Selbstgerecht und selbst gerächt! - Dieter Kleffner - E-Book

Selbstgerecht und selbst gerächt! E-Book

Dieter Kleffner

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Beschreibung

Wir leben in einem Rechtsstaat. Recht und Gerechtigkeit gehen nicht in jedem Fall Hand in Hand. Recht und Gerechtigkeit können sogar widersprüchlich sein. Wer gedemütigt, betrogen, bestohlen oder böswillig verletzt wird und kein Recht bekommt, der rächt sich zumindest in Gedanken. Je nach Temperament bleibt es nicht dabei - und davon erzählen diese spannenden Kriminalgeschichten: Phobie Der siebzigjährige Witwer Hannes Fischer ist sehr wohlhabend. Versehentlich hat er den Wagen von Heidemarie Kirsch vor einem Café zugeparkt. Er entschuldigt sich und lädt die zwanzig Jahre jüngere Witwe zu Kaffee und Kuchen ein. Beide kommen sich in den nächsten Tagen näher. Der Tochter von Hannes Fischer ist diese Dame suspekt. Stellt diese für ihren Vater sogar eine Gefahr dar? Klinikluft - ganz normaler Wahnsinn *Lars Svensson ist ein Mensch mit einem Gerechtigkeitswahn. Da er jeden Mitbürger schon bei geringen Regelverstößen maßregelt, wird er in der psychiatrischen Abteilung einer Uniklinik behandelt. *ein älterer Patient der Intensivstation stirbt unerwartet. *Ein Dieb treibt in der Klinik sein Unwesen *Eine Praktikantin verschwindet in den geheimnisvollen Tunnelgängen, die die Klinikgebäude unterirdisch verbinden. *Eine Ärztin begegnet ihrem Mörder im Moor Dieser Krimi gibt Einblick in den gewohnten Klinikalltag, der sich jedoch in dieser Geschichte zu ganz normalem Wahnsinn entwickelt … Das Orakel vom Pool Pythia ist ein professionelles Medium. Sie legt Skatkarten wie beim Tarot und liest aus deren Konstellation das Schicksal ihrer Kunden. Sie versteht ihre Arbeit im weitesten Sinne als Lebenshilfe und Seelsorge. Pythia ist für Stammkunden fast immer erreichbar. So nimmt sie auch ein Gespräch an ihrem privaten Pool entgegen. Der Kunde steht vor der wichtigsten Entscheidung seines Lebens. Silvas Rache Sechzehn Jahre zuvor ... Ein anonymer Informant sendete dem Drogendezernat gegen Mittag den Hinweis, dass am Hauptbahnhof ein Dealer mit dem 12:30-Uhr-Zug ankommen sollte. An der E-Mail war ein Foto des Drogenhändlers angehängt. Angeblich würde mindestens ein Kilogramm Kokain geschmuggelt. Dezernatleiter Meier beauftragte Puschkin und Silva, den Dealer zu beobachten, aber nicht festzunehmen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Edition Paashaas Verlag

Autor: Dieter KleffnerCovermotive: Pixabay Cover designed by Michael Frädrich © Copyright Edition Paashaas Verlag www.verlag-epv.de Lektorat: Harry Michael Liedtke, Floodland Agency Originalausgabe Januar 2020 Printausgabe: ISBN: 978-3-96174-052-9

Die Handlung dieser Romane ist frei erfunden. Sollten Ereignisse oder Namen im Buch erscheinen, welche auf jemanden zutreffen, so ist das ungewollter Zufall.

Die Haftung jeglicher Art wird abgelehnt.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Selbstgerecht und selbst gerächt!

4 Kurzkrimis

Diese Geschichten warten auf Sie:

Phobie

Der siebzigjährige Witwer Hannes Fischer ist sehr wohlhabend. Versehentlich hat er den Wagen von Heidemarie Kirsch vor einem Café zugeparkt. Er entschuldigt sich und lädt die zwanzig Jahre jüngere Witwe zu Kaffee und Kuchen ein. Beide kommen sich in den nächsten Tagen näher. Der Tochter von Hannes Fischer ist diese Dame suspekt. Stellt diese für ihren Vater sogar eine Gefahr dar?

Klinikluft - ganz normaler Wahnsinn

*Lars Svensson ist ein Mensch mit einem Gerechtigkeitswahn. Da er jeden Mitbürger schon bei geringen Regelverstößen maßregelt, wird er in der psychiatrischen Abteilung einer Uniklinik behandelt.

*ein älterer Patient der Intensivstation stirbt unerwartet.

*Ein Dieb treibt in der Klinik sein Unwesen

*Eine Praktikantin verschwindet in den geheimnisvollen Tunnelgängen, die die Klinikgebäude unterirdisch verbinden.

*Eine Ärztin begegnet ihrem Mörder im Moor

Dieser Krimi gibt Einblick in den gewohnten Klinikalltag, der sich jedoch in dieser Geschichte zu ganz normalem Wahnsinn entwickelt …

Das Orakel vom Pool

Pythia ist ein professionelles Medium. Sie legt Skatkarten wie beim Tarot und liest aus deren Konstellation das Schicksal ihrer Kunden. Sie versteht ihre Arbeit im weitesten Sinne als Lebenshilfe und Seelsorge. Pythia ist für Stammkunden fast immer erreichbar. So nimmt sie auch ein Gespräch an ihrem privaten Pool entgegen. Der Kunde steht vor der wichtigsten Entscheidung seines Lebens.

Silvas Rache

Sechzehn Jahre zuvor ...

Ein anonymer Informant sendete dem Drogendezernat gegen Mittag den Hinweis, dass am Hauptbahnhof ein Dealer mit dem 12:30-Uhr-Zug ankommen sollte. An der E-Mail war ein Foto des Drogenhändlers angehängt. Angeblich würde mindestens ein Kilogramm Kokain geschmuggelt. Dezernatleiter Meier beauftragte Puschkin und Silva, den Dealer zu beobachten, aber nicht festzunehmen.

Phobie

Ein Wolkenbruch scheuchte die Fußgänger zu den schützenden Hauseingängen. Eine Dame betrat eilig das Zeitungscafé LITERA und stellte ihren Schirm in den Ständer. Sie schaute sich suchend um. Die Tische und Stühle waren fast alle besetzt. Viele Gäste blätterten in Magazinen, Illustrierten oder der Tagespresse. Es duftete nach Kuchen, Waffeln und Kaffee. Ein grauhaariger Herr im Sommeranzug schaute von seiner Zeitung auf und traf den Blick der neuen Kundin. Sie lächelte ihm zu und suchte offensichtlich einen freien Platz. Er erhob sich und zeigte auf den zweiten Stuhl an seinem Tisch. Sie kam zögernd näher.

„Guten Tag, mein Name ist Hannes Fischer. Setzen Sie sich bitte zu mir.“

Sie ließ sich von ihm aus der eleganten Regenjacke helfen und nahm Platz.

„Mein Name ist Kirsch. Heidemarie Kirsch. Ich bin jetzt etwas verunsichert. Normalerweise setze ich mich nicht zu fremden Herren. Ich hatte gar nicht vor, in dieses Café zu gehen.“

Er lächelte die Frau mit den schwarzen Locken an: „Und warum sind Sie doch hereingekommen?“

„Weil heute alles schiefläuft. In der Stadt habe ich nicht das gefunden, was ich mir vorgestellt habe. Als ich nun in mein Auto steigen wollte, da war der Wagen zugeparkt. Gleichzeitig öffnete der Himmel seine Schleusen. In diesem Moment guckte mich dieses Café so einladend an, dass ich nicht widerstehen konnte.“

„Frau Kirsch, sind Sie einverstanden, wenn ich Sie einlade? Es gibt hier einen hervorragenden Käsekuchen.“

Sie zeigte zum Schaufenster. „Mir wäre lieber, wenn der protzige Geländewagen dort endlich wegfahren würde. Dann käme ich weiter.“

Fischer reckte den Hals: „Sie meinen den schwarzen SUV vor der Tür?“ Sie nickte. Der Siebzigjährige machte ein verlegenes Gesicht: „Oh, das ist mein Geländewagen. Mir war absolut nicht aufgefallen, dass ich Ihren Wagen zugeparkt habe. Jetzt muss ich Ihnen erst recht ein Stück Kuchen ausgeben.“ Sie blickte skeptisch zu Uhr. Fischer fragte: „Wartet die Familie?“

„Nein, auf mich wartet niemand mehr. Mein Mann ist verstorben und mein Kinderwunsch wurde nie erfüllt.“

„Verzeihung, ich trete bei Ihnen von einem Fettnäpfchen ins Nächste. Ist wohl nicht mein bester Tag. Ich bin übrigens auch Witwer. Nur, in meinem Alter ist das eher normal. Sie sind mindestens dreißig Jahre jünger.“

„Ach was, das ist alles nur Make-up. Die Fünfzig ist nicht mehr weit und ab fünfzig werden Frauen bekanntlich unsichtbar.“

Der Grauhaarige schüttelte peinlich berührt den Kopf: „Aber das ist doch Unsinn!“ Er winkte die Bedienung heran und bestellte Kuchen und Kaffee.

Unternehmer Hannes Fischer war der Gründer einer riesigen Fensterfabrik, die mittlerweile von seiner Tochter Daniela geleitet wurde. Als er das Vorzimmer zu Dannys Büro betrat, lächelte ihn seine ehemalige Sekretärin an. „Herr Fischer, das ist ja eine Überraschung. Was darf ich für Sie tun?“

„Frau Müller, ich hoffe, dass es Ihnen gut geht. Ist meine Tochter im Büro?“

„Die Chefin ist da. Aber Vorsicht! Es herrscht Gewitterluft!“

Er schmunzelte, klopfte an die Tür und betrat das Chefzimmer. Daniela Fischer telefonierte offensichtlich mit einem unzuverlässigen Lieferanten. Sie gab ihrem Vater ein stummes Zeichen, Platz zu nehmen. Der Siebzigjährige versuchte, ein ernstes Gesicht zu machen, da das dem laufenden Telefongespräch angemessen war. Tatsächlich schmunzelte er innerlich. Seine Tochter war nun neununddreißig Jahre alt. Sie hatte die blonden Haare und die schöne Figur ihrer verstorbenen Mutter Walli. Die blauen Augen und der Mund stammten von seinen Genen. Vor allem das hartnäckige Handeln und Taktieren hatte sie von ihm. Hannes Fischer hätte sich sehr über Enkelkinder gefreut. Daniela war sein einziges Kind. Bei ihr tickte mächtig die biologische Uhr. Seit fünf Jahren lebte sie mit ihrem Freund Heiko Kleff zusammen. Von Heirat war nie die Rede. Doch was konnte er von ihr erwarten? Als Nachfolgerin seines Unternehmens war sie sein ganzer Stolz. Wie sollte sie da gleichzeitig noch Mutteraufgaben erfüllen? Man kann nicht alles haben.

Frau Fischer knallte den Hörer auf die Gabel und pustete lang aus. Dann sagte sie leise: „So, es wurde Zeit, dass ich diesen Gauner endlich einmal zusammenfalte.“ Sie stand auf und nahm ihren Vater in die Arme. „Hi, Paps. Was kann ich für dich tun?“

Er küsste sie auf die Stirn: „Danny, nimm Platz. Wir müssen reden.“

Sie ließ sich in ihren Chefsessel fallen und schaute den Vater streng an: „Du kommst mir jetzt bitte nicht wieder mit dem Thema Familie oder so? Ich weiß, dass ich kurz vor der Vierzig stehe und dass du gerne einen Enkel hättest.“

Sie drehte ihren Kugelschreiber angriffslustig zwischen den Fingern.

„Es ist viel schlimmer, Danny. Ich habe jemanden kennengelernt. Heidi und ich fahren am Wochenende zusammen zum Chiemsee.“

„Heidi? Paps, welche Heidi? Offensichtlich bekomme ich in letzter Zeit einiges nicht mehr mit. Erzähle mir von ihr.“

„Danny, ich will dich nicht lange aufhalten. Du weißt, dass ich in Gefühlsangelegenheiten nicht viele Worte mache. Trotzdem halte ich es dir gegenüber für fair, wenn ich offen bin. Du weißt, wie sehr ich deine Mutter geliebt habe. Walli ist nun seit fünf Jahren tot, und ich weiß nicht, wie lange der Herrgott mich hier unten noch duldet.“

Das Telefon läutete. Frau Fischer nahm den Hörer und sagte streng: „Jetzt nicht!“, und legte wieder auf.

Verlegen strich sich Hannes durch die noch vollen, silbernen Haare und fuhr fort: „Ich denke, ich habe mich in meinem hohen Alter noch einmal verliebt, und hoffe, dass du meinen neuen Weg akzeptieren wirst.“

„Erzähle mir von dieser Heidi.“

Hannes konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Oh, sie ist sehr attraktiv. Sie ist belesen und hat Stil. Heidi verlor ihren Mann vor zwei Jahren. Wir haben uns per Zufall getroffen. Ich hatte sie versehentlich zugeparkt. Falsches Parken kann also nützlich sein.“

Daniela Fischer drehte ihren Kugelschreiber wieder etwas schneller in den Fingern und fragte mit spitzem Unterton: „Wie alt ist die attraktive und belesene Heidi denn?“

„Sie wird am Wochenende fünfzig. Wir feiern ihren Geburtstag in aller Stille.“

„Fünfzig!“, schoss es aus Daniela heraus. „Alle Achtung! Da ist die belesene Heidi altersmäßig nicht so weit von mir entfernt wie zum Herrn Papa.“ Sie blickte ihren Vater durchdringend an. „Paps, du versprichst mir, dass du dich von ihr nicht ausnutzen lässt, okay?“

Hannes erhob sich. „Ich bin froh, dass du Verständnis für mich hast.“

Sie nahm ihn liebevoll in den Arm. „Was hättest du gemacht, wenn ich gegen diese Beziehung gewettert hätte?“

„Ich denke, das Gleiche wie du. Ich hätte meinen Kopf durchgesetzt.“

Er gab ihr einen Abschiedskuss und verließ das Büro.

Heidi Kirsch und Hannes Fischer buchten in einem kleinen Hotel am Chiemsee. Jeder wohnte selbstverständlich in einem eigenen Zimmer. Sie hatte darauf bestanden, dass niemand von ihrem runden Geburtstag erfahren solle. Doch als sie nun beim Frühstück saßen und er nicht einmal gratulierte, stand ihr die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Gedankenverloren rührte sie im Kaffee. Wie konnte ein runder Geburtstag glatt vergessen werden? Hatte sie diesen stilvollen Mann falsch eingeschätzt? Oder litt er mit seinen siebzig Jahren bereits an einer leichten Demenz? Nach dem Frühstück gingen beide stumm zum Parkplatz. Sie stellte sich neben den Geländewagen und wartete darauf, dass Hannes öffnete. Er blieb jedoch vor einem Cabrio stehen und fragte: „Wie würde dir ein solcher Flitzer gefallen?“

Sie betrachtete den offenen Zweisitzer: „Den finde ich sehr schick. Aber ich verstehe nicht viel von Autos.“

Er hielt ihr einen baumelnden Schlüssel vor die Nase: „Setze dich mal hinein.“

Zögernd nahm sie den Schlüssel an: „Wieso? Ich verstehe nicht?“

„Weil das jetzt dein Auto ist. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“

Frau Kirsch bekam feuchte Augen und fiel Fischer um den Hals. Den gesamten Tag steuerte Heidi ihren neuen Wagen über die Alpenstraße von einer romantischen Sehenswürdigkeit zur nächsten. Der Wind spielte mit ihren schwarzen Haaren und Hannes fühlte sich an ihrer Seite wie ein junger Gott. Abends überraschte er im Hotel als ausgezeichneter Klaviervirtuose und dann war dieser herrliche Tag verflogen.

Als Hannes am nächsten Morgen in ihren Armen glücklich erwachte, hatte er sein Herz endgültig verloren. Behutsam verließ er die schlafende Venus und betrat das edle Badezimmer. Als er auf dem WC saß, fiel sein Blick auf die Badewanne. Schlagartig stieg ihm der Schweiß auf die Stirn. Der Puls begann zu rasen. Das Herz trommelte schmerzhaft gegen die Brust. Sein Hals schnürte sich mehr und mehr zu. Hannes wollte schreien, doch nur röchelnde Laute entwichen der Kehle. Frau Kirsch öffnete die Badezimmertür und sah seinen entsetzten Zustand.

„Hansi, Schatz, was ist mit dir? Soll ich einen Arzt rufen?“

Zitternd hob er seine Hand und zeigte zur Wanne. Frau Kirsch erblickte dort eine fette Hausspinne. Sie nahm das Tier in die Hand und schloss behutsam die Finger.

„Erstaunlich, mit welcher Kraft sich so ein kleines Wesen befreien möchte. Ich setze die Spinne nach draußen.“

Fischer war immer noch kreideweiß, doch er bekam wieder Luft. Der Puls beruhigte sich. Heidi kehrte zurück und schloss Hannes in ihre Arme. Er stöhnte: „Diese verfluchte Spinnenphobie bringt mich eines Tages noch um. Das ist mir unendlich peinlich vor dir.“

Sie küsste ihn und flüsterte: „Das muss dir nicht peinlich sein. Wir haben alle unsere Schwächen.“

Nachdem Hannes Fischer aus dem Urlaub zurückgekehrt war, wollte er seine neue Liebe so schnell wie möglich in den Bekanntenkreis einführen. Sein neu erblühtes Leben sollte sich unauffällig und normal anfühlen. Also lud er alle wichtigen Personen seines Gesellschaftskreises zu einer Party im eigenen Heim ein. Bald darauf hatten fast alle feierfreudigen und neugierigen Leute der Einladung zugesagt.

Der hundert Quadratmeter große Raum füllte sich mehr und mehr. Die elegant gekleideten Damen hielten ihr Champagnerglas in den Händen, die Herren prosteten sich mit Cognac und altem Whisky zu. Stolz führte Fischer seine neue Liebe zum Mikrofon des Band-Leaders. Heidis schwarze Locken hingen bis auf die Schultern. Das trägerlose Kleid war figurbetont, schlicht und teuer. Frau Kirsch hatte sich kunstvoll geschminkt und lächelte selbstbewusst in alle neugierigen Gesichter.

„Liebe Freunde und Familie“, begann Hannes Fischer die offizielle Begrüßung und nickte seiner Tochter zu, „mit Familie meine ich Daniela und Heiko, ich möchte euch nun meine neue Lebenspartnerin Heidemarie Kirsch vorstellen. Ihr wisst, dass ich nur ungern viele Worte zu großen Gefühlen mache. Dass mich diese Frau glücklich macht, dürfte aber nicht zu übersehen sein. Deshalb wünsche ich uns allen eine fröhliche Party und eröffne hiermit das Buffet.“

Er gab Heidi einen Kuss und geleitete sie unter allgemeinem Applaus zu einem Tisch. Die Liveband spielte einen Tusch und wählte zum Essen moderate Instrumentalmusik. Daniela gab sich betont als Geschäftsfrau. Ihre blonden Locken waren streng hochgesteckt. Sie trug einen Hosenanzug. Die Pumps klickerten auffällig laut bei jedem Schritt. Ihr Freund Heiko Kleff zeigte sich hingegen legerer. Der einundvierzigjährige Sportlehrer trug eine Weste und hatte die oberen beiden Hemdenknöpfe geöffnet. Frau Kirsch schritt nach dem köstlichen Essen von Tisch zu Tisch. Sie stellte sich persönlich vor und hielt leichte Konversation. Als sie Daniela Fischer passierte, blieb sie kurz stehen und reichte der Tochter des Hauses die Hand: „Ich hoffe, dass wir beide gute Freundinnen werden“, und zu Danielas Freund Heiko Kleff gewandt meinte sie: „Ich bin die Heidi. Ich habe von Hannes gehört, dass du einen schwarzen Gürtel trägst und Kinder im Judo unterrichtest. Stimmt das?“ Heiko nickte stumm. Ihre Augen funkelten ihn geheimnisvoll an und sie sagte: „Ich wünsche mir heute Abend einen Tanz mit dir.“

Dann verschwand sie in der Menge. Daniela rollte mit den Augen und flüsterte: „Ich weiß nicht, was mit der nicht stimmt. Aber das bekomme ich heraus.“

„Wieso? Die ist doch interessant.“

„Eine schwarze Mamba ist auch interessant. Ich kann Paps nicht verstehen. Die Frau passt vom Typ und vom Alter her absolut nicht zu ihm.“

„Spüre ich da bei dir vielleicht ein bisschen Eifersucht, Danny?“

Sie machte spöttisch: „Pah!“, drehte sich auf dem Absatz um und ließ Heiko stehen.

Zu fortgeschrittener Stunde verkündete die Band eine Damenwahl. Frau Kirsch wurde bereits von vielen Männern angehimmelt. Sie trat an den Stehtisch, wo Heiko Kleff mit zwei Golfspielern im Gespräch war, und sagte: „Ich möchte mir meinen versprochenen Tanz abholen.“

Heiko führte Heidi zur Tanzfläche. Die Band spielte einen Rock'n'Roll. Das Tanzpaar harmonierte so gut, dass es bald Applaus gab. Die Musik wandelte sich zu sehr langsamen Rhythmen und der Tanz wurde eng. Heidi tanzte sehr, sehr eng. So eng, dass im Hintergrund bereits getuschelt wurde. Endlich machte die Band eine Pause.

Hannes nahm den Arm seiner Angebeteten und geleitete sie in den Garten. In einer ruhigen Ecke klagte er: „Kannst du mir erklären, was das gerade sollte? Willst du mich vor allen Leuten lächerlich machen?“

Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und entschuldigte sich: „Wenn du nicht durch den Schleier deiner Eifersucht geschaut hättest, dann wäre dir vielleicht aufgefallen, dass dieser Sportlehrer sein Temperament nicht zügeln kann. Er hat mich beim langsamen Tanzen an sich gepresst. Ich habe mich nicht stark gewehrt, weil ich nicht wollte, dass dieses skandalöse Verhalten allen auffiel. Es tut mir leid, wenn das anders ausgesehen hat. Ich habe für junge Schnösel nichts übrig. Ich fühle mich nur bei reiferen Männern geborgen. Aber kläre lieber mal, was zwischen deiner Tochter und diesem Sportlehrer nicht stimmt. Schau dir Daniela an. Sie ist nicht glücklich mit ihm.“ Heidi schmiegte sich an Hannes und hauchte: „Nicht so glücklich wie ich mit dir.“

Als beide wieder ins Haus traten, standen Daniela und Heiko abseits in einer Ecke. Sie machte ein verärgertes Gesicht, er schüttelte den Kopf. Da wusste Fischer, dass Heidi eine bessere Beobachtungsgabe hatte als er.

Herr Fischer betrat das Vorzimmer zum Büro seiner Tochter. Seine lang gediente Sekretärin lächelte ihn an: „Herr Fischer, was darf ich für Sie tun?“

„Frau Müller, ist meine Tochter im Büro?“

„Die Chefin ist da. Aber Vorsicht! Es herrscht wieder Gewitterluft!“

Er klopfte und betrat das Chefzimmer. Daniela Fischer telefonierte. Sie gab ihrem Vater ein Zeichen, Platz zu nehmen, und beendete das Gespräch sehr rasch.

„Hallo, Paps. Was hast du auf dem Herzen, dass du persönlich vorbeikommst?“

„Du weißt, dass ich nicht gerne umschweifende Worte mache. Daher komme ich gleich zur Sache. Heidi möchte mich heiraten.“

Daniela lehnte sich in ihrem Chefsessel zurück und klopfte unbewusst mit ihrem Kugelschreiber auf einen Notizblock. Langsam sprach sie: „Du bist mit der lieben Heidi jetzt vier Monate zusammen, richtig?“ Er nickte stumm und sie fuhr fort: „Da ihr wohl kaum wegen einer ungewollten Schwangerschaft dringend heiraten müsst, sehe ich nicht den Grund zur Eile.“

„Danny, lass deine Ironie! Ich bin nicht mehr der Allerjüngste und Heidi möchte selbstverständlich eine gesicherte Perspektive für ihre Zukunft. Ich bin nicht verpflichtet, dich um Zustimmung zu bitten. Doch du bist ein Teil von mir, und ich möchte, dass wir alle zusammen glücklich werden.“

„Paps, ich möchte auch, dass du glücklich wirst. Was weißt du denn über ihre Vergangenheit? Wieso könnt ihr nicht genauso zusammenleben wie Heiko und ich? Wer braucht denn heute noch einen Trauschein? Trauscheine benötigt man, wenn man dem Partner keine Treue zutraut. Du hast ihr doch dein Herz geschenkt. Das neue Cabrio sehr wahrscheinlich auch. Ihr beide lebt recht luxuriös und reist durch die Weltgeschichte. Was fehlt dieser Frau?“

„Sage nicht immer so betont ‚diese Frau‘. Sie ist doch nett zu dir.“

„Möchtest du, dass ich Mama zu ihr sage? Das gefällt dieser Frau gewiss nicht, weil sie gerne so jung auftritt, wie ich es noch bin.“

Hannes Fischer erhob sich verärgert und schritt zur Tür: „Ich hätte mehr Verständnis und Toleranz von dir erwartet.“

Daniela ging auf ihren Vater zu und schloss ihn in die Arme. In ihren Augen stand ehrliche Sorge. „Bitte spreche mit deinem befreundeten Notar darüber. Triff keine Entscheidungen mit der rosa Brille. Du kannst Heidi Kirsch absichern, indem du sie unter klaren vertraglichen Bedingungen in ein Testament aufnimmst. Alles andere halte ich für übereilt. Okay?“

„Danny, ich habe Heidi bereits in meinem Testament berücksichtigt. Ich bin nicht mehr der Jüngste.“

Hannes Fischer war schon fast durch die Tür, als Daniela noch eine Frage hatte: „Paps, sag mal, wer ist dieser Riese, der sich neuerdings in deinem Garten herumtreibt? Der sieht nicht wie ein Gärtner aus.“

„Das ist Bernhard Hepp. Heidi hat ihn als eine Art Hausmeister eingestellt. Er kümmert sich um viele Dinge, die in den letzten Jahren nicht mehr in Ordnung gebracht wurden. Früher hatte deine Mutter darauf geachtet. Er streicht jetzt den Pool, reinigt die Pumpe, ölt die Tore und macht den Garten. Er scheint ein Allround-Man zu sein.“

„Aha, und diesen Mann hat die liebe Heidi eingestellt? Woher kennt sie ihn?“

„Danny, darum kümmere ich mich nicht. Lass Heidi diese Aufgabe, wenn sie Freude daran hat.“

Daniela winkte ab und setzte sich hinter ihren Schreibtisch.

Fischer schloss die Tür zum Büro und fragte seine ehemalige Sekretärin: „Sagen Sie ehrlich, Frau Müller, war ich früher genauso streng wie meine Tochter?“

Sie schmunzelte: „Nein, Chef. Sie waren schlimmer!“

Daniela Fischer hatte ihren Vater zum einen wegen seines kaufmännischen Talents bewundert, zum anderen wegen seiner treffend analytischen Menschenkenntnis. Doch seitdem Paps diese Heidemarie Kirsch nur durch eine rosa Brille anschaute, war sein analytisches Gespür offensichtlich dahin. Daniela hatte viele Gene ihres Vaters. Vor allem besaß sie Menschenkenntnis. Sie wusste, dass das Gesicht und die Mimik eines unehrlichen Menschen täuschen können, die Augen aber nicht. Heidemarie Kirsch hatte ein verlockendes Lächeln, doch ihre Augen verrieten bei genauer Betrachtung pure Hinterlist. Genauso suspekt wirkte dieser Gärtner und Hausmeister Bernhard Hepp, den Frau Kirsch neuerdings engagiert hatte. Daniela hatte nicht nur Betriebswirtschaft studiert, sondern auch Informatik. Sie interessierte sich für die aktuellen Entwicklungen der elektronischen Datenverarbeitung. Eines ihrer neuen Programme besaß die Fähigkeit, Ähnlichkeiten von Gesichtern herauszufiltern und aufzuspüren. Dieses Programm fütterte Daniela mit Fotos von Heidemarie Kirsch, die sie mit dem Smartphone auf der letzten Party gemacht hatte. Gesucht wurde in Facebook und diversen Suchmaschinen. Es dauerte nicht lange, da meldete das Programm die ersten Treffer. Frau Kirsch schien Partys zu lieben. Es fiel bald auf, dass sie fast immer mit älteren Herren zu sehen war. Daniela sagte in ihrer Euphorie die nächsten Geschäftstermine ab und stieg akribisch in die weitere Recherche ein. Bilder aus dem Internet zu fischen, war noch einfach. Schwieriger wurde die Suche nach den Namen der abgebildeten Personen. Die großen Zeitungen veröffentlichten mittlerweile viele ihrer Berichte ebenfalls im Internet – auch die Annoncen zu Taufen, Verlobungen, Hochzeiten und Beerdigungen. Nach zwei Stunden stand sicher fest, dass Heidemarie Kirsch mehrmals verheiratet gewesen war. Sie war mindestens zum dritten Mal Witwe geworden. Immer waren ihre Männer deutlich älter gewesen. Kurz bevor Daniela das Internet verlassen wollte, warf das Suchprogramm einen neuen Verdacht auf. Eine süddeutsche Agentur hatte zehn Jahre zuvor für ihren Escort-Service geworben. Die attraktiven Reisebegleiterinnen waren zum Teil abgebildet. Das Gesicht einer rothaarigen Dame sah dem von Heidemarie Kirsch erstaunlich ähnlich. Daniela lief in ihrer Recherche zu Hochform auf. Doch auch nach weiteren drei Stunden konnte sie über diese Agentur und deren Mitarbeiterinnen nichts Handfestes erfahren. Die ehemalige Anschrift hatte sich entweder geändert oder die Firma existierte längst nicht mehr.

Daniela Fischer wollte diese Heidemarie Kirsch erst zur Rede stellen, wenn alle ihre Informationen fundamentiert waren. Sie rief die Familien der verstorbenen Männer an, mit denen Frau Kirsch einst verheiratet gewesen war. Dort bestätigte sich, dass alle Männer spätestens ein halbes Jahr nach der Hochzeit mit dieser Heidemarie plötzlich und unerwartet gestorben waren. Untersuchungen der Polizei hatten jedoch nie den Verdacht bestätigen können, dass es sich dabei um Verbrechen handelte. Daniela rief Heiko an und berichtete ihm von ihren Ergebnissen. Der Sportlehrer meinte nachdenklich: „Das hört sich alles sehr übel an, stützt sich aber auf reine Verdächtigungen und Spekulationen. Was willst du mit diesem Wissen nun anfangen?“

„Was ich will? Ich will, dass mein Vater weiß, was für eine gefährliche Schlange er am Hals hängen hat. Er ist in Gefahr!“

„Danny, meinst du, dass er dir dankbar ist, dass du in Heidis Leben herumschnüffelst?“

„Sag mal, auf welcher Seite stehst du denn? Das ist eine Mörderin! Mindestens eine dreifache Mörderin!“

„Nein, Danny, sie ist bis jetzt lediglich eine verdächtige Person. Ich verstehe, dass du dir Sorgen um Hannes machst. Aber du musst mit kühlem Kopf vorgehen.“

„Ja sicher, typisch für dich! Du bist cool und sitzt immer alles aus!“

Sie warf den Hörer auf die Gabel. Frau Fischer musste etwas unternehmen. Sie musste ihren verblendeten Vater vor dieser Natter beschützen. Sie griff erneut zum Hörer und wählte Heidemaries Anschluss. Frau Kirsch meldete sich wie immer äußerst freundlich: „Ja bitte? Ach, Daniela, das ist nett, dass du mich mal anbimmelst.“

„Nett ist auch die kleine Schwester vom Satan!“, ging Frau Fischer direkt auf Konfrontation. „Heidi, ich möchte, dass du so schnell wie möglich meinen alten Herrn verlässt. Und zwar so, dass er sich nicht verletzt fühlt.“

Kirschs Stimme wurde ebenfalls streng: „Aus welchem Anlass sollte ich deinen Vater verlassen? Nur weil du eifersüchtig bist wie eine Pubertierende?“

„Nein, weil du bereits mindestens drei Männer auf dem Gewissen hast. Deine anschmiegsame Masche hast du prima beim Escort-Service gelernt. Hemmungen sind dir nicht bekannt. Und wenn den Herren das Hirn in die Hose rutscht, dann hat jemand wie du leichtes Spiel.“

Frau Kirsch schwieg einen Moment. Dann sagte sie: „Das sind alles schwere, beleidigende Vorwürfe. Nichts davon ist wahr. Nichts davon kannst du beweisen.“

Daniela bluffte: „Denke, was du willst. Ich habe mit den Familien deiner verstorbenen Männer telefoniert: Schmidtbauer, Walters und Kirsch. Du bist bei denen so beliebt wie die Pest. Rufe sie an und erkundige dich, ob ich nach dir gefragt habe. Als rothaarige Escort-Dame gibst du übrigens ein verschärftes Bild ab.“

Kirsch erwiderte: „Komm zu Sache. Was willst du wirklich von mir?“

„Liebe Heidemarie Kirsch, ich gebe dir zwei Wochen Zeit, dich stilvoll von Hannes zu verabschieden. Wenn du dann nicht aus meiner Familie verschwunden bist, lege ich meinem Vater die Beweise vor und schalte die Kripo ein. Guten Tag, Frau Kirsch!“

Der Hörer fiel in die Gabel und Daniela griff hastig zu einer versteckten Zigarettenpackung.

Hannes Fischer schaute in seinem Wagen auf den Tacho. Noch zehn Kilometer, dann würde er endlich zu Hause sein. Die Blase drückte unangenehm. In den verbleibenden fünfzehn Minuten Fahrzeit wollte er nicht bei einer Gaststätte halten, um sich dort zu erleichtern. Er rief Heidi an und sagte in die Freisprechanlage: „Schatz, ich bin in Kürze daheim. Ich muss wegen meiner lästigen Prostata dringend zur Toilette. Alles in Ordnung bei dir?“

„Danke, mir geht es gut. Ich habe für uns einen kleinen Gaumenschmaus vorbereitet und schiebe den nun in den Ofen. Sei pünktlich.“

Fischer ließ schon bald den Wagen in die Doppelgarage rollen und eilte ins Haus. Das Tor schloss sich automatisch. Im Hausflur rief er: „Hallo, Heidi! Ich gehe nur noch rasch in die Gästetoilette. Dann bin ich schon bei dir!“

Aus der Küche hörte er ihre Stimme: „Alles gut, lass dir Zeit.“

Er zog die Tür hinter sich zu, ließ die Hose herunter und setzte sich rasch aufs WC. Er müsste unbedingt mal wieder zur Prostatakontrolle. Der gesteigerte Harndrang war ihm furchtbar peinlich und lästig. Hannes Fischer besah sich aus der sitzenden Position im Spiegel über dem Waschbecken. Das Haar war zwar silbergrau, aber immer noch erstaunlich voll. Die kleinen Falten und Grübchen wirkten auf die Damen eher interessant als alt. Nein, wie siebzig sah er noch nicht aus. Sein Mund zog sich zu einem zufriedenen Lächeln. Der Blick wanderte weiter zum Korb für gebrauchte Gästehandtücher. Über dem Rand hing ein etwa fünf Zentimeter langes Haarbüschel. Das war nicht schwarz wie Heidis Schopf, eher braun bis gelb. Wer ließ denn so etwas da hängen? Fischer zuckte zusammen. Der Haarbüschel begann sich geisterhaft zu bewegen. Noch ein weiteres Haarbüschel griff über den Rand des Handtuchkorbs. Und noch ein Büschel. Den haarigen Beinen folgte ein handtellergroßer Körper. Die stolze Riesenkrabbenspinne blickte das menschliche Wesen hypnotisierend an. Schlagartig stieg dem Mann der Angstschweiß auf die Stirn. Der Puls begann zu rasen. Seine Hand erreichte zitternd die Türklinke. Wenn er die Tür öffnen könnte, dann müsste Heidi seine furchtbare Atemnot bemerken. Sie hatte ihm schon einmal am Chiemsee aus einer solchen Situation geholfen. Doch die Klinke ließ sich nicht herunterdrücken. Lag das am Schloss? Nein, der Riegel stand in der geöffneten Position. Die Klinke hatte noch nie geklemmt. Fischers Herz trommelte alarmierend! Sein Hals schnürte sich mehr und mehr zu! Er wollte schreien, doch nur krächzende Laute entwichen seiner Kehle. Die zwanzig Zentimeter große Spinne kletterte akrobatisch an der Außenseite des Korbs zum Boden. Fischer wollte mit dem Schuh nach ihr treten, doch die Phobie lähmte seine Motorik. Völlig erstarrt musste er mit ansehen, wie das grässliche Geschöpf sein rechtes Hosenbein heraufkrabbelte.

„Heidi!“, schrie seine lautlose, innere Stimme.

Wie in Zeitlupe stürzte Fischers Gesicht dem Untier entgegen. Es wurde größer und größer. Jeden Moment würde es ihn verschlingen ... Das Bild wurde hell und heller. Es war ein warmes, anziehendes Licht. Aus dem Schein kam Hannes verstorbene Frau Walli auf ihn zu. Sie lächelte liebevoll und ergriff seine Hand. Hannes Fischer beruhigte sich. Seine irdische Angst wandelte sich in ein Gefühl himmlischer Geborgenheit ...

Heidemarie Kirsch saß vor der Intensivstation auf einer Wartebank. Ihr standen die Tränen in den Augen. Daniela Fischer lief mit klackernden Stöckelschuhen nervös hin und her. Plötzlich blieb sie stehen und raunzte Heidemarie wütend an: „Sollte Paps nicht mehr zu sich kommen, dann leite ich noch morgen meine Recherchen über dich an die Polizei weiter. Dieses Mal kommst du nicht davon!“

Frau Kirsch blickte auf ihre Füße und schwieg.

Ein Arzt schob die Tür zur Intensivstation auf und trat in den Flur. „Wer von den Damen ist Frau Fischer?“

„Ich bin Frau Fischer. Daniela Fischer, die Tochter.“

Der Arzt machte ein ernstes Gesicht: „Es tut mir leid. Wir haben alles versucht, doch Ihr Vater ist nicht mehr zu sich gekommen. Er hatte ein schwaches Herz und die Reanimation kam sehr wahrscheinlich etwas zu spät.“

Gefühle der Trauer und der Wut gegen Kirsch rangen in Danielas Brust.

Heidemarie erhob sich: „Herr Doktor, mein Name ist Kirsch. Ich bin die Lebensgefährtin von Herrn Fischer. Darf ich Hannes sehen?“

Daniela stieg die Zornesröte ins Gesicht: „Du wirst ihn jetzt in Ruhe lassen! Du hast Paps auf dem Gewissen! Alles werde ich in Bewegung setzen, um das zu beweisen!“

Dann drängte sie sich durch die Tür zur Intensivstation. Der Arzt schloss hinter ihr die Tür und sagte zu Frau Kirsch: „Nehmen Sie ihr das nicht übel. Frau Fischer befindet sich als Tochter in einer Ausnahmesituation.“

Kirsch lächelte angemessen: „Ich weiß. Ich werde mich später um sie sorgen, wenn sie sich beruhigt hat. Vielen Dank für Ihren gut gemeinten Rettungsversuch bei meinem Mann. Ich gehe nun und kümmere mich um die notwendigen Dinge.“

In einem verwinkelten Nebenflur zog Kirsch ihr Smartphone aus der Tasche. Die rief Hepp an: „Bernhard, Fischer ist tot. Wo steckst du gerade?“

„Ich stehe mit meinem Wagen an der Klinikzufahrt, um dich abzuholen. Da du im Krankenwagen mitgefahren bist, hast du doch kein Auto bei dir.“

„Das ist gut! Das ist sogar sehr gut!“

„Heidi, du klingst besorgt. Wirst du auf deine alten Tage etwa noch sensibel?“

„Leider überschlagen sich dieses Mal die Ereignisse. Jetzt macht seine Tochter Probleme. Sie will gegen mich vorgehen. Kläre das bitte.“

„Was soll sie denn gegen dich in der Hand haben? Fischer hatte einen Infarkt, Herzversagen oder so. Bei seinem Alter überrascht das niemanden.“

„Berni, sie hat recherchiert. Sie kennt die Namen von meinen letzten drei Männern. Sie hat auch irgendwas von meinem alten Begleitservice ausgegraben. Das könnte bei einem sehr ehrgeizigen Ermittler zu unangenehmen Fragen führen. Müssen wir beide das unbedingt haben? Vergisst nicht, wenn mein Kopf rollt, dann rollt auch der deine. Ich hoffe, dass du das verstanden hast!“

„Was schlägst du vor?“

„Ich schlage vor, dass du wartest, bis Daniela mit ihrem Wagen aus dem Krankenhausparkhaus fährt. Dann hängst du dich dran und lässt dir etwas Endgültiges einfallen. Leute, die trauern, sind unkonzentriert und verunglücken nicht selten. Wenn nicht im Straßenverkehr, dann zu Hause auf der Treppe. Sei wie immer kreativ. Tschüss, mein Berni-Bärchen.“

Heidemarie machte ein Kussgeräusch und beendete das Gespräch.

Daniela Fischers Wagen fuhr aus dem Parkhaus der Klinik. Es dämmerte bereits. Durch das Seitenfenster sah man, dass Daniela ihre blonden Locken nun offen trug. Sie reihte sich forsch in den Feierabendverkehr ein. Sie blickte sich hin und wieder um, da es ihr so vorkam, als würde ihr ständig derselbe Wagen folgen. Endlich erreichte sie ihre Reihenhaussiedlung und bog vor einem Eckhaus in die Garagenzufahrt ein. Das Tor öffnete sich per Fernbedienung und der Wagen verschwand. Das Fahrzeug, das Frau Fischer gefolgt war, fuhr ohne Licht einige Meter weiter und hielt ebenfalls an. Der riesige Bernhard Hepp stieg aus. Langsam schritt er auf das Grundstück von Frau Fischer zu. Hepp hatte beim Vorbeifahren gesehen, dass in der Doppelgarage nur ihr Wagen stand. Also war diese widerspenstige Daniela allein zu Hause. Hinter der Scheibe des Badezimmers konnte er schattenhafte Bewegungen einer Frau erahnen. Die Dame machte sich wohl gerade frisch. Das Licht im Bad erlosch. Hepp sprang über den Gartenzaun und schlich im Schutz der Dunkelheit um das Haus. Daniela hatte einige Kleidungstücke zum Lüften auf die Terrasse gehängt. Hepp schmunzelte. Die Tür zum Wohnzimmer war nur angelehnt. Das indirekte Licht einer Ecktischlampe erhellte den Wohnraum nur schwach. Frau Fischer hatte den Fernseher eingeschaltet. Hepp konnte gut ihren blonden Schopf erkennen. Sie saß im Sessel mit dem Rücken zum Wohnzimmerfenster. Ein leises Anschleichen würde kaum bemerkt. Im Fernseher lief eine Talkshow. Die Gardine bewegte sich lautlos. Schon war die Tür wieder angelehnt. Der breitschultrige Hepp hielt die Enden eines Stricks in den Händen. Die Schlinge baumelte bei jedem Schritt. Der Blondschopf reagierte nicht. War Daniela vielleicht sogar eingeschlafen?

Hepp erreichte die Rückseite des Sessels. Blitzschnell warf er der Frau die Schlinge über den Kopf und zog mit aller Gewalt zu. Das Opfer hatte jedoch rechtzeitig die Finger zwischen Hals und Strick stecken können und leistete erstaunlich heftige Gegenwehr. Der Blondschopf stemmte sich mit beiden Füßen gegen die Tischkante. Unter diesem Druck kippte der Sessel nach hinten und die Schlinge löste sich einen Moment. Mit einem Ruck war der Kopf heraus. Hepp wollte nachgreifen, doch seine Handgelenke wurden umfasst und der Körper nach vorne gerissen. Hepp verlor das Gleichgewicht. Er stürzte kopfüber auf sein Opfer. Beide wälzten sich am Boden. Hepps Arme und Beine wurden routiniert umklammert. Endlich bekam er den blonden Schopf zu fassen und riss ihn brutal an sich.

Was war das denn? Er hielt nur eine blonde Perücke in der Hand ... Und statt Daniela Fischer war Heiko Kleff über ihm. Der Judoka fasste in Hepps Kragen und presste den Kehlkopf seines Gegners mit aller Kraft nach unten. Hepp begann zu röcheln. Panisch versuchte er nach Luft zu ringen. Seine Arme und Beine waren in einem raffinierten Haltegriff gefangen. Hepp wurde schwarz vor Augen. Er hörte noch, wie sein Widersacher sagte: „Du hast mich von hinten heimtückisch angegriffen. Juristisch gesehen handele ich in Notwehr. Der Staat wird mir dankbar sein, wenn du im Knast keine Kosten mehr erzeugst. Also gibt es für mich nur einen Grund, dich leben zu lassen. Ich will wissen, wie Hannes zu Tode gekommen ist.“

Kleff ließ den Würgegriff etwas lockerer, damit sein Gegner vorübergehend zu Atem kam.

Röchelnd stammelte Hepp: „Ich weiß es nicht!“

Kleff drückte sein Daumengelenk schmerzhaft in den weichen Unterkiefer des Gegners und nahm ihm wieder die Luft. Im Schein des flackernden Fernsehbildes stand Hepp die Todesangst ins Gesicht geschrieben. Kleff ließ den Griff etwas nach und mahnte: „Entweder sagst du nun, wie Hannes starb oder du folgst ihm jetzt direkt ins Jenseits!“

„Es war eine Heteropoda Maxima“, krächzte Hepp.“

„Eine Hetero was? Ich verstehe nicht!“

„Heidi hat Hannes im Klo eingeschlossen und vorher eine Riesenspinne dort ausgesetzt.“ Kleff ließ ihn etwas Luft holen und Hepp beteuerte: „Die Riesenkrabbenspinne tötet keinen Menschen. Sie sieht nur gefährlich aus. Der Alte hat wohl vor Angst einen Herzschlag bekommen. Das war alles.“

„Das war alles?“, rief eine Frauenstimme. „So eine Schlange! So ein verfluchtes Miststück!“

Daniela Fischer hatte die gesamte Zeit in der Wohnzimmertür gestanden und den Angriff und Kampf mit ihrem Smartphone als Video aufgezeichnet. Ihr Gesicht war rot vor Zorn. Dann schossen ihr die Tränen in die Augen.

Kleff fragte: „Wo hat Heidi die Spinne hergeholt? Ist das verdammte Vieh noch im Haus?“

Hepp rang nach Luft und krächzte: „Ich habe mehrere Terrarien mit Spinnen und Skorpionen zu Hause. Als Hannes seinen Herzinfarkt hatte und von der Feuerwehr reanimiert wurde, hatte Heidi mir die Spinne wieder mitgegeben.“

„Wo ist deine Wohnung?“

Hepp gab die Adresse nur widerwillig an.

Heiko zog einen Wohnungsschlüssel aus der Hosentasche des Riesen. „Danny, hole Isolierband und einen guten Drink. Wir müssen diesen Kerl vorübergehend außer Gefecht setzen.“

Hepp wollte sich erneut zur Wehr setzen, doch der Judoka hielt ihn mit seiner Bodenkampftechnik so im Griff, dass Daniela dem Riesen die Füße und Hände binden konnte. Kleff setzte den Mann auf und Daniela hielt Hepp ein Glas vor den Mund.

Bernhard fragte misstrauisch: „Was ist da drin? Wollt ihr mich vergiften?“

Daniela zischte: „Dann hätten mir uns nicht so viel Arbeit mit dir gemacht. Trink und gib Ruhe.“

Widerwillig trank Hepp das Glas leer. Bald darauf meinte er mit schwerer Zunge: „Ihr habt mir irgendein Zeug da rein getan!“

Seine Augen wurden schwerer und schwerer. Endlich kippte sein Körper zur Seite.

„Heiko, was hast du jetzt vor? Was sollen wir mit Hepp machen?“

„Wir lassen ihn hier liegen, sammeln die letzten Beweise und übergeben ihn dann der Polizei.“

„Und was ist mit dieser Mörderin? Ich will sie anzeigen.“

„Habe noch etwas Geduld. Eine Spinne kehrt immer zu ihrem Netz zurück.“

Frau Kirsch hatte sich vom Krankenhaus ein Taxi nach Hause genommen. Sie lief nervös im Haus von Hannes Fischer auf und ab. Wann würde Hepp sich endlich melden? War er immer noch dieser verdammten Daniela auf den Fersen? Hatte er sie vielleicht schon mundtot machen können? Kirsch betrachtete die teure Wohnzimmereinrichtung. Der riesige Kamin, die antiken Möbel, die edlen Teppiche, dieses alles würde schon bald ihr gehören. Hannes hatte ihr laut Testament das Haus mit dem gesamten Inventar vermacht. Die Fensterfabrik, die Daniela erben sollte, war ein anderes Thema. Frau Kirsch musste einen klaren Kopf behalten und konnte nur einen Schritt nach dem anderen abarbeiten. Heidi ärgerte sich. Verdammt, warum rief Hepp nicht an? Sie schenkte sich einen Cognac ein und kippte den ersten Schluck hastig herunter. Das Handy bimmelte. Endlich! Sie fragte drängend: „Bernhard, was ist los? Spanne mich nicht auf die Folter! Warum flüsterst du? Deine Stimme klingt so komisch.“

„Die Verbindung ist wackelig. Komm rasch in meine Wohnung.“

„Ich soll jetzt in deine Wohnung kommen? Was ist mit Daniela? Hast du sie ...?“

Die Verbindung brach ab. Kirsch stieg in ihr Cabrio und fuhr los. Nach zwanzig Minuten klingelte sie an einem Mehrfamilienhaus. Der Türöffner summte. Sie betrat das Treppenhaus. Die Wohnungstür stand angelehnt. Kirsch trat ein.

„Bernhard, wo steckst du?“

Aus dem hinteren Teil der Wohnung hörte sie gedämpft: „Moment, bin auf dem Klo!“

Frau Kirsch warf im Wohnzimmer ihre Jacke auf das Sofa und ging lächelnd zu einem der vier Terrarien. Hinter der ersten Scheibe erhob eine grüne Schlange ihren Kopf und züngelte neugierig. Daneben beeindruckte ein Becken mit künstlichen Steinhöhlen, die von der Riesenkrabbenspinne behaust wurden. Im nächsten Kasten lief eine brasilianische Wanderspinne durch ihr gläsernes Reich. Das Terrarium neben der Terrassentür wurde von mehreren Skorpionen bewohnt. Einer reckte bedrohlich den stacheligen Schwanz. Heidi Kirsch klopfte schmunzelnd an die Scheibe der brasilianischen Spinne und fragte: „Na, meine Liebe, hast du denn heute schon gejagt?“ Die weibliche Wanderspinne hatte eine Spannweite von über zehn Zentimetern. Als Drohgebärde richtete sie ihre vorderen Klauen so auf, als würde sie Frau Kirsch mit zwei Pistolen bedrohen.

„Na, na, wer wird denn gleich so unfreundlich sein?“

Frau Kirsch hob den Deckel des Terrariums ab und erfasste das Tier mit fachlichem Griff. Sie trug die Kampfspinne zum Glasbecken, in dem die Riesenkrabbenspinne in einer Steinhöhle lauerte. Kirsch sprach zu der Kampfspinne wie mit einem Kuscheltier: „Sieh mal, in dem Loch sitzt das große Monster. Es hatte mit Hepp einen stressigen Ausflug gemacht, um den lieben Hannes ein bisschen zu erschrecken. Da sieht man, dass die Männer keine Ahnung haben. Der große Kollege ist nicht annähernd so gefährlich wie du, nicht wahr, mein Schatz?“

Die Kampfspinne bewegte verärgert die Beine, konnte sich aber dem Griff des menschlichen Wesens nicht entziehen.

„Ich denke, dass das als Beweis reicht“, sagte Kleff sachlich und senkte die Videokamera.

Heidemarie Kirsch fuhr ertappt herum. Daniela Fischer drängte sich im Türrahmen an Heiko vorbei und wollte sich auf die Mörderin ihres Vaters stürzen. Doch die riesige Spinne in Heidis Hand ließ sie augenblicklich stehen bleiben.

Kleff sagte: „Heidemarie Kirsch, es ist alles vorbei. Ich rufe nun die Polizei, die wird sich um das Weitere kümmern.“

Er nahm sein Smartphone und wählte die Notrufnummer.

Kirsch hielt Daniela Fischer die Spinne angriffslustig vors Gesicht. Die Blonde erstarrte zur Salzsäule. Ihr Gesicht wurde kreideweiß. Der Puls jagte. Angstschweiß trat auf die Stirn. Anscheinend litt sie unter derselben Phobie wie ihr Vater. Heiko wollte dazwischen gehen, doch Kirsch warnte mit triumphierender Stimme: „Vorsicht! Diese Kampfspinne ist eine Phoneutria. Übersetzt ist ihr Name Mörderin. Sie ist die giftigste Spinne der Welt. Heiko, du wirfst dein Handy jetzt brav in das Terrarium zu der Krabbenspinne. Danach werde ich mich verziehen. Machst du aber eine falsche Bewegung, dann landet mein kleiner Schatz in Dannys Dekolleté.“

---ENDE DER LESEPROBE---