Ithaka - Wolfgang Hohlbein - E-Book
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Ithaka E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

Eine Fahrt, die zur Legende wurde: Die Odyssee nach „Ithaka“ neu erzählt von Wolfgang Hohlbein und Dieter Winkler jetzt als eBook bei dotbooks. Einst hat der kluge Odysseus mit einer List den Ausgang des Trojanischen Krieges besiegelt und so Ruhm und Ehre erlangt. Doch jetzt scheint ihm und seinen Getreuen das Glück nicht mehr hold: Schon lange ist der Krieg vorbei, aber immer noch irren die Gefährten über das Meer. Vergeblich versuchen sie, endlich das heimatliche Ithaka zu erreichen – höhere Mächte mischen unerbittlich ihre Hand ins Spiel und steuern das Schiff in immer gefährlichere Gewässer: Haben die Götter sie verflucht? Die Suche nach einer Antwort führt Odysseus bis in das Reich der Toten … Das uralte Epos der Odyssee ganz neu erzählt von Bestsellerautor Wolfgang Hohlbein: Hochspannung garantiert! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Ithaka“ von Wolfgang Hohlbein und Dieter Winkler für Leser ab 12 Jahren. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 336

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Über dieses Buch:

Einst hat der kluge Odysseus mit einer List den Ausgang des Trojanischen Krieges besiegelt und so Ruhm und Ehre erlangt.

Doch jetzt scheint ihm und seinen Getreuen das Glück nicht mehr hold: Schon lange ist der Krieg vorbei, aber immer noch irren die Gefährten über das Meer. Vergeblich versuchen sie, endlich das heimatliche Ithaka zu erreichen – höhere Mächte mischen unerbittlich ihre Hand ins Spiel und steuern das Schiff in immer gefährlichere Gewässer: Haben die Götter sie verflucht? Die Suche nach einer Antwort führt Odysseus bis in das Reich der Toten …

Das uralte Epos der Odyssee ganz neu erzählt von Bestsellerautor Wolfgang Hohlbein: Hochspannung garantiert!

Über die Autoren:

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Der Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem preisgekrönten Jugendbuch Märchenmond. Inzwischen hat er 150 Bestseller mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Büchern verfasst. 2012 erhielt er den internationalen Literaturpreis NUX. Zeitgleich startete der in Neuss lebende Autor ein innovatives Hohlbein-TV-Projekt.

Bis 1996 war Dieter Winkler Chefredakteur der erfolgreichen Computerzeitschrift CHIP. Seitdem widmet er sich ausschließlich dem Schreiben. Winkler unterhält mit spannungsgeladenen Kurzgeschichten und Romanen, deren Themenspektrum sich zwischen Fantasy und Internet erstreckt.

Der Autor im Internet: www.hohlbein.de

Bei dotbooks erscheinen von Wolfgang Hohlbein die Jugendbücher: Der weiße Ritter – Erster Roman: WolfsnebelDer weiße Ritter – Zweiter Roman: SchattentanzNach dem großen FeuerDrachentöter

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eBook-Neuausgabe Oktober 2016

Dieses Buch erschien bereits 1987 unter dem Titel Der lange Weg nach Ithaka bei Loewes Verlag, Bindlach.

Copyright © der Originalausgabe 1987 by Loewes Verlag,

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs unter Verwendung der Motive: Helm © David.C.Azor (fotolia.com), Säulen © Sondem (fotolia.com)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-729-1

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Wolfgang HohlbeinDieter Winkler

Ithaka

Roman

dotbooks.

Die Irrfahrt beginnt

Seit sechs Tagen war das Meer so glatt wie ein Spiegel und der Himmel darüber so leer, wie er nur leer sein konnte: wie eine azurblaue, umgestülpte Riesenschüssel hing er über dem Ozean, und nicht die allerkleinste Wolke war zu sehen. So, wie sich auch seit sechs Tagen nicht der mindeste Windhauch regte.

Die Flotte lag still.

Die Segel der gut einhalb Dutzend Schiffe hingen schlaff an den Masten. Dann und wann knarrte Holz oder spannte sich ein Tau, und manchmal, wenn eine einsame Welle herangerollt kam, hob und senkte sich die ganze Flotte wie ein Schwarm hölzerner, schreiend bunter Riesenfische, die ein vergeßliches Götterkind auf der hohen See zurückgelassen hatte.

Über den in lockerer Unordnung nebeneinander dümpelnden Schiffen lag eine tiefe Stille. »Als wären wir eine Flotte von Toten, die den Styx überquert und sich dabei gründlich verirrt hat, und nicht die sieben gewaltigen Kriegsschiffe Ithakas«, überlegte Odysseus düster. Natürlich war die endlose Wasserwüste vor ihnen nicht der Styx, aber das war auch so ungefähr das einzige, was er mit Bestimmtheit wußte. Und daß dieser Ozean gut und gerne zu ihrer aller Grab werden konnte, wenn die Götter nicht bald ein Wunder geschehen ließen, das wußte er auch.

Verärgert wandte er sich um, spie in hohem Bogen ins Wasser und stieg steifbeinig von seinem Aussichtsplatz im Bug des Schiffes herunter auf das Deck. Er hatte Durst, und seine Augen brannten vom langen, angestrengten Starren. Was er auf dem Weg zu dem kleinen hölzernen Aufbau im Heck des Schiffes sah, hob seine Laune auch nicht gerade. Kaum einer der Männer an Bord hatte noch genügend Energie, sich auf den Beinen zu halten, geschweige denn die zentnerschweren Riemen zu heben und das Schiff damit von der Stelle zu rudern. Die meisten hatten versucht, irgendwo ein Stückchen Schatten zu ergattern oder sich irgendeinen Stofffetzen über das Gesicht zu ziehen, um wenigstens der ärgsten Sonnenhitze zu entgehen. Die wenigen, die noch aufrecht saßen, hockten teilnahmslos da und hatten kaum die Kraft, seinen Gruß zu erwidern. Und auf den anderen sechs Schiffen sah es kaum besser aus, wie Odysseus wußte. Ganz im Gegenteil. Am Morgen hatte es den ersten Toten gegeben, einen Mann, der einfach eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht war. Er würde nicht der letzte bleiben, wenn nicht das Wunder geschah, um das er die Götter gebeten hatte: Regen und Wind.

Nein, dachte Odysseus, während er – sehr vorsichtig, um nicht auf einen der schlafend daliegenden Männer zu treten – das Schiff durchquerte. Wenn dieser Haufen zerlumpter, zu Tode erschöpfter Männer der Stolz Ithakas sein sollte, dann mußte er sich überlegen, ob er nicht das falsche Königreich sein eigen nannte.

Natürlich war er sich darüber im klaren, daß solcherlei Gedanken ungerecht waren, denn die Männer hatten wirklich alles gegeben, wozu sie imstande waren, und noch ein gehöriges bißchen mehr – aber zum Hades, er war selbst müde und erschöpft und enttäuscht und hatte Durst und eine ohnmächtige Wut. Und all dies zusammen gab ihm wohl das Recht, ungerecht zu sein – zumal er keinen dieser Gedanken laut ausgesprochen hätte, und wenn sein Leben davon abhinge.

Aufgebracht wie er war, stieß er sich kräftig den Kopf an der niedrigen Tür zu seiner Kajüte, aber er unterdrückte den Fluch, der ihm auf den Lippen lag. Nach dem grellen Sonnenlicht draußen war er im ersten Moment fast blind und fiel mehr auf sein Lager, als daß er sich setzte.

Daß er nicht allein in der Kabine war, merkte er erst, als er sich seufzend auf seinem Lager ausstreckte und ein halblautes Lachen zur Antwort bekam. Halb erschrocken, halb verärgert setzte er sich kerzengerade hin, riß die Augen auf und sah, wie sich ein Schatten neben der Tür bewegte. Metall klirrte leise, und ein verirrter Sonnenstrahl spiegelte sich auf einer Oberarmspange.

»Bist du das, Eurylochos?« fragte Odysseus.

»Ich bin es«, antwortete Eurylochos. »Wer sonst würde es wagen, unangemeldet und ungefragt in Euer Gemach zu kommen, o edler Odysseus, König von Ithaka und größter aller Helden?«

Odysseus legte den Kopf auf die Seite und starrte den Schatten neben der Tür an. »Höre ich da Spott in deiner Stimme, lieber Freund?« fragte er.

»Aber nein, nein, nicht doch.« Eurylochos lachte, ein Laut, der in der schattigen Wärme der Kabine sonderbar düster klang; fast wie eine Drohung. »Nie würde ich es wagen, dem großen Odysseus, Bezwinger Trojas und Sieger über den gewaltigen Zyklopen, Herrscher über Ithaka und – «

»Und der Mann, der dich gleich an einen Strick binden und die nächsten fünf Tage hinter dem Schiff herschwimmen lassen wird«, unterbrach ihn Odysseus drohend. »Was willst du, Eurylochos? Wenn du gekommen bist, um herauszufinden, wie groß meine Geduld ist, hast du dir einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht.«

»Vielleicht den letzten überhaupt«, sagte Eurylochos, und plötzlich war in seiner Stimme ein Ton, der Odysseus aufhorchen ließ. »Es wird allmählich Zeit, daß du eines deiner Wunder tust, Odysseus. Die Männer beginnen zu sterben.«

»Einer von siebenhundert«, antwortete Odysseus. »Das ist nicht mehr, als zu erwarten war, bei einer Fahrt wie der unseren.«

»Du weißt genau, daß es nicht so ist«, widersprach Eurylochos scharf. »Morgen früh werden es zehn sein, und am Tag danach hundert. Die Hitze und der Hunger bringen die Männer um. In vier Tagen ist dies eine Flotte von Totenschiffen.« Für einen Moment riefen Eurylochos’ Worte einen hilflosen Zorn in Odysseus wach. Er ballte die Faust, starrte den neben der Tür zusammengekauerten Hauptmann an und überlegte sich eine scharfe Antwort. Aber dann senkte er den Blick. »Ich weiß«, sagte er. »Aber was können wir schon tun? Solange die Flaute anhält, liegen wir fest. Wir können nur zu den Göttern beten, uns Wind zu schicken.«

»Die Götter?« Eurylochos lachte. »Seit wir von Ilions Küste fortgesegelt sind, scheinen sie ein wenig schwerhörig zu sein, was unsere Gebete angeht, findest du nicht?«

»Sprich nicht so«, sagte Odysseus streng. »Möglicherweise hören sie besser, als du glaubst.«

Eurylochos gab einen Laut von sich, der schwer zu fassen war. Es konnte ein Lachen sein, aber auch etwas gänzlich anderes. »Seit wann glaubst du an die Götter des Olymp, Odysseus?« fragte er. »Wir sind allein. Laß uns wie vernünftige Männer miteinander reden.«

Odysseus lächelte, obgleich der andere es in der Dunkelheit nicht sehen konnte. »Ich habe nicht gesagt, daß es sie gibt«, sagte er sanft. »Aber ich habe keinen Beweis, daß es sie nicht gibt. Man muß vorsichtig sein.«

Eurylochos schnaubte. »So oder so, wir müssen etwas tun, Odysseus. Wir müssen von hier weg.«

»Aber sicher«, sagte Odysseus wütend …Glaubst du nicht, ich hätte mir seit sieben Tagen nicht selbst den Kopf zerbrochen, wie von hier fortzukommen ist, Eurylochos?« fauchte er. »Solange kein Wind kommt, sind wir dazu verdammt hierzubleiben. Vielleicht, bis wir sterben.«

»Und vielleicht ist es so bestimmt«, fügte er in Gedanken hinzu. Vielleicht war das, was ihnen nun geschah, nichts als die Strafe der Götter dafür, daß sie Troja verbrannt hatten.

Vielleicht hätten sie auf all die Warnungen hören sollen, die sie bekommen hatten. Vielleicht hätten sie diesen Krieg niemals beginnen sollen, nur um einer Frau willen!

Hilflos ballte er die Fäuste, ließ sich wieder auf sein Lager aus Decken und Fellen zurücksinken und starrte die hölzerne Decke über seinem Kopf an. Seine Stimmung schlug in Verzweiflung um, dann in Niedergeschlagenheit. Eine Niedergeschlagenheit, wie sie nur ein Mann wie er verspüren konnte. Er war vom höchsten Gipfel des Triumphes in die tiefsten Abgründe der Hoffnungslosigkeit gestoßen worden. »Es ist einfach nicht gerecht«, dachte er. Keiner der fast siebenhundert Männer in seiner Begleitung hatte die Heimat gesehen in den letzten zehn Jahren, sondern nur den sonnendurchglühten Sand des Hellespont und die gewaltigen Mauern Trojas. Zehn Jahre lang hatten sie sie vergebens berannt, und wahrscheinlich würden sie es noch heute tun, wäre er nicht auf die Idee mit dem Pferd verfallen.

Der Einfall war möglicherweise nicht sonderlich ehrenhaft, aber sehr wirkungsvoll gewesen. Sie hatten gesiegt. Und wie sie gesiegt hatten! Nach zehn Jahren Schmach und Niederlage hatten sie die Stadt geschleift und hatten sich für jede Stunde gerächt, die Trojas Verteidiger sie verspottet und verhöhnt hatten. Sie hatten den Schweiß und die Tränen eines Jahrzehntes mit Strömen von Blut abgewaschen.

Und jetzt waren sie hier – in einem Teil des Meeres, von dem sie nicht wußten, wo er war, unter einem Himmel, an dem des Nachts Sternbilder standen, die keiner von ihnen je gesehen hatte, die nächste Küste vielleicht eine Pfeilschußweite, vielleicht eine Ewigkeit entfernt.

Dabei hatte alles so gut begonnen – sie waren als Sieger losgesegelt, den Rauch von Trojas brennenden Ruinen wie einen schrecklichen Wegweiser im Rücken. Sie hatten – sozusagen im Vorbeisegeln – die Zikonenstadt Imaros geschleift, deren widerspenstige Bewohner (und wohlgefüllte Schatzkammern) allen Griechen schon immer ein Dorn im Auge gewesen war. Und nicht einmal der Orkan, der die gewaltige Flotte der Bezwinger Trojas in alle Winde verstreut hatte, hatte seinen, Odysseus Schiffen, wirklichen Schaden zugefügt: ein paar gebrochene Masten und Beine, ein paar ausgeschlagene Planken und Zähne – welcher Preis war das für einen Sieg wie den ihren? Und selbst danach war ihnen das Glück hold geblieben. Sie hatten die Insel des Zyklopen erreicht und diesem ein schreckliches Ende bereitet. Als wären sie dadurch zu Lieblingen der Götter geworden, waren sie weitergesegelt und von König Äolos, der allerorten als eigenbrötlerischer alter Starrkopf galt, über die Maßen freundlich aufgenommen und beköstigt worden.

Vor nunmehr elf Tagen, mit dem ersten Licht des neuen Morgens, war die vertraute Küstenlinie Ithakas vor ihnen am Horizont erschienen, und dann hatte sie ein Sturmwind, der jäh aus dem Nichts über sie hereinbrach, mit der Geschwindigkeit eines durchgehenden Pferdes ins Meer zurückgeschleudert.

Als der Sturm sich nach vier Tagen legte, waren sie hier gewesen – wo immer sie hier auch sein mochten. Von ihren anfänglich zwölf Schiffen waren noch sechs dagewesen, das siebente war am nächsten Morgen zu der reichlich zerrupften kleinen Flotte gestoßen. Die übrigen fünf waren offensichtlich gesunken oder vom Sturm so weit fortgetrieben worden, daß sie sie aufgeben mußten.

»Was haben wir falsch gemacht?« dachte Odysseus. Waren sie hochmütig gewesen? Hatten sie den Zorn der Götter herausgefordert? Er war zwar ganz und gar nicht davon überzeugt, daß es die Götter gab, aber wenn es sie gab – vielleicht hatten sie dann eine Stadt zuviel geschleift, dem Schicksal einmal zu oft ins Gesicht gelacht? Oder hatten sie einfach nur Pech gehabt?

Odysseus wußte es nicht, obgleich er während der letzten sieben Tage über beinahe nichts anderes als diese eine Frage nachgedacht hatte.

Müde setzte er sich auf, griff nach dem Wasserschlauch und trank einen einzigen Schluck. Das Wasser war warm und schal und schmeckte nicht, aber es war alles, was sie noch hatten. Der Wein, den sie in Imaros mitgenommen hatten, hatte schon vor drei Tagen in den Fässern zu gären begonnen. Sie hatten ihn ins Meer geschüttet, um wenigstens dem Geruch zu entgehen.

Odysseus dachte mit Zorn an die Laderäume seiner Schiffe, die mit Trojas’ und Imaros’ Gold gefüllt waren, das die Schiffe schwer werden ließ. Sie hätten besser daran getan, sie mit Brot und Dörrfleisch zu füllen statt mit Schätzen.

»Worüber denkst du nach?« fragte Eurylochos plötzlich. »Über eine Möglichkeit, hier wegzukommen – oder tust du dir einfach nur leid?«

Odysseus ignorierte den Ärger, den Eurylochos’ respektlose Worte in ihm wachrief. Von all den Helden und Königen, den großen Kriegern und Halbgöttern, die mit und neben ihm gegen Trojas Mauern angerannt waren, war der schwarzhaarige Hauptmann vielleicht sein einziger Freund. Vielleicht war er der einzige Mensch auf der Welt überhaupt, der so mit ihm sprechen durfte, seine Frau Penelope und seinen Sohn Telemach einmal ausgenommen. Aber die waren so weit weg. So unendlich weit weg. Und vielleicht würde er sie niemals mehr Wiedersehen.

»Wenn es gar nicht mehr anders geht, müssen wir rudern«, riß ihn Eurylochos unsanft in die Wirklichkeit zurück.

Odysseus machte sich nicht einmal die Mühe, zu ihm aufzusehen. »Die Männer haben kaum mehr die Kraft, auf eigenen Beinen zu stehen«, sagte er müde. »Wie, glaubst du, sollen sie die Schiffe rudern?«

»Wenn wir die Hälfte der Schiffe zurücklassen, können sich immer zwei Männer in ein Ruder teilen«, entgegnete Eurylochos. »Es muß gehen. Sie werden es schaffen, weil sie wissen, daß sie sonst sterben!«

Einen Moment lang dachte Odysseus ernsthaft über Eurylochos’ Vorschlag nach. Aber nur einen Moment. Dann schüttelte er resignierend den Kopf. Auf jedem ihrer sieben Boote befanden sich schon jetzt gut doppelt so viele Männer, als eigentlich normal gewesen wäre. Die Enge war nach dem Durst und der Hitze das nächstgrößte Problem. »Zweihundert Männer auf einem Schiff, das nur für fünfzig gut ist?« Er seufzte. »Das ist unmöglich, mein Freund. Nach zwei Tagen würden sie anfangen, sich gegenseitig umzubringen.« »Was willst du dann?« fragte Eurylochos zornig. »Willst du aufgeben? All die Männer, die dir ihr Leben anvertraut haben, einfach ihrem Schicksal überlassen? Das ist nicht der Odysseus, den ich kenne, der so etwas sagt.«

»Vielleicht gibt es diesen Odysseus auch nicht mehr, mein Freund«, dachte Odysseus. »Möglicherweise ist er einfach nur müde geworden in all den Jahren. Möglicherweise hat es ihn auch niemals gegeben.« Aber das sprach er nicht aus.

Was hätte er auch schon sagen sollen? Daß er des Kämpfens müde war? Daß er sich manchmal – und in den letzten Tagen immer öfter – dabei ertappte, wie er sich zum Schlafen niederlegte und sich insgeheim wünschte, nie wieder aufwachen zu müssen.

Er sah Eurylochos an und fragte sich, was dieser wohl sagen würde, wüßte er, wie es jetzt in ihm wirklich aussah.

Für Eurylochos – und jeden einzelnen Mann an Bord – war er ein Vorbild, nicht nur ein Führer, nicht nur ein Mann, dem sie zu gehorchen hatten, sondern Freund, Vertrauter und – vielleicht ein bißchen so etwas wie ein Vater. Und er spürte die drückende Last dieser Verantwortung wie ein Zentnergewicht, das schwerer wurde. Schwerer mit jedem Tag, jeder Stunde, die sie nicht nach Hause kamen.

Ob auch nur einer dieser Männer wirklich wußte, was es bedeutete, so viel Verantwortung zu tragen? Wie oft er sich insgeheim gewünscht hatte, mit ihnen tauschen zu können?

Für sehr lange Zeit – sicher einer Stunde oder mehr – herrschte Schweigen in der kleinen, stickigen Kabine am Heck des Schiffes, nur dann und wann unterbrochen vom Klatschen einer Welle, die sich am Bootsrumpf brach, dem gelegentlichen Ächzen von Holz oder dem leisen, gedämpften Stöhnen eines Mannes. Schließlich stand Odysseus auf, stieg umständlich über Eurylochos’ Beine hinweg, der eingeschlafen war und nun, da seine Züge sich entspannten, noch müder und erschöpfter aussah als ohnehin, und trat wieder auf das Deck hinaus.

Die Sonne stach wie mit kleinen, heißen Nadeln in seine Augen, und er merkte erst jetzt, wie kühl und schattig es im Vergleich drinnen in der Kabine gewesen war. Einen Moment lang überlegte er ernsthaft zurückzugehen, aber dann schob er statt dessen die Tür mit einer entschlossenen Bewegung hinter sich zu und ging wieder zu seinem einsamen Aussichtsplatz unter dem schlaff vom Mast hängenden Bugsegel des Schiffes.

Lange Zeit stand er so da und blickte aufs Meer hinaus, ohne es indes wirklich zu sehen. Wo die kaum erkennbare Horizontlinie war, da glaubte er den vertrauten Schatten Ithakas zu sehen. Wo Himmel und Meer in fast nicht zu unterscheidendem Blau miteinander verschmolzen, waren da nicht die Türme seiner Burg, die er vor zehn Jahren verlassen hatte und in deren Mauern Penelope und sein Sohn – der mittlerweile ein Mann sein mußte – auf ihn warteten. Und dort, wo die Möwe kreiste, konnte das der zerklüftete Gipfel des Neriton sein, auf dem die – »Möwe?!«

Odysseus fuhr so abrupt hoch, daß einige der Männer auf dem Deck hinter ihm erschrocken die Augen aufrissen oder sich aufsetzten. »Eine Möwe!« flüsterte er. »So seht doch – da ist eine Möwe!«

Und als hätte das Tier seine Worte verstanden und käme näher, um sich begutachten zu lassen, glitt es ein Stück in die Tiefe und mit weit ausgebreiteten Schwingen auf die reglos daliegende griechische Flotte zu.

Odysseus’ Ruf war gehört worden, und mit einem Male drängelten sich mehr und mehr Männer im Bug des mächtigen Schiffes, erst wenige, dann Dutzende von Armen und Händen hoben sich und deuteten zu der einsamen Möwe empor, die jetzt den Hauptmast umkreiste und wohl nichts anderes im Sinn hatte, als einen Leckerbissen zu ergattern. Bald wurde man auch auf den anderen Schiffen auf das Tier aufmerksam, und schon kurze Zeit darauf hallte das Meer, das die kleine Flotte bisher wie ein gewaltiges, schweigendes Leichenhaus umgeben hatte, unter dem Geschrei von fast siebenhundert Männern wider. Denn jeder an Bord der sieben Schiffe wußte, was die Möwe zu bedeuten hatte: nichts anderes als Land, das wohl noch hinter dem Horizont, aber nicht mehr sehr weit entfernt liegen konnte. Möglicherweise war es nur eine Insel – aber welche Rolle spielte das schon? Wo diese Möwe herkam, da mußte Land sein, und Möwen fliegen nicht sehr weit.

Dem Vogel wurde der Lärm bald zuviel. Mit einem schrillen Schimpfen, das im Lärm der Mannschaft allerdings hoffnungslos unterging, schwang er sich hoch empor in den Himmel und flog davon, bis er zu einem kleinen weißen Punkt zusammenschrumpfte und bald ganz verschwunden war.

Auf den Schiffen indes hielt das Schreien und Lachen noch lange Zeit an, und viele Männer begannen auf der Stelle zu beten und die Götter zu preisen, die ihnen im Augenblick der höchsten Not diesen Boten geschickt hatten. Selbst Odysseus, der dafür bekannt war, wie rasch ihm in solchen Situationen das Wort Zufall von den Lippen kam, wurde für eine Weile sehr schweigsam und blickte nicht nur in den Himmel hinauf, um das Wetter zu prüfen.

Sie erreichten das Land an diesem Tag nicht mehr, denn die Männer, denen der Anblick der Möwe noch einmal neuen Mut gemacht hatte, ruderten zwar weiter, aber sieben Tage Entbehrungen und Furcht hatten ihren Preis gefordert. Selbst die Euphorie, in die so mancher bei dem Gedanken an die nahe Rettung verfiel, gab ihnen nicht genug Kraft, die Schiffe auf nennenswerte Geschwindigkeit zu bringen; sie bewegten sich kaum schneller voran als ein Mann, der gemächlich seines Weges schlenderte, und auch als die Sonne sank, war das Land noch nicht sichtbar geworden.

Aber in der Nacht sahen sie Lichter, wie kleine gelbe Katzenaugen, die über den Horizont lugten, und dieser Anblick gab ihnen noch einmal neue Kraft. Für einige war die Anstrengung zu groß, und sie starben, bevor die Sonne aufging und ihre Kameraden die schroffe Küste eines fremden Landes vor sich liegen sahen. Odysseus befahl, die Toten mit aller gebührenden Ehrfurcht aufzubahren, um sie später an Land bestatten zu können, wie es Helden zukam.

Vorerst aber sahen sie sich einem ganz anderen Problem gegenüber: der Küste selbst. Die Gnade der Götter, die ihnen zuteil geworden war, war knapp bemessen, denn das rettende Land entpuppte sich als eine gut hundert Manneslängen hohe, lotrecht aus dem Meer aufsteigende Steilküste, deren Fuß mit spitzen Riffen und Klippen gesäumt war, so daß sich die Wellen schon weit vor der eigentlichen Küste schaumig brachen und Odysseus es nicht wagte, auch nur eines seiner Schiffe bis an die Steilwand heranfahren zu lassen.

Den Morgen hindurch, bis zur Mittagsstunde, und auch bis weit in den Nachmittag hinein ruderten die Männer an der Küste entlang. Ihr Mut, kaum wieder ein wenig gestärkt, sank erneut, und selbst Odysseus begann sich zu fragen, ob sie nicht den Tod im offenen Meer mit dem Tod unter dieser nicht enden wollenden Steilküste eingetauscht hatten. Nach und nach schickten die Kapitäne zu ihm, jeder mit anderen Fragen und anderen Vorschlägen, wie der scheinbar unüberwindlichen Barriere aus Granit beizukommen sei. Eurylochos selbst schlug schließlich vor, sich an ein langes Seil binden zu lassen und zu versuchen, die tödliche Barriere aus Riffen schwimmend zu durchqueren. Er war ein guter Kletterer, und die Wand war zwar steil, aber so zerklüftet, daß er eine gute Chance hatte, sie zu ersteigen.

Odysseus dachte eine Weile über diesen Vorschlag nach. Die Lichter, die sie in der Nacht gesehen hatten, bewiesen, daß es hinter dieser Küste Menschen gab, so daß sie allerschlimmstenfalls vielleicht die Schiffe zurücklassen und versuchen konnten, auf dem von Eurylochos vorgeschlagenen Wege wenigstens das nackte Leben zu retten. Aber selbst dieser Ausweg blieb nur den allerwenigsten. Kaum einer der Männer hatte noch die Kraft, die Brandung zu durchschwimmen, geschweige denn die Felsen zu ersteigen. Und auch, wenn es ums nackte Leben ging – die Vorstellung, die Schiffe zurückzulassen, widerstrebte ihm zutiefst. Sie waren die Besieger Trojas. Sie hatten den Verlockungen der Lotophagen widerstanden und den Zyklopen besiegt – er würde sich nicht von einer Felswand schlagen lassen!

Trotzdem begann die Situation während des Nachmittags kritisch zu werden. Die Flotte, ohnehin nicht besonders schnell, wurde immer langsamer, und einmal konnte im letzten Moment ein Unglück verhindert werden, als eines der Schiffe den Riffen zu nahe kam und seine Backbordruder an den Felsen zersplitterten, die unter der Wasseroberfläche lauerten. Es gab Verwundete und Tote, und nicht wenige der Männer waren abergläubisch genug, dieses Mißgeschick als böses Omen zu werten.

Dann – der Tag neigte sich schon seinem Ende zu – gewahrte der Mann, den Odysseus in den Mastkorb hinaufgeschickt hatte, einen Einschnitt im Felsen. Eine halbe Stunde später lag eine gewaltige Schlucht vor ihnen, ein granitener

Schlauch, hundert Mannslängen hoch und so schmal, daß die Schiffe nur hintereinander hindurchfahren konnten. Er war nicht besonders lang, und an seinem jenseitigen Ende war das Wasser eines gewaltigen, still daliegenden Sees zu erblicken. Trotzdem zögerte Odysseus lange, den Befehl zum Einlaufen in diesen natürlichen Hafen zu geben.

»Warum warten wir, Odysseus?« fragte Eurylochos, dem das Zögern nicht entgangen war. Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Felsenschlucht. »Ich sehe das Grün von Gras und Büschen hinter den Felsen, und sicher gibt es reichlich Wild dort drüben. Und Schatten.«

»Sicher«, bestätigte Odysseus halblaut. »Ich frage mich nur, was noch.«

Eurylochos runzelte die Stirn. Sie standen zwar allein im Bug, aber doch nicht so weit von den anderen entfernt, daß niemand ihre Worte hören konnte. Instinktiv senkte er die Stimme, als er weitersprach. »Du befürchtest einen Hinterhalt?«

»Dieses Land – wenn es ein Land und keine Insel ist – ist bewohnt«, sagte Odysseus anstelle einer direkten Antwort. »Hast du die Lichter vergessen, die wir gesehen haben, Eurylochos? Wir wissen nicht, ob die Menschen, die hier wohnen, uns freundlich gesonnen sind.« Er seufzte, beschattete die Augen mit der Hand und deutete auf den schmalen Streifen freien Himmel, der sich wie ein stahlblaues Seidenband über der Schlucht spannte. »Möglicherweise bin ich zu mißtrauisch, nach allem, was uns zugestoßen ist, mein Freund. Aber diese Schlucht ist wie eine Falle: Eine Handvoll Krieger, die uns von dort oben mit Steinen bewerfen, können unsere ganze Flotte zerstören, sind wir erst einmal darin.«

Odysseus sah es Eurylochos an, daß er heftig widersprechen wollte. Aber dann seufzte er nur, schüttelte den Kopf und blickte wieder nach vorne, zu dem lockenden Grün am Ende der Schlucht. »Du siehst zu schwarz, Odysseus«, behauptete er. »Wenn dieses Land bewohnt ist und wenn sie uns gesehen haben, dann werden sie in ihren Hütten liegen und vor Angst zittern.«

»Vielleicht ist es gerade das, was ich fürchte«, antwortete Odysseus. »Wie würdest du reagieren, Eurylochos, wenn eine Flotte von Kriegsschiffen vor dem Hafen Ithakas erschiene, bemannt mit Aberhunderten von Kriegern?«

Er zögerte einen Moment, und ehe er weitersprach, drehte er sich einmal um seine Achse und blickte jedes der sechs Schiffe, die sie begleiteten, einen Moment lang an.

»Das beste wäre, wir würden hier ankern und nur wenige Männer auf einem Boot dort hineinschicken, um das Land zu erkunden.«

»Das kannst du nicht!« widersprach Eurylochos impulsiv. »Die Männer würden dir den Gehorsam verweigern, Odysseus, wenn du diesen Befehl geben würdest!«

»Ich fürchte, du hast recht«, sagte Odysseus kopfschüttelnd. »Und ich könnte es ihnen nicht einmal verdenken. Auch ich sehne mich nach nichts mehr, als wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und den Geruch von frischem Gras in der Nase. Aber ich kann etwas anderes tun«, fügte er mit veränderter Stimme hinzu. »Gib Befehl, die Schiffe einzeln und in großen Abständen in die Schlucht einfahren zu lassen, so daß immer nur eines zwischen den Felswänden ist. Aber unser Schiff soll hier sicher verankert werden und die Männer auf die anderen verteilt. Dieses Schiff bleibt hier.« Eurylochos nickte, in einer Art, als hätte er nichts anderes erwartet. Er wandte sich um und ging, um Odysseus’ Befehl an die Mannschaft weiterzuleiten.

Wie Odysseus es befohlen hatte, glitt eine Stunde später das erste Schiff in den steinernen Kanal hinein. Odysseus, Eurylochos und einhundert ausgesuchte Krieger standen mit bereitgehaltenen Waffen hinter der schildbesetzten Reling, fünfzig weitere Männer, die Bögen im Anschlag, standen hinter ihnen und behielten die Ränder der Schlucht über ihnen im Auge.

Sie fuhren sehr vorsichtig, denn auch hier gab es Felsen und Riffe, die wie steinerne Speerspitzen unter der Wasseroberfläche lagen. Trotz aller Vorsicht brach eines der Ruder ab und verletzte den Mann, der es bedient hatte, schwer.

Davon abgesehen jedoch verlief die Durchfahrt ruhig, und als die Felsen endlich vor ihnen zur Seite wichen, offenbarte sich ihnen ein Bild, das sie für alle überstandene Unbill entschädigte.

Was vom Meer her wie ein See ausgesehen hatte, entpuppte sich als Teil eines gewaltigen, an drei Seiten von himmelhohen Felswänden umschlossenen natürlichen Hafens, groß genug, nicht nur sechs, sondern sechshundert Schiffe auf einmal aufzunehmen. Genau vor dem Bug ihres Schiffes erstreckte sich ein flacher, schneeweißer Sandstrand, der schon nach wenigen Schritten in grasbewachsenes Land und kurz darauf in einen dichten, schattigen Wald überging. Ein breiter, kristallklarer Fluß ergoß sich murmelnd in den See, und die gewaltigen Felswände, die den granitenen Kessel einfaßten, spendeten wohltuenden Schatten.

Der Mann im Mastkorb schwenkte einen Wimpel – das Zeichen für das nächste Schiff, in den Kanal einzufahren – während die Ruder ein letztes Mal klatschend ins Wasser tauchten und das Schiff so rasch auf den Strand zutrugen, daß der Kiel scharrend über den Sand fuhr und das gewaltige Schiff mit einem sehr harten Ruck zum Halten kam. Die Männer begannen, vor Freude zu rufen und zu schreien; mehr als ein Dutzend sprang kurzerhand über Bord und lief jauchzend über den Strand, ohne irgendeinen Befehl abzuwarten. Odysseus versuchte erst gar nicht, Ordnung in das Chaos zu bringen, das sich unter der Mannschaft ausbreitete. Auch in ihm flüsterte eine Stimme immer stärker, es den Männern gleichzutun und endlich an Land zu gehen, wo Schatten und klares, kaltes Wasser und vielleicht auch Wild lockten, das eine gute Mahlzeit abgeben mochte. Und nach einem weiteren Augenblick des Zögerns gab er nach; mit einem Satz sprang auch er über Bord, watete die letzten Schritte den Strand hinauf und ließ sich mit einem erleichterten Aufschrei im Schatten der ersten Bäume niedersinken.

Für die nächsten Minuten tat er nichts anderes, als einfach dazuliegen und das Gefühl zu genießen, festen, sicheren Boden unter sich zu fühlen, keine schwankenden Schiffsplanken, die zu lange ihrer aller Heimat gewesen waren. Er atmete die kühle, nach Wald und Schatten riechende Luft in tiefen Zügen ein. Er spürte weiches Moos unter den Fingern, nicht das Metall von Waffen oder Holz, das von Salzwasser zerfressen und hart und spröde geworden war. »Vielleicht«, dachte er, »gibt es die Götter des Olymp doch.« Und vielleicht hatten sie im allerletzten Moment ein Einsehen mit ihm und seinen Männern gehabt.

Und doch …

Mit jedem Augenblick, der verging, wurde das bohrende Gefühl in Odysseus stärker, in eine Falle zu tappen.

Die Lästrygonen

Erst als die Sonne sank, hatte auch das letzte Schiff den natürlichen Hafen erreicht. Alle Männer waren von Bord gegangen, und längs des sanft geschwungenen Sandstrandes begannen Dutzende von Feuern aufzulodern, kaum daß sich das erste Grau der Dämmerung am Himmel zeigte. Die Männer waren in ausgelassener Stimmung, von einer Fröhlichkeit, die schon fast an Hysterie grenzte und die nicht einmal durch die schreckliche Bilanz getrübt werden konnte, die Odysseus und seine Hauptleute an diesem Abend zogen: nämlich, daß Hitze und Entbehrungen allein an diesem einen Tag das Leben von fast dreißig Männern gefordert hatten. Dazu kamen noch einmal zehn, die so schwach oder schwer verwundet waren, daß sie den nächsten Morgen kaum erleben würden. Doch der Strand hallte wider von Gesang und Gelächter, und als die Sonne vollends sank, strahlte der Himmel über dem See im roten Widerschein zahlloser, viel zu hoch prasselnder Feuer. In den Geruch von Salzwasser und Wald mengte sich das köstliche Aroma von gebratenem Fleisch: Sie hatten einige Rehe und ein paar Dutzend Hasen und Rebhühner schießen können, ehe der Lärm der Truppen auch das letzte Tier aus der Nähe der Küste vertrieben hatte. Die Beute war viel zu gering gewesen, um siebenhundert hungrige Mäuler zu stopfen, aber allein das Wissen, daß es hier Wild und eßbare Früchte in Hülle und Fülle gab, schien die Männer ihren Hunger und ihre Erschöpfung vergessen zu lassen. Kaum einer beschwerte sich darüber, daß sein Anteil allenfalls reichte, seinen Hunger richtig anzufachen, statt ihn zu stillen. Sie hatten frisches Wasser und einen Schlafplatz im Schatten, und für diesen ersten Abend schien das genug.

Odysseus hatte all seine Macht einsetzen müssen, überhaupt genügend Männer zu finden, um eine Nachtwache rings um das Lager aufzustellen. Und vielleicht war er an diesem Abend der einzige, der nicht ausgelassener Stimmung und frohen Mutes war.

Das schlimme war, daß er nicht einmal wußte, woher seine Bedrückung kam. Bei all seiner Besorgnis und Vorsicht schien es doch wahrscheinlich, daß Eurylochos recht hatte und allein ihr Anblick und der ihrer Schiffe ausreichte, die Bewohner dieser Küste in heller Furcht davonlaufen zu lassen. Sie mochten vielleicht ein Haufen zu Tode erschöpfter Männer sein, aber auf einen Außenstehenden machten sie noch immer den Eindruck eines gewaltigen, ehrfurchtgebietenden Heeres.

Trotzdem wuchs seine Unruhe eher noch, und Eurylochos, der ihn am Strand vermißte und ihn suchen kam, fand ihn allein auf einem moosbewachsenen Felsbuckel sitzend, ein Stück abseits des Lagers an einer Stelle, an der er den Strand und den größten Teil des Hafenbeckens übersehen konnte. Der Hauptmann schien zu spüren, daß etwas in Odysseus vorging, denn er sagte kein Wort. Stumm ließ er sich mit untergeschlagenen Beinen neben Odysseus nieder und reichte ihm ein Stück Fleisch, das so heiß war, daß er es in ein Tuch hatte einschlagen müssen, um sich nicht die Finger zu verbrennen.

Odysseus griff dankbar danach, biß vorsichtig hinein und begann sehr langsam zu kauen. Er war hungrig wie jeder der siebenhundert Männer; trotzdem regte sich sein Gewissen, während er den Fleischgeschmack auf der Zunge spürte, denn diese zweite Portion, die Eurylochos für ihn besorgt hatte, ging jetzt einem der anderen ab. Vielleicht war es sogar Eurylochos’ Ration selbst, die er für ihn aufgespart hatte. Aber dann siegte sein Hunger über alle Skrupel, und er biß ein zweites Mal und kräftiger in das Fleisch und vertilgte es bis auf die letzte Faser.

»Was hast du, Odysseus?« fragte Eurylochos, als er fertig war. »Noch immer Angst, daß sich diese Küste als Hinterhalt erweisen könnte?«

Odysseus antwortete nicht gleich. Sein Blick glitt über die still daliegende Wasserfläche und die Durchfahrt, durch die sie gekommen waren, und verweilte einen Moment auf den Schiffen. Mit ihren aufgerollten Segeln und den halb ins Wasser gesenkten Rudern sahen sie in der Dunkelheit, die ihre Farben verschlang und ihre Konturen verwischte, wie bizarre, riesige Insekten aus, fand er. Wie Käfer, die sich im unsichtbaren Netz einer ebenfalls unsichtbaren, aber sehr giftigen Spinne verfangen hatten.

Er verscheuchte das Bild. »Ja«, gestand er, ohne Eurylochos dabei anzusehen. »Aber das ist es nicht allein, was mir Sorge bereitet, mein Freund. Wir sind genug, uns jeden Angreifers zu erwehren, und wer immer über diesen Teil der Welt herrscht, wird sich sehr gründlich überlegen, ob es nicht besser wäre, uns zum Freund zu haben statt zum Feind.« Er seufzte. »Ich wäre froh, wäre ein feindliches Heer unsere einzige Sorge.«

Eurylochos nickte. »Du sorgst dich darum, wie wir von hier fortkommen.« »Und nach Hause«, bestätigte Odysseus. »Ich bin des Hemmirrens müde, mein Freund. Ich will zurück nach Ithaka, in meinen Palast und zu meiner Frau. Zu meinem Sohn, Eurylochos.« Er sah den Hauptmann ernst an. »Ich habe ihn zehn Jahre nicht gesehen. Er muß ein Mann geworden sein in dieser Zeit. Ich will endlich nach Hause!«

»Das will jeder dieser Männer«, antwortete Eurylochos und deutete auf das Lager hinab. »Du bist nicht der einzige, der Frau und Kinder zurückgelassen hat. Aber warum zerbrichst du dir schon wieder den Kopf über morgen, Odysseus? Noch vor Tagesfrist sah es so aus, als würde keiner von uns den heutigen Abend erleben, und nun sind wir an Land und haben Wasser und Nahrung. Du solltest dich freuen, am Leben zu sein. Statt dessen suchst du verzweifelt nach dem nächsten Problem, mit dem du dich herumplagen kannst.« Er seufzte. »Wirst du es denn nie lernen, einfach einmal den Augenblick zu genießen, Odysseus?«

»Nein«, antwortete Odysseus ernst. »Nicht, solange ich König bin. Ich bin für jeden einzelnen dieser Männer verantwortlich, Eurylochos. Sie sind mir gefolgt, als ich sie zu den Waffen rief. Das war vor zehn Jahren. Jetzt bin ich es ihnen schuldig, sie wieder nach Hause zu bringen.«

Eurylochos wollte antworten, doch in diesem Moment knackte im Wald hinter ihnen ein Ast, ein Laut, wie ihn ein menschlicher Fuß verursachen mochte, der auf trockenes Gras trat. Odysseus sprang auf und zog sein Schwert. Eurylochos meinte für einen Moment einen huschenden Schatten zu sehen, war sich aber nicht gänzlich sicher. Trotzdem zog er wie Odysseus seine Waffe aus dem Gürtel. Mit einer knappen Geste befahl er die am nächsten stehende Wache heran, und im Schein der Fackeln, die die beiden Männer mitgebracht hatten, drangen sie in den Wald ein.

Das Unterholz war dicht und starrte von dornigen Zweigen, so daß sie sich mit ihren Klingen einen Weg hindurchbahnen mußten und trotzdem nur sehr langsam vorankamen. Aber sie sahen schon nach kurzer Zeit, daß sie nicht die ersten waren, die hier entlanggingen: Im hellen, wenn auch nicht sehr weit reichenden Licht der Fackeln waren deutlich die Spuren eines Menschen zu erkennen, der vor nicht langer Zeit durch den Wald gebrochen sein mußte.

»Ein ungewöhnlich kräftiger Mann«, dachte Odysseus besorgt, »den Ästen und Zweigen nach zu schließen, die er geknickt hat.«

Nach einer Strecke von vielleicht hundert Schritten lichtete sich der Wald, und sie kamen besser voran. Trotzdem gab Odysseus nach weiteren wenigen Augenblicken den Befehl stehenzubleiben.

»Warum halten wir?« fragte Eurylochos. »Der Weg wird besser, und – «

»Für den anderen auch«, unterbrach ihn Odysseus. Einen Moment lang starrte er aus nachdenklich zusammengepreßten Augen in die Dunkelheit hinaus, dann schüttelte er den Kopf, rammte sein Schwert in den Gürtel zurück und drehte sich langsam um. »Zurück zum Lager!« befahl er. »Es ist sinnlos, die Verfolgung bei Nacht fortzusetzen.«

Die beiden Krieger in ihrer Begleitung gehorchten wortlos, aber Eurylochos sah ihnen die Erleichterung an, mit der sie Odysseus’ Worte erfüllte. Alles war viel zu schnell gegangen, als daß er Zeit zum Nachdenken gefunden hätte. Aber im Nachhinein mußte auch er zugeben, daß ihm der Gedanke, bei Nacht und in diesem Wald einem Unbekannten zu folgen, alles andere als gefallen hätte.

Im Lager am Strand herrschte helle Aufregung, als sie zurückkamen. An die hundert Männer waren aufgesprungen und hatten zu ihren Waffen gegriffen. Odysseus mußte ein paarmal mit vollem Stimmaufwand rufen, um sich über dem Chor wild durcheinanderschreiender Stimmen überhaupt Gehör zu verschaffen. Die Kapitäne der sechs Schiffe und ein gutes Dutzend seiner Hauptleute bedrängten ihn, und einige rieten gar, vorsichtshalber zurück an Bord der Schiffe zu gehen, um vor einem überraschenden Überfall sicher zu sein.

»Es besteht überhaupt kein Grund zur Sorge«, sagte Odysseus eindringlich, nachdem er sich endlich Gehör verschafft hatte. »Vielleicht war es nur ein Bauer, der neugierig war, oder ein Kind.« Er wies mit einer weit ausholenden Geste hinunter zum Strand. »Ihr alle habt die Lichter gesehen in der vergangenen Nacht. Diese Küste ist bewohnt, und natürlich werden die Menschen hier nachsehen, wer da so unversehens aus dem Meer gekommen ist. Was habt ihr erwartet?« Er lachte halblaut. »Wir sind siebenhundert. Selbst wenn uns die Menschen hier feindselig gesonnen sind, werden sie es sich gründlich überlegen, uns anzugreifen. Nun geht wieder zu euren Lagern zurück und schlaft. Morgen bei Sonnenaufgang werden Eurylochos und ich nach dem Rechten sehen.« Tatsächlich legte sich die Unruhe unter den Griechen nach diesen bestimmten Worten allmählich.

Trotzdem dauerte es noch lange, bis Eurylochos und Odysseus endlich wieder allein waren, und das Lachen und Reden, das wie das Geräusch einer fernen Brandung vom Strand zu ihnen heraufdrang, klang merklich gedrückter.

»Weißt du eigentlich, daß du genau das Gegenteil dessen gesagt hast, was du mir selbst noch vor weniger als einer Stunde anvertraut hast?« fragte Eurylochos, nachdem auch der letzte Mann aus ihrer Hörweite verschwunden war.

Odysseus nickte. »Natürlich, mein Freund. Ich verstehe ihre Furcht nur zu gut. Sie fürchten nichts anderes als ich auch.« Er drehte sich um und sah Eurylochos ernst an. »Aber es ist zu spät, sich Gedanken darüber zu machen, was wir hätten tun sollen. Morgen früh werden du und ich die zehn tapfersten Krieger auswählen und zusammen mit ihnen nach den Bewohnern dieser Küste suchen. Dann wird sich erweisen, wer von uns recht hatte.«

Das Mädchen stand an der Quelle, ein wenig nach vorne gebeugt und mit nur einer Hand den Krug haltend, mit dem sie Wasser schöpfte. Den anderen Arm hatte sie nach hinten gestreckt, um so das Gleichgewicht zu halten, und selbst über die große Entfernung, die noch gute dreißig oder auch vierzig Schritte betragen mochte, war deutlich zu erkennen, wie groß sie war. Wenn Odysseus gerade jemals eine Riesin gesehen hatte, dann sie.

Trotzdem zögerte er nur wenige Augenblicke, bevor er aus der Deckung des Busches hervortrat, hinter dem er mit Eurylochos und den anderen gewartet hatte. Er näherte sich dem Mädchen und gab sich keine Mühe, leise zu sein oder gar zu schleichen. Aber die schwarzhaarige Fremde schien so in ihr Tun vertieft, daß sie seine Annäherung nicht einmal bemerkte. Selbst als er so dicht hinter ihr stand, daß sein Schatten den ihren berührte und sie ihn einfach sehen mußte, äußerte sie kein Anzeichen von Überraschung oder gar Schrecken, sondern schöpfte in aller Ruhe den Krug voll, ehe sie ihn absetzte und sich fast gemächlich zu ihm umwandte. Einen Moment lang blickte sie aus ihren sehr großen, dunklen Augen auf ihn herab, dann runzelte sie die Stirn, lächelte gleichzeitig und fragte: »Wer bist du, kleiner Mann?«