Jagd auf das Chamäleon - Dieter Kleffner - E-Book

Jagd auf das Chamäleon E-Book

Dieter Kleffner

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Beschreibung

Welcher Mensch hat sich nicht schon mal gewünscht unsichtbar zu sein? Diese Fähigkeit würde ihm ermöglichen, Dinge zu tun, die niemand sehen soll. Die meisten Sicherheitssysteme ständen vor neuen Herausforderungen. Uli Schürmann ist ein brillanter Erfinder. In den Foren des Internets und im Dark-Net ist sein Pseudonym ´Chamäleon´ ein Begriff. Seine Behauptung, dass nicht nur feststehende Dinge, sondern auch bewegte Objekte schon bald unsichtbar gemacht werden können, ist der Auslöser für eine geheime und skrupellose Jagd auf das Chamäleon. Zwischen Gleitflügen und Rafting-Touren liefern sich Gut und Böse ein Kopf-an-Kopf-Rennen, in dem nicht nur Spannung, sondern auch Humor und Erotik eine entscheidende Rolle spielen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Edition Paashaas Verlag

Autor: Dieter Kleffner Covermotive: Pixabay

Cover designed by Michael Frädrich

Lektorat: Nina Sock/Manuela Klumpjan

Originalausgabe November 2020

Printausgabe: ISBN: 978-3-96174-075-8

© Copyright Edition Paashaas Verlag

Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden. Sollten Ereignisse oder Namen im Buch erscheinen, welche auf jemanden zutreffen, so ist das ungewollter Zufall.

Die Haftung jeglicher Art wird abgelehnt.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Jagd auf das Chamäleon

Thriller

Widmung

Für Reiner Gülpen, dem ich bei der gemeinsamen Rafting-Tour und einem Sprung in eine wilde Klamm blind vertrauen konnte.

Vorwort

Welcher Mensch hat sich nicht schon mal gewünscht hin und wieder unsichtbar zu sein? Diese Fähigkeit würde ihm ermöglichen, Dinge zu tun, die niemand sehen soll. Die meisten Sicherheitssysteme ständen vor neuen Herausforderungen.

In der Nibelungen-Sage benutzt Siegfried eine Tarnkappe, um seinem Freund König Gunter heimlich beim Wettkampf gegen Brunhild zu unterstützen.

Die Sage spielt vor tausend Jahren.

Im 21. Jahrhundert sind viele sagenhafte Ideen technisch möglich geworden. Die Unsichtbarkeit auch?

Der Feierabendverkehr raubte Frau Krane den letzten Nerv. Ihrer Meinung nach waren nur noch Idioten unterwegs. Einige Kerle fuhren extrem nah auf und überholten mit peinlichem Imponiergehabe. Viele Fahrerinnen lenkten ihr Auto anscheinend nur noch mit einem Tunnelblick. Auch Frau Krane hatte einen neunstündigen Tag im Büro hinter sich gebracht. Zu Hause warteten eine behagliche Wohnung, ein hungriger Kater und eine kuschelige Couch. Kurz noch einen Sprung in die Sparkasse und dann konnte der verdiente Feierabend beginnen. Sie stellte den Wagen vor der Bank ab. Dort war bereits Geschäftsschluss, doch mit ihrer Bank-Card konnte sie die Tür zum Schalterraum öffnen. Die Luft roch stickig, da die Junisonne den gesamten Tag durch die große Scheibe hineingestrahlt hatte. Der Schalterraum, in dem die Geld- und Überweisungsautomaten standen, war menschenleer.

Die Chefsekretärin öffnete ihre Handtasche und zog das Portemonnaie heraus. Dann entnahm sie ihre Kreditkarte und einen handschriftlichen Zettel mit dem PIN-Code. Misstrauisch blickte sie sich noch einmal in dem leeren Raum um, legte das Portemonnaie auf die nahe Fensterbank und schob die Kreditkarte in den Automatenschlitz. Das Display erwachte zum Leben. Ihr Finger tippte die angeforderten Daten und einen Betrag über fünfhundert Euro ein. Der Automat nahm die Legitimation an und gab surrend die Geldscheine heraus. Frau Krane steckte die Karte zurück in das Portemonnaie und legte die Geldbörse auf die Fensterbank. Dann zählte sie die entnommenen Scheine nach. Es waren neun Fünfziger, zwei Zwanziger und ein Zehn-Euro-Schein. Wieder griff ihre Hand zum Portemonnaie. Sie griff ins Leere. Die Frau erschrak. Das gab es doch nicht! Die Geldbörse war fort. Hektisch blickte sich Frau Krane im Schalterraum um. Der war immer noch leer. Ihre Schläfen begannen zu pochen. Sie bückte sich und schaute, ob das Portemonnaie unter den Heizkörper der Fensterbank gefallen war. Aber nichts!

„Ich bin doch nicht verrückt?“, sagte sie zu sich selbst und drehte sich wieder suchend herum.

Es gab keine andere Ablagemöglichkeit. Ihre zittrigen Finger legten den frischen Geldstapel neben einen Blumentopf. Sie zweifelte an ihrem Verstand und begann nervös in der Handtasche zu suchen. Kopfschüttelnd flüsterte sie vor sich hin: „Verdammt, ich habe das Portemonnaie doch noch nicht eingesteckt.“ Dabei blickte sie den Automaten fragend an. Misstrauisch beobachtete sie die fremden Personen, die draußen am Fenster vorbeiliefen. Dann fiel ihr Blick auf die Stelle neben den Blumentopf, wo sie das gezogene Geld vor wenigen Sekunden deponiert hatte.

„Nein“, schrie sie auf und schlug sich die Hand vor den Mund, „das gibt es nicht!“ Das gezogene Geld war nun auch wie vom Erdboden verschluckt. Sie wirbelte mit weit aufgerissenen Augen herum. Ihre Knie wurden spürbar weich. Der Raum war immer noch menschenleer und trotzdem fragte sie: „Hallo, ist hier jemand?“

Ihre Augen suchten die Wände und die Decke ab. Es gab nichts Auffälliges. Frau Krane fragte sich, ob die Kamera über dem Eingang vielleicht etwas aufgezeichnet hatte. Sie musste unbedingt morgen die Bank anrufen. Doch was sollte sie schildern? Würde man sie nicht für völlig gestört halten? Mit pochendem Herzen eilte sie durch die Tür ins Freie. Die Sommerluft war angenehm warm, doch der Frau war eiskalt. Im Auto drückte sie zur Sicherheit die Türknöpfe herunter und wählte mit ihrem Smartphone den Notruf der Polizei.

Holger Bramkamp hatte zum vierzigsten Geburtstag von einer Polizeikollegin und zwei Kollegen eine Fahrt auf dem Nürburgring geschenkt bekommen. Endlich war es soweit. Sieben Sonnen standen am Sommerhimmel und die Wettervorhersage prognostizierte eine trockene Fahrbahn. Heute würden die Reifen glühen.

Auf dem Weg zur Rennbahn waren die drei Polizisten in Männergespräche vertieft und hatten schon fast vergessen, dass auch ihre dreißigjährige Kollegin Tamara Nussbaum auf der Rückbank saß. Sie hatte die blonden Locken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre scharfsinnigen Augen konzentrierten sich auf das Display des neuen Smartphones. Mochten die Jungs doch ihre imponierenden Sprüche klopfen. Schon bald würde ihre große Stunde kommen.

„Tammy, was für einen Wagen hast du für uns gebucht?“, fragte Kröger vom Beifahrersitz und lächelte seine Kollegin erwartungsvoll an.

„Meine Freundin Sibylle fährt ein Ring-Taxi. Es ist ein Tourenwagen mit etwa 500 PS. Reicht euch das?“

Geburtstagskind Holger Bramkamp blickte vom Fahrersitz in den Rückspiegel und fragte: „Darf ich den Wagen selbst fahren oder müssen wir uns von deiner Freundin über die Bahn schaukeln lassen?“

Nussbaum antwortete: „Wenn du unser Sicherheitstraining bereits mitgemacht und eine entsprechende Fahrlizenz hättest, dann dürftest du jetzt selbst fahren. Aber ich will mal fragen, ob Sybille eine Ausnahme machen kann. Ich selbst werde auf jeden Fall ein paar Runden drehen.“

„Ach, nur weil du jetzt zur Autobahnpolizei gewechselt bist, meinst du, dass du auf dem Ring fahren dürftest?“, fragte Uwe Sänger, der neben der blonden Kollegin saß.

Kröger sagte: „Lass Tammy mal, die fährt uns allen etwas vor. Die hat Talent und bereits einige Tourenwagenrennen gewonnen.“

„Hört, hört!“, lachte Bramkamp spöttisch und grinste seinen Beifahrer an. „Ihr beide seid scheinbar nicht nur dienstlich ein Team.“

Benzindämpfe, Gummi, Bremsstaub und der beißende Geruch von Asphalt schwängerten die Luft am Ring. Unzählige Besucher mit Wohnmobilen, Bussen und Pkw überfüllten die Parkplätze. Motorräder heulten. Frisierte Autos mit aufgemotzten Karosserien funkelten neben ihren stolzen Fahrern in der Sonne. Die Besucher fachsimpelten, lachten und stießen Freudenschreie aus. Man pfiff beim Anblick heißer Öfen, man spottete über lustige Vehikel mancher Bastler und dazu gab ein Techno-Sound aus Großraumlautsprechern den Takt an. Kreischende Motorengeräusche der Rennpiste ließen die Ohren sausen.

Vor einer Halle winkte eine Frau.

Tamara Nussbaum nahm ihre Freundin zur Begrüßung in die Arme und stellte sie den drei Kollegen vor: „Das ist Sibylle Feister. Sie ist mehrfache Siegerin beim Tourenwagenrennen, Fahrtrainerin und fährt ein flottes Pistentaxi.“

Zwei Männer stellten Frau Feister unzählige Fragen.

Kröger hingegen betrachtete nachdenklich Kollegin Nussbaum. Er war vor einiger Zeit noch sehr skeptisch gewesen, als man ihm diese Frau für den Autobahnpolizeidienst zugeteilt hatte. Die Aufgaben seiner Einheit bestanden darin, mit technischen Überwachungsgeräten die Geschwindigkeit und den Sicherheitsabstand der Fahrzeuge zu kontrollieren. Zur Geschwindigkeits- und Abstandsmessung standen der Autobahnpolizei zusätzlich zivile Fahrzeuge zur Verfügung. Die Streifenwagen der Autobahnpolizei verfügten gegenüber ihren städtischen Pendants häufig über deutlich leistungsfähigere Motoren, um bessere Werte in Beschleunigung und Endgeschwindigkeit zu erreichen. Teilweise unterschied sich auch die Sondersignalanlage in der besseren Erkennbarkeit über weite Entfernungen. So wurden für den Einsatz auf der Autobahn häufig Geräte mit Blitz- oder LED-Lichttechnik sowie ausklappbare Signaltafeln zur Verkehrslenkung verbaut.

Diese Fahrzeugtechnik faszinierte Nüsschen und sie war verrückt auf das Fahren. Ihr Vater hatte sie bereits in jungen Jahren auf der Kartbahn unzählige Runden ziehen lassen. Kein Sicherheitstraining ließ sie sich entgehen, keine Führerscheinklasse war ihr fremd. Heute saß die Beamtin fast nur noch am Lenkrad des hochmotorisierten Streifenwagens und beherrschte dieses Fahrzeug perfekt.

Nussbaum bemerkte Krögers Blick. „Mike, alles in Ordnung mit dir?“

„Ja klar, lass uns zu den anderen gehen.“

Die Kollegen umkreisten den gemieteten Tourenwagen wie aufgeregte Jungen und betrachteten die sportlichen Details.

Bramkamp schwärmte: „Seht euch die Tiefbettfelgen an! Die Reifen sind so breit, dass die in der Mitte fast zusammenkommen. Die Kotflügelverbreiterungen müssen eine Sonderanfertigung sein. Der Wagen ist extrem tief gelegt. Seht euch die Doppelauspuffanlage an!“

Tamara riss sie aus ihren Gedanken: „Holger, ich habe mit Sibylle geredet. Sie lässt dich ans Lenkrad. Das ist zwar nicht üblich, doch wenn sie danebensitzt, wird kaum jemand meckern.“

Sibylle und die drei Polizeibeamten setzten sich in den Wagen und legten Spezialgurte an. Stolz ließ Holger den Wagen auf der Beschleunigungsstrecke aufheulen. Die Beschleunigung war erstaunlich und drückte die Insassen in die Polster.

Tamara war an der Box zurückgeblieben und beobachtete das Treiben auf der Piste mit einem Fernglas. Das Geburtstagskind strahlte am Lenkrad vor Glück und raste mit über zweihundert Stundenkilometern über die hügelige Piste. Trotzdem jagten einige Sportwagen und Motorräder immer wieder an ihnen vorbei. Die beiden anderen Männer hatten ein mulmiges Gefühl in der Magengegend und überspielten das mit flotten Sprüchen.

Schweißgebadet beendete Holger seine vorgegebenen Runden.

Tamara kam lachend auf die Gruppe zu und fragte: „Hi, hat es Spaß gemacht?“

Das Geburtstagskind war noch voller Adrenalin und strahlte.

Die Männer aus dem Fond wirkten weniger begeistert.

Sibylle lächelte ihre Freundin an und fragte: „Na, Liebes, möchtest du denn mit den Jungs noch eine Runde drehen?“

Kollege Sänger wirkte überrascht: „Wie, du meinst, dass Tammy fahren soll?“

Sibylle antwortete lächelnd: „Gebt einer Frau doch auch mal eine Chance.“

Nüsschens Augen leuchteten und sie scheuchte ihre Kollegen in den Wagen. Sie winkte ihrer Freundin zu und gab Gas. Die Männer wurden gewaltig in die Sitze gedrückt und der Motor schrie in höchsten Tönen. Mit über zweihundertfünfzig Stundenkilometern schoss der Wagen durch die Kurven. Die wechselnden Fliehkräfte erinnerten an die Fahrt mit einer Achterbahn. Hinter manchem Hügel verloren die Räder vorübergehend den Bodenkontakt.

Tamara jagte ein großes Motorrad vor sich her, klopfte auf den Lenker und rief: „Junge, Junge, entweder drehst du jetzt mal an deinem Gasgriff oder fahre gefälligst Kinderkarussell!“

Auf der Geraden beschleunigte sie den Wagen auf dreihundert, zog an dem Motorrad vorbei und bremste vor der nächsten Kurve nur kurz ab. Das Fahrzeug bebte, die Reifen sangen bedrohlich und die Landschaft rauschte nur noch als grüner Streifen vorbei. Kein einziger Sportwagen wagte es, die junge Polizistin zu überholen. Als Tamara den Wagen nach einer Runde einparkte, blickte sie sich lächelnd um und fragte: „Jungs, war das okay für euch?“

Allen drei Männern stand der kalte Schweiß im Gesicht.

Tamara schaute das Geburtstagskind an und fragte: „Möchtest du mit den Kollegen noch eine Runde?“

Ihr Kollege Mike winkte ab. „Ne, lass mal. Unser lieber Holger will heute Abend noch einen ausgeben und bis dahin muss mein Magen sich wieder beruhigt haben.“

Die fünfundzwanzigjährige Flugschülerin blickte über das weite Tal. Sie strich sich die schwarzen Locken aus dem Gesicht, die unter ihren roten Helm hervorguckten und mit denen der Wind spielte. Der Himmel war fast wolkenfrei, die mächtigen Steinberge leuchteten in der Sonne. Unten im Tal sah man viele bunte Schirme, die den Biertischgarnituren der Fliegerbar Schatten boten. Die Autos auf dem Parkplatz wirkten aus dieser Höhe wie Spielzeuge. Aus der Dorfmitte St. Annatal erhob sich ein stolzes Gotteshaus mit einem Zwiebelturm. Felder, Wälder und Wiesen leuchteten in kräftigem Grün.

Die Sportstudentin glitt mit den Fingern stolz über ihren neuen Gore-Tex-Anzug und prüfte Bein- und Brustgurte. Dann streifte sie die Handschuhe über. Heute sollte sie zum ersten Mal ganz alleine einen Flug mit dem Paragleiter wagen. Ein Tandemflug mit einem zuverlässigen Piloten war sicherlich spannend und für jeden Neuling ein tolles Abenteuer, aber selbst fliegen musste das größte Freiheitsgefühl sein!

Aninas gelber Schirm lag startbereit hinter ihr. Fluglehrer Samuel Schilling musste ihr nur noch das Zeichen geben und dann würde es losgehen.

„Na, geht es endlich los, alter Mann?“ Sie lächelte den achtunddreißigjährigen Fluglehrer frech an. „Ich kann es kaum erwarten!“

Schilling fuhr unbeirrt und hoch konzentriert mit seinem Vorflug-Check des eigenen Materials fort. Auch wenn die junge Dame der Meinung war, mittlerweile alles alleine im Griff zu haben, so hatte er zuvor noch einmal Aninas Sicherheitseinrichtungen, Gurte und Schirm geprüft. Ihre Seile waren sorgfältig sortiert.

Nun lagen beide Schirmkappen in Flugrichtung. Brust- und Beingurte waren geschlossen. Die Eintrittskante zeigte sich offen und der Luftraum war frei.

Schilling hielt einen nassen Finger in die Luft und kontrollierte die Windrichtung. Er verließ sich nicht allein auf die Messtechnik und die letzten Angaben der Bodenstation. Auch der Rundumblick sagte ihm, dass die meteorologischen Bedingungen im Moment perfekt waren.

Schilling streifte seine Handschuhe über und rief: „Anina, du machst einen Vorwärtsstart! Bist du bereit?“ Die junge Frau nickte. Schilling fuhr fort: „Du ziehst an den vorderen Gurtleinen, damit sich das Segel mit Luft füllt! Denke daran, du musst so kontrolliert abbremsen, dass der Schirm am Scheitelpunkt über dir stehen bleibt!“

Die Studentin befolgte seine Worte. Der Gleitschirm formte sich im Luftzug zu einem aerodynamischen Flügel und stieg auf, bis die Kappe prall gefüllt über der jungen Frau stand. Keine Leine war verheddert.

„Lauf jetzt los!“, befahl Schilling und beobachtete, wie Anina den steilen Hang hinablief. Als sie zu spurten begann, hob der Schirm die Fliegerin in die Höhe.

„Juchhu!“ Die Stimme der jungen Frau schallte jubelnd über das Tal.

Der Fluglehrer blickte ihr zufrieden nach und bereitete einen Rückwärtsstart vor. An der Brust trug er ein Taschencockpit für Filmkamera, Funkgerät, Vario und GPS. Auch auf eine lange Rettungsleine und einen Verbandkasten hatte der ehemalige Fallschirmjäger nicht verzichtet. Schilling stand mit dem Rücken zur Aufwindrichtung und konzentrierte sich auf die blaue Schirmkappe und die Seile. Er zog an den vorderen Leinen. Sofort begann der Schirm sich aufzurichten. Als die Kappe genau über ihm stand, drehte sich Schilling herum und lief los. Schon bald verlor er den Bodenkontakt und schwebte in die Höhe.

„Na, Anina, wie fühlt sich das flüggegewordene Vögelchen?“, fragte Schilling ins Funkgerät.

„Sam, es ist traumhaft!“, jubelte ihre Stimme im Lautsprecher.

„Okay, sieh nach rechts. Dort siehst du Kumuluswolken, die auf aufsteigende Luft hinweisen. Versuche mit deiner Gewichtsverlagerung eine lange Rechtskurve zu fliegen. Wenn das nicht klappt, dann ziehe leicht die Steuerleine.“

Die talentierte Studentin flog einen Bogen und steuerte auf die kleinen Wölkchen zu. Schilling blickte auf seinen Variometer, um die Flughöhe zu bestimmen. Auch mehrere andere Gleitschirme waren bei diesem idealen Flugwetter am Himmel. Wer die thermischen Strömungen zu nutzen wusste, konnte heute stundenlang sein fliegerisches Können unter Beweis stellen. Schilling und Anina hatten Glück. Die wärmeren Aufwinde hoben sie weit hinaus und ließen ihnen viele Möglichkeiten, um Brems-, Beschleunigungsmanöver und das Spiralflügen zu üben.

Plötzlich erblickte der erfahrene Fallschirmjäger ein Kleinflugzeug, das sich schnell näherte.

„Dieser Idiot!“, fluchte Schilling und drückte die Taste seines Funkgeräts. „Anina, pass auf. Die Propellermaschine kann Luftturbulenzen erzeugen. Bleibe ganz ruhig und warte meine Anweisungen ab.“

Schilling erkannte, dass im Cockpit der viersitzigen Maschine eine Frau durch ihr Seitenfenster die beiden Paragleiter filmte. Dann kam, was er befürchtet hatte. Seine tragende Gleitschirmkappe klappte teilweise zusammen und der Luftstrom riss ab. Er verlor sehr schnell an Höhe. Mit einem taktischen Bremsmanöver konnte der erfahrene Mann die Kappe wieder aufrichten und seinen Absturz auffangen.

Doch unter ihm trudelte Amina in die Tiefe.

Schilling rief ins Funkgerät: „Bleib ruhig! Konzentriere dich. Du musst den Schirm leicht anbremsen. Aber nicht mit Gewalt!“ Er beobachtete, wie die gelbe Kappe sich über der Studentin langsam stabilisierte. Doch sie flog immer noch zu steil und zu schnell. Unter ihnen befand sich ein dicht bewachsener Berg, zwischen dessen Bäumen und Sträuchern bizarre Felsen hervorstanden. Direkt in den Felsen hineingebaut erhob sich ein altes Kloster, das den Mönchen einen traumhaften Blick über das weite Tal bot. Am Fuß der hohen Klostermauern gurgelte ein gewaltiger Bach und teilte den dichten Nadelwald.

„Das hier ist alles Mögliche, aber kein Landeplatz“, murmelte der Fluglehrer vor sich hin. Er sprach Anina wieder über Funk an. Die junge Frau meldete sich jedoch nicht mehr. Sie raste in einer Steilspirale auf das Kloster zu. Scheinbar hoffte die Studentin, irgendwo in einem Innenhof landen zu können. Schilling schüttelte verzweifelt den Kopf und fluchte leise: „Solch eine Punktlandung bekomme ich selbst kaum zustande. Scheiße, das kann nicht gut gehen!“

Anina blickte wie gebannt zur Klosteranlage hinab. Sie erkannte drei große Gebäude, die in einer dichten U-Form zusammenstanden. Das mittlere hatte eine steile Kirchturmspitze. Wenn sie diese passieren könnte, dann war eine Landung zwischen den Häusern vielleicht möglich. Der Angstschweiß stand ihr auf der Stirn, doch sie wollte es unbedingt schaffen.

Viel zu schnell kam ihr die Turmspitze entgegen. Irgendetwas stieß schmerzhaft gegen ihren rechten Arm und riss ihr die Steuerleine aus der Hand. Ihr Körper schlug hart auf das steile Dach und rutschte daran herunter. Mit einem Aufschrei schoss sie über die Dachkante hinaus. Unter ihr gähnte ein zwanzig Meter tiefer Schlund mit einem steinigen Innenhof.

Schilling hatte sich zugetraut, eine Punklandung im Innenhof meistern zu können, aber in Bruchteilen von Sekunden musste er umdisponieren. Seine junge Schülerin hatte nicht nur den Kirchturm gestreift, war über die Dachkante geglitten, sondern sie hing nun in ihrem Gurt über dem Abgrund. Wie lange die zerrissene Schirmkappe noch am Dach hielt, konnte er nicht erkennen. Um ihr helfen zu können, musste er selbst auf dem Turm landen. Einen Augenblick später prallte sein Körper vor die Dachspitze. Schilling fluchte vor Schmerz. Doch er rutschte nicht weit, da sich seine Kappe günstig verfangen hatte.

„Anina“, rief er, „ich seile dich ab. Halte durch, okay?“

„Sam, ich bin hier unten! Ich kann nicht mehr! Ich habe Angst!“

Im Klosterhof versammelten sich mehrere Mönche. Sie blickten besorgt in die Höhe zu der hilflosen Frau und bekreuzigten sich.

Der ehemalige Fallschirmjäger kontrollierte, ob seine Leinen ihn auch an der Kirchturmspitze halten würden. Dann griff er zu seinem Sicherheitsseil, das er für den Notfall zum Abseilen aus Baumkronen, mit sich führte, und verband es mit Aninas Gurthalterungen. Er sicherte die Karabiner an einem starken Eisen der Dachkonstruktion.

„Anina, ich habe deine Gurte an der Sicherheitsleine. Es kann nichts passieren. Ich lasse dich jetzt Stück für Stück runter. Wenn du unten bist, dann musst du mir das melden, okay?“ Schilling stand der Schweiß auf der Stirn.

Beim ersten Ruck in die Tiefe schrie die junge Frau panisch auf, doch dann fasste sie Vertrauen. Meter um Meter glitt das Seil durch Schillings Handschuhe. Als das Gewebe gerade bis auf seine Haut durchgescheuert war, hörte er das erleichterte Rufen der Studentin. „Sam, ich bin unten! Alles ist gut gegangen!“

Die Mönche hatten der jungen Frau ihre Hände entgegengestreckt und sie sanft auf die Füße gestellt.

Anina zitterte am ganzen Körper und keuchte: „Vielen Dank.“

„Danken Sie dem Herrn, dass er Ihnen einen Schutzengel gesandt hat“, erwiderte ein alter Mönch mit väterlichem Lächeln.

Die Polizeibeamten Holger Bramkamp und sein Kollege Uwe Sänger fuhren im Streifenwagen. Sie hatten noch Kopfschmerzen von der gestrigen Geburtstagsfeier. Nach dem Spektakel auf der Rennbahn hatte Holger die Kollegen zum Essen eingeladen. Tamara Nussbaum hatte sich gegen 22:00 Uhr verabschiedet, doch die Männer waren völlig versackt.

„Peter 34, für die Zentrale, bitte kommen“, meldete sich das Funkgerät im Streifenwagen.

Die Uniformierten schauten sich mit ihren müden Gesichtern genervt an. Sänger meldete sich mit verkaterter Stimme: „Peter 34 hört!“

„Im Hattinger Gewerbegebiet haben Arbeiter einen roten Geländewagen gesichtet, der ohne Fahrer unterwegs sei. Er wäre vom Parkplatz der Maschinenfabrik Gerber abgefahren. Nun befährt ein roter SUV die Isenbergstraße im Richtung Hattingen-Niederwenigern mit dem Kennzeichen EN-AC. Die dazugehörigen Zahlen sind unbekannt. Das wurde soeben von einem Fahrgast gemeldet, der im Bus der Linie 141 sitzt und Richtung Innenstadt fährt. Sehen Sie mal nach, was da los ist.“

Die Streifenpolizisten rollten mit den Augen und Holger Bramkamp fragte ins Mikrofon: „Kann es sein, dass die Person, die das gemeldet hat, alkoholisiert ist?“, und bei dem Gedanken an Alkohol wurde ihm wieder schummerig.

„Peter 34, es liegen auch bei anderen Polizeidienststellen seit einigen Tagen Meldungen über solche Beobachtungen vor. Gehen Sie der Sache nach. Vielleicht ist da irgendein Scherzbold am Werke.“

Der Streifenwagen fuhr das genannte Gebiet ab, fand den beschriebenen SUV aber nicht.

Endlich kam eine neue Meldung herein: „Peter 34, der rote SUV ist auf dem Weg nach Bochum-Dahlhausen. Das muss Richtung Ruhr-Schwimmbrücke sein.“

Sänger betätigte Blaulicht und Martinshorn. Sie überholten mehrere Fahrzeuge. Als sie das Ruhrtal erreichten, sahen die Polizisten, wie sich einige Fußgänger mit erstaunten Blicken nach einem roten Geländewagen herumdrehten, der eine Autokolonne anführte.

Der Streifenwagen überholte riskant und hatte den SUV kurz vor der Schwimmbrücke eingeholt. Die Ampel der einspurig befahrbaren Schwimmbrücke zeigte rot. In dem SUV schien tatsächlich niemand am Lenkrad zu sitzen. Noch bevor der Polizeiwagen den SUV überholen konnte, durchfuhr dieser die rote Ampel und rollte auf die Beschrankung der S-Bahn zu, die am anderen Ende der Brücke die Fahrbahn kreuzte. Die rot und weiß lackierten Balken senkten sich und ein Signallicht warnte vor dem Zug. Im letzten Augenblick schoss der rote SUV unter den sinkenden Schranken hindurch, überquerte die Gleise und beschleunigte dahinter seine Fahrt.

Bramkamp machte vor dem Bahnübergang eine Vollbremsung, schlug mit der Hand verärgert auf sein Lenkrad und fluchte: „Scheiße und noch mal Scheiße. So ein Drecksack! Wenn ich den …“, schüttelte er den Kopf und seine Schläfen pochten.

Kollege Sänger griff zum Mikrofon: „Peter 34 an Zentrale. Wir haben den SUV an dem beschrankten Bahnübergang verloren. Das gesuchte Fahrzeug bewegt sich Richtung Bochum-Dahlhausen Bahnhof. Dort hat es unzählige Möglichkeiten irgendwo abzubiegen. Tatsächlich haben auch wir keinen Fahrer gesehen. Könnt ihr überprüfen, ob da wieder ein Forschungsprogramm von der Uni oder dem Hersteller läuft? Die hohen Herren haben es ja meistens nicht nötig, uns rechtzeitig eine Mitteilung zu geben“. Dann gab er das vollständige Kfz-Kennzeichen durch.

Die erste S-Bahn war längst vorbeigefahren. Trotzdem gingen die Balken nicht hoch.

„Da kommt bestimmt noch eine Bahn aus der anderen Richtung. Hier in der Nähe ist das Eisenbahnmuseum. Vielleicht kommt auch eine handbetriebene Draisine vorbei“, spottete Bramkamp. „In dem Fall stehen wir heute Nachmittag noch hier.“

Sänger kratzte sich am Kinn. „Ich habe vor Kurzem gelesen, dass einige Testreihen laufen, bei dem vollautomatisierte Fahrzeuge mitten durch den Berufsverkehr fahren. Viel-leicht war das ja so ein Ding.“

„Der SUV, den wir gerade gesehen haben, ist vor uns geflüchtet. Wenn so ein unbemannter Prototyp eine rote Ampel passieren kann, dann wäre diese Technik lebensgefährlich und man müsste die Verantwortlichen einlochen!“

Die S-Bahn Richtung Hattingen passierte und die Schranken bewegten sich nach oben.

„Dann wollen wir doch mal sehen, wo unser Geisterfahrer geblieben ist.“ Sänger schaltete das Martinshorn wieder ein und der Streifenwagen passierte eilig die Gleise.

Der achtundsechzigjährige Günter Kern blickte auf seine Uhr und murmelte: „Gleich ist es 16:30 Uhr, da wird meine Venus wieder schwimmen gehen.“ Der kahlköpfige Rentner betrat das Schlafzimmer seiner Zweizimmerwohnung. Er zog die Gardine nur einen Spalt zur Seite, um selbst nicht gesehen zu werden. Dann richtete er sein Stativfernrohr aus.

Kerns Wohnung befand sich in der obersten Etage des sechsstöckigen Hauses einer Neubausiedlung auf dem Friedberg. Von seinem Balkon und aus dem Schlafzimmer hatte er einen weiten Blick. Besser gesagt, er hatte Einblick. Einblick in die Anwesen einer Siedlung mit noblen Villen und teuren Bungalows.

Sein teures Objektiv vermittelte scharfe Bilder von privaten Swimmingpools und aufwendigen Ziergärten. Einige dieser Reichen besaßen auf ihren Grundstücken sogar eigene Tennisplätze. Im Winter, wenn die Laubbäume kahl waren, dann blieb Kern mit seinem Fernrohr kein fremder Quadratmeter verborgen.

Gut, die Leute, die dort drüben wohnten, konnten sich denken, dass neugierige Augen von den drei hohen Häusern Einblicke in die Grundstücke der Bungalows hatten. Vor den Schlafzimmerfenstern ließen diese Herrschaften abends die Rollläden herunter.

Bei diesem Gedanken schmunzelte der kahlköpfige Spanner, denn es gab auch Ausnahmen. Eine schlanke Mittdreißigerin vergaß häufiger ihren Rollladen herabzulassen. Das ermöglichte Kern erregende Einblicke, wenn sich die schlanke Frau vor ihrem Schlafzimmerschrank im Spiegel nackt betrachtete. Kern hatte recherchiert, dass diese Frau eine alleinstehende Ärztin war. Er konnte nicht begreifen, dass dieses schöne Geschöpf unbemannt lebte. Die Ärztin besaß einen Pool, in dem sie im Sommer nackt schwimmen ging. Sie fühlte sich scheinbar vor fremden Blicken geschützt, da die Bäume ihrer Grundstücksgrenze sehr dicht standen.

Jeden Mittwoch gegen 16:30 Uhr stieg Günter Kerns Venus in die Fluten. So auch heute. Pünktlich wie ein Uhrwerk betrat die Ärztin ihre Terrasse. Er richtete sein Fernrohr aus, hielt das linke Auge geschlossen und schaute mit dem rechten in das Objektiv. Sie schritt auf die Duschen vor dem Pool zu und hängte ein rotes Badehandtuch über die Mauer, hinter der sich ein Rosenbeet anschloss. Sie begann sich zu entkleiden, hängte Jeans und Bluse an einen Haken und streifte ihre Dessous ab.

Kern war dem letzten Sturm dankbar, der in diesem Garten einige lästige Baumkronen ausgelichtet hatte. Die großzügige Lücke bot seinem Fernrohr nun einen guten Einblick.

„Dreh dich herum, meine Venus“, murmelte Kern vor sich hin und sein Herz klopfte schneller.

Die Venus tat, wie gewünscht. Sie drehte sich mit ihrem Gesicht zu dem Spanner und steckte mit den Händen ein Haarband fest. Dabei hoben sich ihre nackten Brüste. Kern leckte sich über die spröden Lippen. Leider verschwand die Schönheit dann für einige Zeit in der Dusche. Kern holte sich währenddessen ein Bier aus dem Kühlschrank.

Als er zurückkehrte, sprang Frau Doktor gerade mit einem Kopfsprung in das erfrischende Element. Manche Blätter und Äste störten die Sicht. Doch Kerns Auge leuchtete jedes Mal, wenn er kurz das knackige Gesäß, die Bewegungen der strammen Beine und beim Rückenschwimmen den Busen der Ärztin erblickte.

Warum war der pensionierte Schlosser nur ein ewiger Junggeselle geblieben? Warum hatte ihm das Schicksal nicht ein so traumhaft schönes Wesen ins Bett gelegt? Kern war sich sicher: Die Welt ist ungerecht!

Das frische Bier kühlte sein aufgeheiztes Gemüt. Doch dann stieg die badende Venus endlich wieder aus den Fluten. Kern presste sein Auge fest vor die Linse. Jeden erotischen Moment der wenigen noch verbleibenden Zeit wollte er in sich aufsaugen.

Die Ärztin schritt vom Pool zur Dusche. Plötzlich hielt sie inne und ließ ihren Blick über den Pool und das restliche Grundstück gleiten.

Kern sah die Anspannung in ihrem Gesicht. Was hatte sie denn?

Die Ärztin verschränkte ihre Arme vor den Brüsten, als wenn sie sich beobachtet fühlen würde. Forschend wanderten ihre Augen über die Bäume und nahmen die hohen Häuser des Friedbergs ins Visier.

Kern wunderte sich, dass die Venus ihre Brüste immer noch bedeckt hielt, und nörgelte vor sich hin: „Also so geht das ja nun mal nicht! So ein Stativ-Fernrohr kostet in dieser Qualität über tausend Euro und das ist für einen pensionierten Schlosser eine Menge Geld!“

Die Ärztin verschwand in der Dusche.

Kern trank von seinem Bier. Als er erneut durch die Linse sah, kam ihm plötzlich eine großartige Idee. Wenn er an das Fernrohr eine Kamera anschließen würde, dann könnte er den Anblick der badenden Venus konservieren. Ja, er würde ihren Anblick sogar während der Winterzeit genießen.

Kern wurde kreideweiß. „Das gibt es nicht!“, rief er, rieb sich das rechte Auge und blickte erneut ins Objektiv. Er hatte genau gesehen, dass das rote Badehandtuch seiner Venus plötzlich wie von Geisterhand hochgehoben wurde und sich kurz darauf in nichts auflöste. Er sah seine Venus aus der Dusche kommen und nach dem Handtuch tasten. Sie beugte sich suchend über die niedrige Mauer zum Rosenbeet und hielt Kern ihren herrlichen, nackten Hintern zum Anblick entgegen. Rasch richtete sie sich wieder auf, drehte sich herum und blickte völlig verwundert in Kerns Richtung. Der Spanner wurde nervös. Irgendwie wirkte diese Szene auf ihn nicht mehr erotisch. Was war dort im Gange? Etwas Sonderbares lag in der Luft.

„Pass auf!“, rief er plötzlich seiner Venus zu.

Tatenlos musste er mit ansehen, wie sich hinter dem Rücken der Ärztin die Kleidungstücke von den Haken erhoben und im Nichts auflösten.

Sie wendete sich um und schaute zu den leeren Kleiderharken. Wie von Geisterhand wurde ihr Körper plötzlich etwas angehoben. Ihre Arme machten deutliche Abwehrbewegungen. Dann stürzte sie in den Pool. Kern griff zum Telefon und rief anonym bei der Polizei an. Hektisch erzählte er, was er beobachtet hatte und drückte das Gespräch weg.

Als sein Auge durch das Fernglas schaute, hielt sich die Ärztin im Wasser immer noch am Rand ihres Pools fest. Von fern war ein Martinshorn zu hören, das hoffnungsvoll näher kam.

Der vierzigjährige Kommissar Mike Kröger stellte die Videokamera des Streifenwagens neu ein und übertrug einige Daten. Er blickte kurz auf das hübsche Profil seiner Kollegin Nussbaum und lächelte geheimnisvoll.

„Stimmt etwas an mir nicht?“, strich Tamara sich eine blonde Locke hinter das Ohr und tastete kontrollierend zum Haarband ihres Pferdeschwanzes. Ihr Blick blieb auf den vorausfahrenden Verkehr gerichtet.

„Nein, alles okay. Ich finde es nur außergewöhnlich, wie sehr du dich als Frau für Autos begeisterst.“

„Wieso? Woran denkst du dabei?“

„Es war auffällig, wie begeistert du dich auf der Motor-Show für den Polizei-Porsche interessiert hast.“

„Mike, wer von unseren Jungs wäre nicht begeistert, wenn unsere Einheit diesen Wagen bekäme. Es handelt sich hierbei um einen 911 Carrara S, der mit seinen 370 PS eine Geschwindigkeit bis zu 300 km/h erreicht. Ein Leistungskit sorgt für ein schnelleres Beschleunigen. Er hat durch das Aerodynamik-Kit und Sportfahrwerk bei Verfolgungsjagden eine bessere Haftung auf der Straße. Die Frage ist nur, wer den dann fahren darf.“

„Tammy, träum weiter. Bei der Polizei wird es unter den Kollegen keinen Streit geben, da die Anschaffungskosten für diesen Schlitten zu hoch sind. Die Österreicher haben übrigens auch mal einen Porsche als Streifenwagen gehabt. Der steht heute im Museum, weil man in dieser Kiste nicht einmal einen Verkehrssünder mitnehmen konnte, dessen Wagen spontan stilgelegt wurde.“

„Mike, die italienische Polizei heizt mit Lamborghini über die Autobahn. Diese Sahneteilchen erreichen laut Hersteller 330 km/h.“

„Ja, Tammy, und irgendein Sheriff in den Staaten fährt einen extrem frisierten Chevrolet Camaro. Der ist noch schneller. Aber das alles ist doch Theorie. Welcher Verkehrsraudi könnte solche Geschwindigkeiten auf unseren Autobahnen erreichen?“

„Oh, wenn man bei einigen Sportwagen oder hochmotorisierten Limousinen die Sperre herausnimmt, dann laufen die gut 300 km/h.“

„Mädel, wenn solche Idioten verfolgt werden müssen, dann gibt es auch noch den Hubschrauber!“

Tammy schaute in den Rückspiegel und sagte: „Es ist doch immer wieder lächerlich. Da kommt hinter uns ein Geschoss angeflogen. Der Fahrer hat uns aufgrund der Signallichtaufbauten im letzten Moment gesehen und voll die Bremse getreten. Wenn wir jetzt hier in einem zivilen Streifenwagen gesessen hätten, dann hätte unsere Kamera hübsche Fotos und der Steuerzahler einige Euros mehr.“

Kollege Kröger wollte gerade antworten, da kam ein Funkspruch herein: „Erika 11, wo befinden Sie sich, kommen!“

Kröger meldete sich: „Erika 11 befährt die A45 in Richtung Frankfurt. Wir haben soeben den Autobahnanschluss Olpe passiert und erreichen den nordrheinwestfälischen Grenzbereich, kommen!“

„Achtung, Erika 11“, setzte der Zentralist seine Durchsage fort, „mehrere Fahrzeuge haben mit sehr hoher Geschwindigkeit die A4 befahren und sind scheinbar nun auf der A45 Richtung Frankfurt unterwegs. Wir vermuten ein illegales Cannonball-Rennen. Versuchen Sie die Fahrzeuge aufzuspüren und geben Sie uns die Positionen durch. Wir werden notfalls die Autobahn sperren lassen.“

Kröger bestätigte und Nussbaum setzte den Blinker zum Überholen. Das Martinshorn schallte und die Blaulichter begannen zu kreisen.

Tamara fuhr hoch konzentriert. Fast alle Verkehrsteilnehmer machten dem Streifenwagen Platz. Auf den freien Fahrbahnabschnitten, beschleunigte die Polizistin auf 240 km/h.

Kollege Kröger rollte mit den Augen. „Tammy, das ist hier nicht der Nürburgring, falls du das vergessen hast.“

„Wieso?“ Sie blickte ihren Kollegen keck an. „Das alte Schätzchen hier liegt doch wie ein Brett auf der Straße und es tut der Maschine gut, wenn sie mal durchgeblasen wird.“

„Ist ja allerliebst!“ Kröger winkte ab. „Die Cannonballs sollen wir nun für ihre Raserei am Arsch kriegen und du frönst dank des Blaulichts auf öffentlichen Straßen deinem Rennsporthobby!“

„Ja, ja“, lachte die Blonde mit diebischem Spaß, „die Welt ist manchmal ungerecht und deshalb …“ Sie hielt plötzlich mitten im Satz inne. Ein extrem flacher Sportwagen trieb auf der linken Spur andere Verkehrsteilnehmer vor sich her, die panisch nach rechts auswichen.

Mike Kröger schaltete die Videokamera ein und griff zum Funkgerät. „Zentrale für Erika 11 kommen. Wir haben soeben den Autobahnanschluss Dillenburg passiert und verfolgen einen roten Sportwagen mit Schweizer Kennzeichen. Es ist ein …?“ Kröger unterbrach seinen Satz und blickte Nussbaum fragend an.

---ENDE DER LESEPROBE---