Julia und das Springpferd - Christiane Gohl - E-Book

Julia und das Springpferd E-Book

Christiane Gohl

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Beschreibung

Im fünften Band der beliebten Kinder- und Jugendbuchreihe von Christiane Gohl kümmert sich die junge Protagonistin der Buchreihe Julia über den Sommer um das Springpferd "Frankenstolz". Doch während Julia den Wallach pflegt, wird bei ihm eine Erkrankung an den Sprunggelenken diagnostiziert. Was soll nun aus dem Turnierpferd werden? Und dann sorgen auch noch im Reitstall die Stute "Violetta" und ihr Fohlen "Coffee" für einiges Aufsehen...-

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Christiane Gohl

Julia und das Springpferd

 

Saga

Julia und das Springpferd

 

Copyright © <as per original material>

Published by Arrangement with Christiane Gohl.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Coverbild/Illustration: Sutterstock

Copyright © 1995, 2021 0 und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728012970

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Eine Chance für Julia

»Aufmarschieren, Zügel aus der Hand kauen lassen und Pferde loben!«

Herrn Holthoffs durchdringende Reitlehrerstimme beendete die Dressurstunde, und Julia lenkte die Fuchsstute Pretty aufatmend in die Mitte der Reitbahn. Sie war jedesmal froh, wenn sie den anspruchsvollen Dressurunterricht auf dem Pferd ihrer Freundin Kathi ohne größere Schnitzer überstanden hatte.

Julia klopfte Prettys glattes Fell und machte Anstalten abzusteigen, während die anderen trockenritten. Kathis Pferd stand nicht in der Box an der Reithalle, sondern bei ihrer Freundin Stephanie im Offenstall. Auf dem Heimweg würde es genug Zeit haben, sich abzukühlen, und Julia freute sich auf den kurzen Ritt in der Maisonne.

Aber noch bevor sie Pretty hinausführen konnte, rief Holthoff sie an. »Julia? Mit dir wollte ich noch sprechen! Komm doch bitte in mein Büro, bevor du wegreitest! Dein Pferd kannst du solange in die hinterste Box links stellen.«

Verwundert drehte Julia ab und führte Pretty noch etwas in der Reithalle herum. Was mochte Holthoff von ihr wollen? Hatte sie Kathis Turnierpferd vielleicht so schlecht geritten, daß noch eine persönliche Standpauke fällig war? Aber so was sah Herrn Holthoff nicht ähnlich. Gewöhnlich machte er seiner Meinung direkt Luft.

Prettys kurzes, weiches Fell trocknete schnell, und so wurde Julias Geduld nicht übermäßig auf die Folter gespannt. Sie folgte den anderen Mädchen in den Stall, sattelte Pretty ab und ließ sie in die hintere Box.

»Aber bitte nicht wälzen!« sagte sie, während sie der Stute eine Belohnung zusteckte. »Wir reiten gleich nach Hause, und auf der Wiese ist es viel schöner.«

Pretty schien das einzusehen. Sie blickte etwas mißmutig in der Box herum und beschnupperte dann verdrießlich die nicht allzu saubere Einstreu. Nein, hier würde sich die empfindliche Pferdedame nicht hinwerfen.

Auf dem Weg ins Büro mußte Julia die Sattelkammer durchqueren und warf dabei einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken. Besonders ordentlich sah sie ja nicht gerade aus! Unter der Reitkappe war ihr braunes Haar verschwitzt und zerzaust. Sie versuchte, es mit den Fingern etwas zu ordnen, aber das machte es nur noch schlimmer. Schließlich gab sie es auf. Bei Holthoff half Schönheit sowieso nicht weiter.

Zu Julias Beruhigung blickte der Reitlehrer ganz freundlich, als sie anklopfte und eintrat. Neben ihm stand Herr Friedhelm, ein Privatpferdebesitzer.

»Da bist du ja, Julia. Kennst du Herrn Friedhelm?«

Julia nickte. Sie hatte ihn und seinen Wallach Frankenstolz schon oft auf dem Reitplatz beobachtet.

»Herr Friedhelm hat dich gerade reiten sehen«, fuhr Holthoff fort. »Und er möchte dir anbieten, sein Pferd eine Zeitlang zu bewegen.«

Noch bevor Julia das richtig fassen konnte, mischte Herr Friedhelm sich ein. »Na, ganz so weit sind wir noch nicht, Holthoff. Ich muß sie erst mal auf Frankenstolz sehen! Der ist schließlich nicht so einfach wie die Stute von der kleinen Siemens. Und eigentlich hätte ich lieber ein größeres und erfahreneres Mädchen für ihn gehabt! Wie Petra zum Beispiel!«

»Petra und ich sind beide 13!« sagte Julia mit leichter Empörung. Vielleicht war das vorlaut, aber sie konnte auf keinen Fall hinnehmen, daß man ihr Petra vorzog! Die war zwar ein paar Zentimeter größer als sie, aber ganz gewiß nicht erfahrener. Julia hatte schließlich schon viele Pferde geritten, und Petra sah man immer nur auf Finessa, der Stute ihrer Tante. Mit der ritt sie allerdings Turniere. Julia dagegen hatte bisher erst eine Schleife auf einem Orientierungsritt errungen.

Zum Glück war Holthoff auf ihrer Seite. »Na, so einfach ist das Pferd von Kathi Siemens auch nicht!« stellte er richtig. »Vor einem Jahr haben es noch viele für geradezu unreitbar gehalten! Wenn Frau Heiden und Julia Kathi damals nicht geholfen hätten, wäre es längst verkauft. Und was Petra angeht – die ist mit ihrer Finessa voll ausgelastet. Julia dagegen hat zur Zeit kein Pferd zum Reiten. Sie bewegt sonst Danny, den kleinen Wallach von Frau Heiden, aber deren zweites Pferd ist trächtig, und da will sie Danny sicher selbst reiten.«

»Wir teilen ihn uns«, sagte Julia. »Stephanie meint, sie würde sich im Sommer viel um das Fohlen kümmern und käme deshalb weniger zum Reiten als sonst.«

»Aber du hättest doch Zeit für ein Pflegepferd, oder?« fragte Holthoff. »Herr Friedhelm braucht jemanden, der Frankenstolz regelmäßig reitet. Er selbst ist für drei Monate in Kuwait.«

»Für meine Firma«, fügte Herr Friedhelm hinzu. Wahrscheinlich wollte er nicht den Eindruck erwecken, so lange Urlaub zu machen.

»Klar hätte ich Zeit!« erklärte Julia. »Und bald sind ja auch Sommerferien!« In Wahrheit lagen die Osterferien zwar gerade erst drei Wochen zurück, aber das sah Julia nicht so eng.

»Na also«, meinte Holthoff zufrieden. »Und was die Reitkenntnisse anbelangt, so wirst du mit Frankenstolz schon zurechtkommen. Wenn du Probleme hast, bin ich ja da, und Frau Heiden auch!«

»Aber die Heiden macht doch Westernreiten! Und Frankenstolz ist ein Springpferd!« So richtig glücklich war Herr Friedhelm immer noch nicht bei dem Gedanken, Julia sein Pferd anzuvertrauen.

»Frau Heiden kennt sich in vielen Reitstilen aus. Denken Sie nur mal an den Andalusier letztes Jahr. Da wußte sie mehr drüber als ich.«

Julia staunte. So selbstkritisch erlebte man Holthoff selten.

»Also schön«, meinte Herr Friedhelm schließlich. »Sehen wir uns das Wunderkind mal an! Weißt du, wo Frankenstolz steht, Julia? Dann mach ihn dir fertig! Mein Sattelschrank ist der dritte vom Fenster aus gesehen.«

Natürlich kannte sie die Box von Herrn Friedhelms Pferd! Julia sauste los. Und den Sattelschrank hatte sie auch schnell gefunden. Aber erst mal putzen! Julia griff nach Halfter und Putzzeug und konnte nicht schnell genug in den Stall kommen. Pretty schaute ihr erwartungsvoll entgegen. Die hübsche Fuchsstute schien etwas enttäuscht zu sein, als Julia sie mit einem kurzen Streicheln abfertigte. Sicher wäre sie jetzt gern nach Hause gegangen!

Frankenstolz drehte der Stallgasse dagegen den Rücken zu. Auf Julias Anruf zuckte er zwar mit den Ohren, bewegte sich aber nicht.

»Hast du schlechte Laune?« fragte Julia mitfühlend. »Kein Wunder, wenn du immer in dieser blöden Box stehen mußt. Wenn ich demnächst wirklich für dich sorgen darf, bringe ich dich jeden Tag auf die Weide!«

Sie öffnete die Boxtür, und endlich regte sich Frankenstolz. Der große, braune Wallach wandte ihr langsam seinen gewaltigen Kopf zu. Julia streichelte ihn.

»Du bist ja ein Riese«, murmelte sie und reckte sich, um dem Pferd das Halfter anzulegen.

»Ein Meter achtundsiebzig Stockmaß!« erklärte Herr Friedhelm stolz. Er war gemeinsam mit Herrn Holthoff auf die Stallgasse gekommen. »Nun mach aber zu. Ich habe nicht ewig Zeit!«

Julia führte Frankenstolz aus der Box. Das Pferd bewegte sich mit deutlichem Widerwillen. Erst als es draußen war, wurde es schneller.

»Er will nie aus der Box!« meinte Herr Friedhelm. »Aber wenn du erst draufsitzt, ist er kaum zu halten!«

Das fand Julia merkwürdig, sagte aber nichts dazu. Sie striegelte den großen Braunen so rasch sie konnte. Frankenstolz ließ das teilnahmslos über sich ergehen. Julia dachte, daß er immer noch etwas traurig guckte. Aber dann entdeckte sie eine Stelle am Hals, an der er das Putzen zu genießen schien. Plötzlich wurden sein Hals und seine Oberlippe länger, und schließlich wandte er sich sogar zu Julia um.

»Paß auf, daß er dich nicht beißt!« kommentierte Herr Friedhelm. »Und beeil dich! Drei Stunden Putzen ist der nicht gewöhnt!«

Das merkte man. Aber Julia würde sich diese Chance nicht verderben, indem sie ihre Meinung kundtat. Gehorsam hörte sie auf zu putzen und wuchtete den Sattel auf Frankenstolz’ Rücken. Ein Springsattel. So was hatte sie noch nie geritten. Während sie noch angurtete, reichte Herr Friedhelm ihr schon die Trense. »Ich geh’ mal gucken, ob die Halle frei ist!«

Unverhofft fand sich Julia allein mit dem Pferd und der Zäumung. Hoffentlich warf Frankenstolz den Kopf nicht hoch! Leider tat der Wallach genau das. Schon als Julia ihm die Zügel über den Hals legte, hob er den Kopf in unerreichbare Höhen. Ein paar Sekunden lang war Julia ratlos. Aber dann fiel ihr ein, was in Stephanies Büchern zu diesem Problem stand. Sie begann, Frankenstolz’ Mähnenkamm zu kraulen und tastete sich dabei immer höher. Schließlich senkte das Pferd den Kopf, und Julia legte ihm die Hand auf die Nase. Wenn das gelang, ließen die meisten Pferde sich artig auftrensen, und Frankenstolz bildete da keine Ausnahme.

Sie verschloß gerade die letzten Schnallen, als Herr Friedhelm wiederkam. Er schaute Julia und das ordentlich aufgezäumte Pferd etwas verdutzt an, meinte dann aber nur: »Die Halle ist frei!«

Julia führte Frankenstolz durch die Stallgasse. Es war ungewohnt, ein so großes Pferd an der Hand zu haben. Die Hannoveranerstute Pretty war ein eher kleines Warmblut, und Stephanies Pferde gehörten ohnehin zu den Kleinpferden. Danny war ein Deutsches Reitpony und Violetta eine Connemara-Stute.

»Tritt mir bloß nicht auf die Füße!« sagte Julia zu Frankenstolz, aber der zeigte keinerlei Unarten.

Während Herr Friedhelm es sich an der Bande bequem machte, gurtete Julia nach, holte Schwung und glitt in Frankenstolz’ Sattel. Sie verstellte die Steigbügel und setzte sich zurecht. Von dem riesigen Pferd aus wirkte die Halle viel kleiner als sonst. Und diese Bewegungen! Als Frankenstolz im Schritt antrat, kam Julia sich vor wie auf einem schwankenden Schiff. Vorsichtig nahm sie die Zügel auf und versuchte, das Pferd auf den Hufschlag zu lenken. Frankenstolz reagierte darauf aber nicht so leicht und selbstverständlich wie Kathis Pretty und Stephanies Pferde. Julia mußte kräftig zufassen, damit er auf die Zügelhilfe reagierte.

»Trab mal an!« rief Herr Friedhelm, noch bevor Julia eine halbe Runde Schritt geritten war. Hatte der noch nie etwas vom Lösen eines Pferdes gehört? Julia nahm gehorsam die Zügel kürzer und legte die Schenkel an. Frankenstolz trabte sofort an, aber wie erwartet schüttelte er seine Reiterin entsetzlich durch. Julia hatte das Gefühl, wie eine Anfängerin auf ihm herumzuschaukeln. Einen guten Eindruck machte das sicher nicht! Sie biß die Zähne zusammen und versuchte, sich an alle Reitstunden ihres Lebens zu erinnern. Schließlich suchte sie nach einem festen Halt in den Steigbügeln und stellte sich darin auf. Wenn man dabei nicht nach vorn oder nach hinten fiel, war man meist gut im Gleichgewicht. Julia bemühte sich, ihre Fersen tief und ihre Unterschenkel an der richtigen Stelle zu behalten, als sie sich nun im Rhythmus der Trabbewegungen aufstellte und niedersetzte. Das Leichttraben mußte jetzt schon ganz passabel aussehen. Ob es ihr auch noch gelang, Frankenstolz ein bißchen zu versammeln? Sie nahm die Zügel auf und gab Paraden. Leider reagierte Frankenstolz kaum auf die leichten Zügelhilfen. Statt dessen wurde er immer schneller, je länger er sich einlief. Julia sah ratlos zu Herrn Holthoff hinüber.

»Paraden energischer und in der Mitte der langen Seite eine Volte!« brüllte der Reitlehrer. »Sei nicht so zaghaft, Mädchen. Das ist ein großes Pferd! Bei dem mußt du dich schon etwas kräftiger bemerkbar machen!«

Julia versuchte, energischere Zügelhilfen zu geben, obwohl sie dabei ein schlechtes Gewissen hatte. Stephanie predigte schließlich ständig, ein Pferdemaul müsse wie ein rohes Ei behandelt werden. Und Zügelhilfen müßten immer mit Kreuz- und Schenkelhilfen verbunden sein. Julia saß also aus, setzte Kreuz und Schenkel vermehrt ein und hatte Erfolg! Frankenstolz nahm den Kopf etwas herunter und wurde ruhiger. Julia ritt eine Volte und noch eine, und langsam gewöhnte sie sich an die riesigen Bewegungen des Pferdes.

»He, das ist gut, Mädchen! Er geht am Zügel! Sehen Sie das, Holthoff, er nimmt den Kopf runter!« Herrn Friedhelms Bedenken gegen Julias Reitkünste waren in Begeisterung umgeschlagen. Holthoff nickte, sah dabei aber ein wenig aus, als ob er Zahnweh hätte. Für den Reitlehrer war Frankenstolz’ Darbietung noch weit vom »am Zügel gehen« entfernt.

»Jetzt soll sie ihn mal springen!« bestimmte Herr Friedhelm und begann, ein Hindernis aufzubauen. Julia schluckte. Springen? Wo sie das Pferd noch gar nicht richtig gelockert hatte? Hilfesuchend blickte sie zu Herrn Holthoff hinüber, aber der nickte ihr zu. »Frankenstolz macht das schon!« sagte er, als sie vorbeiritt. »Du darfst nur keine Angst haben.«

Das war leicht gesagt. Während Herr Friedhelm einen Sprung aufbaute, verkürzte Julia ihre Steigbügel um vier Loch, wie es ihr Stephanie beigebracht hatte. »Du mußt im Bügel stehen, als ob du in der Hocke sitzt. Gerade Linie zwischen Schulter und Fußgelenk, und Gesäß hinten raus. Dann kannst du gar nicht runterfallen!« Julia hoffte, daß dieser Satz von Stephanie der Wahrheit entsprach. Sie setzte sich zurecht und wollte Frankenstolz angaloppieren. Aber der war schon angesprungen, als er das Hindernis nur sah. Mit gewaltigen Galoppsprüngen flog er darauf zu. Julia griff in die Mähne – und war hinüber, bevor sie noch Zeit gefunden hatte, sich zu fürchten. Hatte eigentlich Spaß gemacht. In diesem Springsattel hatte man wirklich mehr Halt als in Dannys oder Prettys Sattel. Aber wie kriegte sie Frankenstolz jetzt zum Halten? Julia spannte das Kreuz an und zügelte Frankenstolz mit aller Kraft. Es klappte.

»Gut gemacht!« sagte Herr Friedhelm.

Julia lächelte gequält. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was Stephanie zu diesem Ritt gesagt hätte.

Violettas Fohlen

Als Julia Pretty in die Einfahrt zu Stephanies Häuschen führte, kam Kathi ihr schon entgegen.

»Wo habt ihr denn gesteckt?« fragte das rothaarige Mädchen vorwurfsvoll. »Seit einer Stunde male ich mir aus, was Pretty Schreckliches passiert sein kann!«

»Was sollte ihr denn in Holthoffs Dressurstunde passieren?« erkundigte sich Julia. »Und warum bist du überhaupt schon wieder da? Ihr wolltet doch erst morgen aus dem Landschulheim zurück sein.«

»Wir sollten heute nacht zurückkommen«, verbesserte Kathi. »Aber es gab eine Sturmwarnung, und es war unsicher, ob das Nachmittagsschiff fahren würde. Das Risiko, noch einen Tag mit uns auf Norderney festzusitzen, wollten die Lehrer wohl nicht eingehen, und deshalb sind wir heute früh zu nachtschlafender Zeit aufgebrochen. Laß mich Pretty absatteln, ich hab’ sie so vermißt!« Kathi nahm Julia die Stute ab und schob ihr einen Leckerbissen ins Maul. »Aber nun sag schon, wo wart ihr? Die Reitstunde ist seit fast zwei Stunden vorbei! Seid ihr noch ausgeritten? Bei dem schönen Wetter hätte ich auch noch Lust dazu.«

Julia schüttelte den Kopf. »Viel spannender! Ich soll ein Pflegepferd kriegen und durfte es ausprobieren. Aber das erzähl’ ich dir und Stephanie am besten zusammen. Warum bist du eigentlich nicht zum Reitstall gekommen, wenn du dich so gesorgt hast?«

Julia und Kathi führten Pretty vorsichtig an verschiedenen Blumenbeeten vorbei. Stephanies kleines Haus stand hinten im Garten einer alten Villa. Die junge Frau hatte es von einer Tante gemietet, die im Haupthaus wohnte und mit dem riesigen Garten nichts anfangen konnte. Ihre Rosenbeete hielt sie jedoch peinlich in Ordnung und legte größten Wert darauf, keine Hufspuren im Vorgarten vorzufinden.

»Stephanie hat mich nicht weggelassen! Es sieht aus, als würde ihre Stute heute fohlen, und sie ist völlig aus dem Häuschen. Wir haben schon den Stall mit Desinfektionsmittel gescheuert, den Vorplatz gefegt und den Auslauf geharkt. Jetzt verteilt sie gerade ungefähr eine Jahresration Stroh im Stall und überlegt gleichzeitig, ob sie das Pferd nicht doch lieber auf der Weide abfohlen lassen soll!«

Julia lachte. »Meinst du wirklich, das Fohlen kommt heute? Zeit wäre es ja, Stephanie ist schon seit zwei Wochen mit den Nerven fertig.«

»Violetta hat jedenfalls Harztröpfchen am Euter. Aber nervös oder so sieht sie nicht aus. Der Tierarzt meint, es könnte noch bis zu einer Woche dauern, aber Stephanie ist fest davon überzeugt, daß es heute soweit ist.«

Violetta und Danny standen auf einem kleinen, abgetrennten Rasenstück vor dem Haus. Stephanie benutzte es im Sommer als Liegewiese, aber ab und zu durften die Ponys es abfressen. Die graufalbe Stute Violetta rupfte das Gras mit dem üblichen Heißhunger. Nur Danny, ein kräftiger, dunkelbrauner Wallach, hob kurz den Kopf, um Pretty und Julia zu begrüßen.

Stephanie kam aus dem Stall, als sie sein Wiehern hörte. Die blonde junge Frau trug Besen und Scheuereimer. Offensichtlich räumte sie auf. »Da bist du ja, Julia. Kathi hat sich schon Sorgen gemacht. Hat sie dir von Violetta erzählt?«

»Als allererstes. Tut mir leid, daß ich so spät bin, sonst hätte ich dir beim Saubermachen helfen können.«

Jetzt war hier eindeutig nichts mehr zu tun. Der blitzsaubere Stall wirkte einladend, und der Sand im Auslauf war frisch geharkt.

»Kathi war ja da. Und die Putzerei ist sowieso nur Beschäftigungstherapie. Gegen die Bakterien in unserem Stall wird das Fohlen schließlich durch die Muttermilch geschützt. Was meint ihr, soll ich Violetta im Stall und Auslauf abfohlen lassen oder die Weide aufmachen? Und soll ich Danny und Pretty dabei lassen, oder besser nicht?« Stephanie fuhr nervös durch ihr glattes Haar. Das machte sie immer, wenn sie sich aufregte.

»Du sollst dich jetzt hinsetzen und hören, was Julia von ihrem neuen Pflegepferd zu erzählen hat!« bestimmte Kathi. »Den Ort der Fohlengeburt hast du doch schon längst bestimmt. Violetta kommt in den Auslauf, weil im Stall Licht ist, falls der Tierarzt gebraucht wird. Danny und Pretty bleiben auf der Weide und können zusehen, und du schläfst in der Sattelkammer. Seit Wochen erklärst du uns, das wäre die beste Lösung, und jetzt wirst du auch nicht mehr davon abgehen, okay?«

»Ich bin ein bißchen nervös!« sagte Stephanie und raufte sich schon wieder die Haare.

»Hätten wir nicht bemerkt!« meinte Julia trocken. Die Mädchen kicherten, und Stephanie lachte gutmütig mit.

»Also schön, laßt Pretty zu den anderen, und dann setzen wir uns auf die Weide, und Julia erzählt ausführlich, für welches Pferd sie Danny untreu werden will.«

Julia warf einen zärtlichen Blick auf ihr Lieblingspferd Danny. Untreu werden? Das würde sie bestimmt nie, nicht für Frankenstolz oder irgendein anderes Pferd! Sie ritt den Reitponywallach jetzt seit fast zwei Jahren. Davor war sie in Herrn Holthoffs Reitschule und hatte nebenbei verzweifelt versucht, ein Pflegepferd zu finden. Nach vielen Enttäuschungen hatte ihr eine Freundin ihrer Mutter die Reitgelegenheit bei Stephanie vermittelt.

»Es ist Frankenstolz. Wißt ihr, der braune Wallach von Herrn Friedhelm.«

»Dieses Riesenroß?« fragte Kathi. »Das kaum durch die Reithallentür paßt?«

»Und mit diesem unmöglichen Reiter gestraft ist?« Das war Stephanie. Sie hatte Herrn Friedhelm schon oft im Sattel gesehen und Julia und Kathi jedesmal Vorträge über seinen schlechten Sitz gehalten. »Als ich dem das letzte Mal im Gelände begegnet bin, hätte er Danny und Violetta beinahe überritten. Im letzten Moment kriegte das Pferd dann doch noch die Kurve, und dieser Möchtegern-Reiter wäre fast vor einem Baum gelandet! Und dann hat er mich auch noch angemacht, weil ich mit meinem Handpferd angeblich den ganzen Weg blockierte!«

Julia lachte. »Ach, deshalb ist er so schlecht auf dich zu sprechen! Aber sonst ist er ganz nett. Und das Pferd ist . . . hm . . . ein bißchen gewöhnungsbedürftig, aber sonst . . . «