Julia und die Nachtreiter - Christiane Gohl - E-Book

Julia und die Nachtreiter E-Book

Christiane Gohl

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Beschreibung

Hat tasächlich nur jemand vergessen, die Gatter zur Koppel des Reitstalls zu schließen, sodass Pferde entlaufen konnten? Die junge Julia glaubt nicht daran. Vielmehr vermutet sie, dass die Pferde für Ausritte im Schutz der Dunkelheit freigelassen werden. Daher beschließen Julia und ihre Reiterfreunde dem nächtlichen Treiben nachzugehen...Dies ist der 15. Band der beliebten Kinder- und Jugendbuchreihe von Christiane Gohl.-

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Seitenzahl: 150

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Christiane Gohl

Julia und die Nachtreiter

 

Saga

Julia und die Nachtreiter

 

Copyright © <as per original material>

Published by Arrangement with Christiane Gohl.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 2000, 2021 Christiane Gohl und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728013076

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Nur ein bisschen Springgymnastik  . . .

»Seid ihr immer noch nicht fertig? Es ist gleich vier Uhr! Und ich muss pünktlich mit Lauras Reitstunde anfangen, sonst komme ich hinterher nicht rechtzeitig für die Kinderreitstunde in die Halle!« Unwillig ließ Gloria ihre Blicke über den Reitplatz schweifen, auf dem sich ihr ein buntes und geschäftiges Bild bot. Julia, ihr Freund Olaf und ihre Freundin Lisa hatten aus Stangen, Brettern und Plastikplanen Bodenhindernisse für ihre Jungpferde aufgebaut. Julias fast dreijähriger Connemara Coffee stand gerade auf einem stabilen Brett, das quer über einer Stange lag. Indem er einen Schritt vor und dann wieder zurück machte, konnte er darauf hin- und herwippen. Der kleine Wallach fand das offensichtlich komisch. Jedenfalls machte er ganz begeistert mit. Lisas Pflegepferd, der vierjährige Warmblüter Dancer, setzte seine Hufe hingegen eher vorsichtig auf die himmelblaue Plastikplane, an der Lisa mit ihm übte. Am Anfang hatte er sich kaum in die Nähe getraut, aber jetzt wurde er zusehends mutiger. Olafs junger Quarterwallach Hillbilly war mit der schwierigsten Übung beschäftigt: Olaf versuchte, ihn seitwärts über eine Stange zu führen.

»So spät schon?«, fragte Julia und sah auf die Uhr. »Tut uns Leid, aber wir haben die Zeit völlig vergessen. Na ja, Laura ist schließlich auch noch nicht da  . . .«

»Laura kommt aber gleich. Jetzt macht schon und räumt hier auf. Sonst überlegt sich Frau Walter das noch irgendwann anders mit der Reitplatzbenutzung!« Gloria deutete in Richtung Stall, wo ihre Reitschülerin Laura eben die Hannoveranerstute Nancy sattelte. Der Reitplatz gehörte zum Anwesen der Familie Walter und war eigentlich nur für Laura und ihr Turnierpferd angelegt worden. Bei Gloria, Julia und den anderen Reitern aus ihrer Haltergemeinschaft machte Lauras Mutter allerdings eine Ausnahme. Nicht nur aus Nettigkeit, vermuteten die Freunde, sondern auch, um Gloria bei Laune zu halten. Frau Walter hatte die Studentin aus Warendorf vor einiger Zeit als Reitlehrerin für Laura »entdeckt« und ihr ein günstiges Apartment in ihrem Haus vermietet. Als Gegenleistung musste Gloria Laura unterrichten und auf Turnieren betreuen. Inzwischen gab die junge Frau aber zusätzlich Unterricht im örtlichen Reiterverein und war nicht mehr so sehr auf Walters angewiesen.

Julia, Olaf und Lisa führten ihre Pferde vom Reitplatz und banden sie am Zaun an. Dort warteten auch die erwachsenen Pferde, auf denen Olaf und Julia hergeritten waren: Olafs Islandwallach Godi und die Welsh-Stute Piazza. Julia durfte sie reiten, wenn ihre Besitzerin Nickie keine Zeit hatte.

Nachdem Coffee, Billy und Dancer sicher vertäut waren, machten sich die Freunde ans Wegräumen der Bodenhindernisse. Laura hatte Nancy inzwischen auf den Platz geführt, war aber noch nicht aufgesessen.

»Na los, Laura, steig schon auf und reite dein Pferd warm!«, rief Gloria. »Nancy scheut nicht vor den paar Stangen. Sie hat im Laufe ihrer Turnierkarriere mehr bunte Hindernisse gesehen, als wir uns vorstellen können.« Die Hannoveranerstute Nancy war ein erfahrenes Dressur- und Springpferd. Sie war leicht zu reiten und sorgte für sichere Schleifengewinne auf Turnieren. Laura war allerdings eine ängstliche und wenig begabte Reiterin, die sich sogar mit diesem Ausnahmepferd schwer tat. Diesmal fürchtete sich das Mädchen aber nicht vor dem Reiten, sondern hatte etwas anderes auf dem Herzen. Schließlich brachte sie ihr Anliegen hervor, obwohl ihr die vielen Zuhörer dabei nicht ganz in den Plan zu passen schienen.

»Gloria, gleich in der Stunde  . . . Könntest du da vielleicht mal ein bisschen weniger, äh, rumschreien als sonst?«, bat sie vorsichtig.

»Rumschreien?«, fragte Gloria beleidigt. »Seit wann schreie ich denn rum in meinen Reitstunden? Du meinst wohl eher, ob ich mich mit meinen diplomatisch formulierten, konstruktiven Korrekturen ein wenig zurückhalten könnte, oder?«

Julia und Lisa kicherten. Laura wurde rot. »Jaa, so was irgendwie  . . .«, murmelte sie.

»Und warum, wenn ich fragen darf?«

»Weil . . . äh . . .« Laura wand sich. »Weil . . . Marco, das ist so ein Junge aus der Schwimmmannschaft in unserer Schule. Der wollte vielleicht mal vorbeischauen. Er interessiert sich für Pferde, weißt du . . .«

»Er interessiert sich für Pferde. Aha.« Gloria grinste und ließ den Blick über Lauras heute besonders sorgfältig frisiertes blondes Haar und ihr vorsichtig geschminktes Gesicht schweifen. »Na, dann wollen wir dem Knaben doch mal was bieten. Was möchtest du ihm denn lieber zeigen, Dressur oder Springen?«

»In Dressur ist Nancy ja besser . . .«, meinte Laura unschlüssig. »Aber Springen macht irgendwie mehr her, oder meinst du nicht?«

Gloria lächelte. Wenn die Hindernisse nicht zu hoch waren, standen Nancys Leistungen im Springen ihrer Dressurarbeit kaum nach. Allerdings fürchtete sich Laura im Springparcours erfahrungsgemäß zu Tode. »Was hältst du denn von einer Stunde Springgymnastik? Da der Platz sowieso schon voller Stangen liegt, bietet sich das doch an!«

Laura nickte strahlend. Das war wirklich eine gute Idee. Julia fand das auch. »Oh, können wir da nicht mitreiten?«, fragte sie. »Ich hab schon ewig keine Springgymnastik mehr gemacht!«

»Klar, weil du zu faul warst zum Aufbauen«, gab Gloria zurück. »Und genau dafür hatte ich euch jetzt eigentlich noch eingeplant. Aber von mir aus könnt ihr euch abwechseln. Zwei reiten jeweils mit, einer hilft aufbauen. Dann ist Laura auch nicht die Einzige, auf der ich herumhacke, und ihr Freund kriegt keinen schlechten Eindruck.« Gloria begann mithilfe der Freunde, die Stangen zu Hindernissen zu formieren.

Julia hatte beobachtet, dass Laura rot geworden war, als Gloria Marco ihren Freund genannt hatte. Anscheinend stand die Beziehung der beiden noch ganz am Anfang. Julia drückte schon mal in Gedanken die Daumen. Nicht weil Laura eine so gute Freundin von ihr war. Aber das Mädchen hatte sich lange Zeit für ihren Freund Olaf interessiert. Und Julia war heilfroh, wenn sie sich nun anderweitig orientierte.

Julia war als Erste mit dem Aufbauen an der Reihe, weil Piazza das erfahrenste Springpony war und auch später einsteigen konnte, wenn die Hindernisse bereits erhöht waren. Der junge Dancer sollte dagegen nur die Stangenarbeit im ersten Drittel der Stunde mitmachen, weshalb Lisa als Zweite helfen sollte. Olaf würde als Letzter aufbauen, denn für seinen Tölter Godi war vor allem die Trabarbeit im ersten Teil der Gymnastikstunde interessant. Auf den Galopp am Schluss konnte er gut verzichten.

In den ersten zwanzig Minuten gab es nicht viel Arbeit für Julia, denn alle Pferde kamen ohne Anstoßen über die am Boden liegenden Stangen. So hatte Julia Zeit, Marcos Ankunft zu beobachten. Der Junge hielt sein glänzendes, offenbar noch recht neues Motorrad an, sobald er die Pferde sah, und schob es am Reitplatz vorbei auf Walters Hof.

Der Typ denkt mit!, dachte Julia anerkennend und erinnerte sich an ihren ersten Freund Marcel, der stets mit voller Fahrt auf den Hof des Reitstalls gebraust war und die Pferde damit zu Tode erschreckt hatte. Marco parkte seine Maschine am Stall und ließ auch seinen grell lilafarbenen Motorradhelm am Lenkrad hängen. So gab es nichts, wovor die Pferde hätten scheuen können, als der Junge schließlich zum Reitplatz kam. Marco war ein großer, athletisch gebauter Junge mit braunem Stoppelhaarschnitt. Julia wusste, dass er der »Star« der Schwimmmannschaft ihrer Schule war.

»Darf man jetzt laut ›Hallo!‹ rufen oder gehen dann die Pferde durch?«, erkundigte er sich bei Julia.

Julia lachte. »Die Pferde nicht, aber möglicherweise Gloria. Reitunterricht ist wie Schule, die Lehrer hassen es, wenn jemand stört. Aber winken kannst du!«

Das tat Marco. Laura strahlte ihn an und versuchte, Zügel und Gerte so in einer Hand zu ordnen, dass auch sie herüberwinken konnte. Gloria nahm das gleich zum Anlass, ein paar Sitzübungen einzubauen. Sie ließ ihre Schüler einhändig reiten und sich beim Überqueren der Stangen zu Julia und Marco umwenden.

»Sieht toll aus«, meinte Marco anerkennend. Als Julia auf den Platz ging, um die Stangen höher zu legen, kam er mit und half ihr. Der Junge stemmte dabei die Cavaletti, als wären es Essstäbchen.

Ein praktischer Freund für eine Springreiterin, dachte Julia und verkniff sich ein Kichern. Die Reiter trabten inzwischen über die halb hochgestellten Cavaletti, eine Übung, die Laura und Nancy hervorragend beherrschten. Gloria sparte insofern nicht mit Lob und konzentrierte ihre Korrekturen mehr auf Lisa. Julias Freundin gehörte noch nicht lange zu Glorias Schülern. Dies war ihre erste Stunde Springgymnastik und auch Dancer war noch ein sehr junges, unerfahrenes Pferd. Nachdem er schließlich die Übungen im Trab erfolgreich hinter sich gebracht hatte, forderte Gloria Lisa auf, mit Julia zu tauschen. Julia ordnete schnell ihre Haare unter der Reitkappe und führte Piazza in die Bahn. Es folgten ein paar weitere Trablektionen, um Julia Gelegenheit zu geben, die Rotschimmelstute warm zu reiten. Dann wurden die Übungen schwieriger. Gloria stellte das letzte Cavaletto in der Reihe höher und forderte die Reiter auf, es mit einem Galoppsprung zu nehmen. Man musste dabei gut aufpassen, dass die Pferde nach dem einen Hupfer sofort wieder in Trab fielen und nicht weitergaloppierten. Julia fiel das nicht schwer. Piazza war ein eher ruhiges Pferd, das ständig etwas Übergewicht mit sich herumschleppte. Sie machte grundsätzlich keinen Galoppsprung mehr, als sie musste. Schließlich stellte Gloria jeweils zwei Cavaletti zu kleinen Hindernissen zusammen und baute eine Kombination aus drei verschieden hohen Sprüngen. Olaf führte Godi hinaus und half ihr dann dabei.

»Jetzt wird’s etwas schwierig wegen der Größenunterschiede zwischen den Pferden«, meinte Gloria. Nancy war immerhin zwanzig Zentimeter höher als Piazza. »Aber wir reiten es als Einzelaufgabe und bauen für jedes Pferd um. Den Luxus von zwei starken Männern als Hilfe müssen wir ausnutzen. Also passt auf, Laura und Julia: Die Kombination ist hier an der langen Seite und in der Mitte der Bahn steht ein Cavaletto. Ihr springt nun als Erstes die Hindernisse im Rechtsgalopp, wechselt durch die ganze Bahn mit fliegendem Wechsel über dem Cavaletto, nehmt die Kombination noch mal und wechselt dann auch noch mal durch die Bahn. Verstanden? Komm, Julia, fang du an, die Abstände passen gerade prima für Piazza, Olaf hat Ponymaße gebaut.«

Piazza wirkte nicht gerade begeistert, als Julia sie in der Ecke vor der Kombination angaloppierte. Allerdings verfügte sie wie fast alle Welsh-Ponys über eine gute Springveranlagung, und als die ersten beiden Hupfer geschafft waren, begann ihr die Sache Spaß zu machen. Wie ein Gummiball flog sie über den letzten Sprung der Kombination, ging mit Schwung auf die Wechsellinie und sprang mühelos in den Linksgalopp um, als Julia die Hilfen dazu gab. Kein Wunder, links war ihre bevorzugte Hand. Auch beim zweiten Mal kam Julia gut über die Kombination, aber beim zweiten Durchreiten der Wechsellinie mogelte Piazza und blieb im Linksgalopp. Julia musste sie zum Schritt durchparieren und einen einfachen Wechsel durchführen.

»Das nächste Mal besser aufpassen und deutlichere Hilfen geben!«, bemerkte Gloria. »Vor dem Sprung fehlte auch die Parade. Du kannst nicht erwarten, dass dein Pony alles von allein macht!«

Nun war Laura an der Reihe. An sich gehörte eine Aufgabe wie diese zu Nancys leichtesten Übungen, aber heute wollte sie im Rechtsgalopp nicht sofort anspringen. Als sie nach dem dritten Sprung aufkam, sah es obendrein so aus, als stolpere sie ein wenig. Sie fand dann aber gleich wieder ihren Takt und wechselte sauber den Galopp. Im Linksgalopp sprang sie reibungslos über die Hürden, aber dann, beim Galoppwechsel über dem Cavaletto, geschah es: Nancy kam mit dem rechten Vorderbein zuerst auf, stolperte und fiel hin. Zum Glück überschlug sie sich nicht, sondern kippte seitlich weg. Laura wurde aus dem Sattel geschleudert, landete aber weder unter dem Pferd noch zwischen den Stangen. Sie rappelte sich gleich wieder hoch – und blickte direkt in Marcos erschrockene Augen. Der Junge war geradezu in ihre Richtung geschossen, als er das Pferd hatte fallen sehen.

»Nichts passiert!«, beruhigte ihn Laura, blieb aber noch ein bisschen liegen, um seine Fürsorge zu genießen. Olaf verdrehte die Augen. Dieses Getue hatte ihn immer wahnsinnig gemacht. Marco schien es allerdings ganz normal zu finden, er half Laura schließlich ritterlich auf. Alle anderen kümmerten sich dagegen erst mal um Nancy.

»Der Stute ist nichts passiert, sie geht klar«, stellte Gloria schließlich fest, nachdem sie Nancys Beine befühlt und Lisa das Pferd im Trab vorgeführt hatte. »Aber warum sie wohl gestolpert ist – bei dem winzigen Hindernis?«

»Vielleicht war der Boden uneben«, überlegte Julia. »Hier hat vorhin die Wippe gestanden, kann ja sein, dass sich dabei’ne Kuhle im Sand gebildet hat.«

»Ach Quatsch!«, meinte Gloria. »Das hätten wir doch beim Aufbauen bemerkt. Außerdem galoppiert Nancy seit Jahren über die Turnierplätze aller möglichen Reitervereine. Bodenunebenheiten sind für sie das Normalste der Welt. Ich denke eher, dass sie sich vielleicht gestern beim Ausritt ein bisschen vertreten hat. Sie ist mir einmal an einem Abhang etwas weggerutscht, da kann das passiert sein. Wir machen ihr eine Bandage und lassen sie zwei Tage stehen, dann wird das schon wieder.« Gloria ritt Nancy regelmäßig im Gelände spazieren, um ihr etwas Abwechslung vom Bahnreiten zu bieten.

»Sie müssen aber auch aufpassen, Gloria!«, rügte Frau Walter, Lauras Mutter. Sie hatte den Sturz vom Haus aus gesehen und erwartete die Freunde nun am Stall. »Nancy ist ein Turnierpferd, sie ist nicht so geländegängig wie Ihr Pony! Vielleicht sollten Sie vorerst gar nicht mehr mit ihr ausreiten, dieser dauernde Regen im Frühjahr macht die Wege so schlüpfrig . . . Glauben Sie, dass Nancy bis Sonntag wieder fit ist?«

Gloria seufzte und setzte zu ihrer Verteidigung an: » Wenn ich nicht mehr mit Nancy ausreite, wird sie zu kernig für Laura, das wissen Sie doch. Und vertreten kann sie sich auf dem Reitplatz genauso wie im Gelände – besonders wenn sie hier herumbuckelt und tobt, weil ihr die Bewegung fehlt. Außerdem ist doch gar nichts passiert, sie lahmt ja nicht mal. Selbstverständlich kann sie am Sonntag dieses kleine Turnier gehen.«

Das war Frau Walters ganze Sorge. Sie investierte viel Geld und Zeit in die Turnierkarriere ihrer Tochter und fieberte dem Beginn der Turniersaison am nächsten Wochenende entgegen. Laura selbst war davon nicht so begeistert.

Sie hätte ihre Sonntage oft lieber anderswo zugebracht als auf dem Turnierplatz. Außerdem meldete ihre Mutter sie für immer schwierigere Prüfungen und die Hindernisse in den L-Springen machten ihr Angst.

Während Gloria und Frau Walter noch den Unfall diskutierten, ging Julia mit Laura in den Stall, um Material für eine Bandage zusammenzusuchen. Marco folgte den Mädchen.

»Tut dir auch wirklich nichts weh?«, fragte er Laura besorgt. »Unser Trainer meint immer, als Sportler müsse man auch kleine Verletzungen sehr ernst nehmen, denn wenn man dann einfach weitertrainiert . . .«

»Mir fehlt wirklich nichts«, beruhigte ihn Laura, »Aber ich wünsche fast, es wäre so. Zu dem Turnier in Breitenbach habe ich nämlich absolut keine Lust: Allein der Gedanke an die Schlammschlacht auf diesem Springplatz! Die Leute in dem Verein wissen genau, dass er sich bei jedem Regen in ein Sumpfgebiet verwandelt. Warum müssen sie ihr Turnier also unbedingt im April veranstalten?«

»Im Mai«, korrigierte Marco. »Sonntag ist der erste Mai. Die Schwimmmannschaft trifft sich zum Grillen in der Schwalbenhütte. Hast du keine Einladung gekriegt? Ich dachte, du kommst mit!« Der Junge klang enttäuscht.

»Psst, leise, meine Mutter darf nicht wissen, dass ich neuerdings in der Schwimmmannschaft bin!«, wisperte Laura. »Sie bringt mich um, wenn ich dafür das Reiten vernachlässige. Wie ich das mache, falls ich auf die Dauer bei Wettbewerben mitschwimmen darf, weiß ich auch noch nicht. Schließlich sind wir am Wochenende fast immer mit dem Pferd auf Achse. Aber zu der Fete versuche ich, nach dem Turnier auf jeden Fall noch zu kommen. Ich reite um ein Uhr die letzte Prüfung, da sollte ich um drei zu Hause sein. Ihr seid dann doch sicher noch in der Hütte, oder?«

Marco nickte. »Ich bestimmt«, sagte er. »Ich warte auf dich.«

Schreck in der Nacht

»Warum besteht Lauras Mutter bloß so auf einem derart gefährlichen Sport für sie?«, fragte Marco. Er hatte sich Julia, Olaf und Lisa auf dem Rückweg angeschlossen und schob sein Motorrad neben den Pferden her. Coffee und Hillbilly, die Julia und Olaf als Handpferde mitführten, beäugten es interessiert.

»Reiten ist doch nicht gefährlich!«, ereiferte sich Julia. »Jedenfalls nicht gefährlicher als andere Sportarten.«

»Na, ich weiß nicht«, meinte Marco. »Wenn ich das so mit dem Schwimmen vergleiche – das Schwimmbecken ist noch nie mit mir umgefallen.«

Die Reiter lachten. »Bei Pferden ist Umfallen auch nicht die Regel«, erklärte Olaf. »Die meisten können ganz gut auf sich aufpassen und auf ihre Reiter gleich mit. Nancy ist an sich eine Lebensversicherung. Da brauchst du keine Angst zu haben um deine Laura.«

Jetzt war es an Marco, ein bisschen rot zu werden.

»Aber Frau Walter ist schon seltsam«, bemerkte Lisa. »Wenn mir das passiert wäre, mit diesem Sturz, dann hätte meine Mutter sich wahrscheinlich erst wieder eingekriegt, nachdem man mich von oben bis unten geröntgt hätte! Aber das Einzige, was Frau Walter interessiert, ist Nancys Turniertauglichkeit. Mit der Frau stimmt irgendwas nicht!«

»Bestimmt wollte sie als Kind immer Turniere reiten und durfte nicht«, vermutete Julia. »Wahrscheinlich wärst du später genauso geworden, wenn du nicht Dancer als Pflegepferd bekommen hättest.«

Olaf lachte. Julia hatte ihm erzählt, wie sehr Lisa ihr am Anfang ihrer Bekanntschaft auf die Nerven gegangen war. Das eigentlich sehr fröhliche hellblonde Mädchen hatte ständig darüber gejammert, als Einzige kein eigenes Pferd zu haben.

»Na, da haben meine zukünftigen Kinder ja noch mal Glück gehabt«, meinte Lisa grinsend und klopfte liebevoll Dancers kräftigen rotbraunen Hals.

»So, hier muss ich abbiegen«, verabschiedete sich Marco. »Falls ihr übrigens Sonntag noch nichts vorhabt, könnt ihr auch gern bei unserer Fete reinschauen. Ist immer lustig. Von mir aus dürft ihr auch gerne zu Pferd kommen.«