Julia und ihr Fohlen - Christiane Gohl - E-Book

Julia und ihr Fohlen E-Book

Christiane Gohl

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Beschreibung

Julia hat endlich ihr eigenes Pferd, das Fohlen "Coffee"! Die Protagonistin der beliebten Kinder- und Jugendbuchreihe von Christiane Gohl ist überglücklich, auch wenn der junge Hengst viel Aufmerksamkeit fordert. Und dann verliebt sich Julia auch noch in Marcel, den Bruder von Janine, einer Freundin aus dem Reitstall. Doch schafft es Julia im siebten Band der Buchserie ihre erste Liebe und die Pflichten für ihr Pferd zu vereinbaren?-

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Christiane Gohl

Julia und ihr Fohlen

 

Saga

Julia und ihr Fohlen

 

Copyright © <as per original material>

Published by Arrangement with Christiane Gohl.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1996, 2021 Christiane Gohl und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728012994

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Ein wald voller Geister

»Aber seid ja vorsichtig!« Reitlehrer Holthoff überprüfte noch einmal den Sitz von Ricardos Sattelgurt. So ganz wohl war ihm nicht bei dem Gedanken, seine Schülerin Janina mit dem jungen Pferd ins Gelände zu schicken. Aber in Begleitung von Julia und dem erfahrenen Reitpony Danny konnte den beiden kaum etwas passieren.

»Keine Sorge, Herr Holthoff!« Genervt zupfte Julia an ihrem braunen Pferdeschwanz. Seit zehn Minuten stand sie nun mit Danny auf dem Hof des Reitstalls und hörte sich Herrn Holthoffs Anweisungen an. Zum Glück stand Danny ruhig und nutzte die Zeit für ein Schläfchen.

»Frau Heiden reitet doch auch mit, oder?«

»Aber ja!«, versicherte Julia. »Sie ist bloß mit einem Artikel nicht rechtzeitig fertig geworden und hat mich deshalb schon mal losgeschickt, Janina und Rikki abzuholen.«

»Also dann, ab mit euch! Ich verlass mich auf dich, Julia. Pass auf, dass Janina absteigt, wenn ihr unter der Bundesstraße herreitet!«

Herr Holthoff beobachtete mit Argusaugen, wie Janina ihre Reitkappe aufsetzte und sich auf ihr Pony schwang. Ricardo blieb dabei artig stehen. Der kleine Wallach war zwar noch jung, hatte aber eine recht gute Grundausbildung. Zudem ritt Janina keineswegs schlecht. Nach einem Jahr Reiterfahrung war sie natürlich noch Anfängerin, aber mit dem freundlichen Ricardo kam sie gut zurecht. Die beiden gehörten jetzt seit einem Monat zusammen und nahmen eifrig Unterricht in der Reithalle. An diesem schönen Oktobertag ging es zum ersten Mal ins Gelände.

»Ich hatte schon Angst, wir kommen nie weg!« Mit einem leichten Anlegen der Zügel lenkte Julia Danny zu Ricardo. Gleichmütig trat das erfahrene Geländepferd neben den jungen Wallach, der mit aufmerksam gespitzten Ohren vom Hof ging. »Herr Holthoff hat getan, als wäre Rikki ein wildes Tier.«

»Die meisten Reitstallpferde benehmen sich ja auch so«, meinte Janina. »Wenn ich an Walzertraum denke...«

Walzertraum, ein großer, sehr temperamentvoller Rappe, war Janinas erstes Pferd gewesen. Ihr Vater hatte das junge Springpferd ohne Rücksicht auf ihre Reitkenntnisse ausgewählt und für Janina war bald jede Reitstunde zum Albtraum geworden.

»Walzertraum kannst du doch mit Rikki nicht vergleichen. Überleg nur mal, wie seine ersten Besitzer den behandelt haben. Fünf Jahre alt, und schon fertig zum M-Springen – das geht nicht ohne Zwang! Als er zu dir kam, war er sicher froh, nicht mehr geprügelt zu werden.«

»Seine Freudensprünge waren aber alles andere als lustig«, bemerkte Janina. »Und bestimmt fand er es auch nicht so toll, dauernd in der Box stehen zu müssen, weil ich mich nicht mehr drauf traute.« Janina war ein sehr kleines, zierliches Mädchen, das mit seinem herzförmigen Gesicht und den weichen bräunen Locken immer ein bisschen ängstlich und verletzlich wirkte. »Ich glaube, er war ganz glücklich, als Monika ihn kaufte.«

Julia nickte. »Klar. Monika liebt er und sie liebt ihn auch. Die beiden passen prima zusammen. Und du passt gut zu Ricardo. Ist doch schön, dass wir ihn dir vermittelt haben.« Julia und ihre erwachsene Freundin Stephanie hatten Ricardo entdeckt, als sie nach einem geeigneten Reitpferd für Julia suchten. Sie hatten ihn sofort gemocht, aber für Julia war er ein bisschen zu klein und zierlich. Sie wäre in einem oder zwei Jahren zu schwer für ihn geworden. Die zarte Janina würde ihn dagegen noch jahrelang reiten können.

»Das war die beste Idee, die ihr je hattet!«, strahlte Janina. »So liebe Ponys gibt es schließlich ganz selten.«

»Stimmt«, nickte Julia. »Rikkis Züchterin hat sich viel Mühe mit ihm gegeben. Aber ich glaube, im Gelände hat sie ihn nicht oft geritten.«

»Wie denn auch?«, meinte Janina. »Er stand ja mitten in einem Industriegebiet. Deshalb bin ich auch so froh, dass ihr heute mit mir reitet, statt Petra oder Monika. Wer weiß, was ihre Pferde unterwegs für Sprünge machen. Und dann rennt Rikki womöglich mit!«

»Das passiert bei Danny und Violetta ganz sicher nicht. Die scheuen höchstens, wenn neben ihnen etwas explodiert. Danny ist schließlich schon 21 Jahre alt und wurde sein Leben lang im Gelände geritten. Und mit Violetta macht Stephanie Scheutraining, seit sie ein Fohlen war.«

Julia bog in eine etwas verkehrsreichere Straße ab und bedeutete Janina, mit Ricardo hinter ihr zu bleiben. Der kleine Rappe machte das anstandslos und scheute auch nicht, als sie gleich darauf von mehreren Autos überholt wurden. Von der Reitschule bis zur Weide in der Ringstraße, wo sich Julia mit Stephanie treffen wollte, musste man gute zehn Minuten über ziemlich befahrene Straßen reiten. Und von da aus war es noch ein weiterer Kilometer bis zu den Reitwegen im Naherholungsgebiet Rauforst.

In der Ringstraße wurden die Reiterinnen mit hellem Wiehern begrüßt. Kathis Warmblutstute Pretty rief nach Danny, mit dem sie in diesem Winter den Stall teilte. Auch Violetta fiel in das Wiehern ein. Stephanie hatte die Connemara-Stute vor Prettys Offenstall angebunden, während sie auf Julia wartete. Violetta wirkte aufgeregt. Sie war noch nicht sehr häufig ohne ihr Fohlen unterwegs gewesen und machte sich Sorgen um ihren Sohn. Natürlich konnte Coffee im Stall bei Stephanies Haus nichts passieren, aber wie alle Pferdemütter war Violetta sehr ängstlich.

»Hallo!«, grüßte Julia. »Was hat Coffee gesagt, als du ihm die Mama entführt hast?«

Julia war an allem, was Coffee anging, sehr interessiert, denn das Fohlen gehörte seit vier Wochen ihr. Der kleine Hengst war ihr lieber als ein erwachsenes Reitpferd; sie wollte ihn aufwachsen sehen und später selbst ausbilden. Natürlich verbrachte sie jede freie Minute mit ihm, und als Violetta zum ersten Mal von ihm weggeritten wurde, war sie zum Trösten bei ihm geblieben. Mithilfe einer Extraportion Heu und etwas Kraftfutter hatte Coffee die Trennung schnell verschmerzt.

»Heute hat er Violetta noch nicht mal nachgewiehert«, erklärte Stephanie und schwang sich in den Sattel. »Vio dagegen befürchtet, ihn niemals wieder zu sehen.« Die junge Frau streichelte beruhigend über den Hals ihrer graufalben Stute. »Und wie benimmt sich Rikki?«

»Super!«, antwortete Janina glücklich. »Bis jetzt hat er noch kein bisschen gescheut oder sonst was Verrücktes angestellt. Er ist überhaupt das tollste Pony der Welt.«

»Auf den Titel erheben auch noch andere Anspruch«, lachte Stephanie. »Danny zum Beispiel verteidigt ihn seit Jahren. Aber wir könnten uns darauf einigen, dass Rikki das netteste schwarze Pony ist, während Danny bei den Dunkelbraunen führt.«

»Und Coffee bei den Milchkaffeefarbenen!«, rief Julia.

Unter Prettys protestierendem Wiehern verließen die Reiterinnen die Weide und machten sich auf den Weg in den Rauforst. Janina stieg vorsichtshalber ab, als sie die Unterführung erreichten, die ihnen den Weg über die viel befahrene Bundesstraße ersparte. In diesem Tunnel scheuten viele Pferde vor dem gespenstisch hallenden Verkehrslärm, aber Rikki blieb ganz ruhig.

»Kein Wunder, er ist ja praktisch an der Autobahn groß geworden«, meinte Stephanie. Rikki hatte die ersten drei Jahre seines Lebens in einem Stall mitten im Industriegebiet verbracht. Autos und Lastwagen hatten von klein auf zu seiner Umwelt gehört. »Aber die freie Natur scheint ihm nicht so geheuer zu sein.«

Tatsächlich blähte Rikki nervös die Nüstern und schaute argwöhnisch über die Weite der Felder und Weiden. Janina verkürzte besorgt die Zügel, wäre aber trotzdem beinahe heruntergefallen, als Rikki vor einem Wasserwagen scheute. »Warum macht er das nur?«, fragte sie und verkrampfte die Finger in Rikkis Mähne. »Der Laster eben war doch viel größer!«

»Aber vertrauter! Du selber hast aber keine Angst, Janina, oder?«, fragte Stephanie.

»N... nein.« Janinas Gesichtsausdruck strafte diese Behauptung Lügen. Auch ihr vorher so korrekter Sitz löste sich auf.

Julia hatte eigentlich einen Trab anregen wollen, als sie den ersten Reitweg erreichten, aber nun ließ sie es lieber. Sollten Janina und Rikki sich erst mal beruhigen! Leider klappte das nicht. Ricardo fand den Sandweg neben der Straße fast so bedrohlich wie den Wasserwagen. Er drängte zurück auf den Asphalt und erschrak zu Tode, als er eine Bank neben dem Weg entdeckte.

»Bestimmt saß ein Geist darauf!«, lachte Stephanie. »Ein grüner, glibbriger mit roten Augen.«

Julia kicherte, als sie sich das vorstellte, aber Janina fand es nicht komisch. »Ich will nach Hause«, sagte sie kläglich. »Ich tue mir immer weh, wenn ich vom Pferd falle.«

»Bei so einem Hupfer fällst du doch nicht gleich!«, meinte Julia. »Neulich hat Herr Holthoff euch über Cavaletti springen lassen und du hast tadellos gesessen.«

»Das war aber in der Halle«, sagte Janina. »Da fällt man weicher.«

Julia verdrehte die Augen. »Du darfst einfach nicht dran denken, runterzufallen, dann fällst du auch nicht. Ich...«

Noch ehe sie diesen Gedanken ausführen konnte, machte Rikki einen neuen Seitensprung. Diesmal hatte ihn ein Holzstoß erschreckt. Janina war den Tränen nahe.

»So geht das nicht weiter«, meinte Stephanie. »Du machst dem Pony ja noch mehr Angst, wenn du so zitterst, Janina. Wenn ein Pferd scheut, muss der Reiter versuchen, ihm Sicherheit zu vermitteln. Bist du eigentlich schon mal im Gelände geritten?«

Janina schüttelte den Kopf.

»Na, dann ist es kein Wunder, dass du dich fürchtest! Was hältst du von einem Pferdetausch? Julia nimmt dein Pony und du darfst Danny reiten!«

Julia räumte bereitwillig Dannys Rücken und verstellte die Bügel für Janina. »Danny ist ganz einfach zu reiten, aber du musst die Zügel durchhängen oder höchstens ganz leicht anstehen lassen, sonst hält er an. Stephanies Ponys sind vorsichtigere Hilfen gewöhnt als die meisten Reitstallpferde.«

Janina nickte und nahm behutsam die Zügel auf. Julia erkletterte derweil Rikki. Sie war mit dem Pony vertraut, denn sie ritt es zweimal in der Woche im Reitunterricht. Herr Holthoff hatte Janinas Eltern geraten, das junge Pferd ab und zu von einer fortgeschrittenen Reiterin bewegen zu lassen. Da Julia für ihre fast 14 Jahre noch relativ klein war, hatte sie das übernommen. Jetzt lachte sie nur, als Rikki einen niedrig hängenden Ast zum Anlass nahm, hastig die Wegseite zu wechseln.

»Ein Trauerweidengeist«, erklärte Stephanie mit abschätzendem Blick auf den Baum. »Bekannt dafür, kleine schwarze Pferde mit Laub zu bedecken und verschwinden zu lassen.«

Diesmal kicherte auch Janina. Danny ging ganz ruhig und gelassen vorwärts, und das Mädchen begann, den Ritt zu genießen. Julia dagegen geriet in Raumnot, als plötzlich ein Hase vor Rikki aufsprang. Der kleine Wallach warf sich auf der Hinterhand herum und war erst nach drei Sprüngen wieder zur Ruhe zu bringen.

»Das war jetzt aber kein Geist!«, meinte Janina. »Was mache ich nur mit Rikki, wenn er weiter so schreckhaft bleibt?«

»Ach, das wird sich bald geben«, tröstete Stephanie. »Wenn Julia ihn noch drei- oder viermal im Gelände reitet, kennt er den Rauforst. Und du übst auf Danny, bis du dich sicher fühlst. Deine Angst überträgt sich sonst auf Rikki.«

Nicht nur Unsicherheit, auch Sicherheit übertrug sich. Als Rikki merkte, dass Julia seine Hupfer gelassen aussaß, entspannte er sich zusehends. Nach einem langen, ruhigen Trab über einen Sandweg prustete er zufrieden. Julia klopfte ihm den Hals und fing einen bewundernden Blick von Janina auf. »So gut wie du möchte ich auch mal reiten können!«

»Lernst du noch!«, meinte Julia großzügig. »Danny ist der beste Lehrer, den du dir vorstellen kannst. Zehnmal besser als Herr Holthoff!«

»Das lass den guten Holthoff aber besser nicht hören!«, bemerkte Stephanie. »Außerdem fehlen bei Dannys Unterricht die Highlights! Oder hast du ihn schon mal ›Ich fress gleich meine Mütze!‹ schreien hören, wenn du vor dem Sprung nicht richtig getrieben hast?«

Janina und Julia lachten, wurden dann aber jäh unterbrochen. Aus einem Seitenweg tönte ohrenbetäubendes Geknatter und gleich darauf schoss ein rotes Geländemotorrad über den Sandweg. Danny sprang erschrocken zur Seite und Ricardo flog auf der Hinterhand herum. Dabei wäre er fast in ein zweites Motorrad hineingesprungen, das kurz nach dem ersten aus dem Seitenweg brach. Die beiden Jungen auf den Rädern lieferten sich offensichtlich ein Rennen. Ricardo stieg in Panik und sprang seitlich in den Wald. Julia hatte er da aber schon nicht mehr im Rücken. Sie hatte beim ersten Scheuen die Steigbügel verloren und beim zweiten endgültig das Gleichgewicht. Während sich das Geknatter der Motorräder im Wald verlor, rappelte sie sich aus dem tiefen Sand.

»Dies zum Thema ›So gut möchte ich auch mal reiten können‹«, murmelte sie.

»Ist was passiert, Julia?« Stephanie hatte Violetta, die ebenfalls die Flucht ergriffen hatte, wieder zur Ruhe gebracht und fand nun Zeit, sich um die Mädchen zu kümmern.

»Nein, nein. Ich hab nur alles voll Sand. Aber wo ist Rikki hin?« Julia versuchte, den Sand aus ihrem Gesicht zu reiben und aus ihrem Ausschnitt zu schütteln, gab sich aber keinen Illusionen über die Erfolgsaussichten hin. Die letzten Krümel würde sie abends noch in ihrer Unterwäsche finden.

»Ricardo ist hier!«, meldete Janina. Sie hatte Dannys kleinen Hupfer problemlos ausgesessen und danach beobachtet, wie Rikki in die Büsche sprang. Gleich danach war das kleine Pferd aber verdutzt in einem Dornendickicht stehen geblieben. Der Weg hier gefiel ihm nicht. Und wieso war seine Reiterin so plötzlich abgestiegen?

Julia musste fast lachen, als sie seinen besorgten Ausdruck sah. »Nichts passiert, Rikki! Ich hole dich gleich wieder auf den Weg und wir reiten weiter. Aber diese Mopedfahrer im Wald sind eine Katastrophe. Der eine hätte Rikki beinahe gerammt!«

»Es sah schrecklich gefährlich aus«, bestätigte Janina. »Gibt... gibt es das hier öfter?«

»Motorradfahrer trifft man immer mal wieder. Aber meistens fahren sie nicht ganz so verrückt. Die Nummern habt ihr euch nicht zufällig gemerkt, oder?«, fragte Stephanie.

»Soll das ein Witz sein?« Julia spuckte immer noch Sand aus, während sie Rikki beruhigte und sich wieder in den Sattel schwang.

»Ohne Nummern kann man nichts gegen die Typen unternehmen«, meinte Stephanie. »Ich weiß auch nicht mal, ob Motocross-Fahren im Rauforst verboten ist. Auf jeden Fall halten sich die Kerle immer an die Reitwege. Auf die Wanderwege trauen sie sich nicht, weil die Wanderer schnell mit Nummernnotieren bei der Hand sind. Und außerdem lassen wir Reiter uns zwangsläufig mehr gefallen als die Spaziergänger. Wenn wir uns beschweren, heißt es gleich wieder, wir machen nur Ärger, und dann sperren sie womöglich die letzten Reitwege und machen einen Motocross-Kurs draus!«

Die Reitwegeregelungen im Rauforst waren ein ständiges Ärgernis. Nicht selten benutzten Spaziergänger mit Hunden oder gar mit Kinderwagen die für Reiter ausgeschriebenen Wege, aber wenn ein Reiter mal auf den Wanderweg geriet, gab es stets schnell eine Anzeige.

»Ich hasse Motorradfahrer!«, erklärte Julia.

Zum Glück hatte der Schrecken Rikki nicht übermäßig beeinflusst. Der Rest des Ausritts verlief ruhig. Stephanie und Julia erzählten Janina von ihren verschiedenen Erlebnissen mit Spaziergängern im Rauforst. Und als Julia schilderte, wie sie einmal von Pretty gefallen und direkt vor den Hufen von Herrn Holthoffs Pferd Ephraim gelandet war, konnte auch Janina wieder lachen. Sie saß absolut entspannt, als die drei auf der Weide in der Ringstraße ankamen.

Julias Freundin Kathi machte Pretty gerade zum Reiten fertig.

»Wie siehst du denn aus, Julia, hast du ein Sandbad genommen?« Als scharfe Beobachterin hatte Kathi die Spuren von Julias Sturz sofort erkannt.

»Klar. Soll unheimlich gut für die Schönheit sein. ›Rubbel deine Haut zart‹ – stand neulich erst in ›News für Girls‹. Na ja, und als ich vorhin meinem Traumboy auf dem Motocross-Rad begegnet bin, habe ich grad ein Ganzkörperpeeling eingeschoben!« Julia klopfte noch etwas mehr Sand aus ihrem Anorak. »Willst du jetzt noch ins Gelände, Kathi? Ich fürchte, es wird dunkel.«

»Ja, mir bleibt wohl nur die Halle. Dabei war heute so schönes Wetter. Aber ich musste in die Schule, wegen der Fete in zwei Wochen. Ich bin doch im Festkomitee.«

»Du?«, fragte Julia verwundert. Kathi, ein schlaksiges, rothaariges Mädchen, war nicht gerade für ihre Geselligkeit und ihren Spaß an Partys bekannt. Sie teilte ihre Zeit ordentlich zwischen Pretty, ihrem Computer und ihrem Freund Bernardo auf. Letzterer kam dabei am ehesten zu kurz, aber das lag nicht nur an Kathi. Bernardo gehörte zu einer Zirkusfamilie und war den ganzen Sommer über auf Reisen. Im letzten Jahr hatte der Zirkus in Kathis Nähe Winterquartier gemacht, aber diesmal überwinterte Bernardos Familie in einer entfernteren Stadt. Kathi und Nardo sahen sich deshalb höchstens einmal in der Woche.

»Du hast doch keine Ahnung, was musikmäßig so in ist, und...«

»Aber ich kann die Lichtorgel hochsteuern! Die Typen, die das Ganze organisieren, haben sich an meine Zirkusbeleuchtung erinnert, und jetzt soll ich die Aula für die Fete in eine Disko verwandeln. Ich habe gesagt, sie sollten das Ganze in den Keller verlegen. In die Aula kriegt auch ein Profibeleuchter keine Stimmung, aber das nützt alles nichts!« Kathi fuhr mit dem Mähnenkamm durch Prettys langes, seidiges Haar.

»Du wirst schon das Beste draus machen. Nimmst du Janina mit zur Reithalle? Dann könnte ich Danny gleich hier lassen und Stephanie brauchte den Umweg auch nicht zu reiten. So hätten wir noch etwas Zeit für Coffee. Ich muss Stephanie unbedingt zeigen, wie schön er sich jetzt führen lässt. Es macht dir doch nichts aus, mit Kathi zu reiten, oder, Janina?«

Janina schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass sie sich auf Kathi und Pretty verlassen konnte, und begann gleich, Kathi alles von der Begegnung mit den Motorradfahrern zu erzählen. Während sie wieder auf ihr eigenes Pony wechselte, sattelte Julia Danny ab, gab ihm etwas Kraftfutter und füllte die Heuraufen für ihn und für Pretty. Der Stall in der Ringstraße war neu und sehr schön. Julia und ihre Eltern hatten vor ein paar Wochen geholfen, ihn winterfest zu machen, damit Julias neues Reitpferd einziehen könnte. Da sie sich nun aber für das Fohlen Coffee entschieden hatte, hielten es alle für besser, Coffee mit seiner Mutter und der Spielgefährtin Svaboda in Stephanies Stall zu lassen, während Danny bei Pretty überwinterte. Im Sommer würden dann wieder alle Pferde zusammenstehen.

Als Danny versorgt war, schwang sich Julia auf ihr Fahrrad. Wenn sie sich sehr beeilte, konnte sie vielleicht noch Coffees Wiedersehen mit seiner Mutter erleben.

Auftritt Marcel

Julia trat kräftig in die Pedale und kam fast gleichzeitig mit Stephanie und Violetta bei Coffee an. Violetta wieherte schon nach ihrem Sohn, während Stephanie die Zufahrt zum Gartenhaus hinaufritt. Das milchkaffeefarbene Fohlen schoss allerdings erst hinter seinem Offenstall vor, als Julia rief.

»Der mag mich lieber als seine Mami«, erklärte Julia stolz und kraulte Coffees schwarze Mähne, die zurzeit verwegen hochstand.

»Weil Pferdeleckerli besser schmecken als Muttermilch«, neckte Stephanie. »Du verwöhnst ihn, während Violetta versucht, ihn zu erziehen! Wo steckt denn Svaboda?« Die junge Frau stieß einen leisen Pfiff aus und schaute um die Stallecke. Sie hatte die Fohlen während des Ausritts auf die Weide gelassen, damit sie Gelegenheit hatten, sich auszutoben. Stattdessen nutzten die beiden aber eher die Chance, ein paar Büsche am äußersten Ende der Wiese abzuknabbern. Jetzt schob sich ein zartes, goldfarbenes Pferdeköpfchen zwischen den Ästen hervor. Bevor Svaboda die Deckung verließ, vergewisserte sie sich, dass wirklich nur ihre Freundinnen Stephanie und Julia zugegen waren. Erst als die Prüfung zu ihrer Zufriedenheit ausfiel, kam sie näher, und wie immer bot ihr Auftritt einen atemberaubenden Anblick. Svabodas Mähne war lang, seidig und lackschwarz, und ihr Körperbau langbeinig und zierlich. Selbst jetzt, im Winterfell, war der Goldschimmer ihres Fells unverkennbar. In den letzten Strahlen der Oktobersonne schien sie wie aus dem Märchenbuch entsprungen.