Julia und der Pferdeflüsterer - Christiane Gohl - E-Book

Julia und der Pferdeflüsterer E-Book

Christiane Gohl

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Beschreibung

Im 13. Band der beliebten Kinder- und Jugendbuchreihe von Christiane Gohl werden im Reitstall von Protagonistin Julia neue Reitlehrer eingestellt. Darunter auch Jonathan Wenders, ein bekannter Pferdeguru. Julia hat schon einige seiner Bücher gelesen und möchte nun ihr Pferd "Coffee" nach den darin beschriebenen Techniken trainieren. Doch nicht jeder von Julias Reitfreunden ist von den alternativen Methoden des Pferdeflüsterers überzeugt...-

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Christiane Gohl

Julia und der Pferdeflüsterer

 

Saga

Julia und der Pferdeflüsterer

 

Copyright © <as per original material>

Published by Arrangement with Christiane Gohl.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1999, 2021 Christiane Gohl und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728013052

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Null Bock auf Regen

»Brr, ist das kalt! Ich wäre auf dem Ausritt fast erfroren!« Nickie stoppte ihre Pferde neben dem Reitplatz, auf dem Julia gerade mit ihrem jungen Wallach Coffee arbeitete. Nickies Rotschimmelstute Piazza senkte sofort den Kopf und angelte nach den letzten verbliebenen Grashalmen. Megan, das Handpferd, ein braunes Welsh-Pony mit pfiffigem Gesichtsausdruck, linste derweil interessiert über den Zaun auf den Reitplatz der Familie Walter. Sie hatte ihren Freund Coffee sofort erspäht und wieherte ihm zu. Dabei trat sie aufgeregt von einem Fuß auf den anderen.

Julia konnte Nickies Klage nicht zustimmen. Ganz im Gegenteil: Trotz der eisigen Oktoberluft war ihr in der letzten Stunde gründlich warm geworden. Es hatte damit angefangen, dass kein Reitpferd zur Verfügung stand, und sie ihren zweijährigen Coffee an der Hand zum Reitplatz führen musste. Während sie dort ihren Trainingsbereich für die Bodenarbeit mit Elektrozaunstangen abteilte, genoss Coffee seine Freiheit, wälzte sich ausgiebig und sah sich die Gegend an. Als Julia ihn schließlich einfing, war sein milchkaffeefarbenes Fell voll schmutzig-gelbem Sand. Das schien Coffee dann aber auch nicht zu gefallen, denn nun versuchte er ständig, sich an Julia zu scheuern. Und zu allem Überfluss verhielt er sich absolut nicht so, wie er das ihrem Übungsbuch zufolge hätte tun sollen. Wenn Julia seitlich hinter ihn trat, bewegte er sich nicht etwa vorwärts, sondern schaute sich nach ihr um oder machte sogar gleich eine Kehrtwendung. Von lockerem Umrunden des Reitplatzes konnte nicht die Rede sein. Und jetzt raubte Megans Ankunft dem kleinen Connemara auch noch die letzte Konzentration. Coffee setzte sich in Trab und lief zu seiner gleichaltrigen Freundin.

»Was machst du da eigentlich?«, fragte Nickie und zog ihre Pudelmütze tiefer ins Gesicht.

Julia seufzte. »Bodenarbeit. Die Alpha-Methode, nach Jonathan Wenders. Körpersprache, du weißt schon. Aber es klappt nicht so richtig. Er geht nicht vorwärts, wenn ich ihn von hinten treibe.«

»Wird daran liegen, dass Megan ihn so oft beißt. Für gewaltlose Methoden ist er einfach nicht mehr empfänglich«, meinte Nickie grinsend. »Nimm das nächste Mal einfach die Longierpeitsche mit. Dann wird er schon laufen.«

»Aber ...« Julia wollte ihr Vorgehen gerade erklären, da wurde sie durch die Ankunft von Gloria und ihren Reitschülerinnen unterbrochen. Jenny und Sarah waren soeben mit ihren Ponys Schneewittchen und Jojo eingetroffen und führten sie jetzt Richtung Reitplatz. Gloria, die im Haus der Familie Walter wohnte, kam aus ihrer Wohnung. Auch sie war vermummt bis über die Nasenspitze.

»Was für eine Kälte! Und ich muss jetzt zwei Stunden lang rumstehen und Reiten unterrichten! Warum gebe ich nicht lieber Nachhilfe in Französisch?« Gloria war Studentin und finanzierte mit den Reitstunden den Unterhalt ihres Ponys Rainbow. Jetzt entdeckte sie Julia und scheuchte sie vom Reitplatz. »He, Julia, du bist ja immer noch da! Sagtest du vorhin nicht was von zwanzig Minuten? Jetzt bau aber schnell deine Zäune ab. Was soll das überhaupt sein? Für einen Longierzirkel ist es etwas zu eiförmig.«

»Es ist eine Ellipse«, erläuterte Julia und überlegte kurz, ob sie zunächst Coffee fangen und irgendwo anbinden oder gleich die E-Zaunstangen entfernen sollte. Schließlich entschied sie sich für Letzteres. Sarah warf die Zügel ihres gutmütigen Wallachs Jojo über den Zaun und kam ihr zu Hilfe. Julia fuhr derweil mit einer Erklärung fort: »Das ist absichtlich so. Auf der einen Seite ist Longieren im Radius von 3,5 Metern möglich, auf der anderen sind es sieben. Und dazwischen sind die geraden langen Seiten von jeweils 25 Metern. Das ermöglicht total vielseitige Arbeit und ein Maximum an Gymnastizierung!«.

»Donnerwetter«, staunte Gloria. »Das muss einem erst mal einfallen. Wie lange hast du zum Aufbauen gebraucht? Aber jetzt ist erst mal Reitstunde. Los, Mädchen, wärmt die Pferde schon mal auf, während Julia ihr Ei wegräumt. Megan frisst es übrigens gerade auf, Nickie!«

Megan hatte ziemlich schnell raus, dass Julias Elektroabsperrung nicht geladen war. Sie nahm das Band vorsichtig zwischen die Lippen, zog etwas daran und ließ es dann wieder los. Beim Zurückschnellen erklang ein melodisches »Pling«. Die kleine Stute lauschte aufmerksam.

»Megan!« Nickie erwachte aus ihrer Gefrierstarre und zupfte am Führstrick ihrer Stute. »Dich kann man echt keine drei Minuten aus den Augen lassen! So, ich reite jetzt nach Hause und dann will ich nur noch ein heißes Bad. Kommst du mit, Julia?«

Julia nickte. »Ich muss nur noch kurz die E-Stangen wegbringen. Frau Walter hat mir erlaubt, sie hier im Schuppen zu lassen, dann kann ich die Ellipse beim nächsten Mal schnell wieder aufbauen. Kannst du Coffee so lange halten?«

Nickie nahm ihr die Führleine ab und lenkte die beiden Jungpferde rechts und links neben Piazza. Coffee hampelte dabei ein bisschen herum, aber Megan trat brav auf die ungewohnte linke Seite des Führpferdes. Sie war sehr klug und konnte außerordentlich gehorsam sein, wenn sie nur wollte. Leider kam das jedoch nicht allzu häufig vor.

Während Julia ihre Sachen zum Schuppen schleppte, beobachtete sie Glorias Reitschülerinnen. Sarah und Jenny waren die jüngsten Mitglieder ihrer Pferdehaltergemeinschaft. Am Anfang hatten sich die beiden Achtjährigen ein Pferd geteilt, aber inzwischen besaß jede ein eigenes Pony. Jennys temperamentvolle Schimmelstute Schneewittchen trabte mit langen Bewegungen über den Platz. Sie musste wie immer erst etwas abgeritten werden, bevor man konzentriert mit ihr arbeiten konnte. Sarahs Jojo schlurfte dagegen gemütlich vor sich hin und sein Gesichtsausdruck machte sehr deutlich, was er von Dressurstunden am Sonntagmorgen hielt. Immerhin trieb ihn Sarah beherzt. Dafür, dass die beiden Mädchen erst wenige Monate Reiterfahrung hatten, saßen sie schon sehr sicher auf dem Pferd und kamen mit ihrem jeweiligen Pony gut zurecht. Julia fröstelte und schlüpfte in ihre Jacke, als sie zu Nickie zurückkam.

»Wenn man aufhört, sich zu bewegen, wird es tatsächlich schnell kalt«, bemerkte sie und stopfte ihren Pferdeschwanz unter die Kaputze.

»Ja, und dabei geht es heute noch. Regen finde ich viel schlimmer«, fügte Gloria hinzu. »Letzte Woche mussten die Reitstunden zweimal ausfallen, weil es wie aus Kannen geschüttet hat. Dabei haben Laura und Jenny noch zwei Turniere in dieser Saison.« Laura Walter war Glorias wichtigste Schülerin. Ihre Mutter war sehr ehrgeizig und hatte nicht nur den Reitplatz extra für sie anlegen lassen, sondern versorgte sie auch immer wieder mit neuen, viel versprechenden Turnierpferden. Jenny hatte das Pony Schneewittchen von ihr übernommen; als Laura auf Großpferde überwechselte. »Wir brauchen dringend eine Reithalle!«

»Hast du nicht mal was von Hallenbenutzung im Reitstall gesagt?«, wandte Julia sich an Nickie.

Nickie nickte. »Klar, letzten Winter sind Olaf und ich immer in der Halle geritten. Aber jetzt hat da im Reitverein der Vorstand gewechselt. Und sie haben einen neuen Reitlehrer. Soll ein ganz großer Turnierstar sein. Wer weiß, ob sie uns da noch haben wollen.«

»Vielleicht sollten wir einfach mal fragen«, schlug Gloria vor. »Den neuen Reitlehrer wollte ich mir schon längst mal ansehen. Seit Laura bei ihm Springstunden nimmt, ist sie katastrophal schlechter geworden! Und Nancy gerät geradezu in Panik, wenn sie ein Hindernis sieht. Dabei sollen die zwei nächste Saison L springen. Nancy hat das angeblich schon gemacht.«

Julia konnte das bestätigen. Sie kannte Lauras elegante Schimmelstute von früher und hatte sie schon an vielen L-Springen teilnehmen und oft gewinnen sehen.

»Dann lasst uns doch gleich morgen mal hingehen«, meinte Nickie. »Oder wann hat Laura ihre nächste Stunde?«

»Morgen um fünf«, bestätigte Gloria. »Passt prima, dann bin ich auch von der Uni zurück. Sagst du Olaf Bescheid, Julia? Der will doch sicher auch mit.« Olaf war der einzige Junge in der Haltergemeinschaft. Wie Julia betrieb er Westernreiten und sein Jungpferd Hillbilly stand mit Coffee und Megan auf einer Weide neben Julias Haus.

»Wenn ich ihn sehe ... Heute Morgen wollte ich mir seinen Godi ausleihen, um Coffee als Handpferd herzubringen. Aber er war schon weg mit ihm. Ich dachte, er wäre mit Nickie ausgeritten.« Julia nahm Nickie Coffee ab und machte sich bereit zum Aufbruch.

»Er ist mit Laura im Gelände!«, erklärte Gloria. »Ich hab sie überredet. Sonst traut sie sich ja nie vom Reitplatz weg, aber mit Olaf ist das was anderes. Wenn sie den sieht, kriegt sie leuchtende Augen .. .«

Julia seufzte – zum zehnten Mal an diesem Morgen. Olaf war ein guter Freund. Man konnte sich beim Reiten und bei der Stallarbeit voll auf ihn verlassen, er war witzig und sie war gern mit ihm zusammen. Mehr wollte sie eigentlich nicht von ihm. Oder doch? Auf jeden Fall gefiel es ihr gar nicht, wenn er etwas mit ihrer Schulkameradin Laura unternahm!

»Heute ist einfach nicht mein Tag«, sagte sie leise zu Coffee.

Nicht gerade ein Siegerteam . . .

Am nächsten Nachmittag trafen sich die Freunde wie verabredet im Reitstall. Es war ein kleiner, ländlicher Stall mit einem etwas ungepflegten Außen-Dressurviereck, einem Springplatz, den der letzte Benutzer nicht aufgeräumt hatte, weshalb jetzt etliche abgeworfene Stangen im Herbstmatsch versanken, und den üblichen Boxenställen. Das Beste waren die weitläufigen, leider in viele kleine Parzellen aufgeteilten Weiden, die aber nur von wenigen Pferdebesitzern genutzt wurden. Und natürlich die Reithalle.

Auf dem Hof waren zwei Pferde angebunden. Ihre Besitzer waren wohl gerade von einem Ausritt zurückgekommen. Um eins der Pferde, einen stämmigen braunen Wallach, wirbelte ein kleiner, rundlicher Mann mit freundlichem Gesichtsausdruck herum.

»Tag, Herr Hannemann!«, begrüßte ihn Nickie und schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. Die junge Frau trug heute enge Jeans, die ihre schlanke Figur perfekt betonten, und ihr langes, dunkles Haar war zu einem dicken Zopf geflochten. Er passte gut zu ihrer wattierten Winterjacke mit peruanischen Motiven. Nickie sah umwerfend aus, die verfrorene Reiterin von gestern war nicht wieder zu erkennen.

Herr Hannemann strahlte sie an. »Hallo, Frau Stern! Wie schön, dass Sie mal wieder hereinschauen. Wir haben Sie vermisst, wissen Sie? Aber vielleicht kommen Sie ja in Zukunft öfter – mit Ihren Freizeitpferden meine ich. Wir haben hier viel vor!«

»Sie sind jetzt im Vereinsvorstand, nicht wahr?«, fragte Nickie.

Herr Hannemann nickte eifrig. »Erster Vorsitzender. Ich hab’s gewagt und mich wählen lassen. Obwohl ich mit Turniersport und so ja nicht viel am Hut habe ... Aber hier wurde einfach mal frischer Wind gebraucht. Hannemann, hab ich mir gesagt, da gibt’s was zu tun! Haben Sie gerade Zeit für ein Bier im Reiterstübchen? Ich muss nur eben Hardy wegbringen!« Der agile kleine Mann löste den Führstrick seines riesigen Pferdes und verschwand mit ihm im Stall.

»Der ist ja lustig«, meinte Julia. »Kommt er mit dem großen Pferd zurecht?«

»Doch, doch«, meinte Nickie. »Gotthardt ist zwar ziemlich massig, aber eine Seele von Pferd. Ich treffe die zwei manchmal im Gelände. Und Herrn Hannemann solltest du nicht unterschätzen. Der hat einen großen Metall verarbeitenden Betrieb. Er ist der größte Arbeitgeber der ganzen Umgebung, mit viel Einfluss bei der Stadt und überhaupt. Wenn Herr Hannemann was bewegen will, bewegt er was. Ach, da ist er ja schon wieder.«

Herr Hannemann führte die vier in das gemütliche Reiterstübchen des Vereins mit Blick in die Reithalle. Es war gut geheizt und lockte mit einem wohl gefüllten Kühlschrank. Herr Hannemann spendierte Nickie und Gloria ein Bier, Julia und Olaf eine Cola. Während er mit Nickie über ein paar gemeinsame Bekannte plauderte, beobachteten die anderen den Beginn der Reitstunde. Die Teilnehmer ritten gerade ihre Pferde warm. Julia erkannte Laura auf ihrer eleganten Schimmelstute Nancy und musterte nicht nur ihren Reitstil, sondern auch ihr Aussehen kritisch. Laura, ein großes und schon sehr gut entwickeltes Mädchen, hatte in den letzten Wochen etwas abgenommen. Ihr hellblondes, langes Haar war für die Reitstunde zum Zopf geflochten. Wenn sie es offen trug, reichte es ihr bis zur Hüfte. Diese Haare konnten Julia neidisch machen. Missmutig fuhr sie über ihre eigenen braunen Strähnen. Dann warf sie einen verstohlenen Blick auf Olaf, der unter seinem wuscheligen, dunkelblonden Haarschopf konzentriert in die Halle lugte. Interessierte er sich für alle Reiter oder beobachtete er ausschließlich Laura? Julia war sich da nicht so sicher.

»Wie war dein Ausritt mit Laura?«, fragte sie Olaf betont beiläufig.

»Langsam«, antwortete der Junge. »Meine Güte, wenn der traurige Haufen da unten deren Turnierabteilung ist, dann muss Herr Hannemann aber noch eine Menge bewegen!«

Tatsächlich machten die Reiter in der Halle nicht gerade den Eindruck eines Siegerteams. Ein junger Mann ritt einen Dunkelfuchshengst, der sich deutlich mehr für die anwesenden Stuten als für seinen Reiter oder gar die Hindernisse interessierte. Einem rundlichen, schwarzen Wallach, geritten von einem zierlichen, blonden Mädchen, war er offensichtlich ein Dorn im Auge. Jedes Mal, wenn die beiden aneinander vorbeikamen, versuchte der Wallach zu keilen. Das war aber auch schon seine einzige, erkennbare Temperamentsäußerung. Das Mädchen bekam ihn nur durch massiven Sporeneinsatz vom Fleck. Außerdem fiel ein rotbraunes Pony auf. Seine Reiterin, ein braunhaariges Mädchen in Julias Alter, konnte es kaum halten.

Immerhin erschien nun der Reitlehrer, ein schlanker, dunkelhaariger Mann, dem man den Südländer sofort ansah. Er stellte sich in die Mitte und versuchte, Ordnung in das Chaos zu bringen.

»Zuerst Abteilung bilden: Glu... Glut..., den Namen behalte ich nie, jedenfalls der Hengst an die Tete, dann Rusty, Phantom, Nancy.«

Rusty war offensichtlich das heißblütige Pony. Es versuchte prompt, den Hengst zu überholen. Seine Reiterin kämpfte mit aller Macht dagegen an. Als der Hengst Anstalten machte, nach dem Pony zu schlagen, wies Achmed sie an, sich hinter Nancy einzureihen.

Nancy, Lauras elegante Schimmelstute, war das einzige Pferd, das sich problemlos und ohne zu pullen oder zu bummeln an seinen Platz lenken ließ. Rusty lief ihr sofort von hinten auf.

»Kein Wunder, dass Nancy genervt ist, wenn sie die Stunde hinter sich hat«, kommentierte Gloria.

Rusty schob seine Nase jetzt fast zwischen Nancys Hinterbeine, die daraufhin nervös tänzelte.

»Pass auf dein Pferd auf, Nathalie!«, tadelte der Reitlehrer, ließ sich aber nicht weiter darüber aus, was das Mädchen tun könnte, um Rusty zu beruhigen. Julia fiel dazu auch nichts ein. Das Pony war völlig überdreht und gehörte ganz sicher nicht in eine fortgeschrittene Abteilung. Nathalie schien den Tränen nahe.

Während die Reiter auf dem Zirkel ritten, baute der Reitlehrer an einer langen Seite den ersten Sprung auf. Julia hatte mit einer Cavalettikombination zur Springgymnastik gerechnet. Das kannte sie aus den Springstunden ihres früheren Reitlehrers Herrn Holthoff. Aber hier begann man offensichtlich gleich mit richtigen Sprüngen. Das Hindernis war etwa 80 Zentimeter hoch. Die Mühe, einen Fang aufzustellen, um den Pferden eventuelle Ausbrüche zu erschweren, machte der Reitlehrer sich nicht.

»Dann fang mal an, Hannes!«, forderte er den jungen Mann auf dem Hengst auf, der sofort schwungvoll angaloppierte. Rusty löste sich aus der Abteilung und setzte ihm nach.

Der Reitlehrer donnerte los: »Nathalie! Wenn du nicht gleich dein Pferd an den Zügel nimmst, kriegst du gewaltigen Ärger! Wie willst du ihn im Turnier ruhig halten, wenn du es hier nicht einmal schaffst?«

»Das sollte sie hier ja gerade lernen!«, bemerkte Nickie. Sie und Herr Hannemann hatten sich nun auch dem Geschehen in der Halle zugewandt. »Ich will ja nicht meckern, Herr Hannemann, aber das sind Ihre Turnierhoffnungen fürs Springen?«

Der Hengst hatte das Hindernis inzwischen überwunden. Sein Reiter saß dabei ganz annehmbar, aber das Pferd sprang mit durchgedrücktem Rücken und schlug über dem Sprung aufgeregt aus. Viel höhere Sprünge als diesen Hüpfer würde es so kaum schaffen. Dafür flog Rusty hinüber wie ein Gummiball. Allerdings brauchte Nathalie anschließend zwei Runden, um ihn wieder zum Stehen zu bringen.

»Vielleicht sind sie ja eher dressurorientiert?«, fragte Gloria höflich.

Julia unterdrückte ein Kichern.

»Leider auch das nicht«, meinte Herr Hannemann und schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich muss gestehen, dass nicht viel mit ihnen los ist. Die Einzige, die wirklich regelmäßig Schleifen holt, ist Laura. Aber die hat ja auch diese fabelhafte Privattrainerin ...«

Die fabelhafte Privattrainerin Gloria wurde rot und versteckte sich hinter ihrem wirren, dunklen Haarschopf.

»Hannes und Gluthauch waren zwar auch schon einoder zweimal platziert, aber das war wohl eher Zufall ....«

Gluthauch, der Hengst, hatte sich jetzt hinter Nancy eingereiht und flehmte ausgiebig, als er die Stute roch. Sein Reiter zog ihm daraufhin die Gerte über die Nase. Das Pferd stieg erschrocken.

Das nächste Pferd, der rundlicher Rappe, galoppierte gelassen auf den Sprung zu, machte sich dann aber nicht die Mühe, die Hufe zu heben, nur weil da ein Hindernis stand. Er rannte die Stangen einfach um.

»Treiben, Martina, treiben! Ramm ihm die Sporen in den Bauch!« Der Reitlehrer tobte und fuchtelte mit einer Peitsche hinter dem Wallach herum. Der keilte daraufhin kurz in seine Richtung aus, ging dann aber wieder zur Tagesordnung über. Dieses Pferd war offensichtlich die Schlafmütze der Abteilung.

»Aber das wird sicher bald alles besser«, bemerkte Herr Hannemann optimistisch. »Jetzt, wo wir Achmed haben. Achmed kommt aus Marokko. Er ist Springreiter. Einer der besten. Er war in der Nationalmannschaft.«

Julia schaute fragend zu Gloria hinüber. »Hast du schon mal was von einer marokkanischen Nationalmannschaft für Springreiter gehört?«, erkundigte sie sich leise.

»Also in den internationalen Siegerlisten taucht sie jedenfalls nicht auf«, antwortete Gloria. »Ehrlich gesagt habe ich bisher gar nicht gewusst, dass Marokko eine hat. Und es sieht nicht so aus, als ob ich da viel verpasst habe.« Gloria wandte sich an Herrn Hannemann. »Es geht mich ja nichts an, aber warum haben Sie ausgerechnet Achmed ausgesucht? Ich meine, über den Reitstil der deutschen Springreiter kann man ja wirklich geteilter Meinung sein, und ich bin wirklich kein Fan von ihnen. Aber wenn Sie jemand suchen, der diese Gruppe für Turniere trainiert, dann würde ich doch einen nehmen, der schon gewisse Erfolge aufzuweisen hat...«

Gloria biss sich auf die Lippen. Das war jetzt sicher zu frech gewesen. Aber zum Glück war ja Nickie da, um die Situation zu retten: »Ich hab Sie noch gar nicht vorgestellt. Herr Hannemann, das ist Gloria, die Trainerin von Laura.«

Herr Hannemann strahlte über das ganze Gesicht. »Sie sind das! Großartig, Sie kennen zu lernen! Sagen Sie, hätten Sie nicht Lust, hier eine Jugendabteilung zu unterrichten?«

Bevor Gloria antworten konnte, wurde die allgemeine Aufmerksamkeit wieder von den Geschehnissen in der Halle in Anspruch genommen. Nachdem Laura und Nancy den Sprung in perfekter Manier bewältigt hatten, schoss Rusty darauf zu, sprang darüber wie ein Hase und schloss dann einen besonders heftigen Buckler an. Nathalie landete in hohem Bogen im Sand.

Achmed lachte, während er das Pferd einfing. »Gut so, Nathalie. Wer nicht mindestens fünfzig Mal runtergefallen ist, ist kein Reiter. Ich hoffe, du hast genug Geld für den Sekt nach der Stunde.«

»Großartiger Pädagoge!«, kommentierte Gloria, die sich jetzt sicherer fühlte.

»Sie meinen, er ist nicht so gut?«, fragte Herr Hannemann betroffen. »Wissen Sie, ich verstehe nichts davon. Ich bin nur Freizeitreiter. Und gerade deshalb dachte ich, weil wir Freizeitreiter doch meistens unsere Schwierigkeiten mit dem deutschen Turnierstil haben ... ein Ausländer würde das lockerer angehen.«