Julia und der Hengst aus Spanien - Christiane Gohl - E-Book

Julia und der Hengst aus Spanien E-Book

Christiane Gohl

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Beschreibung

Im dritten Band der beliebten Kinder- und Jugendbuchreihe von Christiane Gohl befinden sich die junge Protagonistin der Buchreihe Julia und ihre Freundin Kathi mitten in den Prüfungsvorbereitungen für das Reiterabzeichen, als ein neues Pferd in den Reitstall kommt. Es handelt sich dabei um den andalusischen Hengst "Placido". Doch die neue Besitzerin tut sich schwer mit dem heißblütigen Tier. Manuel, der Sohn einer spanischen Zirkusfamilie will helfen, aber auch dessen Angehörige stecken in ernsthaften Schwierigkeiten...-

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Christiane Gohl

Julia und der Hengst aus Spanien

 

Saga

Julia und der Hengst aus Spanien

 

Copyright © ‹as per original material›

Published by Arrangement with Christiane Gohl.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Coverbild/Illustration: Shutterstock

 

Copyright © 1993, 2021 Christiane Gohl und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728012956

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Warum nicht der Reiterpaß?

»Ich weiß gar nicht, warum du so wild darauf bist . . .«, murmelte Kathi. Das rothaarige Mädchen hockte neben seiner Freundin auf dem Koppelzaun und hörte ihr seit einer halben Stunde geduldig zu. Julia würde in diesem Jahr nicht am Reitabzeichenkurs in der Reitschule teilnehmen können und jammerte schon die ganze Zeit darüber.

»Schließlich brauchst du das dämliche Abzeichen gar nicht, weil du sowieso keine Dressur- und Springturniere reitest. Ich an deiner Stelle wäre froh, wenn ich mich drücken könnte. Wenigstens vor dem Springen . . . Und bei der Theorie vergesse ich garantiert die Hälfte. Ich mache das nur mit, weil mein Vater es will.«

Julia seufzte. Sie glaubte Kathi aufs Wort, denn ihre Freundin ritt ohne größeren Ehrgeiz. Kathi liebte geruhsame Ausritte, allein, oder noch lieber mit Julia oder Stephanie.

Langwierige Dressurarbeit fand sie oft lästig und vor dem Springen hatte sie regelrecht Angst. In ihrer Hannoveranerstute Pretty Girl besaß Kathi aber ein sehr gutes und wertvolles Dressurpferd, und ihr Vater wollte Turnierschleifen sehen.

»Das Springen ist doch ein Kinderspiel!« versuchte Julia ihr Mut zu machen. »Die kleinen Hindernisse macht Pretty mit links. Und wenn ich sowieso nicht mitreite, kannst du auch Stephanie fragen, ob sie dir Danny gibt.«

Julias liebevoller Blick streifte den dunklen Reitponywallach. Er stand neben der Goldfuchsstute Pretty und knabberte die letzten grünen Spitzen von der Weide. Es war Oktober, und die Pferde mußten bereits lange suchen, bis sie satt wurden. Die letzten Nächte waren recht kalt gewesen, und auch tagsüber überschritten die Temperaturen selten die »Graswachsgrenze«. Noch ein oder zwei Wochen, und sie würden Heu füttern müssen. Julia zog ihren Anorak enger um sich. Auch die Plauderstündchen auf dem Koppelzaun waren gezählt.

»Für mich wäre das Springen jedenfalls kein Problem«, erklärte Julia. »Wenn’s nur das wäre, könnte ich gut bei euch mitmachen. Aber Danny geht nun mal nicht so gern Dressur. Warum kann ich nicht statt dessen irgendwas Westernmäßiges reiten?«

Julia stellte diese Frage nun schon zum dritten Mal, und Kathi atmete auf, als sie auf dem Plattenweg zum Stall Hufgeklapper hörte. Stephanie kam mit ihrer Connemara-Stute vom Ausritt zurück. Die Mädchen sprangen vom Zaun, um ihr das Tor aufzumachen.

»Na, ihr zwei? Wird’s euch nicht langsam zu kalt auf dem Zaun?« Die junge Frau stieg ab und führte ihr Pferd in den Auslauf. Während sie absattelte, untersuchte die graufalbe Stute Julias Taschen nach einem Leckerbissen.

»Du bist aufdringlich, Violetta!« tadelte Julia. »Wenn du so weitermachst, wirst du dick und fett.«

»Sie muß eben für zwei essen«, lachte Stephanie. Sie hatte ihre Stute im Frühjahr decken lassen und wartete nun ungeduldig auf erste äußere Anzeichen der Trächtigkeit.

Normalerweise hätte Julia über Stephanies Bemerkung gelacht, denn Stuten brauchen erst in den allerletzten Monaten der Trächtigkeit Zusatzfutter. Aber heute schaute sie nur mißmutig vor sich hin.

»Was hat dir denn die Petersilie verhagelt, Julia? Du bist doch sonst nicht so streng mit den Ponys!« Stephanie tat zwar gern so, als ob sie sich für die Launen ihrer Pferdemädchen nicht interessierte, aber tatsächlich hatte sie ein feines Gefühl für ihre Stimmungen.

»Julia kann bei Holthoffs Reitkurs nicht mitmachen«, erklärte Kathi. »Diesmal gibt es nur eine einzige Abteilung und ausschließlich für Privatpferdereiter. Deshalb kann ich ihr Pretty nicht leihen, und so hat sie für die Dressur kein Pferd. Schließlich kann sie da nicht im Westernsattel aufkreuzen.«

»Warum eigentlich nicht? Die könnten andere Reitweisen ruhig mal zulassen. Beim Reiterpaß ist es längst erlaubt, und nur, weil die Abzeichenprüfungen in der Halle stattfinden, heißt das doch nicht . . .« Stephanie hob zu einem längeren Vortrag an.

»Reiterpaß, Julia! Das ist es!« Kathi unterbrach Stephanie und stieß ihre Freundin begeistert an. »Da kannst du mitmachen! Holthoff macht eine Reiterpaßprüfung mit den Frauen von der Kochlöffelabteilung, äh, von der ›Erwachsenenabteilung 3‹!« verbesserte sie sich rasch, denn Stephanie mochte die abwertende Bezeichnung nicht. Die Reiterinnen der Abteilung 3 hatten erst als Erwachsene Reiten gelernt und kamen nur ein- oder zweimal wöchentlich aufs Pferd. Es war wirklich kein Wunder, wenn sie nicht denselben Schneid aufbrachten wie etwa die dreizehnjährige Julia. Und Kathi stand da ohnehin kein Urteil zu. Die Vierzehnjährige ritt zwar sehr gut, war aber alles andere als mutig.

»Meinst du das im Ernst? Mit den Tanten?« Julia überlegte. »›Erwachsene 3‹ läuft auch vormittags.«

»Vor dem Reiterpaß nicht, da ist die Stunde abends. Es sind nämlich ein paar Berufstätige dabei. Los, mach das doch, Julia!«

»Ich weiß nicht . . . Würdest du mir Danny denn geben?« Julia wandte sich an Stephanie. Dannys Besitzerin kam gerade mit Violettas Abschwitzdecke aus der Sattelkammer.

»Klar. Ich finde das eine ausgezeichnete Idee! Da kannst du diesen verhinderten Turnierreitern mal zeigen, wie ein richtiges Freizeitpferd geht.«

Stephanie war sehr stolz auf ihren Danny. Sie hatte oft erfolgreich mit ihm an Westernturnieren und Distanzritten teilgenommen und freute sich nun auch über Julias Fortschritte. Der 21jährige Wallach war der beste Reitlehrer für das Mädchen.

»Danny wird phantastisch gehen, und du wirst die allerhöchste Note kriegen, paß auf!« Kathi war begeistert von ihrem Einfall und langsam erwärmte sich auch Julia für die Idee.

»Auf jeden Fall können wir für die Theorie zusammen lernen!« meinte sie.

»Sehr schön«, erklärte Stephanie. »Dann fangt schon mal an und ruft euch ins Gedächtnis, was abends auf der Pferdespeisekarte steht. Ihr könnt Futter anmischen und Pretty und Danny holen, während ich Violetta die Beine abwasche.«

 

Reitlehrer Holthoff freute sich über Julias Anmeldung. Auf diese Art hatte er ein junges Mädchen in der Reiterpaßabteilung und geriet nicht in den Verdacht, die Prüfung nur durchzuführen, weil seine Schülerinnen sich vor dem Springen beim Reitabzeichen fürchteten. Er beobachtete die Reiterinnen beim Abreiten ihrer Pferde und stellte dann die Abteilung zusammen. »So, dann mal Abteilung bilden. An der Tete, Frau Fest – aber lassen Sie die Stute nicht wieder so rennen! – Dann Frau Brieskamp – Treiben, Frau Brieskamp, treiben! – Julia, Frau Berndt . . . Nun machen Sie schon, Frau Berndt!« Holthoffs ungeduldige Worte richteten sich an die einzige jüngere Frau in seiner Abteilung. Neugierig wandte sich Julia nach ihr um. Sylvia Berndt war Mitte Zwanzig und ritt seit zwei Jahren Schulpferde – mit mehr Begeisterung als Erfolg, wie der Reitlehrer fand. Auch jetzt strahlte sie wieder über das ganze Gesicht, während ihr fauler Corsar gelangweilt durch die Halle schlurfte. Julia vergewisserte sich, daß sie ihren Danny ordentlich in Schwung gebracht hatte. Doch, das Pony lief mit gespitzten Ohren und setzte gut unter, obwohl es langsam trabte. Julias brauner Pferdeschwanz wippte im Takt, und sie lächelte Stephanie zu, die sie durch die abendliche Dunkelheit zur Reithalle begleitet hatte.

»Und Frau Köppke«, beendete Holthoff seine Aufzählung. »Wo steckt denn Frau Medanz?« Suchend sah der Reitlehrer sich um.

»Die kriegt doch ihr neues Pferd!« Das war Petra vom Rand der Reitbahn. Petra ritt schon seit Jahren im Reitstall. Sie durfte das Pferd ihrer Tante bewegen und gehörte auf Turnieren zu Kathis größten Konkurrentinnen. Auch mit ihrer Klassenkameradin Julia verstand sie sich nicht so gut, aber in der letzten Zeit imponierten ihr deren Reitkünste immer mehr. Bevor sie Stephanie kennenlernte, hatte Petra Freizeitreiter immer für reichlich hoffnungslose Fälle gehalten, aber inzwischen dämmerte es ihr, daß man auch anders reiten konnte, als sie es täglich im Reitstall sah.

»Ach ja, richtig, den Andalusier. Na ja, dann wird das heute ja nichts.« Holthoff wandte sich ab und ließ seine Abteilung erst einmal halten und eine Pferdelänge rückwärts richten.

Julia kam mit ihrem Danny an der Bande neben Petra und Stephanie zum Stehen.

»Einen richtigen Andalusier?« fragte Stephanie gerade interessiert. Julia spitzte die Ohren, um möglichst viel von Petras Antwort mitzubekommen, während Holthoff die Reiterinnen einzeln rückwärts richten ließ.

»Ja, angeblich. Sagt jedenfalls Frau Medanz. Seit ihrem Spanienurlaub redet sie von nichts anderem. Sie ist da ausgeritten – auf einem Hengst sogar – und die Pferde wären alle so gelassen, sicher, edel . . . was nicht alles! Und nun hat sie eben ihre Prinzessin verkauft und sich einen Spanier angeschafft«, berichtete Petra. »Wir sind alle gespannt wie ein Flitzebogen.«

Ziemlich gespannt war inzwischen auch die Atmosphäre in der Halle. Holthoff hatte Trab angesagt, und zwei der Reiterinnen zeigten größte Probleme, ihre Pferde zu halten. Frau Berndt und Frau Brieskamp dagegen bekamen die ihren nicht vorwärts. Lediglich Danny ging gelassen und schwungvoll, aber auch Julia bekam ihr Fett ab.

»Unterschenkel zurück, auf dem Pony. Und Absätze tief, auch beim Cowboysattel! Treiben, Frau Brieskamp . . .«

Frau Brieskamp piekste ihren rundlichen Falben Smutje auf diesen Anruf hin mit den Sporen, und das Pferd schlug empört aus. Danny brachte sich und seine Reiterin mit einem Seitensprung in Sicherheit, während Corsar erst einmal stehenblieb und äpfelte. Julia kannte Stephanie gut genug, um zu ahnen, daß sie sich bei diesem Durcheinander ein Grinsen verkneifen mußte. Sicher stellte sie sich einen andalusischen Hengst in dieser Abteilung vor.

Placido kommt

Durch einen Glücksfall erlebte Julia am nächsten Tag die Ankunft des neuen Pferdes mit. Sie sollte bei den Theoriestunden zum Reitabzeichen mitmachen – die Reiterpaßgruppe hatte ihren Unterricht am späten Abend – und wollte Kathi vorher beim Reiten zusehen. Der Unterricht in der Halle langweilte das Mädchen aber bald, und so streifte sie durch die Ställe und besuchte die Pferde.

Die Box, in der Frau Medanz’ Stute Prinzessin gestanden hatte, war sauber und frisch eingestreut. Frau Medanz brachte gerade ein neues Namensschild davor an. Leider war sie ebenso aufgeregt wie handwerklich ungeschickt. Zunächst schlug sie einen Nagel schief, dann fiel das Schild scheppernd herunter. Das Pferd in der Nachbarbox schnaubte nervös.

»Soll ich mal halten?« fragte Julia.

Frau Medanz sah auf. Sie war eine kleine Frau mit eher rundlichen Formen. Ihr Gesicht wirkte konzentriert und angespannt unter dem reichlich aufgetragenen Make-up.

»O ja, das wäre nett. Ich könnte ja den Stallmeister rufen oder auf Herrn Holthoff warten, aber ich möchte doch alles fertig haben, wenn er kommt.«

Frau Medanz warf einen verliebten Blick in die Box, als stände ihr neues Pferd schon darin.

›Placido‹ las Julia auf den Namensschild. Rasse: Andalusier. Geschlecht: Hengst.

»Wirklich ein Hengst aus Spanien?« erkundigte sie sich.

»Nicht direkt aus Spanien. Er kommt jetzt aus Hannover. Aus einem Andalusierverkaufszentrum. Aber ursprünglich stammt er aus Andalusien. Er ist hinreißend! Ah, ich glaube, ich höre den Wagen!«

Ohne Julia, dem Schild und den Werkzeugen noch einen Blick zu gönnen, eilte Frau Medanz aus dem Stall. Julia brachte Hammer und Nägel schnell in die Sattelkammer und lief dann auch hinaus. Auf keinen Fall wollte sie das Ausladen Placidos verpassen.

Tatsächlich fuhr draußen ein Transporter vor. Herr Friedhelm, ein anderer Privatpferdereiter, hatte häufig in Norddeutschland zu tun und brachte das Pferd für Frau Medanz mit. Schwungvoll parkte er sein Gespann vor dem Reitstall und stieg aus, um Frau Medanz zu begrüßen.

»Ein prachtvolles Pferd, Linde, wirklich. Aber nicht ohne! Der poltert dahinten nicht schlecht!«

Tatsächlich tönten Hufescharren und Schnauben aus dem Hänger, und nun wieherte das Pferd auch noch durchdringend.

»Wir sollten ihn rausholen, bevor er was zerschlägt«, schlug Herr Friedhelm vor, machte aber keine Anstalten, den Transporter zu öffnen. Frau Medanz nickte und blieb ebenfalls stehen.

»Er wird doch wohl nichts tun, wenn ich da reingehe?« fragte sie unschlüssig. »Immerhin ist er ein Hengst!«

»Vielleicht sollten wir auf Herrn Holthoff warten«, überlegte auch Herr Friedhelm.

Placido wieherte erneut, und ein kleines Mädchen lief den Reitlehrer holen.

»Er will raus«, stellte Julia fest. »Der Transporter nervt ihn. Sobald er hält, machen viele Pferde so ein Theater. Sogar Danny mag nicht gern in dem Kasten rumstehen. Soll ich ihn ausladen?«

Julia hatte keinen besonderen Respekt vor Hengsten. Ihr früheres Pflegepony Stormy hatte man auch nicht kastriert, und sie war trotzdem mit ihm ausgekommen. Von Ferienaufenthalten in einem Westernreitstall war sie es auch gewohnt, mit einem Quarter-Horse-Hengst umzugehen. »Besser ein gut erzogener Hengst als ein schlecht erzogener Wallach«, pflegte die dortige Reitlehrerin zu sagen.

»Du willst da rein?« fragte Frau Medanz ungläubig, während Placido erneut polterte.

»Klar«, meinte Julia. »Machen Sie nur eben die Klappe auf.«

Ohne sich auf weitere Diskussionen einzulassen, schlüpfte sie durch das Seitentürchen in den Hänger. Unversehens fand sie sich einem großen Braunen mit langer, lockiger Mähne gegenüber. Das Pferd stellte die Ohren auf und hörte sofort auf zu scharren, als Julia es losband. Herr Friedhelm hatte inzwischen die Klappe geöffnet, und Julia führte das Pferd herunter.

»Was zum Teufel soll das?«

Kaum, daß sie die Klappe hinter sich gelassen hatte, wurde Julia von Herrn Holthoffs Gebrüll begrüßt. Der Reitlehrer hatte eine geübte Stimme und übertönte mühelos den Schrei des Hengstes, der den anderen Pferden lauthals seine Ankunft meldete.

»Sei still!« sagte Julia beruhigend zu Placido und wappnete sich gegen eine Standpauke des Reitlehrers. Hinter Herrn Holthoff waren eben die Mädchen der Reitabzeichenabteilung aufgetaucht. Jetzt würde er sie wieder einmal vor Petra und den anderen abkanzeln.

Zur Abwechslung konzentrierte Herr Holthoff sich aber nicht auf Julia, sondern auf die Erwachsenen.

»Was fällt Ihnen ein, das Kind da hineinzuschicken? Wenn Sie sich nicht trauen, Ihr Pferd abzuladen, dann warten Sie gefälligst, bis ich da bin. Was hätten Sie gemacht, wenn ihr was passiert wäre?«

Julia hatte noch nie erlebt, daß Holthoff erwachsene Privatpferdereiter so anschrie.

»Das Pferd ist ganz lieb, Herr Holthoff«, sagte sie schüchtern.

»Die meisten sind lieb, Julia. Aber ich habe mal erlebt, wie ein Bereiterlehrling beim Ausladen unter die Hufe einer Ausnahme geriet. Das möchte ich dir nicht wünschen. Also bitte, keine weiteren Mutproben!« Der Reitlehrer kam zu Julia und klopfte Placido den Hals.

»Was für ein prächtiger Bursche! Und gute Manieren scheint er auch zu haben. Nun nehmen Sie schon Ihr Pferd, Frau Medanz. Ich hab’s nicht so gemeint!«

Holthoffs versöhnliche Worte lösten Frau Medanz aus ihrer Starre. Mit kurzem Dank nahm sie Julia das Pferd ab. Erst jetzt konnte Julia den Spanier in voller Schönheit bewundern.

Sie schätzte Placido auf etwas über 1,50 m Stockmaß. Die hohe Aufrichtung – der Hengst trug sich geradezu majestätisch – ließ ihn allerdings größer erscheinen. Er war von den Proportionen her etwas gedrungener als beispielsweise Pretty – aber was am meisten auffiel waren sein gerader, edler Kopf und der lockige Behang. Sein Fell glänzte in einem satten Braun, der schwarze Stirnschopf fiel tief herab, und nur wenn der Hengst ihn etwas schüttelte, erkannte man seine großen, langbewimperten Augen. Placidos Blick war selbstbewußt, aber freundlich. Interessiert folgte er seiner neuen Besitzerin zum Stall.

In der Stallgasse drängten sich die Reiter und Pferde der Reitabzeichenabteilung. Petra stand vor Finessas Box und kratzte ihr die Hufe aus, und Kathi wollte ihre Pretty gerade hinausführen. Die Stute wurde während der Theoriestunde im Hof angebunden. Dort wartete sie geduldig, bis Kathi sie wieder nach Hause in ihren Offenstall brachte.

Kathi hielt sich nah an der Stallwand, während sie Pretty an Frau Medanz und dem neuen Pferd vorbeiführte.

»Vorsicht, Mädchen, das ist ein Hengst!« rief Frau Medanz, obwohl Kathi mindestens fünf Meter Abstand hielt. Sie fuhr zusammen und klammerte sich an Placidos Führstrick, als der Spanier Pretty mit gellendem Wiehern zur Kenntnis nahm. Herr Holthoff schlug die Augen gen Himmel. Wenn das so weiterging, konnte es ja heiter werden.

Gelassen wanderte der Spanier an den Boxen von Finessa und Picasso vorbei und bezog den Stall neben dem gutmütigen Smutje. Sofort begann er, die Box ausgiebig zu beschnuppern, wobei er ab und zu genüßlich flehmte. Dazu zog er die Nüstern hoch und reckte den Hals. Offensichtlich roch der Stall noch nach Stute, und der Hengst nahm ihren Duft besonders intensiv wahr.

»Und der geht nun klassische Dressur?« fragte Herr Holthoff.

Frau Medanz nickte stolz.

»Piaffe, spanischer Schritt, Levade . . . alles. Er ist absolut traumhaft. In Spanien ist er bei Stierkämpfen geritten worden.«

»Ach, der Arme«, bemerkte Julia.

»Was heißt denn ›der Arme‹?« fragte Herr Friedhelm. »Stierkampf, das ist doch noch was. Da können die Pferde sich beweisen! Und die Reiter, nebenbei gesagt!« Der kleine dicke Mann, selbst ein eher mäßiger Reiter, bekam leuchtende Augen.

»Da laden die Männer ihre Hengste auch noch selbst ab!« Die Bemerkung kam nicht sehr laut, aber vernehmlich aus Finessas Box. Petra hatte sich mit der Stute vorsichtshalber schnell verzogen und sattelte nun im Stall ab.

»Petra!« Herr Holthoff lud eine Standpauke der Marke »Konzentrier dich gefälligst auf dein eigenes Pferd und kümmere dich nicht um die anderen« auf dem allseits bekannten Lästermaul ab. Aber als Julia später in der Stallgasse stand und Kathi von Placidos Auftritt erzählte, hörten sie den Reitlehrer in der Sattelkammer lachen . . .

 

»Sollen wir wieder ein Schaubild reiten? So zwischen Dressur und Springen?« Julia und Stephanie ließen ihre Pferde im Schritt über einen Waldweg gehen und sprachen über die Reitabzeichenprüfung. Durch das viele Hallenreiten und die früher einbrechende Dunkelheit kam Julia nur noch selten in den Rauhforst. Dabei war der Wald gerade jetzt so schön. Die Bäume standen in leuchtenden Herbstfarben und das herabgefallene Laub bildete eine weiche goldene Schicht auf den Reitwegen. Wenn Julia darübergaloppierte, träumte sie oft vom Jagdreiten.

»Warum nicht? Das Westernbild vom Turnier hat ja allen gut gefallen. Aber will eure Frau Medanz nicht was zeigen, mit dem Andalusier? Wenn der wirklich so gut ist, wie alle sagen, können Danny und Vio da nicht mithalten.«

Stephanie hatte Placido bisher nur kurz in der Box gesehen und war begeistert von seiner Schönheit.

»Bisher hör’ ich immer nur, wie toll er gehen soll. Gesehen hat es noch keiner.« Aus Julias Worten sprach der Frust der gesamten Reitabzeichenabteilung. Die Jugendlichen brannten darauf, den edlen Spanier in Aktion zu sehen, aber nicht einmal die neugierige Petra konnte etwas über ihn berichten. Wahrscheinlich ritt Frau Medanz ausschließlich vormittags. Herr Holthoff mußte Bescheid wissen, aber den wagten sie nicht zu fragen.

»Wenn er tatsächlich im Stierkampf eingesetzt wurde, muß er gut sein«, meinte Stephanie. »Sonst hätte er das nicht überlebt.«