, dass wir uns nicht in die Quere kommen, manche Lagerplätze verkraften zum Beispiel wegen der Weidegründe nur einen Clan zur selben Zeit. Außerdem muss organisiert sein, wer bei welcher Stadt Aussetzungswache hält. Deshalb wussten wir schon vor einem Jahr, dass wir diese Dürre hier verbringen würden. Und die anderen Clans wissen das auch.«

Je länger Mikail bei den Freien war, desto beeindruckter war er von ihnen. Die Nachfahren der Abartigen, die man vor Generationen aus den Städten vertrieben hatte, zogen zwar ständig durch die Welt, blieben nur einige Wochen an einem Ort mit ihren Zelten und Herden, doch deshalb lebten sie keinesfalls primitiv. Ihre Kinder wurden ebenso in Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wie die der Städter, sie erlernten Berufe, trugen ihren Teil zum Gemeinwesen bei, und jeder kümmerte sich um den anderen. Dazu kam noch ihre Aufgabe, ausgesetzte Kinder aufzunehmen, die man in den Städten nicht haben wollte, weil sie als abartig galten. So wie Garik, den Siebenjährigen, den er zu ihnen gebracht hatte. Er selbst genoss bisher nur Gastrecht, aber immerhin, bis zum Ende der Dürre war er bei Jekarinas und Laias Clan in Sicherheit. Und wenn der Clanführer Connor mit seinem Antrag an diesen ominösen Großen Rat aller Freien ernst machte – und Erfolg hatte –, würde Mikail sogar endgültig aufgenommen. Eine Ehre, die wohl bislang noch keinem Erwachsenen zuteilgeworden war.

»Eigentlich wären wir doch erst übermorgen angekommen«, fiel ihm ein. »Warum sind die jetzt schon da?«

Die Riesin ließ ihr dröhnendes Lachen hören. »Du bist ein Witzbold! Glaubst du denn, wir wissen auf den Tag genau, wann wir wo sind? Das hängt gerade vor einer großen Dürre ganz davon ab, wann die Städte ihre Aussetzungen beenden. Du weißt doch, wir konnten erst los, als in Or das Signal für den offiziellen Beginn der Dürre gegeben wurde.«

»Also sitzen diese Meldereiter auch manchmal tagelang da und warten auf euch?«

Wieder lachte sie. Man bekam fast Angst, dass der Lärm irgendwo einen Steinschlag auslöste. »Als wenn sie nichts Besseres zu tun hätten. Ich denke, sie sind erst gestern angekommen, womöglich sogar heute früh. Dann machen sie erst mal Rast, und wenn wir nicht zufällig jetzt schon aufgekreuzt wären, würden sie uns einfach entgegenkommen. Sie wissen ja, welchen Weg wir von Or aus nehmen.«

Mikail kam sich mal wieder ziemlich dumm vor. Als Städter war er viel simplere, geregeltere Abläufe gewöhnt. Es gab den Turm mit der Sonnenuhr und dem Stundengong, feste Zeiten und Orte für alles. Die Freien mussten sich ständig den äußeren Gegebenheiten anpassen, flexibel auf Veränderungen reagieren und auf Ereignisse, die sie nicht beeinflussen konnten.

So hatten sie zum Beispiel die Reise von der Ebene bis hierher in vier Tagen hinter sich gebracht, für die eigentlich sechs geplant gewesen wären. Kurz nach dem Eintritt ins Gebirge waren sie auf die neuartigen Echsen getroffen, bis zu acht Meter lang, mit mörderischen Zähnen, messerscharfen Klauen und einer derart gepanzerten Haut, dass sie nur sehr schwer zu töten waren. Kurzerhand hatten Connor und der Clanrat die gesamte Marschordnung über den Haufen geworfen. Statt jeden Tag mit einem ordentlichen Frühstück zu beginnen und mit geselligen Abenden am Feuer ausklingen zu lassen, waren die knapp vierhundert Freien mitsamt ihren Wagen, Packtieren und Herden vom ersten Morgengrauen bis weit in die Nacht hinein marschiert. Die Nachtwachen wurden verdreifacht, konnten sich teilweise auf den Wagen ausschlafen, während sie am Tage weiterzogen. Immerhin war eine der drei Echsen entkommen. Zwar nur ein mit gerade einmal rund fünf Metern von der Schnauze bis zur Schwanzspitze noch nicht ausgewachsenes Exemplar, doch das war schon gefährlich genug. Und man wusste nicht, wie viele dieser Biester sich noch in den Tälern des Sandsteingebirges oder gar dem granitenen Zentralgebirge herumtrieben, in dem das Ziel ihrer Reise lag.

»Jetzt komm«, rief Laia ihn. Er merkte, dass er sinnierend stehengeblieben war. »Ein letztes Stück noch, dann sind wir da.«

Mikail war heilfroh, als er endlich das Plateau betrat. Der letzte Teil der Reise hatte auf diesem grässlichen Pfad an der Steilwand entlanggeführt. Waren schon höhere Grate eine harte Belastung für seine Nerven, der gute Kilometer auf einem manchmal kaum mehr als drei Meter breiten Sims, rechts der senkrecht aufragende Granit, links der gähnende Abgrund, hatten ihm nichts als Herzrasen und Schweißausbrüche beschert. Oft genug hatte Jekarina ihn mit ihren mächtigen Pranken sanft voranschieben müssen, als er vor Angst keinen Fuß mehr vor den anderen setzen konnte. Dicht an den grauen Fels gepresst war er mit zusammengekniffenen Augen dagestanden, zitternd wie Espenlaub und nass vom Angstschweiß. Einmal hatte die Riesin sogar Anstalten gemacht, ihn kurzerhand über die Schulter zu legen und zu tragen, aber das wäre ihm dann doch zu peinlich gewesen. So hatte er mit aller Macht seine Höhenangst niedergekämpft und war weitergegangen.

Wenigstens hatte ihn niemand deshalb ausgelacht. »Jeder hat so seine Schwachstellen«, hatte Jekarina nur gutmütig lächelnd kommentiert und, nach kurzem Nachdenken, hinzugesetzt. »Vielleicht sogar ich.«

Nun jedoch hatten sie diesen schlimmsten Teil des Weges hinter sich. Vor Mikail breitete sich saftiges Grün aus, beinahe hüfthoch standen die Halme, dazwischen Büsche und kleinere Bäume. Hier und da sah man die Spuren von Tieren, die sich wohl noch bis vor kurzem in diesem wahren Schlaraffenland für Grasfresser aufgehalten hatten. Doch diese waren nun offenbar verschwunden, bis auf einige große Tiere mit mächtigen, mehr als meterlangen, gebogenen Hörnern. Friedlich äsend hoben sie nur für einen Moment den Kopf, schauten eher gelangweilt zu den Neuankömmlingen und wandten sich dann wieder ihrem Festmahl zu.

»Was ist das denn?«, fragte Mikail begeistert. »Sehen ein bisschen wie übergroße Ziegen aus.«

»Das?« Laia lächelte. »Das sind Steinböcke. Die kennt ihr unten im Randgebirge nicht, sie leben in höheren Lagen. Ich kenne kein anderes Tier, das selbst in steilen Felswänden so trittsicher ist.«

»Wunderschön.«

»Oh ja«, stimmte Laia zu. »Wobei das die Tiere der Meldereiter sind. Du siehst ja, sie sind so groß wie Pferde. Wilde Steinböcke sind ein ganzes Stück kleiner.«

»Das heißt, darauf reiten sie hier durch die Felsen?«

»Ja sicher. Wie gesagt, es gibt kein trittsichereres Tier. So ein Steinbock könnte sogar die Felswände hinauf und hinunter klettern, an denen du dich gerade vorbeigequält hast.«

Nun war Mikail noch mehr beeindruckt. »Selbst mit Reiter?«

Nun lachte Laia. »Na, ich denke, das ersparen sie sich lieber. Aber die Wege der Meldereiter sind auch so schwierig genug, daher sind diese Tiere geradezu perfekt. Hier im Gebirge, natürlich. Im Flachland nehmen sie Pferde.«

Das tat Mikails Bewunderung keinen Abbruch. Er behielt die stolzen Tiere mit den mächtigen Hörnern weiter im Blick, während er den beiden Frauen folgte, die auf die kleine Gruppe Menschen zusteuerte, die sich um ein Feuer versammelt hatte. Fünf Pferde standen ein wenig abseits und taten sich ebenfalls am hohen Gras gütlich. Der Voraustrupp war inzwischen eingetroffen.

»Jekarina, meine Süße!«, schallte ihnen eine tiefe Männerstimme entgegen. »Hast dich wohl beeilt herzukommen. Woher wusstest du, dass ich hier bin?«

»Ich hab dich schon heute früh beim Aufstehen gerochen«, gab sie dröhnend zurück und lachte lauthals. »Oder war das dein Bock?«

Ein bärtiger Mann um die vierzig löste sich aus der Gruppe und kam ihnen entgegen. Die Riesin machte einfach ein paar große Schritte mit ihren überlangen Beinen, schon hatte sie einige Meter Vorsprung vor Mikail und Laia und traf auf den Fremden, der sich grinsend von ihr hochheben und an ihren gewaltigen Busen drücken ließ.

»Twan, du Halunke! Schön, dich mal wieder zu sehen.«

Der Mann legte seine Hände an Jekarinas Kopf und drückte ihr einen dicken Schmatz auf die Stirn. »Schön, dich zu sehen.« Dann warf er einen Blick über ihre Schulter. »Laia, hallo! Wie geht’s dir?«

»Bestens«, antwortete diese und winkte ihm. »Das ist Twan«, erklärte sie Mikail. »Er ist bei uns aufgewachsen und vor etwa zehn Jahren zu den Meldereitern gegangen. Deshalb kennt er fast den ganzen Clan noch aus seiner Kindheit.«

Jekarina hatte Twan inzwischen wieder auf den Boden gestellt, und nun trat er ihnen entgegen. »So ist es. Aber dich kenne ich nicht.« Fragend sah er Mikail an. »Aus welchem Clan kommst du?«

»Lass uns das heute Abend am Feuer klären, ja?«, bremste Laia Twans Neugier. »Dann müssen wir nicht alles mehrfach erzählen. Es gibt viel zu besprechen.«

»Oh ja«, stimmte der Meldereiter ihr zu. »Wir haben schon gehört, ihr habt nähere Bekanntschaft mit diesen neuen Riesenechsen gemacht. Und da seid ihr nicht die Einzigen.«

Bis zum Abend war der ganze, lange Zug auf dem Plateau eingetroffen. Waren die Täler auf dem Weg hierher immer enger, die Pässe immer schmaler geworden, der Sims auf dem letzten Stück hatte die Freien endgültig dazu gezwungen, in einer langgestreckten Kolonne, ein Wagen nach dem anderen, zu reisen.

Noch vor der Dunkelheit hatte man die Zelte errichtet, und nun saß der komplette Clanrat mit den vier Meldereitern um ein großes Feuer, um Neuigkeiten auszutauschen. Da Mikail selbst eine dieser Neuigkeiten war, hatte Connor auch ihn dazu geladen.

»Ich sag’s euch: Einfach zurückgeprallt ist sie, meine schöne Axt«, berichtete Jekarina eben von dem Kampf mit den Echsen vor vier Tagen. »Damit hab ich schon ganze Bären auseinandergehackt, aber diesem Biest konnte ich noch nicht mal den Zeh abschlagen. Die sind unglaublich gut gepanzert.«

»Ja, davon haben wir schon gehört«, bestätigte Twan, der wohl den Meldetrupp anführte. »Zwei andere Clans hatten auch schon Begegnungen mit den neuen Echsen, und sie haben dabei wesentlich mehr Menschen verloren. Aber keinem ist es bisher gelungen, auch nur ein einziges Tier zu erlegen. Ihr dagegen habt gleich zwei getötet. Wie habt ihr das geschafft?«

»Das haben wir unserem neuen Freund hier zu verdanken«, erklärte Connor und deutete auf Mikail. »Er ist schon vor uns mit zweien dieser Viecher zusammengestoßen und hat das überlebt. Mikail, magst du selbst erzählen, wie es dazu kam?«

Wieder einmal stand er im Zentrum der Aufmerksamkeit. Na schön, so langsam gewöhnte er sich daran. Mikail berichtete davon, wie er den siebenjährigen Garik nach dessen Aussetzung im Stadtwald gerettet hatte, wie sie auf dem Weg zurück in seinen Unterschlupf von den beiden Monstren verfolgt worden und gerade noch in die Höhle geflüchtet waren. Die schrecklichen Minuten, als eine der Echsen sie beinahe erwischt hätte, kürzte er lieber ab und kam zum Wesentlichen.

»Plötzlich ist das Vieh einfach zusammengebrochen. Als ich ihm die Lanze und den Speer ins Maul gerammt hab, war es nur sauer, und dann lag es auf einmal tot da. Zum Glück hat es den Eingang versperrt, sodass sein Artgenosse nicht zu uns reinkam, und der hat sich dann irgendwann getrollt. Als wir uns am nächsten Morgen aus der Höhle getraut haben, konnte ich mir den Kadaver genauer ansehen und bin dabei auf zwei Schwachstellen gestoßen. Eine davon hatte wohl die andere Echse versehentlich erwischt und damit ihren Kumpan erledigt. Diese Stellen liegen links und rechts am Hals, direkt hinter dem Nackenschild, der sie normalerweise sehr gut abschirmt. Die übrige Haut am Hals ist zwar etwas weicher als am Rest des Körpers, damit sie den Kopf bewegen können, aber diese beiden Stellen – sie sind etwa so groß wie Jekarinas Hand – sind sehr verletzlich. Die Haut ist nur ledrig, aber nicht von Hornschuppen geschützt, ziemlich dünn, und direkt darunter befinden sich große Adern. Wir nehmen an, dass es der Kühlung dient, eine andere Erklärung haben wir nicht. Vuyo sagte ja schon, es sind Warmblüter. Aber egal, warum sie diese Stellen haben, da kann man sie jedenfalls mit einem einfachen Pfeil oder Speer verletzen, und dann spritzt das Blut unter hohem Druck heraus. Nur, diese Stellen zu treffen, das ist eine Kunst für sich. Wenn man es dann noch schafft, die Wunde noch etwas größer aufzureißen, brechen sie praktisch sofort zusammen, weil das Blut in einem riesigen Schwall herausschießt.«

»Oh ja …«, erinnerte sich Markus grinsend. »Ich hab ausgesehen wie ein frisch gestochenes Schwein.« Nachdem die junge Kaori der Echse einen Speer in die weiche Stelle gejagt hatte, war er mit seiner enormen Geschwindigkeit gerade noch rechtzeitig heran gewesen, um Mikail davor zu retten, zwischen den Kiefern des Tieres zu enden. Markus war mit seiner außergewöhnlichen Geschwindigkeit über den Hals der Bestie gesetzt und hatte die Waffe so herumgerissen, dass er viele Blutgefäße zerfetzt und besagten Blutschwall ausgelöst hatte – um selbst davon überschüttet zu werden.

»Ein Anblick für die Ahnen, ja«, bestätigte Jekarina lachend. »Von Kopf bis Fuß knallrot war er.«

Für einen Moment wich die beklommene Stimmung, die die Schilderung der Kämpfe heraufbeschworen hatte, doch schon verdüsterte sich das Gesicht Twans wieder. »Das heißt, man kann sie töten, aber es ist verdammt schwer. Und sie klettern sogar Felswände hinauf?«

»Zumindest ein paar Meter Sandstein«, stimmte Marlen zu, Mitglied des Clanrates. »Ihre Klauen sind so stark, dass sie sich darin festkrallen können. Ob sie aber auch an Granitwänden wie diesen hier hinaufkommen, ist eine ganz andere Frage.«

»Die ich möglichst nicht so bald geklärt sehen möchte«, fügte Connor hinzu. »Wir müssen uns gründlich überlegen, wie wir uns dagegen absichern, dass sie auf dieses Plateau gelangen. Sie würden ein Blutbad anrichten.«

»Wenigstens in diesem Punkt kann ich euch beruhigen«, erwiderte Twan. »Soweit wir wissen, halten sich die Tiere immer recht nahe am Gebirgsrand. Zwar wurden schon einige Exemplare weiter draußen in der Ebene gesichtet, dort scheinen sie aber die Mittagshitze nicht zu vertragen. Sie jagen wohl gerne dort, weil sie sehr schnelle Läufer sind, verbringen die heißesten Stunden des Tages aber lieber in kleinen Tälern, wo es schattig ist. Das passt zu eurer Vermutung, dass sie Warmblüter sind. Andere Clans haben beobachtet, dass die Tiere hauptsächlich morgens und abends jagen, während sie tagsüber den Schatten suchen. In der Nacht sind sie eher auf Wanderschaft, scheint es. Auf jeden Fall gehen sie nicht allzu weit ins Gebirge hinein, vermutlich, weil ihnen die Jagd dort zu schwer fällt. In der Ebene können sie mit ihrer erschreckenden Geschwindigkeit und Größe Wildrinder und sogar Pferde jagen, in den Bergen bekommen sie nur viel kleinere Tiere in die Fänge, die den Aufwand nicht lohnen. Zumindest deuten alle Beobachtungen darauf hin.«

»Dann sind wir ihnen also wohl nur zufällig in die Quere gekommen«, überlegte Mikail laut, »und sie dachten, wir wären ein netter, kleiner Happen zwischendurch.«

»Kann sein, ja.« Twan sah ihn nachdenklich an. »Nun möchte ich aber doch gerne erfahren, was es mit dir auf sich hat. Du holst einfach so ein Kind vom Übergabepunkt weg, alleine? Das macht man nicht, das solltest du doch wissen.«

Tja, damit waren sie wieder an dem Punkt. Mikail musste erneut seine Geschichte erzählen. Er wechselte nur einen kurzen Blick mit Connor, der ihm auffordernd zunickte, und schilderte dann in möglichst kurzer Form, wie er in Or aufgewachsen war, mit der ständigen Angst, als Abartiger enttarnt zu werden. Beinahe zwanzig Jahre war es ihm gelungen, doch dann hatte nur er mit seiner immensen Kraft, die die jedes normalen Menschen um ein Mehrfaches überstieg, eine ganze Handelskarawane vor einem Rudel riesiger Wölfe retten können. Zwar hatten so die meisten Menschen der Karawane überlebt, inklusive seines besten Freundes Loris, doch das rettete Mikail nicht davor, kurz vor der anstehenden großen Dürre aus seiner Heimatstadt verbannt zu werden. Abartige, wie man all jene Menschen nannte, die mit Abweichungen zu dem, was man als gesund definierte, geboren waren, durften nicht in den Städten leben. Zu groß war die Angst vor ihnen, geschürt durch alte Geschichten von einem blutigen Kampf zwischen veränderten und normalen Menschen.

Kaum hatte Mikail sich in einer Höhle häuslich eingerichtet, die er einem Bären abgejagt hatte, war der kleine Garik ebenfalls ausgesetzt worden. In dem Glauben, man überlasse das Kind dem sicheren Tod, hatte Mikail es zu sich geholt. Von den vielen in der Wildnis lebenden Menschen, die sich Freie nannten und aus ausgesetzten Abartigen oder deren Nachfahren bestanden, hatte er keine Ahnung gehabt. Dieses Geheimnis wurde streng gehütet, man ließ die Stadtbewohner in dem Glauben, alle ausgesetzten Kinder fielen wilden Tieren zum Opfer, während sie eigentlich von den Freien aufgenommen wurden.

»Tja, zum Glück hatte ich kurz vorher das Lager dieses Clans hier entdeckt und habe dann natürlich beschlossen, den Jungen dorthin zu bringen, wo man sich besser um ihn kümmern kann«, schloss Mikail seinen Bericht ab.

Twan nickte bedächtig. »Kluge Entscheidung. Nur wundert es mich, dass du immer noch bei ihnen bist.« Er sah Connor fragend an. »Die Regeln sind doch recht eindeutig, was erwachsene Ausgewiesene angeht. Keine Aufnahme mehr in dem Alter.«

Connor brummte zustimmend. »Das hatten wir auch nicht vor. Aber der Junge, dieser Garik, hat uns praktisch dazu gezwungen. Der Bengel hat uns glattweg damit gedroht, er würde sofort hinter Mikail herlaufen, wenn der uns verlassen muss. Mikail hat sogar einmal versucht, sich heimlich wegzuschleichen, aber Garik hat es mitbekommen und einen gewaltigen Aufstand gemacht. Nun ja, und da die große Dürre ansteht, sind wir übereingekommen, Mikail bis zum Ende der Dürre Gastrecht zu gewähren. Noch dazu, wo sich diese neuen Viecher hier herumtreiben – nicht nur die Echsen, sondern auch die Tundrawölfe, die man in den Städten noch nicht kennt. Ihn vorher wegzuschicken hieße, ihn umzubringen. Dann wären wir, wie uns der kleine Rotzlöffel leider vollkommen zu Recht vor den Latz geknallt hat, nicht besser als die Städter.«

»Außerdem hätten wir ohne unseren Gast wesentlich schlechter bei diesen größenwahnsinnigen Eidechsen abgeschnitten«, warf Jekarina ein. »Er hat es sich redlich verdient, bei uns zu bleiben.«

Twan warf ihr einen missbilligenden Blick zu. »Das verstehe ich schon, aber ihr kennt die Regeln. Das Gastrecht ist eigentlich nicht dafür gedacht.« Er musterte Mikail einige Atemzüge lang schweigend und wenig freundlich. »Aber gut, wenn euer Clanrat so entschieden hat, ist das so. Ich muss das natürlich dem Großen Rat melden, mal sehen, was der dazu sagt.«

»Selbstverständlich«, stimmte Connor zu. »In dieser Sache werde ich euch sowieso eine Botschaft mitgeben. Aber lass uns zu wichtigeren Themen zurückkehren. Jekarina, bist du so gut und holst unsere Andenken?«

Die Riesin erhob sich und verließ unter den fragenden Blicken der Meldereiter die Runde. Gleich darauf kehrte sie mit vollgeladenen Armen zurück.

»Hier«, sagte sie und ließ ihre Last vor Twan und seinen Reitern zu Boden fallen: große Stücke Echsenhaut und eine Klaue. »Wir haben zwei gute Sägen ruiniert, um das aus den Viechern rauszuschneiden.«

2

»Du gehst schon?« Loris sah Kristobal überrascht an. Er kam eben erst nach Hause, und der Besuch machte sich davon.

Der Schmied grinste breit. »Ja, ich bin völlig platt.«

»Kenn ich«, gab Loris schmunzelnd zurück. »Na, dann schlaf dich mal gut aus, und morgen sehe ich dann, was du mir Schönes gebaut hast.«

»Du wirst begeistert sein.« Kristobal klopfte ihm gutmütig auf die Schulter und lachte, als Loris das Gesicht verzog. Wo der Kerl hinlangte, wuchs so schnell kein Gras mehr.

»Gute Nacht«, rief er ihm noch hinterher, dann schloss er die Haustür hinter sich. »Mitena?«

Keine Antwort.

Eine einzelne Öllampe an der Wand tauchte den Flur in schummriges Licht. Loris streifte die Schuhe ab und tapste ins Schlafzimmer. Auch dort kämpfte nur ein kleines Lämpchen gegen die Dunkelheit an. Seine Liebste lag nackt und schweißglänzend auf dem Bett, die Augen geschlossen. »Mitena? Bist du etwa schon eingeschlafen?«

»Nein, nur erschöpft«, kam es müde zurück.

»Dann hat sich der Abend wohl gelohnt?«

»Oh ja …« Sie schlug die Augen auf und lächelte ihn an. »Ich hatte seit der Karawane ganz vergessen, wie beeindruckend Kristobals Schmiedehammer ist.«

»Na, hoffentlich hat er jetzt nicht zu viel Eindruck hinterlassen.« Er setzte sich neben sie und streichelte ihre Hüfte. »Sonst bin ich dich am Ende gleich wieder los.«

Sie nahm seine Hand und drückte sie fest. »Keine Sorge. Meine Prioritäten liegen nicht unbedingt auf der Ausrüstung.«

»Sondern?«

»Darauf, wie gut ein Mann damit umgehen kann.«

Aha. »Und da liege ich vorne?«

»Och …« Sie grinste schelmisch und zog ihn zu sich herab. »Quatschkopf. Du weißt doch, dass ich dich liebe. Auch ohne, dass du mir so schöne Versöhnungsgeschenke wie heute Abend machst.«

Ja, er wusste, dass sie ihn liebte. Wie hatte er das nur vergessen können? Loris hätte sich immer noch selbst in den Hintern beißen können, wie leichtfertig er diese Liebe aufs Spiel gesetzt hatte. Sie war ihm eine so große Stütze gewesen in der schweren Zeit nach der Karawane, hatte zu ihm gehalten, als beinahe alle anderen ihn als Verräter abgestempelt hatten, nie an ihm gezweifelt. Selbst bei seinem Amt als Dürrekommandant, das ihm der Rat aufs Auge gedrückt hatte, hatte sie ihm noch geholfen. Nur ihrem klugen Rat hatte er es zu verdanken, dass er nun mit einem Dürrerat arbeitete, der voll hinter ihm stand, dem er vertrauensvoll Aufgaben übertragen konnte.

Und wie hatte er es ihr gedankt? Von früh bis spät war er beschäftigt gewesen, kaum zum Essen heimgekommen, und hatte sie dann nur ständig mit seinen Sorgen überschüttet, während er einen Becher Wein nach dem anderen hinunterkippte.

Nichts hatte sie mehr von ihm gehabt außer Jammern, Schimpfen und betrunkenem Schnarchen. Kein Wunder, dass ihr irgendwann der Kragen geplatzt war. Sie hatte ihn zusammengestaucht, und statt seine Fehler einzusehen war er nur beleidigt abgezogen, hatte sich von ihr im Stich gelassen gefühlt. Zum Glück hatten ihm Freunde den Kopf zurechtgerückt, früh genug, sodass die Beziehung zu Mitena schnell wieder zu kitten gewesen war.

Er hatte seine Fehler eingesehen und war sich auch nicht zu fein gewesen, sie ihr gegenüber einzugestehen. Und, noch wichtiger, er hatte sich geändert. Endlich war er bereit, Aufgaben zu verteilen und sich darauf zu verlassen, dass diese ordentlich ausgeführt wurden. So hatte er wieder mehr Zeit für die Frau, an die er schon auf der Reise von ihrer Heimatstadt Cood hier nach Or sein Herz verloren hatte. Mehr Zeit und mehr Nerven. Und: Es blieb jetzt bei einem Becher Wein am Tag.

»Ich finde, nachdem ich dich so sträflich vernachlässigt habe, hast du solche kleinen Aufmerksamkeiten wirklich verdient. Und Kristobal leistet schließlich auch einiges, der wird auf diese Weise gleich mit belohnt.«

»Ach, so ist das!« Sie klopfte ihm spielerisch auf den Hinterkopf. »Du benutzt mich als Belohnung für deine wichtigsten Mitarbeiter.«

»Das ist nur ein praktischer Nebeneffekt.« Er küsste sie innig. »Ich nehme nicht an, dass du heute noch recht viel Energie hast?«

Sie dachte für einen Moment nach, dann seufzte sie. »So verlockend die Vorstellung auch ist, ich fürchte nein. Da müsstest du schon Uschindi fragen.«

»Ach nein«, lehnte er lachend ab. »Ich bin ja selbst ziemlich erledigt. Allerdings von der Arbeit. Mir reicht es völlig, wenn ich mich jetzt bei dir ankuscheln und schlafen darf.«

»Na, dann kuschel mal.«

Am folgenden Morgen stand Loris pünktlich um acht auf dem großen Ladeplatz. Leider ohne Mitena. Zu gerne hätte er sie bei dem, was jetzt anstand, dabei gehabt, doch sie hatte irgendetwas unheimlich Dringendes zu erledigen.

Kristobal und der Armbruster Amad waren noch damit beschäftigt, die Vorführung vorzubereiten. Da man sich keinesfalls mehr vor die Stadtmauern wagen konnte, nutzten sie die lange, zumindest ein gutes Stück weit gerade verlaufende Straße, die vom großen Haupttor bis zum Ladeplatz führte. Zwar hatten sie hier nur gute zweihundert Meter zur Verfügung, dann machte die Straße einen leichten Bogen, aber das reichte völlig aus.

Loris sah sich um. Hier hatte alles begonnen. Vor gerade mal rund acht Wochen waren sie von hier mit der Karawane nach Cood aufgebrochen. Was hatte er sich damals auf das große Abenteuer gefreut! Und dann? Der Wolfsangriff, der so viele Leben gekostet hatte, und Mikails Ausweisung, die so kurz vor der Dürre einem Todesurteil gleichkam.

Mikails Familie wurde hart bestraft, weil sie dessen Abartigkeit verschwiegen hatte, und Loris hatte grandios bei dem Versuch versagt, diese Strafe zu verhindern. Nur um direkt nach dem Urteil durch den Stadtrat zum Dürrekommandanten ernannt zu werden, ein Amt, das er nie gewollt hatte.

Eigentlich hätte Taio diese Aufgabe übernehmen sollen, wie schon in den vorigen Dürren, doch als Karawanenführer war er den Wölfen zum Opfer gefallen. Und so war Loris mit seinen zwanzig Jahren nun der jüngste Dürrekommandant der Geschichte. Eigentlich, weil er sich beim Wolfsangriff durch ein gewisses Organisationstalent hervorgetan hatte. Doch viele in der Stadt glaubten, er habe Mikails Familie verraten, einer höheren Strafe zugestimmt, um im Gegenzug dieses mit hohem Ansehen verbundene Amt zu erhalten.

Er seufzte tief. Noch immer hätte er nichts lieber getan, als in der Zeit zurückzugehen und sich selbst auszureden, überhaupt mit der Karawane zu reisen. Mikail war nur mitgekommen, um ihm Gesellschaft zu leisten, hatte eigentlich gar nicht gewollt. Wäre das alles doch nie passiert! Dann hätte er jetzt immer noch seinen besten Freund an seiner Seite, auch ohne das großartige, furchtbar anstrengende Amt des Dürrekommandanten. Er hätte auch noch das gute Verhältnis zu Lia. Seine Schwester, die Mikail liebte, hielt ihn immer noch für käuflich, hatte seit seiner Ernennung kein Wort mehr mit ihm gesprochen. So viele andere schnitten ihn seitdem, zeigten ihm mehr oder minder offen ihre Verachtung.

Andererseits … er hatte auf der Karawane Mitena kennengelernt. Nun lebte er schon bei ihr und war glücklich, sie als Gefährtin zu haben. Nicht alles war schiefgelaufen.

Und dann waren da noch die vielen neuen Ideen, die er für die Verteidigung der Stadt gehabt hatte. Eine davon würde er gleich in Aktion erleben, umgesetzt von dem geradezu genialen Waffenbauer Amad und dem tüchtigen Schmied Kristobal.

»Seid ihr so weit?«

Amad sah auf. »Kleinen Moment, bitte. Die anderen fehlen ja auch noch.«

Loris sah sich um. Ja, wo war eigentlich der Rest des Dürrerates? Laut Plan sollten alle der Vorführung beiwohnen.

Ah, da kamen sie ja. Uschindi, die kesse Blondine mit der Kleinmädchenstimme, die die große Mauer beaufsichtigte, schritt voran. An ihrer Seite Marina, Hundeführerin, zuständig für die Innenverteidigung, falls Tiere durchbrechen sollten, und seit der Karawane Amads Gefährtin.

Ihnen folgten Binka und Haruto. Die große Rothaarige arbeitete als Minenvorsteherin für Loris’ Vater im Eisenbergwerk und war nun für die Verteilung der Nahrungsmittel zuständig. Haruto, der schwarze Riese, trug nach einem schrecklichen Unfall den rechten Arm in einer Schlinge. Trotzdem war der bullige Glatzkopf immer noch eine respekteinflößende Erscheinung, und die Kinder und Jugendlichen, die unter seinem Kommando Botengänge erledigten und bald die Vögel und anderes Kleingetier von den Nahrungs- und Wasserspeichern fernhalten sollten, gehorchten ihm aufs Wort.

Zuletzt kamen Schmuel und Mikis. Zuständig für die Wasserspeicher und die Zugänge zu den kleinen Gebirgstälern, hatten sie schon in den vorigen Dürren unter Taio Erfahrungen gesammelt. Besonders Mikis musste jetzt viele neue Baumaßnahmen koordinieren, um die vergleichsweise kleinen und schwachen Absperrungen in Richtung des Gebirges möglichst gut für einen Angriff der Riesenwölfe oder gar der neuen, gigantischen Echsen aufzurüsten. Doch auch die Wasserspeicher wurden nun wesentlich besser gesichert als bislang.

Früher hatten kräftige Bretterwände, kleine Mauern und natürlich die große Mauer aus fünf Meter hohem Sandstein zur Ebene hin ausgereicht, um die Tiere draußen zu halten. Während einer großen Dürre wurde das Wasser so knapp, dass praktisch alles vom Wildschwein über die großen Wildrinder bis hin zu Wölfen und Bären vor Hunger und noch mehr vor Durst wahnsinnig wurde. Die Tiere rochen die Vorräte an Heu und Korn, besonders aber die Wasserspeicher, die sicher hinter den Stadtmauern verborgen lagen, und unternahmen alles, um heranzukommen.

Das war auch von den neuen Wölfen zu erwarten. Deshalb hatte Loris bereits diverse Baumaßnahmen veranlasst, um die Mauern und Absperrungen auch gegen diese Räuber abzusichern, die so viel größer und gefährlicher waren als ihre bislang bekannten Vettern. Alleine das gegen den Widerstand einiger Geizhälse im Stadtrat durchzusetzen, war ein hartes Stück Arbeit gewesen. Ihrer Ansicht nach hätten die neuen Speerschleudern vollkommen ausgereicht, die Amad nach Loris’ Ideen baute.

Tja, und dann war mit den Echsen eine noch größere Bedrohung aufgetaucht, die noch bessere Waffen erforderte. Amad und Kristobal legten letzte Hand an die neuen Geräte.

»Interessant«, kommentierte Mikis die Konstruktionen. »Sollen das Wurfarme sein?«

»Lass dich überraschen«, gab Amad fröhlich zurück. »Aber bitte nicht da. Am Ende treffen wir noch aus Versehen dich, und dann hast du ein sehr, sehr großes Loch.«

Mikis verzog das Gesicht und machte, dass er aus der Schusslinie kam.

»Also, wir wären dann soweit«, erklärte Amad.

Loris nickte ihm aufmunternd zu. »Wir sind ganz Ohr, großer Meister.«

Auch viele Stadtbewohner hatten sich eingefunden und beäugten interessiert den Aufbau. Am entfernten Ende des Ladeplatzes befanden sich zwei Zielscheiben, dahinter eine ganze Wand aus Strohballen, drei Schichten hintereinander. In etwas mehr als zweihundert Metern Abstand standen die beiden Konstruktionen, um die es heute ging.

»Das hier«, begann Amad seinen Vortrag, »ist die Speerschleuder, die ihr schon kennt. Mit ihr habe ich den Wolf erledigt, der vor ein paar Tagen durchs Tor kam. Wir nennen sie, der stählernen Wurfarme wegen, Stahlschleuder. Um sie von der neuen Bauform zu unterscheiden.«

Loris erinnerte sich mit Schaudern daran, wie knapp es gewesen war. Das Rudel hatte die Holzfäller verfolgt, die im Stadtwald dringend benötigtes Baumaterial besorgen sollten. Sie hatten einen Wagen und vier Pferde opfern müssen, um die Räuber aufzuhalten. Nur einer war den Arbeitern trotzdem stur gefolgt und noch schnell durch das sich schließende Tor hereingewitscht. Amad, der sonst kein Scheunentor auf fünf Meter traf, hatte ihm einen Speer quer durch den Leib gejagt.

»Hier ist ein Speer, wie wir ihn bislang verwendet haben.« Der Waffenbauer hielt das Geschoss hoch. »Ihr seht, er hat die übliche, flache Spitze, wie alle Speere und Pfeile. Schnell und einfach zu schmieden, vollkommen ausreichend für die Jagd. Auch den Wolf haben wir damit problemlos durchbohrt.«

Er legte den Speer auf die Schiene der bereits schussbereiten Schleuder. Die stählernen Wurfarme waren gespannt und warteten nur darauf, das Geschoss auf die Reise zu schicken.

»Marina, sei so lieb, ja?« Amad winkte der Hundeführerin, die schon bei den Übungen vor der Karawanenreise eine erstaunliche Treffsicherheit gezeigt hatte. »Ich möchte ungern irgendwelche Mitbürger durchlöchern.«

Lachend trat sie an die Waffe. »Ist wohl besser, ja.«

»Da hinten«, fuhr der Armbruster mit seinen Erläuterungen fort, »seht ihr zwei verschiedene Zielscheiben. Die linke besteht diesmal aus fünf Lagen dicken Rindsleders, dazwischen je etwa zwei Zentimeter Filz. Wie wir beim letzten Test gesehen haben, wurden drei Lagen problemlos durchschlagen, also haben wir aufgestockt. Marina?«

Sie nickte, zielte kurz und gab die Sehne frei. Mit lautem Tschock schlug der Speer ziemlich mittig im Leder ein und blieb dann baumelnd stecken. Kristobal lief los und zog ihn wieder heraus. Dazu musste der Schmied seine mächtigen Muskeln ordentlich anstrengen, doch schließlich bekam er die Waffe frei und kam damit zurück.

»Ihr seht«, erklärte Kristobal, »die Spitze ist stark verbogen. Tatsächlich hat der Speer nicht die gesamte Zielscheibe durchschlagen, sondern ist zwischen den letzten beiden Schichten Leder stecken geblieben. Die Spitze ist so krumm, ich habe ihn kaum herausbekommen.«

Gut, das war kein Problem, wenn es um die großen Wölfe ging. Seit Amads Glückstreffer wussten sie, dass die alten Spitzen vollkommen ausreichten. Aber dann war diese Echse aufgetaucht, die von der Speerschleuder herzlich unbeeindruckt gewesen war. Ein Monster von geschätzten acht Metern Länge. Gerade ein einziger Treffer war nicht einfach von ihr abgeprallt, sondern zumindest etwa eine Handspanne in ihre dicke Schuppenhaut eingedrungen und schnell wieder herausgefallen. Ein Kratzer, den sie wohl bestenfalls als lästig empfunden hatte. Die Spitze dieser Waffe war ebenso stark verbogen gewesen wie die, die Kristobal gerade hochhielt.

Erst unter dem Eindruck dieser zusätzlichen Bedrohung hatten der Stadtrat und mit ihm die meisten Zweifler in der Bevölkerung eingesehen, dass sie sich dringend besser schützen mussten. Sollte eines dieser gigantischen Tiere, die selbst die neuen Wölfe mit Leichtigkeit zerfetzten, in die Stadt eindringen, würde es ein Gemetzel geben.

Aber auch gegen diese Bestien hatte Loris nun möglicherweise ein Mittel gefunden. Das würde sich gleich erweisen.